BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Ernst Haeckel

1834 - 1919

 

Der Monismus als Band zwischen

Religion und Wissenschaft

 

Vorwort

 

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Vorwort.

 

Der nachstehende Vortrag über „Monismus“ ist eine freie Gelegen­heitsrede; er entstand unvorbereitet am 9. October 1892 in Altenburg, während des 75jährigen Jubiläums der „Naturforschenden Gesellschaft des Osterlandes“. Die unmittelbare Veranlassung zu meinem Vortrage gab die vorhergehende Festrede, welche Herr Professor Schlesinger aus Wien „über naturwissenschaftliche Glaubenssätze“ hielt. Mehrere Sätze dieser philosophischen Festrede betrafen die wichtigsten und höchsten Aufgaben der menschlichen Naturerkenntniß; andere Behauptungen derselben forderten unmittelbar zu einer Entgegnung und einer Dar­legung abweichender Auffassung auf. Da ich selbst seit dreissig Jahren mich mit jenen naturphilosophischen Problemen sehr eingehend beschäftigt und meine monistischen Ueberzeugungen in verschiedenen Schriften niedergelegt habe, wurde von Seiten mehrerer Festgenossen der Wunsch ausgesprochen, dieselben bei dieser feierlichen Gelegenheit kurz zusammenzufassen. Indem ich diesem Wunsche nachkam, ent­stand das nachstehende „naturwissenschaftliche Glaubensbekenntniß“. Der wesentliche Inhalt desselben, wie ich ihn am folgenden Tage aus der Erinnerung niederschrieb, erschien zuerst in der „Altenburger Zeitung“ vom 19. October 1892 (Nr. 246, zweites Blatt). Einen Abdruck dieser ersten Mittheilung, mit einigen philosophischen Zugaben, enthält das November-Heft der „Freien Bühne für den Entwickelungskampf der Zeit“ (Berlin, Jahrg. III, Heft 11). In der vorliegenden Abhandlung ist die Altenburger Rede durch Zusätze bedeutend vermehrt, und einzelne Theile sind weiter ausgeführt. In den Anmerkungen (S. 37 - 46) habe ich einige brennende Fragen der Gegenwart in monistischem Sinne beleuchtet.

Der Zweck meines aufrichtigen monistischen Glaubensbekenntnißes ist ein doppelter. Erstens möchte ich damit derjenigen vernünftigen Weltanschauung Ausdruck geben, welche uns durch die neueren Fortschritte der einheitlichen Naturerkenntniß mit logischer Notwen­digkeit aufgedrungen wird; sie wohnt im Innersten von fast allen unbefangenen und denkenden Naturforschern, wenn auch nur Wenige den Muth oder das Bedürfniß haben, sie offen zu bekennen. Zweitens möchte ich dadurch ein Band zwischen Religion und Wissenschaft knüpfen und somit zur Ausgleichung des Gegensatzes beitragen, welcher zwischen diesen beiden Gebieten der höchsten menschlichen Geistesthätigkeit unnötigerweise aufrecht erhalten wird; das ethische Bedürfniß unseres Gemüthes wird durch den Monismus ebenso befriedigt, wie das logische Causalitätsbedürfniß unseres Verstandes.

Dass diese naturgemässe Verbindung von Glauben und Wissen, die vernünftige Versöhnung zwischen Gemüth und Verstand, täglich mehr ein dringendes Bedürfniß der gebildeten Kreise wird, beweist die steigende Fluth der darüber veröffentlichten Broschüren und Bücher. In Nordamerika (in Chicago) erscheint schon seit mehreren Jahren eine Wochenschrift, welche diesem Zwecke gewidmet ist: „The Open Court, A weekly Journal devoted to the Work of Conciliating Religion with Science“. Der treffliche Herausgeber derselben, Dr. Paul Carus (Verfasser von „The Soul of Man“, 1891), widmet ausserdem derselben Aufgabe eine besondere Vierteljahrsschrift unter dem Titel: „The Monist, a quarterly Magazine“. Es wäre höchst wünschenswerth, dass diese werthvollen Versuche der Annäherung von empirischer und speculativer Naturbetrachtung, von Realismus und Idealismus mehr beachtet und gepflegt würden; denn nur durch ihre naturgemässe Vereinigung nähern wir uns dem höchsten Ziele unserer Geistesthätigkeit, der Verschmelzung von Religion und Wissenschaft im Monismus.

 

Jena, am 31. October 1892.

Ernst Haeckel.