B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Anna Louisa Karschin
1722 -1791
     
   



B r i e f e   a n   G l e i m

Brief vom 28. April 1761
Brief vom 14. Mai 1761
Brief vom 29. Juni 1761
Brief vom 24. Juli 1761
Brief ohne Datum, wohl vom Oktober 1761
Brief vom 8. November 1761
Brief vom 16. November 1761
Brief vom 17. November 1761
Brief vom 5. Januar 1762
Brief vom 7. Februar 1762
Brief vom 9. Mai 1762
Brief vom 15. August 1763
Brief vom 14. Juli 1765
Brief vom 24. Januar 1770
Brief vom 27. April 1776
Brief vom 27. Mai 1778
Brief vom 28. Juni 1778
Brief vom 20. Oktober 1790

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Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719 - 1803)

Berlin, den 28. Aprill 1761

      Mein Bruder in Apoll

      Ihr Vorgang giebt mir daß recht Ihnen untter Einer so lieblichen Benennung anzureden, mein Bruder dieser nahme noch süßer als der nahme Eines Freundes noch mehr bedeutender, Er sey mir zum Gebrauch vergönt iez da ich Ihnen wegen Ihrer gütigen auffmunterung Dank sagen will, Vielleicht würde ich noch lange gezögert haben Ihnen meine Ergebenheit zu zeigen wenn mich nicht ein Freund von Ihren Gesinnungen untterrichtet wenn er mir nicht Ihren schmeichelnden Gruß gesagt hätte, aber ich bitte Ihnen zu glauben daß ich Sie nicht erst seit gestern hochschäze, bewundre verEhre und, was daß alles übertrifft liebhabe, nun schon lange, und mein Gedächtniß ist nicht so getreu mir den Tag zu sagen da ich angefangen habe zu fühlen wie Gleim rührt wenn Er die Laute schlägt oder auff der sanffteren Flöte spielt um uns mit den empfindungen Seines herzens bekant zu machen. Ich kenne Ihnen mein zärtlicher Dichter, Ihren geist aus den bezaubernden Gesängen und ihre Gesichtszüge aus der Schilderey die über der Thür meines Freundes so offt der Gegenstand meiner Betrachtung war, dieser unartige Freund, niemahls beantwortet Er meine briefe und nur gar zu langsam meine Besuche, es ist wahr Seine Geschäffte sind eine entschuldigung für ihn, Er fühlt die lasten eines untterweisers ganz, und Er hat zu berlin Eine menge freunde die ein älteres recht zu ansprüchen auff seinen umgang haben, aber Ich widerspreche Einem jedweden der sagen wollte daß Er mehr und mit größrer Ergebenheit Sein Freund sey als ich seine Freundin bin, und keinem untter allen ist vielleicht Sein umgang so nothwendig als mir die ich ehedem in einer Dunkelheit und untter dem Tumult niederdrükender Sorgen gelebt, und nur seit wenigen mohnaten heraußgerißen fang Ich an zu schmeken was Leben sey, es fehlt mir nicht an gesellschafften, man sucht mich nur zu offt, aber diese Zerstreuungen sind Vor mich weder nüzlich noch angenehm, man will Seine neubegierde befriedigen, man gafft mich an und klatscht mit den händen und rufft Ein Bravo alß wenn alle meine reden kleine Zaubersprüche wären ich lache zuweillen mitt und mein Herz weiß nichts von dem Vergnügen welches dann in meinem lachenden munde die gesellschaft täuscht, offt ergreif ich um Beßer mein zu sein die Feder und schreibe mitten untter dem Geräusch was um mich her ist, und mein gleichgültiger Freund wird Ihnen zween Versuche Von dieser art senden können, ich glaube nicht Schwung genug zur ode zu haben, indeßen sagt mir unser nachahmer des Horaz daß Sie mehrere gesänge von mir verlangen denen sie den Tittel Einer ode zu geben vor gut finden, hier ist Eine solche Kleinigkeit, ich machte Sie im nahmen der Sapho ich fand Ihre oden bey den liedern des Anacreons ich habe die erste an Venus mit reimen und Einem anständigern Sylbenmaß versehen, und so dan machte ich diese beyliegende an amor, Streichen Sie die Fehler aus, ich werde Ihnen auch sagen wie sehr ich Ihre Freundin bin. Laßen Sie sich doch den Frühling verloken, reisen Sie nach berlin, hier erwarten Ihnen vielle die mit denen anmutigkeiten Ihrer lebhafften gespräche bekannt sind und die auch in der entfernung Ihre Freunde bleiben müßen mein Freund ist Einer Von den Ersten, Er thut Stolz auff Ihren beyfall, und ich wünsche mir glük daß ich wie Sie, Seine zwey oden, die an die Feinde des Königs, und die auff das Geschüz vor die schönsten erkenne, Wir haben Beyde recht, denn unsere empfindung diese unbestochene richterin entscheidet hier, und Ihr außspruch gilt, Vergeben Sie mir meinen geschwätzigen brieff Bester Gleim, Er wird Ihnen Zeit entwenden, Doch hoff Ich daß Sie diese augenblike nicht so hefftig bereuen werden alß heftig ich wünsche Ihnen zu überzeugen daß ich mit wahrer Hochachtung bin Ihre ganz ergebene Freundin und dienerin

      A. L. Karschin

      P. S.
      Sie sehen Ihre Vermuthung hintergangen die auffschrift dieses Briefes war Sullzers und in dem Briefe selbst finden Sie Ihn nicht, ich habe das Vergnügen Ihnen seinen besten Gruß zu sagen, und wenn Ich die geprüftesten, lautersten, und uneigennüzigsten meiner Freunde nennen soll so darff Ich nur diesen mir Ehrwürdigen nahmen außsprechen, Sie kennen alle Züge Seines Carakters. Er ist Edel, und Sein Catonischer Ernst mischt sich mit Einer gefallenden auffrichtigkeit die ihn nicht unannehmlich läßt, man braucht zu dem Muster Eines Tugendhafften und Eines gründlichen Gelehrten nur Sullzern zu nehmen, und es ist das Vollkommenste, Sie müßen mir beyfall geben eben so alß wenn ich Ihnen sagte daß der Caracter unseres oden Dichters ganz liebenswürdig sey, Wo Er nicht faul gewesen ist so müßen Sie Seinen brieff zugleich erhalten, Ihre antwort wird meine erwartende Freude ausmachen.

 
Berlin, den 14. May 1761

      Mein harmonischer Freund

      Sie haben eine Seele, schön bis zum Anbethen, und mein aufgewachtes Herz nöthiget mich, Ihnen dieses zu sagen. O, ich empfinde Ihre Lobsprüche mehr als daß unüberdachte Lob der halben Berliner Wellt. Aber warum hinttergingen Sie mich: Warum gefiel es Ihnen, mit Sulzern zu reden? Sie wollten sich rächen, und diese Rache war zu schön, als daß ich mit Ihnen zanken sollte. Mein Sulzer läßt mich in dem ruhigen Besiz dieses Brieffes, und ich werde Sie bald mit mir sprechen hören. Sie selbst soll ich hören, nenen Sie mir doch diese glükliche Stunde, komen Sie mir, ich kenne Ihr zärtliches Herz. Ramler hat mir drey Briefe vorgelesen voller Akzente des liebenswürdigen Herzens, wie ähnlich schlägt es den meinigen. Sie können mir glauben, wie parteyisch ich für den Ruhm unseres lieben Sulzers bin und für den Ruhm unseres lieben Horaz mehr wie für meinen. Ich lese meinen Freunden Seine Oden und seine Cantaten vor, und die Freude glüht auff meinen Wangen, wie man ausrufft, daß sie schön sind. Der guttherzige Ramler, ich möchte ihn gerne glüklicher und weniger beschäfftigt wissen, um bald die Welt sagen zu hören, der römische Dichter sey aus seiner Urne empohr gekomen, um diese Oden den Deutschen in ihren allereigentlichsten Tohn zu singen. Er ist ganz Horaz, und ich bin nach Ihrem Urtheil ganz Sapho. Sie irren nicht, schätzbarer Freund, ich bin mit der Griechin eins bis auff den Punct des Herabstürzens, auch ich bin vielleicht unglüklicher wie Sapho. Sie war ein Mädchen, und ich bin Mutter geworden, ohne jemals das Wahre, das Feine der Liebe genoßen zu haben. Sind Empfindungen etwas anderes als thierische, wen sie nicht das Herz giebt? Und kan da das Herz der Gesezgeber des Gefühls sein, wen unser Gegenstand nichts alß Verachtung, nichts alß Abscheu verdient? Der Lenz, der Morgen meiner Tage, ist untter traurigen Gewölke dahingegangen, und der Mittag meines Lebens war niehmals vor überhängenden Ungewittern heiter. Nun bin ich im Herbst, und daß Glük bringt mir in beyden Händen zulächelnde Früchte eines Fleißes, der untter allen Mühseligkeiten noch Erquikung für mir war. Meine Freunde sind das kostbahrste Geschenk des Glükes. Ich vertausche Sie nicht um Reichthümer. Sie gehören mit untter diese Abgötter meines Herzens, und Sie müssen einer von den ersten Stellen haben, bald, bald sollen Sie nach Berlin komen. Aber vermuthen Sie keine schöne Sapho, nein, eine dichterische, finstere Stirne, ein Paar blaue, wenig sprechende Augen und einen Mund, der nicht nach den Lippen der Gratien geformt ward, um geküßt zu werden. Sehen Sie mein ganzes Bild! Doch mein Herz, da ist die Natur güttiger gewesen, daß ist ganz Gefühl, ganz Freundschaft, so wie es den Dichtern geziemt. Ich soll Ihnen viele Grüße sagen von diesem erkäuflichem Herzen. Es regiert meine Feder, und es erinnert mich izt an Ihr Geschenk: Himell von einem Dichter! zwanzig Thaler zu Büchern! Neidische, bösartige Wellt, es giebt noch edel denkende Seelen in dir! Sullzer, Ramler, Gleim, Stahl und noch mehrere sind deine Schuzreden, wenn der Fromme über deine Verderbtheit seufzt. Ich liebe die Seele des Gleims nicht wegen des Vorfalls, nein, wegen Ihrer vorleuchtenden Züge, die Ihr der Vatter der Geister gab. Ja, bester Dichter, ich schäze Ihnen hoch, und es wird Wollust für mich sein, offt zu sagen, daß ich bin Ihre ganz ergebene Freundin

      A. L. Karschin

 
[Berlin,] den 29. Juni 1761 abends.

      Ich bin auf dem Punkt, mich dem Schlaf zu überlassen, aber zuvor muß ich mit Ihnen noch sprechen, mein allerliebster Freund. Oh, Sie, Sie werden mein Traum sein! und derjenige Auftritt, der mir immer rührend bleibt, so lange diese Seele noch denkt, die Ihnen ganz gleichfühlend ist. Aber ich kann Ihnen weder meine Traurigkeit noch meine Freude beschreiben. In einer stummen Melancholie empfand ich alles, was Schmerz heißt. Die Tränen stiegen aus der Brust empor in das Auge, welches sie nicht zu verschließen imstande war. Gleich dem Traumdeuter des Egypters eilte ich diesen Rednern meines Herzens Luft zu lassen, und empfand in dem Augenblicke die Wahrheit alles dessen, was ich Ihnen jemals von meiner Freundschaft gesagt. Ihr Vetter schwatzte mir viel vor von Spazierfahrten, die wir anstellen wollten, vielleicht mich zu trösten, und ich ward nur trauriger. Ja, sagt ich, wir werden im Tiergarten sein, um zu fühlen, wie sehr uns Gleim fehlt. Und mein Gedanke sagte noch mehr. Er sprach, daß für mich keine Gegend mehr schön sei, wenn ich nicht einsam sie besuchte, um freier an Sie zu denken. Borchmann spielte seine Rolle gut. Er konnte mit einer so klagenden Miene von Ihrem Spaziergang unter den Kastanien reden, daß ich eben sein Gespräch mit meinen Tränen beantworten mußte, als Sie im Nebenzimmer mich durch Geräusch horchend machten. Ich wünschte, daß Sie es warn, und trat ans Fenster, um mein Gesicht in Ordnung zu bringen. Sie sprachen! O wie könnt ich Ihnen sagen, was ich empfand! Sie wissen es ja, mit welcher Art von Wut ich auf Sie stürzte, ohne zu bedenken, daß Ihr Vetter zusähe, wie ganz ich mich der Freude überließ. Oh, ich erinnere mich nicht, daß sie mich in meinem Leben noch stärker ergriffen hätte. Sie schenkten sich meinen Wünschen wieder, Sie waren noch da. Ich muß schweigen! Worte sagen nichts von den Empfindungen, die mich belebten. Aber mein liebster Freund, wann, wo und wie seh ich Sie wieder? Einmal, ach einmal müssen Sie noch dahin kommen, wo ich wohne. Wenigstens alsdann, wenn ich nicht mehr hoffen darf, wieder so angenehm getäuscht zu werden als heute. Geben Sie doch Ihrem ehrlichen Wirt dieses kleine Billet und sagen, daß ich ihm im Ernst wegen seiner frommen Betrügerei Dank wüßte. Und Sie mein Teurer, wie brachten Sie diesen Tag zu? Wie werden Sie schlafen? So sanft als ich, voll von Überzeugung, daß ich bin

      Ihre Sie liebhabende Freundin Sappho.

 
[Berlin,] den 24. Juli [1761] abends.

      Seufzer:

Streu Schlummer-Körner auf ihn hin,
Du Mutter der Ruhe, du Nacht,
Ihn träum ich, wenn ich schlafend bin,
Ihn denkend, hab ich gewacht.

 
[Magdeburg, Oktober 1761]

      Oh, ich bin so zerstreut, ich wünsche mich so oft nach Halberstadt, als oft ich atme. Welch eine Verschiedenheit zwischen hier und da. Wie ist mir alles zuwider! Ach, Sie sollten mir Ihr Bild geben, meine Augen suchen es und mein Herz klagt.

 
Magdeburg, den 8. November 1761

      Ich begebe mich von der Mahlzeit zum Schreibtisch, mein liebster Freund, um Ihnen geschwind zu sagen, daß ich heute unsrer Königin eher als die Damen aus Magdeburg glückwünschte. Es war gegen zwölff Uhr, als ich mich zu ihr tragen lies. Man sagte mich so gleich an, eine Camerfrau eröffnete den Saal, und ich sagte zur Königin, daß ich mich untter die Tausende mischte, die sich über dem Tag freuten, der uns eine so vortreffliche Königin gab. Ich sagte, daß ich käme, ihr Glük zu wünschen, und daß ich Gott bäte, ihr bald sehen zu lassen, wie der König seinen Ländern den Frieden und die Glükseligkeit gäbe. Sie dankte mir mit einer lächelnden Miene und erkundigte sich wie mirs zu Magdeburg gefiel. Ich unterrichtete sie von der Güte, die mir im Reichmanischen Hause widerführe, sagte, daß ich sehr woll versorgt sei und den Wintter hier bliebe, auch wieder einmahl nach Halberstadt ginge. Bey Gleim? fiel sie mir mit einem gnädigen Kopfniken in die Rede. Ja, Ihro Majestät, bey Gleim, sagt ich, um meine Lieder-Samlung auszufertigen. Daß macht Sie gut, sprach die beste Königin. Ihre Lieder, die man mir jüngst auff die Prinzen überreicht hat, sind auch sehr schön gewesen, und es ist mir lieb, daß Sie hier bleibt. So sagte sie, und Sie, mein Allerwerthester, müssen doch glauben, daß mir der Ausruff Ihres Nahmens von dem Munde der Königin ein großes Geschenk war. Sie kontte nichts wählen, um mir wegen der Ode, die ich ihr brachte, zu danken. Nichts war so geschikt als diese Zuvorkomung. Ich wiederhohle daß Wort «bey Gleim» mehr als tausendmahl, und es wird mir immer süßer, je öffter ich diese Wiederhohlung mache, aber Sie, mein Liebster, Sie finden wieder Vergnügen, mich klagen zu hören. Ich glaube, daß Sie von mehr als einer Uhrsach gehallten werden: O, ich habe Ihr Herz wie an Ketten hin und her gezogen gesehen, doch wer hällt Ihre Feder? Schreiben Sie mir, ich bitte Ihre Freundschafft um diesen einzigen Trost, denn außerdem, daß ich nach Brieffen sehne, quält mich der Gram um Ihre Gesundheit. Sie bedürffen nicht mehr als eine halbe Stunde zum Schreiben, schenken Sie mir diesen kleinen Theil Ihrer kostbahren Zeit! Wenn Sie nur in diesem Augenblik meine schmachtende Miene sehen sollten, gewis würden Sie sich [... unleserlich]. Ich lege Ihnen hier zweien Lieder bey, die nicht den dritten Theil sagen, von dem, was ich empfinden mus. Ich hoffe nicht mehr auf Ihren Rat hin. Nein, gefahren kommen Sie und bleiben etliche Tage zu Magdeburg und nehmen alsdan mit sich zurück Ihre ewig Sie liebende Sapho.
      Sie sehen hier die Ode. Ich sang sie den Sechsten von zehn Uhr des Morgens bis zur Tischzeit.

 
Um halb fünf, den 16. November 1761.

       [Gleim ist in Magdeburg zu Besuch.]

Deckt noch der Schlaf Dein Auge zu,
Mein Liebster? Oh, um süßer Dich zu denken,
Laß ich die Trunkenmacherin, die Ruh,
Aus ihrem Kelch mich mindrer tränken.

5
Nur der Soldat und nur der Mann
Des Hühnervolks sind munter, müssen wachen.
Mich aber weckt die Liebe, diese kann
Auch noch im Tode munter machen!

Du wachst vielleicht, durch Glockenschlag
10
Aus sanfter Ruh, aus süßem Schlaf gestöret?
Ich wache, weil mein Herze Nacht und Tag
In sich laut Deinen Namen höret.

      nach fünf Uhr schon

Ich wache, bester Freund. Gesünder durch die Ruh
Geworden, hüpf ich auf, durch mein Gefühl befohlen,
Geh ich mir diese Feder holen:
Mein erst Geschäft, mein erstes Lied bist Du!
5
O mein Gedank flog gestern durch die Gassen
Und suchte Dich, kam traurig wieder, rief:
Er hat sich nirgend finden lassen!
Was tat ich, liebster Thyrsis? Ich entschlief.
Um mindrer zu empfinden meinen Kummer,
10
Warf ich mich tief herunter in den Schlummer.
Und aufgewacht sehnt meine Liebe sich
Nach Deinem Blick, mein Auge suchet Dich.
Halb wild herumgeschweifet kommt er wieder,
Mein Blick, und siehet traurig vor sich nieder.
15
Du bist nicht da! Itzt rufet mit Geschrei,
Mir hörbar nur, mein Herz den Tag herbei.
Dann werf ich mich in meiner Kleidung Hülle
Und komme, daß sich mein Verlangen stille.
Empfange mich! ganz Heiterkeit in Dir
20
Und ganz Gefühl im Herzen lächle mir.
Mein sollst Du sein in dieses Tages Länge,
Mir viel zu kurz! O wäre einer Menge
Der Tage noch bestimmt für mich allein,
Um Dich zu sehn, um immer Dein zu sein!

      Immer [die] Ihre zu sein, wollt ein Wunsch. Doch den kann ich möglich machen. Dieses steht in meiner Macht. Ich kann Sie unaufhörlich lieben. Sie mögen alles, alles unbeantwortet lassen, was Ihnen meine Empfindung sagt. Sie werden vielleicht aufhören, nach mir zu fragen. Ich aber werde niemals aufhören, Ihr Herz, Ihre Freundschaft und Sie selbst zu lieben. Oh, mein krankes Herz sagt Ihnen seinen Gruß; und ich bin weniger gesund, als meine Wangen vorgeben, als ich selbst sage. Aber ich fühle nichts! Ich bleibe für den Schmerz stoisch! Nur für Dich, für Dich bin ich Gefühl!

 
[ohne Datum; wahrscheinlich am 17. November 1761]

Sie, mein Liebster, waren gestern nichts weniger als über Ihre Ankunft erfreut. Ich fand an Ihnen eine gewisse Zerstreuung und gar keine Gegenwart Ihres Geistes. Gewiß, Ihre Ablehnung machte mich so verwirrt, daß ich vergaß, mein eigen Bestes zu besorgen. Es muß Ihnen zu sehr bekannt sein, wie Sie durch Ihr Fremdetun, durch diese kalte Ausrufung «Madame» mich beleidigen. Verdien ich nicht den Namen einer Freundin? Doch ist's möglich, kann ich mit Ihnen zanken? O ich will mich nicht beschweren. Kommen Sie nur, auch Ihre trockenste Miene, auch Ihr gleichgültigstes Wort ist Erfrischung für das Herz

             Ihrer Sappho.

 
Magdeburg, den 5. Januar 1762

      Sie werden sich an ein Lied erinnern, mein Liebster, daß ich ehedem der Gräfin v. Henkel an ihre Nachtigall sang. Sie ist endlich ihrem siebzehnjährigen Verlobten angetraut. Laßen Sie mich die Geschichte davon erzählen. Den 30. früh sah ich einen gedekten Tisch, auff welchem sich zweene Schlangen übereinander wällzten. Ich zählte an diesem Tisch ohngefähr fünf oder sechs Köpfe. Was ist das? rief ich. Es wird der Gräffin Henkel ihre Hochzeit sein, sagte die Frau v. R. Was haben Sie mit ihrer Hochzeit zu thun? Ey, sprach sie, sind mir nicht ein paar Kisten von ihr in Verwahrung gegeben worden? Ich dachte weiter an nichts. Ich sang meinem kleinen Prinz Heinrich zu seinem Geburtstage, daß aus sechsundvierzig der deutschen Sprache Genius an der Spree weinen sas und vom Apoll auff dem neugebohrnen Prinzen vertröstet ward. Als ich iezt fertig war, kommt meine gutte Reichmann und sagt: Stellen Sie sich vor, mein Mann hat auf der Parade der Henkel versprechen müssen, daß ich sie, vier Meilen von hier, zur Trauung geleiten soll. Mir fielen die gepaarte Schlangen ein, ich lachte. Und sie fährt mit noch zween Damen und der Braut fort. Der Jäger des Bräutigams versichert, sein Herr würde zween Meilen von hier Bediente mit Fakeln entgegen senden. Man ist auf dem halben Wege, es kommen keine Fakeln. Die sorgsame Reichmann läßt ihre mitgenommenen anzünden. Sie kommen an den bestimmten Ort vor das Wirtshaus, wo der Herr Major von Sidow logiert. Der Thorweg ist voller Frachtwagen. Sie lassen den Postillon wie zu Felde blasen. Es kommt kein Bräutigam. Die Braut sizt wie in einer Ohnmacht im Wagen. Endlich fahren sie um das Haus herum zu dem anderen Thor. Es wird abgestiegen und die Stiege herauff gegangen, ohne daß jemand zum Vorschein kommt. Man eröffnet daß Zimmer, und da steht der Herr Bräutigam, der seine Verlobte in acht Jahren nicht gesehen hatte. Er macht ihr auff ihrem Grus eine eben so kalte Verbeugung, als mir Ramler machte, da ich nach Magdeburg reisen sollte. Die Frau v. R. fragte, wo der Prediger wäre, der trauen sollte. O, hören Sie, rufft der Herr Maior, hören Sie, wie es mir geht: diesen Augenblik bekome ich von Cöthen einem Brieff, der Prediger kan nicht komen. Was? schreyt die Commendantin, Herr Maior, Sie sollen den Hoff und mir keine Nase drähen! Gleich schaffen Sie einem Priester, oder Sie müssen mit uns nach Sachsen fahren, denn ich schwöre Ihnen, daß ich ohne die Handlung nicht zurück gehe. Es wird zu dem Pfarrer des Orts geschikt. Der arme Mann liegt an der Schwindsucht und sieht dem Tode entgegen. Es wird darauff bestanden, daß ein Prediger komen müsse. Man treibt endlich einen auff, der für hundert Thaler auß der Braut Händen ihr ein Unglük auff ihr ganze Lebenszeit anknüpft. Es ist zehn Uhr abends. Man sizt zu Tische, sechs Personen an der Zahl, der Bräutigam war schon trunken. Er leerte noch zween Flaschen und sagte zwanzig mahl: er könne den Hoffgeruch nicht vertragen. Es ist gegen zwey Uhr, man bringt daß neue Paar ins Schlaffzimmer. Der Herr Maior läuft zweymahl zu einer andern Thür wieder herauß, bis ihn die Reichmann mit Gewallt zurük treibt und die Thür verschlißt. Eine Stunde nur bringt er bei der Braut zu, da rufft er: Thee! Die Damens stehen auff, es wird Thee getrunken, der junge Vermählte flucht auff das Theewasser, und die geduldig gewordne neue Frau geht mit geschwinden Schritten in die Küche, ihm ander Wasser hohlen. Ich fürchte sehr, daß sie mein Schiksaal hat! Sie lies mich um einen Gesang bitten, aber ich kan ihr nicht singen, beklagen nur kan ich sie. Und lieben kan ich keinem als Tyrsis.

 
Halberstadt, den 7. Februar 1762.

      Sappho ist traurig bei Thyrsis

Der Sturmwind heult den Tag und mich abscheulich an.
Von schwerem Traum bin ich erwachet
Und fühle Traurigkeit, die ich nicht dämpfen kann,
Hier, wo mich vormals alles angelachet.

5
O Thyrsis, Dich und mich täuscht mein gezwungner Scherz.
In dieser Brust, die für Dich lebet,
Schwillt noch ein Tränenstrom mir hoch herauf das Herz,
Das froh zu sein sich nur umsonst bestrebet.

Vor mir entfliehet scheu die Muse, denn sie blickt
10
In meine Seele, schwarz behangen
Gleich einer Braut, der itzt ein Scheidebrief geschickt
Ward von dem Mann, an dem sie sich vergangen.

Die Seele, die Dich liebt, versündigte sich nicht!
Und dennoch fühlt sie schwere Reue,
15
Heißt meine Augen spähn in Deinem Angesicht,
Und seufzet matt, mein Thyrsis, ach, verzeihe!

Sprich, mein Geliebter, daß Du nichts verloren hast
Von dem Gefühl, für mich empfunden.
Dann wird mein armes Herz wie unter einer Last
20
Von tiefer Schuld zur Freud hervorgefunden.

 
Den 9. May 1762

      Endlich, mein liebster Freund, werden Sie den Herrn Graffen wegen meiner ersten Lieder befriedigen. Hier sind sie. Ich bin ungewis gewesen, ob Sie der Rinderhirrte in Händen gehabt. Die Länge der Zeit macht mich vergessen, was für Verße ich ihm gegeben hatte. Ich erhielt sie gestern und muste, meines traurigen Wesens ohnerachtet, mehr als einmahl lachen. Von dem Heldengedichte wüst ich kein Wort mehr, und von den beyden Billiets, die ich dem Hirrten geschrieben, auch nicht. Sehen Sie nur, was ich schon damahls vor ein delicat Freundin gewesen. Ich konnte daß Kaltsinige des gutten Akermans [gemeint ist der Rinderhirte] nicht außstehn. Mein despotischer Ehherr hatt mir eines Tages ein ihm gehöriges Buch verbrant. Ich hatte meinem ersten Sohn, der etwaß krank war, an der Brust liegen und laß. Mir dünkt, es waren einzelne merkwürdige Geschichten. Grimiger riß mir die männliche Wuth das Buch auß der hand und warff es ins Feuer. Ich verschwieg den Verlust so lange, bis mein Bücherliefferante darnach frug. Er sagte nichts, aber machte eine so mürrische Miene, die mich mehr als Verdruß argwöhnen ließ. Ich wies ihm einigemahl Verse, die besser waren als seine, und ich glaubte, daß er mißgünstig wäre. Auch hies er mich eine Heuchlerin, wenn ich von göttlichen Dingen sprach, denn er war sehr from und nicht so muntter alß ich. Indessen mus ich wohl davon überzeugt worden sein, daß ich ihm Unrecht getahn, denn ich besinne mich auff keine Zänkerey mehr. Ich kont auch im Ernst nicht mit ihm brechen. Sein Büchervoraht zog mich viel zu stark, alß daß ich seines Vatters Haus meiden können. Offt, sehr offt, war keine Seele da als seine Großmutter, ein altes Weib. Ich ließ mich nichts hindern, ich lieff in die veralterte Stube, alle Bücher umzudrähn, und froher war nicht Don Goldofon [portugiesischer Geizhals in einem Gedicht der Karschin] über einen Gewinn als ich über den Fund eines neuen Buches. Der ehrliche Mensch ist in Wahrheit dreymal besser als ich, und der Krieg hat ihn so beraubt. Nun hilfft ihm sein Fleiß in den Schnizwerk, er müßte sonst gleich tausend armen Landleuten sein Brodt bitten gehn. Er schreibt zwar einfältig aber in der Sprache des redlichen Mannes. Gefällt Ihnen nicht der Ausruff, da er Gott dankt, daß dem Mädchen, an der sein Herz hing, ein Mann gegeben ward? Er muß sich die Mädchens mit Verßen erworben haben, sonst hatt er außer seiner Tugend und seinem rechtschaffenen Herzen nichts, daß ein Mädchen anloken kann. Er ist, wie ich ihn schon Gleminden beschrieb, klein und unangenehm. Ich hab ihn meine Glückseeligkeit nur in zwey Worten gesagt. Es war ein Billiet, was ich Ihnen schrieb, und er freute sich mitten in seinem Elend, daß es mir wohlgeht. Sie mußten glauben, daß ich wünsche, Gelegenheit zu haben, ihm meinen Antheil an seinem Armwerden zu zeigen. Aber, werden Sie sagen, Sapho läßt ihr gar zu weiches Herz wünschen, allen Unglüklichen zu hellffen? Ja, mein liebster Freund, Sapho würde glüklich sein, wenn Sie daß köntte. Dieser Hirtenknabe verdient noch mehr mein Mittleid als der Man in Glogau. Bey diesem kam mein feyerliches Versprechen dem Mittleid zu Hüllfe. Jenem hab ich niemals etwas versprochen, und ich wollte nur seinetwegen, daß mir irgendeiner von den Grosen ein Geschenk machte. Doch vielleicht kan ich von deren Geldern, die für Geplünderte bestimt sind, ihm etwas erobern. Ich will hoffen. Nun hab ich doch wieder etwas, daß mein Herz zu wünschen empöhrt. Schon war es wie fühllos, der Zustand meines allerälltisten Freundes macht mich auffmerksam. Er ist halb Bürger, halb Bauer, diß schadet nicht. Sie, mein bester Freund, schäzen die Tugend, wo sie gefunden wird, und diese Gewohnheit hatt auch Ihre beständig ergebne Freundin Sapho.
      Sagen Sie dem Herrn Graffen, er möchte, wenn es ihm beliebt, diese Sächelchen untter seinen Alterthümern eine Stelle gönnen.

 
Berlin, den 15. August 1763

      Siebzehn Tage, bester Freund, verweilt ich im schönen Potsdam und fuhr in Gesellschaft meiner freundlichen Wirthin nach Berlin zum Besuch und fand die Briefe meines lieben Gleim und freue mich nun, daß ich ihm viel Angenehmes melden kann!
      Friederich der Große, der beste Friederich hat das letzte Gewölke meines Mißvergnügens zerstreut! Sie müssen nun ihn mehr noch segnen als jemals, weil er ihre Freundin vor jeder Sorge des Lebens in Schutz nimmt!
      Seydlitz, der General, ergriff den schönsten Augenblick, meine Lieder ihm zu geben; es geschah am vorigen Montag beym Abendessen, als der Obrist Quintus dem König ein übersetztes Stück von mir übergab, eine Phantasie, die von meiner Mühe dahergeleiert ward, während daß der General Seydlitz sich auskleidete und ich an der Seite seines Schreibers schrieb! Es betraf, was ich schrieb, den berühmten Franzosen [d'Alembert], der in Rußland hundert tausend Rubel ausschlug, die ihm wegen der Erziehung des künftigen rußischen Thronbesitzers angebothen waren; das Seitenstück zu diesem kleinen Gedichte war eine andere gleich flüchtig hingeschriebene Phantasie an den Obristlieutenant von Anhalt! Ich machte diesem Herrn wegen seiner cäsarischen Fertigkeit in Staatsgeschäften ein Compliment, beschrieb ihm den Caracter meiner Muse, sagte, daß ich weder Pracht noch große Zinsen verlangte, mein heißester Wunsch war' eine kleine ländliche Hütte, wäre ein Garten um ihr! Anhalt laß die kleine Phantasie und warf sie dem Uebersetzer Quintus hin! Diese zwey Kinder meines Genius empfahlen in ihren französischen Ueberrökken dem König ihre deutsch gekleideten Schwestern!
      Die Ode: An meinen Geist wegen der Unmöglichkeit den König zu singen, und die andere: Über den weinenden Amor in Charlottenburg wurden gelesen. Man unterhielt sich den ganzen Abend von meinen Liedern. Vermuthlich hatte der General von meinen Triumphgesängen hinzugethan!
      Der König verwunderte sich über meine Bekanntschaft mit dem Horatz, dem Homer, dem Pindar und fragte den General, ob ich in Potsdam noch sey? Wo ich wohnte?
      Den andern Morgen schickte Quintus ganz früh und ließ mich zu sich einladen. Sein Erstes war, mir zu sagen, daß Friedrich mich sehen wollte. Bald darauf ging ich hinaus nach Sanssoucis! Die Edelknaben umringten mich und wünschten mir Glükk! Freund Seydlitz aber mußte den Monarchen nicht heiter genug empfunden haben! Er sagte, man müßte mich heut ihm nicht vorstellen! Also gieng ich zurück. Den Tag darauf fragte der König mit einer Art von Ungeduld nach mir! fragte: warum man mich nicht vorgestellet hätte? 
      Die fünfte Nachmittagsstunde des 11. August also war diejenige, in der ich zum Marquis d'Argens gerufen ward. Er und Herr von Katt, Vorleser des Königs, stellten mich vor. Ich stand im großen Marmorsaal, aus welchem vor etlichen Tagen die Prinzessinnen in den Vorhof tanzten, zehntausend Lampen erhellten den Saal! Hier stand ich und erwartete den Monarchen, den großen, welchen ganz Europa, welchen Indien kennen will. Das Herz klopfte mir in zwölf gewaltigen Schlägen hoch empor, doch gewann ich soviel Zeit, daß ich meine Lebensgeister, ehe der König die Tür aufmachte, noch ganz gut in Ordnung bringen konnte. Nun aber trat er herein!


Die Audienz der Karschin bei Friedrich II.
(vgl. dazu das Gedicht der Karschin)


      Ist Sie die Poetin?
      Ja, Ihro Majestät, man nennt mich so!
      Sie ist doch aus Schlesien?
      Ja! Ihro Majestät!
      Wer war Ihr Vater?
      Er war ein Brauer auß Schweidnitz beym weinreichen Grünberg!
      Auß Schweidnitz? Gehört das nicht den Gräflichen?
      Bey Lebzeiten meines Vaters war ein Herr von Kößelitz der Eigenthümer!
      Aber, wo ist Sie gebohren?
      Auf einer Meyerey, wie Horatz eine gehabt hat.
      Sie hatte, sagt man, niemals Unterweisung?
      Niemals, Ihro Majestät, meine Erziehung war die schlechteste!
      Durch wen aber ward Sie eine Poetin?
Durch die Natur und durch die Siege von Ew. Majestät!
      Wer aber lehrte Sie die Regeln?
      Ich weiß von keinen Regeln!
      Von keinen Regeln? Das ist nicht möglich! Sie muß doch das Metrum wissen!
      Ja! Ihro Majestät! aber ich beobachte das Metrum nach dem Gehör und weiß ihm keinen Nahmen zu geben!
      Wie denn kommt Sie mit der Sprache zurecht, wenn Sie sie nicht lernte?
      Meine Muttersprache hab ich so ziemlich in meiner Gewalt!
      Das glaub ich, was die Feinheit betrift, wie aber stehts mit der Gramatik?
      Von der hab ich die Gnade E. Majestät zu versichern, daß ich nur kleine Fehler mache.
      Man muß aber gar keine machen! (Er lächelte.) Was ließt Sie denn?
      Plutarchs Lebensbeschreibungen!
      Wohl auch Poeten?
      Ja, Ihro Majestät, zuweilen auch Dichter, den Gellert, den Haller, den Kleist, den Uz und alle unsre deutschen Dichter!
      Aber liest Sie nicht auch die alten Dichter?
      Ich kenne ja nicht die Sprache der Alten!
      Man hat doch Übersetzungen!
      Ein Paar Gesänge Homers von Bodmer übersetzt, und den Horatz von Lange laß ich.
      Also den Horatz! Hat Sie auch einen Mann?
      Ja! Ihro Majestät! aber er ist von Ihren Fahnen entlaufen, irrt in Polen umher, will wieder heyrathen und bittet mich um die Scheidung, die ich ihm verwillige, denn er versorgt mich nicht!
      Hat Sie Kinder von ihm?
      Eine Tochter!
      Wo ist die?
      Zu Berlin! Hofrath Stahl bezahlt für sie.
      Ist sie schön?
      Mittelmäßig, Ihro Majestät! Sie hat keine schöne Mutter gehabt!
      Diese Mutter war doch wohl einmahl schön!
      Ich bitte unterthänig um Vergebung! Sie war niemals schön! die Natur vergaß den äußern Putz an ihr!
      Wie wohnt Sie denn?
      O, Ihro Majestät! Sehr schlecht! Ich kann kein Haus bekommen in Berlin, und, um Ew. Majestät eine Idee zu machen von meiner Wohnung, muß ich bitten, eine Kammer in der Bastille zu Paris sich zu denken.
      Aber, wo wohnt Sie eigentlich?
      Im alten Consistorium, drey Treppen hoch, unter dem Dach!
      Wovon lebt Sie?
      Von Geschenken meiner Freunde! Hofrath Stahl giebt mir sehr oft zu eßen.
      Wenn Sie Lieder in Druck giebt, was giebt man Ihr für den Bogen?
      Nicht viel, Ihro Majestät, ich ließ acht Lieder auf Ihre Triumphe drucken -
      Was gab man Ihr?
      Nur zwanzig Thaler.
      Zwanzig Thaler? In Wahrheit! davon lebt man nicht lange! Ich will schon sehn, will sorgen für Sie!
      Mit diesen Worten entließ mich der König! Ich taumelte den Saal hinaus! General Lentulus begegnete mir. Ich weiß nicht, was ich ihm sagte...

 
Berlin, den 14. July 1765

      Mein liebster Freund
      Ich würde sehr boßhaft handeln, wenn ich unzufrieden über Sie wäre wegen des Geschwätzes von einem Berliner. Ich erinnre mich, daß man mich auff einem Pfannkuchenschmauß einlud in meiner Nachbarschaft. Der Wirt des Gastsaals war ehemals Küchenmeister bey der Königin Mutter und ernährt sich würklich iezt von einer Tobakgesellschaft. Ich ging nicht. Die Glocke schlug achte, und man schikkte zween Abgeordnete, die mich halb mit Gewalt und halb mit Güthe fortzogen. Die Gesellschaft war zahlreich, und es ist wahr, daß ich zwischen einem sogenannten Hofrath und noch einem andern Tittelmann zu sitzen kam. Es war außer mir nur noch eine Frau zugegen, deren Man nach der Mahlzeit Cohcolade für uns beyde machen lies. Ich habe keinem Vers geschrieben, es kan sein, daß ich etliche gesagt hatte, die man auffschrieb. Ich weiß es nicht mehr. Genug, die Wirtsleute bahten micht einige Tage drauff zum Gebuhrstage ihrer einzigen Tochter. Die Mutter war eine sehr freundliche Frau von Alttenburg, auß der Vatterstadt meiner lieben Knobloch; Gleminde wird sich daran zurük erinnern, daß ichs ihr erzählt habe, und ich bin seitdem nicht wieder dahin gegangen. Es kan sein, daß damahls Herr Hofrath kein Compliment nach seiner Erwartung von mir erhielt. Es ist auch möglich, daß er sich untter dem Tischkreyse des Sandkruges befand, wohin man mich im vorigen Herbst einmahl mit dem Wagen abhohlte. Dem sey wie ihm wolle, ich sehe wohl ein, daß ich meinem Bruder, wie in vielen anderen Stüken also auch hierrin, hätte folgen solln, und Sie, mein bester Freund, werden künfftig dergleichen Erzählungen nicht mehr hören dürffen. Es ist mir lieb, daß Sie mir davon Nachricht gaben, um mir auff ewig einen Abscheu vor allen großen Geselschafften zu machen. Was sonst meine Umstände betrifft, so sind sie nicht dergestalt kläglich, daß man mich bedauern müste, und ich vermuthe, daß ein Freund mir auß gar zu gutten Herzen Ihnen die Sache so vorbrachte. Ich leide keinen Mangel und mache keine Schulden. Freylich kan ich nicht daran denken, mir ein neues Kleid zu schaffen. Meine Kinder fordern daß übrige, was mir die allerunentbehrlichsten Außgaben lassen. Bald bedarff die Tochter, bald der Sohn etwas, denn sie werden gröser und erfordern mehr Sorgen. Ich kauffte mir vor einigen Tagen dem Mädchen Linnen zu zween Betlaken, und sie heischte gestern wieder einen Thaler, den ich ihr geben mußte, weil er nothwendig war. Dem Sohne gab der junge Horst ein Somerkleid. Der Sommer ist schier hin, und ich muß auch für ihn den Wintter denken. Der Hauffen Holz muß besorgt werden, und wer kann alles wissen, was zum menschlichen Leben gehört. Ich gestehe es, daß ich jüngst etwas unzufrieden über mein Schicksal war. Ich handelte thöricht. Eine reiche Bürgerin, die ein arm Nähtermädchen gewesen ist, zog auff dieses Jahr ihren zweyten Rock an. Er kostete hundert und fünfzig Thaler. Sie befiehlt mir, und man hohlt einen Wagen, auff welchen sie ausfährt, ohne die Schönheiten ihres Gartens zu achten, der am Hause liegt und mit dessen vierdten Theil ich mich sehr glüklich schäzen würde. Ich gönne ihr noch einen Hauffen Glük hinzu, denn sie ist würklich eine gutte Frau. Aber mir fiel ein, daß mich die Auswärtigen vor weit glüklicher halten, als ich bin, und war in der That mürrisch, indem mir zwey schlechtte Frauensleute begegneten. Eine davon trug etwas in einem Tuch eingebunden und rief ihrer Gefährtin zu: Ich bin gar sehr zufrieden, wenn ich gleich nichts habe als ein Stük gesalzen Brodt, denn ich habe die Gesundheit. So sagte daß arme Weib, und ich schämte mich diesen Augenblik wegen meiner Unzufriedenheit, weil ich gesund bin und alle Tage mehr als Salz und Brodt habe. Ich wil mich bemühen, ruhig zu sein. Ich komme künfftigen Michaelis der Frau v. Knobloch noch um die Hälffte näher und wil mich heute außer ihrem Hauße noch mehr als zwo Stunden zu besuchen. Eberhard lernte diese vortreffliche Frau kennen. Sie geht iezt auf meine Anführung fast alle Tage nur sechs Schritte von ihrem Logis in einen Weingardten, wohin keine Gesellschafft komt. Sie nimmt die Amme, ihr Wilhelmchen, ein Buch und ihr Strikzeug mit. Ich führte den jungen Horst und seinen [... unleserlich] dahin, und sie kam in wenigen Minuten nach. Wir blieben länger als drey Stunden zusamm, und Eberhard kam denselben Abend noch in voller Hize zu mir, um durch hundert Außrufe das Lob der besten Frau von Berlin zu sagen. Und wenn mein Glük keinen andren Vorzug hatte als die Freundschafft dieser schönen Seele, so würd es allemahl beneidenswerth und glänzend genug sein. Ich eße heutte mit ihr und bin früh auffgestanden, um Ihnen, mein liebster Freund zu schreiben, ehe die Zeit zum Coffe kochen, Trinken und Kirchgehen herran komt. Eberhard redet heute formittags und nahm des heiligen Prediger Dietrichs, welcher nebst Spalding den Brunnen trinkt, und den wil ich hören. Er ist der einzige Mensch, mit dem ich von Dingen der Poesie sprechen kan, und ich mag ihn sehr gern leiden, weil er ehrlich ist und weil ihm seine natürliche Lebhafftigkeit und sogar seine Zerstreuung gut läßt: Ich zweifle sehr daran, daß ihm der Gesang an die Naiade gefallen wird, denn sein Geschmak ist sehr verfeinert, seitdem daß er in gewiße Stunden gehet und außer diesen Collegia noch alle Woche ehtliche Mahl den Moses besucht. Der Gesang gefällt mir nicht, und der Plan eines andern Liedes, welches ich gestern untter der Presse laß, mißfiehl mir vollends daß meinige. Es war ein Gespräch mit der Auffschrifft: Ptolomais und Berenice. Der Anfang scheint sehr simpel zu sein, aber diese Simplicität verschönert sich bey jedem Schrit: Sie sagen sich etwas von ihrer gegenseitigen Liebe vor. Berenice versichert untter andern, daß Ptolomais sie zuerst gerührt und daß sie iezt keinen andern lieben würde, wenn er ihr gleich die Gottheiten über beyde Wellten gäbe. Der zärtliche Prinz fragt endlich: ach, wann wirst Du mir aber Dein Bild geben, diese süße Miene und dieses Augs schlauen Wiz - als wenns Suada wäre. Nein, spricht sie, ich fordre von Dir Deine Abbilder, damit, wenn Dich die Sorgen des Thrones von mir reißen, ich doch etwas zu meinem Vergnügen habe.

            Drauf singt er also:
      Wen mich und dich die Göttin Isis liebet
      Und mir dein Bild in einer Tochter giebet,
      So bring ich diese Schaal ihr dar,
      Die unsres Bundes Zeugin war.
            Berenice:
      Wenn mir dein Bild die Götter nur verleyen,
      Dann will ich ihnen diese Loke weyen,
      Die fünfzehn oder sechzehn Jahr
      Die Zierde meiner Scheittel war

      Darauff sagte der Prinz, daß die Loke zu schön sey vor die Berührung des Stahls und daß sie alsdenn an dem Pol einen Raum finden würde. Ja, sagt die Prinzessin, deine Schaal sol bis in den Himmel fliegen, und Nectar und Unsterblichkeit sollen darinn rauschen. Er antwortet, daß, wenn Sie einst dahin käme, wo ihre Loke schweben würde, dan wolt er ihr die Schaale gefült darreichen mit Nectar, der zwar nicht so süße sein köntte als dieser hochzeitliche Wein.
      Sie sehen, mein liebster Freund, wie schön das Gedicht sein muß, da ich es mit den wenigen Lettern der Preße hervorgestohlen habe. Bion und Moschus machten keine so niedliche Idylle. Ich hätte gern ein Exemplar entführt, aber Wintter [Berliner Verleger der Karschin] gab zu genau acht darauff, um keinen Verdruß mit dem Sänger zu haben. Es sind eine Menge Carmen und Bände gedrukt worden bey dieser Gelegenheit, und ich möchte nur die Verfasserin von diesem einzigen Stük gewesen sein. Es ist unmöglich, daß es nicht Friedrichen selbst gefallen müßte wegen des einfachen Plans und wegen seiner Naivität. Der Dichter verschwieg seinen Namen und überläßt den Kennern daß Rathen. Ich hätte beynahe ganz geschwiegen, weil mir die Geschichte von dem Verlobungsgesang noch im Andenken war. Sie werden auch wol sehen, daß der ganze Gesang mit ziemlich kallten Blutte geschrieben ward. Ich kan dagegen mit einem desto wärmeren Herzen versichern, daß ich nicht aufhöre zu sein, Ihre getreu ergebne Sapho.
      Ihr Brieffchen war mir angenehm, aber es benimt mir die Hoffnung, Sie selbst zu sehn. Man redet in ganz Berlin davon, Sie kämen mit dem Herrn Dohmdechant. Sagen Sie ihm meinem ersten Gruß, Gleminden den zweyten und Welin den dritten.

 
Den 24. Jänner 1770

      Von unsern Sulzer komm ich, mein liebster Freund, wir haben Friedrichs Geburtstag gefeyert bey rauschenden Weine, und einer von den Schenkeln des Ebers war unser Braten. Sulzer war äußerst vergnügt. Er hat mir befohlen, Ihnen tausend freundschaftliche Grüße zu sagen, und Sie können gar nicht glauben, was mir mit dem Wilde vor Freude gemacht ward. Ich habe meiner lieben Knobloch einen Drittheil des Rükens geschikt. Sie hatte seit zwölf Tagen wenig genoßen, und daß schmekkte ihr vortrefflich. Sie empfiehlt sich Ihnen und klagt ihre Trauer. Ich habe meinem armen Bruder und seinem schwangren Weibe ein Schulterblatt gegeben, der Madam Reth ein Stük vom Bauche. Alle seegneten den Jäger, und mein Haußbruder brachtte gestern einer alten 77jährigen Wittib ein Stük von unssern Gebratnen. Daß krummschultrichtte Weib weihnte Trähnen der Freude, denn Sie weiß kaum noch, wie Fleisch schmekt. Sehen Sie, mein Liebster, so viel Menschen kan eine einzige Gutthat vergnügt machen. Mein Gott, welch eine Seeligkeit muß daß sein, wenn man Güter hat und rings um sich her die Hungrigen speisen kan. Ich sage künfftig mehr davon. Heute mus ich eilen, meine Brieffchens von Sonnabend sind schadhaft geworden, und ich habe nicht Zeit zur Umschreibung. Ich eile, den Brief des Cämerirs fortzuschaffen. Sagen Sie mir in Ihrem nächsten, was er geschrieben hat, und legen ein Briefchen an ihn bey. Er baht mich um eines von Ihnen und hintter dies noch viel Grüße. Ich hielt gestern zum leztenmahl die Mahlzeit mit ihm. Herr Schwanenfelder grüßt Ihnen auch. Er nahm mich sehr wohl mit und stekte mir ein Ringelchen am Finger. Seine Frau scheint gut zu sein, die Tochter ist ein sanfftes Mädchen und der jüngste Sohn ein Adonis. Grüßen Sie Gleminde, ich bin die Ihrige zeit meiner Tage,
      Sapho.

      Laßen Sie mich dem Herrn Domdechant daß Liedchen zu lesen geben. Ich weiß, daß es hübsch gennug wäre in die Hamburger Untterhaltung.

 
Berlin, den 27. April 1776

      Ihr Briefchen, mein bester Freund, Ihr liebes Briefchen ward uns am Abend des Taufftages gebracht. Wir freuetten uns darüber, und meine Tochter ward beschämt. Sie hatte schon allerley furchtsame Gedanken gehabt, daß Ihnen ihr Bändchen nicht anngenehm gewesen wäre. Sie fand sich iezt auff eine ganz angenehme Weise wiederlegt und hörtte daß Gegentheil vom Bändchen, hörtte, daß es so willkommen war, so lieb. Wir hatten aber ganz sicher auff Ihre Person gehofft. Die Frau Kriegsrähtin Borchmann lies uns in den Ostertagen versichern, Sie wären bey Ihrem Bruder zu Linum. Wir glaubtten und erwartteten Sie von Tag zu Tag und gaben einem ehrlichen Mann, der nach Quedlinburg ging, kein Schreiben mitt. Er hätte so gern eines gehabt, hätte so gern den Dichter Gleim gesehen. Er heißt Heutfeldt, war hier Feuerwerker, bekam seinen Abschied und gehet nach seiner vätterlichen Flur zurük in einem Fleken, Dittford genant. Daselbst wird er Accizeinehmer und erbt übrigens von seinem ländlichen Erbe. Dieser Mann ist zwar kein schöner Geist, aber doch ein Verehrer von schönen Geistern. Ich hätt ihm das Glük gern gegönnt, was er so sehr sich wünschte. Wir haben seine Schwester bey uns während den sechs Wochen. Sie wird nun bald mitt ihrer Schwägerin und zwoo Kindern ihren Bruder nachgehen, aber da werden Sie vielleicht schon auff dem Wege sein. Sie kommen doch gewis in der Mitte des Mayes nach Lico zu Ihrem Landbruder. Ihre Nichte, die Frau Kriegsräthin Gärbern, war gestern bey uns. Sie bath mich, viel Empfehlungen ann daß Herz ihres theuren Oncels zu bestellen, der sie ganz vergessen hätte. Die Frau scheint mir überaus gutarttig. Sie hatte Bekümmernisse wegen ihres einzigen Kindes, welches einem Polybum in der Nase sich mus ausbeizen lassen. Sie hätte diese ihre Verwanndtin zur Tauffe an ihrer Stelle bestimmen solln. Der Ritter Bredow liess mich in seinem Namen da stehen. Der Eigensinn steht nicht gern Gevatter. Ich bin verdryßlich gewesen über ihm. Er machte gestern seinen Besuch bey der Wöchnerin und war sehr heitter. Die Wöchnerin befindet sich wohl, bis auff die Besorgnis, daß ihr nicht lannge möglich sein wird, ihrem Sohn zu stillen. Ihre Brust wirds nicht aushaltten, und der kleine Mann ist offt unruhig, weill daß Ändern der Witterung Einfluß auf sein Körperchen hatt. Ich selbst bin seit einigen Tagen nicht ganz gesund. Ich fühle mich verdroßen, so träge zum Schreiben, daß mein Brief Ihnen Lange-weille machen muß. Er ist so matt, so troken wie mein Geist. Mann spührt zuweilen einem solchen Wintter in der Seele, so öde, so unfruchtbar wie ein Winkel in Island. Ich werde heitrer sein, wenn der May lächeln wird. Noch sah ich das junge Laub im Hayne nicht ann. Es war zu staubichte, nun regnets ein wenig, nun wirds angenehmer. Flora soll ihr Schäze auffthun, wird die Flur schön machen, auff welcher Gleim, der Waizenerndtter, Gleim den ruhmreichen, dem Lorbeerzauber empfangen wird. Ich ärgere mich, daß ich Ihnen etwas Unangenehmes melden muß. Herr Hinz aus Mietau ersuchtte mich und sagt, daß er die Minnelieder nicht verkauften köntte, ob er sie gleich in der dorttigen Zeitung mitt einer sehr feinen Recension vom seligen Hartmann bekand machen lies. Ich hätte mir das nicht vorgestellt. Aber Hinz sagt, daß mann iezt überhaupt wenig nach Gedichten fragtte, Romaine will man haben und schöne Theaterstüke, Goethens Stella ward hier mitt ziemlichen beyfall etlichemahl auffgeführt. Aber ein lustiger Kopf hatt einen sechsten Act darzu gemacht, worinn Fernando zum Vestungsbau verdammt wird, Stella vom Oncel nach Hause gehohlt, und wohin Cäcilia mitt Lucinden kommt, daß weiß ich nicht. Ob sie der Stella zur Gesellschafft mittgehen? vermuthlich. Und ich muß selbst gestehen, daß man mitt dem Außgang des fünfften Acts nicht zufrieden sein kann. Fernando war ein leichtsinniger, flatterhafftter Mensch, der daß nicht verdiente, was Cäcilia für ihm thut. In einem Romain würde die Aufflösung des Knotens besser gefallen. Daß wäre ein außerordentlicher Fall, der einmahl geschehen köntte, der aber schwerlich Nachfolger finden würde. Mir dünkt, daß außerordentliche Fälle nicht auffs Theater gehören, doch Göthe wollt um den höchsten Grad der Männerunbeständigkeit und die äußerste Höhe der weiblichen Zärtlichkeit, Tugend und Treue vorzeichnen. Seine Gemählde sind richttig, sind lauter Natur und Wahrheit und so volkommen, daß er allerdings Lob verdient. Er kann seiner Ewigkeit gewis sein. Man sagt, er käme nach Berlin, kan möglich sein. Er ist mir Antwort schuldig auf zween Briefe. Er wird sie vielleicht selber bringen wollen. Er und Wieland und Gleim in Berlin, o, welch eine Zusammenkunft, welche Seligkeit für mich! Was wird Göthe zu meinem letzten Versbrieffchen gesagt haben? Ich schriebs bey der Wittwe Wintern, die sein neues Trauerspiel druken lies. Ihre Tochter ist ein empfindsames und kluges Mädchen. Sie bath mich, dem Originalgeist zu grüsen, ich thats und gab ihm die Nachricht von der Gebuhrt meines Enkels mitt einer besondren Anecdote. Ich hatte nehmlich in der Stunde seiner Gebuhrt ein Geburstagslied ferttig gemacht. Es war von einem jungen bekanntten Manne bestellt für seinem Oncel, einem Greis von zwey und achtzig Jahren. Ich arbeitete darüber während der Angstzeit unsrer Gebährerrin. Thränen flossen auffs Papier, Kumer und Furcht erfülltten mein Herz. Aber die zwölffte Stunde war bestimt, in dieser sollte der Mann daß Gedicht abhohlen. Es war keine Zeit übrig, ich kont ihm nicht täuschen, und ich hoffte auch von ihm daß Lösegeld für das Kind, welches die weise Mutter auffhaschen sollte. Ich lieff zulezt mitt meinem Schreibzeug herüber zur Flurnachbarrin und sagte, daß ich hier arbeiten wollte, bis die Gloke eilffe schlüge, da würde mein Enkelchen gebohren sein. Die Gloke schlug eilffe, mein Gedicht war ferttig, mein Mädchen kam geflogen und verkündigtte daß Dasein meines Enkels. Ich gab ihm geschwind einem Kus, indem klopfte der Abholer des Gedichts, ich empfing ihm in der andern Kammer und laß ihm die Verse vor. Indessen hatte die weise Mutter das Kind gewikelt. Der Mann wünschte mir Glük und gab mir einen Ducaten. Seit dem ersten Ducaten, den ich in Pohlen zum Geschenke bekam, machtte mir keiner so viel Freude. Den soll die weise Mutter haben, rieff ich dem Mann zu. Leben Sie wohl, grüßen Sie Ihre hoffnungsvolle Gattin, und küssen Sie zu rechtter Zeit einem eben so hübschen Knaben. Der junge Mann verlies mich, und die Wärtterrin meiner Tochter sols Ihnen einmahl in Quedlinburg beschreiben, mitt welchen Außdrüken der innigen Freude ich den Ducaten, den einzigen und erst empfangenen Ducaten, auf die Brust des Neugebohrnen legtte, zur Belohung der altten Frau, die der Wöchnerin beygestanden. Sie befindet sich gottlob so wohl, daß sie heute schon ihrem Kirchgang thun wird. Sie schreibtt, denk ich, auch an Ihnen, mein liebster Freund, die Pflicht einer Amme macht sie etwas mattherzig, so daß ihre Geisteskräffte mitt daruntter leiden. Wir haben nicht Einkünffte, nicht Plaz für eine Amme, und die Mutter wird auch den Sohn nicht gern vom Busen weggeben, nicht gern einer andern daß Vergnügen gönnen, ihm lächeln zu sehn. Ich hatte seine Gebuhrt dem Herzog berichttet. Ich sagte, daß ichs nicht wagen dürffte, ihm zum Zeugen zu bitten. Er aber schrieb mir sehr gnädig, daß er die Gevattersache annehme. Nur ist sein Brieff zehn oder eilff Tage liegen geblieben. Er war am 14. geschrieben und kontte den 18. hier sein, welches der Taufftag war. Ich bekome mehrmals Brieffe vom Herzog, die so alt sind. Weiß nicht, wies zugeht, und bin sehr unzufrieden mitt der Post, die von Halberstadt ging. Richtiger, ich sag Ihnen herzlichen Dank, mein liebster Gleim, für die herzliche Aufnahme seiner Kleinigkeiten zu Ihrem Geburtstage. Wissen Sie aber woll, daß mir der Weibskopf auffn Bändchen beßer gefällt als der Lottenkopf, den Codowiecky der Wellt gab? Ich möchte gern eine Stella, darnach gebildet, untters Publicum vertheilt sehen. Bringen Sie deßhalb das Bändchen mitt nach Berlin, und vergeßen Sie Gleminden nicht. Sagen Sie ihr meine vielen Grüße. Leben Sie wohl, und lieben Sie stets Ihre Freundin

      A. L. K.

 
Den 27. May 1778.

Was wirst Du von dem Weibe denken,
Daß Dir so lange schweigen kann
nach Deinen neuen Geistgeschenken,
und, o, wie fanng ichs endlich an,
5
bey Dir Entschuldigung zu betteln?
Krank war ich eben nicht im May.
Auch hatts kein Tag gewagt, mir Kummer annzuzetteln,
ich blieb so ziemlich sorgenfrey.
Nahm fremder Noth mich an, und, Freund, daß wirst Du wissen,
10
wie einem da zu muthe sey,
mann ist so wohl, so leycht dabei,
so herzlich mitt sich selbst zufrieden, ohne Reu,
wie ein Bedrängtter aus dem Jammer wird gerißen,
inn welchen er versunken war,
15
wie einer inn Ertrinkgefahr.
Diß hast Du hundertmahl empfunden,
was red ich Dir doch erst davon,
Dir, dem daß Herze schmelzt bey fremmden Klagethon,
genug, mir ist die Zeit verschwunden,
20
die Possen sind hinnwegeflohn.
Und wenn sie flogen, sagt ich immer,
daß nicht geschrieben ward ann Dich,
und zannktte mitt mir selbst, war auff mich ärgerlich,
und trug den Brieff imm Kopf und schrieb, und schrieb doch immer,
25
bis auff den heuttigen trübangebrochnen Tag.
Da hab ich nun so viel zu plaudern,
daß es ein Brieff nicht fassen mag.
So geht es nach zu lanngen Zaudern.

      Wahrhaffttig, ich zauder nicht mehr so lannge, denn nun weiß ich nicht, bey was ich annfanngen soll oder wo auffgehört werden kann. Vors erste wolt ich Ihnen gern erzählen, daß Göthe hier war. Sie wissens aber schon. Ich hörtte sein Hiersein, als er vierundzwanzig Stunden zu Berlin war. Denn der Bruder vom Fürsten von Deßau wohnt nicht weitt von mir in einem bekannten Hause. Ich ging Tages drauff in daß Logis der fremmden Prinnzen. Ich woltte dem Göth überfallen. Er war ausgegangen, und ich schrieb an anndern Morgen, wieder meine Gewohnheit, in halbdrolligen Thon an ihn. Er kam. Lassen Sie sichs meiner Tochter sagen, wie er gekommen ist. Uns gefiel er gut. Codowieckyn auch. Aber die anndern Herren sind gar nicht zufrieden mitt ihm. Er machtte keinem Dichter die Cour, ging nur bey Moses Mendelsohn, bey Codowiek, bey Mahler Frisch, bey seinem Landsman, den Thonkünstler Andrä und bey mich. Hatte sonnttags schon kommen wollen. Andrä aber sagtte, daß ich doch nicht zu finden wäre, schon inn der Kirche sein möchtte, also bliebs. Er ist eines Tages bey einem Baron auffm Concert gewesen, und da hatt ihm die gannze Versammlung sehr stolz gefunden, weill er nicht Bükerling und Handkuß vertheilte. Man spricht, daß ihm der Kayser baronisieren wird, und daß er als dann eine Gemahlin auß noblen Hause bekomt. Ich frug ihn, ob er nicht auch das Vergnügen kosten wollte, Vatter zu sein. Er schiens nicht weitt von sich zu werffen. Er ist ein großer Kinderfreund, und eben dieser Zug läßt mich hoffen, daß er auch ein gutter Eheman werden wird und sicherlich noch ein recht gutter Mensch, ders einmahl bereut, was in seinem Werken etwan anstößig gewesen ist. Vielleicht kommt er bald mitt seinem Herzog allein auff länngere Zeit hier. Beim Abschied lies er sich so was verlautten. Ich gab ihm ein paar frische Rosen, und geschwind hub er einem Strohhalm von der Erd auff, band damitt die Rosen zusammen und stekkte sie sich auff den Huth. Er liebt die freymütigen, offenherzigen Leute und mags gern haben, wenn er geliebt wird. Daß gefällt ihm besser als hohes Lob, wieder ein Merkmahl eines gutarttigen Gemüths. Er scheint übrigens zum Hypochonnder gebauet zu sein. Ist kein Wunder, daß sind alle gutten Köpfe. Ich will Ihnen nun eine Abschrift geben von dem Billiet an ihm.

      An Goethe
      zu Berlin, Montags den 18. Mai 1778

Schön' guten Morgen, Herr Doktor Goeth'!
Euch hab ich gestern grüßen wollen.
's ist wieder's Weiber-Etikett;
Ich hätt's von Euch erwarten sollen,
5
Daß Ihr, wie sich's gebührt und ziemt,
Mich aufgesucht und mich gegrüßet.
Ihr aber seid gar weltberühmt;
's war möglich, daß Ihr's bleiben ließet.
Ihr seid des Herzogs Spießgesell,
10
Habt mehr zu thun und mehr zu schaffen
Als mit Eurem Auge groß und hell
Nach einem alten Weib zu gaffen.
Drum sprang ich über's Ceremoniell
Hinweg mit Leichtmut und mit Lachen,
15
Zog mir mein Sonntags-Kleidchen an
Und ging, Euch meinen Knix zu machen,
So tief ich immer kann
Mit dorfgebornen Kniee.
Ich ging umsonst; Ihr wart
20
Schon fort in aller Frühe
Zu Männern feiner Art.
Nun will ich's nicht mehr wagen.
Mein Geist, ein fixes Ding,
Soll guten Morgen sagen
25
Dir Musendämmerling, -
Dir Sekretär des Fürsten,
Der auf dem Parnaß sitzt
Und, wenn die Dichter dürsten,
Mit Wasser sie besprützt
30
Aus Einem Born, der mächtig
Und wunderthätig ist -
Er macht's, daß du so prächtig,
So stark im Ausdruck bist,
Daß dir's vom Munde fließet
35
Wie Honig, den im Wald
Ein Wandersmann genießet,
Dem seine Kräfte bald
Erschöpft sind wie die meinen.
Jüngst sollt ich im Revier
40
Des Pluto schon erscheinen;
Ein Schiffer winkte mir.
Ich ward ihm noch entrissen
Durch des Apollon Gunst,
Wie's nachzuzeichnen wissen
45
Des Chodowieki Kunst.
Ich sollte dich noch sehen.
Geschieht es nicht bei mir,
Kann's beim Andrä geschehen.
Der ist ein Freund von dir,
50
Wie's wenige nur giebet;
Von Herzen schätzt er dich,
Und bei dem allen liebet
Er dich nicht mehr als ich.

 
Den 28. Juni 1778

Ein kleines Brieffchen nur kann ich zu Dir beflügeln,
Du, der Du Herzen werben kannst, wenn sie nicht gannz und gar dem Ruffe sich verriegeln,
wodurch Du viele schon gewannst
zumm Mittleid für die Nothbedrüktten.
5
Ich half zu meiner Seelenlust
in diesem Frühlinge schon ein paar Unbeglükkten,
die nirgends Rath und Trost gewußt,
und freue mich darob, als hätt ich Gold gefunden,
denn Gold und Silber hilfft uns nicht inn unssren leztten Daseinsstunden,
10
wohl aber ein erheittert Anngesicht des Armen, den wir beygestannden.
Diß stellt sich uns noch immer vor,
wenn alle Freuden schon verschwanden
und unßer Augenstern die Sehekrafft verlohr.

      Wenn daß die reichen, begütterten Leute wüsten, die mitt keinem Manngel bekannt wurden, die nichts erfuhren von dem Druke der bittren Armut, wenn die wüsten, was vor Wonne man sich durch eine kleine Ausgabe verschaffen kann, Sie würden sichs gewis kauffen, dieses seelige Vergnügen! Ich ging im Maymond über die neue Friedrichsbrücke des Wegs nach der Comödie, da trat mich ein pommersches Mädchen ann. Madam, sagtte sie, ach Madam, brauchen Sie keine Magd? Nein, sagt ich. O Gott, rieff daß Mädchen in einem sachtte klagenden Thon, o Gott, ich bin so unglüklich, so verlassen. Iezt sah ich daß Mädchen recht ann und fand übers gannze Gesicht die Spuhren großer Dranngsale verbreittet. Ich bin gestern auß dem Dollhause gekommen, sagtte die Unglükliche. Ich war dahineingetrieben durch die Verfolgung der Stettinschen Wuchrer. Ich dientte daselbst bey dem Erzwuchrer vierdthalb Jahr und hatte tausendmahl sehen müßen, wie gepreßt daß Armut von ihm ward. Ich kam von ihm weg bey einer anndre sehr gutte Herschaft. Jemand von meinem Bekanntten hatt ein Pfand bey ihm, ich sollte daß Pfand auslösen, und da wolt er nach seiner Gewohnheit sechs Pfenge wöchentlich auff den Thaler haben. Man boht ihn vier Pfennige. Er schlugs harrtnäkicht ab. Darauff verklagt ich ihn und die sämmttlichen Consortten. Nun verfolgtten sie mich, so daß ich aus Stettin mich nach Berlin retterriren muste. Hier bin ich nun ins dritte Jahr. Mann legtte zu Stettin Arrest auff meine da gelaßne Sachen. Ich trat den König dreymahl ann. Der König gab mir recht, ich hatts schrifftlich vonn ihm, aber mann fing mich untterwegs auff, als ich zum drittenmahl von Pozdam zurüke kam. Bauern warffen mich auff einen Wagen, und nach einem Umwege, der drey Tage währtte, brachtte man mich endlich ins Arbeitshauß. Da nun hab ich allerdings halb rasend mich betragen, und vonn da ward ich ins Dollhauß geschlept, worrauß mich gestern Stettinsche Officirs befreytten, die da hinnkamen, uns Unglüklichen zu besehen. Es war einer dabey, der mich von Kindheit auff kanntte, der in meinem Dorffe geborhen war. Ich hörtte den Mädchen mit Erstaunen zu und frug, wo sie nun hin wollte. Bey einer Wirtsfrau, sprach sie, und iezt sagt ich ihr, daß sie keiner Herrschaft vorgestellt werden könntte in dem gerissnen Camisol, welches auff ihren Schulttern hing. Alle übrigen Kleidungsstüke waren gannz. Sie war um das Camisol betrogen worden, welches zum Roke gehörtte. Giebt Ihr denn kein Mensch hier einen Überzug, fragt ich. O nein, Madam, sagte sie, wer wird mirs geben, ich wohn auff ein paar Tage bey der Färberrin Treschkow auff der Klosterstraße. Sie giebt mir Eßen, und ich stopfe dafür und flike Zeug aus, aber weitter hatt sie nichts übrig, stekt vielleicht tief in Schulden. Wenn Ihr aber nun jemand Überzeug gäbe, könntte Sie sichs woll machen? O ja, Madam. Nun, geh Sie nur wieder heim, ich werde bald nachkommen und mich nach Ihrer Geschichtte erkundigen. Nun kehrtte sie umm, und ich auch. Laß die Comödie sein, dacht ich und danktte dem Prinz Hanns Jürg von Dessau, der mir Tags vorher ein paar Louisdor gegeben hatte, und lieff hurrttig auff den Mühlendam und kauffte hier einen Rest Catun von zwey Ellen, stekts in die Tasche und ging geschwind dem Hause zu, welches mir daß Mädchen bezeichnet hatte. Sie stand noch vor dem Thorweg, meiner wartten, und fürhtte mich durch den Hoff zu ihrer Wirttin. Hier frug ich und vernahm, daß alles richtig war, daß Rechtsgelehrte der Färberrin die Untterdrükung des Mädchens gesagt hätten, und nun zog ich den Catun hervor. Denken Sie sich das übrige. Mädchen und Frau glaubtten eine Art von Enngel zu sehen, weil ich eine Kleinigkeit gab an ein stokfremdes Geschöpfe. Des ndern Tages war daß Camisol schon überzogen. Daß Mädchen arbeittete noch einige Tage bey der Färberrin. Hernach nahm ich sie zu mir, lösette eine altte Kiste ein, worrin ihre Actten sich befanden und sehe daruntter zwo Rescripte des Königes, worrin prezise befohlen ward, dem Mädchen ihre Sachen und die Hälffte der Denunciationsgelder zu geben. Dieser Außspruch geschahe schon imm Herbst 1776. Man zog das Mädchen auff. Sie bekam nichts. Es war natürlich, daß ihre Geduld ausriß, daß sie dem König wieder annschreyen muste, und da haschtte mann sie auf. Ich schrieb um ihretwegen am Consistorialrath Brügeman nach Stettin. Dieser ließ sich die Actten dort hohlen, sahe die Gerechtigkeit der Sache, drang auff einem Advocaten und machtte, daß sie nun ihre Habseeligkeiten wieder bekommt. Muß aber auch Schadloshaltung haben. Ich schrieb deßwegen am Advocat und erwarte stündlich Antwort. Gestern hatt ich wieder eine neue Freude. Ich gab zum Freymaurer Fest eine Bittschrift am Hoff. Buchdruker Deker und dieser gutte Schweizer brachtte bey seinem Brüdern 18 Thaler für eine arme altte Wittwe zusammen, die wehrt ist, einer solchen Wohlthat zu genießen. Ich hab Hoffnung, sie inns Hoßpital zu brinngen, und da werden ihre Tage sorgenlos sein. Ihr Sohn ist jüngster Prediger zu Treuenbriezen, hatt ein Weib und zwo Kinder und nur zweyhundert Thaler Gehalt und grämt sich todt darüber, daß er nichts für seine arme Mutter thun kann. Ich weiß, wie gern Sie, mein bester Freund, solche Geschichten hören, darum erzähl ichs Ihnen und binn mitt viel Grüsen ann Gleminden Ihre beständige Freundin K.

 
Den 20. October 1790 nachmittags

Da glaubt ich vest inn meinem warmen Zimmer,
daß bey so klarem Sonenschimmer
der Tag ein halber Maytag sey.
Aus ging ich nun beim Glokenschallen
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zur Trauer um den Prinz, der in des Lebensmay
wie Herbstlaub hinngefallen,
und kalt entgegen wehte mir
Octoberluft, so daß ich Dir
nicht rathen wollte, dort zu wallen,
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wo ich vor sieben Jahren ginng
und offt ann Deinem Auge hing,
so wie ich ehemahls gehangen.
Nein, nicht ganz so, daß ist nicht wahr,
denn manches Jahr
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ist seit der Flammenzeit vergangen
und mit der Jahre Flug zugleich
auch die Empfindung feuerreich.

      Meine Tochter beklagt sich über Gleims Kälte. Sie wollte mir schreiben, ist auch froh über die herrliche Nachricht des Umlobens und wird, denk ich, gannz allein schreiben. Wenn Sie Madam R. antworten, so adressieren Sie den Brief nur gradeswegs ann diese würdige Frau, und lassen Sie sich von ihr die Scenen der Sündenbekäntnis schildern, einer Beichtte, wovon ich völliger Unwissenheit mich stellen muß zu haben, von der mann mir keine Spuhr merken läßt, weils zu erniedrigend sein würde. Gott im Himmel, was ist einer wahrhaffttig guten Seele leichtter als daß Geständnis der Fehltritte. Indeßen ist diese Beichte, abgelegt mit freywilligen Lippen und zwangloser Feder, inn die Hände einer herzlichen Freundin, mir bisher ein großer Trost gewesen und wirds noch sein. Aber noch hab ich Uhrsache, Gott zu bitten um eine Wendung des Schiksaals meiner Tochter, weil sie bey aller Versorgung, die ich ihr geben kann, sich zuweilen niedergedrükt fühlt und mismutig wird wie Prinz Rudolff untter der sannfften väterlichen Hand Otto des Ersten. Sie möchte gern ganz unnabhängig sein, und ich laß ihr keine Abhänngigkeit fühlen. Ich will iezt nach Jahr und Tag sogar aufhören, ihr bestimmttes Wochengeld zu geben, will nur was weniges für mich behaltten und daß übrige ihr alles geben. Im vollen Vertrauen, denn Verschwenderin ist sie eben nicht, und dennoch reichts nirgends hin. Ich hätte nicht gewust, bis zur Zinsenhebung auszukommen, wenn unser Grandison [Romanheld Richardsons, hier auf den Grafen von Stollberg gemünzt] nicht mit einer Art von edler Taschenspielerkunst ein Papierchen mit vier Friedrichsköpfen hinnterrüks prakticiert hätte in seine Lieblingstaße, die ich ihm wies, die mir Graf von Schmettau nebst einem herzigen Briefchen sandte, nachdem er am 4. August mich zum Dinee im Thiergarten lud, auff Befehl der sämtlichen Hoheiten von Ferdinand, die gegenwärtig waren. Sie sehen hieraus meine Lage, liebster Freund. Antworten Sie der Klenke [die Tochter der Karschin] herzig, und sagen Sie, daß ich im höchst zufriednen Thone geschrieben hätte, erwähnen Sie aber nichts von der Rehbelt, denn man mus die äuserste Behutsamkeit anwenden bey der kleinen Person. Ich hoffe, nächstens mit ihr bey Herzberg eingeladen zu werden, Ramlern und ich, außer dem erstenmahls wieder an Tafel. Er hats vielleicht den Geheimen Rath Löberich zu verstehen gegeben, daß er nicht sehr gern inn meiner Gesellschaft sein mag, daher bittet ihn der Minister nicht mehr mit mir zugleich. Dieser Graf ist von ganz andrer Art als der Fürst von K [... unleserlich], den Sie so patriotische Wahrheiten gesagt haben. Ich hätte den Tittel kürzer gewünscht. Etwan so: An einen deutschen Fürsten über ein gewisses Wort, daß er gesagt haben soll. Der Name des Fürsten und daß Wort, beyde sind deutlich in dem sehr schönen Gedichtte Die Stimmen zur Keyserwahl. Hätt ich gewünscht mit Klopstock geschlossen zu sehen, der Schluß wäre glänzend gewesen. Mann nannte im Buchladen diesse Gedichtte Gleims Schwanengesanng, und daß sind sie gewis noch nicht. Herr Mazendorff gab mir ein Exemplar, und Herr Virweg, der so freundliche Man, sollte mir Gleims Friedenslied geschikt haben. Nun, ich will mirs hohlen. Es wird gewis meinen Beyfall haben, daß fühl ich vorraus, so wie ich merke, daß mein Geschwäz Ihre Geduld ermüden muß. Grüßen Sie beyde Nichtten herzlich von mir und den Hofrath Gleim zur Seite seiner Trauten und Klamer Schmidt und den braunen Man, der noch gern leben will.

Noch ist er in den besten Jahren,
ist Vater, Ehemann und nüzt,
noch gannz in Jünglingsjaaren,
mit dem Talent, daß er besizt.
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Du bist nicht Vater, bist nicht Gatte,
und Vater grüßt doch mancher Dich,
der keinen Untterstüzer hatte,
drum lebe gern wie bisher und wie ich.

      Daß werden Sie, bester Freund, so allerliebst auch Ihre Verßchen klingen von der Lebensgleichgülltigkeit, so gern hoff ich doch, daß Sie hierblieben und noch einmahl in dieser Wellt sprechen werden. Ihre verpflichttete Freundin

      A. L. Karschin