B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Anna Louisa Karschin
1722 -1791
     
   



G e d i c h t e

N a c h   d e r   D i c h t e r i n   T o d e
n e b s t   i h r e m   L e b e n s l a u f f
H e r a u s g e g e b e n   v o n   I h r e r   T o c h t e r
C .   L .   v .   K l [ e n k e ]   g e b :   K a r s c h i n ,
B e r l i n   1 7 9 2


G e d i c h t e   n a c h
v o r g e s c h r i e b e n e n   E n d r e i m e n .


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Throne Krone Zopf Kopf
Reußen Preußen Spott Gott

Begebenheit zu Wien
in der Kaiserlichen Burg.

Den 12. Februar 1762.

Vom hohen väterlichen Throne,
Kam jüngst Theresia, warf Brustschmuck hin und Krone
Und hing, mit aufgebundnem Zopf,
Bis auf die schöne Brust den gramerfüllten Kopf,
5
Und rief: «Maria! ach, nun küssen wilde Reußen
Sich mit den kezrischen mir ganz verhaßten Preußen!
Verlohren ist der Krieg, zu meiner Enkel Spott,
Viel Mächte halfen mir, und Friedrichen half Gott!»

 
Gesang Lang Schlaf Graf Dacht Nacht
Am 21. eod. [Februar 1762] Abends nach 11 Uhr.

Ich bin Empfindung und Gesang,
Gesungen hab ich euch, mir ward der Tag nicht lang.
Ihr folgt der Müdigkeit, gefangen nimmt der Schlaf
Mit süßen Fesseln unsern Graf.
5
Nun schlummert alle sanft, und du, den ich gedacht,
Was ich auch immer schrieb, mein Thyrsis, gute Nacht.

 
Ehe Sehe Stand Brand Klage Plage Einerlei
Entzwei Denker Qual Wahl.

Halberstadt, den 21. Febr. 1762.

Verwünschte Heiligkeit der Ehe!
Ich zittre, wenn ich noch im Geist zurücke sehe,
Abscheulich war der Sclavenstand,
Ein nur mit Menschenhaut bezogner Höllenbrand
5
Trat herrisch vor mir hin und brüllte meine Klage
Mit bitterm Spotte nach, und war geborne Plage
Für mein so sanftes Herz; mein ewig Einerlei
Blieb er zehn volle Jahr, riß oft ein Blatt entzwei,
Ganz von Gedanken voll, denn dieser Mann, kein Denker,
10
War fehlbar durch den Rausch, war meines Lebens Henker,
Sein Gang, sein Wort, sein Blick, war alles meine Qual,
O Gott! behüte mich für eine Mannes-Wahl.

 
Mein Dein König Wenig Recht Geschlecht
Leben Geben Scharf Darf.

Die Habsucht der Könige.
Halberstadt, den 22. Febr. 1762.

Der Vater alles Zanks ist das verhaßte Mein,
Gepaaret mit dem bittern Dein!
An einer halben Welt hat Geizes voll ihr König
Noch seiner Erde Raum zu wenig.
5
Er fragt nach Göttern nichts, auch nicht nach Völker-Recht,
Aus Ehrgeiz schont er nicht das menschliche Geschlecht.
Er siehet hundert tausend Leben
In einem Treffen aufgegeben,
Und sieht die Mordthat nicht. Der Himmel steht sie scharf.
10
Heil sey dem König, der nicht mit ihm rechten darf!

 
Wollen Sollen Rollen Kleid Gequollen Möglichkeit
Aufgeschwollen Wiederrollen Zollen Zeit.

Eigenschaften der Sapho.
Halberstadt, den 19. Februar 1762.

Nicht immer will ich so, wie andre Leute wollen,
Die nicht Gesetze geben sollen
Der Sapho, der Empfindungsvollen,
Die um den schönen Geist nicht trägt ein schönes Kleid,
5
Der in den Adern ist ein Dichter-Quell gequollen
Zu aller Lieder Möglichkeit,
Der hoch von Zärtlichkeit der Busen aufgeschwollen,
Die aus den Augen oft läßt Thränen nieder rollen,
Dem Himmel ihren Dank zu zollen
10
Für diesen goldnen Theil in ihrer Lebenszeit.

      Gedichtet in einer halben Viertelstunde.
      Als sie beim Ausfüllen dieser Endreime
      mitsprechen wollte, und man ihr sagte, sie hätte
      ja genug zu schreiben, antwortete sie:


Aufblicken ist ja kein Verbrechen;
Hier denken kann ich schon, und dort mit Thyrsis sprechen.

 
Ode Schwingt Tode Singt Stifte
Bahn Lüfte Schwan

Halberstadt, den 18. Februar 1762.

Mein Geist und mein Gefühl sind die beflammte Ode,
Die ausser mir sich schwingt,
Von Freundschaft, Zärtlichkeit, von Krieg und Helden-Tode
Und von dem Himmel singt.
5
Wenn ich als Sängerin ein Monument mir stifte,
So scheu ich nicht die letzte Bahn,
Die Welt bleibt unter mir, ich flieg in hohe Lüfte,
Und singe Thyrsis, dir, als Schwan.