BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Germaine de Staël

1766 -1817

 

Über Deutschland

 

Zweiter Theil. II. Abtheilung.

 

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Sechs und zwanzigstes Capitel.

 

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Das Lustspiel.

 

Das Ideal des tragischen Charakters besteht, (nach A. W. Schlegels System), in dem Siege des Willens über das Schicksal oder die Leidenschaften. Der komische Charakter hingegen bezeichnet die Herrschaft des physischen Instinkts, der Sinnlichkeit, [201] über die moralische Existenz; daher kommt es, daß Völlerei und Feigheit zu einem unversiegbaren Quell des Spotts gemacht werden.

Liebe zum Leben scheint dem Menschen das Lächerlichste und Gemeinste, und ein edles Attribut der Seele ist das Lachen, das die sterbliche Creatur ergreift, wenn man ihr das Beispiel einer ihres gleichen aufstellt, die dem Tode kleinmüthig entgegensieht.

Tritt man aber aus dem etwas gemeinen Kreise dieser allgemeinen Spöttereien heraus, stößt man auf die Lächerlichkeiten der Eigenliebe, so findet man sie, mit den Gewohnheiten und dem Geschmack in verschiedenen Nationen, unendlich vermannigfaltigt.

Die Lustigkeit ist entweder eine Folge der Natureingebung, oder der gesellschaftlichen Verhältnisse; im ersten Fall entwickelt sie sich in dem Menschen überhaupt, ohne Unterschied der Nation; im zweiten ist sie verschieden, wie die Zeiten, die Länder, die Sitten; denn da die Anstrengungen der Eitelkeit beständig zum Zweck haben, Eindruck auf Andre zu machen, so muß man wissen, was in einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Orte den meisten Eingang finden wird, um seine Forderungen an die Menschen nach diesem Ziele einzurichten; ja es giebt sogar Länder, wo die Mode lächerlich macht, sie, die es zur Absicht zu haben scheint, Jeden dem Spotte dadurch zu entziehen, indem sie Allen eine Art von Einförmigkeit zu geben sich bestrebt.

In den deutschen Lustspielen fällt das Gemälde der großen Welt gewöhnlich mager aus; es fehlt an guten Mustern, die man copiren könnte; die Gesellschaft hat für die ausgezeichneten Männer nichts Anlockendes; sie würden den größten [202] Reiz derselben, die belustigende Kunst leicht über einander zu spotten, nicht glücklich zu behandeln wissen; ehe man es sich versähe, würde eine, im Frieden zu leben gewohnte, Eigenliebe empfindlich verletzt seyn, und man könnte eben so leicht das Unglück haben, gegen eine strenge Tugend, anzustrei[t]en, die vor einem unschuldigen Scherz zurückschrecken würde.

Selten stellen die Deutschen, in ihren Lustspielen, Nationallächer­lichkeiten auf; da sie nicht einmal Andere beobachten, so beobachten sie sich noch weniger selbst in ihren äußern Verhältnissen; es hieße dies, in ihren Augen, fast gegen die Rechtlichkeit, die sie einander schuldig sind, verstoßen. Ueberdies macht die Empfindlichkeit, doch ein Hauptunterscheidungszug ihrer Natur, es ihnen überaus schwer, die Waffen des Spottes mit leichter Hand zu führen; oft verstehen sie den Spott nicht, und wenn sie ihn auch verstehen, so verstehen sie keinen Scherz, werden böse, und bedienen sich nicht derselben Waffen gegen den Angriff; der Spott ist für sie ein Feuergewehr; sie laden zu stark, und fürchten sich, daß es in ihren Händen zerplatze.

Es giebt daher der deutschen Lustspiele wenig, deren Inhalt die Lächerlichkeiten des gesellschaftlichen Lebens sind. Die natürliche individuelle Originalität ist öfter der Gegenstand der komischen Muse. In einem Lande, wo der Despotismus der Gewohnheit nicht in einer großen Hauptstadt seine Sitzungen hält, lebt jeder auf seine Weise; gleichwohl, obschon man in Deutschland in Hinsicht auf die öffentliche Meinung freier als selbst in England lebt, hat die englische Originalität grellere Farben, weil die allgemeine Bewegung im politischen Zustande von Großbritannien dem Einzelnen mehr Gelegenheit giebt, sich zu zeigen wie er ist.

Im südlichen Deutschland, besonders in Wien, [203] findet man sehr viel Lustigkeit in den Possen und in der Opera Buffa. Ihr Tyroler Wastel, ihr Kasperl hat einen eigenthümlichen Charakter. Ueberhaupt entsagen die Verfasser der niedrig-komischen Stücke aller Anmaßung auf Eleganz und Kunstfeinheit; sie stellen sich in ihrer ganzen Natürlichkeit hin, stehen kräftig und ungezwungen da, machen sichs bequem, und bieten dreist der gesuchten Grazie Trotz. Die Deutschen ziehen, in ihrem Komischen, das Kräftige dem Nüancirten vor; in den Trauerspielen suchen sie Wahrheit, in den Lustspielen Caricatur. Mit jeder Zartheit des Herzens sind sie bekannt, nur die Feinheit des gesellschaftlichen Geistes und Witzes ist ihnen nicht lustig genug; die Mühe, ihn aufzusuchen, benimmt ihnen einen Theil des Genusses.

Iffland ist der erste Schauspieler, den Deutschland besitzt, und einer der geistvollsten deutschen Schriftsteller. Ich werde im folgenden Capitel auf ihn zurückkommen, und weitläuftiger über ihn urtheilen. Hier nur so viel. Seine Stücke zeichnen sich vorzüglich durch Sitten- und Charakterschilderung aus; es sind Familiengemälde von treffender Wahrheit und treuer Nachahmung der Natur und der Gesellschaft. In jedem seiner Stücke treten echt-komische Personen auf, die dem Ganzen Leben und Farbe geben. Gleichwohl würde man vielleicht in Frankreich seine Lustspiele zu ernsthaft, zu vernünftig finden; sie binden sich zu streng an die Inschrift unserer Schauspielhäuser: Ridendo corrigit mores. Es kommen zu oft verschuldete Söhne, Väter mit zerrütteten Finanzen etc. vor. Predigten der Moral gehören nicht eigentlich ins Lustspiel, können sogar auf der Bühne nachtheilig seyn; hier langweilen sie; und diesen Eindruck der Langeweile, den wir aus dem Kunstleben nach Hause brachten, bringen wir nicht selten ins wirkliche Leben mit. [204]

Kotzebue hat von einem dänischen Dichter, Holberg, ein Lustspiel geborgt und umgearbeitet, welches in Deutschland großes Glück gemacht; es heißt Don Ranudo de Colibrados. Ein Edelmann von altem Adel ist verarmt, will aber noch immer für reich und vornehm gelten, und verwendet auf äußern Prunk, was kaum für den Unterhalt seiner Person und seiner Familie hinreichen würde. Dieses Stück ist so zu sagen das Widerspiel, wenigstens das Gegenbild von Moliere's geadeltem Kaufmann, und enthält eine Menge witziger, echt-komischer Auftritte, nur ist Holbergs Comik roh und wild. Moliere's lächerliche Person, der Kaufmann, der sich gern adeln ließe, ist lustig; Holbergs komische Person ist im Unglück, und erregt im Grunde Traurigkeit. Es gehört überhaupt eine seltene Geistesunerschrockenheit dazu, das menschliche Leben von der lächerlichen Seite aufzufassen; das komische Genie setzt wenigstens ein leichtes sorgloses Gemüth voraus; allein es darf nicht zu weit gehen, und dem natürlichen Mitleiden Trotz bieten wollen; die Kunst würde darunter leiden, wie viel mehr das Zartgefühl! die leiseste Berührung von Bitterkeit verwischt die lebhaften Farben der Poesie, die sie mit ungebundener Lustigkeit über komische Gegenstände verbreitet.

In den Lustspielen eigener Erfindung zeigt Kotzebue eben das Talent, was seine Dramen bezeichnet, nehmlich viel Theaterkenntniß, und viel Phantasie, treffende Situationen auszusinnen. Seit einiger Zeit hat man den Grundsatz aufgestellt: Lachen und Weinen wären kein Beweis, daß ein Lust- oder Trauerspiel gut sey. Ich bin dieser Meinung nicht. Das Bedürfniß starker Gemüthsbewegungen ist in den schönen Künsten die Quelle des größten Vergnügens. Daraus folgt aber nicht, daß man die Tragödien in Melodramen, die Lustspiele in Possen [205] umwandeln müsse; das wahre Talent besteht darin, so zu dichten und zu schreiben, daß dasselbe Stück, derselbe Auftritt, der selbst das große Publikum zu weinen oder zu lachen macht, dem Denker eine unerschöpfliche Quelle von Betrachtungen eröffne.

Die eigentliche Parodie findet auf deutschen Bühnen wenig Eingang; sie eignet sich nicht für Tragödien, in welchen sich ohnehin immer so viel Personen der untern Klassen befinden. Bloß die pomphafte Würde des französischen Theaters kann den Contrast der Parodie stechend und unterhaltend machen. Im Shakespear, bisweilen auch in deutschen Schriftstellern, findet man eine dreiste und seltsame Manier, selbst in der Tragödie die lächerliche Seite des menschlichen Lebens zu zeigen; und wenn man mit diesem Eindruck die Macht des Pathos in Gegensatz zu stellen weiß, wird die Totalwirkung des Stücks größer. Die französische Bühne ist die einzige, auf welcher die Gränzen der beiden Gattungen, des Komischen und des Tragischen, genau abgesteckt sind; auf allen übrigen bedient sich das Talent, wie das Schicksal, der Lustigkeit, dem Schmerz mehr Schärfe zu geben.

Ich habe in Weimar die Comödien des Terenz, wörtlich ins Deutsche übersetzt, mit Masken, wie die der Alten, aufführen sehen; diese Masken bedecken das Gesicht nur zum Theil, geben den Zügen des Schauspielers bloß einen Zusatz von Comik oder Regelmäßigkeit, und vor allem den Ausdruck des Charakters, den er darzustellen hat. Die wirklichen Muskeln eines guten Künstlers sind besser als alle Masken; nur der mittelmäßige Schauspieler gewinnt dabei. Bei den Deutschen, ob sie schon bemüht sind, alte sowohl als neue Erfindungen bei sich einheimisch zu machen, ist im Grunde nichts wahrhaft national, als die Volksposse, und [206] die Gattung von Stücken, wo das Wunderbare dem Lustigen zum Grunde liegt.

Man kann bei dieser Gelegenheit eine Oper als Beispiel anführen, die auf allen Bühnen Deutschlands fleißig gespielt wird: die Donaunymphe. Ein Ritter gewinnt die Liebe einer Fee; sie werden durch allerlei Umstände getrennt; der Ritter vermählt sich späterhin; seine Gattin ist ein seelengutes Geschöpf, aber ohne Einbildungskraft und Geist; dem Ritter ist dieses ganz recht; es scheint ihm um so natürlicher, da es gewöhnlich ist, denn nur wenig Menschen begreifen, daß das Ungewöhnliche, das Hohe im Geist und Gemüth, uns der Natur näher bringt. Die Fee kann ihren Ritter nicht vergessen; sie verfolgt ihn mit allen Wundern ihrer Künste; so oft er sich in seiner häuslichen Lage sicher und ruhig glaubt, weckt sie seine Aufmerksamkeit durch Zaubereien, und erinnert ihn an seine erste Liebe.

Nähert sich der Ritter einem Flusse, so hört er aus den Wellen Romanzen ertönen, wie die Fee sie ihm gesungen; ladet er Gäste zu Tische, sogleich erscheinen geflügelte Genien, und jagen der prosaischen Gesellschaft seiner Gattin keine kleine Furcht ein.

Allenthalben wird die Existenz des ungetreuen Ritters von Blumen, Tänzen und Concerten, lauter Luftgebilden, gestört, während neckende Geister Vergnügen daran finden, seinen Diener zu quälen, der seinerseits auch gern das poetische Leben mit dem prosaischen vertauschen möchte. Zuletzt söhnt sich die Fee mit dem Ritter unter der Bedingung aus, daß dieser jährlich drei Tage bei ihr zubringen wird, und seine Ehegattin giebt sehr gern ihre Einwilligung, daß ihr Gemahl in dem Umgang mit der Fee den Enthusiasmus schöpfe, durch den [207] wir, was wir lieben, besser lieben lernen. Der Stoff der Donaunymphe scheint eher eine geistreiche Dichtung als eine Volkslegende zu seyn; gleichwohl ist das Wunderbare so kunstvoll und abwechselnd hineingewebt, daß das Stück alle Gattungen von Zuschauern gleich sehr anzieht und belustigt.

Die neue ästhetische Schule in Deutschland hat über das Lustspiel, wie über alles, ihr eigenes System; sie läßt sich an dem Interesse nicht genügen, das die Sittenschilderung giebt; sie verlangt Einbildungskraft in der Anlage des Stücks, in der Erfindung der Personen; das Wunderbare, die Allegorie, die Geschichte, nichts darf unbenutzt bleiben, wenn es darauf ankommt, die komischen Situationen zu vermannichfaltigen. Die Gesetzgeber dieser Schule belegen mit dem Namen der willkürlichen Komik den freien Aufflug aller möglichen Gedanken, das Herumflattern derselben ohne Zwang und Zweck. Sie berufen sich dabei auf das Beispiel des Aristophanes; nicht daß sie der Ungebundenheit seiner Stücke ihren Beifall gäben, sondern weil sie an der komischen Ader, an der Satyrlaune derselben Gefallen finden, und ebenfalls unter den Neuern die kecke Geißel des Spotts schwingen möchten, die sich über die ganze Welt erstreckt, anstatt sich auf die Lächerlichkeiten dieser oder jener Classe der Gesellschaft zu beschränken. Ueberhaupt läuft das Streben der neuern Schule darauf hinaus, in jeder Gattung der Wirksamkeit dem Geiste mehr Kraft und Unabhängigkeit zu verschaffen; sollte es ihnen gelingen, so würden ihre Siege nicht bloß Eroberungen im Felde der Literatur überhaupt zur Folge haben, sondern für die Energie des deutschen Charakters insbesondere sehr ersprießlich seyn; nur ist es immer schwer, durch allgemeine Ideen auf die freiwilligen Produkte der Einbildungskraft einwirken zu wollen, und überdieß dürfte eine [208] demagogische Comödie, wie die der Griechen, bei dem jetzigen Zustand der europäischen Gesellschaft unstatthaft seyn.

Aristophanes lebte in einer so rein republikanischen Verfassung, daß zu seiner Zeit alles dem Volke mitgetheilt werden mußte, und daß folglich Staatsangelegenheiten, die so eben auf dem öffentlichen Platze abgehandelt worden waren, füglich von da auf das Theater gebracht werden konnten. Er lebte in einem Lande, wo die philosophischen Speculationen allen Menschen fast eben so geläufig waren als die Meisterwerke der Kunst, weil alles unter freiem Himmel gelehrt, und die abgezogensten Ideen mit den glänzendsten Farben vorgetragen wurden, die ihnen die schöne Natur und der schöne Himmel Griechenlands lieh; wie könnten wir aber hoffen, in unsern frostigen Gegenden, in unsern engen Gebäuden, diesen herrlichen Lebenssaft wieder aufzufrischen?

Die neuere Menschenbildung hat die Beobachtungen über das menschliche Herz vervielfältigt; der Mensch hat den Menschen besser kennen gelernt; das, so zu sagen, ausgespreitete Gemüth bietet dem Schriftsteller tausend neue Schattirungen dar. Der Comiker faßt diese Schattirungen auf, und gelingt es ihm, sie vermittelst dramatischer Situationen zu heben, so entzückt es den Zuschauer, auf der Bühne Charaktere wieder zu finden, wie sie ihm im gemeinen Leben aufstoßen; aber die Aufstellung des Volks in der Comödie, der Chöre in der Tragödie, allegorischer Personen, philosophischer Secten, kurz die Einführung der Menschen in Masse oder in der Abstraktion, kann den heutigen Zuschauern unmöglich gefallen. Wir verlangen Namen und wirkliche Individuen; wir suchen das romanhafte Interesse selbst in der Comödie, und die Gesellschaft auf der Bühne.[209]

Unter den Schriftstellern der neuern Schule ist Tiek derjenige, der den meisten Sinn für den Scherz hat. Zwar kann kein einziges seiner Lustspiele aufgeführt werden; zwar sind die, welche er schrieb, weder gut angelegt, noch gut durchgeführt; aber sie enthalten glänzende Spuren einer originellen Laune. Vor allem gelingt es ihm, wie Lafontaine, den Thieren Spott in den Mund zu legen, oder ihn durch sie zu veranlassen. Er hat ein Lustspiel in dieser Gattung geschrieben, und es der gestiefelte Kater betitelt. Es ist von großem Werth. Ich kann nicht wissen, welche Wirkung redende Thiere auf der Bühne machen würden; vielleicht ist es unterhaltender, sie sich zu denken, als sie wirklich zu sehen und zu hören; gleichwohl ist in meinen Augen die Aufstellung der personificirten und nach Art der Menschen handelnden Thiere, die wahre Comödie, von der Natur selbst aufgeführt. Alle komische, d. h. egoistisch-sinnliche, Rollen hängen mehr oder weniger mit dem Thiergeschlechte zusammen. Gleich viel also, ob das Thier den Menschen, oder der Mensch das Thier nachahmt.

Tiek interessirt auch durch die Tendenz, die er seinem Spotttalent zu geben weiß; er richtet es ganz gegen den berechnenden prosaischen Geist, und da die meisten gesellschaftlichen Spötter den Enthusiasmus zur Zielscheibe des Lächerlichen machen, so ist der Schriftsteller in unsern Augen viel werth, der die Klugheit, den Egoismus, und alle sogenannte Vernunft packt und schüttelt, hinter welche sich die mittelmäßigen Naturen verbergen, und von dieser sichern Schutzwehr aus ihre Pfeile gegen die höhern Talente und Charaktere abdrücken. Sie stützen sich, die Schwächlinge, auf das, was sie das richtige Maaß nennen, um alles zu tadeln, was sich auszeichnet; und während die Eleganz [210] im entbehrlichen Ueberfluß an Gegenständen des äußern Luxus besteht, möchten sie, daß eben diese Eleganz den Luxus im Geist, die Spannkraft in den Gefühlen, kurz alles niederschlüge, was nicht geradezu geeignet ist, weltliche Geschäfte zu fördern. Der heutige Egoismus besitzt die Kunstfertigkeit, immer alles zu loben, was nach Bedächtigkeit, nach Maaß und Gewicht schmeckt; das heißt, die Maske der Weisheit vorthun, und nur spät hat man einsehen lernen, daß dergleichen Meinungen mit der Zeit den Genius der schönen Künste, Großmuth, Liebe und Religion, vernichten könnten; und was bliebe uns dann noch übrig, was sich der Mühe zu leben verlohnte?

Zwei Lustspiele von Tiek, Kaiser Octavianus und der Prinz Zerbino, sind sinnreich angelegt und ausgeführt. Ein Sohn des Kaisers Octavianus (eine erdichtete Person, die ein Feenmärchen zur Zeit König Dagoberts leben läßt) ist in der Wiege verloren gegangen, und im Walde von einem Pariser Bürger gefunden worden, der ihn mit seinem eignen Sohn erzieht, und für dessen Vater gilt. Der junge Fürst erreicht das zwanzigste Jahr, entwickelt bei jeder Gelegenheit edle heldenmüthige Gesinnungen; nichts ist unterhaltender als der beständige Contrast zwischen ihm und seinem vermeintlichen Bruder, dessen Blut die erhaltene Erziehung nicht verleugnet. Die Versuche des guten Bürgers, seinem Pflegesohn einige häusliche Lehren in den Kopf zu pressen, sind vergebens; er schickt ihn auf den Markt, daß er ihm ein Joch Ochsen kaufe; der junge Mann kauft sie, treibt sie nach Haus, trifft unterwegs einen Jäger mit einem Falken; giebt für den schönen Falken mit Freuden die Stiere, und kommt mit dem Vogel auf der Faust, stolz über seinen Ankauf, zurück. Ein andermal sieht [211] er ein Streitroß, dessen martialisches Ansehen ihn außer sich setzt; er frägt nach dem Preise, findet ihn weit unter dem Werthe des Thiers, und bezahlt das Doppelte.

Sein angeblicher Vater widersteht lange der natürlichen Anlage des Jünglings, der sich mit Feuer in die Laufbahn des Ruhms und der Gefahren stürzt. Zuletzt vermag er nicht, ihn abzuhalten, wider die Sarazenen, welche Paris belagern, die Waffen zu ergreifen; er hört von allen Seiten seine Thaten preisen; nun ergreift den alten ehrlichen Bürger mit einemmal eine poetische ansteckende Anwandlung; nichts ist lustiger, als das seltsame Gemisch dessen, was er ist und was er seyn will; er spricht das neue Gefühl in gemeinen mit Riesenbildern verbrämten Reden aus. Endlich wird der Jüngling für den Sohn des Kaisers erkannt, und jeder tritt wieder an seine Stelle und zu seinem Charakter zurück. Der Stoff liefert eine Menge witziger, echt-komischer Scenen; der Gegensatz des gemeinen Lebens mit dem Ritterthume kann nicht besser ausgedrückt werden.

Prinz Zerbino ist die geistreiche Beschreibung eines Hofes, der über die Neigung seines Souverains zum Enthusiasmus, zu freiwilligen Opfern, zu allen edlen Unbesonnenheiten eines großen Charakters, erstaunt. Die alten Hofleute haben ihren Fürsten im Verdacht der Narrheit, und geben ihm den Rath, auf Reisen zu gehen, um zu sehen, wie es außer seinem Reiche zugeht. Man giebt ihm einen sehr vernünftigen Erzieher mit, der ihn in das positive Leben zurückleiten soll. Dieser geht einmal mit seinem Zögling spazieren; sie sind an einem schönen Sommertage in einem schönen Walde, hören die Vögel singen, hören das Geräusch des Windes im Laube, hören die belebte Natur von allen Seiten den Menschen in ihrer prophetischen [212] Sprache anreden. Der Erzieher findet in diesen unbestimmten vielfältigen Empfindungen nichts als Verwirrung und Lärmen; sie kehren in das Schloß zurück, und er freut sich, die Bäume in Hausgeräth verwandelt, die Naturprodukte dem Gebrauch untergeordnet, und eine erkünstelte Regelmäßigkeit an die Stelle der geräuschvollen Bewegung der Existenz gebracht zu sehen. Die Hofleute erholen sich von ihrer Besorgniß, als sie hören, daß Prinz Zerbino, nachdem er von seinen Reisen zurückgekommen, und durch die Erfahrung belehrt worden, verspricht, sich nicht mehr mit den schönen Künsten, der Poesie, den überspannten Gefühlen abzugeben, kurz nichts zu thun, was dem Egoismus den Sieg über den Enthusiasmus erschweren könnte.

Die meisten Menschen fürchten auf der Welt nichts so sehr, als für Gimpel gehalten zu werden. Es ist in ihren Augen weit weniger lächerlich, sich bei allen Gelegenheiten mit sich selbst beschäftiget, als in einer einzigen, sich von Andern hinters Licht geführt zu zeigen. Folglich liegt Witz und eine lobenswürdige Anwendung des Witzes, im Spotte über alles, was persönliche Berechnung heißt. Vom calculirenden Geiste wird immer so viel bleiben, als zum Umtriebe in der Welt erforderlich ist; hingegen dürfte von einer höheren Natur alles, selbst das Andenken, in kurzer Zeit ganz von der Erde verschwinden.

In Tiek's Lustspielen trifft man eine Laune an, die aus den Charakteren selbst entspringt, und nicht in witzigen Epigrammen besteht; eine Laune, worin die Phantasie vom Spotte unzertrennbar ist; nur läßt auch bisweilen diese Phantasie das Komische verschwinden, und schiebt lyrische Poesie und Scenen ein, wo man nichts als in Handlung gesetzte Lächerlichkeiten erwartete. Den Deutschen fällt es überaus schwer, sich in ihren Geisteswerken [213] nicht schwankenden Träumereien hinzugeben; gleichwohl ist dieser Gemüthsrichtung nichts so fremd, als das Lustspiel und überhaupt das Theater. Unter allen Gefühlen ist die Träumerei das einsamste; kaum läßt sich, was wir träumend dachten, dem innigsten Freunde mittheilen; wie sollte es möglich seyn, die versammelte Menge Theil daran nehmen zu lassen?

Zu den allegorischen Stücken muß man den Triumph der Empfindsamkeit, ein kleines Schauspiel Göthe's rechnen, worin er äußerst sinnreich die doppelte Lächerlichkeit des gespielten Enthusiasmus, und der wirklichen Nullität aufgestellt hat. Die Hauptperson des Stücks scheint für alle Ideen eingenommen zu seyn, die eine starke Phantasie und ein tiefes Gemüth voraussetzen; gleichwohl ist er im Grunde nichts mehr als ein guterzogener, überaus artiger, an Convenienz klebender Prinz; nur hat er sichs beikommen lassen, mit diesen guten Eigenschaften eine erborgte Empfindsamkeit zu verbinden, der man das Bestellte, das Erkünstelte im ersten Augenblick ansieht. Er bildet sich ein, er liebe die düstern Wälder, den Mondschein, die sternenhellen Nächte; da er sich aber vor Kälte und Ermüdung fürchtet, so hat er Decorationen malen lassen, die diese verschiedenen Gegenstände vorstellen, und läßt sich auf seinen Reisen von einem großen Rüstwagen begleiten, der die Naturschönheiten ihm mit Extrapostpferden nachfahren muß.

Dieser sentimentale Prinz bildet sich ferner ein, er sey in ein Frauenzimmer verliebt, dessen Geist und Talente ihm sehr gerühmt worden waren; um ihn auf die Probe zu stellen, setzt dieses Frauenzimmer eine verschleierte Gliederpuppe an ihren Platz, die, wie man denken kann, nie ein unschickliches Wort sagt, und deren Stillschweigen in den Augen des Prinzen für die Zurückhaltung des guten [214] Geschmacks, und die trübsinnige Schwärmerei einer zarten Seele gilt.

Der Prinz, über eine Gefährtin entzückt, die allen seinen Wünschen entspricht, wirbt um die Gliederpuppe, und erfährt nun ganz zuletzt, daß er unglücklich genug war, eine wahre Gliederfrau zur Gattin gewählt zu haben, während sein Hof ihm so viel Schönen aufstellte, die diese Rolle eben so gut gespielt haben würden.

Gleichwohl, (wer wollte es leugnen?) reichen diese sinnreichen Ideen nicht zu einem guten Lustspiele hin; die Franzosen haben, im Fach des Komischen, einen ausgemachten Vorzug vor allen übrigen Nationen. Die Menschenkenntniß, und die Kunstfertigkeit von dieser Kenntniß Gebrauch zu machen, sichert ihnen, in dieser Hinsicht, die erste Stelle; nur ließe sichs bisweilen wünschen, selbst in Moliere's vorzüglichsten Stücken, daß die überlegte Satyre weniger, und die Phantasie mehr Platz einnähme. Unter den Stücken Molieres nähert sich der Festin de Pierre (Don Juan) dem deutschen Systeme am meisten; ein schauderhaftes Abentheuer dient den komischsten Situationen zum Hebel; die größten Wirkungen der Phantasie vermischen sich mit den treffendsten Schattirungen der Spötterei. Dieser eben so geistreiche als poetische Stoff ist der Spanischen Bühne entlehnt. Die dreisten theatralischen Schöpfungen sind in Frankreich selten; die französische Literatur liebt den sichern ruhigen Gang; hat sie sich aber durch ein glückliches Zusammentreffen von Umständen, in eine gefahrvolle Bahn gewagt, so weiß der Geschmack die Keckheit mit bewundernswürdiger Künstlichkeit zu leiten, so daß aus einer fremden Dichtung, von französischen Händen bearbeitet, fast immer ein Meisterstück wird.