BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Germaine de Staël

1766 -1817

 

Über Deutschland

 

Dritter Theil. II. Abtheilung.

 

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Achtes Capitel.

 

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Von dem Sectengeist in

Deutschland.

 

Die Gewohnheit des Nachsinnens führt zu allerlei Träumereien über die menschliche Bestimmung. Nur das thätige Leben kann unser Interesse von der Quelle der Dinge ableiten; allein alles, was in dem Gebiete der Ideen Großes oder Abgeschmacktes ist, muß als das Resultat der innern Bewegung gedacht werden, die man nicht nach außen hin zerstreuen kann. Viele sind so aufgebracht gegen religiöse oder philosophische Secten, daß sie ihnen die Benennung von Narrheiten und gefährlichen Narrheiten [277] geben. Mir scheint es, daß selbst von den Verirrungen des Gedankens für die Ruhe und die Moralität der Menschen weit weniger zu befürchten sey, als von der Gedankenlosigkeit. Trägt man die Macht des Nachdenkens als Ersatz für materielle Thätigkeit nicht in sich, so muß man unaufhörlich und bisweilen auf gut Glück thätig seyn.

Wahr ist, daß der Fanatismus der Ideen bisweilen zu gewaltsamen Handlungen geführt hat; aber das geschieht nur dann, wenn man die Vortheile dieser Welt mit Hülfe abstracter Meinungen hat erhöhen wollen. In sich selbst sind metaphysische Systeme wenig gefährlich; sie werden es erst dann, wenn sie mit ehrgeizigen Entwürfen gepaart sind, und in einem solchen Falle muß man sich mit diesen Entwürfen befassen, wenn man die Systeme verändern will. Aber Menschen, welche sich, unabhängig von den Resultaten, lebendig an eine Meinung festklammern können, sind immer von einer edlen Natur.

Die philosophischen und religiösen Secten, welche, unter verschiedenen Benennungen, in Deutschland existirt haben, hatten beinahe gar keine Beziehungen auf politische Angelegenheiten; und jene Art des Talents, welche erfordert wird, um die Menschen zu kraftvollen Entschließungen zu führen, hat sich in diesem Lande sehr selten gezeigt. Man kann über die Kantische Philosophie, über theologische Fragen, über Idealismus oder Empirismus streiten, ohne [daß] daraus noch etwas mehr hervorgeht, als Bücher.

Sectengeist und Partheigeist unterscheiden sich in mancher Hinsicht. Der Partheigeist stellt die Meinungen von der grellsten Seite dar, um sie [278] dem großen Haufen faßlich zu machen; und der Sectengeist, vorzüglich in Deutschland, strebt immer nur nach dem Abstraktesten. In dem Partheigeist muß man den Augenpunkt der Menge auffassen, um sich in denselben zu stellen; die Deutschen aber denken nur auf Theorie, und sollte sie sich in die Wolken verlieren, so folgen sie ihr dahin. Der Partheigeist regt in den Menschen gewisse gemeine Leidenschaften an, die sie in Masse vereinigen; die Deutschen machen, wer weiß, wie viele Unterabtheilungen, um zu erklären, zu unterscheiden, zu commentiren. Sie besitzen eine philosophische Aufrichtigkeit, welche wunderbar zur Erforschung der Wahrheit paßt, keinesweges aber zu der Kunst, sie ins Werk zu richten. Der Sectengeist will nur überzeugen; der Partheigeist will Massen bilden, Der Sectengeist streitet über Ideen; der Partheigeist will Gewalt über Menschen. In dem Partheigeist ist Zucht, in dem Sectengeist Anarchie. Die Obrigkeit, von welcher Beschaffenheit sie auch seyn möge, hat von dem Sectengeiste nichts zu befürchten, und indem man dem Gedanken die höchste Freiheit gestattet, macht man ihn am unschädlichsten; aber der Partheigeist ist nicht so leicht zu befriedigen und beschränkt sich nicht auf jene intellectuelle Eroberungen, wo jedes Individuum sich ein Reich schaffen kann, ohne irgend einen Eigenthümer abzusetzen.

In Frankreich ist man weit empfänglicher für den Partheigeist, als für den Sectengeist; man versteht sich zu gut auf den reellen Lebensgenuß, um das, was man wünscht, nicht Handlung, das, was man denkt, nicht in That zu verwandeln. Aber vielleicht ist man in Frankreich dem Sectengeiste allzu fremd. [279] Man hängt nicht genug an abstracten Ideen, um sie mit Wärme zu vertheidigen. Außerdem will man durch keine Art von Meinung gebunden seyn, um allen Umständen desto freier entgegen treten zu können. Es giebt mehr Ehrlichkeit in dem Sectengeiste, als in dem Partheigeiste; und deshalb müssen die Deutschen mehr für den ersteren, als für den letzteren passen.

Man muß in Deutschland drei Arten von religiösen und philosophischen Secten unterscheiden; erstlich die verschiedenen christlichen Gemeinden, welche besonders um die Zeit der Reformation, wo alle Geister sich um theologische Fragen dreheten, existirt haben; zweitens die Gesellschaften; und endlich die Adepten einiger besonderen Systeme, deren Vorsteher ein Mensch ist. In die erste Classe muß man die Wiedertäufer und mährischen Brüder setzen; in die zweite die Freimaurer, die älteste der geheimen Gesellschaften; und in die dritte die verschiedenen Gattungen von Illuminaten.

Die Wiedertäufer waren mehr eine revolutionaire als religiöse Secte; und wie sie ihre Existenz mehr politischen Leidenschaften, als Meinungen verdankten, so verschwanden sie mit den Umständen. Die mährischen Brüder, denen alle Weltangelegenheiten fremd sind, bilden, wie ich gesagt habe, eine christliche Gemeinde von der höchsten Reinheit. Die Quäcker bringen die Grundsätze der mährischen Brüder mitten in die Gesellschaft; diese hingegen ziehen sich von der Welt zurück, um ihren Grundsätzen desto getreuer bleiben zu können.

Die Freimaurerey ist in Schottland und Deutschland eine weit ernstere Institution, als in Frankreich. Sie hat in allen Ländern existirt; es scheint [280] indeß, daß diese Gesellschaft ursprünglich aus Deutschland gekommen, dann von den Angelsachsen nach England verpflanzt und bei Carls des Ersten Tode von den Anhängern der Restauration erneuert worden ist, die sich bei der St. Paulskirche versammelten, um Carl den Zweiten auf den Thron zurückzurufen. Man glaubt auch, daß die Freimaurer, vorzüglich in Schottland, sich einigermaßen an den Orden der Tempelherrn anschließen. Lessing hat über die Maurerei einen Dialog geschrieben, worin sein strahlendes Genie sich ungemein bemerklich macht. Er behauptet, der Zweck dieser Gesellschaft sey, die Menschen trotz der Scheidewände der Gesellschaft zu vereinigen; denn, wenn in einer Beziehung der gesellschaftliche Zustand die Menschen durch Unterwerfung unter die Herrschaft der Gesetze vereinigt, so trennt er sie wieder durch die Verschiedenheiten des Ranges und der Regierung. Diese Brüderlichkeit, ein wahres Bild des goldenen Zeitalters, ist In der Freimaurerei mit vielen anderen und guten moralischen Ideen vermischt worden. Man kann sich indeß nicht verbergen, daß in der Natur der geheimen Gesellschaften etwas liegt, das die Geister zu Unabhängigkeit hintreibt; aber diese Gesellschaften sind der Entwickelung der Einsichten sehr günstig; denn alles, was die Menschen von selbst und freiwillig thun, giebt ihrem Urtheil mehr Stärke und Umfang.

Es ist auch möglich, daß die Grundsätze der demokratischen Gleichheit sich durch diese Art von Institutionen fortpflanzen, die die Menschen nach ihrem wahren Werthe, nicht nach ihrem Range in der Welt darstellen. Die geheimen Gesellschaften lehren, wie groß die Macht der Zahl und der Vereinigung [281] ist, während isolirte Bürger so zu sagen, abstrakte Wesen für einander sind. In dieser Beziehung könnten diese Gesellschaften einen großen Einfluß im Staate haben. Uebrigens erfordert die Gerechtigkeit, zu bemerken, daß die Freimaurerei sich im Allgemeinen nur mit religiösen und philosophischen Angelegenheiten befaßt.

Ihre Mitglieder theilen sich unter einander in zwei Classen: nemlich in die philosophische und in die hermetische oder ägyptische Freimaurerei. Die erstere hat die innere Kirche, oder die Entwicklung der Geistigkeit der Seele zum Gegenstande. Die zweite bezieht sich auf die Wissenschaften, namentlich auf die, welche sich mit den Geheimnissen der Natur beschäftigen. Die Rosenkreuzer unter andern sind einer von den Graden der Maurerei; und die Rosenkreuzer waren in ihrem Ursprunge Alchymisten.

Zu allen Zeiten und in allen Ländern hat es geheime Gesellschaften gegeben, deren Mitglieder den Zweck hatten, sich gegenseitig in dem Glauben an die Geistigkeit der Seele zu befestigen. Die Mysterien von Eleusis bei den Heiden, die Secte der Essenier bei den Juden, waren auf diese Lehren gegründet, die man nicht profaniren wollte durch Preisgabe an die Spöttereien des großen Haufens. Vor ungefähr dreißig Jahren gab es zu Wilhelmsbad eine Versammlung von Freimaurern, an deren Spitze ein Herzog von Braunschweig stand. Diese Versammlung hatte die Reform der deutschen Freimaurer zum Gegenstande, und es scheint, als hätten mystische Meinungen überhaupt, und die von St. Martin insbesondere, sehr viel Einfluß auf diesen Verein gehabt. Die politischen Institutionen, die gesellschaftlichen Beziehungen und bisweilen sogar [282] die Familien-Verwandtschaften, berühren nur das äußere Leben; es ist demnach sehr natürlich, daß man zu allen Zeiten eine innigere Art und Weise, sich zu erkennen und zu verstehen gesucht hat; und Alle, deren Charakter einige Tiefe hat, halten sich für Adepten und suchen sich durch einige Zeichen von dem übrigen Menschenschlage zu unterscheiden. Die geheimen Gesellschaften arten mit der Zeit aus; aber ihr Princip ist beinahe immer ein Gefühl des Enthusiasmus, von der Gesellschaft in seiner Stärke erhalten.

Es giebt drei Classen von Illuminaten: die mystischen, die visionären und die politischen Illuminaten. Die erste – die, von welcher Jacob Böhme, und, im letzten Jahrhunderte, Pasqualis und St. Martin als Oberhäupter betrachtet werden können – steht, durch mancherlei Bande, mit der inneren Kirche, diesem heiligen Sammelplatz aller religiösen Philosophen, in Verbindung. Illuminaten dieser Art beschäftigen sich einzig mit der Religion und mit der, durch religiöse Dogmen gedeuteten Natur.

Die visionären Illuminaten, an deren Spitze man den Schweden Schwedenborg setzen kann, glauben, daß sie durch die Willenskraft Todte erscheinen machen und Wunder verrichten können. Der verstorbene König von Preußen, Friedrich Wilhelm, wurde durch die Leichtgläubigkeit oder durch die List dieser Menschen auf Irrwege geleitet. Die idealistischen Illuminaten verwerfen diese Visionäre wie Empiriker; sie verachten ihre vorgeblichen Wunder, und denken, daß das Wunder der Gefühle der Seele den Sieg über alle übrigen davon tragen müsse.

Endlich haben Menschen, welche keinen andern Zweck verfolgten, als sich in allen Staaten die Macht [283] beizulegen und sich alle Aemter geben zu lassen, die Benennung von Illuminaten angenommen. Ihr Haupt war ein Baier, Namens Weißhaupt, der sehr wohl bemerkt hatte, welche Macht man durch Vereinigung der zerstreuten Kräfte von Individuen erwerben kann, wenn man alle auf ein Ziel richtet. Ein Geheimniß, worin es auch bestehen möge, schmeichelt der Eigenliebe der Menschen; und sagt man ihnen, daß sie etwas sind, was ihres Gleichen nicht sind, so erwirbt man immer Herrschaft über sie. Der Menge ähnlich zu seyn, beleidigt die Eigenliebe; und sobald man bekannte oder verborgene Unterscheidungszeichen giebt: so kann man darauf rechnen, daß man die Einbildungskraft der Eitelkeit, die thätigste von allen, in Bewegung setzet.

Die politischen Illuminaten hatten von den übrigen Illuminaten nur einige Zeichen der Wiedererkennung angenommen; aber zum Sammelpunkt dienten ihnen – nicht Meinungen, wohl aber eigennützige Absichten. Es ist wahr, sie hatten den Zweck, die gesellschaftliche Ordnung nach neuen Principen zu reformiren; indeß bis zur Vollendung dieses großen Werkes wollten sie sich vor allen Dingen der öffentlichen Aemter bemächtigen. Eine solche Secte findet in allen Ländern Adepten, die sich ganz von selbst in alle Geheimnisse einweihen; in Deutschland ist diese Secte die einzige gewesen, die auf eine politische Combination gegründet worden ist; denn alle übrigen sind aus irgend einem Enthusiasmus hervorgegangen, und haben die Erforschung der Wahrheit zum einzigen Zwecke gehabt.

Zu den Menschen, welche sich bestreben, die Geheimnisse der Natur zu ergründen, muß man auch die Alchymisten, Magnetiseurs u. s. w. rechnen. In [284] diesen vergeblichen Entdeckungen mag sehr viel Narrheit liegen. Aber was kann man Erschreckliches darin finden! Wenn man in den physischen Erscheinungen das erkennte, was man wunderbar nennt, so würde man mit Recht Freude darüber haben. Es giebt Augenblicke, wo die Natur als eine Maschine erscheint, die sich standhaft durch dieselben Triebfedern bewegt, und dann flößt ihre unbeugsame Regelmäßigkeit Furcht ein; aber wenn man in ihr etwas Freiwilliges, wie der Gedanke ist, zu erblicken glaubt, so bemächtigt sich der Seele eine verworrene Hoffnung und entzieht uns dem Starrblick der Notwendigkeit.

Die Grundlage aller dieser Versuche und aller dieser wissenschaftlichen und philosophischen Systeme schließt immer eine sehr merkliche Tendenz nach der Geistigkeit der Seele in sich. Die, welche die Geheimnisse der Natur entwickeln wollen, sind immer Gegner der Materialisten; denn immer suchen sie in dem Gedanken die Auflösung des Räthsels der physischen Welt. Ohne Zweifel kann eine solche Bewegung in den Geistern zu großen Irrthümern führen; aber es geht damit, wie mit allem Lebendigen: wo Leben ist, da ist auch Gefahr.

Die einzelnen Bemühungen würden zuletzt immer untersagt werden, wenn man sich der Methode unterwürfe, welche die Bewegungen des Geistes eben so regelte, wie die Disciplin die Bewegungen des Körpers befiehlt. Die Aufgabe besteht also darin, die Fähigkeiten zu leiten, ohne sie zu erdrücken; und es wäre zu wünschen, daß man der Einbildungskraft der Menschen, die noch unbekannte Kunst anpassen könnte, sich auf Flügeln zu erheben und den Flug durch die Lüfte zu leiten.