B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Friedrich Gottlieb Klopstock
1724 - 1803
     
   



O d e n   u n d   E l e g i e n .

E l e g i e .
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Dir nur, liebendes Herz, euch, meine vertraulichsten Thränen,
      Sing' ich traurig allein dieses wehmüthige Lied.
Nur mein Auge soll es mit schmachtendem Feuer durchirren,
      Und, an Klagen verwöhnt, hör' es mein zärtliches Ohr!
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Bis, wie Biblis einst in jungfräulichen Thränen dahin floß,
      Mein zu weichliches Herz voller Empfingung zerfliest.
Ach! warum, o Natur, warum, unzärtliche Mutter,
      Gabst du zur Empfingung mir ein zu biegsames Herz?
Und ins biegsame Herz die unbezwingliche Liebe,
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      Ewiges Verlangen, keine Geliebte dazu?
Die du künftig mich liebest, (wenn anders zu meinen Thränen
      Einst das Schiksal erweicht, eine Geliebte mir giebt!)
Die du künftig mich liebst, o du vor allen erlesen,
      Sprich, wo dein fliehender Fuß ohne mich einsam izt irrt?
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Nur mit einem verräthrischen Laut, nur mit einem der Töne,
      Die, wenn du lachts, dir entfliehn, sag es, o Göttliche, mir!
Fühlst du, wie ich, der Liebe Gewalt, verlangst du nach mir hin,
      Ohne daß du mich kennst; o, so verheele mirs nicht!
Sag es mit einem durchdringenden Ach, das meinem Ach gleichet,
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      Das aus innerster Brust zitternd dem Munde zuflieht.
Durch die Mitternacht hin klagt mein sanft thränendes Auge,
      Daß du, Göttliche, mir immer noch unsichtbar bist!
Durch die Mitternacht hin strekt sich mein zitternder Arm aus,
      Und umfasset ein Bild, das vielleicht ähnlich dir ist!
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Ach! wo such' ich dich doch? Wo werd' ich endlich dich finden?
      O du, die meine Begier stark und unsterblich verlangt!
Wo ist der Ort, der dich hält? Wo fliest der segnende Himmel,
      Welcher dein Aug' umwölbt, heiter und lächelnd vorbey?
Dürft' ich mein Auge zu dir einst, seliger Himmel, erheben,
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      Und umarmet die sehn, die du von Jugend auf sahst!
Aber ich kenne dich nicht! Vielleicht gieng die fernere Sonne
      Meinen Thränen daselbst niemals unter und auf.
Soll ich dich niemals, o Himmel, erbliken? Führt niemals im Frühling
      Meine sanft zitternde Hand sie durch ein blühendes Thal?
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Sinkt sie, von süsser Gewalt der allmächtigen Liebe bezwungen,
      Nie, wenn der Abendstern kömmt, mir an die bebende Brust?
Ach, wie schlägt mir mein Herz! Wie zittern durch meine Gebeine
      Freud' und Hofnung, dem Schmerz unüberwindlich, dahin!
Unbesingbare Lust, ein süsser prophetischer Schauer,
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      Eine Thräne, die mir still von den Wangen entfiel;
Und ein Anblik geliebter mitweinender weiblicher Zähren,
      Ein mir lispelnder Hauch, und ein erschütterndes Ach;
Ein mich segnender Laut, der mir rief, wie ein liebender Schatten
      Seiner Entschlafenen ruft; weissagt dich, Göttliche, mir.
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O du, die du sie mir und meiner Liebe gebahrest,
      Hältst du sie, Mutter, umarmt; Dreymal gesegnet sey mir!
Dreymal gesegnet sey mir dein gleich empfindendes Herze,
      Das der Tochter zuerst weibliche Zärtlichkeit gab!
Aber laß sie izt frey! Sie eilt in den Garten, und will da
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      Keinem Zeugen behorcht, keinem beobachtet seyn.
Eile nicht so! Doch mit welchem Namen soll ich dich nennen,
      Die du unaussprechlich meinem Verlangen gefällst?
Eile nicht so, damit kein Dorn des vergangenen Winters
      Deinen zu flüchtiger Fuß, indem du eilest, verlezt;
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Daß kein schädlicher Duft des werdenden Frühlings dich anhaucht;
      Daß sich dem blühenden Mund reinere Lüfte nur nah'n.
Aber du gehest denkend und langsam, das Auge voll Zähren,
      Und jungfräulicher Ernst dekt dein verschönert Gesicht.
Täuschte dich jemand? Und weinest du, weil deiner Gespielinnen eine
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      Nicht, wie du von ihr geglaubt, redlich und tugendhaft war?
Oder liebst du, wie ich? Erwacht mit unsterblicher Sehnsucht,
      Wie sie mein Herz mir empört, in dir die starke Natur?
Was sagt dieser erseufzende Mund? Was sagt mir dies Auge,
      Das mit verlangendem Blik zärtlich gen Himmel hin sieht?
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Was entdekt mir die brünstige Stellung, als wenn du umarmtest,
      Als wenn du ans Herz eines Glükseligen sänkst!
Ach du liebest! So wahr die Natur kein erhabnes Herz nicht
      Ohne den heiligsten Trieb derer, die ewig sind, schuf!
Göttliche, du liebest! Ach wenn du den doch auch kenntest,
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      Dessen liebendes Herz unbemerket zärtlich dir schlägt!
Dessen Seufzer dich ewig verlangen, dich bang vom Geschike
      Fordern; von dem Geschik, das unbeweglich sie hört.
Wehten dir doch sanftrauschende Winde sein brünstig Verlangen,
      Seiner Seufzer Getön, seine Gesänge Laut, zu!
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Wie die Winde des goldenen Alters vom Ohre des Schäfers,
      Mit der Schäferin Ach hoch zu der Götter Ohr floh'n.
Eilet, Winde mit meinem Verlangen zu ihr in die Laube,
      Schauert durch den Wald hin, rauscht und verkündigt mich ihr:
Ich bin redlich! Mir gab die Natur Gefühle zur Tugend;
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      Aber zur Liebe gab sie noch ein gewaltiger's mir;
Zu der Liebe, der schönsten der Tugenden, wie sie's den Menschen
      In der Jugend der Welt edler und mächtiger gab.
Alles empfind' ich von dir; kein halb nur begegnendes Lächeln;
      Kein unvollendetes Wort, welches in Seufzer verflog;
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Keine stille mich fliehende Thräne, kein leises Verlangen,
      Kein Gedanke, der sich mir in der Ferne nur zeigt;
Kein halbstammelnder Blik voll unaussprechlicher Reden,
      Wenn er den ewigen Bund süsser Umarmungen schwört;
Auch der Tugenden keine, die du mir sittsam verbirgest,
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      Eilet unausgeforscht mir und unempfunden vorbey!
Ach, wie will ich dich, Göttliche, lieben! Das sagt uns kein Dichter,
      Selbst wir entzükt im Geschwäz trunkner Beredtsamkeit nicht.
Kaum daß noch die Unsterbliche selbst, die fühlende Seele
      Ganz die volle Gewalt dieser Empfindungen faßt!