BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Peter Hebel

1760 - 1826

 

Der Rheinländische Hausfreund

 

Unabgefordertes Gutachten

über eine vorteilhaftere

Einrichtung des Calenders

 

1806

 

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Unabgefordertes Gutachten

über eine vorteilhaftere

Einrichtung des Calenders

 

Es müsste ohne Zweifel in dem Ausland eine grosse, und für unsern Calender im ersten Jahr lucrative Sensation erregt werden, wenn es allgemein bekannt würde, dass die Leseartikel desselben unter der Aufsicht des Landeskonsistorii von einem Oberhofprediger, einem Obermedicinalrath, einem Superintendenten und zwei Professoren bearbeitet werden. Aber nicht geringer würde das Erstaunen seyn, wenn man gleichwohl fände – ich hoffe mit Verzeihung laut aussprechen zu dürfen, was wir in der Stille alle anerkennen – dass er gleichwohl in Ansehung seines Gehaltes sich noch nicht über die gewöhnlichen guten erhebe, und in Ansehung des Drucks, Papirs, Umfanges und ieder andren äussern Ausstattung zu den schlechtesten gehöre, die auf einen deutschen Jahrmarkt kommen. Unter uns können wir uns noch zudem etwas gestehen, dass der erste Gesichtspunkt, der bey Etablirung der iezigen Calenderkommission vor einigen Jahren gegeben wurde, seitdem etwas ausser Acht gelassen, zum Theil wirklich, wiewohl unvermerkt, verrückt worden seye.

Von der Erfahrung nemlich, dass dieser einheimische Calender in der Concurrenz mit so vielen fremden von reicherer Aussteuer bey seinem Publikum immer weniger Credit und freiwillige Abnahme finde, und die Austheilung desselben durch den Hatschier zwar ein kräftiges, aber doch in andern Hinsichten das missräthlichste Mittel sey demselben eine reichere Annahme zu verschaffen, wurde damals die weise und zweckmässige Hauptregel herbeigeführt, dahin zu arbeiten, dass der Calender durch Annäherung in Innhalt, Ton und äussere Gestalt an die Wünsche und den Geschmack des Volkes in höheren Credit komme. Die Absicht zu belehren und zu nützen sollte nicht voranstehen, sondern hinter dem Studio placendi masquirt, und desto sicherer erreicht werden.

Ob dieser Versuch nun seit 3 Jahren gelungen sey, oder nicht, – ob er durch die kohlschwarzen Vollmonde, Feyertäge und Sabbathen erreicht worden sei? –.

Wenn nicht entscheidende Fakta und ein allgemeinerer Beyfall, als mir in meiner engen Sphäre zu Ohr kommen könnte, mir wiedersprechen, so möchte ich fürchten: Nein!

Aber haben wir nicht bei der Lösung unserer Aufgabe im gemeinschaftlich guten Eifer den Fehler begangen zu vergessen, dass sie – schon gelöst ist? Wir hatten nicht den ersten Calender dieser Art zu schaffen, sondern uns irgend einen, der schon den ungeteilten Beyfall seines zahlreichen Publikums hat, zum Muster zu nehmen, nach seiner Regel zu arbeiten, und womöglich, was auch leicht möglich wäre, unsere Arbeit noch besser zu machen.

Es sey mir erlaubt, zu diesem Zweck den mir bekanntesten Volkskalender, den Basler hinkenden Boten, zu nennen, und fürs erste den Beweis zu führen, dass er ohne alle obrigkeitlichen Zwangsgesetze oder andere Vergünstigungen, als bloses Privatunternehmen einen fast unbegreiflichen Absatz haben müsse.

Der badische Calender enthält 4-5 Bogen Text, kein rothes Jota, nicht einmal einen rothen Vollmond, und erst seit 2 Jahren einen für diesen Zweck höchst verunglückten, ungefälligen und für den Landmann undeutsamen und interesselosen Plan von Carlsruhe zum Tittelblatt und kostet 4 Kreuzer. Der hinkende Bote hat 6-8 Bogen Text, in den schlechtesten Exemplaren wohl erträgliches Papir und sehr leserlichen Druck, viel Roth, und ausser dem figurenreichen Titelblatt einen Holzschnitt von einem halben Bogen, 2-3 dergleichen in Quartgrösse und 15 Vignetten an Monatsbildern etc. und kostete in einer Gegend, wo alles theuerer ist, lange nur 6 xr. [Kreuzer], iezt 8. In Ermangelung eines Exemplars desselben substituire ich hier anliegend zur unmittelbaren Ansicht den ebenfalls in Basel herauskommenden Schweitzer-Boten, von Heinrich Zschokke herausgegeben. Auch dieser kostet, so rein und schön, wie er hier erscheint, mit neun Bogen, viel Roth, 12 Vignetten und 4 Platten in Basel nur 8 xr. [Kreuzer].

Hieraus folgt, wenn bey solchen Preisen die Menge den Profit machen muss, dass entweder an dem badischen Calender, der sich in 17 bis 20000 Exemplaren absetzen kann, bey seiner geringen Ausstattung enormer Gewinn herauskommen müsste, was der Fall nicht ist, oder dass der hinkende Bote bey einem gewiss nicht lucrativen Verhältniss des Preises zum Werth einen ausserordentlichen Absatz haben müsse. Und dieses Resultat wird desto merkwürdiger durch folgende Umstände:

1) Der hinkende Bote hat durchaus keine obrigkeitliche Vergün­stigung, steht und fallt sich selber, und der Canton, in welchem er als Nationalkalender gutwillig kann angenommen werden, hat nur 40000 Einwohner, folglich höchstens 5000 Familien.

2) Derselbe hat mit vielen andren und nahen, z. B. dem Schweitzerboten (Canton Argau), dem lustigen Schweitzer (Canton Schafhausen), dem hinkenden Boten von Bern, sogar mit einer deutschen Uebersetzung des französischen hinkenden Boten von Vevey (Canton Leman) zu konkurriren, und ist an seinen fremden Gränzen mit Ländern umgeben, die alle ihre eigenen zum Theil gezwungenen Landkalender haben, und doch konnten

3) eine sehr lange Zeit zweyerlei Hinkende Boten, der eine im Scholerischen, der andere im Deckerischen Verlag der nemlichen Stadt neben einander mit Vortheil bestehen, obgleich

4) der Abnehmer von Parthien für den einzelnen Verkauf noch einen beträchtlichen Rabbat abziehen darf, daher auch unsre innländischen Buchbinder, statt des einheimischen, von dem sie fast nichts haben, ienen den Käufern zu empfehlen pflegen.

Aus allem diesem wird die mündliche Versicherung des Buchhändler Holdenecker in B[asel] wahrscheinlich, dass jährlich 20000 H[inkende]. B[oten]. gedruckt und abgesetzt werden.

Sollte das Resultat erschlichen seyn, wenn ich nun hieraus schliesse, dass ein Calender, der solchen Beyfall des Volks hat, den Geschmack desselben glücklich müsse getroffen haben? Sollte es sich nicht der Mühe verlohnen, die Ursachen dieses Beyfalls aufzusuchen, um für die alte, von dem Volk durch alle Jahrgänge gerichtete und verworfene Form und Einrichtung unseres Calenders wesentliche und beigehende Verbesserungen in bescheidene Vorschläge bringen zu können. – Solche sind:

1. ein allgemeiner, einladender Name des Kindes statt oder zur Seite unseres gewöhnlichen. Denn fürs erste thut so ein Aushängschild wie Hinkender Bott, Jährlicher Hausfreund, Lug ins Land etc. mehr Wirkung auf das Volk, zumal bey der ersten Einführung eines Produkts, als man meint. Körnen nicht selbst Zeitungsschreiber und Schriftsteller ihr gebildetes Publikum mit dieser Lockspeise an? Man denke an die Weltkünder, Reichspostreuter, Moniteurs, Teutscher Merkur statt Weimarer Monatsschrift, Iris statt Freiburger Damenkalender. Fürs andere weiht ein solcher allgemeiner Titelnamen das Produkt für iederman, der etwas dahinter suchen mag. Hinter dem Titel: Curfürstlich badischer gnädigst privilegirter Landkalender für die badische Marggravschaft lutherischen Antheils sucht ausser dem marggrävischen Unterthan und Lutheraner niemand etwas, als die treuherzige Warnung: Kaufe mich nicht, dich gehe ich nichts an.

2. Sorgfalt für weissliches Papir, etwas grössere Lettern und reinen Abdruck. Denn dem gemeinen Mann macht ohnehin das Lesen oft Mühe und Anstoss, und am meisten den Kindern und Alten, die Langeweile und Neugierde am ersten zu dem Calender führt. Nirgends weniger als bey diesem Artikel darf die überal heilsame Maxime übersehen werden, dass nicht auf die möglichst karge Auslage, sondern auf die möglichst reiche Einnahme der gröste Gewinn zu berechnen sey.

3. Wiedereinführung des Rothen, der astrologischen Praktika, der Zeichenstellung, des Aderlassmännleins. Zschokke hat in anliegendem Calender gezeigt, wie fein und unschädlich sich diese Artikel behandeln lassen, und wie viel weiser es sey, den Geschmack seines Publikums zu benutzen, als zu verachten und beleidigen.

Der hinkende Bote gibt als Hauptingrediens seiner Leseartikel politische Begebenheiten des vorigen Jahres, Mord- und Diebsgeschich­ten, verunglückten Schatzgräber und Gespensterspuck, Feuersbrünste, Naturerscheinungen, edle Handlungen, und witzige Einfälle, wo möglich meistens aus seiner neuesten Vaterlands-Geschichte. Ahme man dieses nach! Auch der Bauer mag gerne wissen, was ausser seiner Gemarkung vorgeht, und will, wenn er unterhalten und afficirt werden soll, etwas haben, von dem er glauben kann es sey wahr. Mit erdichteten Anekdoten und Spässen ist ihm so wenig gedient als mit ernsten Belehrungen, und wenn wir doch, wie billig, edlere Zwecke mit der Kalenderlektüre erreichen wollen, welches Vehikel wäre zu den manigfaltigsten Belehrungen geeigneter als Geschichte?

4. Wo möglich ein par Bogen Textes mehr. Was kann auf einem Bogen Ganzes und Befriedigendes gesagt werden, zumal, wenn an dem einen Bogen fünf Männer arbeiten?

5. Monatsvigneten, wo möglich, und ein paar Vorstellungen in Holzabdruck.

6. Gleichförmigkeit im Arrangement. Nichts ist dem gemeinen Mann widriger, als wenn er das, was er einmal hier und so zu finden glaubt, jedes Jahr an einem andern Ort suchen muss, und anderst findet.

7. Uebertragung des ganzen Geschäfts (mit Ausnahme des Mathe­matischen) nicht an viele, sondern an einen Bearbeiter, nicht in der Stadt, sondern an einen, der beobachtend mit und unter dem Volke lebt, an einen Landgeistlichen der Talent, guten Willen und Musse dazu haben kann, und honette Vergütung dafür auf irgend eine Art. Denn umsonst ist der Tod. – Ich habe bisher an dem Calender so willig und verhältnissmässig viel gearbeitet, dass ich mit dieser Nummer keinen Schein unedler Arbeitsscheue auf mich zu laden hoffe. Endlich

8. Frühe Ausgabe des neuen Calenders noch im alten Jahr. Die Schweitzerischen und viele andere sind zu Ende des Augusts schon auf allen Märkten zu haben. Der unserige kommt, wie das Hornberger Schiessen, immer zuletzt, wenn man alles schon hat und weiss, was er bringen und sagen will.

Aber billig wird hinter allen diesen Vorschlägen die bedenkliche Frage laut: Wie theuer das Alles?

Wenn vier Kreuzer das absolute Maximum des Preises bleiben soll, so glaube ich doch mit diesem Aufsatz nichts unnützes gethan zu haben, wenn ich hoffen darf, dass wenigstens dieienigen Vorschläge, die sich ohne Preiserhöhung ausführen lassen, in weise höhere Prüfung gezogen werden.

Sollte es aber zu viel gewagt seyn, wenn man den Preis verhältnissmässig, doch so schonlich als möglich erhöhte, und im Vertrauen auf die Güte und Zweckmässigkeit des Calenders und den davon unzertrennlichen Beyfall und Abgang in und ausser der badischen Marggravschaft luthrischen Antheils, den schon lange verhassten Zwang ganz aufhöbe. Nur für den gezwungenen Käufer ist Erhöhung des Preises Härte. Im freien Handel ist immer die schlechteste Waare auch die theuerste, und nicht die absolut wohlfeilste, sondern dieienige, welche zu gleichem Preis mit andern, die beste ist, sichert den zahlreichsten Zuspruch. Nun müste es aber keine Kunst seyn, wenn ein Mann von Geist und Laune, zugleich ein vertrauter Kenner und Freund des Volks, die Bearbeitung in die Hände bekäme, ihr noch einen hohen und entschiedenen Vorzug vor dem hinkenden Boten und vielen anderen Calendern zu geben, denen man ohngeachtet ihres Beyfalls sicher glaubt ansehen zu können, dass ihr Verleger und Drucker auch zugleich ihr Verfasser oder Sammler sey.

Ja da nach einer zuverlässigen Angabe, die ich in Händen habe und vorzeigen kann, bey 5000 Exemplaren Hinkenden Botes schon ein Quart, bey 8000-10000, schon ein Drittel Profit nach genauer Berechnung herauskommt, so könnte wahrscheinlich bey einem reichen Absatz des badischen Calenders im Inn- und Auslande, ich will nur sagen, von 30000, noch eine sehr billige Rücksicht zu Gunsten des Innländers, der den Calender auf dem offiziellen Wege, nicht aus des Buchbinders 2ter Hand, annähme, wenigstens für die dürftigeren unter denselben gemacht werden, wenn man nicht lieber zur Wahl für leztere einen sehr wohlfeilen Abdruck des blosen Monatskalenders und der Praktika ohne historischen Text und Holzabdrücke zu veranstalten für zweckmässig halten sollte.

 

Carlsruhe, den 18. Februar 1806

J. P. Hebel.