B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Friedrich Gottlieb Klopstock
1724 - 1803
     
   



D e r   M e s s i a s .

Z w e y t e r   G e s a n g .

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Itzo stieg über die Cedernwälder der Morgen herunter.
Jesus erhub sich, ihn sahn in der Sonne die Seelen der Väter.
Als sie ihn sahn, da sangen zwo Seelen so gegen einander,
Adams Seele, mit ihr die Seele der göttlichen Eva:

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Schönster der Tage, du sollst vor allen künftigen Tagen
Festlich und heilig uns seyn, dich soll vor deinen Gefährten,
Kehrst du wieder zurück, die Seele des Menschen, der Seraph
Und der Cherub, beym Aufgang und Untergange begrüssen.
Steigst du zur Erden herab, verbreiten dich Orione
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Durch die Himmel; und gehst du beym Throne der Herrlichkeit Gottes
Heilig hervor, so wollen wir dir in feyrendem Aufzug
Jauchzend mit Hallelujagesängen entgegen segnen!
Dir, unsterblicher Tag, der du unsern getrösteten Augen
Gott, den Messias, auf Erden in seiner Erniedrung entdeckest!
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Wie er so schön ist! O, unser Messias in menschlicher Bildung!
Wie sich in seinem erhabenen Ansehn die Gottheit enthüllet!

Selig bist du und heilig, die du den Messias gebahrest,
Seliger als Eva, die Mutter der Menschen. Unzählbar
Sind zwar die Söhne von ihr, doch zugleich unzählbare Sünder.
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Aber du hast einen, nur einen göttlichen Menschen
Einen gerechten, ach einen unschuldigen theuren Messias,
Einen Sohn Gottes, unsterbliche Tochter der Erde, gebohren!
Zärtlich mit irrendem Blick seh ich zur Erden hernieder,
Dich, Paradies, dich seh ich nicht mehr. Du bist in den Wassern
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Weggeschwemmt, in Wassern der allgegenwärtigen Sündflut.
Deiner erhabnen umschattenden Cedern, die Gottes Hand pflanzte,
Deiner friedsamen Lauben, der jungen Tugend Behausung,
Hat kein Sturmwind, kein Donner, kein Todesengel geschonet!
Bethlehem, wo ihn Maria gebahr, und ihn brünstig umarmte,
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Sey du mir mein Eden; du Brunnen Davids, die Quelle,
Wo ich göttlich erschaffen zuerst mich sahe; du Hütte,
Wo er weinte, sey du mir die Laube der ersten Unschuld!
Ach hätt ich dich in Eden gebohren, du Göttlicher! hätt ich
Gleich nach vollbrachter entsetzlichen That dich, Sohn, gebohren!
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Siehe, so wär ich mit dir zu meinem Richter gegangen;
Da, wo er stand, wo unter ihm Eden zum Grabe sich aufthat,
Wo der Erkenntnisse Baum mir fürchterlich rauschte, wo Stimmen
Seiner Donner den Fluch uns und der Erde zuriefen,
Wo ich im bangen Erbeben dahinsank, und sterben wollte,
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Da wär ich zu ihm gegangen; dich, Sohn, hätt ich weinend umarmet
Und an mein Herze gedrückt, und gesagt: Ach zürne nicht, Vater!
Zürne nicht mehr, ich habe den Mann Jehova gebohren!

Heilig bist du, und anbetungswürdig und ewig, o Erster!
Der du dir deinen göttlichen Sohn von Ewigkeit zeugtest,
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Und ihn, nach deinem Bilde gezeugt, zum Erlöser der Menschen,
Meines von mir beweinten Geschlechts, erbarmend erwähltest.
Gott hat meine Thränen gesehen; ihr habt sie gesehen,
Seraphim, und sie gezählt; auch ihr, ihr Seelen der Todten,
Seelen meines entschlafnen Geschlechts, habt sie alle gezählet.
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Wärest du nicht, o Messias, gewesen, die ewige Ruhe
Hätte mir selbst traurig, und ungenießbar geschienen.
Aber in deinem göttlichen Umgang, von deiner Erbarmung,
Stifter des ewigen Bundes, sanft überschattet, da lernt ich
Selbst in zärtlicher Wehmuth mehr Seligkeiten empfinden.

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Und nun trägst du sein Bild, das Bild des sterblichen Menschen!
Gottmensch Erlöser, dich beten wir an! Vollende dein Opfer,
Das du für uns, unsterblicher Gott, zu vollenden herabstiegst.
Mache die Erde bald neu, die du zu verneuen beschlossest,
Dein und unser Geburtsland. Komm bald gen Himmel zurücke!
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Komm, sey gegrüsset in deinen Erbarmungen, Gottmensch Erlöser!

Also ertönte mit mächtigem Klang die Stimme der Seelen
Durch die Gewölbe der englischen Burg. Der Messias vernahm sie
Fern in der Tiefe. Wie mitten in dichtrischen Einsiedleyen,
In zukünftige Folgen vertieft, prophetische Weisen
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Dich von fern, sanftwandelnde Stimme des Ewigen, hören.
Jesus gieng den Ölberg hinab. An der Mitte des Ölbergs
Stand ein Palmbaum auf niedrigen Hügeln vor allen erhaben,
Von leichtschimmernden Wolken des Morgennebels umflossen.
Unter dem Palmbaum vernahm der Messias den Schutzgeist Johannes,
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Raphael ist sein Nahme, der ihn hier betend verehrte.
Liebliche Winde zerflossen vom Ölbaum, und trugen die Stimme,
Die sonst keine Geschöpfe nicht hörten, zum Mittler hernieder.

Raphael komm, rief ihm der Messias mit freundlichem Anblick,
Wandle mir hier ungesehen zur Seite. Wie hast du die Nacht durch
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Unsers lieben Johannes unschuldige Seele bewachet?
Was für Gedanken, die deinen Gedanken, o Raphael, glichen,
Hatte sie? Wo ist er itzt? Ich bewacht ihn, sagte der Seraph,
Wie man die Erstlinge deiner Erwählten, o Mittler, bewachet.
Seinen eröffneten Geist umschatteten heilige Träume,
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Träume von dir. O hättest du ihn da schlummern gesehen,
Als er dich, Göttlicher, sah! Ein heiliges Frühlingslächeln
Füllte sein Antlitz. Dein Seraph hat auch in Edens Gefilden
Adam gesehn, da er schlief, und das Bild der werdenden Eva
Und des bauenden Schöpfers vor seine Gedanken herabkam.
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Aber so schön war er nicht, wie dein göttlicher Jünger Johannes.
Doch itzt ist er dort unten in traurigen nächtlichen Gräbern,
Und klagt einen besessenen Mann, der im Staube der Todten
Fürchterlich bleich, wie ein bebend Gerippe, hin ausgestreckt lieget.
Jesus, du solltest ihn sehn, du solltest den zärtlichen Jünger
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Neben ihm voller mitleidigen Kummers und Wehmuth erblicken,
Wie ihm vor Menschenliebe sein Herz erbarmend zerfliesset,
Wie er erbebt. Mir selbst drang eine wehmüthige Thräne
Zitternd ins Auge. Da wandt ich mich weg. Das Leiden der Geister,
Die du zur Ewigkeit schufst, ist mir stets durch die Seele gedrungen.

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Raphael schwieg. Das Auge des Mittlers sah zürnend gen Himmel.
Grosser Vater, erhöre mich itzt! Der Menschenfeind werde
Deinen Gerichten ein ewiges Opfer, das jauchzend der Himmel,
Das voll Bestürzung und Schand und Schmach die Hölle betrachte!

Also sagt er, und näherte sich den Gräbern der Todten.
100
Unten am mitternächtlichen Ölberge waren die Gräber
In zusammengebirgte zerrüttete Felsen gehauen.
Dick und finster verwachsene Wälder verwahrten den Eingang
Vor dem Blicke des fliehenden Wandrers. Ein trauriger Morgen
Stieg, wenn über Jerusalem schon der Mittag sich senkte,
105
Zu den Gräbern noch dämmernd mit kühlem Schauer hinunter.
Samma, so hieß der besessene Mann, lag neben dem Grabe
Seines jüngsten geliebtesten Sohns in kläglicher Ohnmacht.
Satan ließ ihm die Ruh, ihn desto ergrimmter zu quälen.
Hier lag er bey den Gebeinen des Knabens in Moder und Asche.
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Neben ihm stand sein anderer Sohn, und weinte zu Gott auf.
Jenen verstorbenen, welchen der Vater und Bruder beweinten,
Hatte vordem die zu zärtliche Mutter, durch Flehen erweichet,
Mit in die Gräber zum Vater hinab gebracht, welchen der Satan
Ungestüm und voll grimmiger Wut bey den Todten herumtrieb.
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Ach mein Vater! so rief der kleine geliebte Benoni,
Und entfloh den Armen der Mutter, die ängstlich ihm nachlief;
Ach mein Vater, umarme mich doch! und hielt seine Hände,
Drückte sie an sein Herz. Der Vater umfaßt ihn, und bebte.
Da nun der Knabe mit kindlicher Inbrunst ihn zärtlich umhalste,
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Da er mit stillem liebkosenden Lächeln ihn jugendlich ansah,
Warf ihn der Vater an einen entgegenstehenden Felsen,
Daß sein zartes Gehirn an blutigen Steinen herabrann,
Und die unschuldige Seele, mit leisem Röcheln, entflohe.
Nunmehr klagt er ihn trostlos, und faßt das kalte Behältniß
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Seiner Gebeine mit sterbendem Arm. Mein Sohn, ach Benoni!
Ach Benoni, mein Sohn! so sagt er, und jammernde Thränen
Stürzen vom Auge, das bricht und langsam starrend erstirbet.
Also lag er und ängstete sich, da der Mittler hinabkam.
Joel, der andere Sohn, verwandte sein thränendes Antlitz
130
Von dem Vater, und sah den Messias im Grabmal dahergehn.
Ach! mein Vater, erhub er voll froher Verwundrung die Stimme,
Jesus, der grosse Prophet, kömmt in die Gräber hernieder.
Satan hört es, und sahe bestürzt durch die Öffnung des Grabmals.
Also sehn Gottesläugner, der Pöbel, aus düstern Gewölben,
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Wenn das hohe Gewitter am donnernden Himmel heraufzieht,
Und der Rache gefürchtete Wagen in Wolken sich wälzen.
Satan hatte bisher nur Samma von ferne gepeinigt.
Aus den tiefsten entlegensten Enden des nächtlichen Grabmals
Sandt er langsame Plagen hervor. Itzt erhub er sich wieder
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Rüstete sich mit Todesschrecken, und stürzt auf Samma.
Samma sprang auf, dann fiel er von neuem ohnmächtig darnieder.
Seine dem Tode noch kaum entgegenringende Seele
Trieb ihn, von dem mördrischen Feind zur Verzweiflung empöret,
Felsenan. Hier wollt ihn vor deinen göttlichen Augen,
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Grosser Messias, der Satan am schroffen Felsen zerschmettern.
Doch du warest schon da, und deine voreilende Gnade
Trug dein verlassnes Geschöpf auf treuen allmächtigen Flügeln,
Daß er nicht sank. Da ergrimmte der Geist des Menschenverderbers
Und erbebte. Die kommende Gottheit erschreckt ihn von ferne.
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Indem richtete Jesus sein helfendes Antlitz auf Samma.
Eine belebende göttliche Kraft, mit dem Blicke vereinbart,
Gieng von ihm aus. Da erkannte der arme verlassene Samma
Seinen Erlöser. Ins bleiche schon halbverweste Gesichte
Kam die Menschheit zurück, er schrie, und weinte gen Himmel.
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Itzt wollt er reden, allein kaum konnt er von Freuden erschüttert
Bebend stammeln. Doch breitet er sich mit sehnlichen Armen
Nach dem Ewigen aus, und sah mit getrösteten Augen,
Voll von Entzückung, nach ihm von seinem Felsen herunter.
Wie die Seele trübsinniger Weisen, die, in sich gekehret,
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An der Unsterblichkeit ihrer zukünftigen Dauer verzweifelt,
Innerlich bebt; der Ewigen schauert vor ihrer Zernichtung;
Aber itzt nahet sich ihr der weisern Freundinnen eine,
Ihrer Unsterblichkeit sicher, und stolz auf Gottes Verheissung,
Kömmt sie zu ihr mit tröstendem Blick. Die trübe Verlaßne
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Heitert sich auf, und windet mit Macht vom jammernden Kummer
Ungestüm freudig sich los; nun jauchzt die ewige segnend,
Wie im Triumph, über ihrer verneuten unsterblichen Grösse.
Also empfand der besessene Mann die Beruhigung Gottes.
Und drauf sprach der Messias mit mächtiger Stimme zu Satan:
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Geist des Verderbens, wer bist du, der du vor meinem Gesichte
Dieß zur Erlösung erwählte Geschlecht, die Menschen, so quälest?
Ich bin Satan, antwortet ein zorniges tiefes Gebrülle,
König der Welt, die oberste Gottheit unsclavischer Geister,
Die mein Ansehn zu etwas erhabnerm, als zu den Geschäfften
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Himmlischer Sänger bestimmt hat. Dein Ruf, o sterblicher Seher,
(Denn Maria wird wohl Unsterbliche niemals gebähren!),
Dieser dein Ruf drang, wer du auch bist, zur untersten Hölle.
Selbst ich verließ sie, sey stolz auf deines Königs Bemühung!
Dich, von himmlischen Sclaven verkündigten Heiland, zu sehen.
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Doch du wurdest ein Mensch, ein götterträumender Seher,
Wie die, welche mein mächtiger Tod in die Erde begraben.
Darum gab ich nicht Acht, was die neuen Unsterblichen thaten.
Doch nicht müssig zu seyn, so plagt ich, das hast du gesehen!
Deine Geliebten, die Menschen. Da sieh des Todes Gestalten,
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Meine Geschöpf, auf diesem Gesicht! Itzt eil ich zur Hölle.
Unter mir soll mein allmächtiger Fuß das Meer und die Erde,
Mir anständige Wege zu bahnen, gewaltsam verwüsten.
Dann soll die Höll im Triumph mein königlich Angesicht schauen.
Willst du was thun, so thu es alsdann. Ich kehre zurücke,
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Hier auf der Welt mein erobertes Reich, als König zu schützen.
Unterdeß stirb noch. Verlassner, vor mir! So sagt er, und stürzte
Stürmend auf Samma. Allein des ruhigschweigenden Mittlers
Stille verborgne Gewalt kam, gleich der Allmacht des Vaters,
Wenn er Welten geheim und still den Untergang zuwinkt,
195
Satan im Zorne zuvor; er floh, und vergaß im Entfliehen,
Unter allmächtigem Fusse das Meer und die Erde zu schlagen.
Unterdeß stieg Samma von seinem Felsen hernieder.
Also entfloh vom hohen Euphrates Nebucadnezar,
Da ihm der Rathschluß der heiligen Wächter die menschliche Bildung
200
Wiederum gab, und ihn zum Anschaun des Himmels erhöhte.
Gottes Schrecknisse giengen nicht mehr, mit dem Rauschen Euphrates,
Vor ihm in dunklen sinaischen Donnerwettern vorüber.
Nebucadnezar kam auf die stolzen Höhen zu Babel,
Nicht mehr als Gott; er lag, von da gen Himmel verbreitet,
205
Dankbar im Staube gebeugt, den Ewigern anzubeten.
Also kam Samma zu Jesu herab, und fiel vor ihm nieder.
Darf ich dir folgen, du heiliger Mann? ach laß mich mein Leben
Das du mir wieder geschenkt, bey dir, Mann Gottes, vollenden!
Also sagt er, und schlung sich mit brünstigen zitternden Armen
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Um den Erlöser, der ihm, mit menschenfreundlichen Blicken,
Dieses erwiederte: Folge mir nicht, doch verweile dich künftig
Mehr als sonst um Golgathas Hügel, da wirst du die Hoffnung
Abrahams und der Propheten mit deinen Augen erblicken.
Indem Jesus zu Samma so sprach, da wandte sich Joel
215
Zu Johannes, und sagte zu ihm, mit schüchterner Unschuld:
Ach du lieber Mann, führe du mich zum grossen Propheten,
Daß er mich höre, du kennest ihn ja. Der zärtliche Jünger
Nahm ihn, und führt ihn zu Jesu, da sagt er in seiner Unschuld:

Gottes Prophet, so kann denn mein Vater und ich dir nicht folgen?
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Aber, o darf ichs wohl sagen, warum verweilest du itzo
Hier, wo mein jugendlich Blut vor den Gräbern der Todten erstarret?
Komm doch, du göttlicher Mann, in meines Vaters Behausung.
Dich soll hier meine verlassene Mutter mit Demuth bedienen.
Milch und Honig, die lieblichsten Früchte von unseren Bäumen,
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Sollst du genießen; die Wolle der jüngsten Lämmer in Auen
Soll dich bedecken. Ich selber will dich, o Gottes Prophete,
Kömmt die Sommerszeit, unter die Schatten der Bäume begleiten,
Die mir mein Vater im Garten geschenkt. Mein lieber Benoni!
Ach Benoni, mein Bruder! dich laß ich im Grabe zurücke.
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Ach nun wirst du mit mir die Blumen künftig nicht tränken!
Niemals wirst du am kühlenden Abend mich brüderlich wecken!
Ach Benoni! ach Gottes Prophet, da liegt er im Staube!

Jesus sah ihn erbarmungsvoll an, und sprach zu Johannes:
Wische dem Jüngling die Zähren vom Antlitz; ich hab ihn viel edler
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Und rechtschaffner, als viele von seinen Vätern, erfunden.

Also sagt er, und blieb mit Johannes allein in den Gräbern.
Nah beym stillen Gebein des entschlafnen kleinen Benoni
Stand der König zu Salem, Melchisedek, marmorn gebildet,
Gottes Priester, Prophet und König. Er stand und schaute
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Sterbend in sein Grabmal, nicht mit jenem traurigen Antlitz
Welches sterbende Sünder entstellt; nein, mit einem Gesichte,
Das sich mit männlichem Lächeln die Auferstehung der Todten,
Gottes Tag, und das Erwachen zum Bilde des Ewigen weissagt.
Um ihn schlug kein weinender Greis sein Vaterherz; um ihn
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Jammerte keine verlassene Mutter; er stand ganz einsam
Vor der Gottheit, und horchte, gehorsam ins Grab sich zu legen.
Allda blieb mit seinem Johannes der göttliche Mittler.

Unterdeß gieng Satan, mit Dampf und Wolken umhüllet,
Durchs Thal Josaphat, über das todte Meer finster hinüber.
250
Von da kam er zum wolkichten Carmel, vom Carmel gen Himmel.
Hier durchirrt er mit grimmigem Blicke den göttlichen Weltbau,
Daß er noch durch so viele Jahrhunderte, seit der Erschaffung,
In der ersten von Gott ihm gegebnen Herrlichkeit glänzte.
Gleichwohl ahmt er ihm nach, und änderte seine Gestalten
255
Durch ätherisches Glänzen, damit nicht die Morgensterne
Überall, wo er den irrenden Fuß ins Weltgebäu setzte,
Über sein finstres Ansehn in stillem Triumphe sich freuten.
Doch dieß helle Gewand war ihm schon unerträglich; er eilte,
Aus den Bezirken der göttlichen Herrschaft zur Hölle zu kommen.
260
Itzo hatt er sich schon bey den äussersten Weltgebäuden
Stürmisch heruntergesenkt. Unermeßliche dämmernde Räume
Thaten vor ihm wie unendlich sich auf. Die nennt er den Anfang
Seiner von ihm durchherrschten Bezirke. Hier sah er von ferne
Flüchtigen Schimmer, so weit die äussersten Sterne der Schöpfung
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Noch das unendliche Leere mit matten Strahlen durchirrten.
Doch hier sah er die Hölle noch nicht; die hatte die Gottheit
Fern von sich und ihren Geschöpfen, den seeligen Geistern,
Weiter hinunter in ewige Dunkelheit eingeschlossen.
Denn in unserer Welt, dem Schauplatz ihrer Erbarmung,
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War kein Raum für Örter der Quaal. Der Ewige schuf sie
Furchtbar, zum Verderben, zu seinem strafenden Endzweck,
Prächtig und vollkommen. In drey erschrecklichen Nächten
Schuf er sie, und verwandte von ihr sein Antlitz auf ewig,
Jenes, mit welchem er huldreich nach seinen Geschöpfen herabsieht.
275
Zween von den heldenmüthigsten Engeln bewachten die Hölle.
Dieß war Gottes Befehl, da er sie mit allmächtiger Rüstung
Segnend umgab. Sie sollten den Ort der dunklen Verdamniß
Ewig in seinen Bezirken erhalten, damit nicht der Satan
Kühn mit seiner verfinsterten Last die Schöpfung bestürmte,
280
Und das Antlitz der schönen Natur durch Verwüstung entstellte.
Wo sie beym Eingang der Hölle mit herrschendem Angesicht sitzen,
Von da senkt sich ein strahlender Weg, wie von Zwillingsquellen
Ein krystallener Strom, in geradefortlaufender Länge
Gegen den Himmel gekehrt, nach Gottes Welten hinüber,
285
Daß es ihnen in ihrer Entfernung an frommen Vergnügen,
Über die mannichfaltige Schönheit der Schöpfung, nicht fehle.
Neben diesem helleuchtenden Wege kam Satan zur Hölle,
Und gieng unsichtbar durch die eröffneten Höllenpforten.
Drauf hub er sich in einem von Schwefel dampfenden Nebel
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Langsam auf seinen gefürchteten Thron. Ihn sahe kein Auge
Unter den Augen, die Nacht und Verzweiflung trübe verstellten.
Zophiel nur, ein Herold der Höllen, entdeckte den Nebel,
Der die erhabenen Stufen hinaufzog, und sagte zu einem,
Der gleich neben ihm stand: Kehrt Satans oberste Gottheit
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Etwa zur Hölle zurück? Verkündigt der dampfende Nebel
Seine von allen Göttern so lange gewünschte Zurückkunft?
Indem, da er noch sprach, so floß der umhüllende Nebel
Ringsum von Satan; er saß auf einmal mit zornigem Antlitz
Fürchterlich da. Gleich eilte der flüchtige sclavische Herold
300
Gegen die Feuergebirge, die sonst mit Strömen und Flammen
Satans Ankunft dem Abgrund in allen Gegenden kund thun.
Zophiel stieg auf Flügeln des Sturms durch die Hölen des Berges
Gegen die dampfende Mündung empor. Ein feuriges Wetter
Machte darauf den ganzen Bezirk der Finsterniß sichtbar.
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Jeder erblickte den schrecklichen König in schimmernder Ferne.
Alle Bewohner des Abgrunds erschienen. Die mächtigsten eilten,
Neben ihm auf die Stufen des Throns sich niederzusetzen.

Die du entzückt voll Feuer und Ernst nach der Höllen hinabsiehst,
Weil du zugleich im Angesicht Gottes Klarheit erblickest,
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Und Zufriedenheit über sich selbst, wenn er Sünder bestrafet,
Zeige sie mir, Göttin, doch laß die mächtige Stimme
Rauschend, wie den Sturmwind, wie Gewitter Gottes, ertönen.

Adramelech kam erst, ein Geist, boshafter als Satan
Und verdeckter. Noch brannte sein Herz von grimmigem Zorne
315
Wider Satan, daß dieser zuerst den Abfall gewaget;
Denn er hatte schon lange bey sich den Abfall beschlossen.
Wenn er was that, so that ers nicht, Satans Reiche zu schützen;
Seinentwegen that ers. Seit langen undenklichen Jahren
Hatt er darauf schon gedacht, wie er sich zur Herrschaft erhübe,
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Wie er Satan von neuem mit Gott zu kriegen bewegte,
Oder ihn in den unendlichen Raum auf ewig entfernte,
Oder zuletzt, wär alles umsonst, durch Waffen bezwänge.
Damals schon, als die gefallenen Engel vorm Donnerer flohen,
Sann er darauf. Als alle zusammen die Hölle schon einschloß,
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Kam er zuletzt, und trug vor seinem kriegrischen Harnisch
Eine helleuchtende goldene Tafel, und rief durch den Abgrund:
Warum fliehen die Könige so? In hohem Triumphe
Solltet ihr, o Krieger, für unsre behauptete Freyheit
In die neue Behausung der Pracht und Unsterblichkeit einziehn!
330
Denn da Messias und Gott den neuen Donner erfanden,
Und im Kriegesgeschäfte vertieft euch zornig verfolgten,
Stieg ich ins Allerheiligste Gottes, da fand ich die Tafel
Voll vom Schicksal, das unsre zukünftige Grösse verkündigt.
Sammelt euch, seht die heilige Reih offenbarender Schriften:

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Einer von denen, die Gott als dienstbare Geister beherrschet,
Wird, daß er Gott sey, erkennen, er wird den Himmel verlassen,
Und mit seinen vergötterten Freunden im einsamen Raume
Wohnungen finden. Die wird er zwar erst mit Abscheu bewohnen;
Wie der Gott, der ihn vertrieb, eh ich ihm den Weltkreis erbaute,
340
Lange Zeit, dieß war mein Wille, des Chaos Tiefen bewohnte.
Aber er soll nur das Reich der Hölle muthig betreten;
Denn aus ihr entstehet dereinst ein herrlicher Weltbau.
Den wird Satan erschaffen, doch soll er den göttlichen Grundriß
Selber von mir vor meinen erhabenen Sitzen empfangen.
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Also saget der Gott der Götter, ich, der ich alleine
Alle Bezirke des Raums, mit ihren Göttern und Welten,
Ringsum, mit meiner vollkommensten Welt, unendlich umgränze!

Gott Jehova, der Ewige, hörte die Stimme der Lästrung.
Ruhig in sich selber, in seiner unendlichen Grösse,
350
Hört er sie, sagte zu sich: Ich werde seyn, der ich seyn werde!
Aber, du Sclave des Elends, sollst sehn, wen du itzo geschmäht hast!

Alsobald gieng das ernste Gericht vom Angesicht Gottes.
Tief in der innersten Höllen erhebt sich ein feuriger Klumpen
Aus dem Flammenmeer, und geht in des Todes Meer unter.
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Der stürzt Adramelech ins Meer des Todes. Da wurden
Sieben Nächte, statt einer; Die Nächte lag er im Abgrund.
Lange darauf erbaut er der obersten Gottheit den Tempel,
Wo er als ihr Priester die goldnen Tafeln des Schicksals
Über die hohen Altäre gestellt hat. Hier ehret die Hölle,
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Die dich, Jehova, verwarf, ein unendliches ewiges Unding.
Selber Satan erscheinet hier oft und fraget den Priester,
Wegen der Reis ins Unendliche, die er schon vielmal gewagt hat,
Doch nicht so weit, als Adramelech aus Herrschsucht es wünschte.
Itzo kam Adramelech vom Tempel, und saß auf dem Throne
365
Mit verborgenem Grimm bey Satans linker Hand nieder.

Drauf kam Moloch, ein kriegrischer Geist, von seinen Gebirgen,
Die er, wenn etwa der donnernde Krieger, so nennt er Jehova,
In die Gefilde der Hölle, sie einzunehmen, herabkäm,
Sich zu vertheidigen, stolz mit neuen Bergen umthürmt hat.
370
Oft wenn der traurige Tag an des flammenden Oceans Ufern
Dampfend hervorsteigt, erblicken ihn schon der Hölle Bewohner,
Wie er unter der Last, vom eisernen Rauschen umstürmet,
Mühsam geht, und sich dem hohen Gipfel des Berges
Endlich nähert. Und wenn er alsdann die neuen Gebirge
375
Auf die Höh, dem Gewölbe der Höllen entgegen gethürmt hat,
Steht er in Wolken, und donnert daraus mit schwerer Arbeit
Langsam hervor. Ihn sehen die Seelen der Erdenbezwinger
Unten erstaunungsvoll an. Er rauschte von seinen Gebirgen
Durch sie gewaltig einher. Sie wichen auf beyden Seiten
380
Schüchtern hinweg. Er gieng, von seiner tönenden Rüstung,
Dunkel, wie der Donner von schwarzen Wolken, umgeben.
Vor ihm bebte der Berg, und hinter ihm sanken die Felsen
Sandig herab. So gieng er, und kam zum Throne des Satans.

Nach ihm erschien Belielel. Er kam in trauriger Stille
385
Aus den Wäldern und Auen, wo sich die Bäche des Todes
Dunkel aus nebelndem Quell nach Satans Throne zuwälzen.
Allda wohnt Belielel. Umsonst ist seine Bemühung,
Ewig umsonst, die Gegend des Fluchs nach den Welten des Schöpfers
Umzuschaffen. Ihm siehst du mit hohem erhabenen Lächeln,
390
Ewiger, zu, wenn er den furchtbar brausenden Sturmwind
Sehnsuchtsvoll, mit ohnmächtigem Arm, gleich kühlenden Zephyrn,
Vor sich am traurigen Bache vorüber zu führen bemüht ist;
Denn der braust unaufhaltsam dahin, die Schrecknisse Gottes
Rauschen auf seinen verderbenden Flügeln. Die öde Verwüstung
395
Bleibt ungestalt im erschütterten Abgrund hinter ihm liegen.
Unmuthsvoll denkt Belielel an jenen unsterblichen Frühling,
Der die himmlische Flur wie ein junger Seraph umlächelt;
Ihn will er in den Wüsten der Hölle von ferne nachbilden.
Doch er ergrimmt, und seufzet vor Wut; die traurigen Auen
400
Liegen vor ihm in entsetzlichem Dunkel unbildsam und öde,
Ewig unbildsam, unendliche lange Gefilde voll Jammer.
Belielel kam traurig zu Satan. Noch brannt er vor Rachsucht
Wider den, der ihn von himmlischen Auen zur Höllen hinabstieß,
Und sie, so dacht er, mit jedem Jahrhundert, erschrecklicher machte.

405
Auch du sahest in deinen Gewässern die Wiederkunft Satans,
Magog, des todten Meeres Bewohner. Aus brausenden Strudeln
Kamst du hervor. Die Meere zerflossen in lange Gebirge,
Da die Rosse vor dir die schwarzen Fluthen zertheilten.
Magog fluchte dem Herrn, der wilden Lästerung Stimme
410
Brüllt unaufhörlich aus ihm. Seit seiner Verwerfung vom Himmel
Flucht er dem Ewigen. Voll von Rachsucht will er die Hölle,
Braucht er auch Ewigkeiten dazu, doch endlich vernichten.
Itzo, da er das Trockne betrat, da warf er verwüstend
Noch ein ganzes Gestade mit seinen Bergen in Abgrund.

415
Also versammelten sich die Fürsten der Hölle zu Satan.
Wie die Inseln des Meers aus ihren Sitzen gerissen,
Rauschten sie hoch, unaufhaltsam einher. Der Pöbel der Geister
Floß mit ihnen unzählbar, wie Wogen des kommenden Weltmeers
Gegen den Fuß vorgebirgter Gestade, zum Sitze des Satans.
420
Tausend geistige Völker erschienen. Sie giengen und sangen
Eigene Thaten, zur Schmach und unsterblichen Schande verdammet.
Unterm Getöse vom Donner gerührter entheiligter Harfen
Sangen sie. So rauschen in mitternächtlicher Stunde
Cedern, die ihr benachbarter Himmel im Donnerwetter
425
Spaltete, wenn brausend auf ehernen Wagen der Nordwind
Über sie fährt, und Libanon bebt, und Hermon erzittert.
Satan sah und hörte sie kommen. Vor wilder Entzückung
Stand er mit Ungestüm auf, und übersah sie alle.
Fern, beym untersten Pöbel, erblickt er in spöttischer Stellung
430
Gottesleugner, ein niedriges Volk. Ihr schrecklicher Führer,
Gog, war darunter, erhabner als alle von Ansehn und Unsinn.
Daß das alles ein Traum sey, ein Spiel verirrter Gedanken,
Was sie im Himmel gesehen, Jehova erst Vater dann Richter,
Konnten sie leicht, labyrinthisch in Schlüsse verirret, begreifen.
435
Satan sah sie mit Hohn; denn mitten in seiner Verfinstrung
Sah er doch noch, daß der Ewige sey. Bald stand er voll Tiefsinn,
Bald sah er überall langsam herum, und setzte sich wieder.
Wie auf hohen unwirthbaren Bergen olympische Wetter
Langsam und verweilend sich lagern, so saß er, und dachte.
440
Nun that sein Mund sich ungestüm auf, und tausend Donner
Sprachen aus ihm, da er sprach. Wenn ihrs, o furchtbare Schaaren,
Wenn ihrs noch seyd, die mit mir die drey erschrecklichen Tage
Auf den himmlischen Ebnen aufhielten, so hört im Triumphe,
Was ich euch itzt von meiner Verweilung auf Erden eröffne.
445
Doch nicht die Nachricht allein, ihr sollt auch den mächtigen Rathschluß,
Unsere Gottheit dem Ewgen zur Schmach zu verherrlichen, hören.
Eh soll die Hölle vergehn, eh soll der seine Geschöpfe,
Der, wie man sagt, vor diesem einmal im Chaos gebaut hat,
Um sich vernichten, und wieder allein in der Einsamkeit wohnen,
450
Eh er über die sterblichen Menschen die Herrschaft uns raubet.
Götter, stets unbesiegt, unsclavisch, die wollen wir bleiben,
Wenn er auch gegen uns seine Versöhner zu Tausenden schickte,
Wenn er auch selbst, ein Messias zu werden, die Erde beträte.
Doch was erzürn ich mich so? Wer ist der niedre Messias,
455
Der die erdichtete Gottheit im sterblichen Körper herumträgt,
Daß darüber die Götter so sinnen, als wenn sie von neuem
Hohe Gedanken von ihrer Vergöttrung und Schlachten erfänden?
Sollte der Ewigen einer, um uns den Sieg zu erleichtern,
Aus den Schössen sterblicher Mütter, die bald die Verwesung
460
Nehmen wird, gegen uns, die er doch kennt, zu kämpfen hervorgehn?
Das sey ferne! So handelt der nicht, den Satan bekrieget.
Zwar stehn einige hier, die vor ihm furchtsam entflohen,
Und aus der morschen Behausung beseßner Sterblichen wichen;
Furchtsame, zittert vor dieser Versammlung, umhüllt euer Antlitz
465
Mit verfinsternder Schaam! die Götter hörens, ihr flohet!
Warum flohet ihr so, Elende? Was nanntet ihr Jesum
Euer und meiner unwürdig den Sohn des ewigen Gottes?
Doch daß ihr wißt, wer der sey, der unter den Israeliten
Auch gern ein Gott wär, so höret von mir des Träumers Geschichte.
470
Höre dus auch im hohen Triumphe, Versammlung der Götter.
Unter dem Volke der Juden ist seit undenklichen Zeiten
Eine prophetische Sage gewesen; denn unter der Sonne
Hat dieß Volk vor allen Geschlechtern am meisten geträumet.
Nach der Prophezeyung entspringt von ihnen ein Heiland,
475
Der sie von ihren umliegenden Feinden auf ewig erlöset,
Und vor allen Völkern ihr Reich zum herrlichsten Reich macht.
Auch wißt ihr wohl, daß vor wenigen Jahren von unsrer Gesellschaft
Einige kamen und sagten, sie hätten auf Tabors Gebirgen
Eine Versammlung der Engel gesehn, die hätten den Namen,
480
Jesus, unaufhörlich voll Entzückung und Ehrfurcht genennet,
Daß die Cedern davon bis in die Wolken erbebten,
Daß die Stimmen des hohen Geräusches die Palmenwälder
Ganz durchruften, und Jesus allein den Tabor erfüllte.
Drauf gieng mit übermüthigem Stolz, hoch, wie im Triumphe,
485
Gabriel vom Tabor zu der Israelitinnen einer,
Grüßte sie, wie man Unsterbliche grüßt, und sagt ihr voll Ehrfurcht,
Von ihr sollt ein König entstehn, der die Herrschaften Davids
Mächtig besitzen und Israels Erbe verherrlichen würde.
Er hieß Jesus, so sollte sie ihn, den Göttersohn, nennen.
490
Ewig sollte die Macht des grossen Königreichs dauern.
Dieses vernahmt ihr. Warum erstaunten die Götter der Hölle,
Da sie dieß hörten? Ich selber, ich habe viel mehr noch gesehen;
Doch mich erschreckt nichts. Ich will euch alles treulich entdecken.
Nichts will ich euch verschweigen, damit ihr sehet, wie feurig
495
Sich mein Muth in Gefahren erhebt; sinds anders Gefahren,
Wenn sich auf unserer Welt ein sterblicher Träumer vergöttert.
Ich war auf Erden, und wartete dort auf des göttlichen Knabens
Hohe Geburt. Itzt wird aus deinem Schosse, Maria,
Dacht ich, der Göttliche kommen. Geschwinder als Augenblicke,
500
Schneller noch als die Gedanken der Götter vom Zorne beflügelt,
Wird er gen Himmel erwachsen. Itzt deckt er in seiner Erhöhung
Mit dem einen Fusse das Meer, mit dem andern den Erdkreis.
Itzt wägt er in der erschrecklichen Rechte den Mond und die Sonne,
In der Linken die Morgensterne. Da kömmt er und tödtet!
505
Mitten in Stürmen, die er aus allen Welten herbeyrief,
Rauscht er zum Sieg unaufhaltsam daher. Ach fliehe nur, Satan!
Fliehe! damit er dich nicht mit seinem allmächtigen Donner
Ungestüm fasse, bis du durch tausend Erden geworfen,
Sinnlos bezwungen, ja todt, im Unermeßlichen liegest.
510
Seht, so dacht ich, ihr Götter; allein ihm gefiel es noch itzo,
Daß er ein Mensch blieb, ein weinendes Kind, wie die Söhne der Erde,
Die schon bey ihrer Geburt um ihre Sterblichkeit weinen.
Zwar sang um seine Geburtszeit ein Chor der himmlischen Geister.
(Denn sie kommen bisweilen hernieder, die Erde zu sehen,
515
Wo wir herrschen; da Hügel der Todten und Grüfte zu sehen,
Wo vordem Paradiese nur stunden: dann kehren sie thränend,
Und, sich zu trösten, mit feyrenden Liedern gen Himmel zurücke;
Also war es auch itzt.) Sie eilten, und liessen den Knaben,
Oder hört ihrs so lieber, die weinende Gottheit, alleine.
520
Drauf entfloh er vor mir, ich ließ ihn immer entfliehen.
Einen so furchtsamen Feind zu verfolgen, war meiner nicht würdig.
Unterdeß ließ ich, nicht müssig zu seyn, durch meinen Erwählten,
Meinen König, und Opferpriester Herodes, zu Bethlem
Säuglinge würgen. Das rinnende Blut, der Sterbenden Winseln,
525
Und die Verzweiflung untröstbarer Mütter, der Ausfluß der Leichen,
Der, mit Seelen vermischt, mir wallend entgegendampfte,
Waren für meine befriedigte Gottheit ein liebliches Opfer.
Wandelt nicht dort der Schatten Herodes? Verworfene Seele,
War ichs nicht selbst, der in dir den Gedanken, die Bethlehemiten
530
Umzubringen, erschuf? Kann etwa des Himmels Bewohner
Seiner Bildungen mühsames Werk, die unsterblichen Seelen,
Vor mir beschützen, daß ich sie mit meiner verborgnen Begeistrung
Nicht umschatte, und über sie nicht zum Verderben mich breite?
Ja, Verlaßner, dein klägliches Winseln, dein banges Verzweifeln,
535
Und der Seelen Geschrey, die du sonst noch unschuldig erwürgtest,
Daß sie sündigend starben, und dir, und der Vorsehung fluchten,
Ist nun deinem befriedigten Gott auch ein liebliches Opfer.
Als er starb, versammelte Götter, da kehrte der Knabe
Aus Ägyptens Gefilden zurück. Die Jahre der Jugend
540
Bracht er im Schosse der zärtlichen Mutter, in ihrer Umarmung
Unbekannt zu. Kein jugendlich Feuer, kein edles Erkühnen
Trieb ihn zu Unternehmungen an, sich furchtbar zu machen.
Doch, ihr Götter, im einsamen Wald, am öden Gestade,
Wo er oft war, da hat er vielleicht auf Dinge gesonnen,
545
Die, aus schrecklicher Ferne, der Hölle den Untergang drohen,
Und die von uns verneuerten Muth und Wachsamkeit fordern?
Seht, dieß glaubt ich vielleicht, hätt er sich mit tiefen Gedanken
Mehr beschäfftigt als mit der Betrachtung der Blumen und Felder
Und der Kinder um ihn, und mit dem sclavischen Lobe
550
Des, der ihn mit den Würmern aus niedrigem Staube gemacht hat.
Ja, ich wäre vor Ruh und langer Musse vergangen,
Hätte mir nicht der Menschen Geschlecht stets Seelen geopfert,
Die ich, vorm Himmel vorüber, hierher zur Bevölkerung sandte.
Endlich schien es, als wollt er auch einmal bemerkenswerth werden.
555
Gottes Herrlichkeit kam, als er einst am Jordan herumgieng,
Prächtig vom Himmel. Sie hab ich mit diesen unsterblichen Augen
Selbst am Jordan gesehn; kein Bild, kein himmlisches Blendwerk
Hat mich getäuscht; sie wars, wie sie vom Throne des Himmels
Durch die langen anbetenden Reihen der Seraphim wandelt.
560
Aber, warum, und ob sie, dem Erdenkinde zu Ehren,
Oder um unsere Wachsamkeit auszuforschen, herabstieg,
Dieß weiß ich nicht. Zwar hört ich darunter gewaltige Donner,
Donner mit dieser Stimme vermengt: Das ist mein Geliebter,
Und mein Sohn, der mir innig gefällt! Der war wohl Eloa
565
Oder sonst einer vom Throne, der, mich zu verwirren, dieß ausrief.
Gottes Stimme wars nicht; zum mindsten klang sie viel anders,
Als er uns Göttern vordem den Sohn der Ewigkeit aufdrang.
Auch war ein finstrer Prophet dabey, der dort in der Wüste
Menschenfeindlich die Felsen durchirrt; der rief ihm entgegen:
570
Siehe das Lamm Gottes, das der Erden Sünde versöhnet!
Der du von Ewigkeit bist, der du lange schon vor mir gewesen,
Sey mir gegrüßt! Aus dir, o du der Erbarmungen Fülle!
Nehmen wir Gnad um Gnade. Durch Mosen gab Gott die Gesetze,
Aber durch den Gesalbten des Herrn kömmt Wahrheit und Gnade.
575
Ist das nicht hoch und prophetisch genung? So ist es, wenn Träumer
Träumer besingen, da bauen sie sich ein heiliges Dunkel.
Und ach! die armen unsterblichen Götter sind viel zu geringe,
Bis ins innre Gebäu der Geheimnisse durchzuschauen.
Will er uns nicht den hohen Messias, den König des Himmels,
580
Jenen Donnerer Gottes, der in der gewaltigen Rüstung
Wider uns stritt, bis wir die neuen Welten erreichten,
Unsern würdigen Feind und erhabenen Widersacher,
Will er den nicht in jene Gestalt, die wir tödten, verkleiden?
Zwar er selber, das Erdengeschöpf, von dem der Prophet träumt,
585
Dünkt sich nicht wenig zu seyn. Bald hat er die Todten erwecket,
Die doch der Ewige mühsam, ja mühsam, sonst thät ers wohl öfters!
Seine veraltete Macht nicht ganz zu vergessen, erwecket.
Bald will er gar das ganze Geschlecht der sterblichen Menschen
Von der Sünd und vom Tode befreyn: Von der Sünde, die allen
590
Eingepflanzt ist, und immer empörend und ungestüm immer
Gott in ihren unsterblichen Seelen entgegen sich auflehnt,
Unbezwingbar der sclavischen Pflicht: Auch vom Tode, der alle,
Der das ganze Geschlecht, so oft wir ihm winken, durchwürget,
Will er sie alle befreyn; euch auch, verworfene Seelen,
595
Die ich seit der Schöpfung zu mir, wie den Ocean, sammle,
Wie die Gestirne, wie Gott die anbetenden sclavischen Sänger;
Ja, euch auch, die die ewige Nacht im Abgrunde quälet,
Und in der Nacht ein strafendes Feuer, im Feuer Verzweiflung,
In den Verzweiflungen ich! euch will er vom Tode befreyen.
600
Wir, wir werden alsdann, der Gottheit uneingedenk, sclavisch
Vor ihm liegen, vor ihm, dem neuen vergötterten Menschen.
Was der mit dem allmächtigen Donner nie von uns erzwinget,
Wird der aus des Todes Bezirk unbewaffnet vollenden.
Armer Verwegner! befreye dich erst, dann erwecke die Todten.
605
Er soll sterben, ja sterben! er, der das Geschlechte der Menschen
Eigenmächtig vom Tode befreyte. Dich leg ich in Staub hin
Bleich und entstellt, in den Staub der Todten! Dann will ich den Augen,
Die nicht sehen, die Dunkel und Nacht nun ewig umnebeln,
Sagen: Ach seht, da erwachen die Todten; dann will ich den Ohren,
610
Die nicht hören, die ewig dem Ton die Unfühlbarkeit zuschließt,
Sagen: Ach hört! Es rauschet das Feld, die Todten erwachen.
Und der Seele will ich, wenn sie zur Höllen entfliehet,
(Denn sie soll noch von mir und von Todesquaalen erschüttert,
Sündigen und Gott schmähn; so grausam will ich ihn tödten!)
615
Dann will ich ihr, wenn sie flieht, wenn sie im furchtbaren Sturme
Gottes Verfolgungen treiben, mit donnernder Stimme nachrufen:
Eile, die du siegtest, ja eil in deinem Triumphe!
Dich erwartet ein prächtiger Einzug, die Pforten der Hölle
Thun vor dir einladend sich auf! Dir jauchzet der Abgrund!
620
Gegen dich wallen in feyrenden Chören die Seelen und Götter!
Doch du läßt ja die Gottheit zurück! Ists etwa der Leichnam,
Der sie noch deckt? oder eilt sie vielleicht ungesehen gen Himmel?

Gott muß entweder anitzt, da ich hier bin, den fliehenden Erdkreis
Mit ihm und dem Geschlechte der Menschen gen Himmel erheben:
625
Oder ich führ es hinaus, was ich mächtig bey mir beschlossen.
Er soll sterben! so wahr ich, des Todes Erhalter und Schöpfer
Unbesiegt die Zukunft der Ewigkeiten durchlebe.
Er soll sterben! Bald will ich von ihm den Staub der Verwesung
Auf dem Wege zur Hölle, vorm Antlitz des Ewigen, ausstreun.
630
Seht den Entwurf von meiner Entschliessung. So rächet sich Satan!

So sprach Satan. Die Hölle blieb noch vor Verwunderung stille.
Unten am Throne saß einer einsiedlerisch, finster und traurig,
Seraph Abdiel Abbadonaa. Er dachte der Zukunft
Und dem Vergangnen voll Seelenangst nach. Vor seinem Gesichte,
635
Aus dem ein trübes entsetzliches Dunkel mit Schwermuth hervorbrach,
Sah er nur Quaalen auf Quaalen gehäuft in die Ewigkeit eingehn.
Itzo erblickt er die vorigen Zeiten; da war er voll Unschuld
Jenes erhabenen Abdiels Freund, der am Tage des Aufruhrs,
Nach dem Messias, im Himmel die größten Thaten vollführte;
640
Denn er kehrte zu Gott allein und unüberwindlich
Wieder zurück. Mit ihm, dem edelmüthigen Seraph,
War schon Abbadonaa den Blicken der Feinde Gottes
Fast entgangen: Allein die Kriegeswagenburg Satans,
Die, im Triumph sie wieder zu holen, schnell um sie herum kam,
645
Und der gewaltig einladende Lerm der Kriegesposaunen,
Und die Heldenschaar, jeder ein Gott, vor ihm ausgebreitet,
Übermannten sein Herz und rissen ihn stürmisch zurücke.
Hier noch wollt ihn sein Freund mit Blicken drohender Liebe
Fortzueilen bewegen, allein von künftiger Gottheit
650
Trunken und umnebelt sah er die sonst mächtigen Blicke
Seines Freundes nicht mehr. Er kam im Triumphe zu Satan.
Jammernd und in sich verhüllt, denkt er an diese Geschichte
Seiner heiligen Jugend, und an den lieblichen Morgen
Seiner Geburtszeit zurück; Der Ewige schuf sie auf einmal.
655
Damals besprachen sie sich mit angebohrner Entzückung
Unter einander: Ach, Seraph, was sind wir? Woher, mein Geliebter?
Sahst du zuerst mich? Wie lange bist du? Ach, sind wir auch wirklich?
Komm, umarme mich, göttlicher Freund, erzähle, was denkst du?
Indem kam die Herrlichkeit Gottes aus lichtheller Ferne
660
Segnend einher. Sie sahen um sich nicht zu zählende Schaaren
Neuer Unsterblichen wandeln. Ein wallend silbern Gewölke
Hub sie zum Ewigen auf: Sie sahn ihn und nannten ihn, Schöpfer.
Diese Gedanken zermarterten Abbadonaa, sein Auge
Floß von jammernden Thränen. So floß von Bethlehems Bergen
665
Rinnendes Blut, da die Säuglinge starben. Er hatte den Satan
Schauernd gehört, doch ermuntert er sich, und erhub sich, zu reden.
Dreymal seufzt er noch, eh er was sprach. Wie in blutigen Schlachten
Brüder, die sich erwürgt, und, da sie sterben, sich kennen,
Neben einander aus röchelnder Brust ohnmächtig erseufzen.
670
Drauf fieng er an zu reden: Ob mir gleich diese Versammlung
Ewig entgegen seyn wird, so will ich dennoch frey reden!
Reden will ich, damit des Ewigen schwere Gerichte
Nicht so ungestüm über mich kommen, wie über dich, Satan!
Ja, ich hasse dich, Satan, dich haß ich. Verruchter! Dieß Wesen
675
Diesen unsterblichen Geist, den du dem Schöpfer entrissen,
Fordr er, dein Richter, auf ewig von dir! Ein unendliches Wehe
Schreye die ganze Versammlung der Geisterwelt, die du verführt hast,
Über dich, Satan! Ich habe kein Theil an dir, ewiger Sünder,
Gottesleugner! kein Theil, an deiner finstern Entschliessung,
680
Gott den Messias zu tödten. Ach! wider wen redest du, Satan?
Wider den, der, wie du selbst zu bekennen gezwungen bist, furchtbar
Mächtiger, als du, ist? Ist für die sterblichen Menschen
Eine Befreyung vorhanden, du wirst sie nicht hintertreiben;
Du willst den Leib des Messias, den willst du, Satan, erwürgen?
685
Kennest du ihn nicht mehr? Hat sein allmächtiges Donnern
Dich nicht genung an dieser verwegnen Stirne gezeichnet?
Oder kann sich Gott nicht vor uns Ohnmächtigen schützen?
Wir, die die Menschen zum Tode verführten; ach wehe mir, wehe!
Ich that es auch! Wir wollen uns nun an ihrem Erlöser
690
Wütend vergreifen? Den Sohn, den Donnergott, wollen wir tödten?
Ja, den Zugang zu einer vielleicht zukünftigen Rettung,
Oder, zum mindsten zur Lindrung der Quaal, den wollen wir ewig
Uns, so vielen vordem volkommnen Geistern, verschliessen?
Satan! so wahr wir alle die Quaal nur gewaltiger fühlen,
695
Wenn du diese Behausung der Nacht und der dunkeln Verdammniß
Königlich nennst, so wahr kehrst du mit Schande belastet,
Statt des Triumphs, von Gott und seinem Messias zurücke!

Satan hört ihn voll grimmiger Ungeduld also reden.
Itzt wollt er auf ihn donnern, allein die schreckliche Rechte
700
Sank ihm zitternd im Zorne dahin, er stampft und erbebte.
Dreymal bebt er vor Wut, dreymal sah er Abbadonaa
Ungestüm an, und schwieg. Sein Auge ward dunkel vor Grimme,
Ihn zu verachten, ohnmächtig; doch Abbadonaa blieb ernsthaft
Und unerschrocken vor ihm mit traurigem Angesicht stehen.
705
Aber Gottes, der Menschen, und Satans Feind, Adramelech,
Sprach: Aus finstern Wettern will ich mit dir reden, Verzagter,
Dir soll ein Ungewitter die Antwort entgegendonnern!
Darfst du die Götter so schmähn? Darf einer der niedrigsten Geister
Wider Satan und mich aus seiner Tiefe sich rüsten?
710
Wirst du gepeinigt, so wirst du von deinen niedern Gedanken,
Sclave, gepeinigt! Entfleuch, Verzagter, aus diesen Bezirken
Unsrer Herrschaft, wo Könige sind! Entfleuch in die Tiefe,
Laß dir von deinem Allmächtigen dort ein Quaalenreich bauen!
Allda bring die Unsterblichkeit zu! Doch du stürbest wohl lieber!
715
Stirb denn, vergeh, anbetend und sclavisch gen Himmel gebücket!
Der du mitten im Himmel dein Götterwesen erkanntest,
Und dem berufnen Allmächtigen kühn, mit heiligem Zürnen,
Widerstandest, zukünftiger Schöpfer unzählbarer Welten,
Komm, Gott Satan, wir wollen den kleinen niedrigen Geistern
720
Unsern furchtbaren Arm durch Unternehmungen zeigen,
Die, wie ein Wetter, auf einmal sie blenden und niederschlagen!
Komm! Labyrinthe verborgener List, zum Verderben verwirret,
Zeigen sich mir! Der Tod ist darinn. Kein öffnender Ausgang
Und kein Führer soll ihn den Labyrinthen entreissen.
725
Doch entflöh er auch unserer List, gäbst du im Olympus,
Uns zu entrinnen, ihm Götterverstand: so sollen im Grimme
Feurige Wetter ihn schnell vor unsern Augen verderben!
Wie die Wetter, womit wir vordem den Geliebtesten Gottes,
Seinen glückseligen Job, vorm Antlitz des Himmels bestritten.
730
Fleuch, fleuch, Erde, wir kommen mit Tod und Hölle bewaffnet!
Wehe dem, der auf unserer Welt sich wider uns auflehnt!

Also sprach Adramelech. Nun fiel die ganze Versammlung
Satan auf einmal mit Ungestüm bey. Gleich stürzenden Felsen
Stampft ihr gewaltiger Fuß, daß die Tiefe davon erbebte.
735
Jauchzend und stolz auf künftigen Sieg erregten sie um sich
Ein entsetzlich Getöse von Stimmen. Die giengen vom Aufgang
Bis zum Niedergang hin; der Satane ganze Versammlung
Willigt darein, den Messias zu tödten. Dergleichen That sahe
Seit der Schöpfung die Ewigkeit nicht. Ihr unselger Erfinder,
740
Satan und Adramelech, voll Rachsucht und grimmigen Tiefsinns,
Stiegen vom Throne. Die Stufen ertönten wie eherne Berge,
Da sie giengen. Ein lauter zum Sieg empörender Zuruf
Leitete sie jauchzend bis zu den Pforten der Hölle.

Abbadonaa (der einzige war unbeweglich geblieben)
745
Folgte von fern, entweder sie noch von der Bosheit zu wenden,
Oder den Ausgang der schrecklichen Thaten mit anzusehen.
Itzo nähert er sich mit säumendem Tritte den Engeln,
Die die Pforte bewachten. Wie war dir, Abbadonaa?
Da du hier deinen ehmaligen Freund, den Abdiel, wahrnahmst.
750
Seufzend schlug er sein Angesicht nieder. Itzt wollt er zurückgehn,
Itzo wollt er sich nähern, dann wollt er verlassen und schüchtern
Ins Unermeßliche fliehen; allein noch blieb er mit Zittern
Wehmuthsvoll stehn. Nun faßt er sich ganz auf einmal zusammen,
Gieng auf ihn zu. Ihm klopfte sein Herz mit mächtigen Schlägen;
755
Stille, den Engeln nur weinbare Thränen bedeckten sein Antlitz;
Seufzer aus tiefer erbebender Brust; ein langsamer Schauer,
Sterbenden selbst unempfindbar, erschütterten Abbadonaa,
Indem er gieng. Doch Abdiels ruhig eröffnetes Auge
Sah unverwandt nach der Welt des Schöpfers, dem er getreu blieb;
760
Ihn sah es nicht. Wie die Sonn in der Jugend, wie Frühlingstage,
Die in den Schoß der kaum erschaffnen Erde sich senkten,
Glänzte der Seraph, doch nicht für den traurigen Abbadonaa.
Dieser gieng fort und seufzte bey sich verlassen und einsam:

Abdiel, mein Bruder, du willst dich mir ewig entziehen!
765
Ewig willst du mich ferne von dir in der Einsamkeit lassen!
Weinet um mich, ihr Kinder des Lichts! Er liebt mich nicht wieder,
Ewig nicht wieder, ach weinet um mich! Verblühet, ihr Lauben,
Wo wir von Gott und unserer Freundschaft uns zärtlich besprachen!
Himmlische Bäche, versiegt, wo wir in süsser Umarmung
770
Gottes des Ewigen Lob mit reiner Stimme besangen!
Abdiel, mein Bruder, der ist mir auf ewig gestorben!
Du mein finsterer Aufenthalt, Hölle, du Mutter der Quaalen,
Ewige Nacht, beklag ihn mit mir! Ein traurig Geheule
Steige, wenn mich Gott schreckt, von deinen Bergen hernieder.
775
Abdiel, mein Bruder, der ist mir auf ewig gestorben!

Also jammert er, seitwärts gekehrt. Drauf stand er am Eingang
In das göttliche Weltgebäu, zwischen zween Orionen.
Hier stand er still. Er sahe die Welt und den göttlichen Himmel,
Weil er sich stets, in sein Elend vertieft, in Einsamkeit einschloß,
780
Seit Jahrhunderten nicht. Er stand betrachtend und sagte:

Seliger Eingang, o dürft ich durch dich in die Welten des Schöpfers
Wiederkehren! Und niemals das Reich der dunkeln Verdammniß
Wiederbetreten! Ihr Sonnen, unzählbare Kinder der Schöpfung,
War ich nicht schon, da der Ewige rief, da ihr glänzend hervorgiengt,
785
Heller als ihr, da ihr itzt aus der Hand des Schöpfers herabkamt?
Nun steh ich da in meiner Verfinstrung, verworfen, ein Abscheu
Dieser herrlichen Welt! Und ach, du seliger Himmel,
Itzo erbeb ich erst, da ich dich sehe! Dort bin ich gefallen,
Dort stand ich wider den Ewigen auf. Du, unsterbliche Ruhe,
790
Meine Gespielinn im Thale des Friedens, wo bist du geblieben?
Ach, an deiner Statt läßt mir mein Richter ein traurig Erstaunen
Kaum noch über sein Weltgebäu zu! O dürft ichs nur wagen,
Ohne zu zittern, ihn Schöpfer zu nennen, wie willig und gerne
Wollt ich alsdann den zärtlichen Vaternamen entbehren,
795
Mit dem ihn seine Getreuen, die Seraphim, kindlich nennen.
O du Richter der Welt! dir darf ich Ärmster nicht flehen,
Daß du mit einem Blicke mich nur im Abgrund hier ansähst.
Finstrer Gedanke, Gedanke voll Quaal! Und du, wilde Verzweiflung?
Wüte, Tyranninn, ja wüte nur fort! . . . Wie bin ich so elend! . . .
800
Wär ich nur nicht! . . . Ich fluche dir, Tag, da der Schöpfung Gott sagte:
Werde! Da er von Osten mit seiner Herrlichkeit ausgieng!
Ja, dir fluch ich, o Tag, da die neuen Unsterblichen sprachen:
Unser Bruder ist auch! Du, Mutter unendlicher Quaalen,
Warum gebahrest du, Ewigkeit, ihn? Und mußt er ja werden,
805
Warum ward er nicht finster und traurig, der ewigen Nacht gleich,
In der mit Ungewitter gerüstet der Donnerer auszieht,
Leer von Geschöpfen, vom Zorn und Fluche der Gottheit belastet?
Aber, ach wider wen redest du hier im verlassenen Abgrund,
Lästrer! Auf, Sonnen fallt über mich her, bedeckt mich, ihr Sterne,
810
Vor dem grimmigen Zorn deß, der vom Throne der Rache
Ewig als Feind und Richter mich schreckt! Du, in deinen Gerichten
Ganz Unerbittlicher! ist denn in deiner Ewigkeit künftig
Nichts mehr von Hoffnungen übrig? Ach, wird denn, göttlicher Richter,
Schöpfer, Vater, Erbarmer! . . . Ach, nun verzweifl ich von neuem,
815
Denn ich habe Jehova gelästert! Ihn hab ich mit Namen,
Die ich ohne Versöhner nicht nennen darf, angeredet.
Ich entfliehe! Schon rauschet von ihm ein allmächtiger Donner
Durch das Unendliche furchtbar daher! Doch wohin? . . . Ich entfliehe!
Also sagt er und sahe betäubt in die Tiefe des Abgrunds.

820
Schaffe da Feuer, ein tödtendes Feuer, das Geister verzehre,
Gott, Verderber der Wesen, die du ohn ihr Wollen erschufest!
Rief er im Hinabsehn, doch da wurde kein tödtendes Feuer.
Darum wandt er sich um, und floh in die Welten zurücke.
Itzo stand er ermüdet auf einer erhabenen Sonne,
825
Schaute von da in die Tiefen hinab; da drängten Gestirne
Andre Gestirne, wie glühende Seen. Ein irrender Erdkreis
Näherte sich, schon dampft er, schon war sein Weltgericht nahe.
Auf den stürzte sich Abbadonaa, um mit zu vergehen;
Doch er vergieng nicht, und senkte, betäubt vom ewigen Kummer,
830
Wie ein gebeinvoller Berg, wo vormals Menschen sich würgten,
Im Erdbeben versinkt, langsam zur Erde sich nieder.

Unterdeß war Satan nebst Adramelech der Erde
Auch schon näher gekommen. Sie giengen neben einander,
Jeder allein, und in sich gekehrt. Itzt sahe den Erdkreis
835
Adramelech vor sich in ferner Dunkelheit liegen.

Das ist sie also, so sagte er bey sich, so drängten Gedanken
Andre Gedanken, wie Wogen des Meers, wie der Ocean drängte,
Als er von drey Welten dich, fernes Amerika, losriß;
Das ist sie also, die ich, sobald ich Satan entfernet,
840
Oder mich über ihn siegend vor allen verherrlichet habe,
Die ich alsdann, als Schöpfer des Bösen, allein beherrsche!
Aber warum nur sie? Warum nicht auch jene Gestirne
Die zu lange schon selig, um mich, durch die Himmel daher gehn?
Ja, auch dort soll der Tod von einem Gestirne zum andern
845
Bis an die Gränze des Himmels vorm Antlitz des Ewigen tödten!
Dann würg ich nicht die vernünftigen Wesen, wie Satan, nur einzeln,
Nein, zu ganzen Geschlechtern! Die sollen vor mir sich in Staub hin
Niederlegen, ohnmächtig sich krümmen, und winden, und jammern.
Wenn sie sich winden und krümmen und jammern, so sollen sie sterben!
850
Dann will ich hier, oder dort, oder da, triumphirend und einsam,
Sitzen und mich umsehn. Die du nun deinen Geschöpfen
Durch mich zum Grabe geworden, Natur, auf deine Verwesten,
In dein tiefes unendliches Grab will ich lachend hinabsehn!
Auch will ich ihn, wenn er flieht, wenn ihn das Anschaun der Todten
855
Überall umringend vom alten Throne vertreibet,
Selbst den Ewigen will ich alsdann auch lachend betrachten.
Oder gefällts ihm vielmehr im düstern Grabe der Welten
Neue Geschöpfe zu baun, daß ich sie von neuem verderbe:
Auch die will ich alsdann mit eben der Allmacht, wie vormals
860
Wieder von einem Gestirne zum andern verführen und tödten.
Adramelech, das bist du! Doch möcht es dir endlich gelingen,
Daß du auch das Sterben der Geister erfändest, daß Satan
Durch dich vergieng, und von dir verderbt in ein Unding zerflösse!
Unter ihm sollst du kein Werk, das deiner nur würdig ist, enden!
865
Feuriger Geist, der du Adramelech beseelest, erschaffe!
Töte die Geister, ich fluche dir, tödte sie, oder vergehe!
Ja, vergehe, sey lieber nicht mehr, eh du lebst und nicht herrschest!
Ja, ich will hingehn, gehn will ich und alle meine Gedanken
In mir, wie Götter, versammeln, sie sollen erfinden und tödten.
870
Itzt ist es Zeit, worauf ich seit Ewigkeiten schon dachte,
Das zu vollenden. Ja itzo, da Gott von neuem erwachet,
Und, wenn Satan nicht irrt, uns einen Erlöser der Menschen,
Unser erobertes Reich uns abzunehmen, herabschickt.
Doch er mag immer nicht irren, der Mensch sey der größte Prophete
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Unter den Propheten seit Adam, er heisse Messias
Oder auch Gott, so soll er nur mir zur Verherrlichung da seyn!
Seine Vernichtung soll mich vor der ganzen Geisterversammlung
Zu der Besitzung des höllischen Thrones zum würdigsten machen:
Oder, was ich vielmehr von meiner Gottheit erwarte,
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Was du vielmehr, unsterblicher Adramelech, vollendest,
Wenn ich Satan vor ihm noch verderbe, so sey er der Erstling
Meiner Besiegten, mit deren Vernichtung mein neues Reich anfängt.
Armer Satan, wie schwer wird dirs, den Leib des Messias
Nur zu erwürgen! Erwürg ihn nur! Ja, so kleine Geschäffte
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Laß ich dir, eh du vergehst: ich aber tödte die Seele!
Die vernicht ich; den sterblichen Staub magst du mühsam zerstreuen!
Und wenn der Ewige sie vor andern Seelen erwählte,
Wenn er sie, sich zu verherrlichen, schuf: so soll er voll Jammer
Um sie in einsamer Ewigkeit klagen! Drey schreckliche Nächte
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Soll er um sie klagen! Wenn er sich ins Dunkle verhüllt hat,
Soll drey schreckliche Nächte kein Seraph sein Angesicht sehen!
Dann will ich durch die ganze Natur ein tiefes Geheule
Hören, ein tiefes Geheul am dunkeln, verfinsterten Throne,
Und ein Geheul in der Seelen Gefild, ein Geheul in den Sternen,
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Da, wo der Ewige wandelt, das will ich hören, und Gott seyn!

Also verlohr sich sein Geist, vom wünschenden Herzen empöret,
In verruchte Gedanken. Gott, der die Zukunft durchschaute,
Hört ihn, und schwieg. Voll ermüdenden Tiefsinns blieb Adramelech
Unvermerkt auf einer sich um ihn sammelnden Wolke,
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Starr mit glühender Stirn, die der Grimm durchfaltete, sitzen.
Doch das Getöse der wandelnden Erde, die itzt mit der Nacht kam,
Weckte den Verruchten von seinen schwarzen Gedanken.
Itzo gesellt er sich wieder zu Satan. Sie giengen und stürmten
Gegen den Ölberg, den Mittler daselbst mit seinen Vertrauten
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Aufzusuchen. So stürzen zween tödtende Kriegeswagen
In die Thäler, dem ruhigen Feldherrn des Feindes entgegen.
Itzo sandten sie, hoch von dunkeln donnernden Bergen,
Eherne Krieger; sie rauschen mit eisernem wilden Getöse
Über die Felsen, und krachen, und donnern, und tödten von ferne.
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Also kam Adramelech und Satan zum Ölberg hernieder.