BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Clara Hätzlerin

um 1430 - 1476/77

 

 

Das Liederbuch

 

Bl. 301r-301v (I, 57)

 

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Mein liebste fraw, in lieber gir

Sennd ich mein hertz allain zu dir.

Zwavr anders vindst du nit an mir,

Des solt du mir gelauben;

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War all dis welt mir vndertavn,

Noch wolt ich lieber fräd nit havn,

Dann das ich dich allzeitt voran

Solt mynneclich anschawen.

So hett ich aller fräden genůg,

10

Wann all dein hanndel sind so clůg

Vnd pringent senens gůtn fůg;

Der sol mich wol benügen!

 

Wie möcht ich sölicher lieb empern?

Nach meine willen tůt sy gern

15

In hübschen zůchten vn in eren;

Das mag sich wol gefügen!

 

So lieben tag gelebt ich nye,

Dann da ich dich von erst an sie.

O frawe, wie ich von dir lye

20

Mit täglichem schmertzen;

Triu gen triu sich da ze hanndt

Mit gantzer stättikait verpandt.

Die triu die sey vns vnzertrant

In vnser baider hertzen.

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Solt ich ymmer vnd ymmer leben,

Mit lieb möcht ich dich nit begeben;

Mein hertz müst allzeit nach dir streben

Mit frädenreichem schertzen!

 

Sunderliches liebstes ain,

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Mich auch in triuen also main,

Seidt du vor aller welt allain

Mein hertz ye hast besessen.

Also dein triu gen mir erzaig,

Gnädiclich dich gen mir naig

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Vnd hütt dich vor der welte faig,

Das mein nit werd vergessen.

Will du nun mit mir lang bestavn,

So lasz dich nit an yederman,

Sunst wurd es an ain schaiden gavn,

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Trosts hab ich mich vermessen.