BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Ursula Püschel

1930 - 2008

 

Bettina von Arnims

Polenbroschüre

 

Bettinas Leben

 

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Bettinas Leben

 

 

Zur fortschrittlichen deutschen Intelligenz der achtundvierziger Zeit gehört Bettina von Arnim geb. Brentano.

Sie wurde am 4. April 1785 1) in Frankfurt am Main geboren. Ihr Va­ter, Peter Anton Brentano, stammte aus italienischem Adels­geschlecht und war ein reicher Handelsherr in hoher gesellschaftlicher Stellung. Die Mutter, Maximiliane, ist als Tochter Sophie Laroches und durch ihre Freundschaft mit Goethe bekannt.

Bettina verlor früh ihre Eltern. Nach einigen Jahren im Kloster Fritzlar wuchs sie bei ihren älteren Geschwistern in Frankfurt – wo sie 1806 mit Goethes Mutter in engere Beziehungen trat und durch diese wiederum 1807 (also mit zweiundzwanzig Jahren) Goethe in Weimar traf – und bei ihrer Großmutter in Offenbach auf. Von 1808 bis 1811 wohnte sie bei ihrem Schwager Savigny, dem bekannten Rechts­gelehrten, in München, Landshut und Berlin. 1811 heiratete sie Achim von Arnim (Herausgeber der Volksliedsammlung „Des Knaben Wun­derhorn“) und verbrachte die folgenden Jahre an der Seite ihres Mannes abwechselnd auf dem Gütchen Wiepersdorf bei Jüterbog oder direkt in Berlin, wo ihre sechs Kinder Schulen besuchten. Nach zwanzigjähriger Ehe starb ihr Mann. Ein Jahr später starb auch Goethe, der für sie trotz gelockerter äußerer Beziehungen noch immer „Genius der Menschheit“ geblieben war.

Während der ganzen Zeit ihrer Ehe hatte sich Bettina als praktischer Mensch gezeigt, der fest auf dem Boden der Tatsachen stand: Bei finanziellen Schwierigkeiten packte sie mit an, entwarf und schneiderte die Kleider ihrer Töchter selbst, kümmerte sich persönlich zum Beispiel um die fehlenden Abtritte auf Wiepersdorf 2), war aber auch ganz selbstverständlich während der Choleraepidemie in den Berliner Ar­menvierteln zu finden. Andererseits blieb sie ständig die verständ­nisvolle Mitarbeiterin ihres Mannes und führte daneben noch einen bedeutenden Briefwechsel mit den Menschen ihrer Zeit.

Nach Erlöschen ihrer Ehe aber sah sie nunmehr ihre Aufgabe darin, aktiv am Kulturleben ihrer Zeit teilzunehmen. Sie gab die Schriften ihres Mannes, Bruders, Sohnes, ihrer Tochter als auch ihre eignen Werke sowie Briefromane, deren Material sie ihrer Korrespondenz entnahm, mit kühner Offenheit und ungewöhnlich selbständig gestaltet heraus.

Dies alles machte sie über die Grenzen des Landes bekannt.

In ihrem Hause in Berlin verkehrten neben vielen anderen Franz Liszt und der Geiger Joachim. Aber auch förderungs-bedürftige junge Künstler kamen und fanden Hilfe. Vor allem jedoch nützte Bettina ihren wachsenden Einfluß und ihre Beziehungen für die politisch Verfolgten; uneigennützig kämpfte sie selbst um Menschen, die schon zum Tode verurteilt waren. – Den Hof mied sie trotz Einladung; sie wolle sich nicht langweilen. 3)

Nicht nur einzelnen half sie. Das Schicksal der ungarischen Patrioten – denen sie den Erlös der englischen Ausgabe ihres Goethe-Brief­wechsels zugedacht hatte – lag ihr genau so am Herzen wie das der Italiener oder wie der heldenhafte Kampf des polnischen Volkes.

Die folgende Broschüre – genannt „Die Polenbroschüre“ (1849) – wird von dieser Einstellung und ihrem Mut zeugen. Mit ihr erfüllte sie die Pflicht der fortschrittlichen Intelligenz in dieser Zeit. Am 19. Januar 1859 starb Bettina im Alter von 74 Jahren.

 

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1) Über das Jahr ihrer Geburt bestehen Meinungsverschiedenheiten. Bettina selbst nennt neben anderen Jahresangaben häufig 1788, das Jahr, das auch auf ihrer Grabplatte in Wiepersdorf steht. Da sie es aber mit Zahlen und Daten nicht immer genau nahm, ist ihre Angabe nicht allzu beweiskräftig. Außerdem hat auch ihre Mutter Maximiliane 1788 als das Jahr der Geburt Bettinas aufgezeichnet. Ludwig Geiger beschäftigt sich in seinem Buch „Bettina von Arnim und Friedrich Wilhelm IV.“ (Frankfurt a. M. 1902) mit dieser Frage. Er erhielt eine amtlich beglaubigte Abschrift aus Frankfurter Kirchenbüchern, die er in seinem Artikel zitiert. Danach ist Bettina im Jahre 1785 geboren. Über den Tag, den 4. April, sind nirgends Unstimmigkeiten aufgetaucht. Im gleichen Auszug ist zudem der Geburtstag von Bettinaa Schwester Meline angegeben, und das ist der 21. Juli 1788.

Ich sehe keine Veranlassung, in die Geigersche Beweisführung Zweifel zu setzen. 

2) Bettina schrieb aus Wiepersdorf (11. November 1815) an Savigny: „Denke Dir nur, Savigny, was sich all für Talente in der Einsamkeit bei einem Menschen entwickeln: ich hab einen Abtrittsdeckel gemacht und nun bringt der Arnim einen mit aus der Stadt; da hab ich den, Du weiBt wohl, der immer oben hängen blieb, abgeschafft, nun haben wir zwei vollkommene Abtritte; und weil der eine noch ganz neu, so hab ich den Friedmund (Bettinas Sohn) in das runde Loch gestellt; der springt drin herum wie ein Engel.“

Aus: „Die Andacht zum Menschenbild“, unbekannte Briefe von Bettina Brentano. Hsg. von Wilhelm Schellberg und Friedrich Fuchs, Jena 1942, S. 205. 

3) Auf einem Billett, durch das Bettina zum Hofball am 20. Oktober 1840 ein geladen werden sollte, befindet sich folgender Vermerk:

„Bettina erwiederte hierauf, der König lade sie ein, weil Er sich nicht langweilen wollte – sie käme aber nicht, weil sie sich nicht langweilen wollte.“ (Das Blatt befindet sich im Besitz des Bettina-von-Arnim-Archivs der Deutschen Akademie der Künste.)