BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Germaine de Staël

1766 -1817

 

Über Deutschland

 

Zweiter Theil. II. Abtheilung.

 

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Zwei und dreißigstes Capitel.

 

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Von den schönen Künsten in Deutschland.

 

Im Allgemeinen haben die Deutschen mehr Empfänglichkeit für die Kunst, als sie Geschicklichkeit besitzen, diese Kunst auszuüben. Kaum haben sie einen Eindruck erhalten, so ziehen sie daraus eine Menge Ideen. Sie sprechen viel von Geheimniß, aber nur um es zu offenbaren, und man kann keine Art von Eigenthümlichkeit in Deutschland aufweisen, ohne daß Jeder erklären will, wie man dazu gekommen ist. Dies ist ein wesentlicher Nachtheil; vorzüglich für die Künste, wo alles Sensation ist. Sie werden zergliedert, ehe man sie gefühlt hat, und wenn man hinterher auch sagt, daß die Zergliederung überflüssig sey: so hat man [283] doch die Frucht von dem Baum des Erkenntnisses genossen, und die Unschuld des Talents ist dahin.

Nicht, daß ich in Beziehung auf die Künste jene Unwissenheit empfehlen möchte, die ich in Dingen der Literatur zu tadeln nicht aufgehört habe. Allein man muß unterscheiden zwischen den Studien, die sich auf die Ausübung der Kunst beziehen, und zwischen denen, welche die Theorie des Talents zum ausschließenden Gegenstande haben. Diese, wenn sie allzuweit getrieben worden, ersticken die Erfindung. Man wird verwirrt durch die Zurückerinnerung an Alles, was über ein Meisterwerk gesagt worden ist; man fühlt zwischen sich und dem Gegenstande, den man mahlen will, eine Menge von Abhandlungen über Mahlerei und Bildhauerei, über das Ideale und das Reale; und der Künstler ist nicht mehr allein mit der Natur. Ohne allen Zweifel ist die Aufmunterung der Geist aller dieser Handlungen; allein durch allzu viel Aufmunterung ermüdet man das Genie, wie man es durch allzu viel Zwang erstickt, und in Dingen, die von der Einbildungskraft abhängen, bedarf es einer so glücklichen Mischung von Hindernissen und Erleichterungen, daß Jahrhunderte vergehen können, ohne daß man den eben rechten Punkt erreicht, wo die Blüthe des menschlichen Geistes in ihrer ganzen Kraft hervorbricht.

Vor der Reformation hatten die Deutschen eine Schule der Mahlerei, welche die italienische Schule nicht verschmähete. Albrecht Dürer, Lucas Cranach, Holbein, haben in ihrer Manier zu mahlen, Aehnlichkeit mit den Vorgängern Raphaels, Perugino, Andreas Mantegna u. s. w. Holbein nähert sich dem Leonardo da Vinci. Im Ganzen ist indeß in der deutschen Schule mehr Härte, als in der italienischen, wenn gleich nicht weniger Ausdruck und Andacht in [284] den Physiognomien. Die Mahler des fünfzehnten Jahrhunderts besaßen wenig Kenntniß von den Mitteln der Kunst; dafür bricht aus ihren Werken eine rührende Treuherzigkeit und Bescheidenheit hervor. Man entdeckt keine Ansprüche auf ehrgeizige Wirkungen; man fühlt nur jene innige Bewegung, für welche alle Menschen von Talent eine Sprache suchen, um nicht auszuscheiden, ohne ihren Zeitgenossen ihr Gemüth mitgetheilt zu haben.

In den Gemählden des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts sind die Falten der Gewänder ganz gerade, die Kopfbekleidung ein wenig starr und die Stellungen höchst einfach: allein in dem Ausdruck der Figuren ist etwas, das man zu betrachten nicht ermüdet. Gemählde, welche die christliche Religion eingehaucht hat, bewirken einen Eindruck, der mit dem der Psalmen große Aehnlichkeit hat, welche die Poesie mit der Frömmigkeit so bezaubernd vermischen.

Die zweite und schönere Epoche der Mahlerei war die, wo die Mahler die Wahrheit des Mittelalters beibehielten, indem sie ihr den vollen Glanz der Kunst beigesellten. Bei den Deutschen entspricht nichts dem Jahrhundert Leo's des Zehnten. Gegen das Ende des siebzehnten bis zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts geriethen die schönen Künste beinahe allenthalben in einen sonderbaren Verfall. Der Geschmack artete in Affectation aus. Jetzt offenbarte sich der große Einfluß Winkelmanns nicht blos auf sein Vaterland, sondern auch auf das übrige Europa. Seine Schriften gaben jeder künstlerischen Einbildungskraft die Richtung nach dem Studium und der Bewunderung der Denkmäler des Alterthums. Er verstand sich aber besser auf Bildhauerei, als auf Mahlerei; auch bestimmte er die Mahler, in ihre Werke mehr [285] kolorirte Statuen aufzunehmen, als allenthalben die lebendige Natur fühlbar zu machen. Indeß verliert die Mahlerei durch Annäherung an die Bildhauerei den besten Theil ihres Zaubers; denn die Täuschung, welche der einen nothwendig ist, steht den unbeweglichen und ausgesprochenen Formen der anderen entgegen. Nehmen die Mahler ausschließend die antike Schönheit zum Modell, welche sie nur aus Statuen kennen: so begegnet ihnen, was man der klassischen Literatur der Modernen zum Vorwurf macht, nähmlich, daß sie die Wirkungen der Kunst nicht in ihrer eigenen Begeisterung schöpfen.

Mengs, ein deutscher Mahler, hat sich in seinen Schriften über die Kunst als einen philosophischen Denker gezeigt. Als Winkelmanns Freund, theilte er dessen Bewunderung für die Antike. Gleichwohl hat er sehr oft die Fehler vermieden, welche man den, durch Winkelmanns Schriften gebildeten Mahlern zum Vorwurf machen kann: Künstlern, die sich größten Theils auf die Nachbildung der alten Meisterstücke beschränken. Mengs hatte sich auch den Corregio zum Muster genommen, d. h. einen Meister, der sich in seinen Gemählden von der Gattung der Bildhauerei entfernt, und in seinem Helldunkel die unbestimmten und köstlichen Eindrücke der Melodie zurückruft.

Bis zu dem Augenblick, wo die neue Schule ihren Einfluß auch auf die schönen Künste erstreckte, hatten die deutschen Künstler beinahe ohne Ausnahme Winkelmanns Meinungen angenommen. Göthe, dessen universellen Geist wir allenthalben wiederfinden, hat in seinen Werken gezeigt, daß er den wahren Genius der Mahlerei weit besser begriff, als Winkelmann. Doch, wie dieser, überzeugt, daß die Gegenstände der christlichen Welt der Kunst nicht günstig sind, sucht er den Enthusiasmus [286] für die Mythologie der Alten wieder zu erwecken; und dies ist ein Versuch, der nie gelingen kann. Vielleicht sind wir, in Hinsicht der schönen Künste, gleich unfähig Christen oder Heiden zu seyn; allein, wenn die schöpferische Einbildungskraft zu irgend einer Zeit in dem Menschen wieder aufleben sollte, so wird sie sich nicht durch Nachahmung der Alten fühlbar machen.

Die neue Schule behauptet in den schönen Künsten dasselbe System wie in der Literatur: sie erklärt nämlich das Christenthum ganz laut für die Quelle des Genies der Modernen. Die Schriftsteller dieser Schule charakterisiren auch auf eine ganz neue Weise das, was in der gothischen Baukunst zu den religiösen Gefühlen der Christen paßt. Daraus folgt nun freilich nicht, daß die Modernen nur gothische Kirchen bauen können und dürfen; weder Kunst noch Natur wiederholen sich. Das Einzige, worauf es ankommt bei dem gegenwärtigen Schweigen des Talents, ist, die Verachtung zu beseitigen, die man auf alle Schöpfungen des Mittelalters hat werfen wollen. Unstreitig brauchen wir sie nicht anzunehmen: aber nichts schadet der Entwickelung des Genies mehr, als alles Originelle als barbarisch zu betrachten.

Ich habe, als ich von Deutschland redete, bereits die Bemerkung gemacht, daß es daselbst wenig merkwürdige moderne Gebäude gebe. Im Norden von Deutschland erblickt man im Ganzen nur gothische Denkmäler, und die Natur und die Poesie unterstützen die Stimmungen des Gemüths, welche[n] aus diesen Denkmälern hervorgehen. Ein deutscher Schriftsteller, Namens Görres, hat eine interessante Beschreibung von einer alten Kirche geliefert. Man sieht, sagt er, Figuren von Rittern, welche mit gefalteten Händen auf einem Grabmal [287] knieen. Oben sind einige wunderbare Seltenheiten Asiens angebracht, welche nur da zu seyn scheinen, um, als stumme Zeugen, die Reise des Verstorbenen nach dem gelobten Lande zu bestätigen. Die dunklen Bogengänge der Kirche bedecken die Entschlafenen mit ihren Schatten; und man könnte glauben, man befinde sich in einem Walde, dessen Zweige und Blätter der Tod dermaßen durchdrungen hat, daß sie sich nicht wiegen und bewegen können, wenn die Jahrhunderte, gleich den Nachtwinden, sich fangen in ihren verlängerten Gewölben. Die Orgel läßt in der Kirche ihre majestätischen Töne hören; bronzene Inschriften, halb zerstört von dem feuchten Hauch der Zeit, deuten verworren die Großthaten an, die, nachdem sie lange glänzende Wahrheit gewesen sind, nun wieder zur Fabel werden.

Wenn man sich in Deutschland mit den Künsten beschäftigt, so möchte man immer lieber von den Schriftstellern, als von den Künstlern reden. In jeder Beziehung sind die Deutschen stärker in der Theorie, als in der Praxis, und der Norden ist den Künsten, welche das Auge treffen, so wenig günstig, daß man sagen möchte, es sey ihm nur der Geist des Nachdenkens gegeben worden, um dem Süden zum Zuschauer zu dienen.

 

Raphael, Sixtinische Madonna (1512/13)

 

Man findet in Deutschland eine Menge Bildergallerien und Sammlungen von Zeichnungen, welche die Liebe für die Künste in allen Classen der Gesellschaft voraussetzen. Bei großen Herrn und bei Gelehrten vom ersten Range trifft man Copien von den Meisterstücken des Alterthums. Göthe's Haus ist in dieser Hinsicht besonders merkwürdig. Er liebt nicht blos das Vergnügen, welches der Anblick von Statuen und Gemählden großer Meister gewähren kann; er glaubt sogar, daß Genie und Gemüth dadurch gewinnen. „Ich würde vollkommner werden, sagt er, wenn ich den [288] Kopf des olympischen Jupiter, den die Alten so sehr bewundert haben, vor Augen hätte.“ Mehrere ausgezeichnete Mahler haben sich in Dresden niedergelassen; die Meisterwerke der dortigen Gallerie wecken Talent und Nacheiferung. Jene Jungfrau Raphaels, welche zwei Kinder betrachten, ist für sich allein ein Schatz für die Künste; in dieser Figur ist eine Erhebung und eine Reinheit, welche das Ideal der Religion und der inneren Stärke des Gemüths ist. Die Vollkommenheit der Züge ist in diesem Gemälde nur ein Symbol; die langen Gewänder, ein Ausdruck der Schaam, wenden alles Interesse auf das Gesicht hin, und die Physiognomie, noch bewundernswürdiger, als die Züge, ist gewissermaßen die himmlische Schönheit, welche sich durch die irdische offenbaret. Das Christuskind, das die Mutter in ihren Armen hält, ist höchstens zwei Jahre alt; allein der Mahler hat die mächtige Kraft des himmlischen Wesens in dem kaum gebildeten Gesichte auf eine wunderbare Weise auszudrücken gewußt. Der Blick der kindlichen Engel, welche unten angebracht sind, ist entzückend; nur die Unschuld dieses Alters hat noch Zauber neben der himmlischen Reinheit. Ihr Erstaunen beim Anblick der strahlenden Jungfrau gleicht nicht der Ueberraschung, welche Menschen empfinden könnten; ihre Miene sagt, daß sie mit Vertrauen anbeten, weil sie in ihr eine Bewohnerin desselben Himmels erkennen, den sie vor kurzem verlassen haben.

 

Corregio, Die Nacht (1529/30)

 

Correggio's Nacht ist, nach Raphaels Jungfrau, das schönste Meisterwerk der Dresdner Gallerie. Man hat die Anbetung der Hirten sehr oft dargestellt; allein da die Neuheit des Gegenstandes so viel als nichts ist in dem Vergnügen, welches die Ma[h]lerei verursacht, so reicht die Art und [289] Weise, wie das Gemälde Correggio's gedacht ist, für die Bewunderung desselben aus. In der Mitte der Nacht erhält das Kind auf dem Schooße seiner Mutter die Huldigungen der Hirten. Das Licht, welches von dem Heiligenschein, der sein Haupt umgiebt, ausgeht, hat etwas Erhabenes. Die Personen, welche fern von dem göttlichen Kinde in dem Hintergrunde des Gemäldes gestellt sind, befinden sich noch in der Dunkelheit, und man möchte sagen, diese Dunkelheit sey das Sinnbild des menschlichen Lebens, ehe die Offenbarung es aufgehellet hatte.

Unter den verschiedenen Gemälden moderner Künstler zu Dresden erinnere ich mich eines Kopfs von Dante, welcher ein wenig den Charakter der Figur Ossians in dem schönen Gemälde von Gerard hatte. Diese Analogie ist glücklich. Dante und Fingals Sohn können sich über Jahrhunderte und Wolken hin die Hände reichen.

 

Ferdinand Hartmann (1774-1842), Die drei Marien am Grabe

 

Ein Gemälde von Hartmann stellt den Besuch der Magdalena und der beiden Frauen, Maria genannt, am Grabe Christi vor. Ihnen erscheint der Engel, um ihnen anzukündigen, daß Christus auferstanden ist. Der geöffnete Sarg, welcher keine sterblichen Ueberreste mehr enthält, die Frauen, von bewundernswürdiger Schönheit, die ihre Blicke gegen den Himmel wenden, um daselbst denjenigen wieder zu sehen, welchen sie in den Schatten des Grabes gesucht hatten, bilden ein Gemälde, das zugleich malerisch und dramatisch ist.

 

Christian Gottlieb Schick (1761-1812), Dankopfer Noahs

 

Schick, ein anderer deutscher Künstler, der sich jetzt zu Rom niedergelassen hat, ist Urheber eines Gemäldes, welches das erste Opfer Noah's nach der Sündfluth vorstellt. Die Natur, durch die Gewässer verjüngt, scheint eine neue Frischheit erhalten zu haben; die Thiere haben die Miene [290] der Vertraulichkeit mit de[m] Patriarchen und dessen Kindern, weil sie gemeinschaftlich der allgemeinen Fluth entgangen sind. Das Grün, die Blumen und der Himmel sind gemalt mit lebhaften und natürlichen Farben, welche die Sensation von orientalischen Landschaften zurückrufen. Mehrere andere Künstler bemühen sich, wie Schick, dem neuen System, das in der literarischen Poesie eingeführt, oder vielmehr erneuert ist, zu folgen; aber die Künste bedürfen der Reichthümer, und große Glücksgüter sind in den verschiedenen Städten Deutschlands zerstreut. Außerdem besteht in Deutschland der wirkliche Fortschritt, den man gemacht hat, darin, daß man die alten Meister ihrem Geiste nach fühlt und copirt. Das ursprüngliche Genie hat sich daselbst noch nicht stark ausgesprochen.

 

Bertel Thorvaldsen (1770-1844), Jason

 

Die Bildhauerei ist in Deutschland mit keinem sonderlichen Erfolg geübt worden, theils weil es an Marmor fehlt, welcher die Meisterwerke unsterblich macht, theils, weil die Deutschen weder den Tact noch die Anmuth der Stellungen und Gesten haben, welche die Gymnastik oder der Tanz allein erleichtern können. Bei dem allen rivalisirt ein Däne, Namens Thorwaldsen, der sich in Deutschland gebildet hat, gegen­wärtig zu Rom mit Canova, und sein Jason gleicht dem, den Pindar als den schönsten Mann beschreibt; ein Vließ liegt um seinen linken Arm, eine Lanze trägt er in der Hand, und die Ruhe der Kraft charakterisirt den Helden.

 

Ida Brun (1792-1857) mit der Büste ihrer Mutter

 

Ich habe bereits gesagt, daß die Bildhauerei im Allgemeinen dabei verliert, daß der Tanz so ganz vernachläßigt wird. Das einzige Phänomen, welches es in dieser Kunst in Deutschland giebt, ist Ida Brun, ein junges Mädchen, welches durch sein gesellschaftliches Daseyn von dem Künstlerleben geschieden ist. Ida Brun hat von der [291] Natur und von ihrer Mutter ein unsägliches Talent erhalten, die rührendsten Gemälde, oder die schönsten Statuen durch einfache Stellungen darzustellen; ihr Tanz ist nur eine Folgereihe flüchtiger Meisterwerke, von welchen man jedes für immer festhalten möchte. Es ist wahr, daß ihre Mutter in ihrer Einbildungskraft alles geschaffen hat, was die Tochter den Blicken malt; die Poesieen von Friederike Brun lassen in der Kunst und der Natur tausend neue Reichthümer entdecken, welche die zerstreuten Blicke bisher nicht wahrgenommen hatten. Ich habe die junge Ida als Kind die Althea machen sehen, wie sie bereit ist, den Brand, an welchem das Leben ihres Sohnes Meleager hängt, zu verbrennen. Ohne Worte drückte sie den Schmerz, die Kämpfe und den fürchterlichen Entschluß einer Mutter aus; ihre belebten Blicke dienten unstreitig zur Darstellung dessen, was in ihrem Herzen vorging; allein die Kunst, ihre Gebehrden zu verändern, und den Purpurmantel, womit sie bekleidet war, zu drappiren, brachte zum wenigsten eine eben so große Wirkung hervor, wie ihre Physiognomie. Bisweilen verweilte sie länger in einer Stellung, und jedesmal hätte ein Maler nichts besseres erfinden können, als das von ihr improvisirte Gemälde. Ein solches Talent ist einzig. Ich glaube indeß, daß man in Deutschland sich mit besserem Erfolg auf den pantomimischen Tanz legen wird, als auf den, der, wie in Frankreich, blos in der Anmuth und Beweglichkeit des Körpers besteht.

Die Deutschen zeichnen sich in der Instrumentalmusik aus. Die Kenntnisse, die sie erfordert, und die Geduld, deren es zu ihrer Ausführung bedarf, sind ihnen ganz natürlich; sie besitzen auch Komponisten von sehr mannigfaltiger und [292] sehr fruchtbarer Einbildungskraft. Nur eine Einwendung möchte ich gegen ihr Genie als Musiker machen: sie bringen zu viel Geist in ihre Werke, sie denken zu viel über das, was sie machen. In den schönen Künsten steht der Instinkt über dem Gedanken. Die deutschen Componisten folgen dem Sinn der Worte allzu genau; freilich ein großes Verdienst für die, welche die Worte höher achten, als die Musik, wobei sich auch nicht leugnen läßt, daß der Mangel an Uebereinstimmung zwischen dem Sinn der einen und dem Ausdruck der anderen sehr unangenehm seyn werde. Indeß die Italiener, welche die wahren Natur-Musiker sind, passen die Gesangsweisen den Worten nur auf sehr allgemeine Weise an. Da in Romanzen, in Gassenliedern wenig Musik ist, so mag man dies Wenige den Worten unterwerfen; aber in den großen Wirkungen der Melodie muß man das Gemüth durch eine unmittelbare Sensation bestürmen.

Die, welche die Malerei an und für sich wenig lieben, legen doch nicht selten einen hohen Werth auf die Gegenstände der Gemälde; denn sie möchten darin die Eindrücke dramatischer Scenen wiederfinden. Eben so geht es in der Musik. Empfindet man sie nur schwach, so verlangt man, daß sie sich selbst den geringsten Abstufungen der Worte mit Treue anschmiege; allein, wenn sie das Innerste des Gemüths aufregt, so ist jede Aufmerksamkeit, die ihr nicht ausschließend gewidmet wird, nur eine lästige Zerstreuung, und vorausgesetzt, daß zwischen dem Gedicht und der Musik kein Gegensatz Statt findet, überläßt man sich der Kunst, die den Sieg über alle davon tragen muß. Denn die süße Träumerei, in welche sie uns versenkt, vernichtet die Gedanken, welche die Worte ausdrücken können, und indem die [293] Musik das Gefühl des Unendlichen in uns weckt, muß alles, was darauf abzweckt, den Gegenstand der Melodie hervorzuheben, die Wirkung derselben vermindern.

Gluck, welchen die Deutschen mit Recht zu ihren Männern von Genie rechnen, hat auf eine wunderbare Weise den Gesang den Worten anzupassen verstanden, und in mehreren seiner Opern durch den Ausdruck der Musik mit dem Dichter gewetteifert. Als Alceste für Admet zu sterben beschließt, und dieses, ganz im Stillen den Göttern dargebrachte Opfer ihrem Gemahl das Leben wieder giebt, ist der Contrast der fröhlichen Gesangsweisen, welche die Wiedergenesung des Königs feiern, und der unterdrückten Seufzer der Königin, welche ihn zu verlassen verurtheilt ist, von wahrhaft tragischer Wirkung. In der Iphigenia auf Tauris sagt Orest: Die Ruhe kehrt zurück in mein Gemüth, – und die Arie, welche er singt, drückt dieses Gefühl aus; allein die Begleitung dieser Arie ist düster und bewegt. Erstaunt über diesen Contrast, wollten die Musiker bei der Aufführung diese Begleitung mäßigen; aber Gluck ward böse und rief ihnen zu: „Kehrt euch nicht an den Orest; er sagt zwar, er sey ruhig, aber er lügt.“ Indem Poussin die Tänze der Schäferinnen malt, setzt er in die Landschaft den Grabstein eines jungen Mädchens mit der Inschrift: Auch ich war in Arkadien. In dieser Manier, die Künste aufzufassen, ist, wie in Glucks scharfsinnigen Combinationen etwas Gedachtes. Aber die Künste sind über den Gedanken erhaben; ihre Sprache sind die Farben, oder die Formen, oder die Töne. Könnte man sich die Eindrücke vorstellen, deren unsere Seele vor ihrer Bekanntschaft mit dem Worte empfänglich seyn muß, so [294] würde man die Wirkung der Malerei und der Musik besser begreifen.

Von allen Musikern hat vielleicht Mozart in dem Talent, die Musik mit Worten zu vermählen, den meisten Verstand gezeigt. In seinen Opern, und besonders in dem Don Juan hat er alle Abstufungen dramatischer Scenen fühlbar gemacht; der Gesang ist voll Fröhlichkeit, während die buntscheckige und starke Begleitung den phantastischen und düsteren Gegenstand des Stücks anzudeuten scheint. Zwar gewährt auch diese geistige Vermählung des Musikers mit dem Dichter ein Vergnügen; allein es erwächst aus der Reflexion und gehört nicht in den Zauberkreis der Künste.

Ich habe zu Wien die Schöpfung von Haydn gehört. Vierhundert Musiker führten sie zusammen auf: ein würdiges Fest zur Ehre des Werks, welches dadurch gefeiert wurde. Aber auch Haydn schadete bisweilen seinem Talent durch seinen Verstand. Bei den Worten des Textes: Gott sprach, es werde Licht, und es ward Licht, spielten die Instrumente anfangs leise, so daß sie kaum vernehmbar waren, dann aber brachen sie plötzlich mit einem fürchterlichen Lärmen los, welcher den Glanz des Tages anzeigen sollte. Auch sagte ein Mann von Geist: „bei der Erscheinung des Lichts müsse man sich die Ohren zuhalten.“

In mehreren anderen Stellen der Schöpfung kann dieser gesuchte Verstand getadelt werden. Die Musik ist schleppend, als die Schlangen geschaffen werden; allein sie wird wieder glänzend bei dem Gesange der Vögel. Noch häufiger sind dergleichen Anspielungen in Haydn's Jahreszeiten. Wirkungen, auf solche Weise vorbereitet, sind Concettis in der Musik. Unstreitig können gewisse Combinationen der Harmonie an die Wunder [295] der Natur erinnern; aber dergleichen Analogieen stehen in keiner Verbindung mit der Nachahmung, die immer nur ein gemachtes Spiel ist. Die wirklichen Ähnlichkeiten der schönen Künste unter einander und der schönen Künste mit der Natur, hängen ab von den Gefühlen derselben Gattung, welche sie in unserem Gemüth durch verschiedene Mittel anregen.

Nachahmung und Ausdruck sind in den schönen Künsten sehr von einander verschieden. Darüber ist man, glaub' ich, allgemein einverstanden, daß die nachahmende Musik verbannt werden müsse. Aber über die ausdrückende Musik bleiben noch zwei Ansichten übrig. Einige wollen in ihr die Uebersetzung der Worte finden; andere, und zwar die Italiener, begnügen sich mit einem allgemeinen Verhältniß zwischen den Lagen des Stücks und der Absicht der Arien, und suchen das Vergnügen der Kunst einzig in ihr selbst. Die Musik der Deutschen ist mannigfaltiger, als die der Italiener; und gerade hierin steht jene vielleicht hinter dieser zurück. Der Geist ist zur Abwechselung verdammt; sein eigener Jammer ist die Ursache davon. Aber die Künste, wie die Gefühle, haben eine bewundernswürdige Eintönigkeit, die nämlich, aus welcher man einen ewigen Augenblick machen möchte.

Die Kirchenmusik ist in Deutschland minder schön, als in Italien, weil die Instrumente darin immer vorherrschen. Wenn man zu Rom das Miserere, von lauter Menschen Stimmen gesungen gehört hat, so erscheint alle Instrumentalmusik, selbst die der Dresdner Capelle, als irdisch. Die Violinen und Trompeten machen einen Bestandtheil des Dresdener Orchesters während des Gottesdienstes aus, und die Musik ist daselbst mehr kriegerisch [296] als religiös. Der Contrast der lebhaften Eindrücke, welche sie bewirkt, mit der kirchlichen Andacht, ist nicht angenehm. Man muß das Leben nicht in der Nähe von Gräbern beseelen. Die Kriegsmusik treibt zur Aufopferung des Daseyns, aber nicht zur Lossagung von demselben.

Auch die Musik der Wiener Capelle verdient gerühmt zu werden. Von allen Künsten, welche die Wiener schätzen, ist die Musik die erste. Dies gewährt die Hoffnung, daß sie einmal werden Dichter werden; denn, trotz ihren, ein wenig prosaischen Neigungen, ist jeder, der die Musik liebt, auch ohne es zu wissen, enthusiastischer Freund, alles dessen, was sie zurückruft. Ich habe zu Wien das Requiem gehört, welches Mozart einige Tage vor seinem Tode komponirt hatte, und das in der Kirche am Tage seines Leichenbegängnisses gesungen wurde. Es ist nicht feierlich genug für die Lage, und wie in Allem, was von Mozart herrührt, so findet man auch hierin Scharfsinniges. Indeß was ist rührender, als ein Mann von überwiegendem Talent, der auf diese Weise sein eigenes Leichenbegängniß feiert, und zugleich von dem Gefühl seines Todes und seiner Unsterblichkeit begeistert ist! Die Andenken des Lebens müssen die Gräber schmücken; die Waffen eines Kriegers werden darüber aufgehangen, und die Meisterwerke der Kunst verursachen einen feierlichen Eindruck in dem Tempel, wo die Asche des Künstlers ruhet.