BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Ursula Püschel

1930 - 2008

 

Bettina von Arnims

Polenbroschüre

 

Vorwort

 

____________________________________________________________

 

 

 

Die Polen

der

Nationalversammlung.

 

Es ist die höchste Selbstverleugnung, denen sich aufzuopfern, die man zu unterdrücken gewohnt war, und das Unrecht wieder gut zu machen, mit dem der Fluch böser Leidenschaften das Gerechte und Nothwendige überwältigt und das Große verfolgt.

Gott erkennen ist Erkenntniß des Rechts, dem der Begriff huldigt! – Die erkennen nicht Gott, die das Unrecht geschehen lassen! Nur in denen, welche Unrecht erleiden, erregt eine göttliche Kraft den Muth, es zu bestehen. Die aber, welche das Unrecht üben und ihre Macht dazu als ein Recht an den Unterdrückten geltend machen und es als eine Verlegung dieses Rechts bestrafen, wenn sie sich dagegen wehren, die sind vom Teufel besessen; ihre Thaten sind epileptische Ausbrüche ihrer Leidenschaften. [2]

Epilepsie des Teufels sind die giftigen Verleumdungen über die Polen, die man dem Volke einimpft, das seiner Sinne nicht mächtig, um sich schlägt. Wenn es aus dieser Besessenheit erwacht, dann wird es Wehe schreien über seine Dränger, die so große Verbrechen durch es geschehen ließen! –

Deutschland! wie ist dein Ruhm so fleckenlos! – Welche Thaten haben dich verherrlicht, daß du dich selber hochpreisest? – Welche Kraft ist von dir ausgegangen? – Welches Volk kann sich deines Schutzes freuen? – Welches ist das Vertrauen, das du sicherst, und welcher deiner Fürsten, der erhaben über Despotismus vor andern Völkern hervor­leuchtet?

Geben wir Polen Zeugniß von deutscher Gerechtigkeit? – Sie haben uns das Vaterland geraubt! – Von deutscher Worttreue? Sie haben uns den Eid gebrochen! – Von deutscher Heldenkraft? – Sie haben uns Entwaffnete geschlagen! Von deutscher Kriegsehre? Sie haben unsere Gefangenen gebrandmarkt! –

O deutsches Volk, sind das die Trophäen, die deine Herrscher mit Ehre bedecken? O Epilepsie des Teufels, zu furchtbar, um nicht vor ihrer Wuth des Todes zu erbleichen. – Und ihr Gestirne, die ihr in die Nacht des Mords hinableuchtet, könnt ihr [3] nicht Versöhnung niederstrahlen? Seid ihr ohnmächtig wie dies verrathene Volk, hingemordet in seiner Verzweiflung von epileptischem Wahnsinn! Sie hetzen, sie drohen, sie greifen heimtückisch um sich und jeder für sich ist Volkswürger.

Wie werden sie sich verantworten vor dem innern Richter? – wenn er ihre Macht niederhält, mit der sie die Welt in Flammen setzen? – Wer wird sie freisprechen von der Schmach ihrer unmenschlichen Verfü­gungen? – Die öffentliche Meinung, der sie ihr falsches Evangelium predigen? – Ist der Gerechte nicht strenger gegen sich und verant­wortlicher seiner Ehre, als sie von der öffentlichen Meinung abhängig zu machen? Könnte er auch Alles vergessen, selbst was er als Verdienst sich anrechnet; könnte er über jeden Tadel sich hinausschwingen, über jedes Mißlingen oder Mißverstehen seiner Handlungen, das, worüber er nie hinauskommen kann, ist sein eignes Urtheil über sich. –

Da aber das Bewußtsein des Einen nicht eben so kräftig wiederhallt im Gefühl der Menge, die, entfesselt in ihren Begierden und verbraucht für falsche Zwecke, leicht ihr Vertrauen aufgiebt, so muß freilich eine öffentliche Stimme sein, die auch dem Gewissen als Zeugniß diene. – [4]

Als der junge Alcibiades sich dem Wagenführer in den Weg warf und trotzig rief: Nun fahre zu!, mußte der nicht in seinem Anlauf stutzen und die rennenden Gäule mit aller Macht zügeln? Und je näher er dran war, den jungen Helden zu zerschmettern, je mehr mußte er zurückbeben, daß er so nahe dran war. Seht die junge Freiheit, die dem Wagenführer sich kühn entgegen wirft. –

Wie aber, wenn es anders käme? Wenn der Wagenführer zornig übereilt über den kecken Knaben hinwegstürzt, statt seinen Lauf zu hemmen? Ja, dann kann auch er den eignen Sturz nicht hemmen in den Abgrund, vor den der kühne Retter sich warf! –

Die öffentliche Stimme, meint ihr, sei aufgetreten laut genug über die Polensache in öffentlichen Blättern. – Diese Blätter, die durch Deutschland und Frankreich Verläumdungen über eine verfolgte Nation ausstreuten, gleich als um das in die Volksstimme übertragene Urtheil zu bevormunden „des Todes schuldig!“, gleich als um die Verfolgungen zu rechtfertigen, die jeden Augenblick in jammerverbreitenden Unthaten dies Urtheil selbst vollzieht an einer Nation, die man in jedem Einzelnen als Schlachtopfer zu morden sich berechtigt wähnt! – [5]

Nein Freunde! Diese Blätter sind nicht die öffentliche Stimme, die voll edlem Feuer unserm Sturz sich hemmend entgegenwirft; aber die hinabgleitende Bahn ist sie – ins Chaos des Verderbens. O haltet an – und lernt begreifen, wo es hinaus will mit dem verwüstenden Sturmschritt in die Nacht hinein voll Finsterniß! –

Oder wißt ihr, was ihr thut, wenn ihr einer Nation flucht und geschehen laßt wovor den Menschen gräult? – Todt sei diese Nation und deswegen schleppt man sie vor den Richterstuhl, weil sie diesem Tyrannenausspruch sich nicht fügt? – Es wird ihr zum Verbrechen an ihren Raubrittern, daß sie noch Lebenszeichen von sich giebt! –

Ich frage Dich, o Volk, das über Mangel oft klagt und das Brod den Kinden knapp zuschneidet, weil es bis morgen muß ausreichen: Wenn ein Kind Euch erkrankt und Ihr habt Euch den Tag in Arbeitsmühen angestrengt, setzt Ihr nicht auch die müde Nacht daran, das Kind zu pflegen? – Und je schwerer es erkrankt, je sehnsuchtsvoller seht Ihr Euch nach Hülfe um. Ihr gebt gerne das Erworbene hin, um es zu retten, so schwer es zu entbehren ist, so sehr es Euch morgen fehlen wird, wenn nur die Krankheit gehoben wird und der Lebensathem frisch [6] angefacht. Wenn aber der Arzt, von dem Ihr Rettung hofft und voll Vertrauen dem Kind ihn zuführt, statt mit Eurer Pflege sich zu einen, dem Kinde einen mörderischen Schlag aufs Herz führte – blos weil es im Fiebertraum um sich schlägt – und sagt, das Fieber sei zu schwer zu heilen, besser sei es, ihm den Todesschlag gleich geben; – würdet Ihr nicht diesen Mann des grausamsten Verrathes zeihen? – würdet Ihr nicht vor den Richterstuhl ihn fordern, ja, als schweres Unrecht in Euch selbst es empfinden, dies Verbrechen ungerügt zu lassen? –

Wie kommt es nun, daß in unsern Tagen, vor so viel Zeugen des Jammers das Unerhörte geschehen darf an einem ganzen Volk, was an einem sterbenden Kind, an dessen Leben der Arzt verzweifelt, als mörderischer Frevel schwer gerügt wird? Und daß Ihr einer verwais'ten Nation in zerstreuten Massen, ohne Oberhaupt, ohne Waffen, ohne Disciplin, ohne vertrauten Führer, gedrängt von einer zehnmal größern Macht, die mörderische Streiche gegen ein so volles gesundes Leben führt, ihre verzweifelte Gegenwehr zum todtschuldigen Verbrechen anrechnet, blos weil sie Euerm Willen sich widersetzt, sie verenden zu lassen und als todt, lebendig zu begraben. [7] –– Und die eigne Nation des starken Bruders zu berauben.

Das Volk hat Polens Verläumdern Glauben geschenkt! – Ihm ist es zu verzeihen, – denn wenn es nicht hat, was man als Bildung bezeichnet, so hat es auch nicht die Ahnung eines solchen Frevels, von der Nation des Unglücks Verbrechen in die Welt zu posaunen, die nicht wahr sind sondern erfunden und, verknüpft mit Zufälligkeiten und unverschuldeten Mißständen, endlich einen Grad des Wahrscheinlichen erlangen, daß man beinah' sie zu leugnen sich scheuen möchte.

Aber ein Staatsinteresse, von dem das Wohl und Wehe Deutschlands abhängt, was die neuerwachten Regungen der Menschlichkeit befeuert, öffentlich in der Nationalversammlung unterdrücken wollen, zeigt von gänzlichem Mangel an politischem Instinct, und muß endlich auf schmähliches Zerwürfniß zwischen Volk und Regierung hinauslaufen, da es zugleich diese von ihr unterdrückte Polensache zu einer Interpellation Gottes erhebt, die alle Wahrheitskämpfer in die Schranken ruft! –

Was ist's denn, was den Männern der Linken und der Mensch­lichkeit sich entgegenstemmt? – Sie konnten doch nicht vor der diplomatisch gezähmten [8] Haltung ihrer Gegner und noch weniger vor ihrem Murren und Zischen und Zur-Tagesordnung-Rufen zurück­weichen. Da, um der Gerechtigkeit die Wege offen zu halten – sie der Polensache vor allem Andern Rede stehen mußten, weil jeder Augenblick, den man ihr verliert, Verrath ist – weil, wenn Wahnsinnige und Verzweifelte über einander herfallen, so muß Hand angelegt werden.

Sie aber sind so gleichmäßiger Inconsequenz, daß sie den Weheruf der Polenschen Abgeordneten ohne Abstimmung übergehen durften, wo ohne Abstimmung hätte nachgegeben werden müssen, wenn man sich nicht dem Vorwurf aussetzen wollte, Verrath an der National-Ehre zu begehen, die zwar in der Unterdrückung eines jedes Volkes betheiligt ist, hier aber, an den seit dem 22. März auf Treu und Glauben Euch verbündeten Polen, sind es die Ehre und das Selbstgefühl der Nation, die für sie in die Schranken treten. Die Regierung, die diese Volkswürde nicht stützt, durch unbegründete Gegenreden des Volkes Mitgefühl zu zerstreuen sucht, begeht an sich selber den Verrath, der an ihr selber sich auch rächen wird! Und fragt sie doch, ob sie die Rettungsmedaille damit zu erwerben gedenke, daß die nothwendige unmittelbare Hülfe, die der Mensch dem [9] Menschen schuldet, die er selbst dem Verbrecher leisten würde im Augenblick der Gefahr, von ihr mit kalter Berechnung hinausgeschoben ward, um erst das eingebildete Recht politischer Zwecke zu erwägen, die aber vor dem Rechtsgefühl des Volkes keine Geltung haben. Und verfehlt nicht, was die öffentliche Stimme behauptet, zu bemerken, daß der Verrath an Polen Hand in Hand gehe mit der Absicht das Volk wieder in die alte Sclaverei zu zwängen. Aber auch ohne gerichtliche Vermittelung hat die Wahrheit schon ihre nothwendige geschichtliche Geltung zur Rettung unserer zertretenen Nation aus der Mördergrube, in die sie zu begraben seit Jahrhunderten äußere und innere ministerielle Kunstgriffe der Absolutheit hinarbeiten.

Einer solchen Vermessenheit wollen wir die von der Bühne abgetretenen, die Wirren des Augenblicks darstellenden Minister zwar nicht bezeihen, sie waren keine politisch vollendete Narren, ihre Tücke gegen die Polen beweist nur, daß sie eben so leichtsinnig, wie andere unverantwortliche Polenhasser, nie einen flüchtigen Blick über ihre Absichten und Begierden, ihre Versehen und moralischen Unsinn an der Oberfläche ihres Bewußtseins hinstreifen ließen. Strafe genug, sich eingestehen zu müssen, daß sie in diesem [10] träumerischen Hinhalten Theil haben an der Schlaffheit einer hohen und inconsequenten National-Versammlung, die so viele Unschuldige mit Gut und Blut bezahlt haben! –

Da aber das Schicksal so seltsam in diesem geschichtlichen Trauerspiel agirt, – und den Mann, welchen die schmachvollsten Anschuldigungen treffen, gerade an die Spitze der Behörde stellte, vor welcher er sich über alle nicht mehr in's Dunkel zu hüllenden Vorfälle und Verfügungen gegen seine Ankläger zu verantworten hat – so muß er Euch Rede stehen über Zumuthung und Verdacht. – Seid nicht schüchtern, schleudert Eure Fackel in das Dunkel des Verraths, um diesen Proceß barbarischer Willkühr aufzuhellen vor Regierern und Regierten, vor dem Tribunal der Vernunft, durch Wort- und Thatbeweise; vor dem Bevollmächtigten des Rechts, zu Gunsten der öffentlichen Begeisterung für das Recht; – und sollte Pfuel auch durch Leichtsinn und Hülfe der Eitelkeit, Selbstbetrug und sonstigen Sophismen der Selbstliebe, seinem Verfahren eine Beschönigung geben, so wird er doch eingestehen müssen, daß der Platz, den er willkührlich hier eingenommen, von dem ihn eine innere Stimme der Ehrfurcht vor seinem König abmahnen mußte, nicht der seine sei. –

 

__________________

 

Lasset, wenn Ihr für die Polensache streitet, die selbstredende Wahrheit mit schlagenden Beweisen ihre Widersacher niederschmettern. Wie Helden, wenn sie der Lüge entgegnen, die auf ihrer Ehre haftet, sagt Eure Vorwürfe unbemäntelt mit dem feurigen Geist der Ueberzeugung. Laßt Eure beweisenden Dokumente durch Schrift und Wort in die Weite sich verbreiten. – Denn es ist nicht ein kleinliches Regierungs-Interesse, was Euch bewegt, nichts was durch moralische Sätze sich erstreiten lasse, noch durch politische Erwägungen, die sich hier unerlaubten Weg bahnen! – Nein! – Weil es die unerhörte Erscheinung eines noch nie dagewesenen Frevels ist, weil Jahrtausende, der Geschichte Deutschlands keine solche Verantwortung aufgebürdet haben! – Eine Nation vertilgen, als todt sie verschreien, und dann mit mörderischem Eisen heimlich durch die Nacht ihr nachschleichen und, wenn sie noch zuckt in ihrem Blute, rufen: Seht, wie todt sie ist! und dennoch mit Verwünschungen, schauerlicher Verbrechen sie beschuldigen; das Mitleid abstumpfen durch entwürdigende Reden, ohne Sinn, ohne Großmuth – blos schlaffer Widerwille. –

Die Abgeordneten der Polen haben sich mit Euch verständigt. Sie haben die schlimmen Händel [12] des absolutistischen Militairs, von denen sie Augenzeugen waren, die theilweise an ihren Freunden und Angehörigen verübt worden waren, Euch mit authentischen Angaben vorgelegt. – Ihr habt ihre Worte, ihre Beweise dafür als glaubwürdig anerkannt! – Nothstände! – Keiner würde sie ertragen, alle würdet Ihr Euch zur Nothwehr rüsten, wollte man diese Frevel an Euch begangen haben! Warum nicht? Ihr seid der Reaktion weit mehr zuwider, Ihr seid weit mehr Hauptsache der Intriguen, die auf Kosten eines Volkes gemacht werden, das unter den Urstämmen des deutschen Völkerwaldes, als fremde, schutzlose Waldkrone zum Fällen angeschlagen, den drei absoluten Nachbarn, die an ihm splittern und abholzen, eben nicht imponirt; dort, an der Grenze, wo böse Nebel aufsteigen, hinter denen man alles ablauert, abstiehlt, abgräbt, was Fürst und Volk einander nah bringe! –

Wer sich in seiner Würger Netz gefangen fühlt, der hilft sich wie er kann – und daß wir Polen nach dem blinden Zufall griffen, um das Netz zu zerreißen, ist Grund und Ursprung aller Polenbeschuldigungen.

Herrschsüchtige Leidenschaft, die, um sich zu sättigen, nur ein Volk in Nichts auflösen will! Das [13] Volk sträubt sich – das ist sein Verbrechen! Mißlingender Versuch solcher Volksexplosionen, auch Volksverbrechen, Qualm erlöschter Volksliebe – auch Volksverbrechen. – Was soll Volksliebe, wo der Volkscharakter in die Luft gesprengt wird, um ihn zu beherrschen? –

Im Netz verstrickt der Herabwürdigung – belastet mit der Schuld aller über uns hereinbrechenden Frevel, sind kritisches Urtheil, Ehrgefühl und Menschlichkeit unter dem scheinheiligen Selbstbetrug der Loyalität mit demselben Wind, in den schon so vieles geschlagen, dem moralischen Schiffbruch zugejagt.

Die Staatsraison macht zwar logische Schlüsse und beherrscht vollkommen, was sie will, da sie aber auf die von ihr selbstverfälschte öffentliche Meinung sich gründet, die wie die freischwebende Magnetnadel, nach ewigen Grundgesetzen plötzlich von Irrungen zurückkehrt, so widerspricht die Folge ihrer Berechnungen oft im letzten Augenblick den Plänen, die im Labyrinth dieser Gegenresultate ihren Untergang finden.

So war das Verbrechen in Galizien, wo man die Bauern zum Morden ihrer Edelleute hetzte, [14] denen aber durch die fabelhafte Leerheit ihrer aristokratischen Verhältnisse zu der innern Construction der gesammten Volksklassen schon mit dem Fallbeil österreichischer Consequenz vor den Kopf geschlagen war. Sie wurden – abgesondert vom Volk, dem wesentlichsten Theil ihrer Selbst – das Opfer absolutistischer Gelüste der Staatsraison. Wie mächtig dies auf die Polenknechtung einwirkte, ergiebt ihre traurige Geschichte! –

Die Völker haben einen Geist, der sie leitet, und eine Seele, die sie verschwistert, durch electrische Berührung (Freiheitstrieb) mit der ganzen Menschheit! Das Volk bedarf der Gesammtheit, um geistig zu bestehen, wie viel mehr bedarf es seines gesammten Selbstes, um individuel als selbstbestehend in der Völkerverwandtschaft ein nothwendiges Glied zu bilden.

Die Staatsraison hatte in sofern richtig berechnet, eine Nation durch sich selbst zu vernichten, um sie nachher als Menschenthier zu beherrschen. So bringt ein schlechter Bereiter ein edles Pferd um sein starkes Vermögen, weil er nicht Muth noch Geschick hat, die großen Eigenschaften in ihm zu pflegen, in denen er erst den wahren Werth von ihm besigen würde. [15]

Den Verstand des Volkes aufklären, mit seinem Dasein und Hoffnungen sich verschwistern und dann es leiten, dazu wird nie der Absolutismus sich geschickt finden. Aus Gründen, weil er sich selber nicht zu leiten versteht; – doch ist der Geist einzig rechtmäßiger Thronerbe der Absolutheit, der, unbefangen, alle Bürden von Leib und Seele lüftet. – Und neue Springkraft Alles zu erreichen, – wird er oben anstehen!

Welcher Anstrengung und Consequenzen aber es bedurfte, um eines edlen Volkes Freiheitstrieb zu unterdrücken, könnte den wohl in Erstaunen setzen, der nicht im Auge behält, daß eine Staatsmaxime, gleich viel, ob aus erhabner oder niedriger Bewegung ein selbstständig folgerechtes Fortbewegen und Entwickeln hat, was in die vorgefaßte Raison der Staatstreiber einschlagen muß, sowie ein geimpfter Stamm auch seinen Trieb den Blüthen des fremden Auges herleihen muß.

So haben die galizischen Bauern auch in den Verrath an ihren eigenen Landsleuten sich fügen müssen, und hatten keinen eigenen Willen darin, daß sie ihr eignes Bestehen als Nation tödtlich verletzten; ein Glück für sie, denn sonst wären sie einem [16] moralischen Todesurtheil verfallen, von dem das Urtheil des Gottmenschen, daß sie nicht wußten, was sie thaten, sie freispricht!

So weit also gelang es der Staatsraison, wie die brennenden Schwänze der Füchse das Lager der Philister in Brand steckten, durch die Ignoranz des polnischen Adels und seiner von ihr gepflegten und eingeimpften Schwächen und Sünden alle Sympathieen für Polen wie durch ein Mordfeuer in Asche zu legen. –

Dem Polenvolke war aus Staatsraison keine Bildung gestattet, weil es sonst nicht zu den ausersehenen Verkehrtheiten gegen sich selbst hätte können mißbraucht werden, zu denen ja das Volk der Absolutheit verurtheilt ist.

Die Bildung, abgesperrt vom Volk, wird auch unmöglich in den höheren Klassen, denn wie das Blut seinen Kreislauf hat im Leibe des Einzelnen, so der Geist in der ganzen Menschheit; sonst fällt er in Excesse oder in Abzehrung, und allen gesunden Anlagen ist der Boden genommen und dient der Staatsraison als Verdauungsgrund vor der öffentlichen Meinung, die auch ihre Wendepunkte hat, an denen die Staatsgewalt sich bricht, so wie der Damm [17] künstlicher Gesetze vom Geist durchbrochen ist. – Dann strömt alles wieder ins Bett ewiger Naturgesetze und widersacht dem Teufel. So haben die galizischen Bauern nicht zum zweitenmal in die fanatische Wuth gegen ihre Edelleute sich versetzen lassen. – Nachdem sie von den begangnen Verbrechen abgekühlt wieder zu sich gekommen waren, verdammten sie das Geschehene und den Fluch ihres Gewissens übertrug die öffentliche Meinung, die eben dadurch ihrer Selbst bewußt ward, noch schwerer auf ihre Verführer.

Was ist abenteuerlicher, als was der Natur zuwider zwischen Fürsten und Völkern sich ereignet! – Jene Phantasmen zum Beispiel, in welche die Versicherungen der Liebe und Treue zwischen beiden sich auflösen?

Aufregung über Gegenstände der Liebe oder der Furcht haben oft bewirkt, daß man sie plötzlich in wirklicher Gestalt sah; so sah Tasso im Fieber mit geschlossenen Augen den Geist der Verrücktheit auf sich loskommen. So im Volk, das wie Kinder im Mutterschooß nach Form und Leben trachtet, glaubt ein König die bösen Zeichen revolutionärer Prinzipien wahrzunehmen, und dann beginnt erst der Kampf und zerreißt die Seele, die so viel Gutes [18] wollte, und alles Leben, was durch sie wahr werden sollte, wird dahin sein, und lebensmüde wird sie fragen, wo seid Ihr meine Ideale? – die ich ins Leben rief, für Geist und Kunst und alle Blüthen der Erde? – Und alle Pläne seines Herzens und herrliche Entschlüsse und alle kühne Gedanken, die im Feuer der Rede, seiner Seele sonst begegneten, sie werden ja gar nicht geworden sein. Ebenso wird ein Volk durch Invective und Verdammungsurtheile zu einer Aufregung gebracht, in der es ein Spiel grausamer Schicksale wird, und unermeßlichen Schiffbruch erleidet, und ein zerschmetterter Leichnam – unkenntlich am Strand liegt! –

Aber der König, der sich nicht abwendet von einem verwaisten Volk, der, wenn die Orkane verstummt sind, mit abgelegtem Stolz sich niederbeugt zu dem zerrütteten Land, und ihm wieder Leben und reine Gestalt giebt, dem wird ein begeistert Echo des Herrlichen ertönen aus der Zeit, die ihm gehört, weil sie [in] sein[em] Werk, in dem neuerstandenen Geschlecht wieder hervorblüht! –

Polen wieder erstehen lassen! – wie königlich! – wie heldenreich! – Einen Stamm, der mächtig erblühe, reicher und trefflicher als vorher! – sollen die Reiche immer nur vererben? – soll nicht ein [19] Erzeuger sein können, der den Völkern, die zerstreut waren als Sclaven, die Hoffnung wiedergebe? – Zur Freiheit sie zusammenschaaren, das ist eines Königs; – nicht sie theilen und zermalmen, nicht als Zerstörer kommen über eine ganze Nation, sie den wilden Thieren gleich achten, die man vertilgt, ihre Häuser und Tempel aussterben lassen – Grabmäler und Ruhestätten ihrer Helden der Verwüstung preisgeben! – Nur wer Leben giebt, dem geht selber ein verschwiegenes Leben auf, das wärmt und begeisternd sich kundgiebt. – Wer Schmerzen lindert, der wird selber getragen von allmächtigen Kräften, und eine Flamme regt sich in ihm, allem Elend ein Ende zu machen, allem Bedürfen zu genügen! Das ist sichtbare Gewalt – eine neue Fürstengröße! – das ist uns widerruflicher Besitz: Städte wiederbauen, die verwüstet waren, die zertrümmerten Steine wieder ineinanderfügen, in die vertrockneten Brunnen die verlornen Wasser sammeln, und die Tausende Menschen wie die Wellen voll Zukunftglauben einander wieder hingeben! Das sind Schmeichelreden einem Fürsten, die seine Besorgnisse, seine Empfindlichkeiten niederhalten, seine Nachsicht wecken: das heimliche Flüstern in seiner Brust, sein Streben, sein Fleiß und Selbstvergessen werde alles wieder der Zucht des Instinkts [20] zuführen im Volk, und so es reifen zur Vollendung, wie der werdende Diamant, rein und hell, und fest in seiner Liebe zu ihm! – Dieser ist ein König, ein demokratischer König! er schärft nicht das Schwerdt seinem Volk, aber die Pflugschaar, und zieht ihm Furchen und säet des Guten viel und nicht des Bösen. Und das wär zu viel dem Volk gethan, meint Ihr? – aber darum handelt sich's ja, daß ihm Alles zu thun ist! nicht allein den Acker ihm stürzen, und säen; aber auch die Frucht gemäht muß werden von Königshand, und die Scheunen ihm gefüllt, daß nichts ihm verloren gehe vom Reichthum! – und er selbst dürfte nur Aehrenleser sein; – in einer gesammelten Garbe ein überwallend Leben! – Und überall auf jedem Heerd neigen die Hausgötter sich vor ihm, und die Reden der Menschen über ihn glänzen ihn an wie Liebesaugen, und mit größerem Herzen reden die Geschicke der Menschen dann zu ihm als jetzt, wo Gesetzesdespotie und Ungerechtigkeit in Rechtsformen, die Willkühr des Mißverstehens nährt und Haß zwischen zwei Brüdernationen, die für einander geschaffen sind, wie sie neben einander aufwachsen; so wie das Sonnenlicht und das der Sterne zu gleichen Zeiten kommt und geht bei beiden, und nachbarlich von einem Land zum andern [21] streift: so wird die Seele des einen Volkes getroffen von der Psyche des andern, wenn sie die Fittige ausbreitet zur Freiheit. Beide Völker, statt der Mordwege, auf denen sie aneinander verbluten, könnte der Weg der Eintracht zum Paradiese führen; statt jenem angehetzten Argwohn, statt dem Bannstrahl der Verachtung, den man durch schonungslose Zerstörer und Brandmarker herbeigezogen, könnte den König selbst die Versöhnung zwischen beiden zum höchsten Triumph geleiten! verlangt es von ihm! zu seiner Erhebung inmitten seiner Völker! oder bedarf er dazu nicht des bessern Ruhmes? – Soll nur Unheil sein Bestehen unter ihnen gründen? durch tückische Behörden, durch Magistrate, durch Ortsgerichte, Kreisbeamte, durch administrativ-politische Gesetze, scharfe Sentenzen, Cassationen, Executionsvollziehungen und alles-zermalmende Regierungsmaschinen? – muß und soll die Lüge alle Wirklichkeit mit ihrem Schild auffangen?

Einmal muß die Wahrheit siegen. Warum nicht heute mit feurigem Schwerdt ihr voranschreiten! – Traurige Aussicht! – stumm wie ein Schatten, das erloschne Leben der Begeisterung für uns! – Klagen [22] mögen wir nicht, und trösten – o trösten werden wir uns nie, wir schämen uns des Daseins, unser Stolz verläugnet das tiefe Weh, und das versteht Ihr nicht, aber aus diesen Kümmernissen windet Ihr Euch keinen Ehrenkranz! – Ihr verschlaft das Heil einer Nation, Euch betäubte ein Gespenst, das eben mit entsetzendem Spuck dort von der Bühne verschwunden! – Das Gespenst der Posener Demarkationslinie, das Gespenst der Brandmarkung, welchen Schandfleck die Vossische Zeitung am 1. October ihm abzureiben versucht, und aus Furcht vor der Schreckenserscheinung auf der Ministerbank, um Nachsicht fleht, es nicht früher versucht zu haben! – Sie reibe nur! jener Schlüssel des Blaubart, den ein thöricht Weib reinigen möchte, hat seinen Blutfleck nicht verloren! – Und die Aufforderung an die Posener Bauern, wie in Galizien ihre Edelleute anzugehen, womit das Gespenst sein Verschwinden dort noch bezeichnet, wird aus den Annalen des Polenverraths nicht mit verschwinden. – Dies Gespenst war ja nur der Polendränger, der als überschwengliche Aristokraten, als Parasiten, fade leere Köpfe, reiche und vornehme Hansen und Glücksjäger uns bezeichnete, um seinem Verrath an uns [23] Vorschub zu geben! – Und so hochmüthig und so kriechend einen Platz einnahm, den er entwürdigt und mißbraucht hat, aber ihm zu dienen nimmermehr gewachsen war.

Ein so schimpfliches Gespenst ist ein reaktionärer Verwüster! Ein so bedrängter Sclave reaktionärer Pläne ist der, dem sonst das Volk mit Freudenruf entgegenzog. Das wollten die reaktionären Volksdränger nicht! Das Volk soll der bewußtlose Stempel sein ihres bornirten Willens, sein Freudenschrei soll nicht als Beifall seinem Fürsten ertönen, nur als Zubehör fürstlicher Erscheinung. Nicht dem Menschen gleich geachtet, nicht dem Fürstenmantel gleich geschätzt, ist dies Meer von Menschenherzen in Lumpen gehüllt, das wahrlich nicht wußte, was es that, als es den Nothschrei ausstieß, es wolle mit seinem König reden, und hoffte, er werde sich groß zeigen in seinem Erbarmen, in seinem Rechtsprechen für sein Volk, [das] aber mit Bajonetten und Kanonen bestraft wurde.

So vertritt man fürstliche Gesinnung vor dem Volk! Wer hat je aufrichtig die Volksgesinnung vertreten vor dem König? Keiner der frei von äußerer Form, unabhängig vom Eigennutz, [24] in seinem Innern konstituirt auf seiner eigenen Magna-Charta stand!

Und hätte der König zum Abertausendmalsten in den Loostopf gegriffen, er zog immer eine geborne Niete mit dem Anstrich des Mißlingens als Minister heraus, der nicht wußte, was er thue, und sich verkaufte, um seine Unbrauchbarkeit an uns zu verwirklichen, aber keinen, der sich selbst verläugnete, um die Bestimmungen der Welt zu ergründen und seinen Fürsten auf der Höhe der Zeit zu heben! Und keiner, dessen moralischer Takt dem König das Rechte ahnen und erkennen lehrte und sein Herz dafür erwärmte. Was sie ihm vorbrachten, konnte ihm nicht zu Herzen gehen, es waren Hieroglyphen einer Spitzbubensprache, des Staates und der heiligen Justiz.

Gedrückt von der Last ihm auferlegter Nothwendigkeiten bezeichnet ihm nichts die Begründung seiner Macht im Volkswesen. Seine erhabene Verwandtschaft mit dem Volk ist ihm bis jetzt ein Räthsel geblieben.

Da aber alles Sterbliche seinem Endschicksale entgegenreift und nur das Unsterbliche sich überträgt auf die Zukunft, so steht ein konstitutioneller Fürst nicht eher fest, bis das philosophische Reich der Politik, [25] das nach seinen Staatsgrundgesetzen als nicht von dieser Welt angenommen ist, seinem Thron sich unterbreitet und mit dem Nationalgeist ihn verschmilzt. – Darum widmet Euch dem Volk auch in dem König, verzweifelt nicht an der Möglichkeit, sie einander zu versöhnen! es sind keine Wunder! Und wären es auch Wunder! – Wunder gelingen nicht, weil man an ihrem Gelingen verzagt!

Vom Volk hat der König keinen Begriff, keinen menschlichen Antheil an seiner Entwickelung; kein Wunsch, kein Ernst, ihm zu dienen, leitet seine Regierungsmänner, sein ganzes Schicksal wollen sie durch den Regierungstrichter filtriren. Aber das Nothwendige, wie und wann es sich geltend macht, ins Gleichgewicht zu bringen und fort[zu]schreiten mit dem Volk in seinen Grundtönen, von einer Harmonie zur Andern, dazu gehören Kraft und Wille eines Fürsten, sich unsterblich zu machen. Da würden Pflichten ihm aufgehen, die seinen Lebenswandel heiligen, da würde dieser verwahrloste Schatz, das Volk, ihm zu denken geben, und keine gestaltlose Gedanken ihn heimsuchen, die in Leerheit versinken, sobald man sie klar zu denken versucht. Das Wesentliche würde lebendig werden in ihm. Seine Thätigkeit [26] auf das Gemeine gerichtet, um aus ihm das Große zu erziehen, würde sein Handeln in unsterbliche Formen sich ergießen! Dann brauchte er keine Kiesel mehr zu schlucken, die der Satan ihm bietet statt Brod. – Keine erfrorne Einsamkeit des Thrones mehr! Einsamkeit im Frieden mit sich durchlebt, um Heil zu verbreiten, ist schön. Aber wo die Volksstürme brausen, da ist es menschlich groß, um den Frieden bei ihnen werben. Es ist ein Wille der Gerechtigkeit in diesen Volksstürmen! – Ihr Wille geschehe! Ist dies lösende Zauberwort aller Sturmeswolken zu schwer für die landesväterliche Macht, dem Volkeswillen sich zu fügen? Ach könnte der Zug der Liebe zu dieser Menschenklasse ihn gewinnen, die man die Niedere nennt, die aber gewiß vor Gott ihre Geltung hat, in ihrer Beschränktheit, ihrem geraden Sinn, in ihrer Genügsamkeit und Freude über geringes Gut, und harmlosem Dulden – Dulden – Ausharren! – ja Ausharren mit ihrem Fürsten und für ihn! –

Königlich Gefühl, den Schoos der Zukunft erfüllt und erwärmt zu haben, und alle Wünsche, alles Begehren mit fruchttragender Kraft zu segnen, und dann noch selbst in Träumen vom Abend zum [27] Morgen Tage des Glückes erzeugen, wie herrlich erblüht seine Unsterblichkeit dann, wenn sie geboren werden!

Jetzt ist der rechte Augenblick! jetzt, wo so viel Unsicherheit seiner Rathgeber ihn umlagert! Wo Stunden der Mühe nichts Dankenswerthes hervorbringen, und ihre feurigen Pläne über Nacht zusammenfrieren und widereinanderrennende ministerialische Ausführungsversuche nur Irrwege anbahnen, die ihn elend machen, ihn zernagen, zerdrücken und seine Schritte, seine Begriffe verwirren! Möge er endlich aus dem Conflikt mit sich selber hervorgehen, wo er auf Wahrheit gegen sein Volk und Ganzheit in sich verzichten muß, und für den Mißbrauch seiner, durch den Mißbrauch Anderer sich entschädigen soll. –

Keine Berechnung, keine Nachahmung, sondern das harmonische Erfassen des mit ihm gleich gestimmten Volkes! – Keine Geschütze und Zurüstungen für unzählige Opfer von Menschenleben, aus denen kein Heil ihm erwachsen könnte für so unheilvolle Zwecke! –

Regieren, wo das freie Volksbewußtsein nicht die Grenzen bestimmt, ist immer Unterdrücken. Das Volk bekämpft entweder die Vergehen und [28] Irrungen der Regierung oder es dient ihnen! Großes geht nur hervor aus dem Einverständniß zwischen beiden. Von diesem Volkseinfluß muß die Regierung getragen sein, wenn sie nicht etwa eine bestimmte moralische Bildungsform über die Menschheit verhängt, wie Oestreich, und Staatsgeschäfte lieber mit Werkzeugen bearbeitet, als mit Menschen von Charakter, wie Preußen! – Das Volk muß diesen Einfluß behaupten, wenn es nur etwas von seinen wenigen natürlichen Rechten beibehalten soll. Dieselbe moralische Kraft muß Volk und Regierung zügeln, tragen und einander verbinden. Die Launen eines Monarchen können keine machtgebenden sein, da sie nur sich geltend machen, wo Gesetz und Gerechtigkeit erlahmt sind, und die Basis aller Realität in diesen verwischen.

Die mißlichste Lage des Regenten ist der Krieg des innern Bewußtseins mit sich über Recht und Unrecht, über Klugheit der Mittel zum Zweck, und leidenschaftlicher Aufregung in politischen Verwicklungen, die die moralischen Bande zwischen Fürst und Volk auf immer vernichten.

Wie Ungarn und Italien die politischen Wendepunkte in großer Umfassung vorbereitet, so wird auch Polen der Anlaß werden zu ungeheuren Schicksalswendungen [29] der Dynastieen von ganz Europa. Wollte aber der Regent statt die Hände in Blut zu tauchen, frei von Unlauterkeit durch innere Fassung und äußere Thaten, diesen Schicksalen vorgreifen, so würde er alles sich selbst verdanken, was seinen Willen als gerecht, einfach und weise bestätige. Aber Absolutheit ist eine Sandwüste. Rachsucht und Hochmuth der Unfehlbarkeit machen es unmöglich aus dieser Wüste zu schreiten, zu den Göttern hinan, die da Versöhnung wollen.

Aber diese Frage der Versöhnung – ist sie nicht des Versuches werth? – Hebt das Vergeltungsrecht auf, und, als sei der Weltenanfang heute erst, seht das Verschuldete an wie das dunkle Chaos, aus dem der Unschuldkeim zu neuem Erblühen hervorsteige, bewahrt ihn in Euerem Gewissen durch Prüfung Euerer Selbst, aber mit Schonung, aber durch Geduld mit der erkrankten Natur. Wenn die Fieberwuth gegen Euch zunimmt, laßt die Hoffnung des Großen Euern Geist reinigen, daß Ihr nicht unsinnig werdet mit denen, die Knotenpunkte bilden von Armeeen und Geschützen und durch Blutvergießen den Thron der Fürsten in gleiche Linie rücken, mit dem des Satans, der lächelnd sieht wie diese mit schimpflicher Verblendung auf die genievollen [30] Handstreiche der Unterjochung bauen, anstatt anzukämpfen gegen den Geist der Revolutionen durch Erkenntniß ihrer politischen Sünden und offene Bekehrung! – Das Volk würde Absolution ertheilen: „Gehet hin und bessert Euch!“ aber statt sich anzuklagen, bekennen si[ch] auf das Volk und auf Euch seine Vertreter! – und ihre Entsündigungsformel lautet: „Entsage den Rechten deiner blutigen Tage oder du bist des Todes schuldig!“ –

Tretet Ihr diesem Urtheil entgegen und bekämpft zuerst die Sünden der eignen Intelligenz! Es ist des Lumpigen zu viel auf der Welt, um nicht im Voraus schon überzeugt zu sein, daß auch hier manches Prinzip als Plunder zu verwerfen, mancher Fortschritt des Liberalismus ein verkehrter und mancher demokratische Charakterzug einen entschieden absolutistischen Grund habe! – Die Worte: Es ist gerecht oder es ist ungerecht, bedürfen großer Energie, um sie in feierlicher legaler Autorität über das Volk zu erheben, daß es unter dem Wesen der Politik verstehen lerne: Alles was geschehen muß! als die Wissenschaft seines Lebens und seiner Religion, die in der Völkerpolitik nicht getrennt sein kann, anschauen lerne! Unbeschränktheit der Gerechtigkeit über alles Geschehen! [31] Religion und Politik untrennbar! Volk und König auf gleicher Höhe in ihr! – Der Eine versündigt sich nicht minder schwer gegen sie als der Andere, wo die politischen Gründe der Handlungen von dieser Basis abweichen! Politik ist geistige Reinheit im Handeln und Ermessen aller Dinge, sie ist die Naturreligion der Vernunft, die in jedem Herzen das Gesetz aufrecht erhält. – Das Gesetzbuch der Gerechtigkeitslehre ist die Kenntniß der öffentlichen Angelegenheiten für das Volk, daher muß es sie fassen lernen, das Andre steht in seinem Willen und Anlagen, diese aber ist ihm einzig nothwendige Schule, denn sein Recht besteht im Recht Aller und sein Unwissen ist Verschwörung gegen die Wahrheit! –

Streitet daher nicht in der Nebelkappe gegen verkappte Absichten, Eure Reformationswuth hat oft geirrt zwischen Umgehen, Vergleichen und Trotzbieten Euern Gegnern! Kämpft Euch mit der Wahrheit durch, denn was man gegen Euch will, ist doch nur Empörung gegen sie. Mit der Wahrheit den Kampf führen ist moralisches Heldentalent. In der Polensache habt Ihr sie den Ministerien gegenüber nicht kühn geführt. Die Lüge wagte sich nah genug an Euch heran, ihr Lachen über den Betrug, den sie [32] Euch spielte, traf Euer Ohr. Sagt nicht, daß Ihr weichen mußtet, weil ihr keine Unterstützung hattet. Die Wahrheit ist eben so siegreich in der Hand des Einen wie von Tausenden; nur gehört Heldengeschick dazu! Ausdauer, Vertrauen und die Kühnheit und die Klugheit, alles was man leugnet unwiderleglich zu beweisen. – Aber nicht allein als Aufschluß, auch als Spiegel ihrer schwankenden Handlungen, als Verleugnung und Entkräftung erhabener Zwecke mußte das Kleinliche ihres Widerspruchs ihnen bezeichnet werden. Hochmuth, der unmenschlich macht, Furcht, Neid und Haß und Rachsucht führten die verhängnißvollen Tage herbei, die ganz Europa erwartungsvoll anstaunt, und denen sie Trotz bieten.

Gerade jetzt in dem Augenblick, wo die Geschichte einen so glänzenden Posten des Ruhmes, ein so heiliges Amt Euch überträgt, das Euch gewährte Volksvertrauen als politische Ehrensäule aufzurichten, jetzt könntet Ihr, den unwillkürlich vielleicht prophetisch aus der Bedrängniß des Augenblicks hervorgerufenen Worten: Es sei das Unglück der Könige, daß sie die Wahrheit nicht hören wollen! vollen Nachdruck [33] geben, in dem Ihr die von der Untersuchungs­kommission im Herzogthum Posen gesammelten Acte, der an uns Polen verübten Frevelthaten ohne die beantragte vorherige Sichtung sondern in ihrem ganzen Umfang der Oeffentlichkeit übergebt! dann würde man die Abgründe, die eine charakterlose Politik vor den Füßen des Herrschers aufwühlt, ihm nicht mehr verläugnen können; er müßte schaudern vor den Verbrechen, die auf seine Verantwortung hin begangen wurden an dem Volk, dem er Schutz der Menschenrechte gelobte! –

Das, wozu der Gerechte seinem Nächsten sich verpflichtet fühlt, groß und einfach als erhabensten Act der Geschichte an einem ganzen Volk vollziehen, das ist der Charakter der Königswürde, die durch den Mißbegriff der Majestätsbeleidigung so oft geschändet ward. Majestätsbeleidigend und den Fluch und Haß des Volkes erregend, sind die Vergehen an den königlichen Tugenden und Verheißungen, nicht aber, wenn eine aufgeregte Volksseele unüberlegte Worte ausstößt und gerade von denen als Majestätsbeleidigend verfolgt wird, deren perfide Handlungen den Unwillen des Volkes gegen den Herrscher herausfordern. So wie man uns Polen auf [34] unserm Vaterlandsboden hin- und herverfolgt, so dürft ihr zum wenigsten die, welche diese den König beleidigende Schmach tausendfältig an uns übten, dem öffentlichen Urtheil nicht entziehen! Zaghaftigkeit, das kund zu geben, wovon man innerlich überzeugt ist, macht verdächtig, die Wahrheit nicht in ihrem ganzen Umfang gewollt zu haben. Alles muß erläutert werden können, sonst sind es versteckte Sünden. Die Wahrheit ist das was Noth thut, und das Nöthige im Augenblick versäumt, wird gleich mißbraucht vom Gegner! – Und nöthig ists, daß Ihr Euch rechtfertigt, als wolltet Ihr die Wahrheit zurückhalten in der Polensache. Unsere Feinde haben nie gesäumt alle Lücken zu füllen mit zweideutigen Reden, die auf nichts gütevolles Menschliches deuten. Es war das Gift der Erbitterung im großen Stadium der Menschheit allesverkennender Ignoranten. – Staatsmänner! Richter, die Gesetze haben müssen und sie selbst machen, um der Verlegenheit zu entgehen, selbst zu wissen, was sie thun, die Todesstrafe einsetzen und danach ihr Urtheil fällen, um gesetzlich zu sein, selbst wenn es unmenschlich wäre. Aber nie hat einer von ihnen begriffen, wessen er durch eine Hinrichtung sich schuldig macht.

Den Polen haben die Richter ihre Todesurtheile [35] hingeschleudert, und kaum erinnerten sie sich ihrer; – das Verhallen des Einen verdrängte ein Zweites und wurde verdrängt, Eins nach dem Andern durch hundert folgende, die, von der Menge vergessen, düster in den Herzen sich zusammen drängten, in die mit feurigen Blitzen die Rache der Vergeltung einschlug! –

Verurtheilt das Volk nicht um der Rache willen, denn Ihr selbst steht dazwischen! – und wollet nicht nach Gesetzen kleinmüthig richten, was aus Welterschütterndem hervorgeht! Wer Aeußerstes leidet, der kommt zum Aeußersten! – Seht, es stehen die Scharfrichter an der Spitze der Legionen und legen Hand an, und würgen die Freiheit, wie sie lange schon an uns sich dazu eingeübt haben. Und nennen sie uns ein zerrissenes kampfverwildertes Volk! – treulos, übermüthig, ohne Sitte und Gesetz, ausschweifend, das sein Schicksal verdient! so sind sie es, die durch ihren politischen Wahnsinn dies über den Charakter eines gottgeschaffenen Volkes verhängen! Seine höheren Eigenschaften hat man nie an ihm erkannt noch gesucht, noch würde man sie ihm zugestehen und pflegen wollen. Nie hat man die seiner Seele bedürftige Nahrung ihm gewährt, die es groß und edel mache, wie ein Volk [36] sein soll. Schon lange haben sie es unter der Zuchtruthe, die wird die Gluth nicht dämpfen in ihm, voll Unmuth und Begeisterung der Rache seine Dränger niederzuschmettern! Und das nennt man seinen moralischen Tod? – Es selber fühlt sich ja herrlich kühn und voll allmächtiger Kräfte zu neuem Aufschwung in sein vaterländisch Bestehen, wo uns die Seele gebietet, das Schwerdt zu gebrauchen, um die Schuld der Gefangenschaft abzutragen.

Moralisch todt unter ihrer Zuchtruthe! das ist keine Weisheit, deren die Könige sich rühmen dürfen! – besser würden sie fahren unter unserer Vormundschaft, und selbst mit einem gesunderen Urtheil über uns davon kommen! – das Bewußtsein wär dann ihnen geworden, daß der Mensch muß Fesseln zerreißen, denn das ist erst die Jugend, und er muß einen Geisterbund haben mit allem Menschlichen, um selbstbewußter Geist zu werden.

Wir hätten ihre Seele lebendig gemacht zum Kampf gegen das Ungerechte, unter das ihre Zuchtruthe jetzt uns beugt! unter den Grabeshügel einer ganzen Nation! – und einen Leichenstein unserm moralischen Dahinscheiden setzt! – mit der Belastung ihrer Verbrechen an uns. – Aber wir haben keine Todesfurcht; wir erheben uns auf dem Boden des [37] Rechts, von dem sie selber sich flüchten! wir glauben an eine göttliche Gerechtigkeit; in ihrem Namen fordern wir, daß Ihr kämpfet für uns auf diesem Boden gegen die Anschläge unserer Feinde, die mit giftigen Schlingen das ganze Bestehen unserer Nation in ihren schmachvollen Netzen erwürgen.

Seht! – auf länderräuberischen Wogen den russischen Leviathan heranbrausen, und vom Vaterland abgerissne Schollen eine nach der andern ihm zuströmen. Eine schutzbefohlne Nation brockenweise verkaufen, kann eine konstitutionelle Regierung wohl einem absoluten Kaiser, der es nicht besser weiß.

Der preußische Major 1), Ihr kennt ihn aus den an uns gefrevelten, als Lügen wiederlegten Berichten – bewahrheitet, – eben auf der Rundreise mit einem diplomatischen General 2), die Zweckmäßigkeit der Posener Demarkation für den Einmarsch der Russen – und wir zweifeln nicht an unserer Leibeigenschaft, da wir verkauft sind und auch bezahlt.

Unserm flammenden Widerspruch gegen die Landestheilung, [38] war's nicht gelungen, von der Falschheit der Abstimmung die Reichsversammlung zu überzeugen, auf welche sie ihre Rechtfertigung dieses Nationalfrevels wollte gründen, sie hatte kein Gehör dafür! – Ist es Euch gelungen, sie von der Arglist jener krankhaften Gespenstervision in den Straßen Berlins zu überzeugen, die ihr genügten, um den Belagerungszustand einer friedfertigen Stadt voll gesunder Gesinnung zu rechtfertigen, Euch selbst aber als Hochverräther an den Organen der Regierung bezeichnen? Und während sie Euch, des Volkes sanctionirte Vertreter, aus dem Tempel seiner Rechte will verbannen, feierlich Garantie verheißner Rechte und Freiheiten des deutschen Volkes zu übernehmen gelobt und die Waffen, die Ihr für diese Freiheiten und Rechte erhoben, Euch zugleich aus der Hand schlägt, und ihre Ehre und ihr Ingenium brandmarkt mit „Null und Nichtigkeits-Erklärung“ Euerer einen Augenblick zuvor von ihr anerkannter Beschlüsse! – Soll das deutsche Volk in sie vertrauen? – sollen wir noch hoffen auf sie, die Demarkationslinien ohne Untersuchung der als falsch bezeichneten Abstimmung billigt! – Dann sie wieder zurückweist, und heute [39] sie wieder zugiebt? – Wir sagen nichts! – Was sollen wir sagen? – Wir haben verzweifeln gelernt! – Freiheit! Genius unseres Volkes, der Schmerz begeistert uns für dich! In unserm Elend trittst du höher und herrlicher vor uns auf! unbezwinglich durchdringen uns deine Schauer in unserm Sturz für alle Zeiten, mit dem wir die Freiheit der ganzen Menschheit verschütten! – Wir allein sind die eherne Mauer, an der ihre Feinde das Haupt sich zerschmettern! Wir sind die Krieger, vor denen sie fliehen! wenn wir nicht mehr sind, wenn wir unter dem Leichentuch der Freiheit begraben sein werden, welcher Damm wird dann dem Unflath wehren, in den die Ehre Deutschlands hinabsinkt.

Wir sind stolz! Ein unauslöschlich Gefühl der Würde hält uns aufrecht vor unsern Tyrannen, daß wir nicht mit ohnmächtiger Bitte das Knie beugen vor ihnen, die uns Vergehen aufbürden und mit Lügen uns besudlen und Räubern uns zur Beute geben, die den Unschuldigen im Schlafe morden und Gründe dafür haben, so unnatürlich und grausam wie die Posener Beamten und Polenschergen selbst sie Euch zu verdauen geben! – Und Ihr vertraut ihnen? – Wie könnt ihr uns da gerecht werden? Ist davon aber die Rede bei uns Polen? [40]

Kaisermörderische Brut nennen uns die Fürsten, die unser Vaterland unter sich theilen und uns in Ketten schmiedeten, die wir nie aufhören werden zu zerschlagen! – Treubrüchige Heuchler nennen uns die Beamten, mit denen wir gezwungen sind, um das verlorne Recht der Menschheit, um das Licht der Vernunft zu kämpfen! – Sie verdächtigen uns Euerm Volk, für das wir in gesundem Herzen den Keim der Treue einer neuen Morgenröthe entgegen tragen, und unsere Hoffnung setzen auf die Versöhnung mit ihm.

Versöhnung wollen wir; Rechtfertigung vor dem Volk wollen wir; – aller Verbrechen, deren man uns gegen es anklagt, sonst sind wir ohne Hoffnung, ohne Ziel und gänzlich ehrlos vor ihm. Die Wahrheit liegt in Euerer Hand, sie ist der Kampfpreis dieser Schicksalsmomente. Die Gesammtkraft des Vertrauens begründet Euch als Stätte der Humanität – der einzigen auf deutschem Boden, auf welchem das moralische Ungeheuer der Politik überall durch Kanonendonner die Bande der Völker mit den Fürsten auflöst und den verrätherischen Sieg unter dem Erkrachen der Throne als Fluch herabschmettert auf das Volk! – Ja, wenn sie stürzen, [41] so ist es nicht des Volkes Sünde – dessen Versöhnung sie verschmähen!

Was die Tyrannei als Sättigung ihrer Wolluft sich gewährt – Menschenopfer wie Robert Blum – Zwangsverrath der Gefangnen, die man den Kugeln derer entgegen treibt, für die sie den Kampf gewagt hatten 3). Das nennen sie „beklagenswerthe Umstände“ und wollen die Todesstrafe beibehalten und achteten nicht der Erbitterung, die sie gegen sich selbst heraufbeschwören; und für politische Vergehen uns Polen Amnestie ertheilen, „besonders anzuwenden auf mittelbare und unmittelbare Unterdrücker der Insurrection“, – sogar auf Offiziere! – bis zum ersten Juli dieses Jahres! wo Pfuel, der als Minister diese Amnestie ertheilt, seine dortige Stellung bereits verlassen hatte.

So waren denn hiermit die Untersuchungen aller grausamen Vergehen an uns unterdrückt, was nicht allein die amnestirten Polen jeder beliebigen Anschuldigung unterwirft, sondern auch alle Beamte, Lehrer, Geistliche und endlich die gesammten preußischen [42] Offiziere in den Kreis dieser ehrverletzenden Amnestie bannt, was doch die Schuldlosen nicht zu dulden brauchen! Oder sollte unter allen jenen Offizieren keiner sein, der nicht dieser Amnestie bedürfe? 4) Oder sollten alle so feige sein, auf ihre Vertheidigung gegen diese Amnestie zu verzichten? und sind sie gleichgültig gegen die Verachtung, die darauf haftet, einem unterdrückten Volk mit ekelhafter Bosheit Drangsale anzuthun? – So er klären wir, daß alle die Verfolgungen auf uns, auf unsere wehrlosen Frauen, Kinder und Hausgenossen von ehrlosen herzlosen widernatürlichen Terroristen verhängt worden sind, und wer dies tragen kann, daß er durch die Amnestie in gleiche Verachtung falle mit denen, die ihrer bedürfen, um ihre Verbrechen an uns zu decken, ist so ehrlos wie sie! –

Und soll Willisen, der seitdem in Italien weilt, nicht sich vertheidigen müssen, als habe er durch seine Entfernung der Rechenschaft, die wir fordern, sich entziehen wollen? Und soll Pfuel, der während der Untersuchungen in Posen zum Ministerposten [43] gelangt war, und nachdem er sich amnestirt hatte, ihn wieder ablegte, unsern Vorwürfen der Lüge, der charakterlosen Feigheit und der Menschenschinderei so entgehen wollen? – So beglaubigt dies, was wir von Willisen, dem wir hingegeben waren, der mit uns über die tyrannischen Eingriffe in unsere bürgerlichen und natürlichen Rechte empört war, so ungern glauben wollen, daß er uns, die wir ihm blindlings, obschon gegen unsre Ueberzeugung, folgten, verrathen hat; daß Pfuel, der ein Thor ist und kein Herz hat und keine Klugheit, sondern nur Leichtsinn ohne Ueberlegung, sich zu unserm Untergang verschwor, und daß er für die Strafe der Verachtung, die ihm überall folgen muß, von Natur abgehärtet ist! daß wir aber keiner Untersuchung mehr bedürfen, um vor Euch, vor der ganzen Welt über unsere herabgewürdigten Feinde den Fluch der Verachtung zu werfen, das wissen wir!

Also ein Königlicher Commissair hätte im Einverständniß mit der Regierung absichtlich so mörderisch drohend und majestätbeleidigend sich von der öffentlichen Stimme besudeln lassen? 5) – Mit seinem [44] Willen wären die giftigen, ja schmutzigen Verläumdungen in deutschen Landen, in England, in Frankreich verbreitet worden, – die uns mit Schmerz erfüllten, weil wir glaubten, er müsse Alles wegen uns erleiden; und konnten ihm keinen andern Dank geben, als nur unser volles Vertrauen.

Und jetzt sagt man, es sei nur darum gewesen, daß er des Betrug frei vor uns ausgehe! – Sollte dies Wahrheit sein? – Warum scheute er sich denn seines Verraths vor uns, die wir vogelfrei sind, deren Ehrgefühl jeder abläugnet und den Verstand dazu und das Recht geachtet zu werden und das Bewußtsein dieses Rechtes! –

Warum scheute er sich nicht vor denen, die ihn mißbrauchten zu diesem verworrenen Handel?

In unsern Volksliedern war er Polenfreund genannt, so sehr glaubten wir, daß er ernstlich fühle für uns. Den Mieroslawski überstimmten wir, der klüger als wir, diese Vermittelungen und Ueberredungen nicht mit dem Gang der Ereignisse übereinstimmend fand. Wir verdachten ihm seinen Argwohn, als werde mitten im Sturm von Freundeshand der letzte Nothanker uns entrissen.

Wir wissen jetzt, daß wir verrathen wurden, aber wir wissen noch nicht gewiß, ob wir verrathen [45] wurden durch ihn, der mit freundlichem Zureden und heiligen Betheuerungen uns die Waffen damals abnahm und heute aber die Füße unter einen Tisch setzt mit Einem, der nach Scharfrichterart dem Volk das Joch politischer Tyrannei aufdrängt, 6) und mit dessen Regiment absoluter Militairgewalt als höchstes Majestätsrecht sich einverstanden erklärt.

Er vertheidige sich gegen diese Wirren seiner Ehre! Unser Glaube an ihn ist verdrängt. Der scheußliche Verruf, der früher ihn durch alle deutschen Blätter verfolgte, ihn aber schuldlos an uns erscheinen ließ, tritt jetzt beschuldigend gegen ihn hervor als Versteck seines Verraths an uns. Wir klagen ihn an, aber wir sehnen uns, daß er sich rechtfertige. Wir wollen keine Widersprüche ihm entgegnen des Elendes, was von den Thronsitzen uns niederschmettert, was die politischen Ungeheuer auf uns ausspeien, was die militairischen Würger an uns verübten und worauf er selbst mitten unter uns den Zorn Gottes herabrief. Er wiederhole heute die Betheuerungen seiner Sympathieen, mit denen er uns nach seinem Willen lenkte; er spreche heute seinen Abscheu aus über die verworfenen Mittel, mit denen [46] man uns den Anschein der Schuld aufbürdet. Er spreche sein Urtheil aus über uns, kräftig und umfassend in der Wahrheit, wie es dem edlen Manne ziemt, um den Verrath zu vernichten, um die erloschenen Sympathieen wieder anzufachen, jetzt wo die Demarkation räuberisch über unser Land herfällt; er gebe seine gesammelten Beweise und Aktenstücke heraus über das uns geschehene Unrecht, die damals zur Widerlegung der Lügen gegen ihn in der Druckerei von Trowitsch schon bis zu Pagina 14 gesetzt waren und von ihm zurückgenommen wurden im Austausch gegen eine vom Ministerium Camphausen ihm ausgestellte Adresse, die ihm das Zeugniß giebt, er habe vollkommen im Sinne Sr. Majestät verfahren. Diese Adresse ist aber keine Rechtfertigung für ihn, sondern eine Beleidigung der Majestät, indem sie den an uns begangenen Verrath als von dem König gebilligt darstellt, ja als seinen Befehl, zu dem Willisen, der durch unser blindes Vertrauen allein dazu geschickt war, sich hergab! –

Wir sagen es Euch, die ihr die Gesetze des Landes jetzt ordnend, selbst von Thorheiten und Kampflist umstrickt, Beschlüsse faßt, die bald von der Rechten, bald von der Linken wankend gemacht werden, bald von der Regierung, bald vom Volk mit Verdruß [47] zurückgewiesen werden; faßt in Gesammtheit Eurer Ehre und Macht, die beide gleich hierin gefährdet sind, den Beschluß, daß Keinem, der in diesen constitutionellen Kämpfen und Ereignissen zweideutig dastand, das Recht einer öffentlichen Wirksamkeit mehr gestattet werde! Er sei verbannt aus seinem Vaterland; er gehe hin zu den Volksunterdrückern, die mit eiserner Stirn sehr dumme Streiche ausführen; er lasse sich freiwerben von Ministerien, die lauter Kleinlichkeiten im Großen zusammenraffen und damit Staatsstreiche ausführen nach Schulmeisterprinzip und den Staat selber fürchterlich massakriren und ihn verbluten lassen, um die Privatrache der Fürsten zu sättigen, wofür das Oberhaupt des Staates ihnen Absolution nie versagt, und wofür die gegen die Volkssympathien im Bündniß stehenden Mächte ihnen allenfalls das Kainszeichen eines heiligen Wladimir oder Andreasordens verleihen!

Fürsten und Minister sind einander Beichtiger, was sie einander auf Erden lösen, das denken sie mit dem Zeugniß der Loyalität und unverletzbarer Fürstentreue zu lösen vor dem göttlichen Richterstuhl, der aber keine loyalen Verantwortungen hat wie die Regierung. Mit diesem Bewußtsein ihrer protegirten Gefahr machen die Staatsmänner [48] ihre labyrinthischen Wege so lange, bis ihnen das Gewissen sagt, jetzt flieh oder du wirst gehängt. –

Homer sang: „Was die Fürsten rasen, das büßen die Griechen“! – Was aber heute Volkstyrannen und ihre Diener zusammen rasen, das wird gebüßt von uns Polen, von Italienern, Ungarn, Spaniern und Deutschen, von allen Nationen Europa's. – Die Reaktion ist das Perpetuum mobile von Scharfrichtergedanken, das ganze Länderstrecken verwüstet, und Städte zusammenstürzt und wie das Erdbeben von Lissabon die Bewohner unter ihren Schutt begräbt, wo nur Räuber unverletzt bleiben, um die Gestürzten zu plündern und die Lebendiggebliebenen zu morden: ja diese Naturschrecken, die nach Jahrhunderten nur einmal ihre Spuren der Vernichtung auf der Erde zurücklassen, wiederholen sich in diesen aufgehetzten Leidenschaften der Tyrannei unter des friedfertigen Ferdinand von Habsburg Scepter rasch hinter einander und stürzen seine Städte unter dem Donner der Kanonen, als ob er vor dem Richterstuhl Gottes dieses Eigenthum des Daseins aller Menschen unverantwortlich verwüsten könne! Unter Friedrich Wilhelm von Hohenzollern werden mit tausend Mal mehr Anstrengung [49] die Schrecken der Natur langsam ihr nachgemartert, als es kosten würde, ein Unheil wieder gut zu machen, was man selbst angerichtet hat. Wo liegt der moralische Begriff für dies Geschehen – was kann den Gott rechtfertigen, der alle Haare auf dem Haupte der Völker zählt, ohne dessen Willen kein Sperling vom Dach fällt? – Warum sieht er die Sonne, die jedes Körnlein reift in jedem Halm, gleichgültig jeden Morgen über solchem Gräuel aufsteigen? – Warum bleibt das Friedensdach des Himmels bestehen über den Blutbädern des Brudermordes?

Es muß ein Zweck sein, dem alle diese Opfer fallen. Die Freiheitssonne muß das Schlechte verwesen, um das Bessere erzeugen zu können. Wo würde das Heldenthum vergangener Zeiten wieder erstanden sein in Italien, wenn nicht die Tyrannei es zur Auferstehung rief. Wo würde Ungarn und Oesterreich so feurige Volkssympathieen für einander hegen, wenn nicht Windischgrätz sie hetzte, einander zu zerfleischen, und wenn nicht Gesetze gegeben würden, die man an den Pranger schlagen müßte, weil sie eine Hölle aus dem Staat machen, und wenn nicht die Völker so lange zu unwürdigen Kriegen mißbraucht würden, bis sie verstehen lernen, [50] daß von ihrem Aneinanderhalten das Schicksal der Welt abhänge. Die Völker würden keinen Werth legen auf ihre Verbrüderung, wär nicht so großer Jammer aus ihrer Entzweiung über sie gekommen, wär nicht so viel Blut schon geflossen, um die gefürchteten Sympathieen der Völker zu hintertreiben. Das Gift gegen uns Polen fällt zurück auf alle Völker, in denen der Freiheitsmuth sich regt, und die Volksantipathieen der Herrscher verhängen einen Gewaltstreich nach dem andern über das Volk voll aufgeregtem Unwillen, oder von Sorgen dumm geworden, gleichviel! – ihr Götterdasein setzt ihm den Fuß in den Nacken, in allen Adern, Nerven und Fibern bis in das nachwachsende Haupthaar soll die Wollust der Huldigung sie durchströmen! indeß jedes Geistesstreben unter Bedrückungen sich durchwindet.

Auch in Euch würde das Selbstgefühl nicht so kampfgerüstet auftreten, wenn nicht die kleinlichen Streiche großer Zwangsgewalten die Würde des Königs vor dem Volk zertrümmerten und seine erhabene Anlagen und die Grundlinien seines Charakters eben so zermalmten, wie sie das Volk knechten zu den Füßen seines Herrschers, das mit schmerzlichem Stöhnen den Fluch gegen ihn unterdrückt. [51]

Euch allein haben wir die ersten deutschen Charakterzeichen zu danken, wodurch Ihr die einzig wahren Vermittler zwischen dem Volk und dem König seid, um die politischen Sünden Eurer Gegner wieder auszugleichen, die den Trieb der Milde, das Selbstgefühl der Größe im Nachgeben und das Gleichgewicht seiner Seele in dem Herrscher erstickten und das Regieren zu einem dürftigen Geschäft herabwürdigten, wo man die gesammelten Pfennige, unter denen so viele falsche sind, hin und her zählt, um ein Ganzes aus ihnen zu machen!

Ihr habt das Volk gehoben in Euerem moralischen Widerstand gegen eine Macht, die nicht auf moralischem Boden erwachsen, in widersprechenden kleinlichen Gründen und Grundsätzen sich verschleppt. Ihr habt dadurch den edelsten Theil der Menschheit Euch verbündet, denn wer zu Euch hält, der thut es der moralischen Macht willen dem Frevel gegenüber. Es ist nicht die unmündige Widersetzlichkeit tückisch gewordener Knaben, die nicht nach des Schulmeisters Pfeife tanzen wollen; es ist das reine Prinzip, das Euch zu Statthaltern der Gerechtigkeit gegen die Volksknechtung begründet, um dem Volksgeist Spielraum zu gewähren, in dem es sein Selbstbewußtsein üben und seinen freien Willen ordnen [52] lerne! Und wäre es auch nicht das, und hätten wir auch einen der Wohlfahrt der Menschheit ganz hingegebenen Weltherrn, der ihrem Gedeihen in heiterer Witterung seinen Nektar in den Kelch gießt, um seinen Kindern das Beste zu gewähren! so ist aller Vortheil nichts, der nicht die Herzen aus der Knechtschaft reißen will und aus allen jetzt zersplitterten Theilen der Menschheit einen Leib bilde, wo jedes Glied dem andern diene, wo jeder die Macht hat, die zur Hülfe Aller berechtigt.

Keine größten Helden, keine klügsten Staatsmänner, keine wahren Philosophen, keine Lehrer göttlicher Moral noch aber solche, auf welche Männer von so starkem festen Charakter Einfluß haben könnten, sind um den Thron versammelt, nur Schwächlinge, denen jede Menschlichkeit eine gefährliche Klippe vorstreckt, an der ihre Eigensucht sich verwundet; die nie an eine Ergründung der Wahrheit sich wagen, aus Furcht an der eigenen Wortbrüchigkeit und Lüge zu scheitern. So ist manche Verheißung erstorben, und Deutschlands Orakel in Frankfurt, das sich als Garantie aufwirft für erkämpfte Volksrechte und eben so leichtsinnig seine Nationalversprechen bricht, als es die Dinge beleuchtet und beurtheilt, hat bei sich, vielleicht schon so vieler Verantwortungen [53] als so vieler Unmöglichkeiten sich entbunden. – Nur Euer stolzes Festhalten an Euren Ueberzeugungen gab uns Polen die Zuversicht, daß Ihr Euch nicht von Illusionen kalter Herzen und Köpfe voller Dünste werdet erschüttern lassen.

So, wie die Männer der Weltpolitik durch Falschheit verfeinert und von ihr geleitet werden, so wird der Wille strenger Redlichkeit, unterstützt von einer Consequenz, die ihre Gegner zwar als Tücke verschreien, die aber dem energischen Genius eine mächtige Stütze ist.

Heute, wo liberale Verheißungen die Sympathieen für uns erkalten, wo die Zeitungen unserschämt verkünden, man werde die Demarcation nach der Pfuelschen Linie, aller schriftlichen Opposition der Polen ungeachtet, im Anfang des Jahres beginnen, heute, wo die Auflösung Eurer Versammlung ausgesprochen ist, heute prophezeien wir Euch: Was Ihr erschaffen habt wirkt nach! Das Vergangene ersteht wieder, um Euch zu bestätigen vor dem Volk! Dann erst, prophezeihen wir Euch Gelingen, dann erst glauben wir an die Aufrechthaltung der Menschenrechte, dann erst werden Gesetze und Priester, Staatsleute, Helden und Propheten unter Euch auferstehen, wenn Eure Consequenz [54] uns die Opfer bringt, die Ehrgefühl, Rechtssinn und Freiheitsbegeisterung von Euch erheischen für eine zerrüttete Nation, der man die starken Wurzeln aus dem Vaterlandsboden losreißt!

Es giebt gräßliche Träume, die grelle Wahrheit ihrer ränkevollen scheußlichen Tragödie wird zum physischen Leiden in dem Geist. Wir Polen liegen in so hartem Traum gefangen! Wir sehen die Vaterlandsfesten vom Feind besetzt, ihre Kugeln unter uns schleudern! – Dem Volk, was in unsern Straßen, an den Ufern unserer Flüsse handelt und wandelt, müssen wir schüchtern ausweichen, denn es nimmt den ganzen Platz ein! Und zu den Sternen, die über unsern Städten und Hainen leuchten, sehen wir nicht auf, weil wir wissen, daß sie uns kein Glück bedeuten. Nichts ist, dem der Pole mehr vertrauen könne, nichts mehr wagt er sein zu nennen, selbst das Klima des Vaterlandes, statt ihn zu nähren, verzehrt ihn mit Gram! – Wer wird den bösen Traum von unserer Stirne scheuchen?– Die Auflösung Eurer Versammlung giebt uns die Zuversicht in Euch, Ihr werdet die gewaltigen Interessen Deutschlands, die ihren Flug nicht nehmen können, wo die Bedrückung und das Unrecht gegen die Völker – sei es selbst gegen das geächtete Polen – [55] unter irgend einer falschen Behauptung sich Luft macht, auch in der Gerechtigkeit und Treue an uns bewähren.

Lamartine hat die Republik in humanen Schwung gebracht, mit einer Handvoll Weihrauchkörner, die er den Volksbedrängnissen in die Gluth streute: „die bedrängten Brüder sollen uns zu Hülfe rufen. Wir werden kommen.“ Sie haben dran geglaubt, die bedrängten Brüder! – sie haben gezögert zwar und wollten ihr eignes Blut erst dran setzen – der Nachklang dieser Verheißungen war noch laut – verlassen und verrathen zugleich, thaten wir die ersten bescheidenen Bitten um Waffen. – Wir hatten das Recht dazu, wir konnten uns auf das eigne für Frankreichs glorreiche Thaten verspritzte Blut berufen. Aber auch die Republik hat ihr Gespenst, es verschwindet, wenn man es anruft! Seht auch hier wieder die Lüge als Zehrfieber einer ganzen Nation!

Italien, mit dem Siegel der Verwüstung bezeichnet! Italien, das im Glauben an Frankreichs große Gesinnung, plötzlich aufathmend, mit tausend tobenden Hoffnungen wie ein junger Herkules wider die Megära anspringt, gegen das hat Frankreich mit einer Kniebeugung vor England, Oestreich und Rußland [56] seiner republikanischen Gelübde sich entledigt. – Seine ersten begeisterten Gelübde! – Wir glaubten, der Himmel habe sie gehört! – Aber daß der Himmel so was nicht ernst nehme, das liegt im Begriffsfach des Philisterthums. Vom Frühjahr bis zum Winter hat die Republik den drohenden Zeigefinger, diese höchste Potenz gegen die Theilung Polens, wieder eingezogen, und man bezeichnet ungefährdet von ihr, unsre Sklaverei mit einer zweiten Demarcation. Italiens glühende Blutströme, die heißen Tage Wiens und das schon so lange an frostigem Zurückweisen aller Nationen fiebernde Polen, sie wiederholen es schmerzlich daß die Menschheitsrechte nichtsgeltend sind vor den Despotismus, und Frankreichs hypochondrische Schwäche, aus Furcht sein Nachtlicht möge ausgehen noch ehe es tagt, wird keine rächende Fackel für diese verletzten zerschmetterten Rechte anzünden. Aber dem wahren Genius ruhen die Glückssterne in der Brust, er beschwört in der Nacht den hellen Tag herauf und strömt seiner Strahlen erstes Erglühen in kühner schwankungsloser Richtung in die dunkle Wirklichkeit trotz ihren Widersprüchen und Gewaltthätigkeiten und Verspottungen, um genau und scharf sein Ideal auf sie zu übertragen. [57] Frankreich aber hat seine revolutionären Kräfte in den schmutzigen Abzugskanal der Verbannung verdunstet, in dem Augenblick einer noch unreifen Gährung, wo die brünstigen Begierden wie Harpyen über ein schlecht-belehrtes schlecht gelenktes Volk herfallen, dasselbe Volk, welches bewußtlos die gemeinsamen Bedingungen boshafter Intrigue ausführen mußte; konnte man dies Volk, dem kein Hälmchen der verheißenen Erndte erzeugt wurde, strafen wollen für das, wozu es mißbraucht war, während seinen Verführern kein Haar gekrümmt werden durfte, hat man dadurch an Frankreichs Flor gearbeitet, ist es dadurch groß in der Wirklichkeit und in der Macht, das Zerstörte aufzubauen und alles Erstickte und Erwürgte wieder zu beleben? Nicht dafür konnte Frankreich seine Kräfte anstrengen, das Volk zu befriedigen, ihm seine Verheißungen zu erfüllen, aber doppelt strengte es sie an, es zu knechten unter die republikanische Zuchtruthe.

Die Männer, die Versorger ihrer Familien, haben sie desselben Landes verwiesen, dem durch ihre Willenskraft die neue freie Macht errungen war!

Kann die Republik keine andere Wunder verrichten durch und für das Volk? – Wußte das Volk, was es that, als es auf Frankreichs Verheißungen [58] hin, sich des Herrschers entledigte. Wenn extatische Zeugnisse ihm gleich Anfangs die Täuschung hervorriefen, daß seinen unbehülflichen Kräften Alles gelungen sei, so war's nicht seine Schuld. Niemand hatte es auf die Lebensfrage vorbereitet für sein eignes Heil zur Förderung der großen Zwecke zur Tilgung der bösen Prinzipien nach jeder Seite hin. Die Revolution betraf die Existenz des Volkes – wenn es bisher gedrückt gewesen, wenn es auf Lebensgenüsse verzichten mußte, weil der Wuchergeist hart auf ihm lag, so ist dadurch dem Volk in seinen Eigenschaften kein Schaden geschehen! – Das Volk kann gereizt werden, es kann gegen die Wände seines moralischen Kerkers wüthen, auch wohl einen Versuch machen, durch Uebertretung der zehn Gebote sich ihm zu entziehen, aber es hat nicht Schaden gelitten an seinen großen natürlichen Menschheitsanlagen, – daß man es hinauswerfe auf den Mist der Verbannung! Diese sind ihm unverloren und seine überreizte Gewaltthätigkeit zeigt für die Energie, die der Welt aus ihm wieder hervorgehen soll. Einbilden kann man wohl dem Volk etwas, seine Begierden kann man reizen zu Dingen, die sein Gewissen verabscheut, aber die Basis der Sittlichkeit könnt Ihr immer noch finden, [59] wenn Ihr den Schutt wegräumt! – Wenn dies nicht wäre? – Wenn wir in ihm nicht die Wiedergeburt jener normalen Energie uns gewärtigen könnten, die wir selbst verloren haben, was eben der freien Republik Behandlung der Juni-Revolution beweist, so lohnte es der Mühe nicht, es auf eine Stelle zu heben, von wo aus durch seine schützenden Kräfte die ganze Menschheit zu hoher Menschlichkeit wiedergeboren soll werden.

Auch die französische Popularität weiß nicht das Volk zu begreifen, sie will es verwenden im großen Meer der Industrie, das in sturmbewegter überbrausender Fülle Alles wieder ans Ufer speit; – und fasset nicht, daß das Arbeitermeer kein Universum der Kapacitäten ist, daß vielleicht viele, die nicht geeignet sind, in diesem Meer als ihrem Element zu leben und doch von den Strömungen mit fortgerissen werden, gerade die Stufe, die sie einzunehmen für nothwendig erachten, um sein Heil zu vertreten, vielleicht dieselbe sei, die von ihm selbst müßte besetzt werden.

Intelligenz! – ist die Volkskraft in dieser ausgemessen? – – oder – würde vielleicht der Genius aus ihr emporsteigen – und mit ein wenig Koth vom allgemeinen Weg, gemischt mit seinem Speichel 7), die Blindheit der republikanischen Heilsmänner heilen und sie sehend machen? – wo's hinaus will? – wo's hinaus muß – wenn sie die Straße des Gelingens, der Rettung, des wirklichen Seins und Bleibens wandeln wollen?

Diese Arbeiter, die ewig ihre Hände nach Arbeit ausstrecken, die man nicht hervorzuzaubern vermag, haben noch andere Berührungen mit ihren Weisheitsanlagen, mit ihrer schöpferischen Kraft! – Für was ist das Menschengeschlecht, als blos um mit den geübten Kräften die eigene Geistigkeit im Geschlecht zu erhöhen.

Aber mit revolutionärer Leidenschaft dem souveränen Volksboden das Feld abstreiten und Dekrete erlassen, die das Elend hervorrufen und mit ihren Rathschlüssen unterdrücken und vertilgen, was das Volk will; – es gleich einem Strom aus seinem vaterländischen Bett herausleiten, weil er in die Wüste austrat! Die französische Republik hat andere Verpflichtungen ihrem Volke gegenüber! – sie kann und darf das Volk nicht im Volke strafen, nur sich selbst kann sie zur Verantwortung ziehen, daß sie die brausenden Volkskräfte [61]ihre Thatenlust nicht den reinen Begeisterungsweg leitete.

Wie ein Meteor mit seinem Glanz die aufsteigenden Nebel besiegt und wie die Natur das Tiefverwundete heilend mit dem Leben versöhnt, so war es die Aufgabe Frankreichs, das Rachegetümmel der Junirevolution dem Vaterlande auch wieder zu versöhnen; aber durch Verbannung diese gewaltigen Kräfte dem Vaterlande entziehen, das war nicht demokratische Weisheit. Die wilden Leidenschaften des Volkes stehen im Bund mit seiner Begeisterung, auf dieser mußte die Republik die ersten Stufen ihrer Größe hinansteigen. Im Kampf gegen die Volksunterjochung mußte sie das überreizte Blut beschwichtigen und durch den Ruhm erfüllter Verheißungen, dem Vaterland versöhnt seine Kinder zurückführen unter den Schutz des Paladiums, das kein Joch auf dem Halse der Völker duldet, die Befreiung fordern; dann würde sie heute in einer Sphäre stehen, umringt von Glauben und Vertrauen aller Nationen, und das ist mehr als was Himmel und Erde ihr bieten konnte, oder auch was sie durch politische Vermittelung gewinnen konnte. Denn wo die Glorie vorleuchtet und die Völker erzieht, da scheitert die Politik der Machthabenden. [62]

Polen stand achtzehn Jahre flehend vor Frankreich mit dem Joch auf dem Nacken! Italien, aus tausend Wunden blutend, begleitet die Geschichte selbst mit dramatischem Hohn gegen die Republik, die den vor seinem erhabenen Beruf fliehenden Pabst in ihrem goldenen Käfig gern wollte gefangen haben.

Nicht an Cavaignac, nicht an Lamartine, der seine republikanischen Verheißungen der bescheidenen Polenbitte um Waffen widerruft, sondern an die Volkskraft wendet sich unsere prophetische Mahnung, das Unrecht gegen die Polen mit dem Recht zu überwinden. – Dieses Recht üben und die eigenen Leidenschaften zu Gunsten dieses Rechtes in Banden halten, das ist die Erziehung des Volkes zur souverainen Macht!

Seht hier in der Polenfrage die Machthaber herzleer und verstandlos ihre Ehre verlieren vor den Nationen, ihren Purpur befleckt mit der Schmach der Verblendung; und statt dem Unrecht das Recht entgegenzusetzen; der Raserei der Leidenschaften die souveräne Macht des Rechtes opfern.

Legt diese große Geschichtsfrage, diese Polenfrage dem Volke vor. Denn sie ist eine Volksfrage! Denn es ist die Schule des Volkes, ein Unrecht an [63] dem die Fürsten ihre Ehre und ihre Völker aufgerieben haben, ein Unrecht durch das sie das Recht im Herzen der Völker untergraben, eine Aufgabe der Verzweiflung am Recht wieder gut zu machen!

,,Opfer der Herrschsucht, der Ränkerei ist die Nation der Polen! – Eine mißhandelte Unschuld mit der Asche bedeckt der Vernichtung, mit vielen Pfeilen durchbohrt des Verraths, die das Herz der leidenden Heldin hart getroffen vom ersten, der es vergiftet, bis zum letzten, der es brach.“

Sagt ihm dies und es wird Opfer bringen, die größer sind als die, durch welche die Fürsten ihre Gewalt über es begründen.

Das ist die Schule des souverainen Volkes, daß es sich hingebe, den Verrath der Volksunterdrücker auszugleichen und zu neuem Aufflug den Phönix der Freiheit aus verglühender Asche hervorrufe, durch seinen Kampf für das Recht, – sei es für eine der Vernichtung preisgegebenen Nation, sei es durch Prüfung der eignen Stellung gegen die Willkür, die Belagerungsstände verhängt, wie ein erbitterter Mentor über seine Zöglinge, die ihm über den Kopf wachsen! –

Völker nur können die Sünden, die an ihnen begangen worden, in ihrem ganzen Umfange vor den [64] Augen der Despoten darlegen, vor submissen Behörden, die barbarisch über ihr eignes Ehrgefühl hinaussetzen, um zu bezwecken, was mit der Ehre sich nicht verträgt! – Kein Beamter will wissen, was er that, als er sein Theil dazu beitrug! – Jeder will meinen, es sei die Sache der Weltpolitik, er selber habe nichts zu verantworten, indem er die Pflichten der Submission übt. Der Herrscher aber hält die unweisen Anordnungen seiner Regierung für weise Einlenkung in die Rathschlüsse Gottes; und die Völker, die diesen sich nicht fügen wollen, die hält er für empört gegen Gottes Willen. Er selber, den der Widerstand in seiner Machtvollkommenheit verletzt, voll schmerzlicher Pflichterfüllung, daß er als Fürst so manches Wort muß brechen, was er als Mensch gegeben, beklagt die physischen und moralischen Uebel seiner Unterthanen als ihre eigne Schuld, und auf demselben Weg, auf dem er sie erzeugte und betrieb, fährt er fort, sie bekämpfen zu wollen. – Was geht ihr Leiden ihn an, er hat sie ja nicht geschaffen, ihr Murren ist Versündigung an Gott und an dem, der ihn auf Erden vorzustellen sich berufen hält!

Doch für das, was die Menschheit tragen und fassen und wirklich durchsetzen könne, erzeugt der Gott immer neuen Impuls in Euch Demokraten [65] und Volksvertretern, die man aus dem Lande verwiesen und die doch nur gefährlich sind durch die Allvermögenheit des Geistes, der das große will im Volk und die Menschheit begreift als nur ein Dasein, dem jeder Schritt ein gemeinsamer ist. Die ganze Menschheit muß reifen in Euch. Wendet Eure Vermögenheit mit Geduld darauf, die verzerrten durch einander gewirrten Fäden ihrer Schicksale zu entwirren, die zerrissenen Fäden heraus zu suchen und ordnend wieder anzuknüpfen. Gerechtigkeit, Weisheit, Milde und Menschheits­begeisterung aber wendet auf Polen dem größten edelsten blutigen Opfer gereizter Ländergier seiner christlichen Schutzmächte, gegen deren Theilung, – im Gefühl göttlicher Gerechtigkeit, der Kalif der Muselmänner einst protestirte! für die, unter den christlichen Souverainen, der Papst allein einst hervorzutreten wagte und mit seinem Bannstrahl dessen mächtigen schonungslosen Zerstörer gebrandmarkt hat.

Heute flieht der Papst vor dem Waffentanz, den das römische Volk unter seinem Segen beginnen wollte. – Paris erwartet ihn. – Wird die Freiheitssonne höher steigen in Frankreich, wenn Paris den fliehenden heiligen Vater in seinen Mauern hegt, der einst unter Napoleon, dem Kaiserreich in der italienischen [66] Legion diente? Oder wird er Frankreich seiner Gelübde freisprechen. – Und wird die allerschütternde Rede Mieroslavski's auf dem öden Wahlplatz, wo die Völkergeschicke auf Bescheid harren, verhallen, und wird die Republik die Würger vereint zum Schlag auf das Haupt der Volkskraft bestehen lassen und wirken lassen wie heute? –

Und Ihr Volksmänner, werdet Ihr zwischen den Klippen des Spottes der Lüge verwirrender Anklagen und Rechtfertigungen hin und hergestoßen, verlegen vor der Schadenfreude des bösen Feindes stehen bleiben? – Oder werdet Ihr öffentlich von dem Grund der Dinge auf ihre Beschaffenheit schließend, die Herrschaft Euerer Charaktere und Geisteskräfte glänzend entwickeln, oder dem blinden Zufall überlassen, wozu die Seele mißbraucht wird, mit Euerm guten Bewußtsein alle errungenen Stufen hinan, wieder hinabsteigen vor einer Willkür, die vornehm verhüllt, diesen Zufall zum Sündenbock ihrer moralischen Welt macht! – Das thut nicht! Verbeugt Euch nicht vor einem unsichtbaren Willen, wie Ihr Euch vor einem Abgrund nicht verbeugt der Euch zwingt einen Umweg zu nehmen.

Euch beklemmt es, dem Volke nicht beistehen zu können! – Ihr seht am wüsten Himmel keine Lücke, [67] wo ein Strahl durchbricht, Ihr seht das Frankfurter Parlament von der Stätte des Friedens aus kaltblütig seine Mitglieder morden lassen. – Ihr seht es, Polen verrathen durch die Sanction falscher Abstimmungen gegen unsere Proteste und Reklamationen! – Was ist eine solche Centralgewalt, die Bassermanns Berichten von Straßengespensten und ihren Zubehör, gespannt und schauervoll lauscht, wie wenn es Mitternacht schlägt, wenn man gerade vom alten Hausgeist spricht! – Alles springt auf, alles will ihn gehört haben – man hört den Zugwind, den der Geist mit sich führt und alle Lichter auslöscht, und wenn man je im Finstern saß, so ist es heute! Was ist zu thun? Der Geist muß exorcirt werden! Ihr seid der Geist! – Gegen Euch werden die Bannflüche geschleudert; gegen Euch spricht der Exorcismus sich aus! – Was fürchtet Ihr? Geister können überall sein und wirken! sowie die falschen Reden über Euch die größte Aufregung unter Eure Gegner brachte, so werdet Ihr von überall her auch nothwendig Euere Gegenwart im Geist der kühnen, wohlerprüften, lebendigen Thatkräfte und edler Menschen Herzen bewähren. Sie plagt der Teufel des Unbegriffs der Unanstelligkeit und der Schicksalswirren, die im Dunkeln auf [68] ihrem Rechtsboden herumtappen! – Sie sind verrathen durch Euere Schule, in der Ihr das Volksurtheil in eine erhöhte Klasse erhoben habt! Eure Sorge aber ist, die Disharmonie der Welt in Harmonie zu bringen. – Wäre doch kein Erzengel Michael gewesen, hätte er nicht mit seinem Speer den Lügengeist zu seinen Füßen gemordet, wär' er nicht durch mathematische Berechnung des heiligen Geistes Herr über ihn geworden.

Alles geschieht für Euch, damit durch Euch alles geschehe! – Das Frankfurter Parlament hat Polen verrathen! auf unsere Reklamationen gab es so wenig Gehör, als auf die gegen die Volksscharfrichterschaft Polens. Nein! es hat einen Scharfrichterstreich nach dem andern sanctionirt. – Euch wollte es als bösen Hausgeist nach Brandenburg verbannen und half rücksichtslos Euch, ins Grab stürzen! Euern Geist konnte es doch nicht aus den Herzen bannen, sie flehen zu Euch, nicht ihnen abzusterben, sie fühlen ihr Heil in Euch gewurzelt! Ihr werdet leben im Geist der Menge, in ihr wird das Zutrauen zu Euch wachsen! Aber das Frankfurter Parlament wird nicht auferstehen von seiner Niederlage! es war seine erste Manifestation der ihm in die Hand gegebenen Gewalt; taub zu sein gegen Proteste [69] mit Beweisen in den Händen! es duldete, daß die Wrangelschen Belagerungsexpeditionen die Papiere, mit welchen Polens heiligste Interessen vertreten sind, in Beschlag nahmen! – Aufgebläht durch die ihm anvertraute Macht, hält es sich zu seines Gleichen, zu Tyrannen und Volksscharfrichtern, und schmeicheln einander durch Entgegenkommen. Seine Verheißungen sind zweierlei, Ja im Gewähren, Nein im Halten! – Die Sünden aller Regenten hüllt es in seine Macht, um ihre Jammer verbreitende Anwartschaft auf den Götter- und Richtersitz über geknechtete Völker zu beweisen. Absolutheit! – steigender Frevel schnell und scheußlich aufeinander folgender Plagegeister! Müssen die Fürsten ihren Geschicken so entgegen stürzen? –

Was ist eine Macht, wenn sie diejenigen, welche sie durch Opfer sich gewinnen könnte, nicht hindert an dem, was ihr zuwider ist? – Eine so schwache Staatsmaxime: lieber eine Stadt in den Grund zu schießen, lieber das Volk vernichten, lieber Alles, wozu Jahrhunderte mitarbeiteten, wovon die Nachwelt im Mutterleib der Gegenwart reift, – vernichten statt nachzugeben? – Ja! schwächlich, kleinlich-matt ist sie, die weder moralischen noch politischen Aufschwung giebt, die von Stufe zu Stufe, vom [70] absoluten Thron bis zur Schulmeisterpotenz herabgleitend, vergißt daß die Wahrheit allein machtvollkommen ist. –

Ueberall, wo bis jetzt Gelöbnisse und Gewohnheit die Anschauungen und Urtheile über Geschehenes in Zweifel zog, da hat die Mehrheit, selbst von Beamten, selbst von ganzen Behörden, als Gegner dieses Verfahrens sich ausgesprochen; sie, die früher so vielem was ihrem Standpunkt, ihrer Gesinnung ehrenvoll gewesen sein würde, aus langgeübter Devotion entsagten, haben plötzlich dem Recht den Sieg gelassen; sie, die so lange gekämpft haben, so lange berathschlagten, im stillen Kabinet Herrscherpläne erwogen und Befehle ausgesendet, sind endlich überzeugt, daß es Rechte giebt, die nicht von einem constitutionellen König, nicht von einer hinterlistigen Reaction dürfen angegriffen werden! –

Ihr aber, die vom Volksvertrauen dazu bestellt, mitten in den Ereignissen die Folgen berechnet, Euch haben die Erscheinungen dieser finstern Politik endlich unter einen Hut gebracht! – Was konnte gleich diesem Vortheil Euch gewährt werden? – Konntet Ihr keine Wege dort einschlagen, die das Regiment der Behörden, ihre moralische Zerstörung alles dessen, was sie durch Euch mit den Völkern verbinden soll, [71] zu ihrem Ende führe? – Habt Ihr daran nicht selber schuld? – Heute ist es Zeit, Euch selbst zu Richtern über Euch zu bestellen! – Habt Ihr verborgen gehalten, was Ihr hättet offenbar machen sollen? –

Was hat es Euch geholfen, nachzugeben, als man unsre Untersuchungsacten von Posen vor deren Veröffentlichung erst sichten wollte? – Darin habt Ihr Unrecht gethan! Es war hier nichts zu sichten, Alles mußte offenbar gemacht werden, damit alle Lügen gegen uns auch offenbar wurden. Alle Eure Versprechungen und Gelöbnisse den Polen, das Vertrauen zu ihnen ist dadurch zerstört! – Wir Polen kennen den Irrgarten, aus welchem der Ausweg immer auf dem alten Fleck bleibt und nimmer das Paradies zu finden, so leuchtend und nahe es auch vor uns liegt.

Nicht den Geschlechtern gegenüber werden diese Beschlüsse gefaßt, nicht ihr Wille ist es, daß es so ende, daß es so ausfalle! Es sind Regungen und Begierden, die hier um sich greifen, aber in den Mitteln zu ihrer Befriedigung sich vergreifen und ihren Sturz vorbereiten; können sie je von dem Blute und der Tyrannenbefleckung sich reinigen? –

Ist da kein Rednerstuhl für einen Gewittergott, [72] der gleich seine Argumente hineinschleudert und ein ewiges Feuerwerk – aufsprühet in tausend und abertausend Beweisen? – Wo Vorurtheile herrschen, wo Fürsten diesen Vorurtheilen selbst Nationen zum Opfer bringen, da flieht ihr guter Genius. – Wie könnt Ihr Euern Verheißungen nachkommen, wenn die Stützen des Thrones, die ihn immer wankender machen, Euch den kecken Vorsprung abgewinnen, an dem eher das ganze Reich zerschmettern soll, als Euerm Protest zu weichen? –

Ihr habt an Einsicht gewonnen und habt auf Gerechtigkeit-begründende Ueberzeugung Euch organisirt! Werdet nun auch gerecht an uns; es ist das größeste, was in unsern Tagen geschehen kann, das Unerwartete und kaum zu Hoffende und doch zum Heil Führende! Warum sollte es da nicht geschehen? – Setzt Euren ernsten Willen dran, gewährt Euerer Besinnung Umsicht, unser Geschick aus dem Sumpf zu heben, indem nicht allein die Freiheit, sondern auch das Bestehen einer Nation, sondern auch die Freiheit aller Völker soll begraben werden – das beweisen die mühsam bearbeiteten Verfälschungen, die Verfeindungen, die eingeimpften Vorurtheile – Polen, das so meuchlerisch dem deutschen Volk vorgespiegelt wird, Polen, das mit liberalem Ueberfluß [73] ein gutgieriges Volk gastfreundlich aufgenommen und ihm jede Quelle des Erwerbes gegönnt – keine für sich ausgebeutet hat, – das gegeben hat – und überlassen hat. – Nur der patriotische Fels des eigenen Vaterlandes war ihm unantastbares Eigenthum! – Aber nicht, daß es Verachtung für seine Ansiedler erwiesen oder die Ausländer als eine geringere Kaste achtend, die Fülle der Vaterlandsliebe bloß auf sich bezogen hätte? – Nein, Alle, die mit Vertrauen der Nation sich anschlossen und im Polenschicksal sich betheiligt fühlten, waren wirklich uns verbrüdert! Was kann besser für unsern nicht feindlichen Willen gegen die Deutschen zeugen, als daß diese Ansiedler Polens mit festen Banden an uns geknüpft sind, daß sie ebenso wohl den größten Opfern für die Nation sich weihen wie wir selbst! Wirft dies allein nicht schon alle Beschuldigungen unserer Verfolger zurück? – Wenn es der Eintracht mit uns gelang, einen wesentlichen Theil der Vaterlandsbevölkerung zu bilden! Wenn diese uns Polen so einverleibt sind, um alle Verzweiflungsgeschicke mit uns zu tragen und durchzukämpfen, was ist es, was dann den Andern in den Weg tritt, die zwar die Vortheile unseres Vaterlandes genießen, aber keine Sympathieen mit uns theilen! Der Haß muß [74] also wohl eine besondere Quelle haben in ihnen. Wir Polen sind schuldlos daran! Will der Gast an dem sich rächen, der mild nichts weigert, was ihm ersprießlich ist? – Bloß weil er das Vaterland, was er mit ihm theilt, noch außerdem das seine nennt? – Weil er seine Sprache sich nicht entreißen läßt? – Weil er nicht begreift, daß der eingewanderte Gast, dem er das Leben eben so gönnt, wie sich, unter seiner Pflege zum Raubthier aufgewachsen, neidisch nach der Spur schielt, wo der Pole in seinem Vaterland den Fuß aufsetzt! – Er irrt, wenn er glaubt, daß diese Spur verwischt werden könne durch Meuterei an seinem Wohlthäter! – Des Volkes Schritte sind fest und werden als lebendige Zeugen in der Geschichte auftreten.

Als die Brüder Josephs ihn in die Grube warfen, da war es der böse Feind, der da Gastfreund geworden war. Aber den Joseph erhob ein göttliches Geschick auf den Platz, da er seine Weisheit schützend über alle Völker ausbreitete! sie genossen den Seegen seiner Menschlichkeit und Vorsicht. Er war schön und rein, dieser Joseph, von bösen Fehlen und seine Verräther, seine Brüder die ihn in die Grube gestürzt hatten, kamen zu ihm und streckten [75] ihre Arme reumüthig zu ihm empor. Und er beugte sich ihrem Flehen und erkannte sie für seine Brüder. Werden wir's erleben, daß Brüder-Nationen die Sünden einander vergeben, die ihnen eingeimpft waren? – Werden sie Festigkeit gewinnen und Vertrauen zu einander, das nicht wie leichte Spreu im Winde verfliegt? –

 

―――――

 

Druck von Marquardt & Steinthal

Mauerstraße Nr. 53.

[Berlin]

 

――――――――

 

1) Voigt-Reetz. 

2) Schäffer. 

3) Man kleidete in Wien die Gefangenen ein, um sie im Kriege gegen die Ungarn in die ersten Reihen zu stellen. 

4) Statt der Amnestie wurden Ehrenzeichen, rothe Adlerorden an die Offiziere und Soldaten vertheilt. (Voss. Zeitung. Nr. 290 v. 11. Dec.) Anm. d. Setzers. 

5) Die vielen Anschuldigungen Willisens in den damaligen Zeitungen. 

6) Radetzki. 

7) Er machte einen Koth aus dem Speichel und legte den Koth auf des Blinden Augen. (Joh. 9, 6.)