BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johans, der Jansen Enikel

um 1230/40 - nach 1300

 

Weltchronik

 

Geschichte Roms:

Domitian, der Zauberer Vergil

Verse 23433 - 24224

 

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[2. 10-12.]

Nerô der griulîch künic und æhter der kristenheit, der kriuzet sant Peter. sant Pauls enthoubt er. Senecam tôt er. sant Jacoben unsers herren muomen sun enthoubt er. sant Marcum in Alexandria martert er. der selb künic rîchset ze Rôm drîzehen jâr und einlef mânôt von gotes geburt LVII jâr und der selb Nerô schuof und hiez IX tûsent, sehzic tûsent und hundert und tûsent und vier und vierzic burger die gezalt sint di von ihm verdurben und drîzic tûsent juden die er hiez verderben. Dar nâch wart Jerusalêm gewunnen.

 

[9.]

Nero der büetreich, ein ächter der christenhait, der chräwczt sand Peter und enthäwpt sand Pauls. Marcus ward in Allexandria gemortert. Nero hat gereichsent dreyzehen jar und aindliff monet da von Christ gepurd was siben und fümfczk jar. darnach auch zw Nerones zeiten burden all Rœmisch purger geczalt und der was newn und sechczk hundert tawsent und drew und virczk tausent und der Juden dreisk tawsent, dy auch da erslagen wurden an dem ostertag und Jerusalem wart gewungen und ervochten vom Tyto.

 

Dar nâch rîchset alsus

ein künic hiez Theseus.

23435

der stift ein lant hiez Argas,

wan er herr dar inne was.

 

Dar nâch wart ein künic rîch

ze Rôm gar gewalticlîch,

der hiez Domicjanus.

23440

di pfaffen schrîbent in alsus.

er hêt des guoten sit,

daz er den râtgeben mit

was ze allen zîten

in fride und in strîten

23445

und hêt gern wîsen rât

an einer ieslîchen stat.

swan die Rœmære

wolden âne swære

gên ze Rôm an den rât,

23450

der künic niht versûmet hât,

er gieng ze allen zîten zuo in.

daz was an im ein wîser sin.

 

Do het der vordern râtgeben einer

einen sit und mêr dheiner,

23455

daz er sînen sun lie mit im gên

und lie in bî dem rât stên.

daz treip er für wâr

völliclîch zwelf jâr.

daz merkt der künic ze stet.

23460

gegen den râtgeben er ret,

er sprach: «ditz kindelîn

solt niht bî unserm rât sîn.

ez hât den rât gesworn nie.

dâ von ist ez unbillîch hie.»

23465

dô des kindes vater erhôrt

des küniges rede und sîn wort,

er sprach: «daz kint lât hinne sîn.

habt ez ûf den lîp mîn,

daz ir dar an niht unreht tuot.

23470

iur pfant sî mîn lîp [und] mîn guot.»

 

Dar nâch daz kint heim gie.

diu muoter ez schôn enpfie.

ez sprach: «muoter, nû gip mir rât.

der künic wolt mich alsô drât

23475

vertriben hân von dem rât sîn.»

dô sprach diu muoter: «kint mîn,

vörhtest dû die red sô sêre?

dû wil haben êre:

nû sag mir, liebez kint, drât,

23480

waz trahtent si an irem rât?»

dô sprach daz kint: «daz sag ich niht,

swaz mir halt dar umb geschiht.

ich müest den lîp dar umb geben

und verliesen mîn leben.»

23485

diu muoter zorniclîchen sprach:

«wie gern sæch ich dann ungemach

an dir und an dem vater dîn!

dû solt des gewis sîn:

und wær ez umb tûsent mort,

23490

diu wurden von mir niht gehôrt.

dâ von, liebez kint mîn,

lâ mich den rât wizzent sîn.»

daz kint sprach: «wil dû ez verdagen,

sô wil ich dir den rât sagen.

23495

si sint gesezzen vierzehen tag,

daz ich dir für wâr sag,

daz sich ein ieglîch mannes lîp

scheiden sol von sînem wîp,

der si niht gern haben wil.

23500

der rât ist komen an ein zil.»

diu frou daz mær niht moht verdagen.

si begund ez irn friunden sagen.

dô kam daz mær übr al die stat.

der künic im dô sagen bat,

23505

von wiu daz mær wær bekomen.

er hiet die wârheit gern vernomen.

ez kund im nieman dâ gesagen,

wan ieslîch man muost ez verdagen,

wan nieman west die wârheit,

23510

daz ez daz kint hêt geseit.

 

Dar nâch wart daz kint gewar,

daz diu red offenbar

was von im entsprungen,

von im alsô jungen.

23515

dâ von daz kint zem vater sprach:

«daz mær und der ungemach

ist komen von der muoter mîn.

diu lie mich niht mit frid sîn,

wan si sprach, ich solt niht verdagen,

23520

ich solt ir hie den rât sagen,

der vor dem künig muost ergân.

des wolt si mich niht erlân.

dô vorht ich, ich gwunn ungemach» –

alsô daz kint zem vater sprach –,

23525

«da von seit ich ir daz mære,

daz der rât wære

von der Rœmær wîben:

ieglîcher von irm lîbe

wolt sich mit êren scheiden,

23530

juden und ouch heiden.»

der vater sprach dem künig zuo:

«ich weiz, von wem daz mær nu

ist alhie entsprungen.

von mînem sun jungen

23535

ist ez wærlîch geschehen.»

dô begund der künic jehen,

er wurd der wîsest man,

den alliu werlt geleisten kan.

zehant der vater im verjach,

23540

als daz kint zuo dem vater sprach.

der künic aber sprach:

«mîn ouge zwâr nie gesach

kein so sinnigez kindelîn.»

er gie zen râtgeben sîn

23545

und seit den diu mær reht

von disem jungen kneht.

er sprach: «ich wil ez tœten,

sô bring ich mich von nœten.»

die râtgeben antwurten an der stat:

23550

«herr, daz ist niht unser rât.

ez hât friunt alsô vil,

daz ich ez nieman râten wil

noch dir ez nieman râten sol.»

er sprach: «ich tuon im anders wol,

23555

wan kæmen sîn friunt gelîch,

sô möht ich von dem künicrîch

vil gar werden gesetzet,

und an den êrn geletzet.

ich wil ez tuon mit reht,

23560

daz ich dar umb niht veht.

ez sol von mir sicher sîn.

ez muoz swern den rât mîn.»

 

Dô ez den rât dô geswuor

und zuo in in den palast fuor,

23565

dô sprach der künic: «welt ir

hinne all swern mir,

swaz ich ûf leg, daz daz ergê

und nieman des hinder sich stê?»

des swuoren si gemeine

23570

grôz unde kleine.

er sprach: «ich wil iuch alle biten,

daz ir sît mit guoten siten

und morgen ezzet daz brôt mîn.

dar umb wil ich iu holt sîn.

23575

nû besehet alle,

wie ez iu gevalle.»

er sprach: «ich gib eim ieslîchen man

einen visch wolgetân,

und swer mich unêret,

23580

daz er in umbe kêret

vor im ûf der schüzzel,

dem heiz ich den drüzzel

slahen von dem lîb sîn,

dar umb daz er daz bot mîn

23585

bricht an der selben stat,

daz mîn munt verboten hât.»

do ieslîcher râtgeb erhôrt

des küniges zornigiu wort,

si sprâchen: «swaz iu leit ist,

23590

daz süll wir lân in kurzer frist.»

 

Des morgens saz er an den rât,

der wert unz an den âbent spât.

daz tet er allez umb daz kint,

daz ez der hunger machte blint.

23595

do si zuo dem tisch sâzen –

des küniges spîs si âzen –,

dâ tet daz kint als ein tumb.

den visch kêrt ez umb.

dô seit ein meldære

23600

dem künig diu mære.

dô sprach der künic unverzeit:

«mir ist umb daz kint leit,

doch muoz mîn bot für sich gân:

daz kint muoz mir daz leben lân.»

23605

die râtgeben bâten alle

den künic mit schalle.

waz half dô ir aller bet?

der künic sîn doch niht entet.

daz kint sprach: «sol ich niht leben,

23610

ir sült mir doch ein gâb geben.»

der künic sprach: «knab, nû sprich.

swaz dû wil, daz tuon ich.

bit, swaz dû wellest hân,

daz sî dir allez undertân,

23615

wan daz ich dich niht lâze leben,

daz ander daz sî dir gegeben.»

dô sprach daz kint wol getân:

«sol ich daz für ein wârheit hân?»

der künic sprach: «ûf di triuwe mîn,

23620

dû solt sîn gewis sîn,

daz ich dînes tôdes niht enger,

unz ich dich dîner bet gewer.»

dô sprach daz kint unverzeit:

«swer dir von mir hât geseit,

23625

daz ich den visch umbe kêrt,

der selb hât mînes tôdes gert.

des ougen solt dû mir geben

ân aller hande widerstreben.»

daz lobt im der künic dô.

23630

dô wart der man vil unfrô,

der diu ougen solt lân.

er begund von dem künig gân

und flôch in ein ander lant,

dâ in nieman inne vant.

23635

dô des der künic wart gewar,

dô wart er trûric, zornvar.

des andern morgens fruo,

dô sprach er dem kinde zuo:

«dû hâst mit dîner kündicheit

23640

mich betrogen, daz ist mir leit.»

daz kint hin zuo dem vater gie.

vil lieplîch ez in umbevie.

ez sprach: «sent mich von hinnen.

ich mac niht entrinnen

23645

dem künig, er heiz mich tœten

mit angsten und mit nœten.»

zehant in der vater sant

von im in ein ander lant.

 

Dar nâch über fünf jâr

23650

wart der selb künic gar

ûzsetzic an der zît.

dâ von im Rœmær truogen nît

und wolden in verstôzen hân.

des solt an im niht ergân,

23655

«daz ich von in gelîche

kæm von mînem rîche.

ich wolt ê ertrinken

und in dem wâg versinken,

ê daz an mir geschæch,

23660

daz etlîcher gern sæch.»

er hiez balde springen,

sîn schœn ros bringen;

daz was mit sprüngen kec.

von baldekîn ein deck

23665

hiez er ûf daz ros legen.

er enpfie der abgöter segen.

von pfeller und von sameît

der kleider er an sich leit.

zwên armbougen guldîn

23670

leit er an die arm sîn.

von golde ein krône

sazt er ûf schône.

sîn zepter nam er in die hant.

dâ mit er ûf die bruck rant

23675

und sprangt daz wazzer ze tal.

er tet einen jæmerlîchen val.

dâ mit er sîn ende nam.

nieman west wâ er bekam.

 

Dô die Rœmære

23680

vernâmen disiu mære,

dô wart zehant

nâch dem kind gesant

und nâmen in ze herren sus.

er hiez Anthyochus

23685

und wart gar ein biderber man.

Rôm wart im undertân,

und alliu künicrîche

warten im gelîche.

er macht bî den jâren

23690

daz diu lant wâren

mit fride alle gelîche

in dem künicrîche.

er wart der wîsest man,

der nâch Salomôn rîchsen began.

 

23695

Ein man ze Rôm saz alsus,

der was genant Virgilius.

der was ze Rôm alsô kluoc,

daz er zoubers vant genuoc.

als ich iuch wil bescheiden,

23700

er was ein rehter heiden.

an rehtem glouben was er blint.

er was gar der helle kint.

ich wil iu sagen, wie er gewan,

Virgilius der selb man,

23705

daz er kund zoubers vil.

vor nieman ich daz helen wil.

ich sag iu ze rehte

von dem selben knehte,

wie er daz zouber vant;

23710

daz ist mir von im bekant.

 

In einem wîngarten houet er

vil gar nâch sînes herzen ger.

vil vast er in die erde sluoc,

daz ez diu houwe kûm vertruoc.

23715

sô grôz sîn houwen, sîn slahen was,

daz er kam ûf ein glas.

daz was tiufel alsô vol,

daz ich sîn niht sagen sol.

daz glas er ûz der erde nam.

23720

«vil wunne ich in dem glas hân,»

sprach der selb Virgilius.

«ich wil ez hie behalten sus.

des hân ich frum unde êr,

swâ ich in dem land hin kêr.»

23725

dô sprach der tiufel ûz dem glas,

der dar inne verslozzen was:

«Virgilius, lâz uns varn.

wir wellen dich immer bewarn

vor aller hand leide.

23730

lâz uns varn ûf die heide.

wir wellen dich kunst lêren vil,

daz dû hâst freud und spil

immer unz an dînen tôt.

in disem glas ist grôz nôt.

23735

zwên und sibenzic ist unser schar,

wir sagen dir sicherlîch für wâr.»

dô sprach Virgilius der man:

«ich mac mich niht an iuch gelân.

lêret ir mich ganze lêr,

23740

sô swer ich iu des sêr,

daz ich daz glas zerbrechen wil.

lêrt ir mich kunst alsô vil,

daz ich sîn frum gewinnen mac,

ich swer iu noch an disem tac,

23745

daz ditz glas von mîner hant

zerbresten muoz zehant.»

zehant die tiufel alle

lêrten in mit schalle

die zouberlist ân arbeit,

23750

als si noch in der kristenheit

allenthalben umbe gât

swer zoubern kan ân missetât.

dô er die kunst von in enpfie,

ze einem stein er dô gie.

23755

er brach daz glas und lie si varn,

die tiufel alle mit irn scharn.

zehant gedâht Virgilius:

ich muoz ir kunst versuochen sus,

sît die tiufel sint von hinnen

23760

gevarn. nû trou ich wol gewinnen

beidiu êre unde guot.

wie wol daz mînem herzen tuot,

daz ich frum und êre

gewinn ân herzensêre!

 

23765

Virgilius der selb man

begund ze Rôm gân.

und versuocht sîn meisterschaft,

ob ez wær wâr der tiufel kraft.

er macht ze Rôm ein steinîn wîp

23770

von kunst, diu hêt einen lîp,

swanne ein schalc, ein bœser man

wolde ze einem wîb gân,

daz er gie zuo dem steine,

der bœs, der unreine,

23775

daz im was bî des steines lîp,

reht als ez wær von art ein wîp.

niht fürbaz ich iu sagen sol,

mîn meinung wizt ir alle wol.

 

Des zoubers treip er genuoc.

23780

er was ein man ân mâzen kluoc,

ich mac ez niht gar gesagen,

der wârheit muoz ich vil verdagen,

wan einez weiz ich für wâr,

daz sag ich iu offenbâr,

23785

daz er umb einer frouwen minn

warp, diu was ein burgærinn

und was ze Rôm in der stat

gesezzen, wan er sie dick bat,

daz si sînen willen tæt.

23790

doch was diu frou stæt,

daz si in niht wolt gewern,

des er an sie moht gern.

doch liez er niht sîn werben.

er jach, er müest ê sterben,

23795

«ê daz ich von iu lâze.

iur minn kumt mir ze mâze.»

si sprach: «iur unsin iu leit gebirt,

wan ich sag ez mînem wirt.

und wært ir schœner dann Absolôn,

23800

mîn minn ist iu versaget schôn.

ich wil iu sîn gar ze rein.

ez müesten ê bresten all stein,

ê ich iuch wærlîch wolt gewern,

des ir wolt an mich gern.

23805

gêt hin, lât mich ân nôt.

mîn man tuot iu den tôt.

dem wil ichz sagen sicherlîch.

iur red ist gar unbillîch.»

 

Virgilius sîn niht enliez,

23810

silber, golt er ir gehiez,

der frouwen sicherlîche.

er was ân mâzen rîche.

dô er die frouwen wolgetân

von dem gewerb niht wolt lân,

23815

dô gie si zuo irm wirt.

«ein wîser man ir birt

unde sît niht ze alt:

ahtet, wie ich behalt

mîn wîplîch êr,

23820

die ich von mîner kintheit her

mit zühten hân behalten.

mit êren muoz ich alten,

ob ez nu iuwer will ist.

nû râtet mir in kurzer frist,

23825

daz ich Virgilio engê.

der tuot mir nôt unde wê

zwâr umb mîn minne.

nû nemet in iuwer sinne,

wie ich sîn kunst umbegê,

23830

daz mir mîn êr von im bestê.»

 

Ir êlîch man sprach zehant:

«frou, dîn laster und dîn schant

wær mir von herzen leit.

swie vol er ist der kündicheit,

23835

sô wil ich trahten, frou mîn,

daz er muoz geschant sîn.

nû volg, frou, mînem râte:

send nâch im drâte

und gelob im, liebiu frou mîn,

23840

dû wollest den willen sîn

leisten hînt bî diser naht,

des habest dû dich wol bedâht.

dû solt im diu mære

sagen, ich sî mit swære

23845

von dir geriten und mit zorn;

dû habest umb sust mîn huld verlorn.

sag im, er müg niht schier

in daz hûs komen zuo dir,

ich hab dich in starker huot.

23850

sprich: «mich dunket guot,

daz ich iu lâz ein korp ze tal.

dar in sô sitzt ir ân schal.

diu sorg iuch vil gar verbirt,

wan sîn nieman innen wirt.

23855

iurn willen tuon ich sicherlîch.

ûf ziuch ich iuch frôlîch

in den turn, den ich hân.

iuwern willen wilich begân.

sô er siht den willen dîn,

23860

sô wil er gar ân angst sîn.»

swaz ir der wirt vor sprach,

diu frouwe tet ez allez nâch.

si sant nâch Virgilium.

si sprach: «sît ir ein degen frum,

23865

daz sült ir mir hiut erzeigen.

ich gib mich iu für eigen

hînt bî diser naht.

mîn man hât sich niht wol bedâht,

wan er mich sêr geslagen hât.

23870

dâ von sô ist daz mîn rât,

daz ir hînt komet zuo mir.

des ir mich bât, daz tuon ich schier

enden hînt an dirre zît.

mir ist [niht] in den landen wît

23875

niht sô leides sô mîn man.

leides ich im vil wol gan.»

 

Dô der her Virgilius

von der frouwen hôrt alsus

die red, die si hêt getân,

23880

er sprach: «sol ich hînt zuo iu gân?»

si sprach: «ich fürht die huot.

ich rât, daz ir sô wol tuot:

lât iuch in einem korb schier

her ûf sicherlîch zuo mir

23885

ziehen, daz ist reht getân.

«vil gern, frou,» sprach der man,

«wan ich ez immer dienen sol.

ir sît aller tugent vol.»

 

Des nahtes dô ez spât wart,

23890

Virgiljus der gie ûf die vart

zuo dem selben turn hin.

er warf mit einem steinlîn

in daz venster, daz ez erhal.

dô gie diu frou âne schal

23895

und entslôz daz venster schier.

ir êlîch man gie mit ir.

si sach her ab und sprach alsus:

«sît ir dâ, her Virgilius?»

er sprach: «frou wol getân,

23900

den korp sült ir her ab lân,

dâ wil ich sitzen in.

ir habt dar an wîsen sin.»

zehant si den korp liez,

als sie Virgilius dâ hiez.

23905

dâ saz schôn Virgiljus in.

«ir habt dar an wîsen sin,»

wan si in ûf mit sinne gar

an den turn zôch zwâr

wol drîer gadem hôch.

23910

niht fürbaz si in ûf zôch.

si strict in zuo und liez in hangen.

sîn will was niht ergangen.

si was ein reinez wîp;

kiusch und schœn was ir lîp.

 

23915

Des morgens dô ez tagte,

den Rœmern man dô sagte,

daz der wîs Virgilius

wær an ein turn erhangen sus.

dô sprach manic man:

23920

«ich geloub sîn niht, ich seh ez an,

wan zwâr sîn wîser lîp

ist wîser dann man oder wîp;

dâ von ez niht ergên mac.

sîn lîp ist wîs naht und tac.»

23925

dô sagt man in diu mære,

daz ez diu wârheit wære.

dô giengen die Rœmer dar

und nâmen sîner nôt war.

ze jungst kom ir êlîch man

23930

schôn zuo im geriten dan,

sam er wær von dannen gewesen.

Virgilius moht kûm genesen,

wan er hêt swær und ungemach.

ieglîch Rœmer zuo im sprach:

23935

«wie ist daz komen, Virgilius,

daz ir hie hanget alsus?»

Virgiljus sprach in stille:

«ez was zwâr mîn wille.»

dô sprach der frouwen êlîch man:

23940

«wer brâht iuch zuo dem turn dan,

daz ir hangt an mîner mour?

ich wæn, ez sî iu worden sour.

doch ist ez mir an iu leit:

ir habet erliten smâcheit.»

23945

der wirt zehant den wîsen man

liez [in] von dem turn dan,

daz in daz volc allez sach.

er hêt grôzen ungemach

und vil grôzen smerzen

23950

an lîb und an herzen.

 

Do man Virgilium her ab geliez,

als in des hûses wirt hiez,

do begund er sêr trahten

und in dem herzen ahten,

23955

wie er dem getæte,

daz diu frou stæte

von im leit gewunne

und ouch alz ir kunne

von dem leid geschant wurde.

23960

daz was ein swæriu burde.

 

Dâ mit der ungehiuwer

schuof, daz daz fiuwer

erlasch, daz in Rôm was.

wunder was, daz iht gênas.

23965

man moht niht gebachen

noch ezzen gemachen.

man moht niht gebriuwen.

si hêten vil der riuwen.

si wârn nâch des hungers tôt,

23970

dâ von si liten grôz nôt.

 

Dô die Rœmære

liten grôze swære,

dô begundens trahten,

wie si daz gemachten,

23975

daz si gewunnen fiuwer.

da was nieman sô tiuwer,

der ez betrahten kunde.

in der selben stunde

sprach ein Rœmær under in:

23980

«ich wil iu sagen mînen sin.

ich rât, daz man Virgilius

bit vlîziclîchen sus,

der ist gar ein herre.

dem sagen wir waz uns werre,

23985

sô wirt unser ungemach

verkêrt.» alsô der Rœmer sprach.

der rât begund in allen

vil reht wol gevallen.

dô giengen lîht unde frum

23990

alle für Virgilium

und sprâchen: «herr, iuwern rât

suochen wir umb ein missetât.

si tuot uns alsô grôz nôt,

vor hunger wellen wir ligen tôt:

23995

wir mügen niht gebachen,

wir mügen niht ezzen machen.

des müezen wir verderben

und hie ze Rôm sterben.

nû wizzen wir, herr, dîn wîstuom,

24000

der uns ist ân mâzen frum.»

 

Virgiljus sprach: «ich wil iu sagen,

ir mügt der red stille dagen,

wan sagt ich iu die wârheit,

daz wurd iu ân mâzen leit:

24005

ir litet sêr und ungemach.»

alsus Virgiljus gên in sprach.

dô sprâchen gar mit swære

die wîsen Rœmære:

«herr, sîn ist niht ze vil:

24010

swaz dû, friunt und herr, wil,

daz tuon wir gern mit sinnen,

daz wir fiur gewinnen,

ê wir alsus verderben

und hie ze Rôm sterben.

24015

der hunger machet uns blint.

uns stirbet wîp unde kint.»

er sprach: «ist iu der hunger leit,

sô swert mir des einen eit,

swaz ich heiz tuon in zît,

24020

daz ir dâ wider nimmer sît,

und daz ich iuwer hulde

hab umb die selben schulde,

wan ich durch iuwern willen

wil hie daz fiur vinden

 

24025

Dô wurden si ze rât,

daz si fruo unde spât

im nimmer wolden wider sîn.

si sprâchen: «wir wellen den willen dîn

tuon vil gar und dînen rât.

24030

ob sich under uns ieman hât

versûmt gên dir, daz lâz dû varn.

wir wellen uns [gên dir] fürbaz bewarn.»

er sprach: «daz sweret mir hie ze stet.»

alsus Virgiljus ret.

24035

sie swuoren im mit leide

ieglîcher zwên eide.

«mit hulden ich ez sprechen sol,

iuch bewart nieman sô wol,

der iuch von leid scheide,

24040

daz sag ich iu bî mînem eide,

sô diu frouwe sicherlîch,

diu dâ ist in dem turn rîch,

dâ ich mit nœten an hienc.»

vil maniger nâch der frouwen gienc.

24045

die ir mâge wâren,

die sach man nâch ir varen,

ir man mit flêg und mit bet,

doch er ez ungern tet,

wan er muost in des gunnen,

24050

er und al sîn kunne,

daz si zuo Virgiljo gie.

Virgilius sie schôn enpfie.

er sprach: «frou wol getân,

welt ir daz lant niht lân zergân

24055

und die liut dar inne,

sô volget mînem sinne

unde tuot nâch mînem rât,

sô gewint ir fiur drât,

oder ir müezt verderben

24060

und mit samt in sterben.»

si sprach: «lieber herr mîn,

möht ez in iuwern hulden sîn,

sô bæt ich iuch gern,

ob ir mich wolt gewern,

24065

sô liezt ez sîn ein ander spil.

ich hân doch von iu leides vil.»

er sprach: «frou, des mac niht gesîn.

ez müest ê trucken sîn der Rîn,

ob ich ez liez an disem tac.

24070

ân iuch ez nieman geschaffen mac.»

diu frou sprach: «sô lât mich sehen,

swaz mir hie süll geschehen.»

 

Dâ mit Virgiljus sprach,

dô er sie schôn vor im sach:

24075

«frou, seht ir disen stein?

dâ sült ir ûf stên alein.

daz gewant sült ir ab ziehen.

ab dem stein sült ir niht fliehen

ir sült niht haben wan eîn hemd.

24080

ander kleider sîn iu fremd;

und sült daz aftermuoder zwâr

hinden ûf lesen gar

und an allen vieren stân.

zehant sô sol wîp und man

24085

zünden vor dem hindern teil.

swer danne gewinnet daz unheil,

der zuo dem andern zünden wil,

sô wirt in beiden niht ze vil,

wan si erleschent beid daz lieht,

24090

daz man ez nimmer brinnen siht.

wellent si aber fiur hân,

sô müezen si hin wider gân

und müezen wider zünden,

so beginnet der after lünden.»

24095

dô sprach diu frou wol getân:

«ê wolt ich den lîp lân

ê ich hêt sölich schant

ich wolt ê rûmen alliu lant.»

dô sprach Virgilius der man:

24100

alsô mac ez niht ergân.

im muoz anders geschehen,

wellent si freud und wunne sehen:

si müezen iuch dar zuo twingen,

sô mac in wol gelingen.»

 

24105

Dô daz erhôrten ir mâge,

dô heten si manig frâge.

ouch sach ez zehant ir man,

daz ez niht anders moht ergân.

dô griffen si an mit flêg, mit bet.

24110

diu frouwe ez ungern tet,

wan si schamt sich sêre.

ir leides des wart mêre.

si jach: «ich lâz mich tœten ê,

ê ez alsô an mir ergê.»

24115

dô niht half weder drô noch bet,

nû hœret, wie ir wirt tet.

er wolt des niht erwinden,

er hiez die frouwen binden.

daz gewant hiez er ir ab ziehen,

24120

des moht si niht enpfliehen.

er stalt sie nider ûf den stein.

ir scham was niht klein.

dâ muost diu frou mit schal

daz fiur geben über al,

24125

wan si muost ûf dem stein stân,

des wolt man sie niht erlân.

der ein truoc ein kerzenlieht dar,

der ander unslit zwâr.

der dritt truoc einen schoup,

24130

der vierd einen boschen loup.

der fünft truoc ein buchel her,

der sehst einen brant swær.

alsô zunten si all samt.

daz was der froun ein bitter amt.

24135

alsô muost si ez lîden

und moht ez niht vermîden,

si muost die scham und die nôt

lîden. si was nâhen tôt.

 

Dâ mit Virgiljus drât

24140

fuor von Rom und bout ein stat,

als si hiut ist bekant;

diu wart Napels genant.

mit listen er daz ane vie,

daz ez nâch sînem willen gie,

24145

reht als er wolde

und als er mit listen solde,

wan ez ze reht alsô ergienc:

die stat er an driu eier hienc,

daz ez noch hât von im die kraft

24150

und von sîner meisterschaft,

swer ez zerbræch, diu stat versunk,

daz volc vil gar ertrunk.

daz bewart man in der stat wol.

swer gegen dem ei grîfen sol,

24155

sô zitert diu stat alle samt

und diu hiuser über al zehant.

 

Dar nâch Virgilius der hêr

vant dannoch list mêr.

er macht ein bild êrîn,

24160

daz bild muost von gold sîn.

an dem bilde was gegraben

mit guldînen buochstaben:

dâ ich hin zeig, dâ ist ein hort.

swer in begrîft, derst an ein ort

24165

sîner armuot ab bekomen. –

dô daz die liut heten vernomen,

dô kômen der liut ein michel teil.

ieglîcher versuocht sîn heil,

ob im der hort wurde,

24170

daz im der sorgen burde

müest dâ von geringet sîn

und ganz freud werden schîn.

die einen hant hêt daz bild

geleit ûf den bûch wild;

24175

der ander arm stuont geraht,

des maniger dick lacht.

daz bilde dâ zeigen began

mit sîner hant wol getân

an einen berc, der gegen im lac.

24180

alsô zeigt ez naht und tac

mit dem vinger für sich hin.

dâ suocht maniger den gewin

und gruoben den berc umbe,

der wîse und der tumbe.

24185

sîn vinger im gereckt was

gegen dem berg, als ich ez las.

der ander vinger zeigen began

gegen dem bûch den hort an.

des verstuont sich nieman dâ.

24190

si fuoren nâch dem vinger sâ,

der dâ stuont in den berc.

dar inn sô worhtens manic werc,

wan si wânten, daz si dort

funden in dem berg den hort.

24195

den hort dâ nieman sach.

eines tages ein trunken man sprach:

«wie lang sol uns daz bilde

effen an dem wilde?

ich wil die liut an im rechen

24200

und wil ez zerbrechen.»

sînen kolben er bî dem ort vie.

vil trunkner er gegen im gie

und sluoc ez dâ an sînen nac,

daz ez ûf der erde lac,

24205

sîn hals und sîn nac.

dannoch schein niht der tac,

wan ez bî der naht was.

daz golt viel nider ûf daz gras.

dar an sol man besehen wol,

24210

wer grôzez guot haben sol,

dem muoz ez werden beschaffen,

ez sîn leien oder pfaffen,

als dem trunken man geschach,

der daz bilde brach –

24215

«diz bild sol nieman effent sîn» –;

der west niht, daz daz golt was sîn,

unz er daz golt truoc von dan.

dô wart er ein rîch man.

im wart beschert grôzez guot.

24220

ôwê, wie sanft ez manigem tuot,

daz er gewinnet sæld und heil!

ôwê, wurd uns noch des ein teil!

des helf uns got von himelrîch!

zwâr sô wurden wir freudenrîch.