BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Melchior Goeze

1717 - 1786

 

Etwas Vorläufiges gegen des

Herrn Hofraths Lessings

mittelbare und unmittelbare

feindselige Angriffe

 

1778

 

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[III]

Vorerinnerung.

 

Ich lege den Lesern in diesen Bogen verschiedne Aufsätze vor. Die ersten beyden sind bereits in den hiesigen freywilligen Beyträgen zu den Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit, Nr. 55 : 56, und Nr. 61 - 63, d. J. abgedruckt. Da aber, wie ich vernommen, Herr Hofrath Leßing bereits gegen dieselben geschrieben hat, und diese Blätter nur wenigen zu Gesicht kommen; so habe ich es rathsam gefunden, solche hier wieder abdrucken zu lassen, um also mehrere in den Stand zu setzen, meine und des Herrn L. Gedanken vergleichen zu können. Der dritte Aufsatz war für eben diese Blätter bestimmet, nun aber war es schicklicher, solchen hier gleich beyzufügen. Die folgenden sind durch die hernach herausgekommenen Leßingischen Schriften, 1) die letzten namentlich gegen mich gerichteten ausgenommen, so weit ich solche gelesen habe, veranlasset worden. [IV]

Durch seine mittelbaren Angriffe auf unsre Religion und auf die heilige Schrift, verstehe ich den von ihm veranstalteten Druck der Fragmente, und die von ihm übernommene Advocatur des Verfassers derselben. Ich wil es ihm einräumen, daß die Gründe, welche er hier zur Rechtfertigung seines Verhaltens in dieser Sache vorwendet, etwas beweisen, wenn er mir zugestehet, daß eben diese Gründe hinreichen würden, sein Verhalten zu rechtfertigen, wenn er Fragmente drucken ließe, in welchen die Gerechtsame des hohen Hauses, dem er dienet, die Ehre und Unschuld der ehemaligen großen und unbescholtenen Minister desselben, und selbst des regierenden Herrn, so angegriffen würden, als hier die Wahrheit der christlichen Religion, die Ehre und Unschuld der heil. Apostel, und selbst unsers ewigen Königes angegriffen wird, und wenn er uns desfals von seinen Obern ein glaubwürdiges Zeugnis darlegen würde, daß sie in diesem Falle mit seinen Rechtfertigungsgründen zufrieden seyn würden.

Durch seine unmittelbare Angriffe auf unsre Religion, verstehe ich, seine, den Fragmenten entgegengesetzten Scheingründe, welche mehr den Zweck haben, dieselbe zu untergraben, zu stürzen, wenigstens sie lächerlich zu machen, [V] als sie zu vertheidigen: den bittern aber kraftlosen Spot, den er über die bisherigen Vertheidigungen derselben ausgeschüttet hat: insonderheit aber den Rath, den er uns giebt, daß wir die Wahrheit unsrer Religion vornemlich, ja allein auf das: possidemus quia possidemus, gründen sollen. Ein eben so kluger Rath, als wenn er den Vertheidigern einer Vestung rathen wolte, die metallenen Kanonen bey Seite zu schaffen, und an deren Stat hölzerne aufzuführen. Ich rechne ferner dahin sein Vorgeben, daß nicht alles, was in der heil. Schrift enthalten ist, von Gott eingegeben sey, und daß der heil. Geist dabey nichts weiter gethan habe, als daß er die Verfasser angetrieben, daß ein jeder die Sache so niederschreiben müssen, wie er sich solche vorgestellet, daher denn nothwendig zwischen ihnen Widersprüche erfolgen müssen: denn eben damit sucht er den Fels des vesteren prophetischen und apostolischen Worts, in einen nichtswürdigen Sandhaufen zu verwandeln, und giebt einem jeden Widerwärtigen das Recht, die göttliche Eingebung der Stellen, aus welchen wir die Glaubensartikel beweisen, vor der Faust weg abzuleugnen. Sind die erschröcklichen Worte in dem Beweise des Geistes und der Kraft, S. 11: meine ganze Vernunft streubet sich [VI] gegen den Satz, daß Gott einen Sohn habe, der mit Ihm gleiches Wesens sey, aus Herr Leßings Feder geflossen; so kan man aus denselben nicht allein einen volständigen Abriß der Leßingischen Theologie und Religion herleiten , sondern man kan auch zum voraus sehen, was er uns auf die Stellen, mit welchen wir diese allerwichtigste Grundwahrheit unsrer Religion beweisen, antworten werde. Daß diese Angriffe, und zwar im recht hohen Grade feindselig sind, darf ich wol nicht erst beweisen, und derjenige würde sich selbst bey allen Freunden und Verehrern des Herrn L. lächerlich machen, der aus denselben beweisen wolte, daß er gegen die christliche Religion auch nur gleichgültig gesinnet, oder gar ein Freund und Verehrer derselben sey.

Die Art, wie Herr Leßing streitet, ist sonderbar. Seine Bemühungen gehen nicht dahin, den Verstand seiner Leser durch Gründe zu überzeugen, sondern sich ihrer Phantasie durch allerhand unerwartete Bilder und Anspielungen zu bemächtigen. Er bestimmet daher nichts durch richtige Erklärungen, er führet nie einen gründlichen und einleuchtenden Beweis, sondern er spielt beständig mit Gleichnissen, Instanzen und Anthitesen. Er [VII] nimt die Worte in verschiednen Bedeutungen, und gerade jedesmal in derjenigen, von welcher er sich die meiste Hofnung macht, daß sie am ersten blöde Augen blenden werde. Er erlaubt sich Sophismen, Equivocen und Fallacien.

Vielleicht entschließe ich mich, wenn ich keine wichtigere und nothwendigere Geschäfte habe, aus den neuesten Schriften des Herrn L. die Bilder und Gleichnisse auszuziehen, von denselben nach dem Alphabethe ein ordentliches Regiment zu formiren, und alsdann diese Leßingischen irregulairen Trouppen und Marodeurs, die Musterung vor dem gesunden Menschenverstande durchgehen zu lassen. Hier werden seltsame Gestalten zum Vorscheine kommen. Ich habe in dem folgenden, mit seinen schadhaften und morschen Sturmleitern, mit seinen zwanzigmal zurückgeschlagenen Soldaten, 2) die aber zum ein und zwanzigstenmale zurück kommen, und mit siegen helfen sollen, bereits eine Probe gemacht, und ich verspreche meinen Lesern und nur von dieser Arbeit viel Vergnügen. [VIII]

Es ist wahr, daß die Lehrsätze der christlichen Religion nicht so bewiesen werden können, als der Satz: zweymal zwey ist vier. Allein so sollen sie auch nicht bewiesen werden. Denn wenn sie also bewiesen werden könten und sollen; so würde die menschliche Freyheit dabey völlig zu Grunde gehen, und es würde alsdann heißen: entweder Christ, oder ins Dolhaus! Auf solche Weise wil unser Jesus keine Jünger machen. Der Weg, den Er uns Joh. 7, 16. 17. angewiesen hat, und auf welchem wir zur Ueberzeugung von der Göttlichkeit seiner Lehre kommen sollen, ist von ganz andrer Art. Das innere Zeugnis des heiligen Geistes, welches sich durch die Kraft der heil. Schrift an den Seelen derer offenbaret, welche der Wahrheit nicht muthwillig widerstreben, (vielleicht ist dieses dem Herrn L. lächerlich? auf seine Gefahr!) muß hier nothwendig die Ehre behaupten, unser Herz in der Wahrheit Gottes vest zu machen. Auf diesem Wege sind Millionen Christen zu ihrer ewigen Ruhe eingegangen. Ich ersuche den Herrn L. um seines ewigen Heyls willen, diese Vorstellungen in reife Erwägung zu nehmen, ehe er die Feder ansetzet, um die Beweise für die Wahrheit der christlichen Religion zu verhöhnen. Wil er indessen diesen von dem [IX] Geiste Gottes selbst angewiesenen Weg der Wahrheit und Gerechtigkeit verlästern, und seinen Witz, den Gott ihm zu einem ganz andern Gebrauche verliehen hat, verschwenden, um unschuldige Herzen zu ärgern, sie von diesem Wege abzuführen, und ihre Sinne zu verblenden, daß sie die Herrlichkeit des HErrn, der sie erkauft hat, nicht sehen; so wird sein Urtheil nicht säumen, und Christen, die wissen, an wen sie glauben, werden seine unglücklichen und ihm selbst äuserst verderblichen Unternehmungen, mit innigem Mitleiden ansehen, und für ihn desto herzlicher beten.

Ob ich es nöthig finden werde, auf die letzten, namentlich gegen mich gerichteten Schriften des Herrn L. zu antworten, oder ob ich ihm, wenn ich finde, daß es ohne Nachtheil der Wahrheit geschehen kan, die Ehre, das letzte Wort zu haben, lassen kan, darüber werde ich mich, g. G. nach dem Feste entschließen. So viel kan ich zum voraus sagen: werde ich in diesen Blättern eben die Logik finden, welche Herr L. in den übrigen, die Fragmente betreffenden Schriften gebraucht hat; so ist er keiner Antwort würdig. Denn Sophismen, Equivocen, Fallacien, falsche, und schwache Leser blendende Bilder, stat der Gründe, Schlüsse und Axiomen, aus vieldeutigen, [X] und von ihm nicht bestimten Worten, Hohn und Naserümpfen über die Gegner, haben in der gelehrten Welt eben den Werth, den falsche Würfel in der bürgerlichen haben. Die Theaterlogik, und die Logik, welche in theologischen Streitigkeiten, insonderheit in denen, welche die Wahrheit der christlichen Religion entscheiden sollen, gebraucht werden muß, sind himmelweit unterschieden. Die erste kan auf die Zuschauer große Wirkung thun, und diejenige, welche Göthe in seiner schändlichen Stella gebraucht hat, um die Hurerey und Vielweiberey zu rechtfertigen, hat öfters den Zuschauern ein lautes Jauchzen und ein heftiges Klatschen abgelocket. Allein alle Rechtschaffene verabscheuen solche auf dem theologischen Kampfplatze, so wie sie in juristischen Streitigkeiten die Chikane verabscheuen. In der Theaterlogik ist Herr L. ein großer Meister, aber er hat von derselben in seinen bisherigen, in ein ganz anderes Feld gehörigen Schriften, beständig Gebrauch gemacht, auch das Vergnügen genossen, daß die Witzlinge, und daß alle diejenigen, welche schon lange gewünscht haben, daß der Heilige in Israel bey uns Aufhören möchte, für Freuden, daß er endlich ihre, Wünsche erfüllet, und sich in seiner [XI] wahren Gestalt gezeiget hat, ihn mit lautem Jauchzen und freudigem Händeklatschen empfangen haben. Allein es werden sich Männer finden, die seinen Fechterstreichen mit gehörigem Nachdrucke zu begegnen wissen, und die ihm zeigen, daß er mit seiner Übertragung der Theaterlogik, auf dem theologischen Kampfplatz, selbst, die vom Aristoteles so hoch verbotene μετάβασις εἰς ἄλλο γένος begehe, mit welcher der Verfasser des Bogens: Ueber den Beweis des Geistes und der Kraft, den Herrn Dir. Schuman, aber zu seiner eignen Schande, zu verwirren gesucht hat.

Beylaufig eine Probe von der Theaterlogik des Herrn L. Er schreibt in dem 4ten Stück der Beyträge, S. 495: „Das Christenthum war, ehe Evangelisten und Apostel geschrieben hatten. Es verlief eine geraume Zeit, ehe der erste von ihnen schrieb; und eine sehr beträchtliche, ehe der ganze Kanon zu Stande kam. Es mag also von diesen Schriften noch so viel abhängen; so kan doch unmöglich die ganze Wahrheit der Religion auf ihnen beruhen. War ein Zeitraum, in welchem sie bereits so ausgebreitet war, in welchem sie bereits sich so vieler Selen bemächtiget hatte, und in welchem gleichwol noch kein Buchstabe aus dem aufgezeichnet [XII] war, was bis auf uns gekommen: so muß es auch möglich seyn, daß alles, was die Evangelisten und Apostel geschrieben halben, wiederum verloren gienge, und die von ihnen gelehrte Religion dennoch bestände.“

Ich gestehe es gern, daß dieser Schlus eine große Kraft habe, schwache Selen zu überraschen. Wenn Herr L. denselben einem Freygeiste auf dem Theater in den Mund legte; so würde unfehlbar ein lautes Geklatsche von allen denen erfolgen, welche ohnedem die Bibel schon längst gern aus der Welt geschaffet hätten, nur nicht wissen, wie sie es anfangen sollen. Wenn aber ein Mann, der auch nur gesunden Menschenverstand hat, den Grundsatz: War ein Zeitraum u. s. w. und die Folge: so muß es auch möglich seyn, u. s. f. mit einander vergleicht, und untersucht, ob, und wie die letzte aus dem ersten fließet; so kan er nicht anders denken, als daß Herr L. seine Leser für Kinder ansehen müsse. Ich wil die Sache mit einem Bilde aufklären, Herr L. wird solches um so viel weniger an mir tadeln, da seine größeste Stärke in dem Gebrauche dieser Methode bestehet, und ich bin hier dazu um so viel mehr dazu berechtigt, da ich in dem ersten Aufsatze die Gründe angeführt habe, [XIII] durch welche dieser Trugschluß über einen Haufen geworfen wird.

Wie wenn ein Reisender, der zum ersten mahle auf die Elbe käme, wo sie Ebbe und Fluth hat, sähe, daß das Schiff ohne Segel gienge: er bemerkte die Ebbe nicht, und würde gewahr, daß der Schiffer nun bey unverändertem Winde dennoch die Segel ausspannete, und er wolte sagen: wozu ist das nöthig, da das Schiff bisher ohne Segel gegangen ist; so kan es ferner ohne Segel gehen: würde dieser Schlus des Reisenden nicht eben so bündig seyn, als der, den Herr L. macht? und wie würde sich hier ein vernünftiger Schiffer verhalten? Er würde erst seine nothwendigen Geschäfte besorgen, und alsdenn gelegentlich dem Reisenden sagen: Herr, sehet ihr denn nicht, daß sich der Lauf des Wassers verändert hat, daß der Strohm, der vorher dorthin lief, uns gegenwärtig gerade entgegen komt. Wolte alsdenn der Reisende bey seinen fünf Augen bleiben, und sagen: meine ganze Vernunft streubt sich gegen den Satz, daß das Wasser Berg an laufen solle; so würde der Schiffer am klügsten handeln, wenn er es der Zeit und Erfahrung überliesse, seinen Passagier eines [XIV] bessern zu belehren, er möchte wollen oder nicht.

Wil Herr L. durchaus nicht einsehen, daß dadurch, daß die unmittelbare Eingebung des heil. Geistes, aus welcher die Apostel redeten, daß die Wundergaben, mit welchen sie die von ihnen gepredigten Geheimnisse des Glaubens bestätigten, in der Kirche aufhöreten, eine solche Veränderung in derselben vorgegangen, wodurch eine geschriebene Offenbarung, zur Fortpflanzung und Erhaltung der Lehre und Geschichte derselben, schlechterdings nothwendig wurden; so ist von ihm nichts weiter zu hoffen, und der beste Rath ist dieser, daß man ihn seinem Dünkel überlasse. Vielleicht thut künftig die Zeit dasjenige, was gegenwärtig auch die stärksten Gründe bey ihm nicht ausrichten können, da er es sich einmahl vorgesetzte hat, seine Phantasien durchzusetzen.

Der Ton, aus welchen Herr L. spricht, ist durchgängig so stolz, und die Art, wie er seine Gegner behandelt, so verachtend, so wegwerfend, so höhnend, daß selbst einige [XV] seiner Freunde bekennen, daß er, wenn er auch eine bessere Sache hätte, als er wirklich hat, dennoch solche allein dadurch völlig verderben, und billig denkenden Gemüthern unerträglich fallen würde. Er ist ein wahrer Chineser. Er allein hat zwey Augen. Seinem Fragmenten-Schreiber gestehet er eines zu. Alle übrige aber, die von der Gründung der christlichen Religion an bis hieher anders gedacht haben, und anders denken, als er und sein Fragmenten-Schreiber, sind, doch Gott lob nur nach seinem Urtheile, blinder, als Maulwürfe.

Ich habe bey dem ersten Anblicke der Fragmente besorget, daß sie die Klippe seyn würden, an welcher der bisherige Ruhm des Herrn Leßings scheitern wird. Der Ausgang wird meine gegründete Vermuthung rechtfertigen. Gott gebe, daß er, noch zu dieser seiner Zeit bedenken möge, was zu seinem Frieden dienet, damit er durch den unbesonnenen Druck [XVI] der lästernden Fragmente, wodurch er der ganzen Christenheit in das Angesicht Hohn gesprochen, und durch seine eignen feindseligen Angriffe auf die christliche Religion und auf die heilige Schrift, nichts mehr verlieren möge, als diese Seifenblase.

 

Hamburg, den 7 April, 1778.

Goeze.

 

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1) Gehören die Bogen: Ueber den Beweis des Geistes und der Kraft, und: Das Testament Iohannis, nicht dazu, so muß sich Herr L. darüber erklären. 

2) Zum Unglücke hat Herr Leßing nicht bemerkt, daß ihnen gleich bey der ersten Attaque die Köpfe wegschossen worden.