BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Glückel von Hameln

um 1646 - 1724

 

Die Memoiren der Glückel von Hameln

übersetzt von Bertha Pappenheim

 

Vorwort

 

_______________________________________________________________________________

 

 

[III]

Vorwort.

Die vorliegende Übertragung der von Professor Dr. David Kauf­mann herausgegebenen «Memoiren der Glückel von Hameln» 1) macht keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit und wird der gelehrten Kritik nicht Stand halten können.

Die Übertragung des Textes in gemeinverständliche Sprache und Schriftzeichen 2) hat den Zweck, das Bild einer Frau neu zu beleben, die, tief in ihrer Zeit wurzelnd, durch ungewöhnliche Geistesgaben hervorragte, die treu war ihrem Glauben, treu ihrem Volke, treu ihrer Familie und treu sich selbst.

Die Arbeit habe ich unternommen für eine Anzahl von Enkeln und Urenkeln von Benedikt Salomon Goldschmidt 3) (geboren 13. Juni 1769, gestorben 30. Juli 1826) in Frankfurt a. M., dessen Familienzusammen­hang mit der Familie Hameln aus der diesem Vorwort folgenden Stamm­baumskizze ersichtlich ist.

Für die Autorisation hierzu, die von der Erbin D. Kaufmanns, Frau Rosa Gomperz, in entgegenkommendster Weise erteilt wurde, sei hier herzlichst gedankt.

Im zweiten Buche ihrer Memoiren (vergl. S. 60) sagt Glückel von Hameln: «Meine lieben Kinder, ich schreib [II] euch dieses, damit, wenn heute oder morgen eure lieben Kinder und Enkel kommen, und sie ihre Familie nicht kennen, ich dieses in Kürze aufgestellt habe, damit ihr wißt, von was für Leuten ihr her seid.»

Aus diesen Worten schon kann man, im Sinne der Frau, die ihre Aufzeichnungen in schlaflosen Nächten niedergeschrieben hat, das Recht herleiten, ihren Memoiren wieder eine Form zu geben, die sie der heutigen Zeit näher bringen.

Es wird sich damit aufs neue die Absicht der Schreiberin erfüllen: Fast zwei Jahrhunderte nach ihrem Tode werden Kinder und Enkel anderer Generationen erfahren, «von was für Leuten sie her sind».

Aber auch solche Leser, denen das Buch kein Anlaß ist, die Fäden zu längst vergangenen Zeiten in einer Art von Familienpietät zurück zu verfolgen – die nicht in halb fremdartig anmutenden, halb anhei­melnden Darstellungen ein Wiederbeleben und Wiedererleben von Ge­fühlen verspüren, die sonst nur als Tradition dunkel von uns emp­funden werden – denen das Buch nicht Quelle atavistischer Empfin­dungen der seltsamsten Art ist, auch solche Leser werden Freude haben an dem Frauenbilde, das ihnen aus diesen Blättern entgegentritt.

Glückel von Hameln zeigt uns die Le­benszähigkeit und Lebens­freudigkeit der Juden ihrer Zeit in ihrem engsten Kreise und in ihren geschäftlichen, mitunter weit ausgreifenden Beziehungen in Erfolg und Mißerfolg, Glückel zeigt sich auf der Höhe der Bildung jener Epoche, mit dem spezifischen Einschlage jüdischer Gelehrsamkeit. Hinaus­blickend über die Sorgen des Alltags, die für die Juden der damaligen Zeit fast erdrückend waren, erscheint sie uns als kluge, starke Frau, die trotz des Herzeleides, das sie erlebte, trotz der schweren Schicksals­schläge, die sie erduldete, aufrecht blieb.

Wenn man so Blatt für Blatt der sieben Bücher ihrer Auf­zeich­nungen durchgeht, findet man in bunter Reihenfolge Erinne­rungen an die Ereignisse der großen Welt, Schilderungen [III] der Vorkommnisse aus ihrem engeren Kreise, Einblicke in reges Geschäftstreiben, Bilder aus dem Familien- und Gemeindeleben, Reiseerlebnisse, und dazwi­schen Erzählungen und Legenden, alles in ureigentümlichster Auffas­sung und Darstellung.

Glückel von Hameln gebührt ein Platz unter denjenigen Frauen, die bescheiden und unbewußt das beste und wertvollste eines Frauenda­seins verkörperten.

Frankfurt a. M., im März 1910.

Bertha Pappenheim.

 

――――――――

 

1) Frankfurt a. M., Verlag von J. Kauffmann (1896). Auf Vorrede und Anmerkun­gen sei besonders hingewiesen. 

2) Für die hebräischen Textstellen habe ich die Hilfe von Sachverständigen in Anspruch genommen. 

3) Vergl. Beilage F. 

 

 

 

 

[IV]

Vakat-Seite