BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Germaine de Staël

1766 -1817

 

Über Deutschland

 

Erster Theil. I. Abtheilung.

 

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Erster Theil.

 

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Deutschland

und

die Sitten der Deutschen.

 

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Erstes Capitel.

 

Ansicht von Deutschland.

 

Große häufige Waldstücken deuten auf einen spätern Länderanbau; der langbewohnte südliche Boden trägt wenig Bäume, kein Schatten schützt gegen die senkrechten Strahlen der Sonne dieses durch Menschenhand nackte Erdreich. Deutschland trägt noch hier und da Spuren einer unbewohnten Natur. Von den Alpen bis zum Meer, zwischen dem Rhein und der Donau, findet man ein mit Eichen und Fichten bewachsenes Land, von majestätisch-schönen Flüssen durchschnitten, von Bergen mahlerischer Ansicht durchkreuzt. Aber unabsehbare Heiden, Sandschollen, oft vernachläßigte Wege, ein starres Clima erfüllen im ersten Augenblicke die Seele mit Traurigkeit; nur allmählig entdeckt man, und späterhin, was an diesen Aufenthalt fesseln kann. [23]

Das südliche Deutschland ist sehr gut angebaut; dennoch stößt man auch in den schönsten Gegenden dieser Landes auf etwas Ernstes, welches eher an Arbeit als an Vergnügen, mehr an die Verdienste der Einwohner, als an die Reize der Natur erinnert.

Die Trümmer alter Schlösser auf Berggipfeln, die Lehmhütten, die kleinen engen Fenster, der Schnee, der im Winter die unabsehbaren Ebenen bedeckt, machen einen peinlichen Eindruck. Eine Art von Schweigen in der Natur und in den Menschen, preßt das Herz des Reisenden zusammen. Es kommt ihm vor, als schleiche die Zeit hier langsamer als an andern Orten vorüber, als übereile sich der Wachsthum der Pflanzen eben so wenig wie die Bildung der Gedanken in den Köpfen, als zögen sich die geraden regelmäßigen Furchen des Landmanns auf schwerfälligem Boden dahin.

Gleichwohl, sobald man nur diese unwillkührlichen Empfindungen zerstreut hat, findet sichs, daß Land und Einwohner sich dem Beobachter in einer interessanten, dichterischen Gestalt zeigen, und man fängt an zu fühlen, daß sanfte Seelen und sanfte Phantasieen diese Gefilde verschönerten. Die Landstraßen sind mit Reihen von Obstbäumen besetzt, deren Früchte den Reisenden laben sollen. Die Landschaften längs dem Rheine sind beinahe durchaus herrlich; man sollte sagen, dieser Fluß sey Deutschlands waltender Schutzgeist; seine Gewässer sind rein, schnell, majestätisch, wie das Leben eines Helden im Alterthum. Die Donau zertheilt sich in mehrere Arme; die Fluthen der Elbe und der Spree trüben sich leicht, wenn der Sturm sie aufwühlt; der Rhein allein ist beinahe unveränderlich. Die Gegenden, durch welche er fließt, sind zugleich [24] so ernst und so mannigfaltig, so fruchtbar und einsam, daß man geneigt ist, zu glauben, er selbst habe sie angebaut, ohne alles Zuthun der heutigen Anwohner. Dieser Strom erzählt, im Vorüberfließen, die Großthaten der ehemaligen Zeit, und Herrmann's Schatten scheint noch längs den steilen Ufern einher zu schreiten.

Die gothischen Denkmäler sind die einzig merkwürdigen in Deutschland. Diese Denkmäler erinnern an die Jahrhunderte des Ritterthums; beinahe in allen deutschen Städten stehen in öffentlichen Kunstsälen Ueberbleibsel jener Zeiten aufgestellt. Man sollte glauben, die Bewohner des Nordens, die Welteroberer, hätten, ehe sie Germanien verließen, ihr Andenken unter verschiedenen Gestalten zurückgelassen, und das ganze Land gliche dem Aufenthalte eines großen Volks, das seit langer Zeit weggezogen. In den mehrsten Zeughäusern deutscher Städte findet man gemahlte Rittergestalten von Holz, in völliger Rüstung; Helm, Schild, Schienen, Sporen, alles ist nach alter Weise, und man geht unter diesen stehenden Todten einher, deren aufgehobener Arm den Nachbar zu treffen scheint, der dem Streich mit eingelegter Lanze begegnet. Dieses unbewegliche Bild ehedem so lebhafter Handlungen macht einen peinlichen Eindruck. Eben so hat man nach großen Erderschütterungen verschüttete Menschen ausgegraben, an denen man noch immer den letzten Ausdruck ihres letzten Gedankens deutlich bemerken konnte.

Die neuere Baukunst in Deutschland liefert nichts, der Anführung Würdiges; im Ganzen aber sind die Städte wohl gebaut, und die Eigenthümer verzieren ihre Häuser mit einer Sorgfalt, die an gutmüthige Spielerei gränzt. In manchen Städten sind die Häuser von aussen bunt angemahlt; [25] man stößt auf Heiligenbilder, auf Zierrathe aller Gattung, nicht eben vom besten Geschmack, wodurch aber die Einförmigkeit der Wohnungen unterbrochen und der Wunsch angedeutet wird, bei seinen Mitbürgern und den Fremden sich gefällig zu machen. Der Glanz und die äußere Pracht eines Pallastes verräth die Eigenliebe des Eigenthümers; die sorgsame Verzierung, die Ausschmückung, der gute Wille der kleinen Wohnungen haben etwas Gastfreundliches.

Die Gärten sind in einigen Theilen von Deutschland fast eben so schön als in England. Immer setzt der Luxus der Gärten die Liebe zur Natur zum Voraus. In England stehen einfach gebaute Häuser mitten in den prächtigsten Parks; der Eigenthümer vernachläßigt seine Wohnung und schmückt mit Sorgfalt das Feld. Dieser Verein von Einfachheit und Pracht findet sich, obschon nicht in demselben Grade, in Deutschland wieder; gleichwohl leuchtet bei dem Mangel an großem Reichthum, verknüpft mit dem alten Adelstolz, eine gewisse Vorliebe zum Schönen hervor, welche, später oder früher, Geschmack und Grazie hervorbringen muß, weil sie die wahre Quelle beider ist. Oft stellt man in den prächtigen Gärten deutscher Fürsten, neben mit Blumen umpflanzten Grotten, Aeolsharfen auf, damit der Wind zugleich Töne und Düfte durch die Lüfte herbeiführe. Also sucht die Phantasie der Bewohner des Nordens sich eine italienische Natur nachzubilden; und an einigen glänzenden Tagen des schnell vorübergehenden Sommers gelingt es ihnen wirklich, Täuschung hervorzubringen.