BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Germaine de Staël

1766 -1817

 

Über Deutschland

 

Zweiter Theil. I. Abtheilung.

 

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Ein und zwanzigstes Capitel.

 

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Götz von Berlichingen und Egmont.

 

Goethe's dramatische Laufbahn läßt sich unter einen doppelten Gesichtspunkt bringen. In den Stücken, die er für die Bühne schrieb, liegt viel Geist und Anmuth; mehr darf man aber nicht darin suchen. In seinen dramatischen Werken hingegen, die sehr schwer aufzuführen sind, herrscht ein ausserordentliches Talent. Es scheint, als ließe sich Göthe's Genie nicht in die Gränzen des Theaters einschließen; sobald er sich ihnen unterwerfen will, verliert er einen Theil seiner Originalität; er findet sie nicht eher ganz wieder, als bis er es sich herausnimmt, alle Gattungen nach Gefallen untereinander zu werfen. Eine Kunst, sey's welche sie wolle, darf nicht ohne Gränzen seyn; die Malerei, die Bildnerei, die Baukunst sind Gesetzen unterthan, die ihnen eigenthümlich angehören; eben so bringt die dramatische Kunst nur unter gewissen Bedingungen gewisse Wirkungen hervor; bisweilen schränken diese Bedingungen das Gefühl und den Gedanken ein; allein die Gewalt der Schaubühne über die versammelte Menge ist so groß, daß man Unrecht thun würde, sich dieser Gewalt nicht zu bedienen, unter dem Vorwande, sie verlange Opfer, zu welchen die sich selbst überlassene Einbildungskraft sich nicht verstanden haben würde. In Deutschland, wo es keine Hauptstadt giebt, in der sich alles [102] zusammenfindet, was zu einer guten Bühne erfordert wird, werden dramatische Werke öfter gelesen als aufgeführt; daher kommt es denn, daß der Verfasser mehr für den Leser, als für den Zuschauer arbeitet.

Göthe stellt fast immer neue Versuche in der Literatur an. Sobald der teutsche Geschmack sich in seinen Augen zu sehr nach einer Seite hinneigt, ist er bemüht, ihm eine entgegengesetzte Richtung zu geben. Es ist, als schalte er mit dem Geiste seiner Zeitgenossen, wie ein Souverain mit seinem Reiche, als sei jedes seiner Werke ein Decret, welches die Mißbräuche, die sich in das Gebiet der Kunst einschlichen, abwechselnd begünstigt und ächtet.

Göthe war der Nachahmung französischer Theaterstücke auf deutschen Schaubühnen überdrüßig, und er hatte Recht; ein Franzose selbst würde sie so gut satt haben wie er. Er schrieb also ein historisches Drama nach Shakespearischer Manier, und betitelte es Götz von Berlichingen. Das Stück war nicht eigentlich für die Bühne bestimmt, konnte doch aber, wie alle Shakespearischen, aufgeführt werden. Göthe hat denselben Zeitraum gewählt als Schiller in seinen Räubern; allein, anstatt einen Menschen zu malen, der sich aller Fesseln der Moral und der Gesellschaftlichkeit entledigt, stellt er einen Ritter der alten Zeit unter Maximilian I. auf, einen Vertheidiger des Ritterthums, und der Lehnsexistens des Adels, die der persönlichen Tapferkeit so günstig war.

Götz von Berlichingen führt den Zunahmen «mit der eisernen Hand» weil er die im Kriege verlorne Rechte mit einer von Eisen ersetzte, die aus Springfedern bestand, und deren er sich zu Lanze und Schwert bediente; er war zu seiner Zeit [103] durch Muth und Biedersinn berühmt. Göthe hat sein Muster gut gewählt; er wollte in ihm die Unabhängigkeit des Adels aufstellen, ehe dieser Stand dem Ansehen der Regierung unterliegen mußte. In dem Mittelalter war jedes Schloß eine Feste, jeder Edelmann ein kleiner Fürst. Die Einrichtung der stehenden Heere und die Erfindung des Geschützes brachte in der gesellschaftlichen Ordnung eine Hauptveränderung vor, führte eine Art von abstrakter Gewalt ein, die man Staat oder Nation nannte; von diesem Augenblick an verlor jeder Einzelne stufenweise seine ganze Wichtigkeit. Ein Charakter, wie der des Götz von Berlichingen, konnte eine Veränderung dieser Art nicht ohne Schmerz ertragen.

Von jeher ist der militärische Geist in Deutschland roher als irgendwo gewesen; nur in Deutschland kann man sich wahrhaft und in der Natur jene Männer von Eisen denken, deren Abbildungen und Gestalten man noch in den Zeughäusern der alten Reichsstädte findet. Gleichwohl ist die Einfalt der Rittersitten mit unendlichem Reize in Götz geschildert. Der alte Götz, immer im Schlachtengetümmel, im Harnisch bei Tag und Nacht, zu Roß, und nie sich ausruhend, als wenn er in seiner Burg belagert wird, nur auf Krieg und Fehde bedacht, nur Krieg und Fehde athmend; dieser alte Götz giebt uns den höchsten Begriff vom Interesse und der Thätigkeit des damaligen Lebens. Seine Tugenden, wie seine Fehler, sind stark ausgesprochen; nichts ist edler als seine Freundschaft gegen Weislingen, der ehedem so treu an ihm hing, hernach sein Feind ward, und ihn endlich verrieth. Die Empfindsamkeit unter dem eisernen Panzer eines unerschrockenen Kriegers, spricht das Gemüth von einer ganz neuen Seite an; wir haben Zeit, [104] in unserm unthätigen Leben, nach Muße und Bequemlichkeit zu lieben; aber jene Blitze der aufwallenden Zärtlichkeit, die mitten im stürmischen Leben aus einem Herzen der alten Zeit hervorblicken, bringen eine tiefe und seltsame Rührung im Zuschauer hervor. Man fürchtet so sehr, in dem schönsten Geschenk des Himmels, in der Empfindsamkeit, Spuren der Erkünstelung und ein angenommenes Wesen zu entdecken, daß man nicht selten die rauhe Aussenseite vorzieht, weil sie uns wenigstens für die Offenheit bürgt.

Götzens Gattin zeigt sich der Einbildungskraft wie ein altes Gemälde der Niederländischen Schule, wo Tracht, Blick, ja selbst die ruhige Stellung uns das dem Manne untergebene Weib ankündigen, das Weib, das nur ihn kennt, und in ihren Augen eben so sehr bestimmt ist, ihm zu dienen, als er, sie zu beschützen. Göthe hat im Contrast mit der alt-deutschen Hausfrau, eine Buhlerinn, ein verworfenes Frauenzimmer aufgestellt, eine Adelheid, die Wei[s]lingen verführt, ihn wortbrüchig macht, ihm ihre Hand giebt, ihm ungetreu wird. Sie erregt die heftigste Leidenschaft in ihrem Edelknaben, verstrickt und zieht den Unglücklichen so unwiderstehlich an sich, daß er zuletzt auf ihr Geheiß seinen Herrn vergiftet. Diese Züge sind stark, doch ist es vielleicht nur zu wahr, daß da, wo die Sitten im Allgemeinen rein sind, diejenige, die sich von ihrer Pflicht entfernt, bald durchaus verderbt wird. Der Wunsch, zu gefallen, ist heut zu Tage ein bloßes Band der Zuneigung und des Wohlwollens; ehedem, im strengen häuslichen Leben unserer Vorfahren, war dieser Wunsch nicht selten eine Verirrung, die zu allen übrigen führen konnte. Die strafbare Adelheid liefert den Stoff [105] zu einem der schönsten Auftritte im Stück, der Sitzung des heimlichen Gerichts.

Heimliche Richter, einander unbekannt, beständig verlarvt, und sich bei Nachtzeit versammelnd, straften schweigend, und gruben bloß auf den Dolch, den sie in die Brust des Schuldigen stießen, die Worte ein: Heimliches Gericht. Sie warnten den Verurtheilten durch ein dreimaliges Wehe, unter seinen Fenstern gerufen. Von Stund an wußte der Unglückliche, daß er allenthalben, im Vaterlande, im Auslande, im Mitbürger, im Blutsfreunde, seinen Mörder zu fürchten hatte. Die Einsamkeit, die Menschenmenge, Städte, Felder, alles war mit der unsichtbaren Gegenwart des bewaffneten Mitwissens angefüllt, das den Verbrecher verfolgte. Man begreift, wie nothwendig ein solches Gericht zu einer Zeit seyn konnte, als jeder Einzelne stark gegen Alle war, anstatt daß Alle stark gegen den Einzelnen hätten seyn sollen. Damals mußte das Schwert der Gerechtigkeit den Schuldigen treffen, ehe er sich desselben erwehren konnte; allein diese Strafe, die wie ein rächender Schatten in den Lüften schwebte, dieses Todesurtheil, das sogar dem Busen eines Freundes zur Ausführung anvertraut seyn konnte, war von allmächtiger Wirkung und brachte unwiderstehliches Entsetzen hervor.

Noch ist im Stück ein schöner Moment derjenige, wo Götz sich in seiner Burg zur Wehre stellen will, und unter andern Befehl giebt, daß man das Blei von seinen Fenstern reiße und zu Kugeln einschmelze. In diesem Manne liegt überhaupt eine kalte Verachtung der Zukunft und eine bewundernswürdige Thatkraft für den gegenwärtigen Augenblick. Zuletzt sieht Götz sich aller seiner Waffenbrüder beraubt; er bleibt verwundet, gefangen, [106] allein, mit seiner Gattin und seiner Schwester zurück. Er, der nur unter Männern, unter rauhen Kriegern leben wollte, um mit ihnen seinem Character und seinem Arme Nahrung und Geschäft zu geben, sieht sich in den letzten Augenblicken von Weibern umgeben. Er denkt an den Nahmen, den er hinterlassen wird; er denkt nach, denn er ist dem Tode nahe; er verlangt noch einmal die Sonne zu sehen, wendet sich zu Gott, mit dem er sich nie vorher beschäftigte, an de[m] er aber nie gezweifelt, und stirbt muthig und düster, schwerer vom Kriege, als aus dem Leben scheidend.

Götz von Berlichingen ist eines der Lieblingsstücke in Deutschland; die National-Sitten und das Costüme der alten Ritterzeit sind darin auf das treuste und nach dem Leben dargestellt; und alles, was an jene Zeiten erinnert, ist dem Herzen der Deutschen theuer. Göthe, überzeugt, daß er sein Publikum nach seinem Willen lenkt und regiert, ist über die Mittel unbesorgt, und hat sich nicht einmal die Mühe gegeben, sein Stück in Versen zu schreiben. Götz ist die Skizze eines großen Gemäldes, aber eine kaum vollendete Skizze. Man findet in dem Verfasser eine solche Ungeduld des Genies, einen solchen Widerwillen gegen alles, was nach Künstelei aussieht, daß er sogar dasjenige verschmäht, was in der Kunst nothwendig ist, und wodurch ein Werk seine dauernde Gestalt erhält. Es giebt in seinem Drama eine Menge Züge und Blitze des Genies, wie die Pinselstriche in einem Gemälde von Michel Angelo; aber das Ganze ist ein Werk, was noch viel zu erwarten, oder vielmehr zu wünschen übrig läßt. Die Regierung Kaiser Maximilians, unter welcher die Begebenheit spielt, ist nicht hinlänglich characterisirt. Ueberdieß könnte Göthe'n noch der Vorwurf [107] gemacht werden, daß er in die Form und Sprache des Stücks nicht genug Einbildungskraft gelegt. Er hat es allerdings nicht gewollt; es war Plan und System bei ihm; sein Drama sollte die Sache selbst seyn: gleichwohl müßte der Zauber des Idealen in dramatischen Werken allenthalben vorleuchten. Die Personen im Trauerspiel laufen beständig Gefahr, zu gemein oder zu erdichtet zu seyn; und es liegt dem Genie ob, sie vor beiden Klippen zu bewahren. Shakespear hört nie auf, in seinen historischen Stücken Dichter zu seyn; so wie Racine in seiner lyrischen Tragödie Athalia, die Sitten der Hebräer auf das getreueste und edelste darstellt. Das dramatische Talent darf weder der Natur entbehren, noch der Kunst; die Kunst hat mit der Künstlichkeit nichts gemein; sie ist eine wahrhafte unwillkührliche Begeisterung, die über einzelne Umstände ihre allgemeine Harmonie, und über vorübereilende Augenblicke die Würde dauernder Erinnerungen verbreitet.

Unter allen Trauerspielen Göthe's scheint mir der Graf Egmont das schönste zu seyn. Er schrieb es, ohne Zweifel, zu gleicher Zeit, als er seinen Werther schrieb; in beiden Werken liegt dasselbe Feuer, dieselbe Wärme. Das Stück beginnt mit der Sendung des Grafen Alba, um Margarethe von Parma, deren Verwaltung Philipp dem Zweiten so sanft schien, in der Regierung der Niederlande zu ersetzen. Der König hat Argwohn über die Volksliebe geschöpft, die Oranien und Egmont zu gewinnen gewußt haben; er hält sie im Verdacht, geheime Anhänger der Reformation zu seyn. Alles vereinigt sich in Egmont, ihn zum anziehendsten unwiderstehlichsten Menschen zu machen. Seine Soldaten, die unter ihm so viele Siege erfochten, beten ihn an, wie einen Gott. Die Spanische [108] Regentin baut auf seine Treue, obschon sie weiß, wie sehr er die Strenge gegen die Protestanten mißbilligt. Die Einwohner von Brüssel sehen in ihm den Verfechter ihrer Freiheiten beim Throne; selbst der Prinz von Oranien, dessen tiefe Politik, dessen verschwiegene Klugheit ihn in der Geschichte so berühmt gemacht haben, und der ihn vergebens beschwört, vor Alba's Ankunft mit ihm zu fliehn, hebt durch diesen Contrast die edle sichere Unbefangenheit des Grafen.

Der Prinz von Oranien ist ein würdiger, ein weiser Character; nur eine heldenmüthige, aber zugleich unbedachte Aufopferung seiner selbst, kann seinem Rathe Widerstand leisten. Der Graf Egmont will die Bürger von Brüssel nicht verlassen; er rechnet auf sein Glück, weil seine Siege ihn an die Begünstigungen der Glücksgöttin gewöhnt haben, und er in die öffentlichen Geschäfte alles hinüberträgt, was seine kriegerische Laufbahn so glänzend machte. Seine schönen, aber gefährlichen Geistesgaben nehmen für sein Schicksal ein; man fühlt für ihn Besorgnisse, die in seiner unerschrockenen Seele nie aufsteigen konnten; das Ganze seines Characters ist mit vieler Kunst durch die Eindrücke gezeichnet, die die Gefahren, worin er, ihrer unbewußt, schwebt, auf seine Umgebungen machen. Es ist nicht schwer, von dem Helden eines Stücks ein geistreiches Gemälde zu entwerfen; weit schwerer und talentvoller ists, ihn dieser Schilderung gemäß sprechen und handeln zu lassen; am schwersten, ihn durch die Bewunderung, die er den Soldaten, dem Volk, den Großen, kurz allen, die ihn umgeben, und mit ihm in Verbindung stehen, einflößt.

Der Graf Egmont liebt ein junges Mädchen vom Bürgerstande, Namens Clärchen, und besucht [109] sie in ihrer niedrigen Wohnung. Diese Liebe nimmt mehr Raum im Herzen des Mädchens ein, als in dem des Grafen; Clara's ganze Einbildungskraft ist von dem Glanze ihres Egmont, von der blendenden Täuschung seines Heldenmuths und seines strahlenden Rufes überwältigt. Egmont zeigt in seiner Liebe viel Güte und Freundlichkeit; er ruht bei dem jungen Mädchen von den Geschäften und Besorgnissen aus. «Jener Egmont (sagt er) ist ein verdrießlicher, steifer, kalter Egmont, der an sich halten, bald dieses, bald jenes Gesicht machen muß; geplagt, verkannt, verwickelt ist, wenn ihn die Leute für froh und fröhlich halten; – o laß mich schweigen, wie es dem ergeht, wie es dem zu Muthe ist. Aber dieser Egmont, Clärchen, der ist ruhig, offen, glücklich, geliebt und gekannt von dem besten Herzen, das auch er ganz kennt, und mit voller Liebe und Zutrauen an das seine drückt – das ist dein Egmont.» Egmonts Liebe zu Clara wäre allein nicht hinreichend, dem Stücke Gewicht und Interesse zu geben; sobald sich aber mit dieser Liebe das Unglück verbindet, erhält jenes Gefühl, das anfangs nur im Hintergrund stand, eine bewundernswürdige Kraft.

Man erfährt die Ankunft der Spanier, und des Herzogs von Alba an ihrer Spitze; das ernste fremde Volk, die Furcht der leichten fröhlichen Einwohner von Brüssel sind von einer Meisterhand gezeichnet. Bei der Annäherung eines schweren Gewitters ziehen sich die Menschen in ihre Wohnungen zurück, die Thiere zittern, die Vögel fliegen der Erde näher und scheinen Schutz zu suchen, die ganze Natur bereitet sich auf den furchtbaren Auftritt, der sie bedroht; eben so bemächtigt sich Angst und Entsetzen der unglücklichen Bewohner von Brabant. Der Herzog von Alba will den [110] Grafen Egmont nicht mitten in Brüssel festnehmen lassen; er fürchtet einen Volksauflauf; er möchte lieber sein Schlachtopfer in seinen Pallast locken, der die Stadt beherrscht, und mit der Citadelle zusammenhängt. Er bedient sich Ferdinands, seines jungen Sohnes, um des arglosen Feindes Herr zu werden. Ferdinand muß ihn dem Tyrannen zuführen. Ferdinand ist ein aufrichtiger Bewunderer des Helden von Brabant; er ahnet nichts von den blutdürstigen Planen seines Vaters, und zeigt für den Grafen einen Enthusiasmus, der den biedern Ritter sicher und glauben macht, vom Vater eines solchen Sohnes habe er nichts zu befürchten. Egmont entschließt sich, zu Alba zu gehen; der verrätherische, treue Stellvertreter Philipps II. erwartet ihn mit einer Ungeduld, die den Zuschauer schaudern macht; stellt sich ans Fenster, sieht ihn von weitem auf einem stolzen Pferde, das er in einer siegreichen Schlacht erbeutete, daher reiten. Bei jedem Schritte, mit dem er sich dem Pallast nähert, fühlt der Herzog den Triumph der Schadenfreude; bei jedem Aufhalt schlägt ihm das elende Herz für Angst ob dem Erfolge, und als Egmont in den Vorhof reitet, ruft er höllisch froh aus: «So bist du mit dem einen Fuß im Grabe! und so mit beiden!!» –

Egmont wird bei ihm eingeführt. Alba unterhält sich lange mit ihm über die Regierungsart der Niederlande, und über die Nothwendigkeit, Strenge zu gebrauchen, um die neuen Meinungen im Zaum zu halten. Er hat kein Interesse mehr dabei, Egmont zu betrügen; dennoch gefällt er sich noch immer in seiner List, und will den Erfolg langsam und tropfenweise voraus kosten; endlich empört er mit Bedacht Egmonts biedres Gemüth, reizt ihn durch Widerspruch und Streit, um ihm [111] einige heftige, beleidigende Worte zu entlocken. Er will sich das Ansehen geben, aufgefordert zu seyn, und das, was er so lange im Voraus angelegt, im Augenblick der ersten Aufwallung gethan zu haben. Warum so viel Behutsamkeit und Vorsicht gegen den Mann, der in seiner Gewalt ist, den er in wenig Stunden hinrichten lassen wird? Weil der politische Mörder immer den geheimen dunklen Wunsch hegt, sich zu rechtfertigen, selbst bei seinem Schlachtopfer; weil er gern etwas zu seiner Entschuldigung sagen möchte, selbst, wenn das, was er sagt, weder ihm, noch jemand genügen kann. Vielleicht giebt es nicht einen einzigen Menschen, der sich dem Verbrechen ohne Umweg nahen kann. Die wahre Moralität der dramatischen Werke besteht nicht in der poetischen Gerechtigkeit, die der Verfasser nach Gutdünken austheilt, und die so oft von der Geschichte umgestoßen wird, sondern in der Kunst, Tugend und Laster so zu schildern, daß man die eine lieben, das andre hassen muß.

Kaum hat sich das Gerücht von Graf Egmonts Verhaftung in Brüssel verbreitet, so weiß auch jedermann schon, daß er wird sterben müssen. Niemand erwartet etwas von der Stimme der Gerechtigkeit; seine bestürzten Anhänger sprechen kein Wort zu seinem Besten; der Argwohn trennt bald diejenigen, die das Interesse vereinigt hatte. Eine scheinbare Unterwürfigkeit entsteht aus dem Schreck, den jedermann andern mittheilt, nachdem er ihn zuerst selbst empfand, und jener Furcht, die Alle in Allen erwecken, jene Volksabspannung, die so schnell auf Volksspannung folgt, wird hier von dem Dichter auf eine bewundernswürdige Weise geschildert. [112]

Clara allein, das blöde schüchterne Mädchen, das nie aus dem Hause kam, erscheint auf dem Marktplatz von Brüssel, versammelt durch ihr Geschrei Brüssels zerstreute Bürger, erinnert sie an ihren Enthusiasmus für Egmont, an ihren Schwur, für ihn zu sterben. Alle, die sie reden hören, schaudern vor Entsetzen. Hier diese Scene.

 

Jetter. «Nennt den Namen nicht! Er ist tödtlich.»

Clärchen. Den Namen nicht! Wie? Nicht diesen Namen? Wer nennt ihn nicht bei jeder Gelegenheit? Wo steht er nicht geschrieben? In diesen Sternen hab' ich oft mit allen seinen Lettern ihn gelesen. Nicht nennen? Was soll das? Freunde! Gute, theure Nachbarn, ihr träumt; besinnt euch. Seht mich nicht so starr und ängstlich an! Blickt nicht schüchtern hie und da bei Seite. Ich ruf' euch ja nur zu, was jeder wünscht. Ist meine Stimme nicht eures Herzens eigene Stimme? Wer würfe sich in dieser bangen Nacht, eh' er sein unruhvolles Bette besteigt, nicht auf die Kniee, ihn mit ernstlichem Gebet vom Himmel zu erringen? Fragt euch einander! frage jeder sich selbst! und wer spricht mir nicht nach: «Egmonts Freiheit oder den Tod!»

Jetter. Gott bewahr' uns! Da giebt's ein Unglück.

Clärchen. Bleibt! Bleibt, und drückt euch nicht vor seinem Namen weg, dem ihr euch sonst so froh entgegen drängtet! – Wenn der Ruf ihn ankündigte, wenn es hieß: «Egmont kommt! Er kommt von Gent!» da hielten die Bewohner der Straßen sich glücklich, durch die er reiten mußte. Und wenn ihr seine Pferde schallen hörtet, warf jeder seine Arbeit hin, und über die bekümmerten Gesichter, die ihr durch's Fenster stecktet, fuhr wie [113] ein Sonnenstrahl von seinem Angesichte ein Blick der Freude und Hoffnung. Da hobt ihr eure Kinder auf der Thürschwelle in die Höhe und deutetet ihnen: «Sieh, das ist Egmont, der größte da! Er ist's! Er ist's, von dem ihr bessere Zeiten, als eure armen Väter lebten, einst zu erwarten habt.» Laßt eure Kinder nicht dereinst euch fragen: «Wo sind die Zeiten hin, die ihr verspracht?» – Und so wechseln wir Worte! sind müßig, verrathen ihn.

Soest. Schämt euch, Brackenburg! Laßt sie nicht gewähren! Steuert dem Unheil!

Brackenburg. Liebes Clärchen! wir wollen gehen! Was wird die Mutter sagen? Vielleicht –

Clärchen. Meinst du, ich sey ein Kind, oder wahnsinnig? Was kann vielleicht? – Von dieser schrecklichen Gewißheit bringst du mich mit keiner Hoffnung weg. – Ihr sollt mich hören, und ihr werdet: denn ich seh's, ihr seyd bestürzt und könnt euch selbst in euerm Busen nicht wiederfinden. Laßt durch die gegenwärtige Gefahr nur Einen Blick in das Vergangene dringen, das kurz Vergangene. Wendet eure Gedanken nach der Zukunft. Könnt ihr denn leben? werdet ihr, wenn er zu Grunde geht? Mit seinem Athem flieht der letzte Hauch der Freiheit. Was war er euch? Für wen übergab er sich der dringendsten Gefahr? Seine Wunden flossen und heilten nur für Euch. Die große Seele, die euch alle trug, beschränkt ein Kerker, und Schauer tückischen Mordes schweben um sie her. Er denkt vielleicht an euch, er hofft auf euch, Er, der nur zu geben, nur zu erfüllen gewohnt war.

Zimmermeister. Gevatter, kommt.

Clärchen. Und ich habe nicht Arme, nicht Mark wie ihr; doch hab' ich, was euch allen fehlt, Muth und Verachtung der Gefahr. Könnt' euch [114] mein Athem doch entzünden! könnt' ich an meinen Busen drückend euch erwärmen und beleben! Kommt! In eurer Mitte will ich gehen! – Wie eine Fahne wehrlos ein edles Heer von Kriegern wehend anführt, so soll mein Geist um eure Häupter flammen, und Liebe und Muth das schwankende zerstreute Volk zu einem fürchterlichen Heer vereinigen.

Jetter. Schaff sie bei Seite, sie dauert mich.

(Bürger ab.)

Brackenburg. Clärchen! siehst du nicht, wo wir sind?

Clärchen. Wo? Unter dem Himmel, der so oft sich herrlicher zu wölben schien, wenn der Edle unter ihm herging. Aus diesen Fenstern haben sie herausgesehn, vier, fünf Köpfe über einander; an diesen Thüren haben sie gescharrt und genickt, wenn er auf die Memmen herabsah. O ich hatte sie so lieb, wie sie ihn ehrten! Wäre er Tyrann gewesen, möchten sie immer vor seinem Falle seitwärts gehn. Aber sie liebten ihn! – O ihr Hände, die ihr an die Mützen griff't, zum Schwert könnt ihr nicht greifen – Brackenburg, und wir? – Schelten wir sie? – Diese Arme, die ihn so oft fest hielten, was thun sie für ihn? – List hat in der Welt so viel erreicht – Du kennst Wege und Stege, kennst das alte Schloß. Es ist nichts unmöglich, gieb mir einen Anschlag.

 

Brackenburg führt sie endlich zurück nach Hause, und geht wieder weg, um Kundschaft vom Grafen einzuziehen. Er kommt zurück, und Clärchen, die den letzten Entschluß gefaßt hat, verlangt von ihm die umständliche Erzählung.

 

Clärchen. Ist's wahr? Ist er verurtheilt?

Brackenburg. Er ist's! ich weiß es ganz genau. [115]

Clärchen. Und lebt noch?

Brackenburg. Ja, er lebt noch.

Clärchen. Wie willst du das versichern? – Die Tyrannei ermordet in der Nacht den Herrlichen! vor allen Augen verborgen fließt sein Blut. Aengstlich im Schlafe liegt das betäubte Volk, und träumt von Rettung, träumt ihres ohnmächtigen Wunsches Erfüllung; indeß unwillig über uns sein Geist die Welt verläßt. Er ist dahin! – Täusche mich nicht! dich nicht!

Brackenburg. Nein gewiß, er lebt! – Und leider es bereitet der Spanier dem Volke, das er zertreten will, ein fürchterliches Schauspiel; gewaltsam jedes Herz, das nach Freiheit sich regt, auf ewig zu zerknirschen.

Clärchen. Fahre fort und sprich gelassen auch mein Todesurtheil aus! Ich wandle den seligen Gefilden schon näher und näher, mir weht der Trost aus jenen Gegenden des Friedens schon herüber. Sag' an.

Brackenburg. Ich konnt' es an den Wachen merken, aus Reden, die bald da bald dort fielen, daß auf dem Markte geheimnißvoll ein Schrecknis zubereitet werde. Ich schlich durch Seitenwege, durch bekannte Gänge nach meines Vetters Hause, und sah' aus einem Hinterfenster nach dem Markte. – Es wehten Fackeln in einem weiten Kreise Spanischer Soldaten hin und wieder. Ich schärfte mein ungewohntes Auge, und aus der Nacht stieg mir ein schwarzes Gerüst entgegen, geräumig, hoch; mir grauste vor dem Anblick. Geschäftig waren viele rings umher bemüht, was noch von Holz weiß und sichtbar war, mit schwarzem Tuch einhüllend zu verkleiden. Die Treppen deckten sie zuletzt auch schwarz, ich sah es wohl. Sie schienen die Weihe eines gräßlichen [116] Opfers vorbereitend zu begehn. Ein weißes Crucifix, das durch die Nacht wie Silber blinkte, ward an der einen Seite hoch aufgesteckt. Ich sah, und sah die schreckliche Gewißheit immer gewisser. Noch wankten Fackeln hie und da herum; allmählig wichen sie und erloschen. Auf einmal war die scheußliche Geburt der Nacht in ihrer Mutter Schoos zurückgekehrt.» –

 

Der Sohn des Herzogs Alba entdeckt, daß man sich seiner bedient hat, Egmont zu verderben; er will ihn für jeden Preis retten; Egmont bittet ihn nur um einen Dienst, Clärchen zu schützen, wenn er todt seyn wird; allein man erfährt, daß sie sich den Tod gab, ihren Geliebten nicht zu überleben. Egmont stirbt, und der bittre Groll Ferdinands gegen seinen Vater ist die Strafe des Herzogs Alba, der, wie man versichert, nichts auf Erden geliebt hatte, als diesen Sohn.

Mich dünkt, mit einigen Veränderungen, ließe sich dieser Stoff und dieser Plan auf die französische Bühne bringen. Ich habe einige Scenen mit Stillschweigen übergangen, die wir nicht beibehalten dürften. Zu allererst die Eingangsscene; einige Soldaten Egmonts, einige Bürger von Brüssel unterhalten sich von seinen Großthaten; in einem natürlichen, aber anziehenden, Gespräch erzählen sie sich die Haupthandlungen seines Lebens, und geben in ihren Ausdrücken und Wendungen das hohe Vertrauen zu erkennen, das sie in ihn setzen. So ohngefähr leitet Shakespear seinen Julius Cäsar ein, so ist Wallensteins Lager geschrieben. In Frankreich würden wir diese Vermischung der Volkssprache mit der tragischen Würde nicht dulden; aber eben dieses überzarte Gefühl giebt unsern Tragödien der [z]weiten Gattung so viel Eintönigkeit und Schlaffheit. Der Gelegenheit zu Prunkreden [117] und der heroischen Lagen sind nothwendiger Weise nur wenige; überdieß dringt die Rührung selten bis ins innerste Gemüth, wenn durch einfache aber wahre Details, die den geringsten Umständen Leben gewähren, die Einbildungskraft nicht vorher rege gemacht und gefesselt worden ist.

Clärchen erscheint als ein Bürgermädchen der letzten Classe; ihre Mutter ist ein ganz gemeines Weib; ihr bestimmter Liebhaber, ein Vetter, der sie leidenschaftlich liebt; aber man sieht mit einer Art von Widerwillen, daß es Egmont mit einem Nebenbuhler vom Volke zu thun hat. Alles, was Clärchen umgiebt, dient freilich nur zur Folie ihres reinen Gemüths, gleichwohl würde man in Frankreich auf der Bühne den Grundsatz der Malerei nicht gelten lassen: der Schatten müße das Licht heben. Im Gemälde sieht man beide zugleich, daher empfängt man auch zugleich den Eindruck beider: nicht so im Schauspiel, wo die Handlung fortläuft; hier wird die empörende Scene nicht geduldet, weil sie auf die folgende einen günstigen Strahl werfen soll; man will, daß der Gegensatz zwar in verschiedenartigen Schönheiten, aber doch immer in Schönheiten bestehe.

Das Ende des Trauerspiels Egmont steht mit dem Ganzen nicht in Harmonie; der Graf schläft einige Augenblicke vor seiner Abführung zum Schafott ein. Clärchen erscheint ihm nach ihrem Tode im Traume, verklärt, umgeben von himmlischem Glanze, und deutet ihm an, sein Tod werde den Provinzen die Freiheit verschaffen: doch dieses Wunderbare in der Entwickelung paßt nicht zu einem historischen Stücke. Die Deutschen sind überhaupt verlegen, wann und wie sie schließen sollen; man könnte das chinesische Sprichwort auf sie anwenden: «Wenn man zehn Schritte zu machen [118] hat, so sind neun die Hälfte des Weges.» Die erforderliche Geisteskraft, es sey, was es wolle zu Ende zu bringen, erfordert eine gewisse Gewandtheit, ein gewisses Augenmaaß, die sich nur selten mit der schwankenden und unbestimmten Einbildungskraft vertragen, deren Spuren die deutschen Werke allgemein tragen. Ueberdieß bedarf es der Kunst, und sehr vieler Kunst, eine gute Entwickelung aufzufinden; denn es giebt ihrer selten im Leben; die Handlungen ketten sich an einander, und ihre Folgen verlieren sich in die Zeitenreihe. Die Kenntnis der Bühne allein lehrt, wie man die Gränzen der Hauptbegebenheit abstecken, und die Nebenumstände zu einem Zweck mitwirken lassen soll. Allein Wirkungen künstlich zusammenstellen, ist beinahe in den Augen der Deutschen eine Heuchelei, und die Berechnung in Sachen der Phantasie scheint ihnen unvereinbar mit der Begeisterung.

Gleichwohl wäre Göthe unter allen ihren Schriftstellern gerade der, welchem die meisten Mittel zu Gebote stehen würden, die Gewandtheit des Geistes mit dem kühnen Fluge desselben zu vereinigen; aber Göthe hält es unter seiner Würde, die dramatischen Lagen so zu handhaben, daß er sie zu theatralischen mache. Wenn sie nur schön sind, so genügt ihm dies, und er kümmert sich nicht weiter um das Andre. Das deutsche Publikum in Weimar ist sein Zuschauer, und dieses Publikum ist zufrieden, wenn es ihm nur entgegensehen, ihn errathen kann; es ist eben so gedul[d]ig, eben so einsichtsvoll als der griechische Chor; anstatt es, wie gewöhnlich die Souveraine zu machen, sie mögen Fürst oder Volk seyn, – anstatt zu verlangen, daß man es belustige, trägt es selbst zu seinem Vergnügen dadurch [119] bei, daß es erklärt und zergliedert, was ihm nicht gleich auffiel: ein solches Publikum ist in seinen Urtheilen selbst Künstler.