BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Mühlenlied

um 1470

 

 

Mühlenlied

Hochdeutsche Fassung

nach dem Codex 4117, 65v - 68r

der Österreichischen

Nationalbibliothek, Wien

(Mondsee, um 1480/85)

 

Text:

Herman Brandes, Zum Mühlenliede

in: Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche

Sprachforschung/Niederdeutsches

Jahrbuch 9 (1883/1884), S. 49-54   >>>

 

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1. Ain mul ich pawen wil,

ach got, west ich wie!

vnd hyet ich handtgeratt

oder west ich wovon

ach got, so wolt ich heben an.

 

2. Zw holcz wil ich varen.

hyn in den wald, der ist nit ferre

gehilfen hyet ich gerne,

dy da westen all,

wie man pawm fellen solt.

 

3. Der wald der hayst Libanus,

da wachsen cedren susse,

cypressen pey den flussen

vnd palma stolcz,

oliua daz vil nucz holcz.

 

4. Ach mayster hoch, von kunsten reich,

wil du mir ler geben,

haben synnes eben,

vnd fuech es schlecht,

secht, so wirt dy mul gerecht.

 

5. Moyses, du pist darpey,

den ersten stain zw perayten,

daz er lig vest,

so tregt er schwar:

dy alten ee mayn ich darpey.

 

6. Dy newen ee, den obristen stain,

den legt man auf den alten,

daz er lauf pald

nach maysters kunst,

dy trifft ist des heyligen geystes gunst.

 

7. Jeremias, Gregorius,

Ambrosius mit Augustino,

vermacht dy mul gar eben,

vnd daz daz kamprad

also wol werd pewart.

 

8. Geon, Vison, Eufrates, Tiger,

dy vier fliessen

wol auß dem paradise;

sy haben wassers genug,

sy geben auch der mul iren fluß zw.

 

9. Ir Xij poten tret herfur,

macht vnß dy mul genge,

daz sy nit peleyb stende,

ir seyt außgesant,

zw malen in de kristenlandt.

 

10. Ain junkfraw pracht ain saklein

mit waycz gar wol verpunden,

zw der vorgesprochen stund

zw der mul kam ain prophet,

der daz wol vernam.

 

11. Ysais laut darvon

hast vns gesungen

wie wol ist vns gelungen,

wann wir sein gewiß,

daz got der herre ein mensch geporen ist.

 

12. Sein nam der haysset got,

den sollen wir alle loben;

genadigkleich von oben

her kam,

des frewen sich fraw vnd man.

 

13. [Der propheten sind alzuuiel,

die davon haben gesungen,

vns ists so wol gelungen

das ist vollebracht,

das geschach in der heiligen kristenacht.]

 

14.

Da dy nacht dy kurcz enpfieng,

der tag der nam dy leng,

der vinsternuß vnd zwang

sy in ain end;

o herre, des pistu lobsam genent.

 

15. [Die seiner lang gebeitet hatten,

geschrien tag vnnd nacht:

„wir mügen hie wol auff trachten,

wir sind des gewis,

das vns gottes son mensch worden ist“.]

 

(Handschrift Q, str. 19)

Paulus, du auserweltes fas,

schüt auff die Mülen, las malen:

du kanst vns wol verkleren

das Testament,

das Euangelion vnd Sacrament.

 

16. O ir all vier ewangelisten,

ir solt euch wol petrachten,

daz ir vns aufthut

daz vermacht saklein,

daz vns pracht ain iunkfrawlein.

 

17. Matheus, nu laß auf den sak,

schuts auf in gottes namen:

du lern vns allesamen,

du pist wol gelert pey gotte,

wie der herre ain mensch geporen ward.

 

18. Lucas, reyß den sak enczwaye,

shut auf dy mul, laß reysen:

du machst wol peschreyben

daz opfer groß,

wie got der herre sein heyligs plut vergoß.

 

19. Marcus, du starks lebelein,

schut auf dy mul, laß schroten,

wie got stund auf von dem tod,

daz geschah,

da er vns ruffet zw der osternacht.

 

20. Johannes, adlar von hohem flug,

du magst vns wol gelernen

dy himelfart vnsers heren,

hilf vns allen,

daz wir komen dar.

 

(Handschrift Q, str. 25) ;

Man gibt euch das Meel vnnd Maltz, ;

dauon jr könnet leben, ;

das jr der Mülen dienen, ;

empfanget jhren Sold, ;

das thut, so wird euch Gott hold.

 

21. Dy mul dy get vnd ist perayt.

vnd wer da wil mallen,

der mag wol hertragen

sein kornelein,

so wirt es ym gemallen klain.

 

22. Papst, kayser, prediger,

vermacht dy mul gar eben,

secht zw vns ist gegeben

wol, [mel vnd molt]

darzw auch vil reyces komen sol.

 

23. Der sein sel speysen wil,

der mach sich her schnelle

zw diser mul gesellen,

sy ist gewiß,

sy melt vnd nieczet nicht.

 

24. Der dise mul gepauet hat,

got muß yn von hynnen gelayten,

wann er von hynnen schaydt,

in engels weyß,

got fur yn in das ewig parideyß.