BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Germaine de Staël

1766 -1817

 

Über Deutschland

 

Zweiter Theil. I. Abtheilung.

 

___________________________________________________________

 

 

 

Achtzehntes Capitel.

 

――――――

 

Wallenstein und Maria Stuart.

 

Wallenstein ist unter allen Nationaltragödien, die auf der deutschen Bühne vorgestellt worden sind; die vorzüglichste; Schönheit der Verse, die Größe des Gegenstandes entzückte alle Zuschauer in Weimar, wo sie allererst gegeben wurde, und Deutschland konnte sich rühmen, einen neuen Shakespear zu besitzen. Durch Lessings Tadel des französischen Geschmacks in dramatischen Werken, durch seine Uebereinstimmung mit Diderot in ihren dramatischen Einsichten, war von der deutschen Bühne die Poesie verdrängt worden; die Schauspiele waren dialogisirte Romane, fortgesetzte Auftritte des gemeinen Lebens, mit einiger Zusammendrängung der Vorfälle und Begebenheiten, die gewöhnlich nicht so rasch auf einander folgen.

Schiller kam auf den Gedanken, ein wichtiges Ereigniß aus dem dreißigjährigen Kriege auf die Bühne zu bringen, aus jenem bürgerlichen und Religions-Kriege, der ein mehr als hundertjähriges Gleichgewicht zwischen der katholischen und protestantischen Parthei in Deutschland herbeiführte. Die deutsche Nation ist so unzusammenhängend, daß man nie weiß, ob die Großthaten der einen [39] Hälfte dieser Nation, ein Unglück oder ein Gegenstand des Ruhms für die andre Hälfte sind; nur Schillers Wallenstein hat den Enthusiasmus aller Theile erregt. Der ganze Stoff ist in drei besondere Stücke abgetheilt. Wallensteins Lager, das erste von den dreien, stellt die Wirkungen dar, die der Krieg auf die Masse des Volks und des Heers hervorbringt. Die Piccolomini, das Zweite, giebt die politischen Ursachen an, die den Zwist der Oberhäupter veranlaßten. Das dritte Stück, die Catastrophe, Wallensteins Tod, ist das Resultat des Enthusiasmus und des Neides, welche der große Ruf dieses Feldherrn erregt hatte.

Ich habe den Prolog, Wallensteins Lager, spielen gesehen; man dünkte sich mitten in einem Heere, und zwar in einem Heere von Partheigängern, wo alles weit lebendiger, weit zuchtloser zugeht, als unter regelmäßigen Truppen. Bauern, Recruten, Marketenderinnen, Soldaten, alles trug das Seine zur Wirkung des Schauspieles bei; der Eindruck, den er macht, ist so kriegerisch, daß, als man es in Berlin vor den Offizieren gab, die sich anschickten in den Krieg zu ziehen, von allen Seiten das laute Geschrei des Enthusiasmus erscholl. Es setzt in einem Stubengelehrten eine ungemein rege Einbildungskraft voraus, um sich das Leben und Weben im Feldlager, die Unabhängigkeit, die rauschende Freude mitten unter den Kriegsgefahren, so lebhaft denken und vor Augen stellen zu können. Der von allem entfesselte Krieger, ohne Rückleid und Vorsicht, macht Jahre zum Tag, Tage zum Augenblick, setzt alles, was sein ist, auf einen Wurf, gehorcht dem Ohngefähr im Anführer, und überläßt es dem immer gegenwärtigen Tode, ihn von den Sorgen des Lebens lachend zu befreien. Nichts ist origineller in Wallensteins Lager, als [40] die Erscheinung eines Kapuziners mitten in dem geräuschvollen Haufen der Soldaten, die sich für Verfechter des katholischen Glaubens halten. Der Mönch predigt ihnen die Mäßigung, die Gerechtigkeit in einer Rede voller Wortspiele und Silbenstechereien, die sich von der gewöhnlichen Lagersprache durch nichts unterscheidet, als durch einige biblische Sprüche und lateinische Floskeln; die buntscheckige und soldatische Beredsamkeit des Pfaffen, die rohe ungehobelte Religion seiner Zuhörer, stellt ein auffallendes Schauspiel der Verwirrung und des Widerspruchs auf. Der in Gährung gerathene gesellige Zustand zeigt den Menschen in einem seltsamen Gesichtspunkte, was noch wild in ihm ist; kommt wieder zum Vorschein, und die Spuren der besseren Bildung irren umher, wie die Trümmer eines Schiffes auf den Sturmbewegten Wellen.

Wallensteins Lager ist ein sinnreiches Vorspiel, eine Einleitung zu den beiden übrigen Stücken; es erregt Bewunderung für den Feldherrn, der in aller Soldaten Munde ist, bei ihren Spielen, wie bei ihren Gefahren; und wenn das Trauerspiel selbst angeht, hat man den vorangeschickten Prolog noch in so frischem Andenken, als wäre man Zeuge gewesen von der Geschichte, deren Ausschmückung die Dichtkunst übernommen hat.

Das zweite Stück, die Piccolomini, enthält die Zwiste, die sich zwischen dem Kaiser und seinem Feldherrn, zwischen dem Feldherrn und seinen Mitgeneralen, erhoben haben, als dieser, als Oberhaupt der Armee, dem Gewalthaber, den er vertritt, so wie der Sache, die er verficht, seinen persönlichen Ehrgeiz unterschieben will. Wallenstein kämpft im Namen Oestreichs, gegen die Nationen, die die Reformation in Deutschland einführen wollten; [41] allein, gelockt und verführt durch die Hoffnung, für sich selbst eine unabhängige Gewalt zu begründen, sucht er alle Mittel sich zuzueignen, die er zum allgemeinen Besten anwenden sollte. Die übrigen Anführer widersetzen sich seinen Absichten, nicht aus reiner Tugend, sondern aus Eifersucht; und in diesen gewaltsamen Kämpfen findet man alles, nur keine Menschen, die eigne Meinungen festhalten, und sich für die Sache ihres Gewissens schlagen. Für wen soll man sich denn hier interessiren? wird man fragen. Für das Gemälde der Wahrheit. Vielleicht wird die Kunst verlangen, daß dieses Gemälde auf theatralische Wirkung berechnet sey; gleichwohl ist die Geschichte auf der Bühne immer etwas sehenswürdiges.

Schiller hat nebenbei Rollen eingeschoben und Nahmen erdichtet, die ein Romaninteresse erregen. Er hat Max Piccolomini und Thecla als zwei himmlische Schöpfungen aufgestellt, die alle Stürme der politischen Leidenschaften durchkreuzen, ohne in ihrem Gemüth Liebe und Wahrheit zu gefährden. Thecla ist Wallensteins Tochter, Max der Sohn des treulosen Freundes, der ihn verrieth. Das Engelpaar liebt, sucht und findet sich im Leben und im Tode, wider den Willen der Eltern, des Schicksals, der Welt, nur nicht ihrer Herzen. Beide Wesen erscheinen wie Auserwählte mitten unter den Gräueln des Ehrgeizes; es sind rührende Opfer, die sich der Himmel erkohr; ein schöner Abstich der reinsten Hingebung seiner selbst, mit den Leidenschaften der Menschen , die sich um den Besitz dieser Welt, wie um ihr einziges Loos, streiten!

In dem Stücke, die Piccolomini, ist kein Schluß; es hört auf wie eine unterbrochene Unterhaltung. Franzosen würden sich schwerlich an [42] diese Vorspiele gewöhnen können, deren erstes drollig, das zweite ernsthaft ist, und die beide zusammengenommen, dem eigentlichen Trauerspiele, Wallensteins Tode, zur Einleitung dienen.

Ein talentvoller Schriftsteller hat Schillers Trilogie in ein, der Form und der Regelmäßigkeit nach, französisches Trauerspiel zusammen gedrängt. Die über seine Arbeit gefällten Urtheile, der ihr gewordene Beifall und Tadel, wird uns einen natürlichen Anlaß geben, die Verschiedenheit im deutschen und französischen dramatischen System vollends auseinander zu setzen. Man hat es dem französischen Dichter zum Vorwurf gemacht, in seine Verse nicht genug Poesie gelegt zu haben. Gegenstände aus der Fabel sind des Glanzes der Bilder, des lyrischen Fluges empfänglich; wie könnte man aber, in einem aus der spätern Geschichte entlehnten Stoffe, die Poesie der Beschreibung von Hippolyts Tode erwarten? Der Pomp des Alterthums gehört in die Familie des Minos und des Agamemnon; in Tragödien andrer Gattung wäre diese Pracht lächerlicher Bombast. Es giebt in den historischen Trauerspielen Momente, wo der Geistesschwung sich natürlicher Weise durch eine höhere Poesie ausspricht; von dieser Art ist Wallensteins Traum 1), seine Rede nach der Empörung [43] sein Selbstgespräch vor seinem Tode etc. Nur erfordert das Gewebe sowohl als die Entwickelung des deutschen, wie des französischen Stücks, eine Einfachheit des Stils, wo nur die Reinheit der Sprache, und selten die Pracht und Höhe derselben, fühlbar seyn muß. Wir verlangen in Frankreich, daß nicht allein jede Scene, sondern beinahe jeder Vers, Wirkung mache; dieses ist mit der Wahrheit schlechterdings unvereinbar. Nichts ist leichter zu machen, als sogenannte Prunkverse; die Einfassungen zu diesen Brillanten, die Modelle zu diesen Abgüssen stehen längst da; die Schwierigkeit ist, jedes Einzelne dem Ganzen unterzuordnen, im Ganzen jeden Theil, so wie in jedem Theile den Abglanz des Ganzen wieder zu finden. Die französische Lebhaftigkeit hat dem Ganzen der Theaterstücke eine schnelle überaus angenehme Bewegung mitgetheilt; nur steht sie der Kunstschönheit im Wege, so oft sie auf Kosten des allgemeinen Eindrucks, Triumphe des Augenblicks erringen will. [44]

Neben dieser Ungeduld, die auch den geringsten Aufenthalt nicht erträgt, hat der Franzose eine seltene Geduld für alles, was die Geschicklichkeit zum Gesetz macht; und sobald nur irgend eine Langweil, von welcher Art sie sey, zur Kunstetikette gehört, duldet eben dieser Franzose, der bei dem leisesten Stocken aus der Haut fahren möchte, alles, was man will, aus Ehrfurcht vor der eingeführten Sitte. So sind z. B. in französischen Trauerspielen die erzählenden Einleitungsscenen unentbehrlich, ob sie schon allerdings weit weniger anziehen, als die handelnden Eingangsscenen. Während der Berichtserzählung einer Schlacht sollen einmal italienische Zuschauer gerufen haben: «Den Hintergrund aufgezogen, damit wir die Schlacht selbst sehen!» Wie oft wandelt uns dieser Wunsch in unsern Tragödien an, zu sehen, was wir hören müssen! Der Verfasser des französischen Wallenstein hat die Einleitung, die im Deutschen so kraftvoll ist, und in Wallensteins Lager spielt, in sein Stück, so zu sagen, einschmelzen müssen. Die Würde der ersten Auftritte ist dem imposanten Ton der französischen Tragödie vollkommen angemessen; aber bald treten Spuren der deutschen Unregelmäßigkeit in der Bewegung ein, die sich nie völlig wegräumen und ersetzen läßt.

Eben so hat man dem französischen Verfasser das Doppelinteresse zum Vorwurf gemacht, welches die Liebe Alfreds (Max Piccolomini) zu Thecla, und Wallensteins Empörung dem Stücke geben. In Frankreich muß ein Trauerspiel ganz Liebe oder ganz Politik seyn; man will nichts von gemischtem Inhalte wissen, und vor allem seit einiger Zeit, zumal wenn von Staatsinteresse die Rede ist, begreift man nicht, wie im Gemüth für einen andern Gedanken Raum übrig seyn könnte. Gleichwohl [45] wird das große Gemälde von Wallensteins Abfall vom Kaiser nur dadurch vollständig, daß es die Leiden schildert, die für die Seinigen daraus erwachsen; es ist nichts weniger als gleichgültig, uns zu erinnern, wie sehr öffentliche Angelegenheiten Privatbande und Neigungen zerreissen können; und die Art und Weise, die Politik als eine Welt für sich darzustellen, aus welcher alle Gefühle verbannt sind, ist unmoralisch, hart, und ohne allen dramatischen Effect.

Ein einzelner Umstand ist im französischen Wallenstein getadelt worden. Es ist niemand eingefallen, an der Schönheit des Abschieds Alfreds (Max Piccolomini) von Wallenstein und Thecla zweifeln zu wollen; nur hat man es anstößig gefunden, bei dieser Gelegenheit Musik in einem Trauerspiele zu hören; nichts wäre leichter, als die Trompeten wegzulassen; aber warum sich die Wirkung versagen, die sie machen? Die kriegerische Musik, die in das Feld, die zur Schlacht ruft, rührt hier den Zuschauer, wie sie die Liebenden rührt, die sich nie wiedersehen sollen; sie malt durch ihre Töne die Lage des zerrissenen Herzens; eine neue Kunst verdoppelt den Eindruck, den eine frühere vorbereitet hatte; Klänge und Worte erschüttern wechselsweise unsre Einbildungskraft und unser Gemüth.

Zwei Auftritte ganz neuer Gattung auf unserer Bühne, sind ebenfalls in diesem Stücke den französischen Lesern aufgefallen. In der ersten erkundigt sich Thecla bei dem sächsischen Officier, der die Nachricht, daß Alfred (Max), weil er sterben wollen, geblieben sey, hinterbrachte, nach allen Umständen dieses entsetzlichen Todes; in der zweiten macht sie, nachdem sie ihre Seele mit Schmerz getränkt, den Entschluß bekannt, am Grabe ihres [46] Geliebten zu leben und zu sterben. In beiden Scenen ist jeder Ausdruck, jedes Wort, aus der tiefsten Empfindungsquelle geschöpft; allein man hat behaupten wollen, das dramatische Interesse höre mit der Ungewißheit auf. In Frankreich eilt man, in jeder Gattung der Dichtungen, zum Schluß, sobald die Handlung unwiderruflich zu Ende ist. In Deutschland hingegen fühlt man mehr Neugierde zu wissen, was die Personen empfinden, als was ihnen begegnet; verweilt gern bei einer Lage, die als Handlung vollendet ist, aber als leidendes Gefühl noch fortdauert. Es erfordert einen größern Reichthum von Poesie, von Empfindung, es erfordert eine größere Richtigkeit im Ausdruck, dann noch zu rühren, wenn die Handlung zur Ruhe gebracht worden ist, als wenn sie einer noch immer steigenden Aengstlichkeit Raum giebt; man achtet kaum auf die Worte, wenn die Begebenheiten noch in Ungewißheit schweben: wo aber alles schweigt, nur der Schmerz nicht; wo von außen keine Veränderung eintritt, und das Interesse sich einzig mit dem beschäftiget, was in der Seele vorgeht; da würde der leiseste Anstrich von Künstelei, da würde Ein Wort an unrechter Stelle Herz und Ohr zerreißen, wie ein falscher Ton in einem einfachen melancholischen Liede. Nichts schleicht sich hier unter Vergünstigung des Knalleffects durch; alles gelangt vor den Richterstuhl des Herzens.

Die am allgemeinsten wiederholte Critik des französischen Wallensteins, betrifft den Character Wallensteins; er ist, sagt man, abergläubig, ungewiß, unentschlossen, und stimmt nicht zum Heldenmaße, nach welchem man Rollen dieser Art vorzeichnen und bearbeiten solle. Allein die Franzosen verstopfen sich selbst eine unendliche Quelle von [47] Wirkungen und Rührungen, indem sie die tragischen Charactere, wie die Musiknoten und die Farben des Prisma, auf wenige hervorstechende immer wiederholte Züge beschränken; bei ihnen muß jede ihrer Personen sich nach einem der vornehmsten bekannten Vorbilder modeln. Bei uns, sollte man sagen, ist die Logik die Grundlage aller Künste, und jene wellenartige Natur, von welcher Monta[i]gne spricht, ist aus unsern Tragödien verbannt; sie gestattet nur ganz gute oder ganz arge Gefühle, und doch ist im menschlichen Gemüth nichts von beiden ungemischt.

In Frankreich wird über eine tragische Person wie über einen Staatsminister für und wider gesprochen; man beschwert sich über das, was er thut oder nicht, als hielte man ein Zeitungsblatt in der Hand, das ihm sein Urtheil spricht. Die Absprünge und Widersprüche der Leidenschaften sind auf der französischen Bühne erlaubt, nur nicht die Folgewidrigkeit der Charactere. Da jedermann mehr oder weniger den Gang der Leidenschaften kennt, so ist man auf ihre Irrungen vorbereitet, man begreift so zu sagen ihre Widersprüche im Voraus; dagegen hat der Character immer etwas überraschendes, und läßt sich in keine Regeln einschließen. Bald nähert er sich seinem Ziele; bald entfernt er sich wieder davon. Hat man einmal von jemand in Frankreich gesagt: «Er weiß nicht was er will!» so hört alles Interesse für ihn auf; da es doch gerade der Mensch ist, «der nicht weiß was er will,» in welchem sich die Natur mit einer wahrhaft tragischen Kraft und Unabhängigkeit zeigt.

Shakespeare's Personen erwecken oft in Einem Stücke bei den Zuschauern ganz entgegengesetzte Gefühle. Richard II. erregt, in den ersten drei Acten [48] des Trauerspiels dieses Namens, Widerwillen und Verachtung; dann aber, als ihn das Unglück erreicht hat, als er gezwungen wird im vollen Parlament seinem Feinde den Thron abzutreten, rührt diese Lage und sein dabei bewiesener Muth zu Thränen. Man ehrt in ihm den königlichen Edelsinn, der im Unglück wieder aufblickt, und die Krone scheint aufs neue auf dem Haupte desjenigen zu schweben, dem man sie raubte. Shakespear bedarf nur weniger Worte, das Gemüth seiner Zuhörer zu stimmen, zu lenken, sie vom Haß zum Mitleid überzuführen. Die unzähligen Abweichungen des menschlichen Herzens machen die Quelle unversiegbar, aus welcher das Talent schöpft.

Man wird sagen: in der Wirklichkeit seyen die Menschen unzusammenhängend und abspringend; in der Wirklichkeit finde man die schönsten Eigenschaften mit elenden Fehlern untermischt; nur müsse man dergleichen Charactere und Widersprüche nicht auf die Bühne bringen; nur mache die dramatische Kunst eine schnelle Handlung zur Pflicht; daher könne man in diesem beschränkten Rahmen nur starke Züge und treffende Lagen anbringen. Folgt aber daraus, daß man nicht über Personen hinausgehen dürfe, die so zu sagen, ganz aus dem Guten oder aus dem Bösen gehauen, und zu unveränderlichen Bestandtheilen unserer Trauerspiele gemacht worden sind? Auf welchen Einfluß würde die Bühne in die Moralität der Zuschauer Anspruch machen können, wenn man ihnen bloß eine konventionelle Natur anschaulich machen wollte? Und wenn auf diesem erkünstelten Boden die Tugend immer siegt, das Laster immer bestraft wird, so frägt sichs aufs neue, ob es sich eben so im wirklichen Leben verhält, weil die Menschen, die man auf der Bühne auftreten läßt, von den Menschen [49] auf der großen Weltbühne so ganz verschieden sind?

Der französische Wallenstein würde auf unserm Theater eine sehenswürdige Erscheinung seyn; und eine noch merkwürdigere, wenn sich der Bearbeiter nicht so gar sehr an die französische Regelmäßigkeit gebunden hätte; um aber über eine solche Neuerung unpartheiisch und rein urtheilen zu können, müßte man freilich mit einer Geistesjugend in das Feld der Künste treten, der es um neue Genüsse zu thun wäre. Sich an die classischen Meisterstücke halten, ist eine heilsame Vorschrift für den Geschmack, nur nicht für das Talent; die es aufzureizen, bedarf es unerwarteter Eindrücke; Geisteswerke, die wir von Jugend auf auswendig lernten, werden zur Gewohnheit, und erschüttern unsre Einbildungskraft nicht mehr gewaltsam.

Unter allen deutschen Trauerspielen ist, meinem Urtheil nach, Maria Stuart das rührendste und planmäßigste. Das Schicksal dieser Königin, deren Leben so glänzend und herrlich aufblühte, die ihr Glück durch eigene Schuld verlor, und nach neunzehnjährigem Gefängniß das Blutgerüst betrat, erregt eben so viel Entsetzen und Mitleid, als das Schicksal des Oedip, des Orest und der Niobe; aber die Schönheit selbst dieser Geschichte, die dem Genie so sehr zu statten kommt, würde ein mittelmäßiges Talent erdrücken.

Das Stück beginnt in Fotheringaycastle, wo Maria Stuart verhaftet ist. Neunzehn Jahre sind verflossen, seitdem sie ihrer Freiheit beraubt ward, und der von der Königin Elisabeth ernannte Gerichtshof ist auf dem Punkte, das Urtheil der unglücklichen Königin von Schottland zu fällen. Mariens Amme beschwert sich bei dem Commandanten [50] des Schlosses über die harte Behandlung, worunter ihre Gebieterin seufzet. Dieser, seiner Monarchin mit Treue ergeben, spricht von Maria mit unbiegsamer Strenge. Man findet in ihm einen Biedermann, der aber über Maria urtheilt, wie ihre übrigen Feinde; er spricht von ihrem bevorstehenden Tode, als von einer verdienten Strafe, weil er sie im Verdacht hält, Mordanschläge auf Elisabeths Leben gemacht zu haben.

Schon bei Gelegenheit von Wallensteins Tode, habe ich von dem großen Vorzuge der Einleitungsscenen gesprochen, die sich durch Handlung entwickeln. Man hat alles Mögliche versucht, Vorspiele, Chöre, Vertraute, kurz Alles, um einen Eingang zum Stücke zu finden, der nicht zurückstoßend sey; gleichwohl dünkt michs das beste, gleich in die Handlung überzutreten, und die Hauptperson durch die Wirkung bekannt zu machen, die sie auf ihre Umgebungen hervorbringt. Auf diese Weise stellt man den Zuschauer in den wahren Gesichtspunkt, von welchem er den ganzen Vorgang überschauen soll; denn nur ein einziges Wort in einem Schauspiele, dem man es anhört, daß es dem Publikum galt, für das Publikum gesprochen wurde, stört und zerstört alle Täuschung. Wenn Maria Stuart auftritt, ist man schon gespannt und gerührt; man kennt sie nicht nach einem todten Gemälde, sondern durch den Einfluß, den sie bei Freunden und Feinden hat. Es ist keine kalte Erzählung, der man zuhört; es ist die Begebenheit selbst, deren Zeitgenosse man geworden ist.

Der Character der Maria ist auf eine bewundernswürdige Weise gehalten, und bewirkt ein immer steigendes Interesse. Man liebt und tadelt zugleich in ihr das schwache, leidenschaftliche, über ihre Schönheit stolze, über ihre Handlung reuevolle [51] Weib. Man fühlt Mitleiden mit ihrer Reue, wie mit ihren Fehlern. Ueberall scheint die Herrschaft durch, die ihre so allgemein gerühmte Schönheit unwiderstehlich ausübte. Ein Jüngling, der sie retten will, gesteht ihr, darf ihr gestehen, er opfere sich für sie auf, weil ihre Reize ihn entzückt haben. Elisabeth ist mehr noch ihre Nebenbuhlerin als ihre Feindin; Leicester, Elisabeths Günstling, ist Mariens heimlicher Anbeter geworden, und hat ihr seinen Beistand verheißen. Liebe und Eifersucht, die natürlichen Folgen des magischen Blickes der unglücklichen Maria, machen ihren Tod tausendmal rührender.

Sie liebt Leicester. Die Unglückliche ist verdammt, noch einmal im Leben zu fühlen, was schon so oft Bitterkeit über ihr Leben ausgoß. Ihre beinah übernatürliche Schönheit scheint zugleich die Ursache und die Entschuldigung des bei ihr zur Gewohnheit gewordenen Herzenstaumels zu seyn, der das Unglück und das Verhängnis ihres Lebens war.

Elisabeth zieht ebenfalls viel Aufmerksamkeit auf sich. Nur ist diese Aufmerksamkeit eben so verschieden, als ihr Character. Dieser Character, ein weiblicher Tyrann auf der Bühne, ist eine ganz neue Erscheinung. In Elisabeth führt alles zum Despotismus, was bei andern Frauen seinen Ursprung in der Sklaverei und der Abhängigkeit nimmt, wie z. B. der weibliche Kleinigkeitsgeist, die weibliche Eitelkeit, die weibliche Gefallsucht; in Elisabeth wird die Verstellungsgabe, das gewöhnliche Kind der Schwäche, zu einem der Hauptwerkzeuge ihrer unumschränkten Gewalt. Um die Männer zu unterjochen, muß man sie betrügen; eine höfliche Lüge ist das wenigste, was man ihnen auf diesen Fall schuldig ist. Was aber [52] Elisabeth characterisirt, ist die Sucht zu gefallen, verbunden mit dem ganzen Willen des Despoten, und die feinste weibliche Eigenliebe, in den gewaltsamsten Handlungen der Oberherrschaft sich äußernd. Selbst die Höflinge verbergen, wo eine Königin den Zepter führt, ihre Kriecherei vor dem Throne, hinter den Schleier des Hofmachens; sie möchten sich gern bereden, daß sie es wagen, sie zu lieben, um in ihren Gehorsam mehr Edelsinn legen, und der knechtischen Furcht des Unterthanen die Farbe eines ritterlichen Dienstes seiner Dame anlegen zu können.

Elisabeth war ein Weib von seltenem Genie: dies bezeugt der Glanz ihrer Regierung; gleichwohl kann man in einem Trauerspiel, wo Maria stirbt, nichts anders in ihr sehen, als die Nebenbuhlerin, die ihre Gefangene ermorden läßt; ihr Verbrechen ist zu schwarz, um nicht alles Gute auszulöschen, was sich über ihr politisches Genie sagen ließe. Es wäre vielleicht ein Verdienst mehr in Schillers Werk gewesen, wenn er Elisabeth weniger hassenswürdig gemacht hätte, ohne Marien etwas in ihrem Interesse zu nehmen; in leichtschattierten Contrasten liegt oft mehr Kunst als in ausgesprochenen Extremen; die Hauptperson gewinnt dabei, daß keine der Nebenfiguren des dramatischen Gemäldes ihr aufgeopfert werde.

Leicester hat Elisabeth zu einer Zusammenkunft mit Maria beredet, er hat ihr den Vorschlag gethan, auf einer Jagd im Park des Schlosses von Fotheringay zu verweilen, wo Maria zu eben der Zeit Erlaubniß erhalten hatte, zu lustwandeln. Elisabeth ist's zufrieden; und der dritte Act hebt mit der rührenden Freude der Maria über den Genuß an, nach neunzehnjähriger Gefangenschaft freie Luft athmen zu können: alle Gefahren, die [53] ihr bevorstehn, sind vor ihr entschwunden; vergebens erinnert ihre Amme sie daran, um die Ausbrüche ihrer Leidenschaft zu mäßigen. Maria hat im Angesicht der Sonne, im Schooße der Natur alles vergessen. Sie hat beim Anblick der Blumen, der Bäume, der Vögel, der ihr so neu ist, das Glück ihrer Kindheit wiedergefunden; der namenlose Eindruck alltäglicher Gegenstände, die durch eine lange Entbehrung zu Wundern einer andern Welt geworden sind, malt sich in dem berauschenden Entzücken der unglücklichen Dulderin.

Die Erinnerung an Frankreich ergreift ihr Herz.

 

Eilende Wolken! Segler der Lüfte!

Wer mit euch wanderte, mit euch schiffte!

Grüßet mir freundlich mein Jugendland!

Ich bin gefangen, ich bin in Banden,

Ach! ich hab' keinen andern Gesandten!

Frei in Lüften ist eure Bahn;

Ihr seyd nicht dieser Königin unterthan.

 

In der Ferne sieht sie einen Fischer, der den Nachen anlegt. Gleich hofft sie, dieses elende Werkzeug könne sie retten; alles trägt für sie die Farbe der Hoffnung, von dem Augenblick an, wo sie das Himmelblau sah.

Noch weiß sie nicht, daß ihr diese Freiheit zu Theil ward, damit sie der Elisabeth begegnen könne; jetzt hört sie Jagdmusik, und die Vergnügungen ihrer Jugend malen sich mit diesen Tönen vor ihre lebhafte Einbildungskraft.

 

Hörst du das Hifthorn? Hörst du's klingen?

Ach, auf das muthige Roß mich zu schwingen,

An den fröhlichen Zug mich zu reihn! –

 

Das Glücksgefühl lebt von neuem in ihr auf, ohne allen Grund, ohne alles Motiv, nur weil bei bevorstehendem großem Unglück das Herz gewöhnlich [54] neu athmet und neue Kräfte sammelt, wie der Sterbende kurz vor dem letzten Todeskampf sich augenblicklich leichter und besser fühlt.

Man meldet der Königin Maria, daß Elisabeth in der Nähe sey. Maria hatte um eine Zusammenkunft gebeten; aber jetzt ist sie auf den Augenblick nicht gefaßt, nicht vorbereitet; er ist ihr schrecklich, fürchterlich. Elisabeth erscheint, Leicester ist mit ihr; somit werden alle Leidenschaften in Maria zugleich aufgeregt. Sie hält einige Zeit an sich, aber Elisabeth reizt sie durch schnöde Verachtung, und beide feindliche Königinnen überlassen sich zuletzt ihrem gegenseitigen Hasse. Elisabeth wirft Marien ihre Vergehungen, Maria der Elisabeth ihre zweifelhafte Geburt und Heinrichs VIII. Argwohn auf ihre Mutter vor. Dieser Auftritt ist vorzüglich schön, eben weil die Wuth beide Königinnen aus den Schranken ihrer natürlichen Würde hinausrückt. Die Königinnen sind verschwunden; es sind zwei Weiber, zwei Nebenbuhlerinnen in der Schönheit, nicht in der Gewalt; die eine ist nicht Beherrscherin, die andere nicht Gefangene mehr; und obschon es in der Macht der einen steht, die andere aufs Blutgerüst zu schicken, so genießt doch die Schönste von beiden, die die Mittel zu gefallen am meisten in ihrer Gewalt hat, den Triumph, die allmächtige Elisabeth vor Leicesters Augen zu erniedrigen, sie vor den Augen des Liebhabers, der beiden so theuer ist, in den Staub zu treten.

Was dieser Lage Werth unendlich erhöht, ist die Furcht, die man bei jedem gereizten Worte empfindet, daß Marien entfährt; und von dem Augenblick an, wo sie sich von dem Strom ihrer Wuth hinreißen läßt, schaudert man bei jedem Schmähworte, dessen fürchterliche Folgen man vor [55] Augen sieht, vor Entsetzen zurück, als wäre man schon Zeuge ihres Todes.

Als Elisabeth nach geendigter Unterredung nach London zurückgeht, versuchen die Anhänger der katholischen Parthei einen Anschlag auf ihr Leben auszuführen. Er mißlingt; Talbot, der tugendhafteste ihrer Freunde, entwaffnet den Meuchelmörder, und das Volk verlangt mit lautem Geschrei den Tod der Maria. Hier ist ein unvergleichlicher Auftritt. Der Lord Kanzler Burleigh dringt in Elisabeth, daß sie Mariens Todesurtheil unterschreibe. Talbot, der so eben die Königin vom Tode gerettet, wirft sich ihr zu Füßen, und fleht um Gnade für ihre Feindin.

 

Ich will die Stimme der Gerechtigkeit

Jetzt nicht erheben, jetzt ist nicht die Zeit,

Du kannst in diesem Sturme sie nicht hören.

Dieß eine nur vernimm! Du zitterst jetzt

Vor dieser lebenden Maria. Nicht

Die lebende hast du zu fürchten. Zittre vor

Der Todten, der Enthaupteten. Sie wird

Vom Grab' erstehen, eine Zwietrachtsgöttin,

Ein Rachegeist in deinem Reich herumgehn,

Und deines Volkes Herzen von dir wenden.

Jetzt haßt der Britte die gefürchtete,

Er wird sie rächen, wenn sie nicht mehr ist.

Nicht mehr die Feindin seines Glaubens, nur

Die Enkeltochter seiner Könige,

Des Hasses Opfer und der Eifersucht

Wird er in der bejammerten erblicken!

Schnell wirst du die Veränderung erfahren.

Durchziehe London, wenn die blut'ge That

Geschehen, zeige dich dem Volk, das sonst

Sich jubelnd um dich her ergoß, du wirst

Ein andres England sehn, ein andres Volk,

Denn dich umgiebt nicht mehr die herrliche

Gerechtigkeit, die alle Herzen dir

Besiegte! Furcht, die schreckliche Begleitung

Der Tyrannei, wird schaudernd vor dir herziehn,

Und jede Straße, wo du gehst, veröden. [56]

Du hast das letzte, äußerste gethan,

Welch Haupt steht fest, wenn dieses heil'ge fiel!

 

Die Antwort der Elisabeth auf diese Anrede ist ausnehmend fein und geschickt angelegt. Ein Mann, in einer ähnlichen Lage, würde unbezweifelt sich der Lüge bedient haben, um die Ungerechtigkeit zu bemänteln; Elisabeth geht weiter; sie will, indem sie sich der Rache hingiebt, Interesse für sich erwecken; indem sie die grausamste Handlung begeht, ein Mitleidsgefühl für sich rege machen. Sie spielt, wenn ich mich so ausdrücken darf, das Spiel einer blutdürstigen Coketterie, und der Character des Weibes blickt aus dem des Tyrannen vor.

 

Ach Shrewsbury! Ihr habt mir heut das Leben

Gerettet, habt des Mörders Dolch von mir

Gewendet - Warum ließet ihr ihm nicht

Den Lauf? So wäre jeder Streit geendigt,

Und alles Zweifels ledig, rein von Schuld,

Läg' ich in meiner stillen Gruft! Fürwahr,

Ich bin des Lebens und des Herrschens müd'.

Muß eine von uns Königinnen fallen,

Damit die andre lebe – und es ist

Nicht anders, das erkenn' ich – kann denn ich

Nicht die seyn, welche weicht? Mein Volk mag wählen.

Ich geb' ihm seine Majestät zurück.

Gott ist mein Zeuge, daß ich nicht für mich,

Nur für das Beste meines Volks gelebt.

Hofft es von dieser schmeichlerischen Stuart,

Der jüngern Kön'gin, glücklichere Tage,

So steig' ich gern von diesem Thron und kehre

In Woodstocks stille Einsamkeit zurück,

Wo meine anspruchlose Jugend lebte,

Wo ich, vom Tand der Erdengröße fern,

Die Hoheit in mir selber fand. Bin ich

Zur Herrscherin doch nicht gemacht! Der Herrscher

Muß hart seyn können, und mein Herz ist weich.

Ich habe diese Insel lange glücklich

Regiert, weil ich nur brauchte zu beglücken.

Es kommt die erste schwere Königspflicht,

Und ich empfinde meine Ohnmacht. – [57]

 

Bei diesen Worten unterbricht Burleigh die Königin, und macht ihr alles zum Vorwurf, worüber sie getadelt seyn will, ihre Schwäche, ihre Nachsicht, ihr Mitleid; er scheint Muth zu haben, weil er Kraft in die Forderung legt, die er an die Monarchin thut; denn diese Forderung enthält noch mehr ihren Wunsch als den seinigen. Mit der Schmeichelei im barschen rauhen Gewande des Tadels bringt man es insgemein weiter, als mit der süßlichen; und der Hofmann, der sich das Ansehen geben kann, er spreche aus der Fülle des Herzens, wenn, was er sagt, tief überlegt und fein abgewogen ist, gehört zu den ausgelernten.

Elisabeth unterschreibt endlich das Todesurtheil. Sie ist allein mit dem Geheimschreiber, und die weibliche Schüchternheit, die ihr mitten in der Festigkeit des Despotismus anklebt, erweckt in ihr den Wunsch: möchte doch dieses untergeordnete Werkzeug deiner Befehle die Verantwortlichkeit der Sache über sich nehmen! Der Schreiber ist nicht so scharfsinnig; er dringt in die Königin, bittet um eine Erklärung, um den Befehl, das Urtheil vollstrecken zu lassen. Sie verweigert sie mit den Worten: «Thut, was eures Amts ist,» geht ab, und läßt den Unglücklichen rathlos, zweifelnd stehen. Der Kanzler Burleigh kommt dazu, entreißt ihm das Papier, und macht seiner Unschlüssigkeit ein Ende.

Der Graf Leicester ist in die Sache hineingezogen; Mariens Freunde hatten ihn zu ihrer Rettung aufgefordert. Er erfährt, daß er bei Elisabeth angegeben ist, und ergreift plötzlich den gräßlichen Entschluß, von Maria abzuspringen, und mit eben so viel Keckheit als List, der Königin Elisabeth einen Theil der Geheimnisse zu verrathen, die ihm seine unglückliche Freundin anvertraut [58] hat. Seine niederträchtigen Lügen und Entdeckungen überzeugen Elisabeth nur halb; sie verlangt von ihm, er solle Maria aufs Blutgerüst begleiten, zum Beweise, daß er sie nicht liebe. Diese Eifersucht als Weib, in einem Todesurtheil als Monarchin, muß Leicester mit Haß und Verachtung gegen sie erfüllen; gleichwohl muß er hier vor der Königin zittern, obschon die Natur ihn zu ihrem Gebieter machte; und dieser seltsame Contrast schafft eine ganz eigne Situation; die aber, so wie alles übrige, dem fünften Acte weit nachsteht. Ich habe in Weimar einer Vorstellung der Maria Stuart beigewohnt, und kann noch immer nicht ohne die tiefste Rührung an die erste Hälfte dieses Acts zurückdenken.

Zuerst treten die Frauen der Maria, in tiefe Trauer gekleidet, mit verweinten Augen auf. Ihre alte Amme, mit großem, aber stillem Schmerz, trägt das Schmuckkästchen der Königin, welches sie, auf ihren Befehl, unter ihre Frauen vertheilen soll. Sir Paulet, der Hüter Maria's, und viele Bediente, gleichfalls in schwarzen Kleidern, treten ein, und füllen das Zimmer an. Melvil, ehemaliger Haushofmeister der Königin, ist so eben aus Rom gekommen. Die Amme empfängt ihn mit Rührung, beschreibt ihm den Muth der Maria, die in diesem entscheidenden Augenblicke, gesammelt und gefaßt, einzig mit dem Heil ihrer Seele beschäftiget ist. Nur ein Kummer nagt an ihrem Herzen; sie entbehrt eines Priesters, der ihr das Nachtmahl reichen, und sie von ihren Sünden loßbinden kann. Die Amme erzählt ferner, wie ein Pochen in der Nacht ihr Ohr erschreckt hat; wie beide gehofft, es sey der kecke Versuch ihrer Freunde, sie zu retten; wie sie plötzlich erfahren, daß, zu ihren [59] Füßen, die Zimmer das Gerüst aufschlügen. – Melvil fragt: wie Maria diesen Wechsel ertragen? Die Amme erwiedert: der Königin sey nichts schmerzhafter gewesen, als Lord Leicesters schändlicher Verrath. Da flossen ihre Thränen, setzt sie hinzu: doch bald war auch dieser Schmerz überwunden, und die Ruhe und Würde, die einer Königin ziemen, kehrten wieder zurück.

Mariens Frauen gehen aus und ein, um gegebene Befehle auszurichten. Die eine bringt einen goldenen Becher mit Wein, den Maria verlangt hat, um sich zum letzten Gange zu stärken, und setzt ihn zitternd auf den Tisch. Eine zweite tritt todtenbleich herein, sie hat unten im Vorbeigehn das schwarzbehangne Zimmer halb offen, das Gerüst, den Block, das Beil gesehn. Das Entsetzen der Zuschauer hat beinahe schon den höchsten Grad erreicht, als Maria im höchsten Schmuck der königlichen Pracht erscheint; sie allein ist weiß und festlich gekleidet, hat ein Crucifix in der Hand, ein Diadem in den Haaren; ihr Auge glänzt von der himmlischen Verzeihung, die sie durch ihre Leiden erworben.

Mit ruhiger Hoheit im ganzen Kreise herumsehend, tröstet sie ihre schluchzenden Frauen:

 

Was klagt ihr? Warum weint ihr? Freuen solltet

Ihr euch mit mir, daß meiner Leiden Ziel

Nun endlich naht, daß meine Bande fallen,

Mein Kerker aufgeht, und die frohe Seele sich

Auf Engelsflügeln schwingt zur ew'gen Freiheit.

Da, als ich in die Macht der stolzen Feindin

Gegeben war, Unwürdiges erduldend,

Was einer freien großen Königin

Nicht ziemt, da war es Zeit, um mich zu weinen!

– Wohlthätig, heilend, nahet mir der Tod,

Der ernste Freund! Mit seinen schwarzen Flügeln

Bedeckt er meine Schmach – Den Menschen adelt,

Den tiefgesunkenen, das letzte Schicksal. [60]

Die Krone fühl' ich wieder auf dem Haupt,

Den würd'gen Stolz in meiner edeln Seele!

 

Indem sie einige Schritte weiter vortritt, bemerkt sie Melvil, und freut sich, daß ein Freund, ein Bekenner ihres Glaubens, ihr als Zeuge dasteht in der Todesstunde. Sie erkundigt sich bei ihm nach ihren theuern Blutsverwandten in Frankreich, nach ihren alten Dienern, und legt die letzten Wünsche für die Ihrigen in seine treue Brust.

 

Ich segne meinen Oehm, den Kardinal,

Und Heinrich Guise, meinen edlen Vetter.

Ich segne auch den Papst, den heiligen

Statthalter Christi, der mich wieder segnet,

Und den kathol'schen König, der sich edelmüthig

Zu meinem Retter, meinem Rächer anbot –

Sie alle stehn in meinem Testament,

Sie werden die Geschenke meiner Liebe,

Wie arm sie sind, darum gering nicht achten.

 

Sich dann zu ihren Dienern wendend, fährt sie fort:

 

Euch hab' ich meinem königlichen Bruder

Von Frankreich anempfohlen, er wird sorgen

Für euch, ein neues Vaterland euch geben,

Und ist euch meine letzte Bitte werth,

Bleibt nicht in England, daß der Britte nicht

Sein stolzes Herz an eurem Unglück weide,

Nicht die im Staube seh', die mir gedient.

Bei diesem Bildniß des Gekreuzigten

Gelobet mir, dies unglücksel'ge Land

Alsbald, wenn ich dahin bin, zu verlassen!

 

Melvil berührt das Crucifix und spricht:

 

Ich schwöre dir's, im Namen dieser aller.

 

Jetzt theilt die Königin ihren Schmuck, ihre Kostbarkeiten, unter ihre Frauen aus. Ueberaus rührend ist, was sie zu jeder besonders spricht, über ihre Gemüthsart, ihre Neigungen; wie sie einer jeden den herzlichsten Rath auf den Weg giebt. Besonders großmüthig und edel zeigt sie sich gegen eine derselben, deren Mann, Mariens [61] Schreiber, gegen die Königin fälschlich bezeugt hatte; sie übernimmt es selbst, die Unglückliche zu trösten; sie will des Gatten Schuld an ihr nicht rächen. Und nun, indem sie sich an ihre treue Hanna wendet:

 

Dich, meine treue Hanna, reizet nicht

Der Werth des Goldes, nicht der Steine Pracht,

Dir ist das höchste Kleinod mein Gedächtniß.

Nimm dieses Tuch! Ich hab's mit eigner Hand

Für dich gestickt in meines Kummers Stunden,

Und meine heißen Thränen eingewoben.

Mit diesem Tuch wirst du die Augen mir verbinden,

Wenn es so weit ist – diesen letzten Dienst

Wünsch' ich von meiner Hanna zu empfangen.

 

Endlich ruft sie:

 

Kommt alle!

Kommt und empfangt mein Lebewohl!

 

reicht allen die Hand, und spricht:

 

Leb' wohl, MargrethaAlix, lebe wohl –

Dank Burgoyn, für eure treuen Dienste –

Dein Mund brennt heiß, Gertrude – Ich bin viel

Gehasset worden, doch auch viel geliebt!

Ein edler Mann beglücke meine Gertrud,

Denn Liebe fordert dieses glüh'nde Herz –

Bertha! du hast das beste Theil erwählt,

Die keusche Braut des Himmels willst du werden!

O eile, dein Gelübde zu vollziehn!

Betrüglich sind die Güter dieser Erden,

Das lern' an deiner Königin! – Nichts weiter!

Lebt wohl! Lebt wohl! Lebt ewig wohl!

 

Im folgenden Auftritt bleibt Maria allein mit Melvil. Dieser Auftritt ist von unbeschreiblicher Wirkung obschon nicht zu leugnen ist, daß ihn mancher Tadel treffen kann. Maria hat alles Zeitliche berichtigt; eins nur ist, was ihrer beklemmten Seele Kummer macht; sie steht an dem Rande der Ewigkeit, und ihr ist, zur Versöhnung mit Gott, ein Priester ihrer Kirche versagt. Melvil spricht ihr Beruhigung zu. [62]

 

Ich bin ein Priester, deine letzte Beichte

Zu hören, dir auf deinem Todesweg

Den Frieden zu verkündigen, hab' ich

Die sieben Weih'n auf meinem Haupt empfangen,

Und diese Hostie überbring' ich dir

Vom heil'gen Vater, die er selbst geweihet.

 

O so muß, ruft Maria mit Entzücken aus:

 

O so muß an der Schwelle selbst des Todes

Mir noch ein himmlisch Glück bereitet seyn!

Wie ein Unsterblicher auf goldnen Wolken

Herniederfährt, wie den Apostel einst

Der Engel führte aus des Kerkers Banden,

Ihn hält kein Riegel, keines Hüters Schwerdt,

Er schreitet mächtig durch verschloßne Pforten,

Und im Gefängniß steht er glänzend da,

So überrascht mich hier der Himmelsbote,

Da jeder ird'sche Retter mich getäuscht!

– Und ihr, mein Diener einst, seid jetzt der Diener

Des höchsten Gottes, und sein heil'ger Mund!

Wie eure Kniee sonst vor mir sich beugten,

So lieg' ich jetzt im Staub vor euch.

 

Die schöne, die königliche Maria sinkt hier vor Melvil nieder, und Melvil, ihr Diener, mit aller Würde der Kirche angethan, läßt sie zu seinen Füßen liegen, und befrägt sie:

(Nicht zu vergessen, daß Melvil sie des letzten Anschlags gegen das Leben der Elisabeth bewußt und schuldig hält. Ferner ist zu bemerken, daß das Folgende nur zum Lesen, nicht zum Darstellen, sich eignet, und daß auf den meisten deutschen Bühnen, die Handlung des heil. Abendmahls wegfällt.)

 

Melvil.

(indem er das Zeichen des Kreuzes über sie macht)

Im Namen

Des Vaters und des Sohnes und des Geistes!

Maria, Königin! Hast du dein Herz

Erforschet, schwörst du, und gelobest du

Wahrheit zu beichten vor dem Gott der Wahrheit? [63]

 

Maria.

Mein Herz liegt offen da vor dir und ihm.

 

Melvil.

Sprich, welcher Sünde zeiht dich dein Gewissen,

Seitdem du Gott zum letztenmal versöhnt?

 

Maria.

Von neid'schem Hasse war mein Herz erfüllt,

Und Rachgedanken tobten in dem Busen.

Vergebung hofft' ich Sünderin von Gott,

Und konnte nicht der Gegnerin vergeben.

 

Melvil.

Bereuest du die Schuld, und ist's dein ernster

Entschluß, versöhnt aus dieser Welt zu scheiden?

 

Maria.

So wahr ich hoffe, daß mir Gott vergebe.

 

Melvil.

Welch' andrer Sünde klagt das Herz dich an?

 

Maria.

Ach, nicht durch Haß allein, durch sünd'ge Liebe

Noch mehr hab' ich das höchste Gut beleidigt.

Das eitle Herz ward zu dem Mann gezogen,

Der treulos mich verlassen und betrogen!

 

Melvil.

Bereuest du die Schuld, und hat dein Herz

Vom eiteln Abgott sich zu Gott gewendet?

 

Maria.

Es war der schwerste Kampf, den ich bestand,

Zerrissen ist das letzte ird'sche Band.

 

Melvil.

Welch and'rer Schuld verklagt dich dein Gewissen?

 

Maria.

Ach, eine frühe Blutschuld, längst gebeichtet,

Sie kehrt zurück mit neuer Schreckenskraft,

Im Augenblick der letzten Rechenschaft,

Und wälzt sich schwarz mir vor des Himmels Pforten.

Den König, meinen Gatten, ließ ich morden,

Und dem Verführer schenkt' ich Herz und Hand!

Streng büßt' ichs ab mit allen Kirchenstrafen,

Doch in der Seele will der Wurm nicht schlafen. [64]

 

Melvil.

Verklagt das Herz dich keiner andern Sünde,

Die du noch nicht gebeichtet und gebüßt?

 

Maria.

Jetzt weißt du alles, was mein Herz belastet.

 

Melvil.

Denk' an die Nähe des Allwissenden!

Der Strafen denke, die die heil'ge Kirche

Der mangelhaften Beichte droht: Das ist

Die Sünde zu dem ew'gen Tod, denn das

Ist wider seinen heil'gen Geist gefrevelt!

 

Maria.

So schenke mir die ew'ge Gnade Sieg

Im letzten Kampf, als ich dir wissend nichts verschwieg.

 

Melvil.

Wie? deinem Gott verhehlst du das Verbrechen,

Um dessentwillen dich die Menschen strafen?

Du sagst mir nichts von deinem blut'gen Antheil

An Babingtons und Parrys Hochverrath?

Zeitlichen Tod stirbst du für diese That,

Willst du auch noch den ew'gen dafür sterben?

 

Maria.

Ich bin bereit zur Ewigkeit zu gehn;

Noch eh' sich der Minutenzeiger wendet,

Werd' ich vor meines Richters Throne stehn,

Doch wiederhol' ichs, meine Beichte ist vollendet.

 

Melvil.

Erwäg' es wohl. Das Herz ist ein Betrüger.

Du hast vielleicht mit list'gem Doppelsinn

Das Wort vermieden, das dich schuldig macht,

Obgleich der Wille das Verbrechen theilte.

Doch wisse, keine Gaukelkunst berückt

Das Flammenauge, das ins Inn're blickt!

 

Maria.

Ich habe alle Fürsten aufgeboten,

Mich aus unwürd'gen Banden zu befrein,

Doch nie hab' ich durch Vorsatz oder That

Das Leben meiner Feindin angetastet!

 

Melvil.

So hätten deine Schreiber falsch gezeugt? [65]

 

Maria.

Wie ich gesagt, so ists. Was jene zeugten,

Das richte Gott!

 

Melvil.

So steigst du, überzeugt

Von deiner Unschuld, auf das Blutgerüste?

 

Maria.

Gott würdigt mich, durch unverdienten Tod

Die frühe schwere Blutschuld abzubüßen.

 

Melvil.

(macht den Segen über sie),

So gehe hin, und sterbend büße sie!

Sink' ein ergebnes Opfer am Altare,

Blut kann versöhnen, was das Blut verbrach,

Du fehltest nur aus weiblichem Gebrechen,

Dem sel'gen Geiste folgen nicht die Schwächen

Der Sterblichkeit in die Verklärung nach.

Ich aber künde dir, kraft der Gewalt,

Die mir verliehen ist, zu lösen und zu binden,

Erlassung an von allen deinen Sünden!

Wie du geglaubet, so geschehe dir!

 

(Er reicht ihr die Hostie.)

 

Nimm hin den Leib, er ist für dich geopfert!

 

(Er ergreift den Kelch, der auf dem Tische steht, consekrirt ihn

mit stillem Gebet, dann reicht er ihr denselben. Sie zögert,

ihn anzunehmen, und weist ihn mit der Hand zurück.)

 

Nimm hin! Der Papst erzeigt dir diese Gunst!

Im Tode noch sollst du das höchste Recht

Der Könige, das priesterliche, üben!

 

(Sie empfängt den Kelch.)

 

Und wie du jetzt dich in dem ird'schen Leib

Geheimnißvoll mit deinem Gott verbunden,

So wirst du dort in seinem Freudenreich,

Wo keine Schuld mehr seyn wird, und kein Weinen,

Ein schön verklärter Engel, dich

Auf ewig mit dem Göttlichen vereinen.

 

(Er setzt den Kelch nieder. Auf ein Geräusch, das gehört wird,

bedeckt er sich das Haupt, und geht an die Thüre, Maria

bleibt in stiller Andacht auf den Knieen liegen) [66]

 

Melvil (zurückkommend)

Dir bleibt ein harter Kampf noch zu bestehn.

Fühlst du dich stark genug, um jede Regung

Der Bitterkeit, des Hasses zu besiegen?

 

Maria.

Ich fürchte keinen Rückfall. Meinen Haß

Und meine Liebe hab' ich Gott geopfert.

 

Melvil.

Nun so bereite dich, die Lords von Lester

Und Burleigh zu empfangen. Sie sind da.

 

Leicester bleibt ganz in der Entfernung stehen, ohne die Augen

aufzuschlagen. Burleigh, der seine Fassung beobachtet, tritt

zwischen ihn und die Königin.

 

Burleigh.

Ich komme, Lady Stuart, eure letzten

Befehle zu empfangen.

 

Maria.

Dank, Milord!

 

Burleigh.

Es ist der Wille meiner Königin,

Daß euch nichts billiges verweigert werde.

 

Maria.

Mein Testament nennt meine letzten Wünsche.

Ich habs in Ritter Paulets Hand gelegt,

Und bitte, daß es treu vollzogen werde.

 

Paulet.

Verlaßt euch drauf.

 

Maria.

Ich bitte, meine Diener ungekränkt

Nach Schottland zu entlassen, oder Frankreich,

Wohin sie selber wünschen und begehren.

 

Burleigh.

Es sey, wie ihr es wünscht. [67]

 

Maria.

Und weil mein Leichnam

Nicht in geweihter Erde ruhen soll,

So dulde man, daß dieser treue Diener

Mein Herz nach Frankreich bringe zu den Meinen.

– Ach! Es war immer dort!

 

Burleigh.

Es soll geschehn!

Habt ihr noch sonst –

 

Maria.

Der Königin von England

Bringt meinen schwesterlichen Gruß – Sagt ihr,

Daß ich ihr meinen Tod von ganzem Herzen

Vergebe, meine Heftigkeit von gestern

Ihr reuevoll abbitte – Gott erhalte sie,

Und schenk' ihr eine glückliche Regierung!

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

– Ich bin mit meinem Gott versöhnt! –

 

(Hanna und die andern Frauen der Königin dringen herein

mit Zeichen des Entsetzens, ihnen folgt der Sherif).

 

Maria.

Was ist dir, Hanna? – Ja, nun ist es Zeit!

Hier kommt der Sherif, uns zum Tod zu führen.

Es muß geschieden seyn! lebt wohl!

 

(Ihre Frauen hängen sich an sie mit heftigem Schmerz;

zu Melvil).

 

Ihr, werther Sir, und meine treue Hanna,

Sollt mich auf diesem letzten Gang begleiten.

Milord versagt mir diese Wohlthat nicht!

 

Burleigh.

Ich habe dazu keine Vollmacht.

 

Maria.

Wie?

Die kleine Bitte könntet ihr mir weigern?

Habt Achtung gegen mein Geschlecht! Wer soll

Den letzten Dienst mir leisten! Nimmermehr

Kann es der Wille meiner Schwester seyn,

Daß mein Geschlecht in mir beleidigt werde,

Der Männer rohe Hände mich berühren! [68]

 

Burleigh.

Es darf kein Weib die Stufen des Gerüstes

Mit euch besteigen – Ihr Geschrei und Jammern –

 

Maria.

Sie soll nicht jammern! Ich verbürge mich

Für die gefaßte Seele meiner Hanna!

Seid gütig, Lord. O trennt mich nicht im Sterben

Von meiner treuen Pflegerin und Amme!

Sie trug auf ihren Armen mich ins Leben,

Sie leite mich mit sanfter Hand zum Tod.

 

Paulet (zu Burleigh.)

Laßt es geschehn.

 

Burleigh.

Es sey.

 

Maria.

Nun hab' ich nichts mehr

Auf dieser Welt –

 

(Sie nimmt das Crucifix, und küßt es).

 

Mein Heiland! Mein Erlöser!

Wie du am Kreuz die Arme ausgespannt,

So breite sie jetzt aus, mich zu empfangen.

 

(Sie wendet sich zu gehen, in diesem Augenblick begegnet ihr

Auge dem Grafen Leicester, der bei ihrem Aufbruch

unwillkührlich aufgefahren, und nach ihr hingesehen. –

Bei diesem Anblick zittert Maria, die Knie versagen ihr, sie ist

im Begriff hinzusinken, da ergreift sie Graf Leicester, und

empfängt sie in seinen Armen. Sie sieht ihn eine Zeitlang ernst

und schweigend an, er kann ihren Blick nicht aushalten,

endlich spricht sie).

 

Ihr haltet Wort, Graf Lester – Ihr verspracht

Mir euren Arm, aus diesem Kerker mich

Zu führen, und ihr leihet mir ihn jetzt!

 

(Er steht wie vernichtet. Sie fährt mit sanfter Stimme fort).

 

Ja, Lester, und nicht bloß

Die Freiheit wollt ich eurer Hand verdanken.

Ihr solltet mir die Freiheit theuer machen,

An eurer Hand, beglückt durch eure Liebe,

Wollt' ich des neuen Lebens mich erfreun.

Jetzt, da ich auf dem Weg bin, von der Welt

Zu scheiden, und ein sel'ger Geist zu werden,

Den keine ird'sche Neigung mehr versucht,

Jetzt, Lester, darf ich ohne Schaamerröthen[69]

Euch die besiegte Schwachheit eingestehn –

Lebt wohl, und wenn ihr könnt, so lebt beglückt!

Ihr durftet werben um zwei Königinnen,

Ein zärtlich liebend Herz habt ihr verschmäht,

Verrathen, um ein stolzes zu gewinnen,

Knieet zu den Füßen der Elisabeth!

Mög' euer Lohn nicht eure Strafe werden!

Lebt wohl! – Jetzt hab' ich nichts mehr auf der Erden!

 

Nach dem Abgang der Maria, bleibt Leicester allein. Scham und Verzweiflung machen ihn sprachlos; endlich stammelt er Worte, bricht in Vorwürfe gegen sich aus; jetzt lauscht er, horchet, hört was unter ihm vorgeht, und wie das Beil fällt, zuckt er zusammen und sinkt ohnmächtig nieder. Später im Stücke erfährt man, daß er zu Schiffe und nach Frankreich gegangen. Elisabeth verliert ihren Geliebten, und dieser Verlust ist die erste Strafe ihrer Blutschuld.

Ich werde nun noch über diese unvollkommene Zergliederung eines Stücks, dem die Harmonie und der Reiz der Verse einen neuen ungemeinen Werth beilegt, einige Anmerkungen machen. Ich weiß nicht, ob man es sich in Frankreich erlauben würde, eine an sich entschiedene Situation zum Gegenstand eines ganzen Acts zu machen; so viel aber ist gewiß: diese Ruhe des Schmerzes, die aus der Hoffnungslosigkeit entsteht, erregt die wahresten, die tiefsten Rührungen. Diese feierliche Stille gestattet dem Zuschauer, wie dem Opfer in sich selbst herabzusteigen, und in seinem Innersten alles zu fühlen, was das Unglück allein offenbaren kann.

Die Beichte, und vor allem das Abendmahl, dürfte mit Grund verwerflich seyn, nur nicht aus dem Grunde, daß beide ihre Wirkung verfehlen; denn das Pathetische, was sich auf eine Nationalreligion gründet, tritt dem Herzen so nahe, daß [70] nichts rührender, erschütternder seyn kann. Das erste Land der Catholicität, Spanien, und Spaniens religiösester Dichter, Calderon, der selbst in den Priesterstand getreten war, haben christliche Gegenstände und Feierlichkeiten auf die Bühne gebracht und auf der Bühne geduldet.

Ich sollte denken, man könnte sichs erlauben, ohne die Ehrerbietung, die man der christlichen Religion schuldig ist, aus den Augen zu setzen, sie in allem, was die Seele erhebt und das Leben verschönert, mit der Poesie und den schönen Künsten zu verweben. Das Gegentheil thun, hieße dem Beispiele jener Kinder folgen, die sich im Vaterhause immer ernst und feierlich-finster betragen zu müssen glauben. Religion ist in Allem, was uns auf eine uneigennützige edle Weise rührt; in unsern Herzen fließen Poesie, Liebe, Natur und Gottheit zusammen, trotz aller Bemühung, sie zu trennen; und wollte man dem Genie untersagen, alle diese Saiten zugleich zu berühren und erklingen zu lassen, es würde nie eine vollständige Seelenharmonie zu Stande kommen.

Die Königin Maria, welche Frankreich in ihrem Glanze, und England so tief im Unglück sah, ist der Gegenstand von mehr als tausend Gedichten gewesen, die ihre Reize und ihre Leiden besangen. Die Geschichte hat sie als leichtsinnig geschildert. Schiller giebt ihrem Charakter einen Anstrich von Ernst, und der Augenblick, in welchem er sie darstellt, rechtfertigt diese Veränderung zur Genüge. Eine zwanzigjährige Gefangenschaft, oder überhaupt nur zwanzig Lebensjahre, sie mögen verflossen seyn, wie sie wollen, sind fast immer für den Menschen eine strenge Zuchtlehre.

Der Abschied Maria's vom Grafen Leicester ist in meinen Augen eine der schönsten Zusammenstellungen [71] auf der Bühne. Der Moment ist nicht ohne Süßigkeit für Marien, sie fühlt Mitleiden mit dem Grafen, so strafbar er ist; sie fühlt den Werth der Erinnerung, den sie in ihm zurückläßt, und diese Rache des Herzens ist erlaubt. Im Augenblicke wo sie stirbt, weil er sie nicht retten wollen, wiederholt sie ihm ihre Liebe; kann uns in der furchtbaren Stunde der Trennung, die der Tod über uns verhängt, etwas trösten, so sind es die letzten feierlichen Worte des Sterbenden; denn in diese mischt sich keine Absicht, keine Täuschung; die reinste Wahrheit entflieht seiner Brust mit dem Leben.

 

――――――――

 

1) Il est, pour les mortels, des jours mystérieux,

Ou, des liens du corps notre âme dégagée,

Au sein de l'avenir est tout-à-coup plongée,

Et saisit, je ne sais par quel heureux effort,

Le droit inattendu d'interroger le sort.

La nuit qui précéda la sanglante journée

Qui du héros du nord trancha la destinée,

Je veillois au milieu des guerriers endormis.

Un trouble involontaire agitoit mes esprits.

Je parcourus le camp. On voyoit dans la plaine

Briller des feux lointains la lumière incertaine,

Les appels de la garde et les pas des cheveaux

Troubloient seuls, d'un bruit sourd, l'universel repos,

Le vent qui gémissoit à travers les vallées

Agitoit lentement nos tentes ébranlées.

Les astres, à regret perçant l'obscurité,

Versoient sur nos drapeaux une pâle clarté,

Que de mortels, me dis-je, à ma voix obéissent!

Qu'avec empressement sous mon ordre ils fléchissent!

Ils ont sur mes succès, placé tout leur espoir.

Mais si le sort jaloux m'arrachoit le pouvoir,

Que bientôt je verrois s'évanouir leur zèle!

En est-il un du moins qui me restât fidèle?

Ah s'il en est un seul, je t'invoque. O destin!

Daigne me l'indiquer par un signe certain.

 

Walstein, Trauerspiel von Heinr. Benjamin Constant

de Rebècque. Act. 2, Sc. 1. S. 43.