BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Georg Heym

1887 - 1912

 

Briefe

 

An Hildegard Krohn

 

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Georg Heym lernt Hildegard Krohn im Sommer 1911 kennen: seine letzte und innigste Beziehung. Als Jüdin wird sie 1943 von den Nationalsozialisten in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau verschlepptund dort ermordet. (Quelle: Wikipedia)

 

 

An

Hildegard Krohn

in Berlin-Charlottenburg

Anfang Juni 1911

 

Meine geliebte Hilde,

 

Bitte wundere dich nicht, daß ich Dir schon wieder schreibe, nachdem wir uns eben getrennt haben. Aber ich habe wegen heut Gewissensbisse. Und dann wollte ich Dich trösten, wenn Du ausgeschimpft worden bist. – Ich habe noch eben von meiner Schwester die Adresse schreiben lassen. Jetzt sitze ich im Südring – er hält gerade in Halensee – und ich fahre zu meinem Freund Ernst, um mich mit ihm über Keats zu unterhalten. Wie gern hätte ich Dich als Zuhörerin.

Dabei muß ich mir noch einen Vorwurf machen. Ich weiß, Hilde, daß Dein Herz danach verlangt, sich aufzuschließen und von einem Menschen verstanden zu werden. Und ich bin da vielleicht – das Blei ist kaputt – etwas zu faul gewesen. Aber meine von Herzen geliebte Hilde, Du bist oft zu still, Du gehst so wenig aus Dir heraus. Und das macht mir das sehr schwer.

Ich übrigens gleiche Dir hierin etwas. Denn ich gehe auch nicht allzu oft aus mir heraus – sei es, daß ich zu oft nicht verstanden worden bin oder daß ich gelernt habe, allein zu sein. Oder auch, weil ich – wie soll ich Dir das sagen, im Schauen lebe, im Laufen gebe. Ich laufe in der Welt herum in einer ewigen Corruption. Ich sehe und das überträgt sich telegrafisch gleich auf mein Gefühl, ohne daß ich mir Mühe gebe, das Unsagbare zu sagen, es sei denn in einem Gedicht. Endlich auch weil mir rnanchmal selbstverständlich ist, was anderen vielleicht eine Offenbarung wäre. Und zuletzt, weil ich der Gabe des «Plauderns» gottseidank entbehre. Was übrigens große Männer wie Napoleon oder Beethoven oder Nietzsche auch nicht konnten. Und vielleicht bedeute auch ich etwas. – Sollten wir uns aber dann zur Schweigsamkeit verurteilen, wir immerhin zwei Auserlesene? Du, deren Kopf ich nur eben in Gedanken nachzeichne – eine der vornehmsten Vertreterinnen Deiner Rasse – und ich, dessen Temperament und Art zu lehen vielleicht etwas Neues ist, und möglicherweise Bote einer neuen Epoche ist? Ich glaube, wir sollten nicht schweigen. Wir müssen uns mit der ganzen Gewalt unserer Seelen auf die Kunst werfen. Beginnen wir mit der Malerei. Lies zu sonnabend – ich muß Dir schon Schularbeiten aufgeben – Manet und sein Kreis oder der Impressionismus, zwei kleine Bücher der Sammlung «Die Kunst» (à 1 M) glaube ich. Wir müssen unsere Herzen endlich an denselben Altären beugen lernen. Und höre, ich werde von Dir nichts anderes mehr verlangen. Du weißt – ehe ich nicht gewiß bin, daß wir seelisch eins werden, daß wir bei denselben Namen dieselben Schauer der Ehrfurcht empfinden. Ich will an Dir wachsen. Ich will der Baum sein, den Du, mein Efeu, immer weiter in die Höhe treibst. Ich will für Dich groß sein. Ich will Dir etwas sein. Eben lese ich mit Ernst zwei Verse im Keats:

Love; thou art leading me from wintry cold

Lady, thou leadest me to summer clime.

Also voran in den Sommer. Und noch einen anderen Spruch:

Aut deus aut lapis est

qui non juveniliter ardet.

Dein Georg