B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Johann Wolfgang Goethe
1749 - 1832
     
   


F a u s t .   E i n   F r a g m e n t .

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M A R T H E N S   G A R T E N .
Margarethe. Faust.

M a r g a r e t h e.
Versprich mir, Heinrich!

F a u s t.
                Was ich kann!

M a r g a r e t h e.
1715
Nun sag', wie hast du's mit der Religion?
Du bist ein herzlich guter Mann,
Allein ich glaub' du hältst nicht viel davon.

F a u s t.
Laß das, mein Kind! Du fühlst ich bin dir gut;
Für meine Lieben ließ' ich Leib und Blut,
1720
Will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben.

M a r g a r e t h e.
Das ist nicht recht, man muß dran glauben!

F a u s t.
Muß man?

M a r g a r e t h e.
                Ach! wenn ich etwas auf dich könnte!
Du ehrst auch nicht die heil'gen Sacramente.

F a u s t.
Ich ehre sie.

M a r g a r e t h e.
                Doch ohne Verlangen.
1725
Zur Messe, zur Beichte bist du lange nicht gegangen.
Glaubst du an Gott?

F a u s t.
                Mein Liebchen, wer darf sagen,
Ich glaub' an Gott?
Magst Priester oder Weise fragen,
Und ihre Antwort scheint nur Spott
1730
Über den Frager zu seyn.

M a r g a r e t h e.
                So glaubst du nicht?

F a u s t.
Mißhör' mich nicht, du holdes Angesicht!
Wer darf ihn nennen?
Und wer bekennen:
Ich glaub' ihn?
1735
Wer empfinden,
Und sich unterwinden
Zu sagen ich glaub' ihn nicht?
Der Allumfasser,
Der Allerhalter,
1740
Faßt und erhält er nicht
Dich, mich, sich selbst?
Wölbt sich der Himmel nicht dadroben?
Liegt die Erde nicht hierunten fest?
Und steigen freundlich blickend
1745
Ewige Sterne nicht herauf?
Schau' ich nicht Aug' in Auge dir,
Und drängt nicht alles
Nach Haupt und Herzen dir,
Und webt in ewigem Geheimniß
1750
Unsichtbar sichtbar neben dir?
Erfüll' davon dein Herz, so groß es ist,
Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist,
Nenn es dann wie du willst,
Nenn's Glück! Herz! Liebe! Gott!
1755
Ich habe keinen Nahmen
Dafür! Gefühl ist alles;
Nahme ist Schall und Rauch,
Umnebelnd Himmelsgluth.

M a r g a r e t h e.
Das ist alles recht schön und gut;
1760
Ungefähr sagt das der Pfarrer auch,
Nur mit ein Bißchen andern Worten.

F a u s t.
Es sagen's aller Orten
Alle Herzen unter dem himmlischen Tage,
Jedes in seiner Sprache;
1765
Warum nicht ich in der meinen?

M a r g a r e t h e.
Wenn man's so hört, möcht's leidlich scheinen,
Steht aber doch immer schief darum;
Denn du hast kein Christenthum.

F a u s t.
Lieb's Kind!

M a r g a r e t h e.
                Es thut mir lang' schon weh,
1770
Daß ich dich in der Gesellschaft seh'.

F a u s t.
                Wie so?

M a r g a r e t h e.
Der Mensch, den du da bey dir hast,
Ist mir in tiefer innrer Seele verhaßt:
Es hat mir in meinem Leben
So nichts einen Stich in's Herz gegeben,
1775
Als des Menschen widrig Gesicht.

F a u s t.
Liebe Puppe, fürcht' ihn nicht!

M a r g a r e t h e.
Seine Gegenwart bewegt mir das Blut.
Ich bin sonst allen Menschen gut;
Aber wie ich mich sehne dich zu schauen,
1780
Hab' ich vor dem Menschen ein heimlich Grauen,
Und halt' ihn für einen Schelm dazu!
Gott verzeih' mir's, wenn ich ihm Unrecht thu'!

F a u s t.
Es muß auch solche Käuze geben.

M a r g a r e t h e.
Wollte nicht mit seines gleichen leben!
1785
Kommt er einmal zur Thür herein,
Sieht er immer so spöttisch drein,
Und halb ergrimmt;
Man sieht, daß er an nichts keinen Antheil nimmt;
Es steht ihm an der Stirn' geschrieben,
1790
Daß er nicht mag eine Seele lieben.
Mir wird's so wohl in deinem Arm,
So frey, so hingegeben warm,
Und seine Gegenwart schnürt mir das Innre zu.

F a u s t.
Du ahndungsvoller Engel du!

M a r g a r e t h e.
1795
Das übermannt mich so sehr,
Daß, wo er nur mag zu uns treten,
Mein' ich sogar, ich liebte dich nicht mehr.
Auch, wenn er da ist, könnt' ich nimmer bethen,
Und das frißt mir in's Herz hinein;
1800
Dir, Heinrich, muß es auch so seyn.

F a u s t.
Du hast nun die Antipathie!

M a r g a r e t h e.
Ich muß nun fort.

F a u s t.
                Ach kann ich nie
Ein Stündchen ruhig dir am Busen hängen,
Und Brust an Brust und Seel' in Seele drängen?

M a r g a r e t h e.
1805
Ach, wenn ich nur alleine schlief'!
Ich ließ' dir gern heut' Nacht den Riegel offen;
Doch meine Mutter schläft nicht tief,
Und würden wir von ihr betroffen,
Ich wär' gleich auf der Stelle todt!

F a u s t.
1810
Du Engel, das hat keine Noth.
Hier ist ein Fläschchen, drey Tropfen nur
In ihren Trank umhüllen
Mit tiefem Schlaf gefällig die Natur.

M a r g a r e t h e.
Was thu' ich nicht um deinetwillen?
1815
Es wird ihr hoffentlich nicht schaden!

F a u s t.
Würd' ich sonst, Liebchen, dir es rathen?

M a r g a r e t h e.
Seh' ich dich, bester Mann, nur an,
Weiß nicht was mich nach deinem Willen treibt;
Ich habe schon so viel für dich gethan,
1820
Daß mir zu thun fast nichts mehr übrig bleibt.
(ab.)

(Mephistopheles tritt auf.)

M e p h i s t o p h e l e s.
Der Grasaff'! ist er weg?

F a u s t.
                Hast wieder spionirt?

M e p h i s t o p h e l e s.
Ich hab's ausführlich wohl vernommen,
Herr Doctor wurden da katechisirt;
Hoff' es soll Ihnen wohl bekommen.
1825
Die Mädels sind doch sehr interessirt,
Ob einer fromm und schlicht nach altem Brauch.
Sie denken, duckt er da, folgt er uns eben auch.

F a u s t.
Du, Ungeheuer, siehst nicht ein,
Wie diese treue liebe Seele
1830
Von ihrem Glauben voll,
Der ganz allein
Ihr seligmachend ist, sich heilig quäle,
Daß sie den liebsten Mann verloren halten soll.

M e p h i s t o p h e l e s.
Du übersinnlicher, sinnlicher Freier,
1835
Ein Mägdelein nasführet dich.

F a u s t.
Du Spottgeburt von Dreck und Feuer!

M e p h i s t o p h e l e s.
Und die Physiognomie versteht sie meisterlich;
In meiner Gegenwart wird's ihr sie weiß nicht wie,
Mein Mäskchen da weissagt verborgnen Sinn;
1840
Sie fühlt, daß ich ganz sicher ein Genie,
Vielleicht wohl gar der Teufel bin.
Nun heute Nacht -?

F a u s t.
                Was geht dich's an?

M e p h i s t o p h e l e s.
Hab' ich doch meine Freude dran!