BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Christian Fürchtegott Gellert

1715 - 1769

 

 

Das Leben der Schwedischen

Gräfinn von G***

 

1. Teil (5)

 

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In wenig Monaten erhielten wir die Nachricht, daß Carlson zwar nicht gegen den Feind, sondern an einer hitzigen Feldkrankheit geblieben wäre. Caroline, ich und mein Mann bedaureten ihn sehr; aber wenn wir an seine Ehe dachten, so war uns sein Tod eine erwünschte Nachricht. Denn wer konnte die gefährliche Sache besser schlichten, als der Tod? Die Aussprüche der Geistlichen würden ganz gewiß wider diese Ehe gewesen seyn. Und Mariane und ihr Mann hätten entweder einander nicht verlassen, oder ohne einander das unglückseligste Leben geführet. Gleichwohl war uns für Marianen noch sehr bange. Sie hatte sich zwar dem Endurtheile des Himmels ergeben; aber, wie ich schon erinnert, in keiner andern Hoffnung, als daß es vortheilhaft für sie ausfallen würde. Wir sahen, daß Marianens Verzweiflung von neuem wieder aufwachen würde. Dennoch mußte sie es erfahren. Wir ließen sie auf unser Zimmer rufen, und mein Mann nahm es über sich, ihr ihres Mannes Tod zu entdecken. Nicht wahr, Mariane, fieng er an, sie errathen schon, was ich ihnen hinterbringen will? Erschrecken sie nur, denn sie müssen doch erschrecken. Hier ist ein Brief aus dem Lager. Sagen sie mir nichts mehr, versetzte Mariane. Ich kann den Innhalt des Briefs schon wissen. Mein Gemahl ist todt. Ich unglückselige Frau! Doch ich bin zufrieden, daß mir ihn nicht die Welt, sondern der Himmel entzogen hat. Nun sehe ich, daß es Gott nicht hat haben wollen. Wie ist er denn gestorben? Ist er im Treffen geblieben?

Wir erstaunten über diese unvermuthete Gelassenheit, die einer Gleichgültigkeit nicht unähnlich sah. Wir hatten uns auf die besten Trostgründe vergebens gefaßt gemacht. Gleichwohl wußten wir auch nicht, ob wir Marianen trauen durften. Indessen that sie gelassen, und betraurete ihren Mann mehr durch stille Thränen, als durch eine tobende Wehmuth und Ungeduld. In etlichen Wochen erhielten wir wieder einen Brief, und die Aufschrift war Carlsons Hand. Soll ichs aufrichtig gestehen, so erschrack ich weit mehr, daß er noch lebte, als ich zuerst über seinen Tod erschrocken war. Gott, dachte ich, was wird dieses wieder werden? Carlson wird seiner Krankheit wegen das Lager verlassen, und wohl gar abgedankt haben. Die Liebe wird ihn wieder zu Marianen rufen. Mariane nur war vor Freuden ganz außer sich. Der Brief war an sie, und sie brach ihn nicht etwan gleich auf. O nein, so viel Zeit ließ ihr ihre vergnügte Unruhe nicht. Sie gab ihn uns auch nicht zu erbrechen. Sie behielt ihn in den Händen, als einen unbekannten Schatz, den man nicht eröffnen will, bis man sich zehnmal vorgestellet hat, wie viel darinnen seyn könnte. Da sie ihn endlich erbrach, so war der Brief schon viele Wochen älter, als derjenige, der uns Carlsons Tod berichtet hatte. Kurz, es war ein Abschiedsbrief an Marianen. Ich will die Abschrift hersetzen.

Liebste Mariane, Dieses sind seit vier Wochen die ersten Stunden, da ich mich besinnen und euch meine Krankheit melden kann. Wie glückselig bin ich, daß ich krank gewesen, und dem Tode so nahe gekommen bin, ohne beydes zu wissen! Wie viel würde ich eurentwegen binnen der Zeit ausgestanden haben, wenn ich meiner mächtig gewesen wäre! Gott sey für diese Art des Todes gedankt! Ich bin völlig ausgezehrt, völlig entkräftet. Und ich sehe die Stunden, da ich mir wieder bewußt bin, für nichts als Augenblicke an, die mir Gott gönnt, mich noch einmal in der Welt, und in meiner eignen Seele umzusehen, und an das Zukünftige zum letztenmale zu denken. So lebt denn wohl, Mariane, lebt ewig wohl! Beweint mich nicht als euren Mann, sondern als euren Bruder. Trauriger Name! Verschweigt unserer Tochter unser Schicksal, wenn sie leben bleibt. Verbergt es, wenn es möglich ist, vor euch selbst. Mein Gewissen macht mir keinen Vorwurf, daß ich euch geliebt habe; allein es beunruhiget mich, daß ich euch, nach der traurigen Entdeckung, als meine Frau zu lieben nicht habe aufhören wollen. Gott, wie viel anders denken wir auf dem Todbette, als in unserm Leben! Was sieht nicht unsere Vernunft, wie viel sieht sie nicht, wenn unsere Leidenschaften stille und entkräftet sind! Ja, ja, ich sterbe, ich sterbe getrost. Doch Gott! ich soll euch nicht wiedersehn? Ich soll euch verlassen, liebste Mariane? Ich soll sterben? Welche entsetzliche Empfindungen fangen itzt in mir an zu entstehen! Ach ich kann nicht mehr schreiben! –

So weit war ich vor einer halben Stunde gekommen. Ich bin wieder beruhiget. Die Liebe zum Leben hat sich zum letztenmale geregt. Lebt wohl, meine Mariane! Grüßt meine Mutter, und meine beyden großmüthigen Freunde. Mein liebster Freund, Dormund, den ihr so vielmal bey mir gesehen habt, ist itzt bey mir. Er will mich nicht eher verlassen, als bis ich todt bin. Könnt ihr euch entschließen, wieder zu lieben: so vergeßt nicht, daß euer sterbender Mann euch niemanden gegönnet hat, als ihm. Er wird euch meine Uhr mit eurem Portrait überbringen. Die andern Sachen habe ich meinen armen Soldaten geschenkt. Ich fühle meinen Tod. Lebt wohl!

So bald sie gesehen hatte, daß es ein Abschiedsbrief war, und daß sie sich in der bey dem Titel gefaßten Hoffnung betrogen, so gieng das Wehklagen erst recht an. Ich will ihre Trostlosigkeit und etliche schlimme Folgen, die für sie und uns daraus entstunden, nicht erzählen. Es sind Umstände, an denen wir Theil nahmen, weil wir gleichsam darein geflochten waren. Sie waren in Ansehung unserer Empfindung wichtig; Allein, ich würde übel schließen, wenn ich glauben wollte, daß sie deswegen dem Leser merkwürdig vorkommen, und ihn rühren würden. Ich will daher vieles übergehen.

Wir lebten wieder ruhig. Es schien, als ob uns der Himmel mit Gewalt reich machen wollte. Unsere Capitale brachten mehr ein, als wir verlangten, und weit mehr, als wir brauchten. Und ich dachte nicht einmal daran, meine bey der Krone stehende Gelder zu fordern. Ich war vielmehr ruhig, wenn ich nicht an dieses Land denken durfte. Ueberdieses war es auch durch den Krieg ganz erschöpft und entblößt. Genug, ich lebte unbekannt und zufrieden. Ich war die Frau eines angenehmen und klugen Mannes. Und ich hätte so wenig mit der vornehmsten Reichsgräfinn getauscht, als sie mit mir getauscht haben würde. Das Unglück, das uns zeither betroffen, hatte unsere Gemüther gleichsam aufgelöset, die Ruhe nunmehr desto stärker zu schmecken. Man dürfte fast sagen, wer lauter Glück hätte, der hätte gar keines. Es ist wohl wahr, daß das Unglück an und für sich nichts angenehmes ist. Allein es ist es doch in der Folge und in dem Zusammenhange. Wenigstens gleichet es den Arzeneyen, die unserm Körper einen Schmerz verursachen, damit er desto gesünder wird.

Mitten in unserer Zufriedenheit, die nunmehr über ein Jahr gedauert hatte, kam Herr Dormund, Carlsons guter Freund, und überbrachte Marianen die in dem Briefe erwähnte goldene Uhr mit ihrem Portrait. Mariane hatte ihn oft bey ihrem Manne, wir ihn aber noch gar nicht gesehen. Doch was brauchte er zu seiner Empfehlung mehr, als den Namen eines guten Freundes von unserm Carlson? Er war ein Holländer von Geburt, und von Person sehr angenehm. Er gewann unsere Vertraulichkeit sehr bald. Er war ein Stabsofficier, hatte nunmehr abgedankt, und wollte von seinen Renten für sich leben. Er war noch jung. Er hatte nicht studirt; allein er hatte doch etlichen Büchern und dem Umgange einen gewissen Witz zu danken, der im Anfange sehr einnahm. Er konnte etliche Sprachen, und auch gut deutsch. Er ließ sich in Amsterdam nieder, und wir konnten seine Absicht leicht merken. Mariane war sein Wunsch, und Mariane verdiente in der That, daß man ihrentwegen Feld und Hof verließ. Sie war noch vollkommen schön. Das Unglück hatte ihr von ihren äußerlichen Reizungen nichts entzogen, und zu der Schönheit ihres Gemüths noch vieles hinzugesetzt. Sie war durch den Umgang nur noch liebenswürdiger geworden. Sie war erst achtzehn oder neunzehn Jahre alt, und noch in ihrem völligen Frühlinge. Dormund wußte sich bald bey ihr gefällig zu machen. Vielleicht liebte sie in dem Freunde ihres verstorbenen Mannes noch ihren Mann. Genug, er gewann ihr Herz. Sie kam einmal zu mir, und fieng mit einer vielbedeutenden Stimme an: Madam, es wäre doch wohl billig gewesen, daß wir Herr Dormunden die Uhr, die er mir von meinem Manne überbracht, zu einem Andenken gelassen hätten. Ich würde es gewiß gethan haben, wenn mein Portrait nicht darinn gewesen wäre; allein so schickt sichs wohl nicht. Ich verstund diese Sprache sehr gut. Mariane, sagte ich, was machen sie sich für ein Bedenken, dem ihr Portrait zu geben, dem sie unstreitig ihr Herz schon überlassen haben. Ich merke, sie wollen Herr Dormunden gern eine Gefälligkeit erweisen, die das Ansehen einer Erkenntlichkeit haben sollte, ob sie gleich die Liebe zum Grunde hat. Ich will ihnen bald aus der Sache helfen. Geben sie mir die Uhr. Es wird sich schon eine Gelegenheit zeigen, die nicht studirt läßt, bey der ich sie ihm anbieten kann. Auf die Uebergabe der Uhr folgte bald die Uebergabe des Herzens. Mariane ward Dormunden zu Theil, und sie schienen beyde einander zum Vergnügen gebohren zu seyn. Und wenn ja Mariane ihren Mann zuweilen beunruhigte, so geschah es doch aus einem Grunde, den ein Ehemann schwerlich übel nehmen kann. Ihr Fehler war die Eifersucht, der erbliche Fehler unsers Geschlechts. Ich besinne mich, daß Mariane einmal mit Thränen auf meine Stube kam. Sie konnte vor Wehmuth nicht reden, und ich befürchtete, das größte Unglück von ihr zu hören. Allein was kam endlich heraus? Sie seufzete über die Gleichgültigkeit ihres Ehemannes, und hätte lieber von seiner Untreue gesprochen. Ich fragte nach der Ursache. Da erfuhr ich folgende Kleinigkeit. Ihr Mann hätte kurz vorher Briefe geschrieben; Sie wäre zu ihm an den Tisch getreten; Sie hätte ihn einigemal recht zärtlich geküsset, er aber hätte ihr weder mit einem Gegenkusse, noch mit einem Blicke geantwortet, sondern immer fortgeschrieben, nicht anders, als wenn er sie nicht sehen wollte. Ach Gott! fuhr sie fort, wer weis, an wen der Untreue schreibt? Konnten sie denn nichts in dem Briefe lesen? fieng ich an. Nein, nichts, nichts, als daß der Anfang hieß: Mein Herr. Wer sollte wohl glauben, daß eine vernünftige Frau keine stärkere Ursache zur Eifersucht nöthig hätte, als so eine? Doch, warum kann ich noch fragen? Wie oft thut nicht die Liebe einen Schritt über die Grenzen der Vernunft! Und wenn dieser Schritt gethan ist, so hilft es nichts, daß wir eine gute Vernunft haben. Ueberhaupt entstehen wohl die meisten Uneinigkeiten, die in der Ehe vorkommen, aus Kleinigkeiten. Sie heissen im Anfange nichts; allein sie nehmen im Fortgange unsere Einbildung und andere Dinge zu Hülfe, und werden alsdann wichtige Ursachen zur Gleichgültigkeit, oder zur Eifersucht.

Marianens Ehe hatte nunmehr etwan drey Vierteljahre gedauert, als ihr Mann gefährlich krank ward. Er stund zween Monate große Schmerzen aus, und man merkte sehr deutlich, daß ihn eine Gemüthsunruhe eben so stark quälte, als die Krankheit. Er bat seine Frau oft um Gottes willen, daß sie ihn verlassen sollte. Er konnte auch Carolinen nicht leiden, vielweniger Marianens Kind, das sie mit Carlsonen erzeugt hatte. Ich und mein Mann sollten ohne Aufhören bey ihm bleiben, und ihm Trost zusprechen. Er wollte getröstet seyn, und wir wußten doch nicht, was ihn beunruhigte, vielweniger hatten wir das Herz ihn zu fragen. Sein Ende schien immer näher herbey zu kommen, und die Aerzte selbst kündigten es ihm an. Es war um Mitternacht, da er uns beyde plötzlich zu sich rufen ließ. Er rang halb mit dem Tode. Alles mußte aus der Stube. Darauf fieng er mit gebrochenen und erpreßten Worten an, sich und die Liebe auf das abscheulichste zu verfluchen. Gott, wie war uns dabey zu Muthe! Er nannte sich den größten Missethäter, den die Welt gesehen hätte. Ich bin, schrie er, Carlsons Mörder. Ich habe ihm mit eigener Hand Gift beygebracht, um Marianen zu bekommen. Ich Unsinniger! Welche Gerechtigkeit, welch Urtheil wartet auf mich! Ich bin verloren. Ich sehe ihn, ich sehe ihn! Bringt mich um, rief er wieder. Mein Mann redete ihm zu, er sollte sich besinnen, er würde in einer starken Phantasie gelegen haben. Nein, nein, rief er, es ist mehr als zu gewiß. Mein Gewissen hat mich lange genug gemartert. Ich bin der Mörder meines besten Freundes; Ich Barbar! Ich Bösewicht! Carlson besserte sich nach dem Abschiedsbriefe an Marianen wieder, und weil ich mir schon Hoffnung auf seinen Tod und auf Marianen gemacht hatte, so brachte ich ihm Gift bey. Mein Mann nahm alle seine Vernunft und Religion zu Hülfe, und suchte diesem Unglückseligen damit beyzustehen. Seine Verzweiflung wollte sich nicht stillen lassen. Er verlangte Marianen noch einmal zu sehen, und ihr seine Bosheit selbst zu entdecken. Wir baten ihn um Gottes willen, daß er Marianen diese That nicht offenbaren sollte; Er würde seinem Gewissen dadurch nichts helfen, und durch sein Bekenntniß nur noch einen Mord begehen. Mariane kam, ehe sie gerufen ward. Dormund redete sie an; allein sie hörte und sah vor Wehmuth nicht. Er nahm sie bey der Hand, und wollte das entsetzliche Bekenntniß wiederholen. Ich hielt ihm den Mund zu. Wir fiengen an zu beten und zu singen. Doch er schrie nur desto mehr. Mariane mußte es erfahren, was er gethan hatte. Er wiederholte seinen Mord umständlich. Er berufte sich auf den Regimentsfeldscheerer und auf den Feldmedicum, die Carlsonen, weil er es befohlen, nach seinem Tode geöffnet, und das Gift gefunden, und geglaubt hatten, daß er sich selbst damit vergeben. Mariane gerieth in eine ordentliche Raserey. Sie stieß die grausamsten Namen wider ihn aus. Wir mußten sie endlich mit Gewalt bey Seite bringen. Er schlief zwey Tage und Nächte nach einander, ohne sich zu ermuntern. Wir glaubten auch gewiß, daß er nicht wieder aufwachen würde; allein er erholte sich. Wir kamen zu ihm. Wir mußten ihn als einen Mörder hassen; doch die allgemeine Menschenliebe verband uns auch zum Mitleiden. Er war ruhiger, als zuvor, und bat uns mit tausend Thränen um Vergebung. Er versicherte uns, wenn er leben bliebe, daß er uns nicht zum Entsetzen vor den Augen herum gehen, sondern sich den entlegensten Ort zu seinem Aufenthalte, und zur Reue über seine Schandthat aussuchen wollte. Er bat, daß wir ihm Marianen nicht möchten wieder sehen lassen. Diese war auch schon in unsrer Wohnung; denn Dormund hatte ein Haus allein bezogen. Wir hatten nun genug an Marianen zu trösten, und konnten Dormunden in zween Tagen nicht besuchen. Doch hörten wir, daß es sich besserte. Mein Mann gieng den dritten Tag zu ihm. Allein Dormund war fort, und hatte folgenden Brief an ihn zurück gelassen:

Ich gehe, so weit als mich die Rache des Himmels kommen läßt. Mariane soll mich nicht wieder sehen. O Gott, wozu kann einen nicht die Liebe verleiten! Der Schatten meines ermordeten Freundes wird mich auf allen Schritten verfolgen: Doch ich will lieber alles ausstehen, als diesen Mord durch einen Selbstmord häufen. Verfluchen sie mein Gedächtniß in ihrem Herzen. Ich bin es werth; doch entdecken sie meine Schande der Welt nicht. Ich bin bestraft genug, daß ich Marianen und ihre großmüthigen Freunde verlassen muß. Ich will wieder in den Krieg gehen. Vielleicht verliere ich bald ein Leben, das mir eine Marter ist. Mein zurück gelassenes Vermögen soll Marianen. Wollte ihnen doch Gott die Freundschaft vergelten, die Sie mir in meiner Krankheit erwiesen haben. Doch Sie haben sie ja einem Unmenschen erwiesen. Ich bin nicht werth, daß Sie mich bedauren. Ach die unglückselige Mariane!