B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Friedrich Gottlieb Klopstock
1724 - 1803
     
   



O d e n   u n d   E l e g i e n .

A e d o n .
1 7 4 9 .


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Diesen fröhlichen Lenz ward ich, und sang zuerst,
Diesen fröhlichen Lenz lehrt' Aedone mich,
      Meine Mutter, und sagte:
            Sing, Aedon, den Frühling durch!

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Horcht der Wald dir allein, deine Gespielinnen
Sizen horchend die nur deinem Gesange da:
      Alsdann sing, o Aedon,
            Nachtigallen Gesänge nur.

Aber tritt er daher, welcher erhabener ist,
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Als der himmlische Hain, kommt er, der Erde GOtt:
      Alsdann sing, o Aedon,
            Seelenvoller und göttlicher!

Denn sie hören dir zu, die doch unsterblich sind!
Ihren göttlichsten Trieb lokt dein Gesang hervor.
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      Alsdann singst du, Aedon,
            Den Unsterblichen Liebe zu!

Ich entflog ihr, und sang, und der bewegte Hain,
Und die Hügel umher hörten mein junges Lied,
      Und des Baches Gespräche
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            Sprach gelinder am Ufer hin.

Doch der Hügel, und Bach, und der bewegte Hain
War der Erde GOtt nicht! Hörerlos sang ich schwach!
      Denn ich sang dich, o Liebe,
            Rein Göttern und Göttinnen!

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Doch vom Abend herauf, unter des Schattens Nacht,
Kam ein göttliches Bild, lebender als der Hain,
      Schöner als die Gefilde,
            Eine von den Unsterblichen!

Wie war ihr Anblik mir neu! Was ihr vom Auge blikt,
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Ach was war das? War's das, so sie zur Göttin macht?
      Spräch' die Stimme den Blik aus:
            O so würde sie süsser seyn,

Als mein zärtlichster Laut, als mein gesungenster,
Und gefühlvollster Ton, wenn mich die junge Lust
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      Von den Wipfeln der Wälder
            In die Höh'n des Olymps entzükt.

Aug'! ach, Auge, dein Blik bleibt unvergeßlich mir!
Und wie leg ich dir doch würdige Namen bey?
      Wirst du Seele genennet?
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            Bist du's, das die Unsterblichen

Zu Unsterblichen macht? Auge, wem gleich ich dich?
Bist du ein blauer Olymp, an dem der Abendstern
      Silberfarbig heraufsteigt?
            Oder gleichest du jenem Bach,

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Der dem Quell kaum entfloß, in dem der Rosenstrauch
Seine Knospen besieht, in dem ich selber oft
      Niederhangend vom Zweige,
            Meine dichtrische Stellung seh'?

Und was spricht izt ihr Blik? Hör'st du mir, Göttin, zu?
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Hörst du der Nachtigall zu? Sang ich von Liebe dir?
      Und was fliesset gelinder
            Hoch vom schmachtenden Auge her?

Ist das Liebe, was dir zärtlich vom Auge rinnt?
Deinen göttlichsten Trieb, lokt den mein Lied hervor?
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      Welche sanfte Bewegung
            Hebt dir deine beseelte Brust?

Sprich, wie heiset der Trieb, welcher dein Herz bewegt?
Heist er bestes Geschenk von den Olympiern?
      Heist er göttliche Tugend?
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            Oder Glük des Elysiums?

O gesegnet sey mir, zwölfter May, schönster Tag,
Da ich die göttliche sah! aber gesegneter
      Seyst du unter den Tagen,
            Wenn ich in den Umarmungen

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Eines Jünglings sie seh! der die Beredsamkeit
Dieser Augen empfind't, und euch, ihr Frühlinge
      Dieser lächelnden Minen,
            Und den Geist, der dies alles schuf.

            *       *       *

War's nicht, Fanny, der Tag, war's nicht der zwölfte May?
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Der in den Hain hin dich rief, wars nicht der zwölfte May?
      Der mir, weil ich allein war,
            Oed' und traurig vorüber floß!