BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Clara Hätzlerin

um 1430 - 1476/77

 

 

Das Liederbuch

 

Bl. 277r (I, 26)

 

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Ain tagweis

 

Ich wachter solt erwecken

Den sünder, der rewfet ser,

Ob er sich liesz erschrecken

Vn von den sünden cher.

5

Es nachent gen dem morgen,

‹Das› got, der h're mein,

Gieng schwitzent in den sorgen

Vf seines todes pein.

Ach sünder, das du nit enmacht,

10

Ain weil mit Im gewachen,

Der durch dich ain lange nacht

In angsten dick erkrachet,

Da In seins sterbens nit verdrosz,

Da er dich macht des todes los,

15

Den Eua hett gemachet.

 

Nun wacha, sünder träge,

Bedenck dein grosse sünd,

Er legt dirs uff dein wage

Vnd gat durch verschlossens tor.

20

Ich haisz ain torlichs wagen,

Wann du nit waist die hor,

Du waist nit wann, oder wie

Du dein leben endest.

Stand vff, wach vnd richt dich ye

25

Das du hinfür sendest,

Da du on zweifei hin must komen,

Slaufest oder wachst, hast mich vernomen?

Das lasz mich wissen hie!

 

Wavffen, ymmer wavffen,

30

Sünder hör an mich:

Vindt dich der h're nu schlauffen,

Es wirt gerewen dich.

Mein rüffen vnd mein singen

Ist vnuerfangen zwavr,

35

Ob dir nu wurd miszlingen,

Die schuld ist dein fürwavr.

Erschell ich meines hornes don,

Dein wachen wirt ze spat,

Dein rew die ist on allen lon,

40

N‹u› wacha, sünder, dravtt!

Sich vmb vnd ůf, ist an der zeitt,

Die weil der herr den lone geit,

Komm pald er empfacht dich schon.