B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Christian Thomasius
1655 - 1728
     
   



F r e y m ü t h i g e   L u s t i g e   u n d
E r n s t h a f f t e   i e d o c h   V e r n u n f f t -   u n d
G e s e t z - m ä ß i g e   G e d a n c k e n   O d e r
M o n a t s - G e s p r ä c h e ,   ü b e r   a l l e r h a n d ,
f ü r n e h m l i c h   a b e r   N e u e   B ü c h e r ,
D u r c h   a l l e   z w ö l f f   M o n a t e
d e s   1 6 8 8 .   u n d   1 6 8 9 .   J a h r e s
d u r c h g e f ü h r e t .


3 .   M o n a t   o d e r   M a r t i u s   1 6 8 8
S e i t e   3 2 4 : 1 9   -   3 6 0 : 1 8


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  Es stehet dahin, sprach Polydor, jedoch habe
324:20 ich wider den Herrn noch dieses zu erinnern. Gesetzt
die Schul=Lehrer und Peripatetici hätten
ihm keine satisfaction gethan, so wolte ich doch
nicht sagen, daß der Menschliche Verstand, durch
sein weniges natürliches Licht, keinen Geist begreiffen
324:25 könne. Denn so viel ich in des Cartesii
Schrifften gelesen, so hat derselbe noch so ziemlich
ex conceptu cogitationis die immaterialität
325 der menschlichen Seelen dargethan. Und
so viel ich dann und wann discouriren hören, so
haben die Cartesianer sich immer noch mit guter
Manier wider ihre Gegener geschützet. Absonderlich
325:5 habe ich nicht lange in des Herrn Poirets
Schrifften ein wenig geblättert, und befunden,
daß er sehr deutlich, und mit einer angenehmen
subtilität des Cartesii Lehre hierinnen behauptet.
So wird auch vielleicht dem Herrn Clarindo
325:10 der Autor Anonymus, der für zwey
Jahren unter dem Titul: Essais Nouveaux de
morale de l' Ame de l' Homme
heraus kommen,
bekannt seyn, in welchen der Autor auf eben
den Grund des Cartesii von der Seelen Immaterialität
325:15 die gantze Sitten-Lehre und alle Schuldigkeit
eines Menschen, so wohl gegen GOTT,
als sich selbst und gegen den Nächsten gebauet hat.
Aber mein Herr Nicanor, wie zuckt er die Achseln
hierbey, hat er etwas hierwider zu sagen? Ey
325:20 Ihre Excellence haben doch diese Meinung nicht
von mir, antwortete Nicanor, Sie sind ja verhoffentlich
an mir gewohnet, daß ich nie die Unhöfligkeit
begangen, ihnen zu widersprechen. Ich
habe mich nur gewundert, daß Eure Excellence
325:25 bey derer hohen Verrichtungen sich noch die Mühe
nehmen, um die Philosophischen Sachen sich zu
bekümmern und des Cartesii Schrifften zu lesen.
326 Ich lese dieselben eben nicht, replicirte Polydor,
sondern ich gucke zuweilen nur bey einer kleinen
Musse ein wenig hinein. Jedoch darff der Herr
nur kühnlich seine Meinung von der Cartesianer
326:5 ihrer Lehre sagen, weil ich ohne dem den
Herrn Clarindo nur diesen Einwurff aus Schertz
gemacht habe. Ich bilde mir solches bald ein, sagte
Nicanor, denn es verlohnet sich nicht die Mühe,
daß man des Cartesii Schrifften lieset, weil
326:10 die Peripatetici ihme und seinen Anhängern
schon das Maul gestopfft, ja man thut besser, daß
man solche Schrifften mit frieden lässet, weil
unter des Cartesii dubitation gar ein subtiler
Gifft der Atheisterey verborgen ist. An den Poiret
326:15 kan auch nichts gutes seyn, denn er folget einer
neuen und irrigen Lehre. *...*, sprach
Clarindo, der Bruder hat die Cartesianer
hauptsächlich widerleget, und solte ich ihm billig
verbunden seyn, weil er mich auf diese Art fast
326:20 gantz befreyet hat, daß auf den von Ihrer Excellence
mir gethanen Einwurff ich nicht antworten
dürffte. Allein ich brauche keinen Vormund, oder
Anwald, und weiß es also dem Bruder wenig
Danck. Denn wer hat ihm doch vertraut, daß
326:25 die Peripatetici denen Cartesianern das Maul
gestopfft haben. Ich dencke immer, wenn die
Cartesianer und Peripatetici zusammen rechnen,
327 so werden diese jenen noch ein groß Kerbholtz
schuldig seyn. Es ist nicht lange, so schriebe ein
gelehrter Mann auf eine Academie, er habe seinem
Widersacher, den gescheuete Leute auch für
327:5 gelehrt passiren lassen, das Maul gestopfft, aber
mich daucht, es wurde ihm solches hernach eingetränckt,
daß er an kein Maulstopffen mehr gedachte.
Daß aber die Cartesianer nicht einem
iedweden nach seiner Thorheit antworten, wenn
327:10 etwa ein armer Stümper, der Cartesium sein
Tage nicht gelesen, und nichts mehr von ihm
weiß, als was er in seinen Collegiis MSS. findet,
alt abgedroschen Zeug wieder auffwärmet,
dadurch beobachten sie die Regel kluger Leute.
327:15 Und dahin gehöret die Fratze von der Atheisterey,
die unter des Cartesii seiner dubitation
verborgen seyn solle. Was den Herrn Poiret
anlanget / so wäre mein Rath, daß der Bruder
und ich uns in des Poirets Lehre nicht einmischten,
327:20 ob sie irrig sey oder nicht, sondern überliessen
solches denen Herrn Theologis, die dem
Herrn Poiret, und dieser ihnen, ieden auf seinen
Theil nichts schuldig bleiben werden. Zudem
ist das eine schlechte Folge, daß an einem Autore
327:25 nichts gutes seyn soll, weil er im Glauben eine irrige
Lehre hat. Gleich als ob der Summissimus
Aristoteles seinen Catechismus an einen
328 Schnürchen auswendig gekunt hätte. Ich bin
zwar kein Cartesianer, redete Polydor darzu,
aber doch hielte ich dafür, Clarindo hätte hierinnen
recht. Zudem habe ich auch von einen
328:5 gottseligen Manne gehöret, der mit dem Herrn
Poiret einige Bekanntschafft gehabt, daß man
ihn in seinen euserlichen Leben und Wandel, für
einen frommen Menschen halten müsse. Ich unterwerffe
mich Eurer Excellence information,
328:10 sagte Nicanor mit einen tieffen Reverentz, mich
soll aber verlangen, was der Herr Cartesianer
Clarindo auf Eure Excellence Einwurff antworten
werde. Der Herr Bruder falle nicht den
Cartesianern ins Land, schertzte Clarindo, als der
328:15 gute Nicanor es versehen hatte, und, indem er bey
seinen Reverentz sich von Stuhl etwas erhoben,
im Niedersetzen, weiß nicht aus was Versehen,
zusamt dem Stuhle unter den Tisch gefallen ware.
Ich glaube, des Herrn Poirets sein genius
328:20 hat ihm den Stuhl unter dem Leibe weggezogen.
Ey der Herr vergesse über dieser raillerie seiner
Rede nicht, versetzte Nicanor, mit meinem Fall
hat es nicht viel zu bedeuten, der Bruder antworte
nur Ihrer Excellenz. Clarindo war hierzu
328:25 gantz bereit. Ich bin, sagte er, kein Cartesianer,
und wird meine Antwort solches bezeugen, iedoch
muß man auch an denen, von welchen man
329 in der Wissenschafft sich entfernet, ihre Tugenden
und Geschicklichkeit loben. Ich approbire
auch den Mißbrauch der Cartesianischen Philosophie
in der GOttesGelahrheit ja so wenig, als
329:5 den Mischmasch, den die Schul=Lehrer zwischen
der Philosophie und Theologie gemacht
haben. Jedoch muß ich bekennen, daß ich in
der Cartesianer ihren Schrifften sehr viel gute
Sachen gefunden, und ist nicht zu läugnen, daß
329:10 der Cartesius einer mit von denen gewesen, der
die gelehrte Welt, die unter dem Joch einer pedantischen
und albernen Philosophie seuffzete,
mit befreyen helffen. Aber zu unsern Zweck zu
gelangen, so dünckt mir, daß Cartesius in seinen
329:15 dubitiren, ob er gleich solches zu einen guten
Ende angefangen, dennoch ein wenig über
die Schnur gehauen, wenn er in seinen meditationen
dadurch, daß die euserlichen Sinnen
manchmahl betrogen werden, dahin sich verleiten
329:20 lassen, daß er auch für zweiffelhafftig gehalten,
ob er selbsten einen Leib und mit demselben
Hände und Füsse habe. Denn auff diesen
Zweiffel, oder, wie er es selbst nennet, auf dieser
fiction, beruhet sein gantzes Werck de immaterialitate
329:25 animæ, und hat ihn dannenhero
Gassendus in seinen objectionibus ziemlich
höfflich und scharffsinnig hiermit railliret. Wenn
330 die Herren Cartesianer dieses beydes: Daß das
Wesen der Seelen in stetswährenden würcklichen
Gedancken bestehe; und daß man einen
concept derer Gedancken haben könne, ohne
330:5 an den Cörper des Menschen zu gedencken,
gründlich behauptet hätten, so hätte ich wieder
ihre Philosophie fast gar nichts zu sagen. Aber,
so stehen diese ihre beyden Grund=Sätze auff so
schwachen Füssen, und können durch des Cartesii
330:10 seine eigene Beschreibung eines Geistes und
derer Gedancken gar leichte mit unterschiedenen
argumenten über den Hauffen gestossen
werden. Es sind auch etliche Cartesianer so tumm
nicht, daß sie nicht mercken solten, was ihnen Cartesius
330:15 damit Schaden gethan, daß er die Gedancken
definiret. Dannenhero wolten sie
gerne wieder zurücke, und geben vor, daß die
Gedancken wegen ihrer gar zu grossen Deutlichkeit
nicht könnten beschrieben werden, so wenig als
330:20 die Bewegung, von derer beständigen definition
die Philosophi noch auff heutigen Tag sich
wacker herum zancken, da doch die Sache selbst
auch ein Bauer verstehet. Aber, meines Bedünckens,
ist ein handgreifflicher Unterscheid
330:25 zwischen der Bewegung und denen Gedancken.
Die Bewegung berühret an und vor sich selbst
aller und ieder Menschen Sinnen, dergestalt,
331 daß nicht alleine jener lustige Philosophus einen
andern, der die Thesin gesetzt hatte, quod
non daretur motus in rerum natura, gar
weißlich widerlegte, indem er, als das opponiren
331:5 an ihm kam, aufstunde, im auditorio herumgienge,
und als er gefragt wurde, was er machte?
zur Antwort gab / er refutirte die disputation;
sondern, wenn auch einer zweiffelte, was ich durch
die Bewegung verstünde, man ihm solches mit tausend
331:10 Exempeln für eins, und allerdings, wenn sonst
keines in Vorrath wäre, mit einer Maulschelle
gantz deutlich erklären könnte, da hingegen die
Gedancken an und vor sich selbst ein ieder zwar
bey sich empfindet, aber eines andern Gedancken
331:15 nur durch euserliche Zeichen, und zwar
ziemlich unvollkommen begreiffen kan.
Was nun den von Eure Excellence angeführten
Autor belanget, der das Essay de morale de
l' Ame de l' Homme
geschrieben hat, so läugne
331:20 ich nicht, daß er aus dem fundament de spiritualitate
animæ nicht allein die gantze Sittenlehre
gar artig deduciret, sondern er folgert auch daraus
so ziemlich anmuthig den Zustand der Seelen,
wenn sie von dem Leibe abgesondert sind,
331:25 und dermahleins in der Aufferstehung wieder
mit denen verklährten Leibern werden vereiniget
werden. Aber, gleichwie ich zweiffele, ob
332 wegen dieses letztern, die Herren Theologi allerdings
werden zufrieden seyn; Also beweiset er
sein fundament, von der Immaterialität
der Seelen noch mit schlechtern Vernunfft=Gründen,
332:5 als die Cartesianer sonst gemeiniglich
zu thun pflegen, uud fället dannenhero, wenn
man ihnen die Schwäche seiner Gründe weiset,
das gantze Gebäude der darauff gesetzten Philosophie
hernach.
332:10 Letzlich, was des Herrn Poirets Schrifften
betrifft, so habe ich zwar das letzte von ihm heraus
gegebene Frantzösische Werck, welches er
Oeconomiam divinam intituliret, nicht gelesen,
halte auch dafür, daß Eure Excellence nicht
332:15 auf dieses, sondern auf seine cogitationes rationales
de Deo, anima & malo, gezielet, in welchen
er dann und wann von dem Cartesio und seinen
asseclis abgewichen, jedoch meistentheils die
principia ratiocinandi des Cartesii defendiret,
332:20 und fürnehmlich seine doctrin von Wesen der
menschlichen Seelen zu behaupten, und von allen
Einwürffen zu befreyen sich höchst angelegen
seyn lassen. Und gestehe ich gar gerne, daß man
den Herrn Poiret für einen scharffsinnigen und
332:25 hauptgelehrten disputatorem passiren lassen
müsse, dessengleichen in artificio demonstrandi,
wir bey uns nicht viel werden auffweisen können,
333 massen er hiervon eine herrliche Probe abgelegt,
indem er des bekannten Benedicti Spinosæ
seine fundamenta æthicæ gantz gründlich widerleget
und diesen seinen Widersacher schärffer
333:5 angegriffen / als der Herrn Velthuysen oder andere,
so wider ihn geschrieben. Ich läugne
auch nicht, daß er auf die objectiones, die man
wider des Cartesii Lehre vom Wesen der Seelen
machen kan, sehr subtil und deutlich geantwortet
333:10 habe, als ich bißher fast bey keinen Cartesianer
in acht genommen. Nichts destoweniger
habe ich befunden, daß er die Lehre, daß der
Mensch wenn gleich alle Cörper auf dem
gantzen Erdboden und auch sein selbst eigener
333:15 in nichts verwandelt würden, dennoch in sich
selbst, das ist in seiner Seele den concept hätte,
daß er gedächte, mehr bejahet und hingesetzet,
als mit wichtigen argumenten dargethan,
auch an einem andern Orte præsupponiret,
333:20 daß man die Substantz einer Sache an sich
selbst mit menschlicher Vernunfft leichter als
die accidentia begreiffen könne, da man doch so
wohl wieder ihn, als die Anti=Cartesianer gar
deutlich darthun kan, daß kein Philosophus iemahl
333:25 einen distincten concept von einiger
334 Substantz und Wesen ohne die accidentia gehabt,
und das die gemeine Beschreibung der
Substantz, wie man solche in denen Schulen
lernet, ein recht asylum ignorantiæ sey. So
334:5 glaube ich auch ferner, daß wenn der Herr
Poiret seine dissertationem præliminarem
de fide & ratione humana eher verfertiget hätte,
als die Cogitationes rationales, er viel
leicht in diesen den Unterscheid zwischen Glaubens=Sachen
334:10 und denen Sachen, die aus der menschlichen
Vernunfft müssen hergleitet werden, besser
würde beobachtet haben, welches aber solchergestalt
nicht allemahl geschehen, sondern in diese cogitationes
rationales viel Glaubens=Sachen mit
334:15 untergemischet sind, die für Philosophische, jedoch
nach derer Cartesianer hypothesi, ungegeben
werden. Und also hoffe ich nach Vermögen
auf den von Eurer Excellence mir geschehenen
Einwurff geantwortet zu haben.
334:20 Polydor sagte, der Herr hat in seinem discurs
des Spinosæ und Velthuysen erwehnet, von
welchen ich gerne genauere Nachricht verlangete,
sowohl auch von der dissertation des Herrn Poirets
de fide & ratione humana, als von welcher
334:25 ich in meiner edition nicht weiß. Es ist
auch, antwortete Clarindo, dieselbe nur in der
andern edition, die Anno 85. herausser kommen,
335 nebst der refutation des Spinosæ und andern
Anmerckungen, mit beygefüget worden. Es bemühet
sich der Herr Poiret in besagter dissertation
zu erweisen, daß die meisten Theologi
335:5 und Philosophi bißher den Glauben und die
menschliche Vernunfft mit einander vermischt
hätten, hernach untersucht er dem Unterscheid
zwischen den Göttlichen Geheimnissen und
denen natürlichen Sachen, zwischen dem
335:10 Glauben und der Vernunfft, der Natur und
Gnade, der Theologie und Philosophie, und
handelt von dem gerechten Gebrauch und Mißbrauch
der Vernunfft, und was der Mißbrauch
für schädliche Früchte vorbringe / unter welchen
335:15 die Atheisterey die vornehmste ist. Nun ist
wohl nicht zu läugnen, daß kein Irrthum heut
zu Tage unter uns gemeiner ist, als daß, unerachtet
Luther, Melanchthon, und andere Reformatores
im vorigen seculo sich eiffrigst bemühet,
335:20 den Mischmasch der Philosophie mit
der Theologie, (zu welchem auch viel von denen
alten Patribus einigen Grund geleget, die
Scholastici aber und Mönche denselben vollends
auffs höchste gebracht,) wieder auszutilgen /
335:25 und als ein Unkraut auszugäten, nichts destoweniger
anietzo fast die wenigsten um den Unterscheid
der Natur und Gnade bekümmert seyn,
336 ja die meisten sich befleißigen die nach Luthers
und Melanchthons Tode bald wieder eingerissene
Verneuerung mit aller Macht zu befestigen,
andere aber mit allen ihren Kräfften und
336:5 Vermögen, und, so zu sagen, mit Händen und
Füssen sich bearbeiten eine neue Vermischung
der Philosophie und Theologie hervor zu suchen,
und mit einen vorgeschützten Christlichen
Eyfer auszuputzen, da doch nichts anders darhinter
336:10 steckt, als die maintenirung einer zeitlichen
und übelgegründeten renomm%/ee, und
daß man für eine Schande achtet, einen Fehler,
der so handgreifflich ist, daß kein gelehrter
Mann sich denselben jemahls in Sinn kommen
336:15 lassen, den kein Gelehrter anhänget, noch iemals
anhängen wird, und der also nothwendig in
kurtzen mit ihnen aussterben und begraben werden
muß, zu bekennen, und der augenscheinlichen
Vernunfft Raum zu geben. Dannenhero sind
336:20 die Schrifften dererjenigen, die diesen Mischmasch
/ der nicht allein abgeschmackt, sondern
auch auff gewisse Masse gefährlich ist, genau
untersuchen, billich hoch zu achten, und habe ich
in dieser dissertation des Herrn Poirets sehr
336:25 viel gute und subtile Gedancken gefunden, die
einen curieusen und Lehr=begierigen Gemüthe,
welches diesen Mischmasch zu entgehen sich angelegen
337 seyn lässet, wo nicht allemahl völlige satisfaction
thun, doch meistentheils Anleitung
geben, und fast die Spur zeigen, hinter die verborgene
Wahrheit zu kommen. Und muß ich
337:5 dieses billich an ihm loben, daß, ob er gleich sonst
mehrentheils der Cartesianischen Philosophie
zugethan ist, er dennoch eben dem Mißbrauch
etlicher Cartesianer / mit welchen sie die Vernunfft
gar zu hoch erheben, widerleget, und ihren
337:10 Schein=Gründen, fürnemlich aber einem neuen
Autori, der für wenig Jahren ein bekannt
Tractätgen unter den Titul Traité de la raison
humaine
herausgegeben, gründlich antwortet.
So ist auch das Stück dieser dissertation, worinnen
337:15 der Herr Poiret den Ursprung der Atheisterey
deduciret, wohl zu lesen, weil er nicht alleine
neun unterschiedene Arten derer Atheisten
gantz gelehrt erzehlet, sondern auch mit vernünfftigen
Schlüssen darthut, daß die Atheisterey auch
337:20 aus der Vermischung der Philosophie und
Theologie herrühre, womit man dergleichen
Herren, als welche gar offters gewohnt sind, andere,
so von ihnen andere Meinungen führen, mit
imputirung einer Atheisterey zu fürchten zu machen,
337:25 gar artig das Maul stopffen kan. Zuletzt begreifft
diese Dissertation auch eine Summarische
Einleitung zu der refutation des Spinosæ, indem
338 er erweiset, zu was für einer Classe der Atheisterey
des Spinosæ Lehre gehöre.
Wer dieser Benedictus Spinosa sey, ist in
Teutschland zur Gnüge bekannt, nachdem Anno
338:5 70. sein Tractatus Theologico-Politicus
herausser kam, worinnen er behaupten wollen,
daß man in jeder Republique einem jeden die
Freyheit zu philosophiren lassen müste, und
ihme dieselbige mit guten Gewissen nicht nehmen
338:10 könne. Er verbarg aber unter der Freyheit
zu philosophiren eine gottlose Freyheit,
auch in Religions= und Glaubens=Sachen zu
lehren, was man wolle, und hatte in demselben
Tractat viel gefährliche und Gotteslästerliche
338:15 Meinungen von der heiligen Schrifft als dem
fundament der Christlichen Religion, sowohl
auch von andern allgemeinen Glaubens=Artickeln
versteckt. Der Herr halte sich mit diesen
Tractat nicht gar zu weitläufftig auf, redete Polydor
338:20 darzwischen, massen mir zur Gnüge bekannt
ist, daß derselbe bey uns durch den Herrn
Musæum, den Herrn Durrium, und den Herrn
Thomasium widerleget worden. Ich verlange
nur genauere Nachricht von denen fundamentis
338:25 æthicæ des Spinosæ, die der Herr oben erwehnet,
und was Spinosa sonsten geschrieben. Bey
seinem Leben, antwortete Clarindo, hat er Anno
339 64. die Principia der Carthesianischen Philosophie
auf Geometrische Weise demonstriret
zum Druck befördert, wiewohl ich selbige nicht gesehen.
Nach seinem Tode sind Anno 77. seine
339:5 übrigen Wercke unter dem Titel B. D. S. Opera
Posthuma in 40. in Holland herausser kommen,
darzu einer von seinen Discipuln eine ziemlich
weitläufftige Vorrede gemacht. In diesen
operibus posthumis sind 5. Bücher enthalten.
339:10 I. Eine Ethica, in welcher er seine Atheistischen
principia nachdrücklicher, wiewohl subtiler
als in dem Tractatu Theologico-Politico
herausser gesagt. II. eine Politica.
III. ein Tractat von Verbesserung des
339:15 Menschlichen Verstandes, welche beyde sich
meistentheils auf die Ethic und den Tractatum
Theologico-Politicum gründen. IV.
Unterschiedene Episteln, die andere an Spinosam,
und dieser hinwiederum an andere geschrieben,
339:20 worinnen viel Objectiones enthalten sind,
die ihm unterschiedene Gelehrte wider seine Lehre
gemacht, sowohl auch, was Spinosa darauf geantwortet,
und letzlich V. eine Hebræische Grammatica.
In der Ethic aber hat er sich angelegen
339:25 seyn lassen, seinen Gifft mit mathematischen
demonstrationibus zu verzuckern, massen
man durch und durch lauter definitiones,
340 axiomata und propositiones darinnen antrifft.
Er hat dieselbige in fünff Theile eingetheilet,
der erste handelt von GOtt, der andere
von der Natur und Ursprung der menschlichen
340:5 Seele, der dritte von Ursprung und Natur
derer affecten, der vierdte von der menschlichen
Knechtschafft, oder von dem Vermögen
derer affecten und der letzte von der Krafft des
menschlichen Verstandes, oder von der menschlichen
340:10 Freyheit. Der erste Theil ist der gefährlichste,
weil sich die andern darauf gründen, in
demselben aber eben seine Atheisterey enthalten.
Denn indem er der gemeinen definition der
Substantz, qvod sit ens per se subsistens,
340:15 mißbrauchet, schliesset er daraus, daß nur eine
Substantz in der Welt sey, die er GOtt heisset,
dieser sein Gott aber ist nichts anders, als die
Creaturen insgesammt. Hätte wohl was leichtfertigers
können erdacht werden? Nun haben
340:20 sich wohl unterschiedene gefunden, die diese Ethic
zu widerlegen sich unterstanden; aber wie es gemeiniglich
herzugehen pfleget, sie seynd nicht
alle zum Streit geschickt gewesen, sondern es
haben etliche bonam causam malé defendiret.
340:25 Und kömmt mir fast für, daß einer, mit
Nahmen Wilhelm Bleyenberg, unter diese
Classe zu rechnen sey; denn ob ich gleich dieses seinen
341 Tractat nicht gelesen, so weiset doch das wenige,
daß der Autor speciminis artis ratiocinandi
anführet, wenn man es mit etlichen Brieffen
des Bleyenbergs zusammen hält, die er an
341:5 Spinosam geschrieben und die in denen operibus
posthumis vorhanden sind daß er diesem
Streit wohl nicht gewachsen gewesen, weil
in denen Brieffen viel unnöthige Worte und
wenig judicium enthalten ist, wannenhero auch
341:10 besagter Autor speciminis ihn ziemlich starck
striegelt. Dieses specimen aber kam Anno 84.
in 8vo heraus zu Hamburg, wie auff dem Titul
stehet, aber mit Holländischen Drucke. Es bestehet
in drey Theilen, deren die beyden letzten
341:15 etliche neue speculationes von Bewegung der
Cörper in sich begriffen, der erste aber einen
Entwurff der Logic vorstellet, die zwar mehrentheils
nach denen hypothesibus derer Cartesianer
eingerichtet ist / aber dabey doch zugleich
341:20 der Autor sich gar deutlich für einen discipel
des Spinosæ ausgiebt. Er hat seinen Nahmen
nicht zu dem Werck, hinzugesetzet, aber man hat
mich berichtet, daß es schon ein berühmter Medicus,
der im B. Diensten ist, und sich sonst in
341:25 Holland aufgehalten, Herr D. C. seyn solle. Aber
342 wieder zu meinen Vorhaben zu gelangen, so
hat der Herr Poiret in seiner refutation des
Spinosæ das Werck so vernünfftig angegriffen,
daß er aus dem ersten Theil seiner Ethic
342:5 die ersten gefährlichen Oerter, worinnen des
Spinosæ sein *...* stack, herausgenommen,
und vom Anfang biß zu Ende bey jeder
definition, axiomate und proposition die
Irrthümer, die Spinosa daselbst begangen,
342:10 dargethan, auch hernach alsbald eine andere
definition, axioma und proposition entgegen
gesetzt, und solchergestalt ordentlich und gründlich
oder mit einem Wort, mathematisch die Atheisterey
des Spinosæ widerleget.
342:15 Der Herr Velthuysen hatte zwar auch Anno
80. in einem Tractat de cultu naturali & origine
moralitatis des Spinosæ seinen tractatum
Theologico-Politicum und die Ethicam
posthumam widerleget, er greifft auch dem Spinosæ
342:20 hin und wieder ziemlich hart auff die Haube,
er macht es aber doch nicht so deutlich und so ordentlich,
als der Herr Poiret. Dieses Herrn
Velthuysen seine opera sind zu Roterdam in besagten
80. Jahre herauskommen, obwohl die meisten
342:25 Tractate zuvor einzelen gedruckt worden.
Sie sind in zwey tomos getheilet. Der erste begreifft
in sich {I.} einen Tractat von der göttlichen
343 und menschlichen Gerechtigkeit, in dessen ersten
Theile er die Nothwendigkeit der Gnugthuung
CHristi und das Recht der Christen
Krieg zu führen darthut, auch die Lehre von
343:5 GOttes doppelter Gerechtigkeit die Bösen zu
bestraffen, von der Vollkommenheit des Göttlichen
Gesetzes, von denen Graden derer Tugenden
und Laster, von guten Wercken und von der
Erb=Sünde ausleget. In dem andern handelt
343:10 er von denen menschlichen Straffen sowohl des
gemeinen bestens wegen, als wegen des privatNutzens,
in dem dritten aber beweiset er aus der
heiligen Schrifft, daß CHristus für der Menschen
Sünde habe gnug gethan. {II.} eine dissertation
343:15 vom Gebrauch der Vernunfft in Theologischen
Sachen und fürnemlich in Auslegung
der heiligen Schrifft, in welcher er zugleich
weitläufftig die Meinung eines Anonymi,
der ein Büchlein unter dem Titul Philosophia
343:20 Scripturæ interpres ediret, untersucht.
{III.} einen Tractat von der natürlichen Schamhafftigkeit
und von der Würde des Menschen,
worinnen er von der Blutschande, Hurerey,
Gelübde der Keuschheit, Ehestand, Ehebruch,
343:25 Polygamie, Ehescheidungen und so weiter handelt.
{IV.} von der Prædestination und Gnade,
die er sich auf eine neue Methode zu erklären vorgenommen.
344 {V.} Vom Amt derer Priester
und Prediger und von dem Rechte, das der Obrigkeit
in Ansehen der Kirchen zukömmt, wider
etliche Reformirte Lehrer, die die Gewalt derer
344:5 Priester gar zu weit extendiren. {VI.} Von der
Abgötterey und superstition, zu Behauptung,
daß die Päbstler in ihrer Messe eine Abgötterey begehen,
wider welchen Tractat das geistliche Synedrium
zu Utrecht etliche Schrifften herausgegeben,
344:10 in denen es den Autor etlicher irrigen
Lehrern beschuldiget, dem vier Apologien des
Autoris gegen diese Beschuldigung beyfüget
sind. {VII.} Ein discours über die Frage, ob
ein Christlicher Fürst mit guten Gewissen in
344:15 seinen Reich etwas dulden könne, daß denen
Göttlichen Gebothen zuwider sey, darinnen er
absonderlich viel curieuse Fragen von Heiligung
des Sabbaths, und von Nachlassung
derer Göttlichen Gebothe bey hohen Nothfällen
344:20 ausführet. {VIII.} Von denen FundamentalArtickeln
des Christlichen Glaubens. {IX.} Eine
retorsion wider etliche Schmähungen,
mit welchen der Autor von einem seiner heimlichen
Feinde in einer Schrifft ware beleget und von
344:25 ihm beschuldiget worden, als ob er es mit denen
Socinianern und Remonstranten in vielen
Stücken hielte. In dem andern tomo sind enthalten
345 {I.} Eine Metaphysic nach Anleitung
der Lehre des Cartesii, worinnen er auch von
GOtt und von der menschlichen Seele handelt. {II.}
Eine dissertation in Form einer Epistel von dem
345:5 Ursprunge der Ehrligkeit und Erbarkeit (de
principiis justi & decori) {III.} Von den endlichen
und unendlichen, worinnen er die Meinung
des Cartesii von der Bewegung, dem Raum
und Cörper (de motu, spatio & corpore) vertheidiget.
345:10 {IV.} {V.} Zwey Tractate, in denen bewiesen
wird, daß die Lehre von Bewegung der Erdkugel
und Stillstehung der Sonnen, imgleichen
die principia der Cartesianischen Philosophie
dem Worte GOttes nicht zuwider seyn,
345:15 welche der Herr Velthuysen zweyen Büchern
eines Predigers zu Leyden J. du Bois, derer
Titel: Nuditas Philosophiæ Cartesianæ detecta,
imgleichen: Noxa Philosophiæ Cartesianæ,
entgegen gesetzet. {VI.} Zwey Medicinische
345:20 Tractätlein von der Müntze und von der Generation,
denen er eine Vorrede vorgesetzet hat,
in welchen er sich wegen der Cartesianischen Philosophie
wider die beyden Voetios Gisbertum
und Paulum defendiret, und letzlich {VII.} Der
345:25 Tractat wider den Spinosa, dessen ich zuvor erwehnet.
Seiner Profession nach war der
Herr Velthuysen ein Medicus, der doch keine
346 praxn getrieben, sondern seine meiste Zeit im
studiren zugebracht. Er ist in seinem Vaterland
zu Utrecht Scabinus gewesen, biß zur Zeit
der Frantzösischen troublen, als man die Stadt
346:5 dem Printz von Uranien übergeben, da er von
seinen Widerwärtigen überwältiget, seines
Diensts nebst anderen erlassen worden und ist
in solchen Zustand biß an seinen Tod, der etwan
vor drey Jahren, als er etliche und 60. Jahr
346:10 alt gewesen, erfolget, verblieben. Von Jugend
auf hat er sich auf das studium der Philosophie
und Theologie geleget, wannenhero auch die
meisten von seinen Schrifften von solchen Materien
gehandelt. Er war ein freundlicher und
346:15 conversabler Mann, iedoch darbey von guter
Hertzhafftigkeit, der sich durch leere und ungegründete
Bedrohung nicht ließ zu fürchten
machen, auch seinen Feinden und Verfolgern
hertzhafft entgegen gienge, und das Hertz hatte
346:20 ihnen in Schrifften die Wahrheit offenhertzig, iedoch
mit geziemender Bescheidenheit, zu sagen.
Dieses weiset nebst seinen meisten
Schrifften die Vorrede, die er vor diese neue
edition seiner Operum voran gesetzet, aus,
346:25 die er als eine dedication an seinen Bruder,
der ebenfalls bey geschehener Aenderung
des Regiments in Utrech, seines Ehren=Amtes
347 wäre erlassen worden, gerichtet, worinnen
er ohne Scheu, wie solches zugangen, erzehlet,
und sich über die Staaten, daß man diese Stadt
an dem Printz überlassen, öffentlich beschweret.
347:5 Weil es aber öffters zu geschehen pfleget, daß
die Herren Theologi nicht wohl leiden können,
wenn ein anderer, der seiner Profession nach
nicht unter ihren Orden gehöret, etwas schreibet,
daß mit der Theologie einige Verwandschafft
347:10 hat, also hat auch der gute Herr Velthuysen
mit seinen Theologischen Schrifften sich viel
Feinde auff den Hals geladen, und sich an seiner
Promotion gehindert, massen mir denn erzehlet
worden, daß es darauf gestanden, daß er habe
347:15 zum Burgermeister in Utrecht sollen erwehlet
werden, als sein competitor, der ein schlauer
Fuchs gewesen, und wohl gemerckt, daß der
Herr Velthuysen ihm an notis überlegen seyn
würde, ihn unter dem Schein der Freundschafft
347:20 beredet, daß er seinen tractat de Idiololatria, &
superstitione herausgegeben, wodurch denn
die Gemüther des Volcks und vieler von seinen
Collegen wegen der Censur des Synedrii und
deren Predigten, so man wider ihn gehalten,
347:25 von ihm alieniret worden. Gleichwie ich aber
dasjenige, was in denen Theologischen Tractaten
enthalten ist, weder gut heisse noch tadele, weil
348 erstlich dieselbigen meiner Profession nicht sind,
und ich über dieses dieselbigen nur oben hin gelesen;
also habe ich doch aus dieser lectione cursoria
zum wenigsten dieses angemercket, daß allenthalben
348:5 des Herrn Velthuysen seine gute intention
hervorblickt, daß er diese Bücher geschrieben
aus Begierde die Wahrheit zu erforschen, und dem
gemeinen Wesen in Untersuchung wichtiger und
nützlicher Controversien zu dienen, massen
348:10 denn die Materien, die er in denen Theologischen
Schrifften tractiret, billig unter diese Classe
zu rechnen sind, an derer Untersuchung einem jeden,
er sey in was für Religion er wolle, mehr gelegen,
als an dem Schul=Gezäncke, daß öffters
348:15 ohne Noth über die Bedeutung eines Worts
und über eine abstraction aus der heiligen Metaphysica
angefangen wird. Und hat der
Herr Velthuysen sich sehr beflissen seine
Schrifften nicht mit scholastischen Wörtern
348:20 zu bemackeln. Man siehet auch wohl, daß seine
Widersacher, ihre Sache mag in thesi beschaffen
gewesen seyn, wie sie will, meistentheils
nicht ehrlich mit ihm gefochten, und nicht selten
wider die Regeln der Disputir-Kunst gröblich
348:25 angestossen. Seine Philosophie belangend,
so hat er in der Vernunfft=Lehre und denen natürlichen
Dingen dem Cartesio, in der Sitten=Lehre
349 aber des bekannten Hobbesii Principiis
gefolget, wannenhero diejenigen, so dem Cartesio
in Holland höchst zuwider sind, und zum Theil
Voetianer genennet werden, auff ihn desto mehr
349:5 verbittert worden, auch ihm derer Patron Gisbertus
Voetius, als ein geschworner Tod=Feind
des Cartesii sehr zuwider gewesen, wiewohl auch
am andern Theil nicht zu läugnen ist, daß der
Herr Velthuysen in denen Vorreden über die
349:10 Tractate von Bewegung der Erdkugel, und von
der Miltz diesem zänckischen und hochmüthigen
Theologo den Schwer redlich auffgestochen,
und seinen verdrießlichen und irraisonablen
character besser exprimiret, als Cartesius
349:15 selbst gethan. Absonderlich ist mir vorgekommen,
da ich des Herrn Velthuysens Worte gelesen
*...*
*...*
*...*
349:20 *...*,
als wenn der Herr Voet noch heut zu Tage in
allen denenjenigen lebte / die zwar ihre Lehre nach
des Papsts autorität anfechten, aber in ihren
actionibus nicht bergen können, daß sie, so viel
349:25 an ihnen ist, gerne an ihrem Ort Päbste wären.
Des Hobbesii fundament de conversatione
350 sui hat der Herr Velthuysen in der dissertation
de principiis justi & decori zu defendiren
gesucht, massen auch dieses Vorhaben alsbald
auff den Titul der ersten edition in 12.
350:5 bey welcher des Herrn Velthuysens Nahme
nicht gesetzt worden, beygedruckt ist, wiewohl er
doch etwas bescheidener gehet, als Hobbes,
und keinen solchen statum victum humani
generis. wie dieser præsupponiret, daß die
350:10 Menschen wie Schwämme aus der Erden hervor
gewachsen, sondern beziehet sich auff die
Schöpffung und den Fall der ersten Eltern. Jedoch
ist bald Anfangs, und wo mir recht ist, allbereit
Anno 56. zu Straßburg eine ziemlich weitläufftige
350:15 disputation, unter des Herrn Schallers
præsidio, wider diese disputation gehalten
worden, und hat der Herr Puffendorff in seinen
hochschätzbaren Buch de Jure naturali &
gentium ihn hin und wieder refutiret, wiewohl
350:20 man damahls nicht gewust, daß der Herr
Velthuysen Autor von dieser Schrifft sey, daher
er auch stetswährend als Autor Anonymus
de principiis justi & decori citirret wird. So
ist er auch wohl fast der eintzige, der den Hobbes
350:25 in Schrifften vertheidiget, ausser, daß annoch in
Teutschland der Herr B. zu F. dergleichen gethan.
Im übrigen ist nicht zu läugnen, daß der Herr
351 Velthuysen in eben diese Schrifft viel mit eingebracht,
daraus man sehen kan, daß er ein Mann
von einem herrlichen Ingenio gewesen seyn müsse,
und daraus man zum öfftern kan Anlaß nehmen,
351:5 auff die Spuhr einer Wahrheit zu kommen,
auch wenn Herr Velthuysen dieselbe verfehlet.
Absonderlich hat er gelehrte Gedancken
vom Ursprung der Schamhafftigkeit, und dem
decoro, welche er hernach in einem absonderlichen
351:10 Traetat hiervon, der in ersten tomo enthalten
ist, weitläufftiger ausführet. Denn obgleich
wider seine Meinung, die er dißfalls heget,
eines und das andere, auch aus seinen eignen
Worten angeführet werden könte, so glaube ich
351:15 doch, daß, wenn man diese beyde Schrifften des
Herrn Velthuysens mit Verstand läse, und
seine Fehler anmerckte, und dieselbe zu verbessern
suchte, man hernach vielleicht hinter den
rechten Grund der Wahrheit gelangen könte, als
351:20 wenn man von sich selbst hiervon meditirte. Und
wäre zu wünschen, daß sich ein Gelehrter darüber
machte, und den eigendlichen Unterscheid
des decori ab honesto wiese, als welches meines
Wissens noch niemand gründlich præstiret.
351:25 Jedoch kan ich auch nicht läugnen, daß des Herrn
Velthuysens Schrifften mit guten Bedacht
wollen gelesen seyn, weil er in denenselben meistentheils
352 keine gute Ordnung hält, und man
nicht geringe Mühe anwenden muß, wenn man
seine eigendliche Meinung, oder den Haupt=Grund
derselben recht hervor suchen will, indem
352:5 er solche manchmahl an einem Ort versteckt, da
sie ein ieder nicht suchen solte. Und scheinet also,
daß er ein wenig ein autodidactus müsse gewesen
seyn. Es haben sich auch seine Widersacher
seiner Dunckelheit im Reden und Verstande,
352:10 die theils wegen nicht gehaltener Ordnung,
theils aus etlichen tautologien entstanden,
redlich wider ihn bedienet, und ihm Anlaß gegeben,
daß er in seinen Apologien seine Meinung
deutlicher erkläret, welches er hätte überhoben
352:15 seyn können, wenn er sich bey Zeiten eine
beqveme Ordnung angewöhnet hätte. Aber ich
plaudere Eurer Excellence vielleicht mehr für,
als sie zu wissen begehret, dannenhero will ich aufhören
und Nicanor Raum geben, daß er sich nicht
352:20 über mich zu beschweren habe.
Nicanor versetzte: Wenn man den Herrn
Bruder auf die Cartesianer bringt, so geht sein
Maul in völligen Gallop, und dencke ich allemahl
an eine bekannte Historie, die sich in Nieder=Sachsen
352:25 zugetragen, als einsmahls auf einer
Hochzeit die Weiber an ihrem Tische so gar stille
gesessen und kein Wort geredet, daß die Männer
353 sich höchlich darüber verwundert, biß einer von
denen Männern angefangen, und über den
Tisch hinüber geruffen: Jungefrau was gilt
der Stein Flachs? Denn auff dieses monitorium
353:5 sind denen Weibern die Zungen so kräfftig
gelöset worden, daß die Männer ihr eigen Wort
nicht mehr hören können. Der Heer Bruder
gebe sich zufrieden, sprach Clarindo, ich will
heute nichts mehr von Cartesianern erwehnen,
353:10 sondern weil der Herr Bruder bißher zu meinen
discours so stille geschwiegen, als will ich
den Mann auf der Hochzeit agiren und frage
ihn also gantz förmlich und zierlich: Mein Herr
Nicanor, was macht denn der ehrliche alte teutsche
353:15 Aristoteles? und wie stehets denn etwan um
die Haupt=Fraage de qvalitatibus occultis oder
de summo bono? Nicanor antwortete. Der
Herr Bruder sey nur nicht so spöttisch auff die
qvæstion de summo Bono, vielleicht läst er
353:20 sich noch wohl selbsten mit mir in einen discours
darüber ein. Der Herr Tschirnhausen hat diese
Frage würdig geschätzet, dieselbe seinem gelehrten
Tractat de medicina mentis, welcher in vorigen
Jahre herausser kommen, voran zu setzen.
353:25 Denn indem er erzehlet, daß er sich von Jugend
auff vorgenommen habe, sein Leben so viel
müglich, in der höchsten Glückseligkeit zuzubringen,
354 examiniret er darnach ein wenig, welches
Vergnügen vor das höchste und beständigste
zu achten wäre und betrachtet erstlich die
Belustigung derer Sinnen, bey denen er erinnert,
354:5 daß, obgleich der gemeine Pöbel dieselben
für sein höchstes Gut hielte, auch sich einbildete,
je mehr und öffters er sich derselben bedienete,
je glückseliger wäre er, so wäre doch mit
sehr vielen exempeln darzuthun, daß je seltner
354:10 man sich dieser Belustigung bediente, je mehr
Vergnügen empfinde man bey sich, und verlangten
dannenhero die Sinne nicht alleine immer
was neues, sondern man könne das Vergnügen
durch nichts grösser machen, als wenn man zuvor
354:15 der Begierde / dieselbe in das Werck zu richten,
grossen Widerstand, und, so viel als immer
möglich, gethan hätte. Nichts desto weniger,
wenn man dieses alles gleich beobachtete, so erweckte
doch der Genieß des sinnlichen Vergnügens
354:20 öffters bey dem Menschen eine Traurigkeit,
die daher entstünde / weil man erkennete,
daß der Gebrauch der Belustigung dem Menschen
schädlich wäre, und könte dannenhero die
höchste Glückseligkeit darinnen nicht bestehen.
354:25 Nach diesen wäre wohl nicht zu läugnen, daß diejenigen,
welche ihre Lüste dämpfften, und ein
355 strenges und tugendhafftes Leben führeten, in der
innerlichen Gemüths=Ruhe eine solche grosse
Belustigung empfinden, welche sie nicht mit
Worten gleichsam aussprechen könten, und also
355:5 diese Lust, weil sie keine Reue nach sich zöge, der
sinnlichen weit für zu ziehen wäre. Ja es könne
die Grösse dieses Vergnügens daraus leichte
abgenommen werden, weil von denen Tugendhafften
in der grösten Marter und Quaal,
355:10 ja mitten im Feuer warhafftige Anzeigungen
einer grossen Wollust von sich gegeben. Dem
unerachtet aber hält der Herr Tschirnhausen
dafür, daß die innerliche Gemüths=Ruhe, welche
ein Mensch empfindet, der seinen Lüsten Widerstand
355:15 gethan, nicht vor ein gewisses Kennzeichen
zu achten wäre, daß dasjenige, was man
gethan, gut und recht gewesen. Denn es könne
auch ein Mensch eben dergleichen Gemüths=Ruhe
empfinden, der darvor hielte, daß das höchste
355:20 Gut sey, wenn er in den innerlichen Trieb der
Ihn von Belustigung der Sinnen abhielte, überwinde,
und seinen falschen Einbildungen,
als wenn die sinnliche Lust das höchste Gut wäre,
folgte. Ja man könte auch aus denen Historien
355:25 viel Exempel dererjenigen anführen, die mit der
grösten Gemüths=Ruhe und Beständigkeit die
356 grösten Martern um schlimmer Sachen willen
ausgestanden hätten. Hieraus schliesset er, daß
auch diese Belustigung nicht die höchste seyn
könne, weil nothwendig ein Betrübniß erfolgen
356:5 müste, wenn man aus Irrthum was vor gut
hielte, und doch hernach erführe, daß man darinnen
der Wahrheit verfehlet hätte. Aus dieser
Ursache nun, und damit er dasjenige, was ihm beständig
gut und nützlich wäre, ergreiffen, dasjenige
356:10 aber, so ihm schädlich, hindansetzen möge, saget
der Herr Tschirnhausen, habe er vor sich mit
allem Fleiß bemühet, hinter die wahre Glückseligkeit
zu kommen, und habe also selbsten in der That
erfahren, daß keine höhere und reinere Belustigung
356:15 unter allen denen, derer ein Mensch
fähig wäre, sey, als diejenige, die aus Erforschung
der Wahrheit entstehe. Er glaubet
auch hierinnen gar leichtlich von denen Beyfall zu
kriegen, die solche Belustigung in der That erfahren
356:20 hätten, weil solche Leute aus dem grossen
Vergnügen, daß sie durch Entdeckung neuer
Wahrheiten gespüret, offters Schlaff, Essen und
Trincken, und sinnliche Belustigung in stiche
gelassen, auch damit sie an ihren speculationibus,
356:25 nicht gehindert werden möchten., angebotenes
Reichthum und Ehren=Aemter ausgeschlagen
357 hätten. Das aber diese Belustigung
die allerbeständigste sey / könne man gar deutlich
darthun, weil man dadurch nicht könne
betrogen werden, in Ansehen aus einer Wahrheit,
357:5 wenn man selbige erfunden habe, nichts
als lauter wahre Sachen gefolgert werden könten,
so habe man sich auch nicht zu befahren, daß
man künfftig etwa seine Meinung ändern werde,
dieweil dasjenige, was einmahl wahr sey,
357:10 niemahln falsch werden könte, und die Wahrheit
alleine unveränderlich sey. Man müsse aber
hierbey sich zuförderst hüten, daß man ja zu keinem
andern Ende, als zu seiner Belustigung, die
Wahrheit untersuche, und nicht etwan damit
357:15 Ehre und Lob erjagen wolte, weil man sonsten
sich mehr unglücklich, als glücklich machen und
viel Verdruß auff dem Hals laden werde, dem
derjenige gantz und gar entgehen könte, der die
Wahrheit zu blosser Belustigung untersuchte.
357:20 Demnach sey nicht zu zweiffeln, daß ein Weiser
und Gelehrter viel glücklicher sey als ein Ungelehrter.
Denn dieser habe seine Tage keine
Gemüths=Ruhe / weil er allezeit auff das erpicht
sey, was ihm mangele, und weil ihm allezeit was
357:25 mangele, sey er allezeit betrübt. Ja wenn er
gleich ein Gut erlanget habe, so wisse er doch
359 dasselbe seinem Werthe nach nicht zu schätzen,
und habe also nur eine kindische Freude daran,
mit einem Wort, er sey niemahls recht freudig,
sowohl, wenn er ein Gut besässe, als wenn er
358:5 es nicht besässe. Ein Weiser aber attendire
nicht einmahl, daß ihm was mangele / weil er
wohl wisse, daß es nicht anders seyn könne,
und betrübe sich solchergestalt ja so wenig drüber,
als er darüber bekümmert seyn solte, daß
358:10 ein Triangel drey Ecken habe. Er brauche
vielmehr das Gute, das er besitze, und betrachte
solches, wie er es zu seinem Nutzen anwenden
möge. Und diese Betrachtung erwecke in ihm
eine beständige und wohlgegründete Freude, weil
358:15 er dadurch in acht nehme, daß 1. ein Weiser viel
vermögender sey, als ein Unweiser, weil er viel
wisse und verwunderns würdige Sachen zuwege
bringen könne, weil er dadurch viel Nutzen
zu schaffen wisse, weil er Meister seiner affecten
358:20 sey, und dieselben mit gantz leichter Mühe
beherrsche, weil er auch letzlich seine Gesundheit
erhalten, und ein vergnügtes Leben führen könne.
2. folge daraus, daß ein Weiser weniger Betrübniß
habe, in Ansehen, daß das meiste, daraus
358:25 ein Unweiser sich Verdruß machet, nur eingebildete
Ubel seyn und letzlich 3. habe er mehr
359 Freude, weil er unzehlig, viel Belüstigungen,
derer ein Unwissender entbehren müste, in seinem
Gemüthe erwecken könne, derer er nicht überdrüßig
würde, wie derer sinnlichen Belustigungen,
359:5 sondern je mehr er Wahrheiten entdeckte, je
mehr Vergnügen hätte er davon. So brauche
er auch nicht, daß er in diesen Belustigungen Widerstand
thäte, und habe die Mühe nicht nöthig,
die ein Tugendhaffter brauche seine affecten zu
359:10 bändigen, denn er könne in seiner Untersuchung
der Wahrheit nicht zuviel thun, und dürffte sich
keiner nicht darüber auffsteigenden Betrübniß
noch eines Eckels befahren. Derowegen weil
keine bessere und tugendhafftere action von uns
359:15 könne zu Wercke gerichtet werden, als wenn wir
gantz und gar uns auf Erforschung der Wahrheit
legten, so müsten nothwendig die aller annehmlichsten
Belustigungen daraus entstehen, massen
denn so wichtige Wahrheiten daraus entspringen,
359:20 dadurch wir im Finsterniß dieses Lebens
alle unser Thun und Lassen ohne Anstoß vollführen
könten, ja ohne deren Erkänntniß andere
Leute in denen Augen eines Weisen wie taumelnd
und torckelnd schienen. Endlich wenn man
359:25 seine Vernunfft wohl excoliret habe, könne
man die Belustigung der Sinnen ohne Befahrung
360 einer Traurigkeit brauchen, weil die unterrichtete
Vernunfft uns hierinnen zu einer
Richtschnur dienet, daß wir alsdenn die Belustigung
derer Sinnen, gar wohl brauchen könten,
360:5 wenn sie uns geschickter machten, verborgene
Wahrheiten zu entdecken, hingegen aber dieselben
unterlassen solten, so ferne sie den speculiren
verhinderlich fielen. Hieraus folget nun, daß
aus Erkäntniß der Wahrheit einig und allein die
360:10 wahre Tugend herrühre, die würdig wäre eine
Tugend genennet zu werden, aus dieser Tugend
aber entstehe die wahre und vollkommene Gemüths=Ruhe,
davon man insgemein nichts wisse,
oder, deutlicher zu sagen, daß die Weißheit, Tugend
360:15 und Gemüths=Ruhe keine ohne die andere
seyn könne und folglich / daß in diesem Leben keine
grössere Glückseligkeit sey, als die Wahrheit selbst
zu untersuchen.