BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Christian Thomasius

1655 - 1728

 

Prognosticum meteorologicum

auf das Jahr 1624

1623

 

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Hiermit endigte Nicanor, und Clarindo

brachte ihm eins auf Polydors beständiges Wohlergehen.

Nachdem er das Glaß ausgeleeret, setzte

er hinzu: Ich bin von Hertzen erfreuet / daß der

292:25

Herr Bruder einmahl einen Historischen Discours

auff die Bahn gebracht, weil ich mich

293

sonst gefürchtet er werde seiner löblichen Gewohnheit

nach, etwan den armen Ramum, Cartesium

Hobbesium, oder andere Novatores anpacken,

und mich, das Lob des niemahls irrigen

293:5

Herrn Aristotelis anzuhören, heraus fordern,

welches mir heute recht ungelegen kommen wäre,

weil mir der Kopff ohne dem wehe thut, und ich

durch Geschäffte bin verhindert worden, daß ich

mich zum Streit nicht recht geschickt habe machen

293:10

können. Fängt der Bruder schon wieder an,

antwortete Nicanor, er wird mir verzeihen, daß

ich mich ietzo noch nicht einlasse, weil ich wohl mercke,

daß er mich nur um meine Mahlzeit bringen

will. Der Herr hat indessen, weil ich mir es

293:15

habe lassen sauer werden, brave drauf gehauen,

und wird er mir also auch Zeit gönnen, daß ich

nachkomme. Es ist wahr, redete Polydor darzwischen,

der Herr gehet mit dem Herrn Nicanor

ein wenig zu hinterlistig um. Hat er mir denn

293:20

nicht auch was neues zu erzehlen, was er bißher in

denen Buch=Läden angemerckt? Clarindo antwortete:

kan einer doch für Nicanor zu nichts

sommen? weil er mir alles für dem Maul wegnimmt.

Denn ich hatte eben auch in willens des

293:25

Herrn Burnets seine zwey Bücher zu referiren,

und meinete, es wäre nach dem ersten Gerüchte

Zeit genug, wenn ich damit angestochen

294

käme. Aber Nicanor ist mir ein wenig zu gefährlich,

und hat allbereit alles das gesagt, was ich

zu sagen willens war. Es ist solches wohl nicht

wahrscheinlich, lächelte Polydor, daß ihr beyde

294:5

eben soltet einerley excerpta aus einem Buche

gemacht haben, zum wenigsten hat Herr Nicanor

dem Herrn Materie genug übrig gelassen von

dem andern Tractätgen des Burnets etwas zu

erzehlen, weil er solches nur obenhin referiret

294:10

hat. Eurer Excellence ist aber bestens bekannt,

versetzte Clarindo, daß ich von ernsthafften Sachen

noch weniger halte als Nicanor und können

dannenhero leicht abnehmen, daß weil Nicanor

die weitläufftige Erzehlung dieses Buchs wegen

294:15

seiner Ernsthafftigkeit unterlassen, ich ebenmässig

aus demselben nicht mehr, als Nicanor allbereit

referiret, auffgezeichnet habe. Das sind

die rechten Endschuldigungen, begegnete Nicanor,

zum wenigsten kommen sie dem Bruder nicht

294:20

sauer an, weil er sie gleich aus der Lufft erschnapt.

Der Herr verzeihe mir, antworte Clarindo,

das heist auff Hochteutsch einen Lügen gestrafft.

Ich will ihm aber wohl weisen, wenn er mich böse

macht, daß ich auch ein belesener Mann bin

294:25

und ihrer Excellence etwas aus einem Buche

hersagen kan, wenn dieses ja so eine grosse That

ist. Vielleicht aus einem Roman, sagte Nicanor,

295

denn die lieset der Herr Bruder doch am

fleißigsten. Vielleicht auch nicht, wiederredete

Clarindo. Ich mercke wohl, daß der Herr

Bruder zuvor auff mich gestichelt hat, als er

295:5

des Herrn Burnets seine Critique wider den

Herrn Varillas referiret, indem jener dieses

seine Historie mit denen Romanen vergleicht.

Denn ich habe solches aus seiner höhnischen Mine

die er mir dabey gemacht, abnehmen können. Aber

295:10

wir wollen zu seiner Zeit von dieser Materie

schon weiter reden. Ich lese auch wahrhafftige

Historien, und habe ihrer Excellence

etwas zu referiren von einem Historischen

Buche, das nur neulich bey uns angekommen,

295:15

wiewohl es zu Pariß Anno 83. gedruckt

ist. Könte es nicht etwas älter seyn? fragte Nicanor.

Ich wundere mich über meine Gedult,

antwortete Clarindo. Der Bruder zwackt mich

zu offte, er komme mir nicht noch zweymahl so, sonst

295:20

werde ich mich nothwendig verantworten müssen.

Ein alt Buch, das bey uns noch nicht bekannt,

ist ja so curieus, als ein neues, das bey

uns heraus kommen. Kennt der Herr Bruder

den Herrn de Prade wohl? Wer wolte diesen

295:25

Cavallier nicht kennen? sprach Nicanor. Der

Bruder wird vielleicht die Genealogie der

Könige in Franckreich, die dieser Autor unter

296

den Nahmen des Duc d' Espernon heraus gegeben,

oder seine Frantzösische Historie wo auffgetrieben

haben. Er wird aber zu späte damit

einkommen, weil dieser Autor bey uns schon eine

296:5

geraume Zeit bekannt worden, nachdem ein Autor

Anonymus für einem Jahre den Pradium

refutiret hat, auch Ihre Excellence mir allbereit

auffgetragen haben, diese beyden Bücher

des Pradii zu verschreiben. Wenn ich zu spät

296:10

einkomme, versetzte Clarindo, so übereilet sich

der Bruder in etwas. Denn gesetzt, daß ich eine

von diesen beyden Schrifften des Pradii meinete,

würde ich doch früher kommen, als der Herr Nicanor,

wenn ich dieselben schon angeschafft hätte,

296:15

ohnerachtet Ihre Excellence mir nichts auffgetragen,

da vielleicht sein Buchführer noch nicht

deshalben in Franckreich geschrieben hat. Aber

mich dünckt, es habe auch der Herr Prade eine

Teutsche Historie geschrieben. Wie wolte der

296:20

ehrliche Mann als ein Frantzose dazu kommen?

sprach Nicanor, hatte er doch Fehler genug in

seiner Frantzösischen Historie begangen. Der

Autor Anonymus gedenckt nur dieser zwey

Bücher, die ich erzehlt, und wird sich der Herr

296:25

Bruder vielleicht irren.

Ich muß doch darnach sehen, was ich in

mein Schreib=Täffelgen eingezeichnet habe, sagte

297

Clarindo, hiermit zoge er dasselbe hervor und

laß daraus her: *...*

*...*

*...*

297:5

*...*

*...*

*...*

*...*

*...*

297:10

*...*

*...*

*...* Also siehet der Herr Bruder / daß ich mich

nicht geirret habe. Ich habe dieses Werckgen

für zweyen Tagen in Buchladen gefunden, und

297:15

weil ich mich nicht entsinnete von solchen sonst

gehört zu haben, auch mir gar wohl bekannt war,

daß der Autor Anonymus, der den Prado refutiret,

dessen nicht erwehnet, als habe ich aus

curiosität dasselbe mit nacher Hause genommen

297:20

und durchgeblättert. Es werden ohne Zweiffel

viel tomi seyn, redete Polydor darzwischen,

weil aus den Titel zu ersehen, daß der Autor

von allen Denckwürdigkeiten und wichtigen

Sachen sein Buch anfüllen wollen. Die Frantzosen,

297:25

antwortete Clarindo, sind von herrlichen

Erfindungen, zum öfftern grosse Titul und kleine

Bücher zu machen, oder, daß ich deutlich rede,

298

das viele, so sie auff dem Titel versprechen

mit kurtzen Worten hernach von sich zu geben,

daß der Leser manchmahl nicht weiß, wie es zugehet.

Und also bestehet auch die Historie in 2.

298:5

kleinen tomis. Desto mehr verlanget mich

dieses Buch zu sehen, sagte Polydor. Es stehet

solches zu Eurer Excellence Diensten, wiederredete

Clarindo, iedoch werden mir dieselbe gnädigst

erlauben, daß ich den kurtzen Innhalt, samt

298:10

dem wenigen, was ich dabey in Acht genommen

erzehlen möge. Als nun Polydor dißfalls dem

Clarindo seine Gefälligkeit zu verstehen gegeben

fuhr dieser fort. Der Anonymus, so wider

den Mons. de Prade geschrieben, giebt vor, daß

298:15

er mit dem Vornahmen Ludwig Royer heisse,

in diesem Buch aber hab ich befunden, daß zwar

auff dem Titul er nur schlecht weg M. de Prade

genennet werde, in dem Koniglichen ertheilten

Privilegio aber wird er le Sieur Royer de Prade

298:20

tituliret, und ist also daselbst der Nahme Ludwig

ausgelassen. Die Vorrede, so der Herr Prade

über dieses Werck gemacht, ist sehr kurtz und also

auch gut, wenn alles kurtze gut ist. Er beschreibet

erstlich mit wenig Zeilen die Veränderungen,

298:25

so mit dem Teutschen Reich von langen

Zeiten biß ietzo vorgegangen, und setzet zu Ende

derselben, daß unterschiedene Provincien von

299

Ihren eigenen Königen wären unterdruckt,

hingegen aber von einen fremden Monarchen,

der in zwey Jahren verrichtet hätte, was die

Römischen Käyser in 4. Seculis nicht hätten

299:5

thun können, wären befreyet und bey nahe

eingenommen worden. Womit der Herr Prade,

deucht mir, wohl verdienet hätte, in des Herrn

Amelot de la Houssaye seinen tractat de la

Flatterie eine gute Stelle zu kriegen. Hernach

299:10

beschweret er sich, daß fast keine Autores wären,

von welchen man die Teutsche Historie füglich

lernen könte, indem etliche und unter denenselben

der vornehmste unter Ihnen Lehmann, Teutsch

geschrieben hätten, und solcher Gestalt fremde

299:15

wären, die man in Franckreich nicht verstünde,

andere aber wären entweder gar zu weitläufftig,

oder gar zu kurtz, und machten entweder viel Mühe

zu lesen, oder gäben wenig deutliche Nachricht.

Deshalben habe er gemeinet dem gemeinen

299:20

besten einen guten Dienst zu leisten, wenn er dieselbe

in eine rechte Mittelmasse brächte, und

dasjenige, was hin und wieder in denen Teutschen

Historicis oder in denen Registern des

Reichs, (was er hiemit meine, bekenne ich meine

299:25

Unschuld:) oder in denen Archiven der Reichs=Fürsten

und Reichs=Städte, zerstreuet wäre, zusammen

sammlete, und solches in Frantzösischer

300

Sprache herausgebe. Es muß doch ein braver

Mann seyn, sagte Polydor, weil er seine Historie

aus denen Archiven und Chronicken (denn ich halte

dafür, daß er diese durch die Reichs=Register

300:5

verstanden habe;) zusammen getragen. Multa

dicuntur, antwortete Clarindo, quæ non fiuntur.

So viel ich darinn geblättert, düncket mich,

daß die Archieven, die der Herr Prade gelesen und

untersucht hat, zu denen MSS. des Herrn Varillas

300:10

in einen Band gebunden seyn. Was in dem

ersten Theil gutes ist, das hab ich meines Behalts

meistens in Lehmanno gelesen. So hat

auch der Herr Prade sich die Freyheit genommen,

keinen Autorem zu citiren, ausser daß ich

300:15

gesehen, wie er sich ein paarmahl in dem Text auf

dem Herrn Conring, wiewohl ohne allegirung

des Ortes oder Buchs beziehet, und etliche mahl

den Monzambano ad marginem citiret hat.

Sonsten bestehet das erste Theil in welchen er von

300:20

dem alten Teutschen Reich handelt, in zehen

Capiteln, deren erstes tractiret von denen Aenderungen,

so im Römischen Reich vorgegangen;

das andere von dem uhralten Teutschen Reiche;

das dritte, von denen Teutschen provincien,

300:25

die unter der Römer Bothmäßigkeit gerathen;

das vierdte von dem Teutschen Reich Austrasien,

wo er die Lebens=Beschreibung der

301

Fränckischen Könige und Teutschen Käyser von

Carl dem Grossen biß auff das grosse interregnum

mit anhänget. In dem fünfften Capitel

handelt er von der Regiments=Form des alten

301:5

Teutschlandes unter denen Merovingis, Carolovingis,

und Teutschen Käysern; in dem sechsten,

von denen alten Prälaten und der Geistlichkeit;

in dem siebenden von denen Fürsten und weltlichem

Adel; im achten von dem Volck und Städten

301:10

des alten Teutschlandes; im neunten von denen

öffentlichen Versammlungen, und im zehenden

von denen Sclaven und Lassen. Eben in so viel

Capitel ist auch der andere tomus, allwo er das

heutige Teutschland betrachtet, eingetheilet, deren

301:15

erstes entwirfft dessen Zustand ingemein; das

andere handelt von Römischen Käysern; das

dritte von denen Chur=Fürsten; das vierdte von

denen Ertz=Hertzogen in Oesterreich, Hertzogen

von Burgund und denen geistlichen Fürsten;

301:20

das fünffte von denen weltlichen Fürsten; das

sechste von freyen Reichs=Städten; das siebende

von denen unmittelbahren Reichs=Unterthanen,

die keine Reichs=Städte seyn, und von der Reichs=Ritterschafft;

das Achte von dem Cammer=Gericht,

301:25

Austrägen, Reichs=Hoffrath und Käyserlichen

geheimen Rath; das Neunte von der Regiments=Form

des Römischen Reichs Teutscher

302

Nation, und endlich beschreibet das Zehende das

Leben der Teutschen Käyser nach dem interregno

von Rudolpho dem ersten biß auff ietzo regierende

Käyserliche Majestät. Zu dem andern

302:5

Theil, siehet man aus vielen Umständen, daß er

etliche von denen neuesten Publicisten muß gebraucht,

und dieselben ausgeschrieben haben, wiewohl

es öffters ohne judicio geschehen. Und habe

ich mich sehr gewundert, daß, da er sonsten die

302:10

materias Juris publici noch so ziemlich berühret,

er von denen Zusammenkünfften im Reich,

als Reichs=Tägen, Chur=Fürsten=Tägen u.s.w.

gar nichts angeführet hat, und halte ich dafür,

daß, weil, wo mir recht ist, auch etliche von unsern

302:15

Publicisten diese Sachen kurtz berühren,

ihme gewiß solche unter die Hände müssen gerathen

seyn, und es also dem ehrlichen Mons.

Prade gangen ist, wie jenem Bauer=Comœdianten,

dem Herr Peter Squenz nichts mehr

302:20

auff seinen Zettel geschrieben hatte. Ich glaube

dannenhero, daß die Frantzosen schon unter sich

bessere Nachricht vom Teutschen Reich haben,

und daß diese Historie dem Verleger nicht gar

grossen Vortheil bringen wird. Es scheinet auch,

302:25

als wenn der Autor selbst nicht eben in sonderlichen

Beruff müsse in Franckreich seyn.

Denn der Verleger hat zu dem andern tomo

303

dieses Buchs mit drucken lassen, daß der Herr

Prade auch Historiam Galliæ geschrieben,

und er dieselbe verleget habe, woraus es ebenfalls

das Ansehen gewinnen will, als ob nicht gar zu

303:5

grosse Nachfrage nach dieser Frantzösischen Historie

seyn müsse, und der Verleger noch viel exemplaria

davon übrig habe, und sich zweiffels

ohne erfreuen wird, wenn unser Buchführer,

auf Nicanors Ordre, an ihm um ein exemplar

303:10

schreiben wird. Wiewohl Eure Excellence

ihm die Freude versaltzen könnten, wenn sie dem

Buchführer liessen mit nechster Post nach Pariß

schreiben, daß sie sich anders resolviret hätten,

und die schönen Opera nicht begehreten. Es

303:15

würde sodann dem guten Herrn gehen, wie für

etlichen Jahren einen Buchführer in L. Dieser

hatte unter andern in seinen Buchladen etliche

Tractate und Tabellen von einem Professore

zu J. welche, weil sie meistentheils aus andern

303:20

ausgeschrieben waren, niemand begehrete.

Nun trug sichs zu, daß einsten ein feiner erbarer

Mann in den Buchladen kam, und fragte

ob der Buchführer nicht des Herrn H. seine

Schrifften hätte. Der Buchführer antwortete

303:25

mit ja, und freuete sich, daß er einmahl einen Käuffer

darzu bekäme, langete auch solche alle mit einander

herfür. Der Fremde fragte, ob sie auch wol

304

abgiengen? der Buchführer meinte, wenn er solches

vermeinte, würde der Käuffer abgeschreckt

werden. Deshalben rühmte er den guten Abgang

sehr, und versicherte den Fremden, daß dieses

304:5

das letzte Exemplar wäre. Nun, sagte der

Fremde, es ist mir doch lieb zu vernehmen, denn

der Herr muß wissen, daß ich, ohne Ruhm zu

melden, der Autor davon bin. Wer war übler

zufrieden, als der arme Buchführer, der zwar

304:10

Ihrer Excellenz ein Gegen=compliment

machte, aber ich weiß wohl, was er in seinem

Hertzen gedachte. Jam fiat applicatio. Ich

weiß nicht, begegnete Polydor, ob der Herr nicht

dem guten Mons. Prade zuviel thut. Denn die

304:15

wenigen Fehler, die er bißher erzehlet, verdienen

so eine scharffe censur noch nicht. Eure

Excellence reden gar recht, sprach Nicanor,

und ich wolte drauf wetten, daß Clarindo nur

mir zum Possen den Prade so herunter macht,

304:20

weil es ihm verdreust, daß Eure Excellence

mir die commission aufgetragen diesen Autorem

anzuschaffen. Zum wenigsten hat er noch

keinen Haupt=Fehler, den der Herr Prade begangen

hätte, angemerckt. Wenn ich dem

304:25

Herrn Bruder damit dienen kan, beantwortete

Clarindo, will ich es von Hertzen gerne thun,

und etliche wenige Schnitzer, die ich nur in lectione

305

curiosa in Acht genommen, erzehlen.

Ich weiß nicht aus was für einem Archivo er

die Sitten der heutigen Teutschen muß hergenommen

haben, die er im andern Theil p. 3. also beschreibet:

305:5

Die Männer sind zuförderst wegen

ihrer Treu und Tapfferkeit, und die Weiber

wegen ihrer sonderbahren Keuschheit zu rühmen.

Sie sind ordentlich zu der Music gleichsam

gebohren, und lieben die Künste und

305:10

Wissenschafften sehr. Wenn sie auch studieren,

so geschiehet es mit einer solchen

beständigen Begierde, daß sie dadurch

hinter die allerverborgensten Geheimnisse

kommen. Wenn sie sich verheyrathen,

305:15

sehen sie auff die Gleichheit des Standes,

und nicht auf Reichthum, lassen sich auch

den Geld=Geitz nicht so beherrschen, daß sie

den Adel= und Bürger=Stand mit einander

vermischen solten. Aber bey diesen allen

305:20

sind sie dem Wein sehr ergeben, und achten

die Religion so wenig, daß sie dieselbige ohne

Mühe nach dem Wohlgefallen ihrer Ober=Herrn

ändern. Wie gefällt dem Herrn Bruder

diese recommendation? Nicanor sagte:

305:25

Wenn das letzte von der Religion nachblieben

wäre, hätte ich in dem übrigen nicht viel zu erinnern.

306

Wir Gelehrten, sprach Clarindo, sind,

sehe ich wohl, unterschiedener Meinung. Ich

hätte viel zu erinnern. Zum wenigsten weiß ich,

daß, obwohl des Herrn Bruders Liebste dem

306:5

Herrn Prade sehr verbunden ist, wir beyde

doch in puncto der Music uns für keine Teutschen

ausgeben dürffen. Oder meint der Herr

Bruder, daß, wenn er seine Stimme wolte hören

lassen, die des Müllers Nachtigall, und der

306:10

Lerche, so denen Bauern auff die Kühe huckt,

nichts nachgiebet, und ich schlüge auff den

Brummeisen darzu, daß wir uns wohl unterstehen

dürfften, eine Ehren=Music zu bringen? Ich

glaube wir würden es dem Orpheus zuvor thun,

306:15

weil zweiffels ohne die Steine aus denen Kammer=Fenstern

um unsern Kopff herum tantzen

würden. Nicanor hätte dieser Schertz bey nahe

verdrossen, weil sonderlich seine Liebste ein wenig

im Geschrey war, daß sie extra gienge. Derohalben

306:20

brachte Clarindo, der solches merckte,

gleich etwas anders auff die Bahn. Hiernächst,

sprach er, hab ich auch angemerckt, daß der Herr

Prade pag. 44. sich darinnen sehr geirret, wenn

er vorgiebet, daß die weltlichen Chur=Fürsten

306:25

Ihre Lehen nicht unmittelbahr von dem

Reich empfingen, sondern von dem Bischoff

von Bamberg dieselben nechst ihren Reichs=Aemtern

307

erhielten. Dieser Irrthum, redete

Polydor dazwischen, ist dem Herrn Prade als

einem Ausländer noch zu gute zu halten, weil

denselben sehr viel von den Teutschen Publicisten,

307:5

sonderlich denen Alten, begangen haben. Aber

diesen Fehler kan ich ihm doch nicht zu gute

halten, fuhre Clarindo fort, den er begangen,

wenn er p. 143. sqq. seine Gedancken von der

Regiments=Form des Römischen Reichs eröffnen

307:10

will, wie wohl er fast dasselbe gantze Capitel aus

dem Monzambano herausgeschrieben hat. Denn

er sagt, daß es bey nahe ein monströser Staat

wäre und ein confuser Mischmasch gantz widerwärtiger

Stücken. Das ist auch die Meinung

307:15

des Monzambano begegnete Nicanor,

wie kommt es aber, daß der Bruder, der bißher

allezeit des Monzambano Lehre defendiret,

ietzo solche für einen Fehler hält. Es muß ihm

ein grosses Licht aufgegangen seyn, daß er die

307:20

rechtgläubige Meinung de Mixtura Monarchiæ

& Aristocratiæ einmahl angenommen

hat. Ey der Herr Bruder läst mich nicht ausreden,

antwortete Clarindo, Monzambano hat

die Regiments=Form im Reich wohl mit einem

307:25

monstro verglichen. Aber ihr Herren Peripatetici

habt ihm das Wort höher aufgemutzt, als

seine intention gewesen, weil er seine Meinung

308

deutlich genug heraus gesagt, daß er es für

eine irregulaire Form halte, die zwischen dem

Staat einer Monarchie, und dem Cörper vieler

vereinigten Republiqven gleichsam zwischen

308:5

innen schwebe. Und hierinnen hat Monzambano

recht, und weiß ich von keinen grossen

Licht, das mir dißfalls aufgegangen wäre,

weil ich alle eure Schrifften, die ihr dem Monzambano

entgegen gesetzt, gar nicht für grosse

308:10

Lichter, sondern kaum für kleine Schmeerkertzgen

halte. Alleine wolt ihr Herrn Ehre einlegen

und eure politische Regeln an einen Mann

bringen, so bindet mit dem Herrn Prade an,

der hat wahrhafftig einen Mischmasch aus dem

308:15

Römischen Reich gemacht, den kein gescheueter

Mensch wird können passiren lassen. Ihr Herren

macht sonsten viel Rühmens, was das für eine selige

Regiments=Form seyn würde, wenn die Monarchie,

Aristocratie, und Democratie mit einander

308:20

vermischt würden, und spintisiret das Werck

so subtil aus, wie solcher gestalt die Regalia auszutheilen

wären, daß mich wundert, wie es kömmt,

daß der König aus Utopien die Herren nicht lange

zu seinen geheimen Räthen gemacht hat. Nichtsdestoweniger,

308:25

wo mir recht ist, so gestehet ihr selbsten,

daß dergleichen seliger Zustand eines Regiments

in diesem Leben mehr zu wünschen, als

309

zu hoffen wäre. Herr Prade aber ist glückselig

in seinen Erfindungen. Denn ich glaube nicht,

daß er sich den Kopff sehr drüber zubrochen habe,

und dennoch hat er die Meinung herrlich ausgeführet,

309:5

daß das Römische Reich eine gemischte

Form von der Monarchie, Aristocratie und

Democratie sey. Und von der Democratie?

schrie Nicanor überlaut. Und von der Democratie,

antwortete Clarindo. Damit der Herr

309:10

Bruder nun nicht meine, als ob ich dem Herrn

Prade unrecht thäte, will ich ihm den extract von

des Prade seinen Worten sagen. Er spricht:

Man müste grosse Mühe anwenden, die

Regiments=Form, so im gantzen Teutschland

309:15

beobachtet wird, zu beschreiben. Denn

es wäre keine Democratie, obgleich alle Bürger

des Reichs darzu gezogen würden, auch

daselbst ihren Sitz und Stimme hätten, weil

nemlich die vornehmsten von diesen Bürgern

309:20

souveraine Potentaten wären. Es wäre

auch keine Aristocratie obwohl der Käyser

und die Fürsten daselbst die Oberstelle hätten,

weil keine Gleichheit unter ihnen wäre,

und das Volck auch davon nicht ausgeschlossen

309:25

wäre. Endlich wäre es auch keine absolute

Monarchie, weil der Käyser das wenigste

ohne die Stände thun könte. Deshalben

310

habe auch Heinrich der Grosse, König in

Franckreich den Titul eines Römischen Käysers,

und den Titul eines Hertzogs von Venedig

mit einander verglichen, und gesagt: Er

310:5

begehrete das Römische Reich nicht einmal

wenn man es ihm nicht auf diese Art übergeben

wolte, wie es Carl der Grosse besessen.

Dannenhero wäre das Römische Reich aus

allen diesen dreyen Regiments=Formen zusammen

310:10

gesetzt, und wäre eines Theils Democratisch,

weil das Volck darzu gelangen

könte, eines Theils Aristocratisch weil die

Chur= und Fürsten daselbst die gröste autorität

hätten, eines Theils aber Monarchisch,

310:15

weil in regard des gantzen Reichs die Stände,

ohne dem Käyser nichts thun könnten.

Nun gewiß, redete Nicanor hierzu, diesen Schnitzer

hätte ich dem Herrn Prade nicht zugetrauet.

Ich habe einen Vetter auff einer Hohen Schule,

310:20

dem will ich gleich schreiben, weil er mich ohnlängst

gebeten, ihm eine rare Materie zu einer

disputation vorzuschlagen: er solle dem Prade

in diesen Stück widerlegen. Dieses ist ein herrlicher

Vorschlag, sprach Clarindo, und wird

310:25

hierzu nicht undienlich seyn, wenn er ein wenig

den Ursprung untersucht, wie der ehrliche Prade

auff die Thorheit gerathen sey. Ich halte

311

gäntzlich dafür, er sey darauff kommen durch Lesung

eines Orts aus dem Monzambano, welchen

der gute Mann nicht verstanden. Denn

dieser spricht? Er habe noch niemand gesehen,

311:5

der dem Reich eine Democratische Form

zuschriebe. Nichtsdestoweniger wären unterschiedene,

welche diejenigen nur für Bürger

des Teutschen Reichs hielten, die bey

denen Reichs=Tägen session und Stimmen

311:10

hätten, welche Meinung ohnstreitig von

Aristotele herrührete, der einen Bürger so

beschriebe, welcher Fug und Macht habe des

gemeinen Wesens Nothdurfft zu überlegen,

und sein Votum darzu zu geben. Denn wenn

311:15

man diese Meinung annehme, so würde das

Teutsche Reich allerdings für eine Democratie

passiren können, als dessen Bürger so

dann alleine die Reichs=Stände wären, welche

samt und sonders auf denen Reichstägen

311:20

zu denen deliberationen und Stimmen zugelassen

würden u.s.w. Ob nun gleich der Herr

Prade aus diesen Worten selbst widerleget werden

kan, so scheinets doch / als wenn er in seinen

Studiren die Philosophie auff der lincken Hand

311:25

habe liegen lassen, und dannenhero nicht gewust

habe, was Monzambano haben wolle, sondern

dafür gehalten, als ob das Römische Reich auff

312

gewisse Masse von der Democratie etwas an

sich hätte. Der Herr Bruder darff seinen Vetter

nur diese beyden loca des Prade und Monzambano

zu schreiben, so hat er Vorrath genug

312:5

zu einer disputation, und wenn er etliche lange

Oerter aus dem Aristotele mit Griechischen

und Lateinischen Worten darzu anführet, und

die disputation secundum quatuor genera

causarum einrichtet, auch sich hernach einen

312:10

Bogen Verse oder von vornehmen und gelehrten

Leuten ein paar Episteln darzu machen läst,

so wird er hauptsächlich bestehen. Aber wie gefället

Eurer Excellence das Apophthegma

Heinrichs des Grossen? Polydor lächelte und sagte.

312:15

Ich solte fast zweiffeln, ob Heinrich der Grosse

sich dergleichen Redens=Art, wie sie der Herr

Prade angeführet, solte bedienet haben. Zum

wenigsten hielte ich nicht dafür, daß der ietzige

König in Franckreich der grosse Ludwig so scrupulös

312:20

seyn solle. Aber dem sey wie ihm wolle,

der Herr schicke mir nur des Prade seine Historie

zu, ich will sie behalten, und der Herr Nicanor

darff dem Buchführer keine widrige Ordre

ertheilen, denn ich will seine andern beyden

312:25

Schrifften auch in meine Bibliothec setzen. Nicanor

war sehr wohl damit zufrieden, und lachte

den Clarindo höhnisch aus, daß er in censirung

313

des Prade verstossen hätte. Clarindo selbst war

der Meinung, und bate Polydor um Verzeihung,

daß er mit seinen sentiment so frey heraus

gewesen wäre, denn, sagte er, ich habe nicht

313:5

gewust, daß Eure Excellence von dem Prade was

hielten. Polydor benahm aber beyden ihren Irrthum,

indem er ihnen endeckte, daß er gantz nichts

auf den Prade hielte, daß er aber seine Schrifften

in seine Bibliothec verlangete, wäre die Ursach,

313:10

weil in einer Bibliothec gute und böse Bücher

seyn müsten, denn wenn man lauter gute anschaffen

wolte, würde die Bibliothec sehr klein

werden, ja man würde auch, wenn man nicht alle

Bücher selbst durchlese, wenig Kennzeichen eines

313:15

guten Buchs antreffen, und sich sehr betrogen

finden, wenn man auf anderer Leute recommendation

gute Bücher anschaffen wolte, weil

kein Buch so alber und liederlich wäre, das nicht

von etlichen herausgestrichen würde und zwar

313:20

von denen selbst, die Gelehrte hiessen, entweder

weil sie es nicht besser derstünden, oder weil sie bey

dem Autore, wenn dieser zumahl ihr guter Freund

oder wohl gar ihr Patron wäre, einen Fuchsschwantz

verdienen wolten. Dannenhero setzte er

313:25

hinzu, ist mir es sehr lieb, daß der Herr Clarindo

mir seine Meinung offenhertzig entdecket, denn nun

weiß ich, daß Pradens seine Schrifften wenig taugen.

314

Aber hat denn der Herr nur dieses etwas altes

Buch für mich und gar nichts neues?

Ja Ihre Excellence antwortete Clarindo, ich

habe jetzo viel im Vorrath und dencke Nicanor

314:5

zu beschämen. Der Herr Bruder, sagte Nicanor,

lasse doch seinen Vorrath an das Tage=Licht kommen.

Ich habe ein Werck gefunden, wiederhohlete

Clarindo, das ist Anno 1689. heraus kommen

und also gantz Nagel neu, weil es den letzten

314:10

Martii des 89sten Jahres fertig worden. Nicanor

lachte von Hertzen und sagte: Das ist wahr,

der Bruder beschämet mich damit, denn ich kan

die Kunst nicht, solche Bücher in Buchläden anticipando

zu finden, die erst im künfftigen Jahre

314:15

sollen gedruckt werden. Der Herr Bruder

wird sich versprochen haben, und an statt des 89.

Jahres das 87te sagen wollen. Ey ich weiß

wohl, was ich rede, versetzte Clarindo. Der Titel

heist, ^+Les ^+delices ^+de ^+l' ^+Esprit. ^+Entretiens

314:20

^+sur ^+la ^+divinité, ^+sur ^+la ^+religion ^+& ^+autres

^+sujets

^+par ^+Mons. ^+Des ^+Marests, ^+de ^+l' ^+Academie

^+Francoise, ^+dedié ^+aux ^+Beaux ^+Esprits ^+A ^+Paris

^+chez ^+Augustin ^+Besoigne ^+1689.^* Und stehet nach

dem extract des Königlichen Privilegii ausdrücklich

314:25

dabey, daß diese edition den 30. Martii

1689. sey in der Druckerey fertig worden, welches

man nicht so öffentlich würde haben drucken lassen,

315

wenn es nicht wahr wäre. Jedoch will ich deßwegen

keinen Streit anfangen, zum wenigsten

weiset die dabey befindliche Approbation, daß

dieses Werck allbereit Anno 38. zum erstenmahle

315:5

müsse gedruckt seyn, und kan dannenhero für ein

altes und neues zugleich passiren. Der Herr

des Marests, sagte Polydor, ist sonsten ein berühmter

Frantzösischer Autor. Ich habe seine

Ariana gelesen, begegnete Clarindo, und muß

315:10

bekennen, daß mich dieselbe sehr wohl vergnügt

hat, aber / als ich dieses Werck ein wenig durchgeblättert,

habe ich wohl gesehen, daß ein grosser

Unterschied sey zwischen einen guten ingenio ein

Historisch Buch oder Roman zu schreiben, und

315:15

zwischen einen guten judicio zu raisoniren, und

Philosophischen Sachen mit einem guten vernünfftigen

Schluß darzuthun. Es bestehen diese

Belustigungen des Gemüths aus 13. Gesprächen

zwischen einen so genannten Philedon und Eusebio,

315:20

in welchen dieser sich bemühet jenen, als einen

in der Atheisterey und weltlichen Lüsten ersoffenen

Menschen mit vernünfftigen discursen

von diesen grossen Haupt=Irrthümern zur Erkäntniß

GOttes, rechten Gebrauch der Vernunfft

315:25

und Nachfolge JEsu CHristi zu führen.

Aber gewiß, ich habe befunden, daß in denen Gesprächen

zum öfftern viel zierliche und wohlgesetzte,

316

aber mehrentheils leere und nichts bedeutende

Worte enthalten sind, und der Autor dieses

wichtige Vorhaben nicht pro dignitate ausgeführet

habe. Denn erst führet er den Philedon

316:5

ein, als einen Kerl, der weder GOtt noch ewiges

Leben, viel weniger die Unsterbligkeit der

Seelen glaubt, und im höchsten Grad lasterhafftig

ist. Ob nun wohl die discurse des Eusebii dahin

gerichtet seyn, daß er diesen rohen Menschen

316:10

noch so ziemlich methodice antastet, und von der

sein selbst Erkäntniß zu der Erkäntniß GOttes leiten

will, so sind doch die von dem Eusebio angeführten

Gründe so schwach und unzulänglich, daß

ich versichert bin, es werde kein Christe, der in der

316:15

GOttesGelahrheit schon gnugsam bekräfftiget ist,

dieselbe für bastant halten. Ich habe zwar nur

drey von denen Gesprächen mit Fleiß durchlesen,

das dritte, vierdte und fünffte, allein ich habe aus

diesen schon zur Gnüge sehen können, was ich von

316:20

denen übrigen zu hoffen hatte. In dem Dritten

handelt er von der Unsterblichkeit der Seelen, aber

er raisonnirt davon so elende, daß ich mich kaum

entsinne, in einer Pneumatic unserer Philosophorum

so schlimme Gründe zu derselben Behauptung

316:25

gelesen zu haben. In dem Vierdten

handelt er von der Belustigung des Gemüths, so

es vom Gebrauch derer Künste habe, und gleichwie

317

er diese Belustigung noch so ziemlich hoch

hält, so hätte er zuförderst deutlich erklären sollen,

was er denn eigentlich durch die Künste

verstehen wollen; Aber daran hat er nicht gedacht,

317:5

und wirfft das Hunderte ins Tausende,

ausser daß man seine Meinung in etwas

durch die Exempel, die er anführet, indem er die

Music, Mahlerey und Bau=Kunst sonderlich

herausstreicht, errathen muß. Jedoch weiß

317:10

man nicht, wie man eigentlich mit ihm daran

ist, weil er im fünfften Gespräch die Eitelkeit der

Wissenschafft, und unter denenselben auch derer

Mathematischen ziemlich durchhechelt, wiewohl

abermahls mit schwachen Gründen, und

317:15

gewöhnlicher Unbeständigkeit, weil er die Cosmographie,

Historie und Poeterey noch sehr

lobet. So hat mich auch recht verdrossen, daß

durchgehends, wenn Eusebius nur etwas saget,

wodurch er seine Meinung behaupten will,

317:20

Philedon nicht den geringsten Einwurff darwieder

fürbringet, sondern alsobald mit grossen

Complimenten zuplumpt, und sich alles bereden

läst, worinnen der Herr Des Marests den Character

den er dem Philedon gegeben, gar schlecht

317:25

exprimiret. Ja es scheinet, als wenn der

Autor selber an der force seiner Gründe gezweiffelt,

weil insgemein Eusebius den Philedon,

318

wenn er seine dunckele und zweiffelhaffte

Sachen approbiret, repliciret, daß diese approbation

keine ordentliche Wirckung seines

Verstandes sey, sondern einer absonderlichen

318:5

Göttlichen Gnade und Erleuchtung zuzuschreiben

wäre / wiewohl mich diese invention ein wenig

geärgert, weil es das Ansehen gewinnen will,

als wolle der Autor dieses Buch zu einen libro

Canonico und sich zu einen viro *...* machen.

318:10

Und gewiß je weiter ich in diesen Buch gelesen,

je weniger habe gewust, was ich draus machen,

oder zu was für einer disciplin ich es bringen

sollen. Denn obschon durch und durch der Autor

von der heiligen Schrifft abstrahiret, und mit

318:15

lauter Vernunfft=Schlüssen diesen rohen Menschen

zu gewinnen sucht, so mischt er doch allemahl

Göttliche Erleuchtungen mit unter, und macht

also einen ziemlichen Mischmasch aus der Theologie

und Philosophie, zumahl in der Vorrede

318:20

an die Leute von artigen Geiste, (*...*

*...*) welche er auff solche Gestalt anredet, daß,

weil alles in der Welt auff die Lust, es sey nun auf

die Fleisches= oder die Gemüths=Lust erpicht sey,

so müsse man ihnen auch Bücher zu lesen geben,

318:25

die sie durch die Lust an sich lockten, und dannenhero

müste man unserm delicaten seculo weisen,

daß kein Roman oder Poema so viel Artigkeit

319

bey sich nahe, als die heilige Schrifft. Die

Glaubens=Sachen zwar wären unbegreifflich,

und GOtt wolle, daß man sie glauben solle, wenn

man dieselbigen gleich nicht durch die Vernunfft

319:5

fassen könte. Nach denen Glaubens=Artickeln

und nach dem Göttlichen Gesetz wären die Sachen,

so den innerlichen Menschen beträffen,

wiewohl dieselben so wohl von denen fleischlich gesinneten

als von denen Gelehrten verachtet würden.

319:10

Denn die Lehre von innerlichen Menschen

stiesse alle subtile und curieuse Fragen übern

hauffen und führte die Gläubigen zu der Wissenschafft,

die allein nothwendig und zweiffelhafftig

ist, nemlich die Wissenschafft des Reichs

319:15

GOttes in uns selbst, welche JEsus CHristus,

und seine Apostel nach ihm, uns in gantz deutlichen

Worten geprediget hätten. Dannenhero

vermahnet er alle diejenigen, die zu dieser Wissenschafft

gelangen wolten, daß sie zu ihm kommen

319:20

oder dieses Buch lesen solten, welches er als

ein einfältiger, unwissender, und der sich bißhero

in nichts würdigen Sachen aufgehalten, verfertiget

hätte. Allein sie müsten nicht viel von sich

und ihrem Verstande halten, sondern sie müsten

319:25

die hohe opinion von sich selbst erniedrigen,

und sich demüthigen, und die tieffen Geheimnisse

GOTTES anbeten, auch die Gnade

320

von ihm begehren, daß sie, wiewohl unwürdig,

tüchtig gemacht würden, diese vortreffliche

Geheimnisse zu verstehen. Wenn man nun

dieses alles betrachtet, und diese Vorrede mit

320:5

dem Werck selbst zusammen hält, so wird man

befinden, daß dieses Buch ein Stück von der

Philosophie an sich habe, weil der Eusebius

den Philedon durch seine eigene Vernunfft

zu convinciren sucht; auch ein Stück von der

320:10

Theologie, weil er sich auf die Lehre CHristi und

der Apostel beziehet; ferner ein Stück von der so

genannten Theologia mystica, weil er diese Wissenschafft

denen Glaubens=Artickeln entgegen setzet,

und sich auff das innerliche Reich GOttes beziehet;

320:15

und letzlich ein Stück von dem Enthusiasmo,

weil er seine Gedancken für Göttliche Offenbahrungen

und Geheimnisse ausgiebet, welches

sonsten die wahren Theologi mystici nicht zu

thun pflegen. Wollen nun Eure Excellence dieses

320:20

Buch auch behalten, so will ich solches nebst des

Prade seiner Teutschen Historie mit hersenden?

Polydor bejahete solches, fragte aber den

Nicanor ob er bey des Clarindo seinem discours

nichts zu erinnern hätte? Nicht viel sonderlichs,

320:25

antwortete dieser, ausser daß mir das nicht in

Kopff gewolt, daß Clarindo über das Gespräch

von der Unsterblichkeit der Seelen sein Urtheil

321

gefället, daß er so schlimme Gründe bey keinen

Pneumatico von der Seelen Unsterblichkeit

angetroffen, als darinnen. Hält denn der Herr

Bruder die Gründe so vieler wackern vornehmen

321:5

Leute, die sie, der Seelen Unsterblichkeit zu behaupten,

gesetzet haben, so gar verächtlich,

und ist es denn dahin kommen, daß er den Haupt=Artickel

des Christenthums von der Aufferstehung,

welcher an der Seelen Unsterblichkeit

321:10

hanget, läugnet, und solchergestalt zu einen

Ketzer, zu einen Sadducäer worden? daß ist ja

leider! zu erbarmen. Ich will dieses von dem

Herrn Bruder als Schertz auffnehmen, sagte

Clarindo, denn er ist ja sonst kein Ketzer=Macher,

321:15

und hat auch das rechte Ansehen nicht darzu,

als zu solchen Leuten gehöret. Ich läugne der

Seelen Unsterblichkeit nicht, denn davon versichert

mich die heilige Schrifft, ja ich venerire diese

Göttliche Offenbahrung vielmehr mit gebührender

321:20

Demuth als einen Glaubens=Artickel, und unterwerffe

meine Vernunfft der Göttlichen Erleuchtung.

Und eben deshalben verwerffe ich als eine

grosse Thorheit, daß sehr viel unter denen Christen

sich mit saurer Mühe und Arbeit vergebens bemühen

321:25

andere Menschen durch das finstre Thal

der menschlischen Vernunfft zu denen göttlichen

Geheimnissen zu führen, da ihnen doch der helle

322

Weg der heiligen Schrifft für Augen liegt, und

da es unmöglich ist, durch recht gegründete Vernunfft=Schlüsse

ohne den Glauben einen einigen

Geist zu begreiffen. Bey welcher Bewandniß

322:5

denn die gantze Pneumatica derer Schul=Lehrer

und die grossen weitläufftigen Bücher de

Theologia naturali, mit denen man sich in seiner

Jugend den Kopff zubrechen muß, biß etwan

auff zwey argumenta de DEi existentia &

322:10

Providentiâ übern hauffen fallen. Das ist

eine harte Rede, sagte Nicanor. Auff diese

Weise müste man alle Academien reformiren,

weil ich dafür halte, daß keine einige sey, da die

Pneumatic nicht darauf dociret werde. Gleich

322:15

als ob das was neues wäre, replicirte Clarindo,

daß so wohl die hohen als niedrigen Schulen

grosse reformation brauchten. Dieses haben

viel kluge Leute von mir gesagt, auch in öffentlichen

Büchern davon geschrieben. Die Welt

322:20

ist auch bißhero in etlichen Jahren so civilisiret

worden / das heute zu Tage nicht alles mehr für

harte Reden gehalten wird, was ehe dessen dafür

angesehen wurde. Als für etlichen Jahren

der berühmte Schupp in seinen Schrifften sich

322:25

verlauten liesse, man könne auch ausser Academien

gelehrt werden, was erhub sich da nicht

für ein Tumult über den ehrlichen Mann. Itzo

323

wird dieses von denen vornehmsten und Hohen

dieser Welt fast durchgehends practiciret, indem

dieselben ihren Printzen und jungen Herren, ausser

denen Academien, von gelehrten Leuten unterrichten

323:5

lassen. Der Bruder wird aber doch

keine reformation anfangen, begegnete Nicanor.

Das ist auch meine intention nicht, antwortete

Clarindo, aber deshalben darff man

wohl sub rosa davon reden, oder seine Gedancken

323:10

davon eröffnen. Die reformation gehöret

für Fürsten und ihre hohe ministros. Es

ist aber nicht so bald gethan, als geredet / sprach

Polydor. Ihr Herrn könnt wohl theoretice gar

fein von der Sache und von Besserung der Lehre

323:15

auff denen Schulen reden; Aber ihr bedenckt

nicht die vielfältigen Umstände, die sich in Weg

legen, daß man diese guten Vorschläge nicht bewerckstelligen

kan. Ich halte selbsten dafür,

widerredete Clarindo, daß die reformation derer

323:20

Hohen Schulen eher zu wünschen als zu

hoffen stehet. Dieselbige erfordert meines wenigen

Erachtens einen gantzen Fürsten, der guten

Fried und Ruhe in seinen Lande hat, auch die

dabey vielfältig sich ereignenden Schwürigkeiten

323:25

an seinem Vorsatz sich nicht hindern lässet.

Was Mühe und Arbeit kostete es nicht, als man

das Pennal=Wesen ausrottete, wiewohl dieses

324

nur die Studenten angienge. Was würde

sich nun da nicht für Unfug erheben, wenn man

in das Wespen=Nest störete und die Mängel derer

Lehrer untersuchte, und solchergestalt manchen,

324:5

der nichts anders gelernet hat, als daß er

wiederkäuet, antastete, wo es ihm wehe thäte. Ich

möchte mich zum wenigsten nicht darzu gebrauchen

lassen, denn ich müste mich befahren / daß es

mir gienge, wie der Tochter des Tarpeji, und

324:10

daß man mich entweder unter einem halben

Schock Mänteln begrübe, oder mit einen Fuder

Folianten, die über den Aristotelem commentiret,

fein warm zudeckte. Allein wenn ein Fürst

eine neue Academie anrichten wolte, würde es

324:15

aller dieser Schwürigkeit nicht brauchen, und

dächte ich, es könten gar mit leichter Mühe die vielfältigen

Fehler, so auff denen Academien eingerissen

seyn, vermieden werden.