B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Anna Louisa Karschin
1722 -1791
     
   



B r i e f   e i n e s   U n b e k a n n t e n
a n   d e n   M a l e r   F .   A .    O e s e r
i n   L e i p z i g   ü b e r   e i n e  
G e b u r t s t a g s f e i e r   d e r   K a r s c h i n  
a m   1 .   D e z e m b e r   1 7 6 1


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A n   O e s e r.

      Magdeburg, den 2. Dezember 1761.

      Der Ruhm unserer Karschin ist schon lange bis zu Ihnen gekommen, Sie haben schon viele von ihren Liedern gesehen und von ihrer unnachahmlichen Fertigkeit im Dichten gehört. Ich selbst bin, seit ich ihres Umgangs genieße, sehr oft ein Augenzeuge davon gewesen; aber nie habe ich die Fruchtbarkeit ihres Genies mehr bewundert als gestern. Es war ihr Geburtstag und Palemon [Heinrich Wilhelm Bachmann, Magdeburger Kaufmann und Tuchfabrikant, ein Freund der Karschin] hatte beschlossen, ihn zu feiern; da ich gestern Nachmittag zu ihm kam, fand ich eine kleine ausgesuchte Gesellschaft. Palemon kam mir entgegen: «Sehen Sie», sagte er, «sehen Sie doch mein Freund, welch ein schönes Lied mir unsere Sappho heute früh gesungen hat!» und damit gab er mir das Lied mit dem Briefe, der es begleitete, und ich las:
      «Dem kommenden Tage und Ihnen, mein schätzbarer Freund, habe ich gesungen. Mit dem Schlage der Stunde, welche mich ansah, als ich auf die Welt kam, werde ich kommen, um von diesem Abend Gebrauch zu machen; er würde mir traurig sein, wenn ich meinem besten Freunde in Magdeburg nicht sagen könnte, daß ich bin seine Freundin Sappho.»

      Ode an Freund Bachmann

O Freund! auf stürmischen Flügeln,
Hochheulend über dem Dom,
Bringt der unfreundliche Nordwind
Mir meinen festlichen Tag!

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Ich denk an stürmende Sorgen;
Vorüber brauseten sie -
So denkt der landende Schiffer
Im Hafen an den Orkan.

Mich fand der Himmlischen einer
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Am Tage meiner Geburt
Bedeckt mit Hüllen der Armut,
Mitleidig sah er mich an.

Und sprach zum Vater der Menschen:
«Herr über Leben und Glück,
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Gib diese Niedriggeborne
In meinen leitenden Schutz!

Sie liegt im Schoße des Kummers,
Es decket schmählicher Staub
Die ernstgefaltete Stirne,
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Von dir zum Denken gebaut.»

«Dein sei sie!» sagte zum Engel
Der alles schaffende Gott;
Da ward mir eine der Musen
Und diese Leier gebracht,

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Auf der ich hohe Triumphe,
Den Held, des Königes Lob,
Die Tugend, heilige Freundschaft
Und sanfte Liebe gespielt.

Du hörest meine Gesänge,
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O Freund, ich singe noch heut,
Dem, der vom Menschen Gehorsam,
Und Hekatomben nicht heischt.

Ich komm und trage, dem Winter
Zum Trotz, auf klopfender Brust
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Den Strauß von grünenden Lorbeern;
Zwei Mädchen wanden ihn mir!

Du aber rufe den Diener!
Geschäftiger sähe Horaz
Nicht den einschenkenden Knaben
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Mit becherreichender Hand.

Ruf ihn! er bringe die Flasche,
Voll von 10jährigem Wein,
Gereift im Lande, das Frieden
Fleht von Britanniens Thron.

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Er kränzte den Becher mit Blumen,
Geraubt der armen Natur;
Genannt wird Thyrsis und Damon,
Und wer Dich kennet und liebt!

      Ich war noch voll von Beifall und Bewunderung, als die Karschin ankam. Kaum hatte sie sich gesetzt und unsere Glückwünsche über ihren festlichen Tag angenommen, so zog sie ein Papier hervor: «Hier, Palemon», sagte sie, «ist das ernsthafte Lied, das ich Ihnen heute früh versprochen habe.» Palemon las es uns vor:

      An den Schöpfer

Wo war ich, als dich Morgensterne lobten?
Da wie aus Windeln du gewickelt hast das Meer?
Und, als vor dir die Welten tobten,
Zu ihnen sprachest: Kommet bis hieher!

5
Wo lag ich, als dein Arm der Erde Grenzen
Umher gezogen hat und ihren Grund gelegt?
Als du die Morgenröte glänzen
Mit Purpur hießest, den sie um sich trägt?

In ungeformten Klumpen noch gelegen
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Bin ich, als auf dein Wort der Tag hervorgeeilt,
Der Tau gezeugt ward und der Regen,
Und Finsternis vom Lichte ward geteilt!

Noch gleich dem kleinsten Staube, den die Sonne
Heiß scheinend an sich zieht von dürrer Erde Schoß,
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War ich doch schon der Engel Wonne;
Von dir erschaffen, war ich ihnen groß.

Mit Sternenkleidem herrlich angezogen,
Hast du, Gott, Schöpfer! sie dem Winde gleich gemacht;
Schön farbig, wie der Regenbogen,
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Wie Sonnen Glut ist ihrer Leiber Pracht.

Zum Dienst erschaffen für die Menschenkinder
Sind sie; sie eilen, Gott! wenn du Befehle blickst,
Durch deinen Himmel viel geschwinder
Als deine Blitze, die du flammicht schickst!

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Aus Äther sind zusammen sie geflossen;
Ich ward wie Staub, der auf der Flur zusammenläuft,
Wenn deine Wolken ihn begossen,
Und Kloß an Kloß sich nun zusammenhäuft:

Ich ward; dein Sprechen: «Laßt uns Menschen machen»,
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Das riß auch mich hervor, als du des Lebens Tür
Entriegeltest, und noch der Rachen
Des Grabes nicht eröffnet war vor dir!

Jahrtausende vergingen - kurze Tage
Vor deinem Angesicht! - dann kam mein Tag, und du
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Gabst mir die Hülle, die ich trage
Um deinen Geist, von dir geatmet, zu!

Von deinem Munde, der mit einem Hauche
Gebirge bläset tief herunter in das Meer,
Nehm ich dies Leben, zum Gebrauche
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Zu deinem Ruhm, Herr! mein Gesang sei er!

      «Auch dieses Lied», rief ich, «haben Sie heute gemacht?» -«Ich merke wohl», sagte Madame Richter lächelnd, «Sie kennen noch nicht den feurigen Geist unserer Sappho. In ihrer Begeisterung strömen die Gedanken ihr zu, und Reim und Silbenmaß sind ihr dermaßen untenan, daß sie unter ihrer flüchtigen Feder sich von selbst zu ordnen scheinen.» [...]
      Hierauf wurde das Gespräch bald allgemeiner, und wie es selten ist, daß nicht in jeder Gesellschaft wenigstens ein Mal vom Wetter gesprochen werden sollte, so wurde auch hier über die stürmische, unfreundliche Luft geklagt. Die Frau Dr. Richter erzählte bei dieser Gelegenheit, in was für Gefahr sie einst bei einem heftigen Wirbelwinde gewesen sei. Ihre lebhafte Erzählung gefiel der Karschin. «Ich muß meiner Freundin darüber ein Liedchen singen», sagte sie, ging an den Schreibetisch und kam gleich mit einem vollgeschriebenen Blatte wieder.

      Gott im Wirbelwinde.

Cornelia - nicht eine Römerin,
Nein, eine aus dem Volk, das Sterben für Gewinn,
Und Leiden dieser Zeit für Wohlfahrt rechnen sollte,
Um eine Seligkeit, die jeder gerne wollte -
5
Cornelia, von der Gesinnung voll und treu
Dem heiligen Gesetz der Christen,
War auf der Reise, und ihr Engel war dabei;
Denn Paulus sagt, daß uns die Engel dienen müßten.
Schnell sah Cornelia von Ost- und Westen her
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Sich schrecklich zweene Wetter rüsten.
Der Donner murmelte von ferne, langsam, schwer!
Ein Wirbelwind mit rasselndem Gefieder
Hub Wolken auf von Staub, trug sie dem Himmel zu
Und bog des Waldes Stolz, die stärksten Tannen, nieder.
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Er kam, und mit ihm drang ein wunderbar Geschrei
Der frommen Reisenden entgegen;
Denn vor dem Walde dort in einer Meierei
Ging, wie im ländlichen verzäunten Hofe pflegen,
Ein Hühnerheer. Und alle die ergriff
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Der mächtige Orkan und wälzte mit dem Staube
Sie an der Erde fort; und nicht allein die Taube,
Ja selbst die Wachtel, die sonst in dem Weizen pfiff,
Ward von dem Sturmwind aufgehoben.
Die Lerchen in der Luft vergaßen, Gott zu loben,
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Und schwiegen, von dem Schrecken tot.
Bis Gott dem Wirbelwind mit einem Wink gebot
Hin auf den nächsten See zu fahren,
Woselbst in einem kleinen Kahn
Zwei immer böse Schiffer waren.
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Sie beteten, als sie den Wirbel kommen sahn,
Und taten ein Gelübd, zu fürchten und zu lieben
Den Gott im Winde; doch sind sie auch fromm geblieben ?

      Bald darauf las uns Herr Sack einen Versuch einer Übersetzung des Homer vor. Kaum hatte er aufgehört, so sagte die Karschin zu ihm:

      Du, zeig uns den Homer in einer deutschen Tracht!
      Und willst Du Dir Helenen wählen,
      So sei sie durch sich selbst bewacht,
      Daß sie kein Paris Dir kann stehlen!

      Dies Impromptu ward mit so vielem Beifall als die Übersetzung aufgenommen. Indessen war das Gespräch so lebhaft geworden, daß keiner unter uns Palemons Abwesenheit bemerkte. Plötzlich trat er wieder in das Zimmer mit einem großen Lorbeerkranz in der Hand, näherte sich der Karschin und setzte ihr mit diesen Worten den Kranz auf:

      Apollo krönte Dich durch seines Lieblings Hand
      Und sandte längst Dir seine Leier:
      In meinem Herzen glüht der Freundschaft heil'ges Feuer,
      Sie flochte diesen Kranz; er sei ihr Unterpfand!

      Sie wissen, teurer Freund, daß Herr Gleim, oder, wie ihn die Karschin zu nennen pflegt, Thyrsis, der Liebling des Apollo ist, der die Karschin schon einmal gekrönt hat. Wir alle waren über den neuen Auftritt und den feierlichen Ernst unseres Freundes in eine Art von Verwunderung geraten; die Karschin selbst schien überrascht zu sein. Sie schwieg eine kleine Weile; bald aber trat sie vor den Spiegel und rief im Ton der wahren Freude:

      Wie schön mich diese Blätter kleiden!
      Palemon kränzte mich!
      Du Thyrsis sollst ihn noch beneiden;
      Zwei Grade minder lieb ich Dich!

Und warum wollten Sie ihn minder lieben?» Sie antwortete:

      Ihm wollt ich diese Stunden weihen,
      Er aber gab mir nicht Gehör;
      Der Eigensinn soll es bereuen,
      So sapphisch sing ich ihm nicht mehr!

      Palemon wollte sich seines abwesenden Freundes annehmen; sie ließ ihm aber keine Zeit:

      Mein Schäfer gab mir eine Blume,
      Die hat oft meinen Stolz erweckt;
      Jetzt aber sag ich Dir zum Ruhme,
      Dein Lorbeer hat sie tief versteckt!

      So rief sie, und ihr Zorn gegen Thyrsis schien so aufrichtig zu sein, daß Palemon die Verteidigung seines Freundes aufgab. Als er aber merkte, daß der Eifer der Sappho anhielt, stimmte er ihr bei und war nicht der Letzte, ihr den Kaltsinn des Thyrsis vorzumalen. Er ging so weit, ihr zu raten, daß sie den Undankbaren vergessen möchte. Der arme Palemon! hier verriet er seine Unerfahrenheit in der Liebe; im Augenblicke war Sappho ungestimmt, sie sagte:

      Ich will ihn Eigensinn und spröden Schäfer heißen,
      Dein Kranz soll seinen sehn mit stolzem Angesicht;
      Doch ihn aus meiner Brust zu reißen,
      Das kann ich nicht!

      Und damit war sie noch nicht zufrieden. Sie glaubte ihrem Thyrsis eine Ehrenerklärung und dem triumphierenden Palemon eine kleine Demütigung schuldig zu sein; deswegen setzte sie gleich noch hinzu:

      Sein Schutzgeist siehet zu und lacht,
      Er wird schon Achtung geben;
      Wenn ihm mein Mund Satiren macht,
      So spricht das ganze Herz, mein Thyrsis müsse leben!

      Nun sahe Palemon wohl seine Übereilung ein; er suchte seinen Rückzug so gut wie möglich zu machen, und um das Gespräch mit einem Male abzubrechen und einer weitern Beschämung zu entgehen, ließ er der Gesellschaft ankündigen, daß angerichtet wäre. Wie setzten uns zu Tische. Sie können leicht denken, daß die erste Gesundheit der Karschin zugebracht wurde; sie dankte uns mit diesen Worten:

      Erst wenig Stunden alt,
      Lag ich in mürrischer Gestalt,
      Als dächt ich Trauerspiele!
      Jetzt aber sitz ich aufgeklärt
5
      Und denke meiner Freunde Wert
      Und schätze sie und fühle!

      Die zweite Gesundheit war für unsern Wirt; die Karschin brachte sie selbst aus:

      Mein Kopf mit Lorbeern frisch umgeben,
      Hat wie mein Herz gefühlt, gedacht!
      Mein Freund, mein Bachmann müsse leben,
      Der über seine Tugend wacht!

      Diese letzte Zeile gab zu verschiedenen Einfällen Anlaß. Es schien, als hätte sich die Karschin vorgesetzt, dem blöden Palemon das Geständnis irgend einer Inklination abzulocken; aber er wich ihren Fragen aus. Sie glaubte, durch mich mehr zu erfahren. «Wissen Sie nicht, wo Palemons Mädchen wohnt?» fragte sie mich. Palemon flüsterte mir ins Ohr: «Sagen Sie nur: im Monde.» Sappho aber widerlegte ihn gleich:

      Im kalten Mond wird sie nicht wohnen,
      Das Mädchen, meines Bachmanns wert;
      Sie wohnt in einer von den Zonen,
      Wo man im Kriege küßt und Küsse noch begehrt!

      Sie wissen wohl, teurer Freund, daß es für uns Preußen ein Gesetz ist, beim fröhlichen Gastmahl niemals unsern abwesenden Beschützer zu vergessen. Ihm zu Ehren wurde mehr als ein Glas geleert, und die Karschin ließ uns mehr als einen Einfall hören. Ich will Ihnen nur die hersetzen, die mir am besten gefallen haben:

      Daß Friedrich im Triumph zurücke sich begebe,
      Wünscht, wer ihn liebt wie ich.
      Wir sagen nüchtern: daß Er lebe!
      Und trunken stammlen wir: Es lebe Friederich!

5
      Bei dem Lärmen, bei dem Tanze
      Ist die wilde Lust der Welt
      Unter meinem Lorbeerkranze,
      Den Apollo grün erhält. Hier bei stiller Freunde Reihe
      Wünsch ich, daß der größte Held
10
      Seine Feinde bald zerstreue!

      Als wir hierauf alle diesem Wunsche beitraten und ein jeder seine Sehnsucht nach dem Frieden auf eine andere Art ausdrückte, fuhr sie fort:

      Wir sehnen uns so nach dem Frieden
      Als nach dem weichen Pfühl die Müden,
      Liebhaber nach dem Kuß und Trinker nach dem Wein;
      Und trinkend wünschen wir: es müsse Friede sein!

      Unter solchen und andern Gesprächen und Einfällen, die ich Ihnen nicht alle hersetzen kann, waren wir bis zum Nachtisch gekommen. Man brachte einen Aufsatz, mit Blumen geschmückt und mit Lichtern erleuchtet, an welchem der Name der Karschin mit einem Myrtenkranze gekrönt war. Sie riß ihn ab mit diesen Worten:

      Komm, kleines Kränzchen, laß dich küssen!
      Sein Mädchen wird dafür ihn zu belohnen wissen!

      Gleich darauf reichte ihr Palemons Diener einen verdeckten Teller. Sie fand darunter eine kleine Rolle Papier, worein eine goldene Feder gewickelt war. Auf dem Papier stand:

      Die goldene Feder der deutschen Sappho.

      Zu Dir, o Sappho! sendet mich
      Ein Mann, der tief im Herzen Dich verehret
      Und dessen Freundschaft ewig währet,
      So wie Dein Ruhm! Heut rief er mich zu sich;
5
      Geh hin! sprach er; wird Sappho Dich gebrauchen
      Und Deinen spitzen Mund in schwarzes Wasser tauchen,
      Dann fließt aus Dir ein Lied, dem keines glich!
      Ach! liebe Sappho, brauche mich!

      «Du sollst nicht umsonst gebeten haben», sagte Sappho, indem sie die Feder in die Hand nahm und gleich darauf hörten wir:

      Ihr, aus des toten Vogels Schwingen
      Gerupfte Federn, bleibt,
      Weil künftig meine Hand mit goldner Feder schreibt,
      Die ewig dauernd ist! Und ewig will ich singen
5
      Dem Freunde, der mir hieß die goldne Feder bringen!

      Da einige von den Gästen die Blumen bewunderten, womit der Aufsatz geschmückt war, so wurde der Dichterin Aufmerksamkeit auch bald dahin gelenkt. Sie nahm einige davon in die Hand und rief:

      Du zwölfter Monat in dem Jahr!
      Einst sähest du mich wiegen;
      Ruf jetzt den Mai zurück, der stolz auf Blumen war,
      Herunter soll er sehn - hier sieht er Blumen liegen!

      Ich habe Ihnen schon gesagt, daß das Wetter sehr stürmisch war. Mitten in unserer Fröhlichkeit wurden wir durch einen heftigen Windstoß erschreckt, der die Fenster des ganzen Hauses gewaltsam erschütterte. Die Karschin nahm daher Gelegenheit, ihn anzureden:

      Du Wind magst stärker noch entstehen;
      Mir grünt der Lenz auf Brust und Haupte.
      Der Freund soll leben, der dem Baum die Blätter raubte;
      Sein Mädchen ist wie Blumen schön,
5
      Ihr raubt er einst, wenn er sie küßt,
      Das, was nicht zu ersetzen ist!

      Über diesen letzten Einfall brach Burnet in ein lautes Gelächter aus, verließ seinen Platz und lief, die Dichterin zu umarmen. Kurz darauf brachte sie ihm diese Gesundheit zu:

      Verwegner Brite, Du sollst leben!
      Zwei Küsse nahmst Du mir.
      Ein Mädchen soll die Strafe geben
      Mit Millionen Küssen Dir!

      Und da mein Nachbar, Herr Sack, mit leiser Stimme und halb spöttischer Miene den vorigen Einfall noch einmal wiederholte, wandte sich die Karschin gegen ihn:

      Du Freund vom zärtlichen Geschlechte,
      Bist künftig auch zu fromm zu diesem Raube nicht.
      Dein Vater gibt dazu Dir selbst die großen Rechte,
      Wenn Du das Ja gesagt, und er den Segen spricht!

      Wenige Zeit darauf stieß der Wind von neuem auf unsere Fenster und die Karschin redete ihn zum zweiten Male an:

      Du Wind bewegst jetzt keine Blätter,
      Du rauschest auf der Flur nur über öden Dorn;
      Geh hin zu Thyrsis, brause wie ein Wetter
      Und sag ihm meinen Zorn!

      «Ha, ha! schon wieder Thyrsis!» riefen wir fast alle mit Einem Munde. «Ich weiß jetzt, was ich von Ihrem Zorn halten muß!» sagte Palemon; «gestehen Sie es nur, Sie können nicht aufhören, an Thyrsis [zu] denken.» Anstatt Palemon zu antworten, hielt sie ihr Glas an den Punschnapf, der vor ihr stand, und sagte:

      Du noch nicht halb geleerte Schale!
      Mein Gläschen, das ist leer;
      Man füll es mir zum sechsten Male!
      Die Freunde sind für mich Gehör,
5
      Und ich bin ganz Gefühl, ganz Lied,
      Mein hell gewordnes Auge sieht
      Auf dieser Freunde Angesichter;
      Doch meine Seele sieht verborgen auf den Dichter,
      Der die Gedanken nach sich zieht!

      Mit dieser Lebhaftigkeit wußte sie jede Anrede, jeden kleinen Angriff zu beantworten und aus jeder Materie, worauf das Gespräch fiel, zog sie so zu sagen die Quintessenz heraus, die sie hernach in glücklichen Impromptus uns vortrug. Man hatte z. B. über die Herannäherung des Winters geklagt, und es war ein kleiner Streit daraus entstanden, da einige die Vorzüge des Sommers erhoben, andere die Annehmlichkeiten des Winters verteidigten. Die Karschin schlichtete den Streit mit diesen Versen:

      Der Winter droht mit Langerweile
      Dem reichen Pöbel in der Welt
      Und nicht der Menschen feinrem Teile,
      Der am Kamin im Buch mit Weisen sich gesellt
5
      Und, wenn er lange Abende gelesen,
      Doch sagt, daß sie zu kurz gewesen!

      Sie werden von selbst urteilen, daß bei dem muntern Geiste unserer Dichterin die Stunden uns ganz unvermerkt entflogen. Es war auch schon weit über Mitternacht, da wir auseinandergingen.