BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Karl Ludwig von Knebel

1744 - 1834

 

Schweizer Wanderungen

An den Großherzog Carl August

 

1780

 

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Am Stäg, den 20. Juli 1780.

 

Der Weg von Altorf hieher macht ein erhabenes, bald engeres, bald weiteres Bergthal. Zur Rechtén rauscht die von Schneewasser angeschwollene Reuß, in deren kalten Fluthen ich noch gestern meine erhitzten Glieder zu großer Erquickung badete. Das Thal ist anmuthig mit Büschen und Bäumen umsteckt und durchwunden. Die Leute treu, fromm und bieder, wie ihre Felsen. Abwechselnde Scenen von Ruhe und Genuß, von himmelragenden Bergen und Felsen, und Verheerungen, die die wilde, gewaltsame Reuß angerichtet. Sie rauscht mit lärmendem Getöse unaufhörlich über ihr gleichsam mit Granit und Marmor gepflastertes Bett. [121]

Schöne Cascaden stürzen allenthalben von den aufgeschwollenen Schneebächen die hohen Berge herab, und scheinen öfters in der Ferne von den Gipfeln derselben wie ein weißes Tuch herabzuhängen, während von den Felsen das Echo erschallt.

Im Vorbeigehn vor den mancherlei einzeln zerstreuten Häusern macht' ich auch die Bemerkung, daß die Hunde, die wir antrafen, fast gar nicht bellten, noch weniger die Reisenden, wie bei uns, anfielen. Ist dieß der Charakter der Einsamkeit, Ruhe und Sicherheit, der sich hier auch den Thieren mittheilt? Auch Cook hat, so viel ich mich erinnere, schon die Bemerkung gemacht, daß die Hunde in Neuseeland nicht bellen.

Da der Weg hier überall, durch die Wiesen und auf die Berge, einige Fuß breit gepflastert ist, so konnte der gestrige Regen nicht viel verderben.

Nach zwei Uhr Nachmittags kam ich gestern hier an, Die Leute sind gar gut, freundlich und redselig. Die Stube reinlich, die Aussicht schön. Der ganze Ort besteht ungefähr aus zwanzig vertheilten Häusern.

Diesen Nachmittag versuch' ich's, einen der nahen hohen Berge, die gegen das Bündner-Land zu liegen, zu besteigen. Ich war mit vielem Eifer und Leichtigkeit eine Stunde lang gestiegen, und konnte noch nicht sonderlich zu meinem Endzwecke gelangen.

 

 

Eine lange Alpmatte fand ich jetzt, wo wieder eine neue Colonie von Menschen wohnte. Ich erstaunte sehr, als ich an einer dieser schlechten Hütten vorbeiging, und ein Junge, mit dem ich mich eine Strecke lang unterhielt, mir sagte, hier wohne ein Rathsherr! – Seitdem bin ich es aber mehr gewohnt worden, den Rathsherrn und den Bauer in Einer Person zu finden, und ich habe nicht Ursache gehabt, zu vermuthen, daß der Rath unter dem verlieren möchte, was etwa zum Herrn, nach unsern Begriffen, fehlen sollte.

So ging ich weiter. Ließ nun die Matte links liegen, und verfolgte die höhere Spitze des Berges rechts hinauf. Ich [122] stieg noch eine gute halbe Stunde, steil aufwärts, mit aller Heftigkeit. Endlich kam ich den Wolken des gegenüberstehenden Berges parallel, an den Hang eines sich in die Tiefe stürzenden großen Schneebaches. Ich kühlte mich und ruhte hier aus. Noch waren die größten Fichten und Buchen um mich, auch hohe Sträuche von Wachholder. Ich fürchtete, mich mit einbrechender Nacht zu verirren, und stieg also, unter manchen seligen Träumen, allmälig herunter. Als ich zurückgekommen war, fand ich in meinem Quartier ein Mädchen, das die Leute von der hohen Alpmatt heruntergeschickt hatten, aus Furcht, ich möchte mich verirrt haben, um Nachricht von mir zu geben, So besorgt sind hier die Menschen um Andere, deren Namen sie nicht einmal wissen.

Ich beschenkte sie gut, und sie sagte mir, daß sie und ihre Eltern schon in der Wüste Sierra Morena, auf Anstiften eines spanischen Herrn, als Colonisten gewesen seien, aber nun es auf ihren Alpen besser fänden.

Noch Eins! Das Wasser ist hier ganz vortrefflich, im Sommer trüb, im Winter klar. Ersteres kommt von den aufthauenden Gletschern. Die Leute ziehen aber das trübe Wasser im Sommer vor.