BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Germaine de Staël

1766 -1817

 

Über Deutschland

 

Dritter Theil. I. Abtheilung.

 

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Siebzehntes Capitel.

 

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Ueber den Woldemar.

 

Der Roman: Woldemar ist das Werk desselben Philosophen Jacobi, von welchem ich in dem vorhergehenden Capitel geredet habe. Dies Werk enthält philosophische Erörterungen, in welchen die Moral-Systeme französischer Schriftsteller lebhaft angegriffen werden, und Jacobi's eigene Lehre ist darin mit bewundernswürdiger Beredsamkeit entwickelt. In dieser Beziehung ist der Woldemar ein sehr schönes Buch: aber als Roman betrachtet, liebe ich weder den Gang, noch den Zweck desselben.

Der Verfasser, der, als Philosoph, die ganze Bestimmung des Menschen auf das Gefühl bezieht, malt, wie ich glaube, die Empfindsamkeit in seinem Werke anders, als sie ihrer Wirklichkeit nach ist. Eine übertriebene Zartheit, oder vielmehr eine seltsame Manier, das menschliche Herz aufzufassen, kann in der Theorie interessiren, aber nicht, wenn man sie in Thätigkeit setzt, und wenn man etwas Reelles daraus machen will.

Woldemar empfindet eine lebhafte Freundschaft für eine Person, die ihn nicht heirathen will, wiewol sie sein Gefühl theilt. Er verheirathet sich mit einer Frau, die er nicht liebt, weil er in ihr einen nachgiebigen und sanften Charakter zu finden glaubt, der für die Ehe paßt. Kaum hat er sie geheirathet, so steht er im Begriff, sich der Liebe zu überlassen, [176] die er für die andere empfindet. Diese, welche sich nicht mit ihm vereinigen wollte, liebt ihn zwar noch immer, aber sie ist empört von der Idee, daß er Liebe für sie haben könnte; und doch will sie an seiner Seite leben, seine Kinder pflegen, seine Frau als Schwester behandeln, und die Naturgefühle nur durch die Sympathie der Freundschaft kennen. Auf dieselbe Weise endigt ein ziemlich gepriesenes Stück von Goethe, Stella betitelt, damit, daß zwei Frauen, welche mit demselben Manne in heiligen Verbindungen stehen, den Entschluß fassen, beide in gutem Einverständnisse bei ihm zu leben. Dergleichen Erfindungen erhalten in Deutschland nur deshalb Beifall, weil in diesem Lande oft mehr Einbildungskraft, als Empfindsamkeit angetroffen wird. Im mittäglichen Europa wissen die Gemüther nichts von diesem Heroismus des Gefühls; die Leidenschaft ist hier ergeben, aber eifersüchtig; und die vorgebliche Zartheit, welche die Liebe der Freundschaft aufopfert, ohne daß die Pflicht es gebietet, erscheint nur als eine manierirte Kälte.

Alle diese großmüthigen Gefühle auf Kosten der Liebe, sind etwas Gemachtes und Unnatürliches. Weder Duldsamkeit noch Theilung muß gestattet werden in Beziehung auf ein Gefühl, welches nur dadurch erhaben ist, daß es, wie die Mütterlichkeit, oder wie die kindliche Liebe, ausschließend und allmächtig ist. Man muß sich durch eigene Wahl nicht in eine Lage bringen, wo die Moral und die Empfindsamkeit in Disharmonie stehen; denn das Unwillkührliche ist so schön, daß es etwas Abscheuliches ist, sich alle seine Handlungen befehlen, und mit sich selbst, wie mit seinem Schlachtopfer, leben zu müssen. [177]

Es geschah gewiß nicht aus Heuchelei oder aus Dürftigkeit des Gemüths, als ein gutes und wahres Genie in dem Roman Woldemar Lagen schuf, wo jede Person das Gefühl durch das Gefühl aufopferte, und recht geflissentlich einen Grund sucht, nicht zu lieben, was sie liebt. Allein Jacobi, der von Jugend an eine lebendige Neigung für alle Arten des Enthusiasmus empfunden hatte, suchte in den Verbindungen des Herzens einen romanhaften Mysticismus, den er geistreich genug dargestellt hat, der aber unnatürlich bleibt.

Mir kommt es vor, als wenn Jacobi die Liebe weniger kennt, als die Religion, weil er beide verschmelzen will; es ist aber nicht an dem, daß die Liebe, wie die Religion, ihr ganzes Glück in der Verläugnung des Glücks selbst finden kann. Man verdirbt die Idee, die man von der Tugend haben muß, wenn man sie in eine Exaltation ohne Zweck, und in Opfer ohne Nothwendigkeit setzt. Alle Personen in Jacobi's Roman kämpfen unaufhörlich aus Großmuth auf Kosten der Liebe; und doch geschieht dies im Leben beinahe gar nicht, und in sich selbst ist es nicht einmal schön, wenn die Tugend es nicht fordert. Denn starke und leidenschaftliche Gefühle ehren die menschliche Natur, und die Religion ist nur deshalb so erhaben, weil sie über dergleichen Gefühle triumphiren kann. Hätte Gott wohl nöthig gehabt, zu unseren Herzen zu reden, wenn er in denselben nur schwache Zuneigungen gefunden hätte, auf welche man so leicht verzichten kann?