BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Clara Hätzlerin

um 1430 - 1476/77

 

 

Das Liederbuch

 

Bl. 249v-250r (I, 2)

 

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[Ain tagweis]

 

Lig still meins hertzen trautt gespil,

Wann es ist noch nit morgen,

Der Wächter vns betrügn wil,

Der Mon hat sich verporgen.

5

Man sicht noch vil der sterne glast

Her durch die wolckn dringen;

Lig still by mir ain weil vnd rast,

Vnd lasz den wachter singen.

 

‹H›ie ist erfrät ain traurigs hertz!

10

Vmmůt můsz vns entweichen;

Der sich nit kert an senlich schmertz,

Der můsz an fräden reichen.

 

Sy sprach: mein hordt, der lieben mer;

Můsz ich bey dir beleiben,

15

So ist zergangen all mein swär.

Wir wöllen kurtzweil treiben,

Das dich vnd mich erfräen mag,

Darein will ich mich setzen.

Sy sprach: es ist noch nyendert tag,

20

Wir wöllen vns laids ergetzen.

 

Sy truckt ain prüstlin an das mein,

Mein hertz wolt mir zerspringen.

Sy sprach: lasz dir beuolhen sein

Mein Er vor allen dingn,

25

Vnd schliüsz vff deine ärmlen planck,

Darynn so will ich rasten.

Ze hannd der wachter aber sangk:

Ich sich des tages glast‹e›.