<<< Übersicht  <<< vorige Seite  nächste Seite >>>



B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A

 

 

 

 
Immanuel Kant
Prolegomena
 


 






 




Der transzendentalen Hauptfrage

D r i t t e r  T e i l

Wie ist Metaphysik überhaupt möglich?



§ 40

      Reine Mathematik und reine Naturwissenschaft hätten zum  B e h u f  i h r e r  e i g e n e n  S i c h e r h e i t  und Gewißheit keiner dergleichen Deduktion bedurft, als wir bisher von beiden zu Stande gebracht haben; denn die erstere stützt sich auf ihre eigene Evidenz; die zweite aber, obgleich aus reinen Quellen des Verstandes entsprungen, dennoch auf Erfahrung und deren durchgängige Bestätigung, welcher letztern Zeugnis sie darum nicht gänzlich ausschlagen und entbehren kann, weil sie mit aller ihrer Gewißheit [125]dennoch, als Philosophie, es der Mathematik niemals gleich tun kann. Beide Wissenschaften hatten also die gedachte Untersuchung nicht vor sich, sondern vor eine andere Wissenschaft, nämlich Metaphysik, nötig.

      Metaphysik hat es, außer mit Naturbegriffen, die in der Erfahrung jederzeit ihre Anwendung finden, noch mit reinen Vernunftbegriffen zu tun, die niemals in irgend einer nur immer möglichen Erfahrung gegeben werden, mithin mit Begriffen, deren objektive Realität (daß sie nicht bloße Hirngespinste sind) und mit Behauptungen, deren Wahrheit oder Falschheit durch keine Erfahrung bestätigt oder aufgedeckt werden kann, und dieser Teil der Metaphysik ist überdem gerade derjenige, welcher den wesentlichen Zweck derselben, wozu alles andre nur Mittel ist, ausmacht, und so bedarf diese Wissenschaft einer solchen Deduktion  u m  i h r e r  s e l b s t  w i l l e n.  Die uns jetzt vorgelegte dritte Frage betrifft also gleichsam den Kern und das Eigentümliche der Metaphysik, nämlich die Beschäftigung der Vernunft bloß mit sich selbst, und, indem sie über ihre eigene Begriffe brütet, die unmittelbar daraus vermeintlich entspringende Bekanntschaft mit Objekten, ohne dazu der Vermittelung der Erfahrung nötig zu haben, noch überhaupt durch dieselbe dazu gelangen zu können  1).

      [126] Ohne Auflösung dieser Frage tut sich Vernunft niemals selbst gnug. Der Erfahrungsgebrauch, auf welchen die Vernunft den reinen Verstand einschränkt, erfüllt nicht ihre eigene ganze Bestimmung. Jede einzelne Erfahrung ist nur ein Teil von der ganzen Sphäre ihres Gebietes,  d a s  a b s o l u t e  G a n z e  a l l e r  m ö g l i c h e n  E r f a h r u n g  ist aber selbst keine Erfahrung, und dennoch ein notwendiges Problem vor die Vernunft, zu dessen bloßer Vorstellung sie ganz anderer Begriffe nötig hat, als jener reinen Verstandesbegriffe, deren Gebrauch nur immanent ist, d. i. auf Erfahrung geht, soweit sie gegeben werden kann, indessen daß Vernunftbegriffe auf die Vollständigkeit, d. i. die kollektive Einheit der ganzen möglichen Erfahrung und dadurch über jede gegebne Erfahrung hinausgehen, und  t r a n s z e n d e n t  werden.

      So wie also der Verstand der Kategorien zur Erfahrung bedurfte, so enthält die Vernunft in sich den Grund zu Ideen, worunter ich notwendige Begriffe verstehe, deren Gegenstand gleichwohl in keiner Erfahrung gegeben werden  k a n n.  Die letztern sind ebenso wohl in der Natur der Vernunft, als die erstere in der Natur des Verstandes gelegen, und, wenn jene einen Schein bei sich führen, der leicht verleiten kann, so ist dieser Schein unvermeidlich, obzwar «daß er nicht verführe» gar wohl verhütet werden kann.

      [127] Da aller Schein darin besteht, daß der subjektive Grund des Urteils vor objektiv gehalten wird, so wird ein Selbsterkenntnis der reinen Vernunft in ihrem transzendenten (überschwenglichen) Gebrauch das einzige Verwahrungsmittel gegen die Verirrungen sein, in welche die Vernunft gerät, wenn sie ihre Bestimmung mißdeutet, und dasjenige transzendenter Weise aufs Objekt an sich selbst bezieht, was nur ihr eigenes Subjekt und die Leitung desselben in allem immanenten Gebrauche angeht.


§ 41

      Die Unterscheidung der  I d e e n,  d. i. der reinen Vernunftbegriffe, von den Kategorien, oder reinen Verstandesbegriffen, als Erkenntnissen von ganz verschiedener Art, Ursprung und Gebrauch, ist ein so wichtiges Stück zur Grundlegung einer Wissenschaft, welche das System aller dieser Erkenntnisse a priori enthalten soll, daß ohne eine solche Absonderung Metaphysik schlechterdings unmöglich oder höchstens ein regelloser stümperhafter Versuch ist, ohne Kenntnis der Materialien, womit man sich beschäftigt, und ihrer Tauglichkeit zu dieser oder jener Absicht ein Kartengebäude zusammenzuflicken. Wenn Kritik d. r. V. auch nur das allein geleistet hätte, diesen Unterschied zuerst vor Augen zu legen, so hätte sie dadurch schon mehr zur Aufklärung unseres Begriffs und der Leitung der Nachforschung im Felde der Metaphysik beigetragen, als alle fruchtlose Bemühungen, den transzendenten Aufgaben der r. V. ein [128] Gnüge zu tun, die man von jeher unternommen hat, ohne jemals zu wähnen, daß man sich in einem ganz andern Felde befände, als dem des Verstandes, und daher Verstandes- und Vernunftbegriffe, gleich als ob sie von einerlei Art wären, in einem Striche hernannte.


§ 42

      Alle reine Verstandeserkenntnisse haben das an sich, daß sich ihre Begriffe in der Erfahrung geben, und ihre Grundsätze durch Erfahrung bestätigen lassen; dagegen die transzendenten Vernunfterkenntnisse sich, weder was ihre  I d e e n  betrifft, in der Erfahrung geben, noch ihre  S ä t z e  jemals durch Erfahrung bestätigen, noch widerlegen lassen; daher der dabei vielleicht einschleichende Irrtum durch nichts anders, als reine Vernunft selbst, aufgedeckt werden kann, welches aber sehr schwer ist, weil eben diese Vernunft vermittelst ihrer Ideen natürlicherweise dialektisch wird, und dieser unvermeidliche Schein durch keine objektive und dogmatische Untersuchungen der Sachen, sondern bloß durch subjektive, der Vernunft selbst, als einem Quell der Ideen, in Schranken gehalten werden kann.


§ 43

      Es ist jederzeit in der Kritik mein größtes Augenmerk gewesen, wie ich nicht allein die Erkenntnisarten sorgfältig unterscheiden, sondern auch alle zu jeder derselben gehörige Begriffe aus ihrem gemeinschaftlichen Quell ableiten könnte, [129] damit ich nicht allein dadurch, daß ich unterrichtet wäre, woher sie abstammen, ihren Gebrauch mit Sicherheit bestimmen könnte, sondern auch den noch nie vermuteten, aber unschätzbaren Vorteil hätte, die Vollständigkeit in der Aufzählung, Klassifizierung und Spezifizierung der Begriffe a priori, mithin nach Prinzipien zu erkennen. Ohne dieses ist in der Metaphysik alles lauter Rhapsodie, wo man niemals weiß, ob dessen, was man besitzt, gnug ist, oder ob, und wo, noch etwas fehlen möge. Freilich kann man diesen Vorteil auch nur in der reinen Philosophie haben, von dieser aber macht derselbe auch das Wesen aus.

      Da ich den Ursprung der Kategorien in den vier logischen Funktionen aller Urteile des Verstandes gefunden hatte, so war es ganz natürlich, den Ursprung der Ideen in den drei Funktionen der Vernunftschlüsse zu suchen; denn wenn einmal solche reine Vernunftbegriffe (transzendentale Ideen) gegeben sind, so könnten sie, wenn man sie nicht etwa vor angeboren halten will, wohl nirgends anders, als in derselben Vernunfthandlung angetroffen werden, welche, sofern sie bloß die Form betrifft, das Logische der Vernunftschlüsse, sofern sie aber die Verstandesurteile in Ansehung einer oder der andern Form a priori als bestimmt vorstellt, transzendentale Begriffe der reinen Vernunft ausmacht.

      Der formale Unterschied der Vernunftschlüsse macht die Einteilung derselben in kategorische, hypothetische und disjunktive notwendig. Die darauf gegründete Ver[130]nunftbegriffe enthalten also erstlich die Idee des vollständigen Subjekts (Substantiale), zweitens die Idee der vollständigen Reihe der Bedingungen, drittens die Bestimmung aller Begriffe in der Idee eines vollständigen Inbegriffs des Möglichen.  2) Die erste Idee war psychologisch, die zweite kosmologisch, die dritte theologisch und, da alle drei zu einer Dialektik Anlaß geben, doch jede auf ihre eigene Art, so gründete sich darauf die Einteilung der ganzen Dialektik der reinen Vernunft: in den Paralogismus, die Antinomie, und endlich das Ideal derselben, durch welche Ableitung man völlig sicher gestellt wird, daß alle Ansprüche der reinen Vernunft hier ganz vollständig vorgestellt sind, und kein einziger fehlen kann, weil das Vernunftvermögen selbst, als woraus sie allen ihren Ursprung nehmen, dadurch gänzlich ausgemessen wird.


§ 44

      Es ist bei dieser Betrachtung im Allgemeinen noch merkwürdig: daß die Vernunftideen nicht etwa so wie die [131] Kategorien, uns zum Gebrauche des Verstandes in Ansehung der Erfahrung irgend etwas nutzen, sondern in Ansehung desselben völlig entbehrlich, ja wohl gar den Maximen des Vernunfterkenntnisses der Natur entgegen und hinderlich, gleichwohl aber doch in anderer noch zu bestimmender Absicht notwendig sein. Ob die Seele eine einfache Substanz sei, oder nicht, das kann uns zur Erklärung der Erscheinungen derselben ganz gleichgültig sein; denn wir können den Begriff eines einfachen Wesens durch keine mögliche Erfahrung sinnlich, mithin in concreto verständlich machen, und so ist er, in Ansehung aller verhofften Einsicht in die Ursache der Erscheinungen, ganz leer, und kann zu keinem Prinzip der Erklärung dessen, was innere oder äußere Erfahrung an die Hand gibt, dienen. Ebensowenig können uns die kosmologischen Ideen vom Weltanfange oder der Weltewigkeit (a parte ante) dazu nutzen, um irgend eine Begebenheit in der Welt selbst daraus zu erklären. Endlich müssen wir, nach einer richtigen Maxime der Naturphilosophie, uns aller Erklärung der Natureinrichtung, die aus dem Willen eines höchsten Wesens gezogen worden, enthalten, weil dieses nicht mehr Naturphilosophie ist, sondern ein Geständnis, daß es damit bei uns zu Ende gehe. Es haben also diese Ideen eine ganz andere Bestimmung ihres Gebrauchs, als jene Kategorien, durch die, und die darauf gebauten Grundsätze, Erfahrung selbst allererst möglich ward. Indessen würde doch unsre mühsame Analytik des Verstandes, wenn unsre Absicht auf nichts anders [132] als bloße Naturerkenntnis, so wie sie in der Erfahrung gegeben werden kann, gerichtet wäre, auch ganz überflüssig sein; denn Vernunft verrichtet ihr Geschäfte sowohl in der Mathematik als Naturwissenschaft auch ohne alle diese subtile Deduktion ganz sicher und gut: also vereinigt sich unsre Kritik des Verstandes mit den Ideen der reinen Vernunft zu einer Absicht, welche über den Erfahrungsgebrauch des Verstandes hinausgesetzt ist, von welchem wir doch oben gesagt haben, daß er in diesem Betracht gänzlich unmöglich, und ohne Gegenstand oder Bedeutung sei. Es muß aber dennoch zwischen dem, was zur Natur der Vernunft und des Verstandes gehört, Einstimmung sein, und jene muß zur Vollkommenheit der letztern beitragen und kann sie unmöglich verwirren.

      Die Auflösung dieser Frage ist folgende: Die reine Vernunft hat unter ihren Ideen nicht besondere Gegenstände, die über das Feld der Erfahrung hinauslägen, zur Absicht, sondern fodert nur Vollständigkeit des Verstandesgebrauchs im Zusammenhange der Erfahrung. Diese Vollständigkeit aber kann nur eine Vollständigkeit der Prinzipien, aber nicht der Anschauungen und Gegenstände sein. Gleichwohl, um sich jene bestimmt vorzustellen, denkt sie sich solche, als die Erkenntnis eines Objekts, dessen Erkenntnis in Ansehung jener Regeln vollständig bestimmt ist, welches Objekt aber nur eine Idee ist, um die Verstandeserkenntnis der Vollständigkeit, die jene Idee bezeichnet, so nahe wie möglich zu bringen.

      
[133]

§ 45

Vorläufige Bemerkung
zur Dialektik der reinen Vernunft.


      Wir haben oben Paragraph 33, 34 gezeigt: daß die Reinigkeit der Kategorien von aller Beimischung sinnlicher Bestimmungen die Vernunft verleiten könne, ihren Gebrauch gänzlich über alle Erfahrung hinaus, auf Dinge an sich selbst auszudehnen, wiewohl, da sie selbst keine Anschauung finden, welche ihnen Bedeutung und Sinn in concreto verschaffen könnte, sie als bloß logische Funktionen zwar ein Ding überhaupt vorstellen, aber vor sich allein keinen bestimmten Begriff von irgend einem Dinge geben können. Dergleichen hyperbolische Objekte sind nun die, so man  N o u m e n a  oder reine Verstandeswesen (besser Gedankenwesen) nennt, als z. B.  S u b s t a n z,  welche aber  o h n e  B e h a r r l i c h k e i t  in der Zeit gedacht wird, oder eine  U r s a c h e,  die aber  n i c h t  i n  d e r  Z e i t  wirkte, usw. da man ihnen denn Prädikate beilegt, die bloß dazu dienen, die Gesetzmäßigkeit der Erfahrung möglich zu machen, und gleichwohl alle Bedingungen der Anschauung, unter denen allein Erfahrung möglich ist, von ihnen wegnimmt, wodurch jene Begriffe wiederum alle Bedeutung verlieren.

      Es hat aber keine Gefahr, daß der Versutand von selbst, ohne durch fremde Gesetze gedrungen zu sein, über seine Grenzen so ganz mutwillig in das Feld von bloßen [134] Gedankenwesen ausschweifen werde. Wenn aber die Vernunft, die mit keinem Erfahrungsgebrauche der Verstandesregeln, als der immer noch bedingt ist, völlig befriedigt sein kann, Vollendung dieser Kette von Bedingungen fodert, so wird der Verstand aus seinem Kreise getrieben, um teils Gegenstände der Erfahrung in einer so weit erstreckten Reihe vorzustellen, dergleichen gar keine Erfahrung fassen kann, teils sogar (um sie zu vollenden) gänzlich außerhalb derselben  N o u m e n a  zu suchen, an welche sie jene Kette knüpfen und dadurch, von Erfahrungsbedingungen endlich einmal unabhängig, ihre Haltung gleichwohl vollständig machen könne. Das sind nun die transzendentalen Ideen, welche, sie mögen nun nach dem wahren, aber verborgenen Zwecke der Naturbestimmung unserer Vernunft, nicht auf überschwengliche Begriffe, sondern bloß auf unbegrenzte Erweiterung des Erfahrungsgebrauchs angelegt sein, dennoch durch einen unvermeidlichen Schein dem Verstande einen  t r a n s z e n d e n t e n  Gebrauch ablocken, der, obzwar betrüglich, dennoch durch keinen Vorsatz innerhalb den Grenzen der Erfahrung zu bleiben, sondern nur durch wissenschaftliche Belehrung und mit Mühe in Schranken gebracht werden kann.


§ 46

I. Psychologische Ideen.
(Kritik S. 341 u. f. )


      Man hat schon längst angemerkt, daß uns an allen Substanzen das eigentliche Subjekt, nämlich das, was [135] übrig bleibt, nachdem alle Akzidenzen (als Prädikate) abgesondert worden, mithin das  S u b s t a n t i a l e  selbst, unbekannt sei, und über diese Schranken unsrer Einsicht vielfältig Klagen geführt. Es ist aber hiebei wohl zu merken, daß der menschliche Verstand darüber nicht in Anspruch zu nehmen sei: daß er das Substantiale der Dinge nicht kennt, d. i. vor sich allein bestimmen kann, sondern vielmehr darüber, daß er es, als eine bloße Idee, gleich einem gegebenen Gegenstande bestimmt, zu erkennen verlangt. Die reine Vernunft fodert, daß wir zu jedem Prädikate eines Dinges sein ihm zugehöriges Subjekt, zu diesem aber, welches notwendigerweise wiederum nur Prädikat ist, fernerhin sein Subjekt und so forthin ins Unendliche (oder soweit wir reichen) suchen sollen. Aber hieraus folgt, daß wir nichts, wozu wir gelangen können, vor ein letztes Subjekt halten sollen, und daß das Substantiale selbst niemals von unserm noch so tief eindringenden Verstande, selbst wenn ihm die ganze Natur aufgedeckt wäre, gedacht werden könne; weil die spezifische Natur unseres Verstandes darin besteht, alles diskursiv d. i. durch Begriffe, mithin auch durch lauter Prädikate zu denken, wozu also das absolute Subjekt jederzeit fehlen muß. Daher sind alle reale Eigenschaften, dadurch wir Körper erkennen, lauter Akzidenzen, sogar die Undurchdringlichkeit, die man sich immer nur als die Wirkung einer Kraft vorstellen muß, dazu uns das Subjekt fehlt.

      [136] Nun scheint es, als ob wir in dem Bewußtsein unserer selbst (dem denkenden Subjekt) dieses Substantiale haben, und zwar in einer unmittelbaren Anschauung; denn alle Prädikate des innern Sinnes beziehen sich auf das Ich, als Subjekt, und dieses kann nicht weiter als Prädikat irgend eines andern Subjekts gedacht werden. Also scheint hier die Vollständigkeit in der Beziehung der gegebenen Begriffe als Prädikate auf ein Subjekt nicht bloß Idee, sondern der Gegenstand, nämlich das  a b s o l u t e  S u b j e k t  selbst, in der Erfahrung gegeben zu sein. Allein diese Erwartung wird vereitelt. Denn das Ich ist gar kein Begriff 3), sondern nur Bezeichnung des Gegenstandes des innern Sinnes, sofern wir es durch kein Prädikat weiter erkennen, mithin kann es zwar an sich kein Prädikat von einem andern Dinge sein, aber ebenso wenig auch ein bestimmter Begriff eines absoluten Subjekts, sondern nur, wie in allen andern Fällen, die Beziehung der innern Erscheinungen auf das unbekannte Subjekt derselben. Gleichwohl veranlaßt diese Idee, (die gar wohl dazu dient, als regulatives Prinzip alle materialistische Erklärungen der innern Erscheinungen unserer Seele gänzlich zu vernichten) 4) durch einen ganz natürlichen Mißverstand ein sehr scheinba[137]res Argument, um aus diesem vermeinten Erkenntnis von dem Substantiale unseres denkenden Wesens seine Natur, sofern die Kenntnis derselben ganz außer den Inbegriff der Erfahrung hinausfällt, zu schließen.


§ 47

      Dieses denkende Selbst (die Seele) mag nun aber auch als das letzte Subjekt des Denkens, was selbst nicht weiter als Prädikat eines andern Dinges vorgestellt werden kann, Substanz heißen: so bleibt dieser Begriff doch gänzlich leer, und ohne alle Folgen, wenn nicht von ihm die Beharrlichkeit als das, was den Begriff der Substanzen in der Erfahrung fruchtbar macht, bewiesen werden kann.

      Die Beharrlichkeit kann aber niemals aus dem Begriffe einer Substanz, als eines Dinges an sich, sondern nur zum Behuf der Erfahrung bewiesen werden. Dieses ist bei der ersten Analogie der Erfahrung hinreichend dargetan worden, (Kritik S. 182) und, will man sich diesem Beweise nicht ergeben, so darf man nur den Versuch selbst anstellen, ob es gelingen werde, aus dem Begriffe eines Subjekts, was selbst nicht als Prädikat eines andern Dinges existiert, zu beweisen, daß sein Dasein durchaus beharrlich sei, und daß es, weder an sich selbst, noch durch irgend eine Naturursache entstehen, oder vergehen könne. Dergleichen synthetische Sätze a priori können niemals an sich selbst, sondern jederzeit nur in Beziehung auf Dinge [138] als Gegenstände einer möglichen Erfahrung bewiesen werden.


§ 48

      Wenn wir also aus dem Begriffe der Seele als Substanz auf Beharrlichkeit derselben schließen wollen: so kann dieses von ihr doch nur zum Behuf möglicher Erfahrung, und nicht von ihr als einem Dinge an sich selbst und über alle mögliche Erfahrung hinaus gelten. Nun ist die subjektive Bedingung aller unserer möglichen Erfahrung das Leben: folglich kann nur auf die Beharrlichkeit der Seele im Leben geschlossen werden, denn der Tod des Menschen ist das Ende aller Erfahrung, was die Seele als einen Gegenstand derselben betrifft, wofern nicht das Gegenteil dargetan wird, als wovon eben die Frage ist. Also kann die Beharrlichkeit der Seele nur im Leben des Menschen (deren Beweis man uns wohl schenken wird) aber nicht nach dem Tode (als woran uns eigentlich gelegen ist) dargetan werden, und zwar aus dem allgemeinen Grunde, weil der Begriff der Substanz, sofern er mit dem Begriff der Beharrlichkeit als notwendig verbunden angesehen werden soll, dieses nur nach einem Grundsatze möglicher Erfahrung und also auch nur zum Behuf derselben sein kann. 5)


[139]

§ 49

      Daß unseren äußeren Wahrnehmungen etwas Wirkliches außer uns nicht bloß korrespondiere, sondern auch korrespondieren müsse, kann gleichfalls niemals als Verknüpfung der Dinge an sich selbst, wohl aber zum Behuf der Erfahrung bewiesen werden. Dieses will so viel sagen: daß etwas auf empirische Art, mithin als Erscheinung im Raume außer uns sei, kann man gar wohl beweisen; denn mit andern Gegenständen, als denen, die zu einer möglichen Erfahrung gehören, haben wir es nicht zu tun, eben darum, weil sie uns in keiner Erfahrung gegeben werden können, und also vor uns nichts sein. Empirisch außer mir ist das, was im Raume angeschaut wird, und [140] da dieser samt allen Erscheinungen, die er enthält, zu den Vorstellungen gehört, deren Verknüpfung nach Erfahrungsgesetzen ebenso wohl ihre objektive Wahrheit beweiset, als die Verknüpfung der Erscheinungen des innern Sinnes die Wirklichkeit meiner Seele (als eines Gegenstandes des innern Sinnes), so bin ich mir vermittelst der äußern Erfahrung ebenso wohl der Wirklichkeit der Körper, als äußerer Erscheinungen im Raume, wie vermittelst der innern Erfahrung des Daseins meiner Seele in der Zeit bewußt, die ich auch nur, als einen Gegenstand des innern Sinnes, durch Erscheinungen, die einen innern Zustand ausmachen, erkennen kann, und wovon mir das Wesen an sich selbst, das diesen Erscheinungen zum Grunde liegt, unbekannt ist. Der Cartesianische Idealism unterscheidet also nur äußere Erfahrung vom Traume, und die Gesetzmäßigkeit als ein Kriterium der Wahrheit der erstern von der Regellosigkeit und dem falschen Schein des letztern. Er setzt in beiden Raum und Zeit als Bedingungen des Daseins der Gegenstände voraus, und frägt nur, ob die Gegenstände äußerer Sinne wirklich im Raum anzutreffen sein, die wir darin im Wachen setzen, sowie der Gegenstand des innern Sinnes, die Seele, wirklich in der Zeit ist, d. i. ob Erfahrung sichere Kriterien der Unterscheidung von Einbildung bei sich führe. Hier läßt sich der Zweifel nun leicht heben, und wir heben ihn auch jederzeit im gemeinen Leben dadurch, daß wir die Verknüpfung der Erscheinungen in beiden nach allgemeinen Gesetzen der Erfahrung unter[141]suchen, und können, wenn die Vorstellung äußerer Dinge damit durchgehends übereinstimmt, nicht zweifeln, daß sie nicht wahrhafte Erfahrung ausmachen sollten. Der materiale Idealism, da Erscheinungen als Erscheinungen nur nach ihrer Verknüpfung in der Erfahrung betrachtet werden, läßt also sich sehr leicht heben, und es ist eine ebenso sichere Erfahrung, daß Körper außer uns (im Raume) existieren, als daß ich selbst, nach der Vorstellung des innern Sinnes (in der Zeit) da bin. Denn der Begriff:  a u ß e r  u n s,  bedeutet nur die Existenz im Raume. Da aber das Ich, in dem Satze:   I c h  b i n,  nicht bloß den Gegenstand der innern Anschauung (in der Zeit), sondern das Subjekt des Bewußtseins, sowie Körper nicht bloß die äußere Anschauung (im Raume), sondern auch das Ding  a n  s i c h  s e l b s t  bedeutet, was dieser Erscheinung zum Grunde liegt, so kann die Frage: ob die Körper (als Erscheinungen des äußern Sinnes)  a u ß e r  m e i n e n  G e d a n k e n  als Körper in der Natur existieren, ohne alles Bedenken verneinet werden; aber darin verhält es sich gar nicht anders mit der Frage, ob ich selbst  a l s  E r s c h e i n u n g  d e s  i n n e r n  S i n n e s  (Seele nach der empirischen Psychologie) außer meiner Vorstellungskraft in der Zeit existiere, denn diese muß ebenso wohl verneinet werden. Auf solche Weise ist alles, wenn es auf seine wahre Bedeutung gebracht wird, entschieden und gewiß. Der formale Idealism (sonst von mir transzendentale genannt) hebt wirklich den materiellen oder Cartesianischen auf. Denn wenn der [142] Raum nichts als eine Form meiner Sinnlichkeit ist, so ist er als Vorstellung in mir ebenso wirklich, als ich selbst, und es kommt nur noch auf die empirische Wahrheit der Erscheinungen in demselben an. Ist das aber nicht, sondern der Raum und Erscheinungen in ihm sind etwas außer uns Existierendes, so können alle Kriterien der Erfahrung außer unserer Wahrnehmung niemals die Wirklichkeit dieser Gegenstände außer uns beweisen.


§ 50

II. Kosmologische Ideen
(Krit. S. 405 u. f.)


      Dieses Produkt der reinen Vernunft in ihrem transzendenten Gebrauch ist das merkwürdigste Phänomen derselben, welches auch unter allen am kräftigsten wirkt, die Philosophie aus ihrem dogmatischen Schlummer zu erwecken und sie zu dem schweren Geschäfte der Kritik der Vernunft selbst zu bewegen.

      Ich nenne diese Idee deswegen kosmologisch, weil sie ihr Objekt jederzeit nur in der Sinnenwelt nimmt, auch keine andere als die, deren Gegenstand ein Objekt der Sinne ist, braucht, mithin sofern einheimisch und nicht transzendent, folglich bis dahin noch keine Idee ist; dahingegen, die Seele sich als eine einfache Substanz denken, schon so viel heißt, als sich einen Gegenstand denken (das Einfache), dergleichen den Sinnen gar nicht vorgestellt werden können. Demungeachtet erweitert doch die kosmologische Idee die Verknüpfung des Bedingten mit seiner Bedingung (diese mag [143] mathematisch oder dynamisch sein) so sehr, daß Erfahrung ihr niemals gleichkommen kann, und ist also in Ansehung dieses Punkts immer eine Idee, deren Gegenstand niemals adäquat in irgend einer Erfahrung gegeben werden kann.


§ 51

      Zuerst zeigt sich hier der Nutzen eines Systems der Kategorien so deutlich und unverkennbar, daß, wenn es auch nicht mehrere Beweistümer desselben gäbe, dieser allein ihre Unentbehrlichkeit im System der reinen Vernunft hinreichend dartun würde. Es sind solcher transzendenten Ideen nicht mehr als vier, so viel als Klassen der Kategorien; in jeder derselben aber gehen sie nur auf die absolute Vollständigkeit der Reihe der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten. Diesen kosmologischen Ideen gemäß gibt es auch nur viererlei dialektische Behauptungen der reinen Vernunft, die, da sie dialektisch sind, dadurch selbst beweisen, daß einer jeden, nach ebenso scheinbaren Grundsätzen der reinen Vernunft, ein ihm widersprechender entgegensteht, welchen Widerstreit keine metaphysische Kunst der subtilsten Distinktion verhüten kann, sondern die den Philosophen nötigt, zu den ersten Quellen der reinen Vernunft selbst zurückzugehen. Diese nicht etwa beliebig erdachte, sondern in der Natur der menschlichen Vernunft gegründete, mithin unvermeidliche und niemals ein Ende nehmende Antinomie, enthält nun folgende vier Sätze samt ihren Gegensätzen.

      [144]

      1.
Satz
      Die Welt hat der Zeit und dem Raum nach
      einen  A n f a n g  (Grenze)

Gegensatz
      Die Welt ist der Zeit und dem Raum nach
      u n e n d l i c h

      2.
Satz
      Alles in der Welt besteht
      aus dem
      E i n f a c h e n

Gegensatz
      Es ist nichts Einfaches, sondern
      alles ist
      z u s a m m e n g e s e t z t

      3.
Satz
      Es gibt in der Welt
      Ursachen durch
      F r e i h e i t

Gegensatz
      Es ist keine Freiheit, sondern
      alles ist
      N a t u r

      4.
Satz
      In der Reihe der Weltursachen ist irgend ein
      n o t w e n d i g  W e s e n

Gegensatz
      Es ist in ihr nichts notwendig, sondern in dieser Reihe
      i s t  a l l e s  z u f ä l l i g


§ 52

      Hier ist nun das seltsamste Phänomen der menschlichen Vernunft, wovon sonst kein Beispiel in irgend einem andern Gebrauch derselben gezeigt werden kann. Wenn wir, wie es gewöhnlich ugeschieht, uns die Erscheinungen der Sinnenwelt als Dinge an sich selbst denken, wenn wir die Grundsätze ihrer Verbindung als allgemein von Dingen [145] an sich selbst und nicht bloß von der Erfahrung geltende Grundsätze annehmen, wie denn dieses ebenso gewöhnlich, ja ohne unsre Kritik unvermeidlich ist: so tut sich ein nicht vermuteter Widerstreit hervor, der niemals auf dem gewöhnlichen dogmatischen Wege beigelegt werden kann, weil sowohl Satz als Gegensatz durch gleich einleuchtende klare und unwiderstehliche Beweise dargetan werden können, - denn vor die Richtigkeit aller dieser Beweise verbürge ich mich, - und die Vernunft sich also mit sich selbst entzweit sieht, ein Zustand, über den der Skeptiker frohlockt, der kritische Philosoph aber in Nachdenken und Unruhe versetzt werden muß.


§ 52b

      Man kann in der Metaphysik auf mancherlei Weise herumpfuschen, ohne eben zu besorgen, daß man auf Unwahrheit werde betreten werden. Denn wenn man sich nur nicht selbst widerspricht, welches in synthetischen, obgleich gänzlich erdichteten Sätzen gar wohl möglich ist: so können wir in allen solchen Fällen, wo die Begriffe, die wir verknüpfen, bloße Ideen sind, die gar nicht (ihrem ganzen Inhalte nach) in der Erfahrung gegeben werden können, niemals durch Erfahrung widerlegt werden. Denn wie wollten wir es durch Erfahrung ausmachen: ob die Welt von Ewigkeit her sei, oder einen Anfang habe, ob Materie ins Unendliche teilbar sei, oder aus einfachen Teilen bestehe? Dergleichen Begriffe lassen sich in keiner, [146] auch der größtmöglichen Erfahrung geben, mithin die Unrichtigkeit des behauptenden oder verneinenden Satzes durch diesen Probierstein nicht entdecken.

      Der einzige mögliche Fall, da die Vernunft ihre geheime Dialektik, die sie fälschlich vor Dogmatik ausgibt, wider ihren Willen offenbarete, wäre der, wenn sie auf einen allgemein zugestandnen Grundsatz eine Behauptung gründete, und aus einem andern ebenso beglaubigten mit der größten Richtigkeit der Schlußart gerade das Gegenteil folgerte. Dieser Fall ist hier nun wirklich, und zwar in Ansehung vier natürlicher Vernunftideen, woraus vier Behauptungen einerseits, und ebenso viel Gegenbehauptungen andererseits, jede mit richtiger Konsequenz aus allgemein zugestandnen Grundsätzen entspringen und dadurch den dialektischen Schein der reinen Vernunft im Gebrauch dieser Grundsätze offenbaren, der sonst auf ewig verborgen sein müßte.

      Hier ist also ein entscheidender Versuch, der uns notwendig eine Unrichtigkeit entdecken muß, die in den Voraussetzungen der Vernunft verborgen liegt 6). Von [147] zwei einander widersprechenden Sätzen können nicht alle beide falsch sein, außer, wenn der Begriff selbst widersprechend ist, der beiden zum Grunde liegt; z. B. die zwei Sätze: ein viereckichter Zirkel ist rund, und ein viereckichter Zirkel ist nicht rund, sind beide falsch. Denn was den ersten betrifft, so ist es falsch, daß der genannte Zirkel rund sei, weil er viereckicht ist; es ist aber auch falsch, daß er nicht rund, d. i. eckicht sei, weil er ein Zirkel ist. Denn darin besteht eben das logische Merkmal der Unmöglichkeit eines Begriffs, daß unter desselben Voraussetzung zwei widersprechende Sätze zugleich falsch sein würden, mithin, weil kein Drittes zwischen ihnen gedacht werden kann, durch jenen Begriff gar  n i c h t s  gedacht wird.


§ 52c

      Nun liegt den zwei ersteren Antinomien, die ich mathematische nenne, weil sie sich mit der Hinzusetzung oder Teilung des Gleichartigen beschäftigen, ein solcher widersprechender Begriff zum Grunde; und daraus erkläre ich, wie es zugehe: daß Thesis sowohl als Antithesis bei beiden falsch sind.

      Wenn ich von Gegenständen in Zeit und Raum rede, so rede ich nicht von Dingen an sich selbst, darum, weil ich von diesen nichts weiß, sondern nur von Dingen in [148] der Erscheinung, d. i. von der Erfahrung, als einer besondern Erkenntnisart der Objekte, die dem Menschen allein vergönnet ist. Was ich nun im Raume oder in der Zeit denke, von dem muß ich nicht sagen: daß es an sich selbst, auch ohne diesen meinen Gedanken, im Raume und der Zeit sei; denn da würde ich mir selbst widersprechen; weil Raum und Zeit, samt den Erscheinungen in ihnen, nichts an sich selbst und außer meinen Vorstellungen Existierendes, sondern selbst nur Vorstellungsarten sind, und es offenbar widersprechend ist, zu sagen, daß eine bloße Vorstellungsart auch außer unserer Vorstellung existiere. Die Gegenstände also der Sinne existieren nur in der Erfahrung; dagegen auch ohne dieselbe, oder vor ihr, ihnen eine eigene vor sich bestehende Existenz zu geben, heißt so viel, als sich vorstellen, Erfahrung sei auch ohne Erfahrung, oder vor derselben wirklich.

      Wenn ich nun nach der Weltgröße, dem Raume und der Zeit nach, frage, so ist es vor alle meine Begriffe ebenso unmöglich zu sagen, sie sei unendlich, als sie sei endlich. Denn keines von beiden kann in der Erfahrung enthalten sein, weil weder von einem  u n e n d l i c h e n  Raume, oder unendlicher verflossener Zeit, noch der  B e g r e n z u n g  der Welt durch einen leeren Raum, oder eine vorhergehende leere Zeit, Erfahrung möglich ist; das sind nur Ideen. Also müßte diese, auf die eine oder die andre Art bestimmte Größe der Welt in ihr selbst liegen, abgesondert von aller Erfahrung. Dieses widerspricht aber dem Begriffe einer [149] Sinnenwelt, die nur ein Inbegriff der Erscheinung ist, deren Dasein und Verknüpfung nur in der Vorstellung, nämlich der Erfahrung, stattfindet, weil sie nicht Sache an sich, sondern selbst nichts als Vorstellungsart ist. Hieraus folgt, daß, da der Begriff einer vor sich existierenden Sinnenwelt in sich selbst widersprechend ist, die Auflösung des Problems wegen ihrer Größe auch jederzeit falsch sein werde, man mag sie nun bejahend oder verneinend versuchen.

      Eben dieses gilt von der zweiten Antinomie, die die Teilung der Erscheinungen betrifft. Denn diese sind bloße Vorstellungen, und die Teile existieren bloß in der Vorstellung derselben, mithin in der Teilung, d. i. in einer möglichen Erfahrung, darin sie gegeben werden, und jene geht daher nur soweit, als diese reicht. Anzunehmen, daß eine Erscheinung, z. B. die des Körpers, alle Teile vor aller Erfahrung an sich selbst enthalte, zu denen nur immer mögliche Erfahrung gelangen kann, heißt: einer bloßen Erscheinung, die nur in der Erfahrung existieren kann, doch zugleich eine eigene vor Erfahrung vorhergehende Existenz geben, oder zu sagen, daß bloße Vorstellungen da sind, ehe sie in der Vorstellungskraft angetroffen werden, welches sich widerspricht, und mithin auch jede Auflösung der mißverstandnen Aufgabe, man mag darinne behaupten, die Körper bestehen an sich aus unendlich viel Teilen oder einer endlichen Zahl einfacher Teile.


[150]

§ 53

      In der ersten Klasse der Antinomie (der mathematischen) bestand die Falschheit der Voraussetzung darin: daß, was sich widerspricht (nämlich Erscheinung als Sache an sich selbst) als vereinbar in einem Begriffe vorgestellt wurde. Was aber die zweite, nämlich dynamische Klasse der Antinomie betrifft, so besteht die Falschheit der Voraussetzung darin: daß, was vereinbar ist, als widersprechend vorgestellt wird, folglich, da im ersteren Falle alle beide einander entgegengesetzte Behauptungen falsch waren, hier wiederum solche, die durch bloßen Mißverstand einander entgegengesetzt werden, alle beide wahr sein können.

      Die mathematische Verknüpfung nämlich setzt notwendig Gleichartigkeit des Verknüpften (im Begriffe der Größe) voraus, die dynamische erfordert dieses keinesweges. Wenn es auf die Größe des Ausgedehnten ankommt, so müssen alle Teile unter sich, und mit dem Ganzen gleichartig sein; dagegen in der Verknüpfung der Ursache und Wirkung kann zwar auch Gleichartigkeit angetroffen werden, aber sie ist nicht notwendig; denn der Begriff der Kausalität (vermittelst dessen durch Etwas etwas ganz davon Verschiedenes gesetzt wird) erfordert sie wenigstens nicht.

      Würden die Gegenstände der Sinnenwelt vor Dinge an sich selbst genommen, und die oben angeführte Naturgesetze vor Gesetze der Dinge an sich selbst, so wäre [151] der Widerspruch unvermeidlich. Ebenso, wenn das Subjekt der Freiheit gleich den übrigen Gegenständen als bloße Erscheinung vorgestellt würde, so könnte ebenso wohl der Widerspruch nicht vermieden werden, denn es würde eben dasselbe von einerlei Gegenstande in derselben Bedeutung zugleich bejahet und verneinet werden. Ist aber Naturnotwendigkeit bloß auf Erscheinungen bezogen, und Freiheit bloß auf Dinge an sich selbst, so entspringt kein Widerspruch, wenn man gleich beide Arten von Kausalität annimmt, oder zugibt, so schwer oder unmöglich es auch sein möchte, die von der letzteren Art begreiflich zu machen.

      In der Erscheinung ist jede Wirkung eine Begebenheit oder etwas, das in der Zeit geschieht; vor ihr muß, nach dem allgemeinen Naturgesetze, eine Bestimmung der Kausalität ihrer Ursache (ein Zustand derselben) vorhergehen, worauf sie nach einem beständigen Gesetze folgt. Aber diese Bestimmung der Ursache zur Kausalität muß auch etwas sein,  w a s  sich ereugnet oder  g e s c h i e h t;  die Ursache muß  a n g e f a n g e n  haben zu  h a n d e l n,  denn sonst ließe sich zwischen ihr und der Wirkung keine Zeitfolge denken. Die Wirkung wäre immer gewesen, sowie die Kausalität der Ursache. Also muß unter Erscheinungen die  B e s t i m m u n g  der Ursache  z u m  W i r k e n  auch entstanden, und mithin ebenso wohl als ihre Wirkung eine Begebenheit sein, die wiederum ihre Ursache haben muß, u. s. w. und folglich Naturnotwendigkeit [152] die Bedingung sein, nach welcher die wirkende Ursachen bestimmt werden. Soll dagegen Freiheit eine Eigenschaft gewisser Ursachen der Erscheinungen sein, so muß sie, respective auf die letzteren, als Begebenheiten, ein Vermögen sein, sie  v o n  s e l b s t  (sponte) anzufangen, d. i. ohne daß die Kausalität der Ursache selbst anfangen dürfte, und daher keines andern ihren Anfang bestimmenden Grundes benötiget wäre. Alsdenn aber müßte  d i e  U r s a c h e,  ihrer Kausalität nach, nicht unter Zeitbestimmungen ihres Zustandes stehen, d. i. gar  n i c h t  E r s c h e i n u n g  sein, d. i. sie müßte als ein Ding an sich selbst, die  W i r k u n g e n  aber allein als  E r s c h e i n u n g e n  angenommen werden 7). Kann man einen solchen Einfluß der Verstan[153]deswesen auf Erscheinungen ohne Widerspruch denken, so wird zwar aller Verknüpfung der Ursache und Wirkung in der Sinnenwelt Naturnotwendigkeit anhangen, dagegen doch derjenigen Ursache, die selbst keine Erscheinung ist (obzwar ihr zum Grunde liegt), Freiheit zugestanden, Natur also und Freiheit eben demselben Dinge, aber in verschiedener Beziehung, einmal als Erscheinung, das andre Mal als einem Dinge an sich selbst ohne Widerspruch beigelegt werden können.

      Wir haben in uns ein Vermögen, welches nicht bloß mit seinen subjektiv bestimmenden Gründen, welche die Naturursachen seiner Handlungen sind, in Verknüpfung steht, und sofern das Vermögen eines Wesens ist, das selbst zu den Erscheinungen gehört, sondern auch auf objektive Gründe, die bloß Ideen sind, bezogen wird, sofern sie dieses Vermögen bestimmen können, welche Verknüpfung durch  S o l l e n  ausgedrückt wird. Dieses Vermögen heißt  V e r n u n f t,  und sofern wir ein Wesen (den Menschen) lediglich nach dieser objektiv bestimmbaren Vernunft betrachten, kann es nicht als ein Sinnenwesen betrachtet werden, sondern die gedachte Eigenschaft ist die Eigenschaft eines Dinges an sich selbst, deren Möglichkeit, wie nämlich das  S o l l e n,  was doch noch nie geschehen ist, die Tätigkeit desselben bestimme, und Ursache von Handlungen sein könne, deren Wirkung Erscheinung in der Sinnenwelt ist, wir gar nicht begreifen können. Indessen würde doch die Kausalität der Ver[154]nunft in Ansehung der Wirkungen in der Sinnenwelt Freiheit sein, sofern  o b j e k t i v e  G r ü n d e,  die selbst Ideen sind, in Ansehung ihrer als bestimmend angesehen werden. Denn ihre Handlung hinge alsdann nicht an subjektiven, mithin auch keinen Zeitbedingungen und also auch nicht vom Naturgesetze ab, das diese zu bestimmen dient, weil Gründe der Vernunft allgemein, aus Prinzipien, ohne Einfluß der Umstände der Zeit oder des Orts, Handlungen die Regel geben.

      Was ich hier anführe, gilt nur als Beispiel zur Verständlichkeit und gehört nicht notwendig zu unserer Frage, welche, unabhängig von Eigenschaften, die wir in der wirklichen Welt antreffen, aus bloßen Begriffen entschieden werden muß.

      Nun kann ich ohne Widerspruch sagen: alle Handlungen vernünftiger Wesen, sofern sie Erscheinungen sind, (in irgend einer Erfahrung angetroffen werden) stehen unter der Naturnotwendigkeit; eben dieselbe Handlungen aber, bloß respective auf das vernünftige Subjekt und dessen Vermögen nach bloßer Vernunft zu handeln, sind frei. Denn was wird zur Naturnotwendigkeit erfodert? Nichts weiter als die Bestimmbarkeit jeder Begebenheit der Sinnenwelt nach beständigen Gesetzen, mithin eine Beziehung auf Ursache in der Erscheinung, wobei das Ding an sich selbst, was zum Grunde liegt, und dessen Kausalität unbekannt bleibt. Ich sage aber:  d a s  N a t u r g e s e t z  b l e i b t,  es mag nun das [155] vernünftige Wesen aus Vernunft, mithin durch Freiheit, Ursache der Wirkungen der Sinnenwelt sein, oder es mag diese auch nicht aus Vernunftgründen bestimmen. Denn, ist das erste, so geschieht die Handlung nach Maximen, deren Wirkung in der Erscheinung jederzeit beständigen Gesetzen gemäß sein wird: ist das zweite, und die Handlung geschieht nicht nach Prinzipien der Vernunft, so ist sie den empirischen Gesetzen der Sinnlichkeit unterworfen, und in beiden Fällen hängen die Wirkungen nach beständigen Gesetzen zusammen; mehr verlangen wir aber nicht zur Naturnotwendigkeit, ja mehr kennen wir an ihr auch nicht. Aber im ersten Falle ist Vernunft die Ursache dieser Naturgesetze, und ist also frei, im zweiten Falle laufen die Wirkungen nach bloßen Naturgesetzen der Sinnlichkeit, darum, weil die Vernunft keinen Einfluß auf sie ausübt: sie, die Vernunft, wird aber darum nicht selbst durch die Sinnlichkeit bestimmt, (welches unmöglich ist) und ist daher auch in diesem Falle frei. Die Freiheit hindert also nicht das Naturgesetz der Erscheinungen, so wenig wie dieses der Freiheit des praktischen Vernunftgebrauchs, der mit Dingen an sich selbst, als bestimmenden Gründen, in Verbindung steht, Abbruch tut.

      Hiedurch wird also die praktische Freiheit, nämlich diejenige, in welcher die Vernunft nach objektiv-bestimmenden Gründen Kausalität hat, gerettet, ohne daß [156] der Naturnotwendigkeit in Ansehung eben derselben Wirkungen als Erscheinungen, der mindeste Eintrag geschieht. Eben dieses kann auch zur Erläuterung desjenigen, was wir wegen der transzendentalen Freiheit und deren Vereinbarung mit Naturnotwendigkeit (in demselben Subjekte, aber nicht in einer und derselben Beziehung genommen) zu sagen hatten, dienlich sein. Denn was diese betrifft, so ist ein jeder Anfang der Handlung eines Wesens aus objektiven Ursachen, respective auf diese bestimmende Gründe, immer ein  e r s t e r  A n f a n g,  obgleich dieselbe Handlung in der Reihe der Erscheinungen nur ein  s u b a l t e r n e r  A n f a n g  ist, vor welchem ein Zustand der Ursache vorhergehen muß, der sie bestimmt und selbst ebenso von einer noch vorhergehenden bestimmt wird: so daß man sich an vernünftigen Wesen, oder überhaupt an Wesen, sofern ihre Kausalität in ihnen als Dingen an sich selbst bestimmt wird, ohne in Widerspruch mit Naturgesetzen zu geraten, ein Vermögen denken kann, eine Reihe von Zuständen von selbst anzufangen. Denn das Verhältnis der Handlung zu objektiven Vernunftgründen ist kein Zeitverhältnis: hier geht das, was die Kausalität bestimmt, nicht der Zeit nach vor der Handlung vorher, weil solche bestimmende Gründe nicht Beziehung der Gegenstände auf Sinne, mithin nicht auf Ursachen in der Erscheinung, sondern bestimmende Ursachen, als Dinge an sich selbst, die nicht unter Zeitbedingungen stehen, vorstellen. So kann die Handlung in [157] Ansehung der Kausalität der Vernunft als ein erster Anfang, in Ansehung der Reihe der Erscheinungen, aber doch zugleich als ein bloß subordinierter Anfang angesehen, und ohne Widerspruch in jenem Betracht als frei, in diesem (da sie bloß Erscheinung ist) als der Naturnotwendigkeit unterworfen, angesehen werden.

      Was die  v i e r t e  Antinomie betrifft, so wird sie auf ähnliche Art gehoben, wie der Widerstreit der Vernunft mit sich selbst in der dritten. Denn, wenn die  U r s a c h e  i n  d e r  E r s c h e i n u n g,  nur von der  U r s a c h e  d e r  E r s c h e i n u n g e n,  sofern sie als  D i n g  a n  s i c h  s e l b s t  gedacht werden kann, unterschieden wird, so können beide Sätze wohl nebeneinander bestehen, nämlich, daß von der Sinnenwelt überall keine Ursache (nach ähnlichen Gesetzen der Kausalität) stattfinde, deren Existenz schlechthin notwendig sei, imgleichen andererseits, daß diese Welt dennoch mit einem notwendigen Wesen als ihrer Ursache (aber von anderer Art und nach einem andern Gesetze) verbunden sei; welcher zween Sätze Unverträglichkeit lediglich auf dem Mißverstande beruht, das, was bloß von Erscheinungen gilt, über Dinge an sich selbst auszudehnen, und überhaupt beide in einem Begriffe zu vermengen.


§ 54

      Dies ist nun die Aufstellung und Auflösung der ganzen Antinomie, darin sich die Vernunft bei der An[158]wendung ihrer Prinzipien auf die Sinnenwelt verwickelt findet, und wovon auch jene (die bloße Aufstellung) sogar allein schon ein beträchtliches Verdienst um die Kenntnis der menschlichen Vernunft sein würde, wenngleich die Auflösung dieses Widerstreits den Leser, der hier einen natürlichen Schein zu bekämpfen hat, welcher ihm nur neuerlich als ein solcher vorgestellet worden, nachdem er ihn bisher immer vor wahr gehalten, noch nicht völlig befriedigt haben sollte. Denn eine Folge hievon ist doch unausbleiblich, nämlich daß, weil es ganz unmöglich ist, aus diesem Widerstreit der Vernunft mit sich selbst herauszukommen, solange man die Gegenstände der Sinnenwelt vor Sachen an sich selbst nimmt, und nicht vor das, was sie in der Tat sind, nämlich bloße Erscheinungen, der Leser dadurch genötigt werde, die Deduktion aller unsrer Erkenntnis a priori und die Prüfung derjenigen, die ich davon gegeben habe, nochmals vorzunehmen, um darüber zur Entscheidung zu kommen. Mehr verlange ich jetzt nicht; denn wenn er sich bei dieser Beschäftigung nur allererst tief gnug in die Natur der reinen Vernunft hineingedacht hat, so werden die Begriffe, durch welche die Auflösung des Widerstreits der Vernunft allein möglich ist, ihm schon geläufig sein, ohne welchen Umstand ich selbst von dem aufmerksamsten Leser völligen Beifall nicht erwarten kann.


[159]

§ 55

III. Theologische Idee.
(Kritik S. 571 u. f.)


      Die dritte transzendentale Idee, die zu dem allerwichtigsten, aber, wenn er bloß spekulativ betrieben wird, überschwenglichen (transzendenten) und eben dadurch dialektischen Gebrauch der Vernunft Stoff gibt, ist das Ideal der reinen Vernunft. Da die Vernunft hier nicht, wie bei der psychologischen und kosmologischen Idee, von der Erfahrung anhebt, und durch Steigerung der Gründe, wo möglich, zur absoluten Vollständigkeit ihrer Reihe zu trachten verleitet wird, sondern gänzlich abbricht, und aus bloßen Begriffen von dem, was die absolute Vollständigkeit eines Dinges überhaupt ausmachen würde, mithin vermittelst der Idee eines höchst vollkommnen Urwesens zur Bestimmung der Möglichkeit, mithin auch der Wirklichkeit aller andern Dinge herabgeht, so ist hier die bloße Voraussetzung eines Wesens, welches, obzwar nicht in der Erfahrungsreihe, dennoch zum Behuf der Erfahrung, um der Begreiflichkeit der Verknüpfung, Ordnung und Einheit der letzteren willen gedacht wird, d. i. die  I d e e  von dem Verstandesbegriffe leichter wie in den vorigen Fällen zu unterscheiden. Daher konnte hier der dialektische Schein, welcher daraus entspringt, daß wir die subjektive Bedingungen unseres Denkens vor objektive Bedingungen der Sachen selbst und eine notwendige Hypothese zur Befriedigung unserer Vernunft vor ein Dogma halten, leicht vor Augen gestellt [160] werden, und ich habe daher nichts weiter über die Anmaßungen der transzendentalen Theologie zu erinnern, da das, was die Kritik hierüber sagt, faßlich, einleuchtend und entscheidend ist.


§ 56

Allgemeine Anmerkung
zu den transzendentalen Ideen


      Die Gegenstände, welche uns durch Erfahrung gegeben werden, sind uns in vielerlei Absicht unbegreiflich, und es können viele Fragen, auf die uns das Naturgesetz führt, wenn sie bis zu einer gewissen Höhe, aber immer diesen Gesetzen gemäß getrieben werden, gar nicht aufgelöset werden, z. B. woher Materien einander anziehen. Allein, wenn wir die Natur ganz und gar verlassen oder im Fortgange ihrer Verknüpfung alle mögliche Erfahrung übersteigen, mithin uns in bloße Ideen vertiefen, alsdenn können wir nicht sagen, daß uns der Gegenstand unbegreiflich sei, und die Natur der Dinge uns unauflösliche Aufgaben vorlege; denn wir haben es alsdenn gar nicht mit der Natur oder überhaupt mit gegebenen Objekten, sondern bloß mit Begriffen zu tun, die in unserer Vernunft lediglich ihren Ursprung haben, und mit bloßen Gedanken-Wesen, in Ansehung deren alle Aufgaben, die aus dem Begriffe derselben entspringen, [161] müssen aufgelöset werden können, weil die Vernunft von ihrem eigenen Verfahren allerdings vollständige Rechenschaft geben kann und muß 8). Da die psychologische, kosmologische und theologische Ideen lauter reine Vernunftbegriffe sind, die in keiner Erfahrung gegeben werden können, so sind uns die Fragen, die uns die Vernunft in Ansehung ihrer vorlegt, nicht durch die Gegenstände, sondern durch bloße Maximen der Vernunft um ihrer Selbstbefriedigung willen aufgegeben, und müssen insgesamt hinreichend beantwortet werden können, welches auch dadurch geschieht, daß man zeigt, daß sie Grundsätze sind, unsern Verstandesgebrauch zur durchgängigen Einhelligkeit, Vollständigkeit und synthetischen Einheit zu bringen, und sofern bloß von der Erfahrung, aber im  G a n z e n  derselben gelten. Obgleich aber ein absolutes Ganze der Erfahrung unmöglich ist, so ist doch [162] die Idee eines Ganzen der Erkenntnis nach Prinzipien überhaupt dasjenige, was ihr allein eine besondere Art der Einheit, nämlich die von einem System, verschaffen kann, ohne die unser Erkenntnis nichts als Stückwerk ist; und zum höchsten Zwecke (der immer nur das System aller Zwecke ist,) nicht gebraucht werden kann; ich verstehe aber hier nicht bloß den praktischen, sondern auch den höchsten Zweck des spekulativen Gebrauchs der Vernunft.

      Die transzendentale Ideen drücken also die eigentümliche Bestimmung der Vernunft aus, nämlich als eines Prinzips der systematischen Einheit des Verstandesgebrauchs. Wenn man aber diese Einheit der Erkenntnisart davor ansieht, als ob sie dem Objekte der Erkenntnis anhänge, wenn man sie, die eigentlich bloß  r e g u l a t i v  ist, vor  k o n s t i t u t i v  hält, und sich überredet, man könne vermittelst dieser Ideen seine Kenntnis weit über alle mögliche Erfahrung, mithin auf transzendente Art erweitern, da sie doch bloß dazu dient, Erfahrung in ihr selbst der Vollständigkeit so nahe wie möglich zu bringen, d. i. ihren Fortgang durch nichts einzuschränken, was zur Erfahrung nicht gehören kann, so ist dieses ein bloßer Mißverstand in Beurteilung der eigentlichen Bestimmung unserer Vernunft und ihrer Grundsätze, und eine Dialektik, die teils den Erfahrungsgebrauch der Vernunft verwirrt, teils die Vernunft mit sich selbst entzweiet.


[163]

Beschluß
Von der Grenzbestimmung der reinen
Vernunft


§ 57


      Nach den allerkläresten Beweisen, die wir oben gegeben haben, würde es Ungereimtheit sein, wenn wir von irgend einem Gegenstande mehr zu erkennen hoffeten, als zur möglichen Erfahrung desselben gehört, oder auch von irgend einem Dinge, wovon wir annehmen, es sei nicht ein Gegenstand möglicher Erfahrung, nur auf das mindeste Erkenntnis Anspruch machten, es nach seiner Beschaffenheit, wie es an sich selbst ist, zu bestimmen; denn wodurch wollen wir diese Bestimmung verrichten, da Zeit, Raum, und alle Verstandesbegriffe, vielmehr aber noch die durch empirische Anschauung, oder  W a h r n e h m u n g  in der Sinnenwelt gezogene Begriffe keinen andern Gebrauch haben, noch haben können, als bloß Erfahrung möglich zu machen, und lassen wir selbst von den reinen Verstandesbegriffen diese Bedingung weg, sie alsdenn ganz und gar kein Objekt bestimmen und überall keine Bedeutung haben.

      Es würde aber andererseits eine noch größere Ungereimtheit sein, wenn wir gar keine Dinge an sich selbst einräumen, oder unsere Erfahrung vor die einzig mögliche Erkenntnisart der Dinge, mithin unsre Anschauung in Raum und Zeit vor die allein mögliche An[164]schauung, unsern diskursiven Verstand aber vor das Urbild von jedem möglichen Verstande ausgeben wollten, mithin Prinzipien der Möglichkeit der Erfahrung vor allgemeine, Bedingungen der Dinge an sich selbst wollten gehalten wissen.

      Unsere Prinzipien, welche den Gebrauch der Vernunft bloß auf mögliche Erfahrung einschränken, könnten demnach selbst  t r a n s z e n d e n t  werden, und die Schranken unserer Vernunft vor Schranken der Möglichkeit der Dinge selbst ausgeben, wie davon  H u m e s  Dialogen zum Beispiel dienen können, wenn nicht eine sorgfältige Kritik die Grenzen unserer Vernunft auch in Ansehung ihres empirischen Gebrauchs bewachte, und ihren Anmaßungen ihr Ziel setzte. Der Skeptizism ist uranfänglich aus der Metaphysik und ihrer polizeilosen Dialektik entsprungen. Anfangs mochte er wohl bloß zugunsten des Erfahrungsgebrauchs der Vernunft alles, was diesen übersteigt, vor nichtig und betrüglich ausgeben, nach und nach aber, da man inne ward, daß es doch eben dieselbe Grundsätze a priori sind, deren man sich bei der Erfahrung bedient, die unvermerkt, und, wie es schien, mit eben demselben Rechte noch weiter führeten, als Erfahrung reicht, so fing man an, selbst in Erfahrungsgrundsätze einen Zweifel zu setzen. Hiemit hat es nun wohl keine Not; denn der gesunde Verstand wird hierin wohl jederzeit seine Rechte behaupten, allein es entsprang doch eine besondere Verwirrung in der Wissenschaft, die nicht bestimmen [165] kann, wie weit und warum nur bis dahin und nicht weiter der Vernunft zu trauen sei, dieser Verwirrung aber kann nur durch förmliche und aus Grundsätzen gezogene Grenzbestimmung unseres Vernunftgebrauchs abgeholfen und allem Rückfall auf künftige Zeit vorgebeugt werden.

      Es ist wahr: wir können über alle mögliche Erfahrung hinaus von dem, was Dinge an sich selbst sein mögen, keinen bestimmten Begriff geben. Wir sind aber dennoch nicht frei vor der Nachfrage nach diesen, uns gänzlich derselben zu enthalten; denn Erfahrung tut der Vernunft niemals völlig Gnüge; sie weiset uns in Beantwortung der Fragen immer weiter zurück, und läßt uns in Ansehung des völligen Aufschlusses derselben unbefriedigt, wie jedermann dieses aus der Dialektik der reinen Vernunft, die eben darum ihren guten subjektiven Grund hat, hinreichend ersehen kann. Wer kann es wohl ertragen, daß wir von der Natur unserer Seele bis zum klaren Bewußtsein des Subjekts und zugleich der Überzeugung gelangen, daß seine Erscheinungen nicht  m a t e r i a l i s t i s c h  können erklärt werden, ohne zu fragen, was denn die Seele eigentlich sei, und, wenn kein Erfahrungsbegriff hiezu zureicht, allenfalls einen Vernunftbegriff (eines einfachen immateriellen Wesens) bloß zu diesem Behuf anzunehmen, ob wir gleich seine objektive Realität garnicht dartun können? Wer kann sich bei der bloßen Erfahrungserkenntnis in allen kosmologischen Fragen, von der Weltdauer und Größe, der Freiheit [166] oder Naturnotwendigkeit, befriedigen, da, wir mögen es anfangen, wie wir wollen, eine jede nach Erfahrungsgrundgesetzen gegebene Antwort immer eine neue Frage gebiert, die ebenso wohl beantwortet sein will, und dadurch die Unzulänglichkeit aller physischen Erklärungsarten zur Befriedigung der Vernunft deutlich dartut? Endlich, wer sieht nicht bei der durchgängigen Zufälligkeit und Abhängigkeit alles dessen, was er nur nach Erfahrungsprinzipien denken und annehmen mag, die Unmöglichkeit, bei diesen stehen zu bleiben, und fühlt sich nicht notgedrungen, unerachtet alles Verbots, sich nicht in transzendente Ideen zu verlieren, dennoch über alle Begriffe, die er durch Erfahrung rechtfertigen kann, noch in dem Begriffe eines Wesens Ruhe und Befriedigung zu suchen, davon die Idee zwar an sich selbst der Möglichkeit nach nicht eingesehen, obgleich auch nicht widerlegt werden kann, weil sie ein bloßes Verstandeswesen betrifft, ohne die aber die Vernunft auf immer unbefriedigt bleiben müßte.

      Grenzen (bei ausgedehnten Wesen) setzen immer einen Raum voraus, der außerhalb einem gewissen bestimmten Platze angetroffen wird, und ihn einschließt; Schranken bedürfen dergleichen nicht, sondern sind bloße Verneinungen, die eine Größe affizieren, sofern sie nicht absolute Vollständigkeit hat. Unsre Vernunft aber sieht gleichsam um sich einen Raum vor die Erkenntnis der Dinge an sich selbst, ob sie gleich von ihnen niemals bestimm[167]te Begriffe haben kann, und nur auf Erscheinungen eingeschränkt ist.

      Solange die Erkenntnis der Vernunft gleichartig ist, lassen sich von ihr keine bestimmte Grenzen denken. In der Mathematik und Naturwissenschaft erkennt die menschliche Vernunft zwar Schranken, aber keine Grenzen, d. i. zwar, daß etwas außer ihr liege, wohin sie niemals gelangen kann, aber nicht, daß sie selbst in ihrem innern Fortgange irgendwo vollendet sein werde. Die Erweiterung der Einsichten in der Mathematik und die Möglichkeit immer neuer Erfindungen geht ins Unendliche; ebenso die Entdeckung neuer Natureigenschaften, neuer Kräfte und Gesetze durch fortgesetzte Erfahrung und Vereinigung derselben durch die Vernunft. Aber Schranken sind hier gleichwohl nicht zu verkennen, denn Mathematik geht nur auf  E r s c h e i n u n g e n,  und was nicht ein Gegenstand der sinnlichen Anschauung sein kann, als die Begriffe der Metaphysik und Moral, das liegt ganz außerhalb ihrer Sphäre, und dahin kann sie niemals führen; sie bedarf aber derselben auch gar nicht. Es ist also kein kontinuierlicher Fortgang und Annäherung zu diesen Wissenschaften, und gleichsam ein Punkt oder Linie der Berührung. Naturwissenschaft wird uns niemals das Innere der Dinge, d. i. dasjenige, was nicht Erscheinung ist, aber doch zum obersten Erklärungsgrunde der Erscheinungen dienen kann, entdecken; aber sie braucht dieses auch nicht zu ihren physischen Erklärungen; ja, wenn ihr auch [168] dergleichen anderweitig angeboten würde, (z. B. Einfluß immaterieller Wesen) so soll sie es doch ausschlagen und gar nicht in den Fortgang ihrer Erklärungen bringen, sondern diese jederzeit nur auf das gründen, was als Gegenstand der Sinne zu Erfahrung gehören und mit unsern wirklichen Wahrnehmungen nach Erfahrungsgesetzen in Zusammenhang gebracht werden kann.

      Allein Metaphysik führet uns in den dialektischen Versuchen der reinen Vernunft (die nicht willkürlich, oder mutwilliger Weise angefangen werden, sondern dazu die Natur der Vernunft selbst treibt) auf Grenzen, und die transzendentale Ideen, eben dadurch, daß man ihrer nicht Umgang haben kann, daß sie sich gleichwohl niemals wollen realisieren lassen, dienen dazu, nicht allein uns wirklich die Grenzen des reinen Vernunftgebrauchs zu zeigen, sondern auch die Art, solche zu bestimmen, und das ist auch der Zweck und Nutzen dieser Naturanlage unserer Vernunft, welche Metaphysik, als ihr Lieblingskind, ausgeboren hat, dessen Erzeugung, sowie jede andere in der Welt, nicht dem ungefähren Zufalle, sondern einem ursprünglichen Keime zuzuschreiben ist, welcher zu großen Zwecken weislich organisiert ist. Denn Metaphysik ist vielleicht mehr, wie irgend eine andere Wissenschaft, durch die Natur selbst ihren Grundzügen nach in uns gelegt, und kann gar nicht als das Produkt einer beliebigen Wahl oder als zufällige Erweiterung beim Fortgange [169] der Erfahrungen (von denen sie sich gänzlich abtrennt,) angesehen werden.

      Die Vernunft, durch alle ihre Begriffe und Gesetze des Verstandes, die ihr zum empirischen Gebrauche, mithin innerhalb der Sinnenwelt, hinreichend sind, findet doch von sich dabei keine Befriedigung; denn durch ins Unendliche immer wiederkommende Fragen wird ihr alle Hoffnung zur vollendeten Auflösung derselben benommen. Die transzendentale Ideen, welche diese Vollendung zur Absicht haben, sind solche Probleme der Vernunft. Nun sieht sie klärlich: daß die Sinnenwelt diese Vollendung nicht enthalten könne, mithin ebensowenig auch alle jene Begriffe, die lediglich zum Verständnisse derselben dienen: Raum und Zeit, und alles, was wir unter dem Namen der reinen Verstandesbegriffe angeführt haben. Die Sinnenwelt ist nichts als eine Kette nach allgemeinen Gesetzen verknüpfter Erscheinungen, sie hat also kein Bestehen vor sich, sie ist eigentlich nicht das Ding an sich selbst, und bezieht sich also notwendig auf das, was den Grund dieser Erscheinung enthält, auf Wesen, die nicht bloß als Erscheinung, sondern als Dinge an sich selbst erkannt werden können. In der Erkenntnis derselben kann Vernunft allein hoffen, ihr Verlangen nach Vollständigkeit im Fortgange vom Bedingten zu dessen Bedingungen einmal befriedigt zu sehen.

      Oben (§ 33, 34) haben wir Schranken der Vernunft in Ansehung aller Erkenntnis bloßer Gedankenwesen [170] angezeigt, jetzt, da uns die transzendentale Ideen dennoch den Fortgang bis zu ihnen notwendig machen, und uns also gleichsam bis zur Berührung des vollen Raumes (der Erfahrung) mit dem leeren, (wovon wir nichts wissen können, den Noumenis) geführt haben, können wir auch die Grenzen der reinen Vernunft bestimmen; denn in allen Grenzen ist auch etwas Positives, (z. B. Fläche ist die Grenze des körperlichen Raumes, indessen doch selbst ein Raum, Linie ein Raum, der die Grenze der Fläche ist, Punkt die Grenze der Linie, aber doch noch immer ein Ort im Raume,) dahingegen Schranken bloße Negationen enthalten. Die im angeführten §ph angezeigte Schranken sind noch nicht genug, nachdem wir gefunden haben, daß noch über dieselbe etwas (ob wir es gleich, was es an sich selbst sei, niemals erkennen werden,) hinausliege. Denn nun frägt sich, wie verhält sich unsere Vernunft bei dieser Verknüpfung dessen, was wir kennen, mit dem, was wir nicht kennen, und auch niemals kennen werden? Hier ist eine wirkliche Verknüpfung des Bekannten mit einem völlig Unbekannten, (was es auch jederzeit bleiben wird) und, wenn dabei das Unbekannte auch nicht im mindesten bekannter werden sollte - wie denn das in der Tat auch nicht zu hoffen ist - so muß doch der Begriff von dieser Verknüpfung bestimmt, und zur Deutlichkeit gebracht werden können.

      Wir sollen uns denn also ein immaterielles Wesen, eine Verstandeswelt, und ein höchstes aller Wesen (lauter [171] Noumena) denken, weil die Vernunft nur in diesen, als Dingen an sich selbst, Vollendung und Befriedigung antrifft, die sie in der Ableitung der Erscheinungen aus ihren gleichartigen Gründen niemals hoffen kann, und weil diese sich wirklich auf etwas von ihnen Unterschiedenes (mithin gänzlich Ungleichartiges) beziehen, indem Erscheinungen doch jederzeit eine Sache an sich selbst voraussetzen, und also darauf Anzeige tun, man mag sie nun näher erkennen oder nicht.

      Da wir nun aber diese Verstandeswesen, nach dem, was sie an sich selbst sein mögen, d. i. bestimmt, niemals erkennen können, gleichwohl aber solche im Verhältnis auf die Sinnenwelt dennoch annehmen, und durch die Vernunft damit verknüpfen müssen, so werden wir doch wenigstens diese Verknüpfung vermittelst solcher Begriffe denken können, die ihr Verhältnis zur Sinnenwelt ausdrücken. Denn, denken wir das Verstandeswesen durch nichts als reine Verstandesbegriffe, so denken wir uns dadurch wirklich nichts Bestimmtes, mithin ist unser Begriff ohne Bedeutung: denken wir es uns durch Eigenschaften, die von der Sinnenwelt entlehnt sind, so ist es nicht mehr Verstandeswesen, es wird als eines von den Phänomenen gedacht und gehört zur Sinnenwelt. Wir wollen ein Beispiel vom Begriffe des höchsten Wesens hernehmen.

      Der  d e i s t i s c h e  Begriff ist ein ganz reiner Vernunftbegriff, welcher aber nur ein Ding, das alle Realität [172] enthält, vorstellt, ohne deren eine einzige bestimmen zu können, weil dazu das Beispiel aus der Sinnenwelt entlehnt werden müßte, in welchem Falle ich es immer nur mit einem Gegenstande der Sinne, nicht aber mit etwas ganz Ungleichartigem, was gar nicht ein Gegenstand der Sinne sein kann, zu tun haben würde. Denn ich würde ihm z. B. Verstand beilegen; ich habe aber gar keinen Begriff von einem Verstande, als dem, der so ist, wie der meinige, nämlich ein solcher, dem durch Sinne Anschauungen müssen gegeben werden, und der sich damit beschäftigt, sie untern Regeln der Einheit des Bewußtseins zu bringen. Aber alsdenn würden die Elemente meines Begriffs immer in der Erscheinung liegen; ich wurde aber eben durch die Unzulänglichkeit der Erscheinungen genötigt, über dieselbe hinaus, zum Begriffe eines Wesens zu gehen, was gar nicht von Erscheinungen abhängig, oder damit, als Bedingungen seiner Bestimmung, verflochten ist. Sondere ich aber den Verstand von der Sinnlichkeit ab, um einen reinen Verstand zu haben, so bleibt nichts als die bloße Form des Denkens ohne Anschauung übrig, wodurch allein ich nichts Bestimmtes, also keinen Gegenstand erkennen kann. Ich müßte mir zu dem Ende einen andern Verstand denken, der die Gegenstände anschauete, wovon ich aber nicht den mindesten Begriff habe, weil der menschliche diskursiv ist, und nur durch allgemeine Begriffe erkennen kann. Eben das widerfährt mir auch, wenn ich dem höchsten Wesen einen [173] Willen beilege: Denn ich habe diesen Begriff nur, indem ich ihn aus meiner innern Erfahrung ziehe, dabei aber meiner Abhängigkeit der Zufriedenheit von Gegenständen, deren Existenz wir bedürfen, und also Sinnlichkeit zum Grunde liegt, welches dem reinen Begriffe des höchsten Wesens gänzlich widerspricht.

      Die Einwürfe des Hume wider den Deismus sind schwach, und treffen niemals etwas mehr als die Beweistümer, niemals aber den Satz der deistischen Behauptung selbst. Aber in Ansehung des Theismus, der durch eine nähere Bestimmung unseres dort bloß transzendenten Begriffs vom höchsten Wesen zu Stande kommen soll, sind sie sehr stark, und, nachdem man diesen Begriff einrichtet, in gewissen (in der Tat, allen gewöhnlichen) Fällen unwiderleglich. Hume hält sich immer daran: daß durch den bloßen Begriff eines Urwesens, dem wir keine andere als ontologische Prädikate (Ewigkeit, Allgegenwart, Allmacht) beilegen, wir wirklich gar nichts Bestimmtes denken, sondern es müßten Eigenschaften hinzukommen, die einen Begriff in concreto abgeben können: es sei nicht genug, zu sagen: er sei Ursache, sondern wie seine Kausalität beschaffen sei, etwa durch Verstand und Willen; und da fangen seine Angriffe der Sache selbst nämlich des Theismus an, da er vorher nur die Beweisgründe des Deismus gestürmt hatte, welches keine sonderliche Gefahr nach sich ziehet. Seine gefährlichen Argumente beziehen sich insgesamt auf den Anthropomorphismus, [174] von dem er davor hält, er sei von dem Theism unabtrennlich, und mache ihn in sich selbst widersprechend, ließe man ihn aber weg, so fiele dieser hiemit auch, und es bliebe nichts als ein Deism übrig, aus dem man nichts machen, der uns zu nichts nützen und zu gar keinen Fundamenten der Religion und Sitten dienen kann. Wenn diese Unvermeidlichkeit des Anthropomorphismus gewiß wäre, so möchten die Beweise vom Dasein eines höchsten Wesens sein, welche sie wollen, und alle eingeräumt werden, der Begriff von diesem Wesen würde doch niemals von uns bestimmt werden können, ohne uns in Widersprüche zu verwickeln.

      Wenn wir mit dem Verbot, alle transzendente Urteile der reinen Vernunft zu vermeiden, das damit dem Anschein nach streitende Gebot, bis zu Begriffen, die außerhalb dem Felde des immanenten (empirischen) Gebrauchs liegen, hinauszugehen, verknüpfen, so werden wir inne, daß beide zusammenbestehen können, aber nur gerade auf der  G r e n z e  alles erlaubten Vernunftgebrauchs; denn diese gehöret ebenso wohl zum Felde der Erfahrung, als dem der Gedankenwesen, und wir werden dadurch zugleich belehrt, wie jene so merkwürdige Ideen lediglich zur Grenzbestimmung der menschlichen Vernunft dienen, nämlich, einerseits Erfahrungserkenntnis nicht unbegrenzt auszudehnen, so daß gar nichts mehr als bloß Welt von uns zu erkennen übrig bliebe, und andererseits dennoch nicht über die Grenze der Erfahrung hin[175]aus zugehen, und von Dingen außerhalb derselben, als Dingen an sich selbst, urteilen zu wollen.

      Wir halten uns aber auf dieser Grenze, wenn wir unser Urteil bloß auf das Verhältnis einschränken, welches die Welt zu einem Wesen haben mag, dessen Begriff selbst außer aller Erkenntnis liegt, deren wir innerhalb der Welt fähig sein. Denn alsdenn eignen wir dem höchsten Wesen keine von den Eigenschaften  a n  s i c h  s e l b s t  zu, durch die wir uns Gegenstände der Erfahrung denken, und vermeiden dadurch den  d o g m a t i s c h e n  Anthropomorphismus, wir legen sie aber dennoch dem Verhältnisse desselben zur Welt bei, und erlauben uns einen  s y m b o l i s c h e n  Anthropomorphism, der in der Tat nur die Sprache und nicht das Objekt selbst angeht.

      Wenn ich sage, wir sind genötigt, die Welt so anzusehen,  a l s  o b  sie das Werk eines höchsten Verstandes und Willens sei, so sage ich wirklich nichts mehr, als: wie sich verhält eine Uhr, ein Schiff, ein Regiment, zum Künstler, Baumeister, Befehlshaber, so die Sinnenwelt (oder alles das, was die Grundlage dieses Inbegriffs von Erscheinungen ausmacht) zu dem Unbekannten, das ich also hiedurch zwar nicht nach dem, was es an sich selbst ist, aber doch nach dem, was es vor mich ist, nämlich in Ansehung der Welt, davon ich ein Teil bin, erkenne.


[176]

§ 58

      Eine solche Erkenntnis ist die  n a c h  d e r  A n a l o g i e,  welche nicht etwa, wie man das Wort gemeiniglich nimmt, eine unvollkommene Ähnlichkeit zweener Dinge, sondern eine vollkommne Ähnlichkeit zweener Verhältnisse zwischen ganz unähnlichen Dingen bedeutet 9). Vermittelst dieser Analogie bleibt doch ein  v o r  u n s  hinlänglich bestimmter Begriff von dem höchsten Wesen übrig, ob wir gleich alles weggelassen haben, was ihn schlechthin und  a n  s i c h  s e l b s t  b e s t i m m e n  könnte; denn wir bestimmen ihn doch respectiv auf die Welt und mithin auf uns, und mehr ist uns auch nicht nötig. Die Angriffe, welche  H u m e  auf diejenigen tut, welche diesen Begriff absolut bestimmen wollen, indem sie die Materialien dazu von sich selbst und der Welt ent[177]lehnen, treffen uns nicht; auch kann er uns nicht vorwerfen, es bleibe uns gar nichts übrig, wenn man uns den objektiven Anthropomorphism von dem Begriffe des höchsten Wesens wegnähme.

      Denn wenn man uns nur anfangs (wie es auch Hume in der Person des Philo gegen den Kleanth in seinen Dialogen tut), als eine notwendige Hypothese, den  d e i s t i s c h e n  Begriff des Urwesens einräumt, in welchem man sich das Urwesen durch lauter ontologische Prädikate, der Substanz, Ursache etc. denkt, ( w e l c h e s  m a n  t u n  m u ß,  weil die Vernunft in der Sinnenwelt durch lauter Bedingungen, die immer wiederum bedingt sind, getrieben, ohne das gar keine Befriedigung haben kann und  w e l c h e s  m a n  a u c h  f ü g l i c h  t u n  k a n n,  ohne in den Anthropomorphism zu geraten, der Prädikate aus der Sinnenwelt auf ein von der Welt ganz unterschiedenes Wesen überträgt, indem jene Prädikate bloße Kategorien sind, die zwar keinen bestimmten, aber auch eben dadurch keinen auf Bedingungen der Sinnlichkeit eingeschränkten Begriff desselben geben): so kann uns nichts hindern, von diesem Wesen eine  K a u s a l i t ä t  d u r c h  V e r n u n f t  in Ansehung der Welt zu prädizieren, und so zum Theismus überzuschreiten, ohne eben genötigt zu sein, ihm diese Vernunft an ihm selbst, als eine ihm ankleben de Eigenschaft, beizulegen. Denn, was das  E r s t e  betrifft, so ist es der einzige mögliche Weg, den Gebrauch der Vernunft, in Ansehung aller möglichen Erfahrung, in der [178] Sinnenwelt durchgängig mit sich einstimmig auf den höchsten Grad zu treiben, wenn man selbst wiederum eine höchste Vernunft als eine Ursache aller Verknüpfungen in der Welt annimmt: ein solches Prinzip muß ihr durchgängig vorteilhaft sein, kann ihr aber nirgend in ihrem Naturgebrauche schaden.  Z w e i t e n s  aber wird dadurch doch die Vernunft nicht als Eigenschaft auf das Urwesen an sich selbst übertragen, sondern nur  a u f  d a s  V e r h ä l t n i s  desselben zur Sinnenwelt und also der Anthropomorphism gänzlich vermieden. Denn hier wird nur die  U r s a c h e  der Vernunftform betrachtet, die in der Welt allenthalben angetroffen wird, und dem höchsten Wesen, sofern es den Grund dieser Vernunftform der Welt enthält, zwar Vernunft beigelegt, aber nur nach der Analogie, d. i. sofern dieser Ausdruck nur das Verhältnis anzeigt, was die uns unbekannte oberste Ursache zur Welt hat, um darin alles im höchsten Grade vernunftmäßig zu bestimmen. Dadurch wird nun verhütet, daß wir uns der Eigenschaft der Vernunft nicht bedienen, um Gott, sondern um die Welt vermittelst derselben so zu denken, als es notwendig ist, um den größtmöglichen Vernunftgebrauch in Ansehung dieser nach einem Prinzip zu haben. Wir gestehen dadurch: daß uns das höchste Wesen nach demjenigen, was es an sich selbst sei, gänzlich unerforschlich und  a u f  b e s t i m m t e  W e i s e sogar undenkbar sei, und werden dadurch abgehalten, nach unseren Begriffen, die wir von der Vernunft als einer wirkenden [179] Ursache (vermittelst des Willens) haben, keinen transzendenten Gebrauch zu machen, um die göttliche Natur durch Eigenschaften, die doch immer nur von der menschlichen Natur entlehnt sind, zu bestimmen und uns in grobe oder schwärmerische Begriffe zu verlieren, andererseits aber auch nicht die Weltbetrachtung, nach unseren auf Gott übertragenden Begriffen von der menschlichen Vernunft, mit hyperphysischen Erklärungsarten zu überschwemmen und von ihrer eigentlichen Bestimmung abzubringen, nach der sie ein Studium der bloßen Natur durch die Vernunft und nicht eine vermessene Ableitung ihrer Erscheinungen von einer höchsten Vernunft sein soll. Der unseren schwachen Begriffen angemessene Ausdruck wird sein: daß wir uns die Welt so denken, ALS OB sie von einer höchsten Vernunft ihrem Dasein und inneren Bestimmung nach abstamme, wodurch wir teils die Beschaffenheit, die ihr, der Welt selbst zukommt, erkennen, ohne uns doch anzumaßen, die ihrer Ursache an sich selbst bestimmen zu wollen, teils andererseits  i n  d a s  V e r h ä l t n i s  der obersten Ursache zur Welt den Grund dieser Beschaffenheit (der Vernunftform in der Welt) legen, ohne die Welt dazu vor sich selbst zureichend zu finden 10).

      [180] Auf solche Weise verschwinden die Schwierigkeiten, die dem Theismus zu widerstehen scheinen, dadurch, daß man mit dem Grundsatze des HUME, den Gebrauch der Vernunft nicht über das Feld aller möglichen Erfahrung dogmatisch hinaus zu treiben, einen anderen Grundsatz verbindet, den Hume gänzlich übersah, nämlich: das Feld möglicher Erfahrung nicht vor dasjenige, was in den Augen unserer Vernunft sich selbst begrenzte, anzusehen. Kritik der Vernunft bezeichnet hier den wahren Mittelweg zwischen dem Dogmatism, den Hume bekämpfte, und dem Skeptizism, den er dagegen einführen wollte: einen Mittelweg, der nicht, wie andere Mittelwege, die man gleichsam mechanisch (etwas von einem, und etwas von dem andern) sich selbst zu bestimmen anrät, und wodurch kein Mensch eines Besseren belehrt wird, sondern einen solchen, den man nach Prinzipien genau bestimmen kann.


§ 59

      Ich habe mich zu Anfange dieser Anmerkung des Sinnbildes einer  G r e n z e  bedient, um die Schranken der Vernunft in Ansehung ihres ihr angemessenen Gebrauchs festzusetzen. Die Sinnenwelt enthält bloß Erscheinungen, die noch nicht Dinge an sich selbst sind, welche letztere (Noumena) also der Verstand, eben darum, [181] weil er die Gegenstände der Erfahrung vor bloße Erscheinungen erkennt, annehmen muß. In unserer Vernunft sind beide zusammen befaßt, und es frägt sich: wie verfährt Vernunft, den Verstand in Ansehung beider Feldern zu begrenzen? Erfahrung, welche alles, was zur Sinnenwelt gehört, enthält, begrenzt sich nicht selbst: sie gelangt von jedem Bedingten immer nur auf ein anderes Bedingte. Das, was sie begrenzen soll, muß gänzlich außer ihr liegen, und dieses ist das Feld der reinen Verstandeswesen. Dieses aber ist vor uns ein leerer Raum, sofern es auf die  B e s t i m m u n g  der Natur dieser Verstandeswesen ankommt, und sofern können wir, wenn es auf dogmatisch-bestimmte Begriffe angesehen ist, nicht über das Feld möglicher Erfahrung hinauskommen. Da aber eine Grenze selbst etwas Positives ist, welches sowohl zu dem gehört, was innerhalb derselben, als zum Raume, der außer einem gegebenen Inbegriff liegt, so ist es doch eine wirkliche positive Erkenntnis, deren die Vernunft bloß dadurch teilhaftig wird, daß sie sich bis zu dieser Grenze erweitert, so doch, daß sie nicht über diese Grenze hinaus zugehen versucht, weil sie daselbst einen leeren Raum vor sich findet, in welchem sie zwar Formen zu Dingen, aber keine Dinge selbst denken kann. Aber die  B e g r e n z u n g  des Erfahrungsfeldes durch etwas, was ihr sonst unbekannt ist, ist doch eine Erkenntnis, die der Vernunft in diesem Standpunkte noch übrig bleibt, dadurch sie nicht innerhalb der Sinnenwelt beschlossen, auch nicht [182] außer derselben schwärmend, sondern so, wie es einer Kenntnis der Grenze zukommt, sich bloß auf das Verhältnis desjenigen, was außerhalb derselben liegt, zu dem, was innerhalb enthalten ist, einschränkt.

      Die natürliche Theologie ist ein solcher Begriff auf der Grenze der menschlichen Vernunft, da sie sich genötigt sieht, zu der Idee eines höchsten Wesens (und, in praktischer Beziehung, auch auf die einer intelligibelen Welt) hinauszusehen, nicht, um in Ansehung dieses bloßen Verstandeswesens, mithin außerhalb der Sinnenwelt, etwas zu bestimmen, sondern nur um ihren eigenen Gebrauch innerhalb derselben nach Prinzipien der größtmöglichen (theoretischen sowohl als praktischen) Einheit zu leiten, und zu diesem Behuf sich der Beziehung derselben auf eine selbständige Vernunft, als der Ursache aller dieser Verknüpfungen, zu bedienen, hiedurch aber nicht etwa sich bloß ein Wesen zu  e r d i c h t e n,  sondern, da außer der Sinnenwelt notwendig etwas, was nur der reine Verstand denkt, anzutreffen sein muß, dieses nur auf solche Weise, obwohl freilich bloß nach der Analogie, zu  b e s t i m m e n.

      Auf solche Weise bleibt unser obiger Satz, der das Resultat der ganzen Kritik ist: «daß uns Vernunft durch alle ihre Prinzipien a priori niemals etwas mehr, als lediglich Gegenstände möglicher Erfahrung und auch von diesen nichts mehr, als was in der Erfahrung erkannt werden kann, lehre», aber diese Einschränkung hindert [183] nicht, daß sie uns nicht bis zur objektiven  G r e n z e  der Erfahrung, nämlich der  B e z i e h u n g  auf etwas, was selbst nicht Gegenstand der Erfahrung, aber doch der oberste Grund aller derselben sein muß, führe, ohne uns doch von demselben etwas an sich, sondern nur in Beziehung auf ihren eigenen vollständigen und auf die höchsten Zwecke gerichteten Gebrauch im Felde möglicher Erfahrung, zu lehren. Dieses ist aber auch aller Nutzen, den man vernünftiger Weise hiebei auch nur wünschen kann, und mit welchem man Ursache hat zufrieden zu sein.


§ 60

      So haben wir Metaphysik, wie sie wirklich  i n  d e r  N a t u r a n l a g e  der menschlichen Vernunft gegeben ist, und zwar in demjenigen, was den wesentlichen Zweck ihrer Bearbeitung ausmacht, nach ihrer subjektiven Möglichkeit ausführlich dargestellt. Da wir indessen doch fanden, daß dieser  b l o ß  n a t ü r l i c h e  Gebrauch einer solchen Anlage unserer Vernunft, wenn keine Disziplin derselben, welche nur durch wissenschaftliche Kritik möglich ist, sie zügelt und in Schranken setzt, sie in übersteigende, teils bloß scheinbare, teils unter sich sogar strittige  d i a l e k t i s c h e  Schlüsse verwickelt, und überdem diese vernünftelnde Metaphysik zur Beförderung der Naturerkenntnis entbehrlich, ja wohl gar ihr nachteilig ist, so bleibt es noch immer eine der Nachforschung würdige Aufgabe, die  N a t u r z w e c k e,  worauf diese Anlage zu transzendenten Begrif[184]fen in unserer Vernunft abgezielt sein mag, auszufinden, weil alles, was in der Natur liegt, doch auf irgend eine nützliche Absicht ursprünglich angelegt sein muß.

      Eine solche Untersuchung ist in der Tat mißlich: auch gestehe ich, daß es nur Mutmaßung sei, wie alles, was die ersten Zwecke der Natur betrifft, was ich hievon zu sagen weiß, welches mir auch in diesem Fall allein erlaubt sein mag, da die Frage nicht die objektive Gültigkeit metaphysischer Urteile, sondern die Naturanlage zu denselben angeht, und also außer dem System der Metaphysik in der Anthropologie liegt.

      Wenn ich alle transzendentale Ideen, deren Inbegriff die eigentliche Aufgabe der natürlichen reinen Vernunft ausmacht, welche sie nötigt, die bloße Naturbetrachtung zu verlassen, und über alle mögliche Erfahrung hinauszugehen und in dieser Bestrebung das Ding (es sei Wissen oder Vernünfteln) was Metaphysik heißt, zu Stande zu bringen, so glaube ich gewahr zu werden, daß diese Naturanlage dahin abgezielet sei, unseren Begriff von den Fesseln der Erfahrung und den Schranken der bloßen Naturbetrachtung soweit loszumachen, daß er wenigstens ein Feld vor sich eröffnet sehe, was bloß Gegenstände vor den reinen Verstand enthält, die keine Sinnlichkeit erreichen kann, zwar nicht in der Absicht, um uns mit diesen spekulativ zu beschäftigen (weil wir keinen Boden finden, worauf wir Fuß fassen können), sondern damit praktische Prinzipien, die, ohne einen solchen Raum vor [185] ihre notwendige Erwartung und Hoffnung vor sich zu finden, sich nicht zu der Allgemeinheit ausbreiten könnten, deren die Vernunft in moralischer Absicht unumgänglich bedarf.

      Da finde ich nun, daß die  p s y c h o l o g i s c h e  Idee, ich mag dadurch auch noch so wenig von der reinen und über alle Erfahrungsbegriffe erhabenen Natur der menschlichen Seele einsehen, doch wenigstens die Unzulänglichkeit der letzteren deutlich gnug zeige, und mich dadurch vom Materialism, als einem zu keiner Naturerklärung tauglichen, und überdem die Vernunft in praktischer Absicht verengenden psychologischen Begriffe abführe. So dienen die  k o s m o l o g i s c h e  Ideen durch die sichtbare Unzulänglichkeit aller möglichen Naturerkenntnis, die Vernunft in ihrer rechtmäßigen Nachfrage zu befriedigen, uns vom Naturalism, der die Natur vor sich selbst gnugsam ausgeben will, abzuhalten. Endlich, da alle Naturnotwendigkeit in der Sinnenwelt jederzeit bedingt ist, indem sie immer Abhängigkeit der Dinge von andern voraussetzt, und die unbedingte Notwendigkeit nur in der Einheit einer von der Sinnenwelt unterschiedenen Ursache gesucht werden muß, die Kausalität derselben aber wiederum, wenn sie bloß Natur wäre, niemals das Dasein des Zufälligen als seine Folge begreiflich machen könnte, so macht sich die Vernunft vermittelst der  t h e o l o g i s c h e n  Idee vom Fatalism los, sowohl einer blinden Naturnotwendigkeit in [186] dem Zusammenhange der Natur selbst, ohne erstes Prinzip, als auch in der Kausalität dieses Prinzips selbst, und führt auf den Begriff einer Ursache durch Freiheit, mithin einer obersten Intelligenz. So dienen die transzendentale Ideen, wenngleich nicht dazu, uns positiv zu belehren, doch die freche und das Feld der Vernunft verengende Behauptungen des  M a t e r i a l i s m u s,  N a t u r a l i s m u s,  und  F a t a l i s m u s  aufzuheben, und dadurch den moralischen Ideen außer dem Felde der Spekulation Raum zu verschaffen, und dies würde, dünkt mich, jene Naturanlage einigermaßen erklären.

      Der praktische Nutzen, den eine bloß spekulative Wissenschaft haben mag, liegt außerhalb den Grenzen dieser Wissenschaft, kann also bloß als ein Scholion angesehen werden, und gehört, wie alle Scholien, nicht als ein Teil zur Wissenschaft selbst. Gleichwohl liegt diese Beziehung doch wenigstens innerhalb den Grenzen der Philosophie, vornehmlich derjenigen, welche aus reinen Vernunftquellen schöpft, wo der spekulative Gebrauch der Vernunft in der Metaphysik mit dem praktischen in der Moral notwendig Einheit haben muß. Daher die unvermeidliche Dialektik der reinen Vernunft, in einer Metaphysik als Naturanlage betrachtet, nicht bloß als ein Schein, der aufgelöset zu werden bedarf, sondern auch als  N a t u r a n s t a l t  seinem Zwecke nach, wenn man kann, erklärt zu werden verdient, wiewohl dieses Geschäfte, als [187] überverdienstlich, der eigentlichen Metaphysik mit Recht nicht zugemutet werden darf.

      Vor ein zweites, aber mehr mit dem Inhalte der Metaphysik verwandtes Scholion, müßte die Auflösung der Fragen gehalten werden, die in der Kritik von Seite 642 bis 668 fortgehen. Denn da werden gewisse Vernunftprinzipien vorgetragen, die die Naturordnung oder vielmehr den Verstand, der ihre Gesetze durch Erfahrung suchen soll, a priori bestimmen. Sie scheinen konstitutiv und gesetzgeben d in Ansehung der Erfahrung zu sein, da sie doch aus bloßer Vernunft entspringen, welche nicht so, wie Verstand, als ein Prinzip möglicher Erfahrung angesehen werden darf. Ob nun diese Übereinstimmung darauf beruhe, daß, so wie Natur den Erscheinungen oder ihrem Quell, der Sinnlichkeit, nicht an sich selbst anhängt, sondern nur in der Beziehung der letzteren auf den Verstand angetroffen wird, so diesem Verstande die durchgängige Einheit seines Gebrauchs, zum Behuf einer gesamten möglichen Erfahrung (in einem System) nur mit Beziehung auf die Vernunft zukommen könne, mithin auch Erfahrung mittelbar unter der Gesetzgebung der Vernunft stehe, mag von denen, welche der Natur der Vernunft, auch außer ihrem Gebrauch in der Metaphysik, sogar in den allgemeinen Prinzipien eine Naturgeschichte überhaupt systematisch zu machen, nachspüren wollen, weiter erwogen werden; denn diese Aufgabe habe ich in der [188] Schrift selbst zwar als wichtig vorgestellt, aber ihre Auflösung nicht versucht 11).

      Und so endige ich die analytische Auflösung der von mir selbst aufgestellten Hauptfrage: Wie ist Metaphysik überhaupt möglich? indem ich von demjenigen, wo ihr Gebrauch wirklich, wenigstens in den Folgen gegeben ist, zu den Gründen ihrer Möglichkeit hinaufstieg.


______________

  1)

Wenn man sagen kann, daß eine Wissenschaft wenigstens in der Idee aller Menschen wirklich sei, sobald es ausgemacht ist, daß die Aufgaben, die darauf führen, durch die Natur der menschlichen Vernunft jedermann vorgelegt, und daher auch jederzeit darüber viele, obgleich fehlerhafte, Versuche unvermeidlich sind, so wird man auch sagen müssen: Metaphysik sei subjektive (und zwar notwendigerweise) wirklich, und da fragen wir also mit Recht, wie sie (objektive) möglich sei.

  2)

Im disjunktiven Urteile betrachten wir alle  M ö g l i c h k e i t,  respektiv auf einen gewissen Begriff, als eingeteilt. Das ontologische Prinzip der durchgängigen Bestimmung eines Dinges überhaupt (von allen möglichen entgegengesetzten Prädikaten kommt jedem Dinge eines zu) welches zugleich das Prinzip aller disjunktiven Urteile ist, legt den Inbegriff aller Möglichkeit zum Grunde, in welchem die Möglichkeit jedes Dinges überhaupt als bestimmter angesehen wird. Dieses dient zu einer kleinen Erläuterung des obigen Satzes: daß die Vernunfthandlung in disjunktiven Vernunftschlüssen der Form nach mit derjenigen einerlei sei, wodurch sie die Idee eines Inbegriffs aller Realität zu Stande bringt, welche das Positive aller einander entgegengesetzten Prädikate in sich enthält.

  3)

Wäre die Vorstellung der Apperzeption, das Ich, ein Begriff, wodurch irgend etwas gedacht würde, so würde es auch als Prädikat von andern Dingen gebraucht werden können, oder solche Prädikate in sich enthalten. Nun ist es nichts mehr als Gefühl eines Daseins ohne den mindesten Begriff und nur Vorstellung desjenigen, worauf alles Denken in Beziehung (relatione accidentis) steht.


  4)

Fußnote zu dieser Markierung fehlt in der Erstausgabe

  5)

Es ist in der Tat sehr merkwürdig, daß die Metaphysiker jederzeit so sorglos über den Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanzen weggeschlüpft sind, ohne jemals einen Beweis davon zu versuchen; ohne Zweifel, weil sie sich, sobald sie es mit dem Begriffe Substanz anfingen, von allen Beweistümern gänzlich verlassen sahen. Der gemeine Verstand, der gar wohl inne ward, daß ohne diese Voraussetzung keine Vereinigung der Wahrnehmungen in einer Erfahrung möglich sei, ersetzte diesen Mangel durch ein Postulat; denn aus der Erfahrung selbst konnte er diesen Grundsatz nimmermehr ziehen, teils weil sie die Materien, (Substanzen) bei allen ihren Veränderungen und Auflösungen nicht soweit verfolgen kann, um den Stoff immer unvermindert anzutreffen, teils weil der Grundsatz  N o t w e n d i g k e i t  enthält, die jederzeit das Zeichen eines Prinzips a priori ist. Nun wandten sie diesen Grundsatz getrost auf den Begriff der Seele als einer  S u b s t a n z  an, und schlossen auf eine notwendige Fortdauer derselben nach dem Tode des Menschen, (vornehmlich da die Einfachheit dieser Substanz, welche aus der Unteilbarkeit des Bewußtseins gefolgert ward, sie wegen des Unterganges durch Auflösung sicherte). Hätten sie die echte Quelle dieses Grundsatzes gefunden, welches aber weit tiefere Untersuchungen erforderte, als sie jemals anzufangen Lust hatten, so würden sie gesehen haben: daß jenes Gesetz der Beharrlichkeit der Substanzen nur zum Behuf der Erfahrung stattfinde, und daher nur auf Dinge, sofern sie in der Erfahrung erkannt und mit andern verbunden werden sollen, niemals aber von ihnen auch unangesehen aller möglichen Erfahrung, mithin auch nicht von der Seele nach dem Tode gelten könne.

  6)

Ich wünsche daher, daß der kritische Leser sich mit dieser Antinomie hauptsächlich beschäftige, weil die Natur selbst sie aufgestellt zu haben scheint, um die Vernunft in ihren dreisten Anmaßungen stutzig zu machen, und zur Selbstprüfung zu nötigen. Jeden Beweis, den ich für die Thesis so wohl als Antithesis gegeben habe, mache ich mich anheischig zu verantworten, und dadurch die Gewißheit der unvermeidlichen Antinomie der Vernunft darzutun. Wenn der Leser nun durch diese seltsame Erscheinung dahin gebracht wird, zu der Prüfung der dabei zum Grunde liegenden Voraussetzung zurückzugehen, so wird er sich gezwungen fühlen, die erste Grundlage aller Erkenntnis der reinen Vernunft mit mir tiefer zu untersuchen.

  7)

Die Idee der Freiheit findet lediglich in dem Verhältnisse des  I n t e l l e k t u e l l e n,  als Ursache, zur  E r s c h e i n u n g,  als Wirkung, statt. Daher können wir der Materie in Ansehung ihrer unaufhörlichen Handlung, dadurch sie ihren Raum erfüllt, nicht Freiheit beilegen, obschon diese Handlung aus innerem Prinzip geschieht. Ebensowenig können wir vor reine Verstandeswesen, z. B. Gott, sofern seine Handlung immanent ist, keinen Begriff von Freiheit angemessen finden. Denn seine Handlung, obzwar unabhängig von äußeren bestimmenden Ursachen, ist dennoch in seiner ewigen Vernunft, mithin der göttlichen  N a t u r,  bestimmt. Nur wenn durch eine Handlung  e t w a s  a n f a n g e n  soll, mithin die Wirkung in der Zeitreihe, folglich der Sinnenwelt anzutreffen sein soll, (z. B. Anfang der Welt) da erhebt sich die Frage, ob die Kausalität der Ursache selbst auch anfangen müsse, oder, ob die Ursache eine Wirkung anheben könne, ohne daß ihre Kausalität selbst anfängt. Im ersteren Falle ist der Begriff dieser Kausalität ein Begriff der Naturnotwendigkeit, im zweiten der Freiheit. Hieraus wird der Leser ersehen, daß, da ich Freiheit als das Vermögen eine Begebenheit von selbst anzufangen erklärete, ich genau den Begriff traf, der das Problem der Metaphysik ist.

  8)

Herr Platner in seinen Aphorismen sagt daher mit Scharfsinnigkeit § 728, 729 «Wenn die Vernunft ein Kriterium ist, so kann kein Begriff möglich sein, welcher der menschlichen Vernunft unbegreiflich ist. ­ In dem Wirklichen allein findet Unbegreiflichkeit statt. Hier entsteht die Unbegreiflichkeit aus der Unzulänglichkeit der erworbenen Ideen.»; ­ Es klingt also nur paradox und ist übrigens nicht befremdlich, zu sagen, in der Natur sei uns vieles unbegreiflich, (z. B. das Zeugungsvermögen) wenn wir aber noch höher steigen und selbst über die Natur hinausgehen, so werde uns wieder alles begreiflich; denn wir verlassen alsdenn ganz die  G e g e n s t ä n d e,  die uns gegeben werden können, und beschäftigen uns bloß mit Ideen, bei denen wir das Gesetz, welches die Vernunft durch sie dem Verstande, zu seinem Gebrauch in der Erfahrung vorschreibt, gar wohl begreifen können, weil es ihr eigenes Produkt ist.

  9)

So ist eine Analogie zwischen dem rechtlichen Verhältnisse menschlicher Handlungen, und dem mechanischen Verhältnisse der bewegenden Kräfte: ich kann gegen einen andern niemals etwas tun, ohne ihm ein Recht zu geben, unter den nämlichen Bedingungen eben dasselbe gegen mich zu tun; ebenso wie kein Körper auf einen andern mit seiner bewegenden Kraft wirken kann, ohne dadurch zu verursachen, daß der andre ihm ebenso viel entgegen wirke. Hier sind Recht und bewegende Kraft ganz unähnliche Dinge, aber in ihrem Verhältnisse ist doch völlige Ähnlichkeit. Vermittelst einer solchen Analogie kann ich daher einen Verhältnisbegriff von Dingen, die mir absolut unbekannt sind, geben. z. B. wie sich verhält die Beförderung des Glücks der Kinder = a zu der Liebe der Eltern = b, so die Wohlfahrt des menschlichen Geschlechts = c zu dem Unbekannten in Gott = x, welches wir Liebe nennen; nicht als wenn es die mindeste Ähnlichkeit mit irgendeiner menschlichen Neigung hätte, sondern, weil wir das Verhältnis derselben zur Welt demjenigen ähnlich setzen können, was Dinge der Welt untereinander haben. Der Verhältnisbegriff aber ist hier eine bloße Kategorie, nämlich der Begriff der Ursache, der nichts mit Sinnlichkeit zu tun hat.

  10)

Ich werde sagen: die Kausalität der obersten Ursache ist dasjenige in Ansehung der Welt, was menschliche Vernunft in Ansehung ihrer Kunstwerke ist. Dabei bleibt mir die Natur der obersten Ursache selbst unbekannt: ich vergleiche nur ihre mir bekannte Wirkung (die Weltordnung) und deren Vernunftmäßigkeit mit den mir bekannten Wirkungen menschlicher Vernunft, und nenne daher jene eine Vernunft, ohne darum eben dasselbe, was ich am Menschen unter diesem Ausdruck verstehe, oder sonst etwas mir Bekanntes ihr als ihre Eigenschaft beizulegen.

  11)

Es ist mein immerwährender Vorsatz durch die Kritik gewesen, nichts zu versäumen, was die Nachforschung der Natur der reinen Vernunft zur Vollständigkeit bringen könnte, ob es gleich noch so tief verborgen liegen möchte. Es steht nachher in jedermanns Belieben, wieweit er seine Untersuchung treiben will, wenn ihm nur angezeigt worden, welche noch anzustellen sein möchten, denn dieses kann man von demjenigen billig erwarten, der es sich zum Geschäfte gemacht hat, dieses ganze Feld zu übermessen, um es hernach zum künftigen Anbau und beliebigen Austeilung andern zu überlassen. Dahin gehören auch die beiden Scholien, welche sich durch ihre Trockenheit Liebhabern wohl schwerlich empfehlen dürften, und daher nur vor Kenner hingestellt worden.
 
 
 
<<< Übersicht  <<< vorige Seite  nächste Seite >>>