B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Johann Wolfgang Goethe
1749 - 1832
     
   


U r f a u s t

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A U E R B A C H S   K E L L E R   I N   L E I P Z I G .
Zeche lustiger Gesellen.

F r o s c h.
Will keiner sauffen? keiner lachen?
Ich werd euch lehren, Gesichter machen!
Ihr seyd ia heut wie nasses Stroh
Und brennt sonst immer lichterloh.

B r a n d e r.
Das liegt an dir, du bringst ia nichts herbey,
Nicht eine Dummheit, keine Sauerey.

F r o s c h giesst ihm ein Glas Wein übern Kopf.
Da hast du beydes!

B r a n d e r.
                Esel! Schwein!

F r o s c h.
Muss man mit euch nicht beydes seyn?

S i e b e l.
Drey Teufel! ruht! und singt runda! und drein gesoffen drein gekrischen. Holla he! Auf! He da!

A l t e n.
Baumwolle her! der sprengt uns die Ohren.

S i e b e l.
Kann ich davor, dass das verflucht niedrige Gewölbe so wiederschallt? Sing!

F r o s c h.
A! Tara! Tara! lara! di! - Gestimmt ist! Und was nun?
Das liebe heilge Römsche Reich
Wie hälts nur noch zusammen?

B r a n d e r.
Pfuy ein garstig Lied! Ein politisch Lied ein leidig Lied. Danckt Gott, dass euch das heilige Römische Reich nichts angeht! Wir wollen einen Papst wählen.

F r o s c h.
Schwing dich auf, Frau Nachtigall,
Grüs mein Liebgen zehntausendmal!

S i e b e l.
Wetter und Todt! Grüs mein Liebgen! - Eine Hammelmauspastete mit gestopften dürren Eichenblättern vom Blocksberg, durch einen geschundnen Haasen mit dem Hahnenkopf überschickt, und keinen Grus von der Nachtigall! Hatt sie mich nicht - Meinen Stuzbart und alle Appartinenzien - hinter die Tühre geworfen wie einen stumpfen Besen, und das um - Drey Teufel! Keinen Grus, sag ich, als die Fenster eingeschmissen!

F r o s c h den Krug auf den Tisch stossend.
Ruh iezt! - Ein neu Lied, Kammeraden, ein alt Lied, wenn ihr wollt! - Aufgemerkt und den Rundreim mit gesungen! Frisch und hoch auf! -

Es war ein Ratt im Keller Nest,
Lebt nur von Fett und Butter,
Hätt sich ein Ränzlein angemäst
Als wie der Docktor Luther.
Die Köchinn hätt ihr Gifft gestellt,
Da wards so eng ihr in der Welt,
Als hätt sie Lieb im Leibe.

C h o r u s iauchzend.
Als hätt sie Lieb im Leibe!

F r o s c h.
Sie fuhr herum, sie fuhr heraus
Und soff aus allen Pfüzzen,
Zernagt, zerkrazt das ganze Haus,
Wollt nichts ihr Wüthen nüzzen.
Sie täht so manchen Aengstesprung,
Bald hätt das arme Tier genung,
Als hätt es Lieb im Leibe.

C h o r u s.
Als hätt es Lieb im Leibe!

F r o s c h.
Sie kam vor Angst am hellen Tag
Der Küche zu gelauffen,
Fiel an den Heerd und zuckt und lag
Und täht erbärmlich schnauffen.
Da lachte die Vergifftrinn noch:
«Ha! sie pfeifft auf dem lezten Loch,
Als hätt sie Lieb im Leibe!»

C h o r u s.
Als hätt sie Lieb im Leibe!

S i e b e l.
Und eine hinlängliche Portion Rattenpulver der Köchinn in die Suppe! Ich binn nit mitleidig, aber so eine Ratte könnte einen Stein erbarmen.

B r a n d e r.
Selbst Ratte! Ich mögte den Schmeerbauch so am Heerde sein Seelgen ausblasen sehn!

Faust. Mephistopheles.

M e p h i s t o p h e l e s.
Nun schau, wie sies hier treiben! Wenn dirs gefällt, dergleichen Sozietät schaff ich dir Nacht nächtlich.

F a u s t.
Guten Abend, ihr Herren.

A l l e.
Grosen Danck!

S i e b e l.
Wer ist der Storcher da?

B r a n d e r.
Still! das ist was vornehmes inkognito, sie haben so was unzufriednes böses im Gesicht.

S i e b e l.
Pah! Kommödianten, wenns hoch kommt.

M e p h i s t o p h e l e s leise.
Mercks! den Teufel vermuthen die Kerls nie, so nah er ihnen immer ist.

F r o s c h.
Ich will 'en die Würme schon aus der Nase ziehn, wo sie herkommen. - Ist der Weeg von Rippach herüber so schlimm, dass ihr so tief in die Nacht habt reisen müssen?

F a u s t.
Wir kommen den Weeg nit.

F r o s c h.
Ich meynte etwa, ihr hättet bey dem berühmten Hans drüben zu Mittag gespeisst.

F a u s t.
Ich kenn ihn nicht.
die andern lachen.

F r o s c h.
O, er ist von altem Geschlecht. Hat eine weitläufige Familie.

M e p h i s t o p h e l e s.
Ihr seyd wohl seiner Vettern einer.

B r a n d e r leise zu Frosch.
Stecks ein! der versteht den Rummel.

F r o s c h.
Bey Wurzen ists fatal, da muss man so lang auf die Fähre manchmal warten.

F a u s t.
So!

S i e b e l leise.
Sie kommen aus dem Reiche, man siehts 'en an. Lasst sie nur erst fidel werden! - Seyd ihr Freunde von einen herzhafften Schluck? Herbey mit euch!

M e p h i s t o p h e l e s.
Immer zu.
sie stossen an und trincken

F r o s c h.
Nun, Herrn, ein Liedgen. Für einen Krug ein Liedgen, das ist billig.

F a u s t.
Ich habe keine Stimme.

M e p h i s t o p h e l e s.
Ich sing eins für mich, zwey für meinen Kammeraden, hundert, wenn ihr wollt: wir kommen aus Spanien, wo Nachts so viel Lieder gesungen werden als Sterne am Himmel stehn.

B r a n d e r.
Das verbät ich mir, ich hasse das Geklimpere, ausser wenn ich einen Rausch habe, und schlafe, dass die Welt untergehen dürfte. - Für kleine Mädgen ists so was, die nit schlafen können, und am Fenster stehen, Monden Kühlung einzusuckeln.

M e p h i s t o p h e l e s.
Es war einmal ein König,
Der hätt einen grosen Floh!

S i e b e l.
Stille! Horch! Schöne Rarität! schöne Liebhaberey!

F r o s c h.
Noch einmal!

M e p h i s t o p h e l e s.
Es war einmal ein König,
Der hätt einen grosen Floh,
Den liebt er gar nit wenig,
Als wie sein eignen Sohn.
Da rief er seinen Schneider,
Der Schneider kam heran:
«Da mess dem Juncker Kleider
Und mess ihm Hosen an!»

S i e b e l.
Wohl gemessen! Wohl!
sie schlagen in ein Gelächter aus.
Dass sie nur keine Falten werfen!

M e p h i s t o p h e l e s.
In Sammet und in Seide
War er nun angethan,
Hätte Bänder auf dem Kleide,
Hätt auch ein Kreuz daran.
Und war sogleich Minister
Und hätt einen grosen Stern,
Da wurden sein Geschwister
Bey Hof auch grose Herrn.

Und Herrn und Fraun am Hofe
Die waren sehr geplagt,
Die Königinn und die Zofe
Gestochen und genagt,
Und durften sie nicht knicken
Und weg sie iagen nicht:
Wir knicken und ersticken
Doch gleich, wenn einer sticht!

C h o r u s iauchzend.
Wir knicken und ersticken
Doch gleich, wenn einer sticht!

A l l e durch einander.
Bravo! Bravo! Schön und trefflich! Noch eins! Noch ein paar Krüge! Noch ein paar Lieder.

F a u s t.
Meine Herren! der Wein geht an! Geht an, wie in Leipzig die Weine alle angehn müssen. Doch dünckt mich, ihr würdet erlauben, dass man euch aus einem andern Fasse zapfte.

S i e b e l.
Habt ihr einen eignen Keller? Handelt ihr mit Weinen? Seyd ihr vielleicht von denen Schelmen ausm Reich? -

A l t e n.
Wart ein bissgen! er steht auf. Ich hab so eine Probe, ob ich weiter trincken darf. Er macht die Augen zu und steht eine Weile. Nun! nun! das Köpfgen schwanckt schon!

S i e b e l.
Pah! eine Flasche! Ich wills vor Gott verantworten und vor deiner Frauen. - Euren Wein!

F a u s t.
Schafft mir einen Bohrer!

F r o s c h.
Der Wirth hat so ein Körbel mit Werckzeug in der Ecke stehn.

F a u s t nimmt den Bohrer.
Gut! Was verlangt ihr für Wein!

F r o s c h.
He?

F a u s t.
Was für ein Gläsgen mögtet ihr trincken? Ich schaffs euch!

F r o s c h.
He! He! So ein Glas Rheinwein, ächten Nierensteiner.

F a u s t.
Gut! er bohrt in den Tisch an Froschens Seite. Nun schafft Wachs!

A l t e n.
Da ein Kerzenstümpfgen!

F a u s t.
So! er stopft das Loch. Halt iezzo! - und ihr?

S i e b e l.
Muskaten Wein! Spanischen Wein, sonst keinen Tropfen! Ich will nur sehn, wo das hinaus läufft.

F a u s t bohrt und verstopft.
Was beliebt euch?

A l t e n.
Rothen Wein! Einen Französchen! - Die Franzosen kann ich nicht leiden, so grosen Respeckt ich vor ihren Wein hab.

F a u s t wie oben.
Nun was schafft ihr?

B r a n d e r.
Hält er uns für'n Narren?

F a u s t.
Schnell, Herr! nennt einen Wein!

B r a n d e r.
Tockayer denn! - Soll er doch nicht aus dem Tische lauffen?

F a u s t.
Stille iunger Herr! - Nun aufgeschaut! Die Gläser untergehalten. Jeder ziehe den Wachspfropfen heraus! Dass aber kein Tropfen an die Erde fällt, sonst giebts ein Unglück!

A l t e n.
Mir wirds unheimlich. Der hat den Teufel.

F a u s t.
Ausgezogen!

Sie ziehn die Pfropfen, iedem läufft der verlangte Wein ins Glas.

F a u s t.
Zugestopft! Und nun versucht!

S i e b e l.
Wohl! Trefflich wohl!

A l l e.
Wohl! Majestätisch wohl! - Willkommner Gast!

sie trincken wiederhohlt.

M e p h i s t o p h e l e s.
Sie sind nun eingeschifft.

F a u s t.
Gehn wir!

M e p h i s t o p h e l e s.
Noch ein Moment.

A l l e singen.
Uns ist gar kannibalisch wohl
Als wie fünfhundert Säuen!

sie trincken wiederhohlt, Siebel lässt den Pfropf fallen, es fliest auf die Steine und wird zur Flamme, die an Siebeln hinauf lodert.

S i e b e l.
Hölle und Teufel!

B r a n d e r.
Zauberey! Zauberey!

F a u s t.
Sagt ichs euch nicht?
er verstopft die Oeffnung und spricht einige Worte, die Flamme flieht.

S i e b e l.
Herr und Satan! - Meynt er, er dürft in ehrliche Gesellschaft sich machen und sein Höllisches Hokuspokus treiben?

F a u s t.
Stille Mastschwein!

S i e b e l.
Mir Schwein? Du Besenstiel! Brüder! Schlagt ihn zusammen! Stost ihn nieder! sie ziehn die Messer. Ein Zauberer ist Vogelfrey! Nach den Reichsgesezzen Vogelfrey.

sie wollen über Fausten her, er winckt, sie stehn in frohem Erstaunen auf einmal und sehn einander an.

S i e b e l.
Was seh ich! Weinberge!

B r a n d e r.
Trauben um diese Jahrszeit!

A l t e n.
Wie reif! Wie schön!

F r o s c h.
Halt, das ist die schönste!

sie greiffen zu, kriegen einander bey den Nasen und heben die Messer.

F a u s t.
Halt! - Geht und schlaft euern Rausch aus!

Faust und Mephistopheles ab.

Es gehen ihnen die Augen auf, sie fahren mit Geschrey aus einander.


S i e b e l.
Meine Nase! War das deine Nase? Waren das die Trauben? Wo ist er?

B r a n d e r.
Fort! Es war der Teufel selbst.

F r o s c h.
Ich hab ihn auf einem Fasse hinaus reiten sehn.

A l t e n.
Hast du! Da ist gewiss auf dem Marckt nit sicher. - Wie kommen wir nach Hause?

B r a n d e r.
Siebel, geh zu erst!

S i e b e l.
Kein Narr!

F r o s c h.
Kommt, wir wecken die Häscher unterm Rathhaus, für ein Trinckgeld tuhn die wohl ihre Schuldigkeit. Fort!

S i e b e l.
Sollte wohl der Wein noch lauffen.
er visitirt die Pfropfen.

A l t e n.
Bildt dirs nicht ein! Trocken wie Holz!

F r o s c h.
Fort ihr Bursche! Fort!
alle ab