BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

August Lafontaine

1758 - 1831

 

Leben und Thaten des Freiherrn

Quinctius Heymeran von Flaming

 

Zweiter Theil

 

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Quinctius Heymeran von Flaming.

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Zweiter Theil.

 

Der Baron brachte viele Sprachkenntnisse auf die Universität mit; auch hatte er alle Spitzfindigkeiten einer scholastischen Philosophie im Kopfe, und seine Menschenkenntniß vermehrte er ferner nach Campanella's Methode, die ihm freilich noch manche lächerliche Händel zuzog.

Zuerst trieb er mit großem Fleiße Philosophie; allein er ließ bald nach: denn sein Lehrer darin, ein heller Kopf, war ein Anhänger von Hume, und spottete über die scholastischen Träume. Freilich gefiel es Anfangs dem Baron, hier sein Ungläubigkeits-System, womit er seinem Vater einmal alle Vorfahren raubte, erweisen zu hören; da aber die meisten Studenten eben dem System anhingen, und da er noch mit keinem Professor Umgang hatte, welcher es bestritt, so konnte er nicht damit glänzen. Er forderte zwar, wenn er mit Leibnizianern in Gesellschaft war, sie auf, die Notwendigkeit der Ur-Ideen zu beweisen; allein die Studenten waren ihm nicht gewachsen, und hörten ihm entweder gar nicht, oder doch sehr gleichgültig zu. Daher verließ er die rauhen Felder der Weisheit bald.

Nun studierte er die Alterthümer. Der Lehrer derselben war der abgesagteste Feind aller neuen Sitten, Gewohnheiten, Kleidungen, Speisen, und Regierungsformen. Er bewies seinen Zuhörern täglich mit großem Eifer, daß nur die Griechen gegessen, sich gekleidet, und gelebt hätten; und daß die von ihnen entlehnten zwölf Tafeln der Römer mehr Weisheit enthielten, als die sämmtlichen Gesetzbücher der neueren Nationen. Die Eleusinischen Geheimnisse setzte er dem Christenthum an die Seite; und von Pythagoras' Zahlen redete er mit solcher Ehrfurcht und in einem so heiligen Dunkel, daß er um nichts verständlicher war als Pythagoras selbst. (Von diesem Augenblick an aß der Baron keine Bohnen mehr, und nahm ein Kollegium über die Algebra. Er begriff nichts davon, sprach aber doch beständig von den heiligen Zahlen.) „Die Aegypter, meine hochgeehrtesten Herren“, sagte der Professor, „die Aegypter haben mehr Weisheit in ihre Pyramiden und Obelisken eingegraben, als jetzt in allen Büchern der Welt steht; so wie eine Rhapsodie des Homer größeren Werth hat, als die sämmtlichen Bücher, die seit den letzten siebzehn Jahrhunderten geschrieben worden sind. Eine Lesart im Homer zu berichtigen, den Sinn eines Hieroglyphen an einem Obelisk zu entdecken, ist wichtiger als Luthers Reformation. Ach, meine Herren, was sind doch die großen Männer der neuen Zeit gegen die Alten! Nichts. Leibnitzen will ich ausnehmen; der wird unsterblich bleiben, wenn auch seine Philosophie gänzlich vergessen ist, die er freilich nur den Alten nachschrieb, ohne sie zu verstehen. Ein Gedanke hat ihn unsterblich gemacht, der eines Plato, eines Pythagoras würdig ist: der Gedanke, eine allgemeine Sprache, eine Ideen-Schrift zu erfinden. Eine Hieroglyphen-Schrift! Wehe dem Jahrhundert, das diese große Erfindung so kalt aufnahm, so leichtsinnig verwarf! Wer wird sie ausführen, diese große Idee! wer wird sich dadurch den Dank der Welt und der Nachwelt verdienen!“

Ich! dachte der Baron; und nun mochte der Professor deklamiren, so viel er wollte, der Baron war in den Gedanken an eine allgemeine Sprache versunken. Er eilte nach Hause, schloß sich ein, nahm Papier, und mahlte, dachte und träumte einen ganzen Monat nichts als Hieroglyphen. Seine Bedienten, welche bei ihm Papier, Wände und Tische mit seltsamen Figuren vollgezeichnet sahen, glaubten, und schrieben nach Hause, ihr junger gnädiger Herr lerne jetzt das Zaubern. Der Baron schrieb in dieser Zeit an seine Mutter, und sie fand, anstatt der gewöhnlichen Wörter, Kreise, Dreiecke, Vierecke, Zahlen. Ein Postskript belehrte sie von der Idee ihres Sohnes; sonst hätte sie ihn für wahnsinnig gehalten.

Nach einem Monate ging er mit seiner Arbeit zu seinem Lehrer, und zog ihn zu Rathe. Ich bitte Sie, Herr Baron, sagte der: wie kann man Ideen, etwas Unsichtbares, mit Zeichen, etwas Sichtbarem, darstellen, so daß diese Zeichen allgemein verständlich wären?

„Sie sagten aber in den Alterthümern, es würde ein Verdienst um die Menschheit seyn, diese allgemeine Sprache zu erfinden.“

Ei! Herr Baron, das war auch in den Alterthümern bei Gelegenheit der Hieroglyphen. Da sagt und lobt man viel! Wer will sich mit so etwas den Kopf zerbrechen! Ich kann Ihnen keinen Rath geben; denn den Leibnitz habe ich nicht selbst gelesen, und die Hieroglyphen hat schon mancher feine Kopf erklären wollen, ohne es zu vermögen. Man ist ja noch in Streit, was die Pyramiden eigentlich sind. Vielleicht waren sie nur ein Einfall der Aegyptischen Priester, bei dem sie selbst nichts gedacht haben. Es geht den Herren Geistlichen manchmal so! ... Was wollen Sie sich darüber den Kopf erhitzen! Essen Sie mit mir, Herr Baron. – Man trug eben ein Gericht große Bohnen auf, die der Professor, dem weisen Pythagoras zum Trotze, sehr gern aß.

Der Baron verließ den Professor mit Verachtung, und besuchte dessen Stunde nicht wieder. Aber so ganz konnte er die Idee, eine allgemeine Sprache zu erfinden, doch nicht fahren lassen. Ihm fiel die Lehre ein: „Thu das Gegentheil von dem, was gethan wird, wenn du erfinden willst!“ Und in diesem Augenblicke trat der erste Gedanke an eine allgemeine Empfindungssprache vor seine Seele. „Wie!“ dachte er; „kann ich doch, wenn ich die Bewegungen eines Andren nachmache, in mir die Empfindungen erregen, die er hat! ... Sieh da!“ rief er nach einigem Sinnen, und klatschte in die Hände: „hättest du wohl gedacht, großer Campanella, daß deine Methode der Keim einer Wissenschaft werden sollte, die vielleicht den ganzen Erdball umändert? Die Empfindungen jedes Menschen sind in mir selbst lesbar, sobald ich seine Bewegungen nachmache. Was bedarf ich weiter? Nichts, als mich nur im Lesen, und dann im Sprechen zu üben. Das kann so schwer nicht seyn. Und da“ – fuhr er fort zu grübeln – „nach dem großen Hume, alle Ideen von den Erfahrungen durch die Uebung abgezogen sind, also doch einmal Empfindungen gewesen seyn müssen; so kann es nicht fehlen, jeder, auch der allerfeinste, abgezogenste Begriff muß seine Miene haben, die ihn auf dem Gesichte abspiegelt. Und so könnte es dahin kommen, daß meine Gesichtsbewegungs-Sprache die ganze Philosophie reinigte, ihre Gränzen bestimmte, das Denkbare und Undenkbare festsetzte, allen Wissenschaften, der Philosophie, ja der Religion selbst und der Moral, Gewißheit gäbe, ihre Principien entwickelte und ...“ – Er sprang mit Entzücken auf, jauchzte vor Freude, und fing sogleich seine Arbeit an. Schade, daß seine Aufsätze, seine Bemerkungen darüber, deren eine ungeheure Menge wurde, nicht in unsere Hände gekommen sind! Ganz unbekannt mögen sie indeß nicht geblieben seyn; des Barons Geist und Schriften scheinen mehrere Gelehrte beseelt zu haben: denn seitdem wurde die Physiognomik ausgearbeitet, und man las durch bloße Berührung der Schrift sogar unbekannte Sprachen.

Natürlicher Weise trieb der Baron jetzt das Nachmachen der Mienen, der Bewegungen und der Stellungen in allen Gesellschaften sehr lebhaft. Besonders war er sehr eifrig, wenn er hörte, daß zwei Menschen sich in einer ihm unbekannten Sprache unterredeten. Dann stand er neben ihnen wie festgezaubert, und keine ihrer Bewegungen entging ihm. Sein Gesicht wurde so gelenksam, so geschmeidig, daß man ihn nicht ohne Erstaunen ansehen konnte. Und was war seinem Entzücken zu vergleichen, als er einige Male wirklich den Gegenstand eines Gespräches errieth, das zwei Leute in einer fremden Sprache führten! „Ist es möglich?“ dachte er; „blieb es mir vorbehalten zu entdecken, was die Gabe der fremden Sprachen bei den ersten Christen gewesen ist? Sie war nichts als meine allgemeine Bewegungssprache; und so ist das Wunder erklärt.“

Er fing jetzt an, mit seiner Erfindung laut zu werden. „Warum“, sagte er, „sind alle wilden Völker so pantomimisch? warum reden sie mehr mit Gesicht, Händen und Füßen, als mit der Zunge? Natürlich! sie sprechen noch die Sprache, welche die Natur dem Menschen gab, und welche er durch seine so doppelsinnige Wortsprache verdrängt hat.“ Der Baron wurde über diese Aeußerungen bald verspottet. Besonders verfolgten ihn in allen Gesellschaften die Frauenzimmer mit ihren Einfällen. Er machte ihre Mienen nach, und wurde immer mehr von Mahomeds Satze überzeugt, daß die Weiber von Natur ungeheuer falsche, verläumderische, thörichte Spötterinnen alles Guten und Edlen sind.

Das Alphabet der neuen Sprache war nun fertig, und bestand in lauter Gesichtern mit verzerrten Mienen, die ein Mahler nach des Barons Gesichte gezeichnet hatte. „Das Gesicht ist der Spiegel der Seele; was also wirklich in der Seele ist, zeigt sich auf dem Gesichte. Denkt die Seele etwas, das nicht wirklich ist, so kann es sich auch nicht auf dem Gesichte abspiegeln. Was also auf dem Gesichte keine Bewegung macht, ist nicht wirklich da.“ Dies waren die Hauptsätze, welche unser Baron immer mehr und mehr ausarbeitete.

Aber nach und nach mußte sein Eifer erkalten; denn Niemand wollte seine Sprache mit ihm reden, nur seine beiden Bedienten ausgenommen, die endlich seine Verzerrungen des Gesichtes verstehen lernten. Auf diese beiden Bedienten berief er sich immer, wenn man über seine neue Sprache spottete. Hiermit ging es endlich so weit, daß ihm die Kinder auf der Gasse in den Weg traten, und ihm Fratzengesichter machten. Er wurde der Märtyrer seiner Erfindung, tröstete sich aber damit, daß es allen großen Männern auf ähnliche Art gegangen sey. So wählte auch er das Mittel, das sie wählten, wenn sie konnten: er entfloh, und ging auf eine andere Universität, mit dem festen Vorsatze, seine Erfindung zu verschweigen. Allein er wurde auch hier bald zum Gespötte, da er die Gewohnheit nicht ablegen konnte, sogleich, wenn er Leute reden sah, das Gesicht zu verzerren, zu lachen, wenn sie lachten, den Kopf zu schütteln, wenn sie ihn schüttelten, sich zu bewegen, wie sie sich bewegten.

Haben Sie den Baron von Flaming schon gesehen? fragte man überall. Man bedauerte ihn, und nannte seine Gewohnheit: Nervenschwäche, Krankheit. Nur ein Professor der Theologie wurde aufmerksamer auf ihn. Ist er etwa aus Amerika? fragte er jemanden, der den Baron kannte. – „Nein; er ist ein Deutscher.“ – Oder seine Vorfahren? fragte der Professor weiter. – „Auch nicht.“ Nun, ein Mongol muß er doch seyn! murmelte der Professor vor sich, und suchte Gelegenheit, den Baron zu sehen, die er auch in Kurzem fand.

Der Professor sah den Baron starr an; sogleich betrachtete dieser ihn mit eben so starren Augen. Um Vergebung, Herr Baron, ist das Ihr eigenes Haar? fragte der Professor, und betrachtete Flamings blonden Kopf. – „Ja, Herr Professor. Warum? Meinten Sie ...?“ – Ich dachte, weil es blond ist ... – „Darf man kein blondes Haar tragen?“ – Man darf wohl; allein ich glaubte, Sie müßten schwarzes haben. – „Ich, schwarzes? Warum denn eben ich?“

Der Professor wurde verlegen, entfernte sich, und betrachtete den Baron mit Kopfschütteln.

Herr Baron, fing er bald nachher wieder an, sind Sie aus Deutschland gebürtig? – „Ihnen aufzuwarten.“ – Aber Ihre Vorfahren können doch nicht aus Deutschland seyn. – „Warum denn nicht?“ – Ich glaubte, aus Amerika, sagte der Professor, und betrachtete den Baron wieder sehr aufmerksam. – „Aber warum aus Amerika?“ – Der Professor wurde wieder verlegen, und ging.

Flaming bemerkte, daß der Professor ihn immer in den Augen behielt. Geschwind machte er dem Manne alle Mienen nach, und hatte dabei keine üble Empfindung. Das Gesicht des Professors sagte ihm nur: ich bin aufmerksam auf dich, und werde an dir irre. Der Baron trat zu dem Professor hin, gab ihm die Hand sehr freundschaftlich, und sagte: „Sie finden etwas an mir, das Sie sich nicht erklären können.“ Der Professor gestand das ganz offenherzig, und ging nun mit ihm in ein Fenster. Nicht wahr, Herr Baron, sagte er, Sie haben ein starkes Gedächtniß? Sprachen sind so recht Ihre Sache?

Flaming stutzte. Hm! dachte er, weiß der etwa ...? – „Nun ja, ich kann Ihnen das wohl gestehen, Herr Professor. Aber warum fragen Sie danach?“

Ich errieth es aus Ihrem Wesen, sagte der Andre freundlich lächelnd.

Der Baron erstaunte noch mehr. Er hatte schon von dem Professor als von einem großen Gelehrten, der aber manche seiner Kenntnisse dem Publikum gänzlich entzöge, sprechen hören. Sollte er etwa, dachte Flaming, gerade eben meine Wissenschaft verheimlichen?

Aber, fing der Professor wieder an, aus Amerika muß doch einer Ihrer Vorfahren gewesen seyn?

„Nein, gewiß nicht.“

Der Professor schüttelte den Kopf. Haben Sie denn die Gewohnheit, alle Mienen nachzumachen, von Jugend auf?

Der Baron lächelte. „Nein, ganz und gar nicht.“

O, so vergeben Sie mir, sagte der Professor gutherzig. Also eine Krankheit?

„Auch das nicht. Ich thue das vorsetzlich; es ist Wissenschaft.“

Wie so? fragte der Professor neugierig.

„Alle wilden Völker, Herr Professor, reden mehr durch Mienen, Geberden, ...“

Nicht alle, nicht alle, fiel der Professor lächelnd ein; die vom Celtischen Völkerstamme gewiß nicht: darauf verlassen Sie sich, Herr Baron. Menschen von edleren Racen haben die Geschmeidigkeit des Körpers nicht, die dazu gehört. Die Celten auf der untersten Stufe ihrer Kultur redeten nie durch Mienen und Bewegungen; sie erfanden, aber sie ahmten nicht nach.

„Aber ich habe ja die Geschmeidigkeit, und bin ein Deutscher. Oder sind die Deutschen keine Celten?“

O ja, Herr Baron. Eben deswegen fragte ich nach Ihrem Gedächtnisse, nach Ihren Vorfahren. Ich muß Ihnen in Vertrauen sagen, Herr Baron (er sah sich unruhig um), daß ich nun vierzig Jahre damit zugebracht habe, eine Wissenschaft zu studieren, die vielleicht einmal – jetzt sind die Zeiten noch nicht – hellen Tag in die Geschichte des Menschen bringen wird.

„Gewiß ist das eine allgemeine Sprache für alle Menschen der Erde durch die Bewegungen ...“

Allgemein, Herr Baron? Wenn ich Ihnen nun beweise, daß die Menschen in Racen abgetheilt sind, die sich durch wesentliche Absonderungen der Natur stärker von einander unterscheiden, als die Racen der Thiere; so werden Sie mir leicht zugeben, daß eine allgemeine Sprache für das menschliche Geschlecht nicht möglich ist.

„Wenn Sie mir das beweisen, Herr Professor!“

Das kann ich. Kommen Sie doch zu mir. Aber unsere Gespräche müssen unter uns bleiben, ganz unter uns!

Der Professor war wirklich ein sehr gelehrter Mann. Von Jugend auf hatte er am liebsten Reisebeschreibungen und historische Schriften gelesen. Nichts war ihm dabei unbegreiflicher, als daß die Kultur in Asien, dem am längsten bewohnten Lande, keine, und in Europa so schnelle Fortschritte gemacht hat. Er dachte diesem Räthsel lange nach; auf einmal fuhr ihm wie ein Blitz der Gedanke durch die Seele: wie, wenn wir Europäer ganz andere Menschen wären, als die Asiaten! Sogleich fing er an, alle seine Kenntnisse unter diesem Gesichtspunkte noch einmal zu wiederholen, zu ordnen, und fest zu stellen. Alles wurde ihm nun klar: die verschiedenen Farben der Menschen, die verschiedene Form der Gesichter, die verschiedenen Sitten und Gewohnheiten, die verschiedene Stärke und Schwäche des Geistes bei den Völkern.

Zwar erschrak er ein wenig, als er seine neue Theorie durchdachte, und sich dabei erinnerte, daß er Professor der Theologie war. Aber nein! rief er; es ist nicht möglich, daß Neger und Amerikaner, Kalmycken, Morgenländer, Griechen und Deutsche Alle von Adam abstammen können. Die Morgenländer, das gebe ich zu, und das ließe sich erweisen; aber nicht die Celten, nicht die Slaven. Er brachte nun sein System in Ordnung, und theilte die Menschen in vier Hauptstämme: in Mongolen (wozu er Neger und Amerikaner rechnete), in Morgenländer, Slaven, und Celten. Jeder Klasse gab er ihre Kennzeichen, ihre Farbe, ihre Sprache; ja, er unterschied sie durch die geringsten Kleinigkeiten. Je mehr er las, desto fester, desto unumstößlicher wurde ihm seine Theorie. Fand er etwas, das nicht hinein paßte, so machte das eine Ausnahme. Erzählte ein Reisebeschreiber Umstände, die sein System zum Wanken brachten, so hatte der Mann nicht die Wahrheit gesagt, oder nicht recht gesehen. Kurz, der Professor ging von seiner Hypothese aus, und wußte die Fakta nach ihr zu bilden.

Jetzt hatte er sein System in Ordnung gebracht, und die vier Menschen-Racen in gehörige Schranken abgesondert, welche sie nicht überschreiten konnten, weil ihre innere Organisation sie an ihre Unvollkommenheiten band, und diese verewigte. Bald ließ er nun in Gesellschaft mit anderen Professoren etwas von seinem System merken; und nicht lange, so machte er auf dem Katheder das Dogma von der Erbsünde durch die Bedingung: „wenn alle Menschen von Adam abstammen“, zweifelhaft. Mit jedem halben Jahre wurde er dreister, wie das bei den meisten Ketzern der Fall ist. Diesmal griff er die Erbsünde an; im folgenden halben Jahre zog er bei dem Hauptartikel der Dogmatik solche Folgerungen aus seiner Hypothese, daß den Studenten, welche es merkten, die Haare zu Berge standen. Kurz, nach einigen Jahren behauptete er ohne Scheu: für die Celten sey kein Erlöser nöthig gewesen; in Adam hätten nur die Morgenländer gesündigt.

Das kam denn endlich aus. Nun bedauerte die theologische Fakultät nichts mehr, als daß man nicht mehr verbrennen dürfe. Die Mediciner behaupteten nach der Sektion eines Negers, aus dem Magen desselben, daß er gerade eben so denken müsse, wie ein Deutscher. Die Philosophen wollten nicht mit der Sprache heraus; als sie aber hörten, daß schwarzes Haar ein Zeichen von unedler Abkunft seyn sollte (alle vier Professoren der Fakultät hatten unglücklicher Weise schwarzes Haar): schlugen sie sich zu den Theologen. Die Juristen schrieen am meisten; denn, sagten sie, es geht gegen das Herkommen. Der einzige Kameralist, der vom Hofe zuweilen Aufträge im Finanzfache bekam, hielt es mit dem Professor, weil dieser ihm sagte, daß die Regierung mit gutem Gewissen jedem Schwarzkopf eine doppelte Kontribution auflegen könne. Man stritt und schrie so lange, bis der Hof sich ins Mittel legte. Der Professor mußte widerrufen, und durfte nicht mehr über die Dogmatik lesen. Nun brach die halbe Stadt ihren Umgang mit ihm ab, und der Kameralist zuerst.

Man denke sich das Elend des guten Professors, der etwas Unerhörtes, noch nie Gesagtes, lehren konnte, und nicht durfte! Doch er hielt sich dadurch schadlos, daß er wenigstens manchem Einzelnen, zu dem er Vertrauen hatte, etwas von seinem System entdeckte. So auch bei dem Baron, an dem er seinen rechten Mann gefunden hatte, und dem er, unter dem Siegel der Verschwiegenheit, alle seine Geheimnisse, alle seine Kollektaneen aus Reisebeschreibungen, mittheilte.

Der Baron zog zu dem Professor ins Haus, nahm bei ihm ein Privatissimum über die neue Wissenschaft, und studierte mit solchem Eifer, daß er bald eben so weit war, wie sein Lehrer; ja, es gingen nur wenige Monate hin, so übertraf in der Anwendung des neuen Systems der Schüler seinen Meister.

Der Professor lehrte ihn die Kennzeichen der verschiedenen Menschen-Racen. Der unedelste Menschenstamm, sagte er unter andern, hat wollichtes, starkes, schwarzes Haar, Stutznasen, dicke Lippen, große Beißmuskeln, starke Kinnladen, weißere Zähne, größere Köpfe, dicke Haut, runden Bauch, große Ohren, eingedrückte Stirnen, kleine tiefe Augen, und so weiter.

Der Baron kehrte, nach seiner Lebhaftigkeit, den Satz um. „Wer“, sagte er, „eine Stutznase, dicke Lippen und so weiter hat, gehört zu dem unedelsten Menschenstamme. Ja, ja! darum betrog mich Marie; sie hatte schwarzes Haar und schwarze Augen. Jetzt seh ich's ein.“ Er träumte nun von nichts als von Menschen-Racen, und fing an, alles in dieses System hinein zu zwingen. Jetzt hatte er wieder jedermann in Augen, nicht um zu erfahren, wie er dächte, sondern um zu sehen, ob nicht ein Zeichen von unedler Abkunft an ihm zu entdecken wäre. Indeß war er doch mit dieser Hypothese ein wenig behutsamer, als mit der vorigen, so viele Mühe es ihm auch kostete, seine neuen Kenntnisse zu verbergen. Ich würde unglücklich werden, hatte der Professor zu ihm gesagt, wenn es auskäme, daß ich Sie unterrichtet habe. Der Baron schwieg daher und studierte desto emsiger mit seinem alten Freunde; doch endlich wurde es ihm allzu sauer, etwas zu verbergen, das er allein wußte. Er entschloß sich, die Universität zu verlassen, wo seine Eitelkeit so sehr in der Presse war, nahm von seinem Lehrer Abschied, und ging in die Residenz eines kleinen Deutschen Fürsten, in dessen Lande er vor Kurzem ein Gut von einem weitläuftigen Verwandten geerbt hatte.

Nun miethete er ein Haus, ließ sich mehrere Domestiken, Equipage, und Möbel kommen, und richtete sich für die damalige Zeit sehr elegant ein. Bald wurde er bei Hofe vorgestellt, und gefiel sehr wohl. Natürlicher Weise bewarb man sich um seine Bekanntschaft, da man wußte, daß er sehr reich war. Alle Fräulein am Hofe warfen ihr Netz nach ihm aus; aber ein so seltsamer Mensch, wie der Baron, war ihnen noch nicht vorgekommen. Sobald er in eine Gesellschaft eintrat, schien er mit seinen Augen alle Anwesende verschlingen zu wollen, und besonders ließ er sie auf den Mädchen haften. Jedes Fräulein glaubte, wenn es seinen starren Blicken begegnete, ihn schon erobert zu haben; aber den Augenblick nachher war er so kalt, als ob Haubenköpfe rings um ihn wären. An dieser sah er schwarzes Haar; dort schreckten ihn zwei Reihen sehr weißer Zähne zurück; bei der schauderte er vor einer vollen Brust; diese war ihm zu rund; jene hatte eine Stutznase, eine andere zu dicke Lippen; kurz, an jeder war wenigstens Ein Kennzeichen von Slavischer Abkunft, das ihn abhielt, sich näher mit ihr einzulassen. Ueberdies steckte ihm noch immer der Koran im Kopfe, und vergiftete alles, was seine jetzige Hypothese ihm etwa Gutes von einem Mädchen sagte. Die Männer fand er etwas besser; nur beleidigte er auch bei ihnen sehr oft die gewöhnlichen Sitten.

Man hielt den Baron für einen gelehrten Sonderling; und die Lebensart, die er in seinem Hause führte, rechtfertigte diese Benennung. Es wurde bei ihm sehr gut und eine Menge von Schüsseln gegessen; nur bekam man nie fettes Fleisch, und den Sallat beinahe ganz ohne Oel. Er gab sehr guten Wein, aber leichten, und wenig. Nach Tische wurde Limonade, oder ein andres kaltes Getränk präsentirt; Kaffee und Thee waren nicht bei dem Baron zu finden, und eben so wenig Karten. Man mochte ihm vorstellen, so viel man wollte, daß er sich nach der Mode richten müsse; er hatte immer nur die Eine Antwort: „ich bin ein Celte, und will einer bleiben.“ Das ganze Jahr hindurch stand er sehr früh auf; und legte sich um zehn Uhr nieder. Er war ein Feind aller Komplimente, und würde selbst zu dem Fürsten, wenn dieser ihn besucht hätte, nur gesagt haben: „seyn Sie mir willkommen!“ Jeder Unglückliche konnte sich dreist an ihn wenden, und bekam gewiß Hülfe, wenn er blondes Haar hatte. War er auch so unglücklich, ein Mongolisches Abzeichen an sich zu tragen, so half der Baron ihm wohl, aber doch nur mit einer gewissen Härte. Diese Verschiedenheit in seinem Betragen wußte niemand zu erklären, da der Baron bisher noch wenig von seinem System geäußert hatte. Man lachte über ihn, und auch über die seltsame Dekoration seiner Zimmer. An den Wänden hingen Kupferstiche und Zeichnungen von Menschenköpfen und Kleidungen, Hütten, Kähnen, Geräthen aus alten Ländern; auf dem Tische standen drei oder vier Todtenköpfe: einer von einem Kosaken; die anderen von Deutschen. Zwischen Büchern aller Art, doch meistens seltenen, lagen ganze Stöße Papiere voll der sonderbarsten Figuren, noch aus den Zeiten her, da der Baron sich mit der allgemeinen Sprache beschäftigte. Er lächelte immer sehr zufrieden, wenn jemand alles das betrachtete, ohne errathen zu können, was es bedeute.

So hatte es ungefähr ein Jahr lang fortgedauert, als seine Hypothese losbrach. Die einträgliche Pfarre auf seinem Gute wurde vakant, und ein Kandidat in der Residenz wendete sich an die Geliebte des Fürsten, daß sie ihm eine Empfehlung verschaffen möchte. Der Fürst ließ den Baron durch den Hofmarschall ersuchen, dem Kandidaten die Pfarre zu geben; und der Baron versprach es halb und halb. Aber nun kam der Kandidat selbst zu ihm: ein Mensch mit einer Stutznase, kleinen schwarzen Augen und pechschwarzem Haar. Gnädiger Herr, hob er an, ich bin der Kandidat, dem Sie die Pfarre in ... – „Das sind Sie?“ sagte der Baron. „So bedaure ich; Sie können mein Pfarrer nicht werden.“ Er machte ihm eine ganz kalte Verbeugung, und ließ ihn gehen.

Noch denselben Tag war der Hofmarschall bei dem Baron. Nun, lieber Herr Baron, ist der junge Mann bei Ihnen gewesen? Der Fürst verläßt sich darauf, daß Sie ihm die Pfarre geben. Er hat noch heute mit mir davon gesprochen.

„Ich bedaure – der Mann wird mein Pfarrer nicht.“

Was sagen Sie, Herr Baron? Nicht möglich! Ich habe dem Fürsten Ihr und mein Wort darüber gegeben.

„Das thut mir in der That leid; aber mein Pfarrer wird er nicht: das ist so gewiß, als ich hier stehe.“

Herr Baron, bedenken Sie auch ...? Sie werden den Fürsten beleidigen!

„Sehr möglich.“

Der Fürst hat dem jungen Mann versprochen, daß er die Pfarre bekommen soll.

„Das durfte der Fürst nicht; denn ich habe die Pfarre zu vergeben, und ...“

Sie scherzen, Herr Baron. Der Fürst hat doch Ihr Wort; und das müssen Sie halten.

„Ich gab ihm mein Wort nur unter Bedingungen. Wie ich Ihnen sage, es ist nicht möglich.“

Aber warum nicht? Bedenken Sie, der Fürst ... Warum denn nicht?

„Der Mensch hat eine Stutznase, große dicke Lippen, schwarzes Haar, kleine schwarze Augen.“

Nun sehe ich, daß Sie scherzen, Herr Baron; denn was kann der Mensch dafür, daß er schwarze Augen hat?

„Ich eben so wenig. Soll ich denn aber zum Reiten ein elendes Pferd nehmen, wenn ich einen Normann haben kann?“

Was hat denn die Stutznase mit dem Predigen zu thun?

„Sehr viel, Herr Hofmarschall: mehr als Sie glauben; und die dicken Lippen dazu.“

Der Mensch ist sehr geschickt, das versichere ich Ihnen. Fünf Sprachen soll er sprechen.

„Gedächtniß können die Stutznasen wohl haben. Ein Japaner, der Europa durchreiste, lernte jede Sprache in vier Wochen fertig reden; und die Japaner sind noch schlimmer daran, als Ihr Kandidat.“

Aber, Herr Baron, bedenken Sie doch: der Fürst ...! Und dann kennen Sie ja den jungen Mann nicht.

„Herr Hofmarschall, er wird mein Pfarrer nicht; denn er hat alle Kennzeichen einer unedlen Abkunft an sich.“

Muß denn Ihr Pfarrer von Adel seyn? Das ist wieder etwas Neues!

„Herr Hofmarschall, er soll mir seine Ahnen nicht beweisen; mir ist es gleich, ob sein Vater ein Tagelöhner war. Aber vom edlen Menschenstamme muß er seyn; kurz, ein Celte.“

Sie haben ja nur drei Worte mit ihm gesprochen, als er bei Ihnen gewesen ist. Sprechen Sie einmal länger mit ihm! Ein gefälliger Mensch, Herr Baron; er läßt sich alles bieten, ist so geschmeidig –

„Ja, ja, das dacht' ich! Ganz recht! Und wenn er mir auch gefallen hätte, jetzt würde er doch nicht mein Pfarrer!“

Weil er eine Stutznase und schwarzes Haar hat? Seltsam, Herr Baron! Die ganze Stadt wird darüber lachen, und der Hof dazu.

„Hof und Stadt lachen über mehr ernsthafte Dinge. Das mögen sie. Genug, mein Pfarrer wird der Kandidat nicht.“

Der Fürst muß das ressentiren. Bedenken Sie, Herr Baron! Vielleicht kann er eben so wenig blaue Augen, lange Nasen, blondes Haar leiden; und Sie haben das alles.

„Von Nasen und Augen“, fuhr der Baron erhitzt auf, „ist hier die Rede nicht; sondern von den Kennzeichen des innern Menschen, von edler oder unedler Race. Sehen Sie hier, Herr Hofmarschall!“ – Er stellte zwei Schedel vor ihm auf den Tisch. – „Finden Sie keinen Unterschied zwischen diesen beiden Schedeln? Sehen Sie hier den Backenknochen! wie stark an diesem, wie flach an jenem! Sehen Sie diese beiden Stirnen, diese Nasenbeine, diese Kiefern, diese ganze Form der Köpfe. Wie verschieden! Der Fürst empfehle mir einen Menschen mit einem solchen Schedel, mit einer solchen Stirn; und ich schenke ihm vier Sprachen von fünfen.“

Sie redeten ja nur so eben von der Nase und von der Farbe des Haars; und jetzt ...

„Rede ich von nichts Anderem; denn dieser Schedel kann kein anderes Haar treiben, als blondes, keine andere Nase bilden als eine edle lange; und das Gehirn in diesem stolz gewölbten Schedel kann keine andern Gedanken schaffen, als feine, edle, tugendhafte. Nun sehen Sie den andern Kopf! Hat die Natur nicht die Kinnladen auf Kosten des Uebrigen so vergrößert, als ob der, dem dieser Schedel ehemals gehörte, nichts zu thun haben sollte, als zu fressen und zu sterben?“

Aber Herr Baron, wie gehört das hieher? Was hat denn dieser Todtenkopf mit dem Predigen zu thun? Sagen Sie um des Himmels willen!

„Die Natur, Herr Hofmarschall, schuf mehrere Menschenarten, wie mehrere Thierarten: eine edler als die andre, eine unter ihnen die edelste. Sie gab allen Arten ihre körperlichen Kennzeichen, wie Sie dieselben hier an diesen Köpfen sehen können. Dies ist der Schedel eines edlen Deutschen; und jener eines unedleren Kosaken. Nun, hoffe ich, wird man es mir nicht übel nehmen, wenn ich meinen Unterthanen einen Prediger aus dem edelsten Menschenstamme geben will.“

Herr Baron, neu ist das alles, was Sie mir sagen; ist es aber auch gewiß? Wäre es das, so könnte der Fürst die Räthe entbehren, welche die Kandidaten examiniren müssen. Ist es wirklich gewiß, Herr Baron?

„So gewiß, als Erfahrung und Nachdenken irgend etwas machen können.“ Der Baron setzte nun mit einer triumphirenden Beredtsamkeit dem Hofmarschall die Kennzeichen der edleren und unedleren Menschen-Racen aus einander. „Sehen Sie“, schloß er zuletzt, „so steigt die Natur von den Insekten, die ganz Magen sind, bis zu den Thieren, bei denen der Kopf sich von dem übrigen Körper unterscheidet, und von dem untersten Thiere wieder bis zu dem edlen Pferde, oder Hirsche, welche die Köpfe empor heben; von da zu dem Affen, der von allen vierfüßigen Thieren allein aufrecht geht, bis zu dem Menschen. Im Menschen selbst geht die Natur den ganzen Raum, den sie schaffend durchlaufen hat, wiederholend durch, und bildet noch einmal die ganze Schöpfung. Da steht, von ihr geschaffen, der unedelste Menschenstamm. Bei ihm sind alle zum Essen nöthigen Theile des Kopfes größer und stärker, als bei den edleren Menschen. Die Beißmuskeln, die scharfen, spitzen, zackigen, weißen thierischen Zähne, die starken Backenknochen, die dicken, weiten Lippen, die sammetartige, undurchdringliche, schwarze Haut, der starke Bauch, das leblose Auge, die thierische hinten übergedrückte Stirn, das platte, runde Gesicht, die krummen Beine aller Negern, Amerikaner und südlichen Asiaten, zusammen genommen mit ihrer Reitzbarkeit, ihrem scharfen Sinnen, ihrem bloßen Wortgedächtnisse, ihrem Mangel an sittlichem Gefühl und Nachdenken, und den daraus folgenden Lastern: dies alles beweist hinlänglich, daß die Natur mit ihnen den Raum zwischen dem Thier und den edleren Menschen ausfüllen wollte. So steigt die Natur, vielleicht mit zwanzig verschiedenen Arten, bis zu dem Celten hinauf, der an seiner edlen schlanken Gestalt, auf seiner weißen zarten Haut, in seinem strahlenden blauen Auge, auf seiner erhabenen Stirn, in den blonden Haarlocken, auf der hohen Brust, auf dem schönen Oval seines Gesichts, auf den feinen, lächelnden Lippen den Stempel der vollendeten Schöpfung trägt, und durch Erfindungskraft, durch feines, zartes und rasches Gefühl für Schmerz und Sittlichkeit, durch Liebe zu Ordnung und Schönheit, durch zartere Lebenskraft, durch höhere Freude in Uebung seiner Geisteskräfte, durch leichten Ueberdruß im Genusse der Sinne sich auch des Vorrechtes werth macht, der Liebling des Himmels und der Herr der Schöpfung, selbst seiner unedleren Brüder, zu seyn.“ Des Barons Gesicht glühete bei dieser Rede vor Stolz und Freude. „Und somit“, fing er nach einer Pause wieder an, „sehen Sie wohl, kann ein Mensch, der die Kennzeichen einer unedleren Race an sich trägt, mein Pfarrer nicht werden.“

Der Hofmarschall machte noch einige Versuche, mit seinem Verlangen durchzudringen; allein Flaming blieb fest, und der Kandidat mit der Stutznase wurde wirklich sein Pfarrer nicht.

Natürlicher Weise machte unser Baron sich nun den Fürsten zum Feinde, und nicht allein den, sondern auch einige Dutzend Räthe, Kammerherren, Aerzte und Prediger, die entweder Stutznasen, oder schwarzes Haar, kurze Stirnen, runde Bäuche, starke Backenknochen, oder dicke weitgeschlitzte Lippen hatten. Zwar glaubte niemand an des Barons Eintheilung der Menschenstämme, welche bei dieser Gelegenheit durch den Hofmarschall und den Kandidaten allgemein bekannt geworden war; aber dennoch wurde sie von einigen Spöttern gebraucht, um Lachen damit zu erregen. Unglücklicher Weise ließ sich des Barons Folgerung aus dicken Lippen, kurzen Stirnen, dicken Bäuchen u.s.w. sogar auf einige von jenen Herren anwenden; es ist also leicht zu errathen, was von ihm und seinem Systeme gesprochen wurde.

Nun hatte man des Herrn von Flaming Sonderbarkeit heraus, und erklärte ihn für einen ausgemachten Narren, wie der Fürst selbst ihn genannt hatte. Die Spötter in der Stadt und am Hofe suchten ganz hinter die Vorstellungsweise des Barons zu kommen. Ueberall, wo er sich sehen ließ, mußte er sein System aus einander setzen; und er that es mit der Eitelkeit eines jungen unerfahrnen Mannes. Jedes Mal, wenn er auf diesen Gegenstand kam, gerieth er in Feuer, und konnte also freilich nicht mit Behutsamkeit reden. Man widersprach; aber dann bewies er aus zehn Reisebeschreibungen, daß er Recht habe. Er erklärte alle Laster, alle Thorheiten, jeden Aberglauben, jede einfältige Gewohnheit, aus seiner Hypothese, mischte sie in alles, wendete sie auf alles an, und löste durch sie alles auf, was in der Stadt und bei Hofe an diesem und jenem Menschen für ein Räthsel galt. Sprach man z. B. von der Armuth der Unterthanen, so fand er die Ursache davon in dem dicken Bauche und den großen Ohren des ersten Geheimen Rathes.

Der Geheimerath erfuhr, daß Flaming ihn für einen Mongolen erklärt hatte; und er war der Mann nicht, den man ungestraft beleidigen durfte. Augenblicklich sann er auf ein Mittel, sich zu rächen, und er fand es endlich in Verbindung mit einer gewissen Frau von Hausen.

Die Frau von Hausen war erst nachher, als man das System des Barons schon kannte, in der Residenz angekommen. Sie nahm, als die Frauenzimmer den Baron in einer Gesellschaft neckten, sein System in Schutz, und ließ es sich geduldig von ihm aus einander setzen. Es war ihr nicht schwer, den gutherzigen, leichtgläubigen, eitlen jungen Mann in ihm zu erkennen; daher schien sie von seinen Sätzen ganz entzückt, und sprach den Nachmittag fast nur mit ihm. Man glaubte, sie wolle sich über ihn lustig machen; aber das war ihre Meinung gar nicht. Sie kannte den großen Reichthum des Barons von Flaming, und entwarf auf der Stelle den Plan, ihn für ihre Tochter einzufangen.

Beim Weggehen drückte sie dem Baron die Hand, und bat ihn, sie zu besuchen. Man wird, sagte sie, von den meisten unserer jungen Herren so fade unterhalten, daß ich mich freue, Sie hier gefunden zu haben. Ich werde Ihre gelehrige Schülerin seyn. – Dieser Weihrauch ging nicht verloren; der Baron küßte ihr die Hand, und sagte: „wenn Sie es erlauben, so komme ich morgen zu Ihnen.“

Jettchen, sagte die Frau von Hausen diesen Abend zu ihrer Tochter, ich habe eine Bekanntschaft gemacht, die dich sehr interessirt: mit dem Baron von Flaming. Er ist ein sehr reicher Kavalier, gewiß der reichste im ganzen Fürstenthume; denn das Gut in unserem Lande ist nicht sein einziges. Du hast wohl von seinen Grillen gehört, von seinen Menschenstämmen. Nun ja, er ist ein wenig ein Thor, aber ein so gutherziger, daß man ihn lieben muß. Ich dächte, Jettchen, das wäre eine Partie für dich. Du hast nicht viel Vermögen, und die Besoldungen am Hofe sind knapp. Ueberleg es dir. Morgen kommt der Baron zu uns.

Jettchen rümpfte die Nase; um einen Thoren war es ihr denn doch auch nicht zu thun! Indeß sie überlegte die Nacht hindurch, und den folgenden Mittag kam sie so schön frisirt, so geschmackvoll geputzt zum Vorschein, daß ihre Mutter sie über die rothe Wange streichelte. – Du bist wirklich heute bezaubernd, Jettchen. Wenn ich das Kirchenfenster-Gesicht, die Emilie, dagegen betrachte! Die zieht sich immer an wie ein Bauernmädchen. Von Jettchen solltest du lernen! Aber an dir ist Hopfen und Malz verloren. Wir werden dich wohl todt füttern müssen; denn wer wird dich nehmen? Nackt wie eine Made, und dann noch obendrein stolz! – „Liebe Tante“, sagte Emilie sanft, „ich habe ja den Putz nicht, den Jettchen hat.“ – So? Sehe nur einer, noch obendrein trotzig! Nicht wahr, ich soll es meinem Kinde entziehen, und dir geben? Nein, mit nichten. – „Ach, liebste Tante, ich bin ja zufrieden mit dem, was ich habe.“ – Und was hast du denn, Fräulein Armuth? Was du hast, ist von mir. Ein Kleidchen, eine elende Fahne von Batavia-Taffent, brachtest du zu mir ins Haus. Aber so geht es. Hätte dein Vater nicht dem Bettelvolke alles zugesteckt, so brauchte ich mir nicht das Brot abzudarben, um dich zu kleiden.

„Ach, gnädige Tante, ich habe meinen Vater so sehr geliebt!“ – So? Den, der dich in Armuth versinken ließ, den liebst du; mich aber nicht, und ich vertrete doch Mutterstelle bei dir. O, laß nur das Weinen! Ich kenne ja deine Krokodillsthränen schon. – „Mein Vater hatte ja sein Unglück nicht verschuldet. Der Brand, die Feinde ...“ – Ei was! schweig! ... Jettchen, wie ich dir gesagt habe. Flaming ist ein sehr reicher Mann. Stoß dich nicht an seinen Grillen. Glaube mir, eine solche Grille ist oft besser, als gar keine. – Jettchen lächelte schon triumphirend.

Hätte die Frau von Hausen die Grille des Herrn von Flaming genauer gekannt, sie würde ihrer Tochter den Rath gegeben haben, den betriegenden Flor auf der Brust etwas weniger zu blähen; denn auch ein Griechischer Busen gehörte bei ihm zu den Kennzeichen des Celtischen Stammes.

Man empfing den Baron sehr artig, und die Frau von Hausen brachte das Gespräch dann bald auf die Menschen-Racen. Der Baron sprach mit Eifer. Die Mutter machte Einwürfe, ließ sich erklären, und hörte dabei zu ihrer großen Freude, daß langes blondes Haar ein sicheres Kennzeichen von Celtischer Abkunft wäre. Nun, so ist meine Tochter gewiß eine Celtin; denn die hat Haar, Herr Baron – schöner muß es keine Kaiserin haben. Das sah der Baron; aber zu gleicher Zeit bemerkte er an Jettchen, die er noch nicht aufmerksam betrachtet hatte, runde, zum Kuß gewölbte Lippen, und einen Busen, der eben auch nicht Celtisch schien.

Nun? sagte die Frau von Hausen; Sie betrachten gewiß Jettchen, ob sie eine Celtin ist. Ja, das ist ein Deutsches Mädchen!

So Deutsch eben nicht, dachte Flaming; und in diesem Augenblicke sah er, weil Jettchen einmal lachte, ihre nichts weniger als weißen Zähne.

„Ihre Zähne, gnädiges Fräulein“, hob er gutherzig an, „haben eine schöne Farbe.“ Jettchen verlor beinahe die Besinnung, und die Mutter wußte nicht, was sie dazu denken sollte. „Denn weiße, glänzende Zähne“, setzte der Baron hinzu, „sind allemal das Zeichen eines thierischen Gemüths.“ Beide Damen erholten sich. Da haben Sie Recht, Herr Baron. Da ist meines Bruders Tochter hier im Hause; die hat Zähne im Munde, wie Alabaster so blendend weiß. Sehe doch einer! Ich hielt bis jetzt weiße Zähne für eine Schönheit, und habe das Mädchen manchmal darum beneidet.

„Da irrten Sie sehr, meine gnädige Frau. Alle Mohren haben blendend weiße, spitze Zähne, gleichsam um anzuzeigen, daß sie noch den Thieren ähnlich sind, und nur leben, um zu essen. Kein Wilder weiß von Zahnweh und übeln Zähnen. Das ist kein gutes Zeichen. Indeß Ihre Nichte ...“

Nein, bei der trifft es auf ein Haar zu; sie weiß nichts als essen. Du mein Gott! sollte einer denken, daß Sie das alles so auf ein Haar wissen! ... Und bei meiner Tochter hat kein Zahnpulver, kein Abfeilen geholfen. Sagen Sie mir doch, wie haben Sie denn das alles gelernt?

Der Baron war zu gutmüthig, und hatte zu wenig Weltkenntniß, um auch nur die Absicht eines so gemeinen Weibes, wie die Frau von Hausen, durchzusehen. Er ließ sich den Weihrauch wohlgefallen, den Mutter und Tochter an ihn verschwendeten, und nahm endlich mit dem Versprechen, recht oft wieder zu kommen, von ihnen Abschied.

Er war bei der Frau von Hausen zu vergnügt gewesen, als daß er nicht hätte Wort halten sollen. Erst ging er alle acht, dann alle drei Tage, endlich sogar täglich hin, und immer fand er Jettchen reitzend gekleidet und freundlich. Mit jedem Male wurde sein Verlangen, sie wieder so reitzend und so freundlich zu sehen, stärker. Jetzt ließ sie schon zuweilen Launen blicken; aber er merkte sie nicht. Sie hatte die Migraine, wenn er kam, und lag auf ihrer Bergere, in einem reitzenden Nachtkleide, wie eine schlummernde Venus. Er saß eine Stunde neben ihr, tröstete sie, und drückte ihr die Stirn, ohne nur einen Augenblick an sein System zu denken.

Die Frau von Hausen durfte es jetzt schon wagen, ihren Triumph öffentlich zu zeigen, und lud eine große Gesellschaft zum Diner ein. Der Baron konnte an diesem Tage kein Auge von Jettchen verwenden, die wie eine Prinzessin gekleidet war. Er hätte jetzt darauf geschworen, sie habe die feinsten Lippen von der Welt; auch fing er an, ihren Busen schön zu finden. Endlich war die Suppe aufgetragen. Jettchen nahm gleichgültig des Barons Arm, den er ihr mit Ehrerbietung bot, und ließ sich von ihm zu Tische führen. Als die Gesellschaft sich hinter den Stühlen ordnete, ging die Thür noch einmal auf. Emilie trat furchtsam herein, und machte der Gesellschaft eine stumme Verbeugung, die nicht Einer, den Baron ausgenommen, erwiederte. Ihr Kleid war nur von wollenem Zeuge und schlecht gemacht; aber dennoch konnte es die schlanke Gestalt des Mädchens nicht verbergen. Ihr blondes Haar war leicht frisirt, ganz ohne Schmuck und Kunst, und ein weißes, einfaches Tuch bedeckte den Hals bis unter das Kinn; aber, was man vom Halse sah, hatte die schönste Weiße. Sie schlug das Auge fast immer nieder; doch wenn sie es einmal erhob, strahlte eine so sanfte, wehmüthige Seele daraus hervor, daß man Mitleiden mit ihr hatte, ohne daran zu denken. Ein Officier bot ihr, als man sich setzen wollte, eine bessere Stelle; aber die Tante rief laut von oben herunter: Emilie! Wo denkt das Mädchen hin? Dort ganz unten ist dein Platz!

Emilie setzte sich mit der größten Sanftheit. Man sah nichts auf ihrem Gesichte, keinen Unmuth, keinen Trotz, nur eine leichte Röthe, die über ihre Wange flog, sich aber den Augenblick wieder in die blendend weiße Farbe ihres Gesichtes verlor. Der Baron hatte zwar die Frau von Hausen und Jettchen oft von Emilien, und nicht zu ihrem Lobe, sprechen hören; aber gesehen hatte er sie noch nicht, so oft er auch da gewesen war. Jetzt – er wußte selbst nicht, wie es zuging – hingen seine Blicke immer an dem schönen Mädchen; so ungefähr, in dieser schlanken, leichten, reitzenden Gestalt, hatte er sich immer das Ideal seiner Celtin geträumt.

Die Frau von Hausen wußte schon aus Erfahrung, daß man bisweilen Jettchen über Emilien vergessen konnte; daher hatte sie den Anzug der letztern selbst besorgt. Sie wollte es recht gut machen, und machte es in der That recht schlimm, als sie Emilien anhielt, ihre Brust bis an den Hals zu verhüllen. „Welch eine jungfräuliche Züchtigkeit!“ dachte Flaming. „Welch ein Celtischer Busen! Welch eine hohe Gestalt! So züchtig war Herrmanns Gattin, Thusnelda, gekleidet! So trug sie gewiß ihr blondes Haar, nicht mit dem häßlichen Firlefanz bedeckt, durch den Jettchen das ihrige immer entstellt!“ (Er sah Emilien essen; man bemerkte es kaum.) „Welche Lippen! so zart! Der Mund so klein! Die Stirn, wie edel!“

Solche Anmerkungen machte der Baron in jeder Minute, die Jettchen, seine Nachbarin, ihm nicht mit Fragen raubte; diese war aber ihres Sieges schon viel zu gewiß, um etwas zu bemerken oder von ihm zu befürchten. Einige Male begegneten Emiliens Augen den seinigen, und es schien ihm, als wäre ihr Blick nachdenkend und bittend. Das erregte seine Neugierde. Zum Glück fiel ihm seine Empfindungssprache wieder ein. Als er die Züge ihres Gesichtes, die Lage ihrer Augen, nachmachte, fühlte er, daß nur ein Unglücklicher so aussehen könne, und daß sie um Schutz, um Hülfe bitte. Emilie bemerkte, daß der Baron sie fast immer ansah, und erröthete. Das war sehr natürlich. Wohl hundertmal hatte die Tante zu ihr gesagt: heirathet Jettchen den Baron, so zieh' ich auf seine Güter, und du auch, wenn meine Kinder dich haben wollen. Aber, füttert der Baron dich nur erst – du sollst wohl noch sehen, was ich bin, und was fremde Leute sind! – Nun sah Emilie den Baron heute zum ersten Male, und blickte ihn darauf an, was sie von ihm zu erwarten hätte. Als sie von ihm beobachtet wurde, erröthete sie, und dachte nichts weniger, als daß er sie bewunderte.

Des Barons Mitleiden, und sein Verlangen ihr zu helfen, wurden immer größer; denn das Schelten der Tante über den ganzen Tisch hin nahm kein Ende. Brauchte jemand etwas, so rief sie: „aber, Emilie, wie sitzest du da? Ein Mädchen, wie du, muß die Augen allerwärts haben!“ Versah der Bediente etwas, so schrie sie: „Emilie, von dir hat man doch auch gar keine Hülfe! Sieh doch, was Johann da macht! Ja, ich thäte wohl, wenn ich dich bediente; du bist zur Prinzessin geboren.“ Ein alter Officier, der das mit Verdruß hörte, und jedesmal Emilien mitleidig ansah, machte endlich die Frau von Hausen still. Sie erzählte, daß im dreißigjährigen Kriege die Güter ihrer Vorfahren von den Kaiserlichen ganz und gar verheert und abgebrannt wären. Und wer war Schuld daran? fuhr sie fort.

„Da unten, das schöne Mädchen, das an allem in der Welt Schuld ist“; sagte der Officier sehr trocken, und sah die Frau von Hausen starr an. Sie warf einen wüthenden Blick auf Emilien. Der Officier fühlte, daß er das Uebel noch verschlimmert hatte, und gerieth darüber in Verwirrung. Er suchte nun seinen Fehler durch Artigkeit gegen die Frau von Hausen wieder gut zu machen, und es gelang ihm, so seltsam er sich auch dabei nahm.

Die Frau von Hausen wurde über seine Komplimente so heiter, daß sie Emilien ein halbes Glas Wein schickte. Diese trank es nur halb aus, und ließ, wie Flaming und der alte Officier bemerkten, eine Thräne hinein fallen. Als das Dessert kam, stand sie auf und ging aus dem Zimmer.

Nach Tische nahm der alte Oberste heimlich Emiliens Glas mit der Neige Wein, und trank es mit Vergnügen aus. „Sie haben das beste Glas Wein getrunken“, redete Flaming ihn an. – Haben Sie es auch bemerkt? fragte der Alte, und gab dem Baron die Hand. – Wie so? fragte Jettchen; was war es denn für Wein? – „Hm!“ erwiederte der Baron; „haben Sie je von der Kleopatra gehört? Die löste echte Perlen in Wein auf, und trank sie. Auch in diesem Weine, mein Fräulein, war eine Perle aufgelöst, und die köstlichste von der Welt.“ Der Oberste schlug den Baron herzlich auf die Schulter, und rief: Bravo! Ich kenne Sie zwar nicht; allein Sie haben Herz für so etwas. Wir müssen Freunde werden. Kommen Sie! Noch eine Flasche Wein auf die Gesundheit des lieben Mädchens! – Der Baron begriff nicht, wie ein Slave (wofür er den Obersten wegen seines Trinkens hielt) einer so feinen Empfindung fähig seyn konnte. Er lehnte dessen Aufforderung ab, drückte ihm indeß recht herzlich die Hand, ob er gleich ein Slave war.

Hm! – dachte der Oberst, der sich bei Einigen in der Gesellschaft nach dem Baron erkundigt, und von ihnen gehört hatte, daß er ein ausgemachter Narr sey: – hm! das Herz ist doch ein gutes Ding; es macht auch den Thoren menschlich.

Der Baron trat gleich nachher an ein Fenster, und schien die Scheiben zu zählen. Er dachte an nichts als an Emilien, die den tiefsten Eindruck auf ihn gemacht hatte. „So ist es!“ murmelte er. „Der Adel dieser Celtin ist bei dem ersten Anblicke sichtbar! Mein Auge hing an ihr, als sie in den Saal trat; und sogar ein Slave, der dickbäuchige, schwarzhaarige Oberst, fühlte die Würde des besseren Menschenstammes, und demüthigte sich vor ihr.“ Er nahm den Obersten, der ihn jetzt aufsuchte, bei Seite, und fragte neugierig: „aber woran merkten Sie sogleich die Vortrefflichkeit des Mädchens? An dem schönen blonden Haar, oder an der Kleidung?“ Der Oberst sah ihn verwundert an. Ei, Herr Baron, ich weiß nicht einmal, ob das Mädchen eignes Haar hat oder eine Perücke trägt. Kleidung? Was kann man daraus sehen? Gar nichts. – Der Baron erwiederte lächelnd: „Wie geht es denn aber zu, daß der Slave auch in wärmeren Gegenden seinen Schafpelz nicht ablegt, wenn nicht die Kleidung ...?“

Was der Schafpelz mit dem lieben Mädchen zu thun haben soll, begreif ich nicht; aber stecken Sie das Mädchen in zehn Schafpelze, ich finde es dennoch heraus. Wie es zugeht, darauf kommt nichts an.

Hm! dachte Flaming, auf Eine Art muß er doch errathen haben, daß Emilie eine Celtin ist! Woher denn die Ehrfurcht, die jeder Mohr, jeder Amerikaner dem Europäer, wenn er ihn zum ersten Male sieht, sogleich erzeigt? Irgend eine Stimme in seinem Innern muß ihm sagen: beuge dich, hier ist ein Celte! ... „Aber, Herr Oberst“, hob er auf einmal wieder an, „ihr helfen wollen und müssen wir. Die Eine Thräne, die sie weinte, hat mir das Herz umgewendet. Wehe dem Manne, der hier gleichgültig zusähe! Sie lebt in der Sklaverei einer tyrannischen Tante; aus der müssen wir sie erlösen. Was meinen Sie, Herr Oberst?“

Was ich meine? Daß Sie recht haben. Ich gebe von Herzen gern, was ein alter Kriegsmann hat: gute Wünsche, und ein ernstes Vorwort. Aber erlösen? Lieber Herr, ich habe sechs Kinder, und stehe auf Gnadengehalt.

„Und ich bin zu jung, sie zu mir zu nehmen! ... Doch, einen Vorschlag, Herr Oberst. Nehmen Sie Emilien zu sich, und ich bezahle für sie. Geben Sie ihr Liebe, indeß ich ihr Unterhalt gebe. Ich beneide Sie, Herr Oberst. Wahrhaftig, ich wünschte, das Mädchen dürfte von Niemand anders etwas empfangen als von mir! ... Sind dreihundert Thaler jährlich genug? Für die Kleidung sorge ich natürlicher Weise außerdem.“

Der Oberst konnte den Baron nicht begreifen, und schüttelte wieder den Kopf. – Laß seyn! – sagte er auf einmal ganz laut, und küßte den Baron – laß seyn! Ich halte mich an Ihr Herz! Leise setzte er hinzu, weil er merkte, daß die Gesellschaft anfing zu horchen: Wer keine Thränen sehen kann, ohne sie trocknen zu wollen, mag meinethalben Gras wachsen hören. Sie sehen so; ich anders. Nun, das ist Eins, wenn wir nur auf gleiche Weise handeln.

Jetzt bildeten sie Beide den Plan aus, Emilien von ihrer Tante wegzubringen. Dreihundert Thaler waren dem Obersten zu viel; aber der Baron sagte: „sie wird das Uebrige schon noch brauchen.“ Alles war unter ihnen verabredet; doch auf einmal dachte der Baron daran, daß der Oberst ein Slave war. Der ganze Handel wäre wieder rückgängig geworden, wenn er Emilien bei einem Blondkopfe für sechshundert Thaler hätte unterbringen können; jetzt aber mußte er sich freilich den Slaven gefallen lassen!

Der Oberst suchte nun Emilien auf, und fand sie in einem kleinen Stübchen, wo sie an einem Kleide für die Tante nähete. Hören Sie, liebes Kind, sagte er: kann man wohl ein Wort in Vertrauen mit Ihnen sprechen? Bleiben Sie sitzen. Nähen Sie fort in Gottes Nahmen. Ich begreife wohl, daß Sie nicht viel Zeit übrig haben; und ein Geplauder mit einem alten Manne ersetzt die Schelte der Tante nicht. Ja, wenn es ein junger Herr wäre! ... Ich habe den Plan gemacht, Sie zu entführen, wenn Sie nichts dagegen einwenden. Sie kennen meine ältesten Töchter; wollen Sie mit denen leben? Ich will Ihr Vater seyn. Sie haben lange nicht empfunden, was Liebe heißt, und müssen es endlich wieder lernen. Nun, liebes Kind?

Emilie ließ ihre Arbeit aus den Händen fallen, und blickte, mit Thränen des Leidens und der Dankbarkeit in den Augen, den Obersten an. Sie ergriff seine Hand, und küßte sie, eh' er es hindern konnte. Dann aber sank sie langsam zurück; und die Freude, die ihr Gesicht einige Augenblicke erheitert hatte, ging wieder in Kummer über. – „Nun, liebes Kind? Antworten Sie doch!“ – Emilie sagte entschlossen: ich kann nicht, Herr Oberst.

„Nehmen Sie mir's nicht übel, Kind: das ist Ziererei. Sie leben hier bei Ihrer Tante in der Hölle. Warum können Sie nicht? Heraus mit der Sprache! Sie sind ein ehrliches Mädchen. Heraus!“ Emilie erröthete. Herr Oberst, meine Tante ist hart gegen mich; sie bezahlt sich selbst die Schulden, die ich bei ihr mache. Sie aber, Sie würden gütig gegen mich seyn; und wie sollte ich es da ertragen können, Ihnen zur Last zu fallen! Sie haben Kinder ...

„Und sind ein armer Teufel, wollen Sie sagen, gutes, liebes Kind. Das ist nicht unwahr. Aber, sehen Sie“ – fuhr er in einiger Verwirrung fort: „Ihr seliger Vater ... war ein edler Mann. Sie ... haben wohl nie davon gehört, wie viele Verbindlichkeit ich ihm schuldig bin. Er sprach von seinen edelsten Handlungen nicht. Ich bin zwar wohl nicht reich, aber doch ehrlich; und so kann ich meine Schulden nicht unbezahlt lassen. Ihr Vater rettete mich einmal; was kann ich nun weniger thun, als seine Tochter aus einer Hölle retten? Behelfen sollen Sie Sich, sogar Ihren Unterhalt verdienen. Meine jüngsten Mädchen brauchen Unterricht, Erziehung ...“

Emiliens Gesicht fing an heiter zu werden. Sie ergriff mit Feuer des Obersten Hand, und sagte: Ja, unter der Bedingung, daß Sie mich Ihre Haushaltung führen lassen. Ach, wie gern werde ich mit dem Freunde meines edlen Vaters gehen! Sie kannten ihn?

„Hören Sie, liebes Kind, lügen kann ich nicht, um keinen Preis. Ihren Vater habe ich nicht gekannt; aber ich kenne Sie. Seyn Sie meine Tochter. Sie selbst sind nicht arm. Hier meinen alten Kopf zum Unterpfande, daß Sie jährlich dreihundert Thaler haben.“

Emilie erstaunte, und drang mit Fragen in ihn. Der Oberst, der so ungern eine fremde edle That verschwieg, platzte endlich mit dem Geheimnisse heraus. Mit Thränen der Dankbarkeit in den schönen Augen, aber auch mit entschlossenem Tone schlug es Emilie nun ab, mit ihm zu gehen. Als der Oberst das Ziererei nannte, sagte sie bittend: geben Sie meiner Weigerung nicht diesen bösen Nahmen. Möchten Sie wohl, daß eine Ihrer Töchter einem jungen Manne verbindlich würde?

Der Oberst schwieg nachsinnend. „Sie haben Recht“, sagte er endlich leise. „Aber sieh, meine Tochter“, hob er nun desto feuriger an – „nun lasse ich dich gar nicht los. Es ist wahr, was brauchst du einen jungen Laffen, und selbst mich? Da ist meine Cousine, die Gräfin Löwenhelm, eine sehr edle Frau. Die sucht eine Freundin, eine Gesellschafterin. Bei der, Emilie, bist du an deiner rechten Stelle. Sprichst du Französisch, liebe Tochter?“ Emilie bejahete diese Frage, und willigte in den Vorschlag, weil sie die Gräfin, eine vortreffliche Frau, schon kannte. Der Oberst sollte nun die Tante um Erlaubniß bitten, Emilien mit sich nehmen zu dürfen; und er that das noch in derselben Viertelstunde. Frau von Hausen sah ihn darauf an, machte Einwürfe, und verlangte einige Zeit sich zu bedenken. Sie fühlte doch einige Scham, ihres Bruders Tochter zu einem Fremden zu schicken, der überdies nicht halb so viel Vermögen hatte, als sie selbst. Allein sie hoffte, einen Vorwand zu finden, durch den sie den Tadel der Menschen von sich abwenden könnte.

Gegen Abend verlor sich ein Theil der Gesellschaft, und die Wenigen, welche blieben, setzten sich zum Spiele. Der Oberst bat den Baron, eine Partie mit ihm und Jettchen zu machen. Das hätte aber der Baron beinahe übel genommen; er sagte: „Herr Oberst, ein Celte spielt nicht“; und ging in das Nebenzimmer, um seinen Grillen nachzuhangen. Diese brachten ihn bald auf Emilien. „O, sie spielt gewiß nicht“, dachte er, trat dann zu Jettchen an den Spieltisch, und sagte: „mein Fräulein, geben Sie mir doch den Schlüssel zu Ihrem Zimmer. Ich will ein wenig lesen, und hier, wo die Bedienten immer hin und her laufen, ist es mir zu unruhig.“

Jettchen gab ihm den Schlüssel, und er ging langsam über den Saal nach ihrem Zimmer zu. Nicht weit davon hörte er eine weibliche Stimme singen, näherte sich, und sah durch eine halb offne Thür, daß Emilie leise singend bei einer Arbeit saß. Sie sah nicht von ihrer Arbeit auf, und er betrachtete sie lange mit Vergnügen und Wohlwollen, ohne sie anzureden. „Emilie!“ sagte er endlich, nicht in seinem gewöhnlichen Tone, sondern mit einer sehr natürlichen Rührung. Emilie stand auf, und erröthete. Er trat in das Zimmer, zog die Thür hinter sich zu, und küßte Emiliens Hand. „Endlich“, sagte er, „habe ich gefunden, was ich so lange suchte: ein edles Mädchen!“ Sie verstand nicht, was er damit sagen wollte, und erröthete aufs neue. „O, erröthen Sie nur, Emilie; ja erröthen Sie: aber erschrecken Sie nicht! Denn ich bin Ihrer nicht unwerth. Warum soll ich Ihnen nicht sagen, was ich fühlte, als ich Sie zum ersten Male sah? Daß wir Beiden zusammen gehören, daß wir für einander geschaffen und durch ein besseres Band verbunden sind, als Sie durch die Bande des Bluts mit Ihren Verwandten: durch Aehnlichkeit, durch Verwandtschaft unsrer Herzen, unserer Seelen.“ Dabei hielt der Baron ihre Hand, und drückte sie zärtlich.

Emilie glaubte eine Liebeserklärung in bester Form zu hören; und der Baron sprach von nichts als von seinem System. Sie wußte nicht, wohin sie ihre Augen wenden, und noch weniger, was sie sagen sollte. In ihrer Verlegenheit sann sie nach, was sie erwiedern könnte; und darüber ging die Zeit zur Antwort hin.

„Ich weiß nicht“, hob Flaming wieder an, „ob der Oberst von Brensen ... – Er sah an Emiliens Erröthen, daß er das nicht hätte sagen müssen.

Mein Geschick, sagte Emilie sanft, muß sich bald von selbst bestimmen. Sie waren sehr gütig, Herr Baron.

„Gütig? Was ich that, das hätte ich gethan, und wenn Sie auch nicht einen Zug dieses hohen, edlen Geistes an sich trügen; das hätte ich gethan, auch ohne Sie gesehen zu haben; das war Pflicht gegen das menschliche Geschlecht. Daß ich aber“ – er beugte sich tief vor ihr, und küßte ihre Hand mit Ehrerbietung – „daß ich meine Ehrfurcht für Sie äußere, mich vor Ihnen beuge, wie ich mich vor keiner Fürstin beugen würde, wenn sie nicht so wäre wie Sie: auch das ist Pflicht, doch Pflicht gegen die edelste Gattung meines Geschlechts. Jenes war ich den Menschen schuldig; dies Ihnen, Emilie!“

Er küßte ihr noch einmal die Hand. In diesem Augenblick öffnete Frau von Hausen die Thür, und sagte in einem freundlichen Tone, aber mit einem grimmigen Blicke auf Emilien: So, so! Machen Sie den Mädchen auf ihren Kammern die Cour, Herr Baron? Kommen Sie doch, kommen Sie! Sie zog ihn fast mit Gewalt aus Emiliens Zimmer, und schrie dann zehnmal aus Leibeskräften: Jettchen! bis ihre Tochter endlich kam. Hier! sagte die Mutter in einem widerlich scherzhaften Tone, und winkte Jettchen mit den Augen zu – hier hast du einen Gefangnen; er war bei Emilien, und küßte ihr die Hand. – Jettchen machte eine seltsame Miene, und nahm den Baron mit in das Spielzimmer.

Die Frau von Hausen ging wieder zu Emilien, und ließ ihren Zorn aus. „Mannssüchtig bist du“, rief sie; „denn wer wird zu dir kommen, wenn du ihn nicht lockst? Aber da stellt sie sich hin, wo sie nur eine Mannsperson wittert, und singt! O, ich kenne deine Künste wohl! Ja, du mit deinem papiernen Gesicht, und mit der Hopfenstangen-Figur!“

Der sanften Emilie riß endlich die Geduld. Mit einem vor Scham und Verdruß glühenden Gesichte sagte sie: O Tante, ich schmeichle keinen Männern, um sie an mich zu ziehen; eine Tochter habe ich nicht, und ich selbst verlange nicht zu heirathen.

„Verlange? verlange? Was sagte der Fuchs zu den Weintrauben, die er nicht erreichen konnte? Verlangen! Seh doch einer! ... Was hast du mit dem Baron gesprochen? Sag es ja ehrlich, das rath' ich dir! Denn er muß doch mit der Sprache heraus, wenn Jettchen ihn fragt.“

Er sagte mir ... er sagte: wenn er eine Tochter hätte, er wollte sie lieber ermorden, als sie bei seinem Tode einer Schwester übergeben!

„Das sagte er?“ fragte die Frau von Hausen spöttisch. „So sag du ihm, dies hätte ich geantwortet.“ Sie schlug Emilien wüthend ins Gesicht, und goß einen Strom von Scheltworten über sie aus.

Am Abend, als die übrigen Gäste weggefahren und der Baron noch allein bei der Frau von Hausen und Jettchen war, fing man an ihn sehr strenge zu examiniren. Gleich auf die erste Frage der Mutter: wie Emilie ihm gefiele? antwortete er sehr offen: über alle Beschreibung. Auf Jettchens Frage, was er bei Emilien gemacht hätte, erwiederte er: ich habe ihr gesagt, wie sehr sie mir gefällt. Die Mutter zählte nun an Emilien so viele Fehler und Laster auf, daß selbst Jettchen davor erröthete, und ihrer Mutter ein- oder zweimal ins Wort fiel. Der Baron behauptete aber ganz ruhig: „was Sie da sagen, ist nicht möglich; denn sie ist eine reine Celtin!“ Zum ersten Male widersprachen Mutter und Tochter dem Menschenracen-System. Der Baron erwiederte lächelnd: „glauben Sie, was Sie wollen; aber Emilie ist das edelste Mädchen, das ich jemals gesehen habe.“

Sie soll zum Obersten Brensen, Jettchen, sagte Frau von Hausen, als er fort war; und wenn die ganze Welt mich eine Rabenschwester nennte. Nein, die Liebe fängt von sich selbst an. Sie soll zu Brensen!

Noch mehr wurde sie in ihren Gedanken bestärkt, als der Baron am folgenden Tage wohl hundert Versuche machte, Emilien zu sehen, so daß sie ihn nur mit vieler Mühe davon abbringen konnte. Er sprach heute auch sehr ernsthaft über ihre Härte gegen Emilien; und sie mußte freundlich bleiben, ob es gleich in ihrem Herzen kochte. Ich habe kein Vermögen, sagte sie; ich kann ihr keine bessere Kleidung geben, als sie hat. Daß der Anzug ihr nicht besser steht, ist nicht meine Schuld. Das Mädchen hat einen Leib, auf den nichts paßt und dem nichts sitzt.

„Wie?“ fragte der Baron erhitzt: „wie? die Kleidung stände Emilien nicht? Gnädige Frau, sie war ja gestern gekleidet wie ein Engel. Von der Kleidung rede ich nicht. Diese schöne schlanke Gestalt; dieser Griechische Busen; dieser ...“

Busen? Wo Sie doch wohl die Augen gehabt haben mögen, Herr Baron!

Je, Mama! wenn nun der Herr Baron Emilien schön findet, wer kann es ihm wehren?

„Ja, Fräulein Jettchen, Sie wissen, wie gut ich Ihnen bin; aber seitdem ich Emilien gesehen habe, ist es mir noch mehr aufgefallen, daß Sie Sich fehlerhaft kleiden.“

Je, Herr Baron, Sie dürfen ja nur sagen, wie Jettchen sich anziehen soll. Sie wissen, daß sie alles thut, was Sie wünschen. Was haben Sie denn an Jettchens Anzüge auszusetzen?

„Wie läßt sich das sagen! Sehen Sie, Emilie trat herein – ihr weißes Tuch verbarg die Brust bis an den Hals; ihr Busen war höchstens an einer ganz leichten Erhöhung zu bemerken. Jettchens Brust – das weiß ich jetzt von neulich her, wo ich sie Morgens noch ganz im Negligé antraf – ist eben so schön Celtisch; aber da hat sie die Grille, Flor, Tücher, und ich glaube gar Drath, unter ihr Tuch zu falten, bis sie den Busen einer häßlichen Lappländerin oder gar einer Kalmyckin bekommt.“

Aber, mein Gott, das ist ja die neueste Mode, lieber Herr Baron! Was soll man denn machen?

„Mode, oder nicht! Ich will meinen Kopf zum Pfande setzen, eine wollüstige Slavin, die das blinde Schicksal irgendwo an einen Hof geworfen hatte, brachte diese Mode zuerst auf. Man lasse ihr das! Die Natur gab ihr diesen Busen, um die fürchterliche Leidenschaft der Wollust zu bezeichnen, die in ihren Adern wüthet. Was soll man von den jungen Mädchen jetzt glauben? Doch wohl nichts anders, als daß sie bei dem männlichen Geschlechte keine bessere Leidenschaft, als die Wollust, erregen wollen, weil sie selbst nichts als wollüstig sind.“

Ja, Herr Baron, so denken Sie nach Ihrem System. Aber Andere kennen das nicht; die denken anders.

„Nein, gnädige Frau. Ich habe das System ausgearbeitet; aber jeder vernünftige Mann, wenn er es auch nicht kennt, fühlt es. Warum macht Emilie die Mode nicht mit? Es ist kein Tropfen Blut von einem Slaven in ihr. Holde Schamhaftigkeit begleitet alle ihre Schritte. Jettchen ist eben so keusch wie Emilie, das weiß ich; aber die verwünschte Mode! Wenn Jettchen geht, seh' ich allemal den Fuß; von Emilien nie. Das Gewand bedeckt ihr, wie einer Vestalin, auch die Spitze des Schuhes.“

Ja, sagte die Frau von Hausen, weil sie einen Fuß hat, wie ein Trampelthier. Gieb doch einmal einen Schuh von ihr her! ... Da sehn Sie nur! Und hier haben Sie einen von Jettchen. Der da ist eine Hand breit länger.

„Wieder ein neuer Zug in dem Gemählde einer vollkommenen Celtin. Hätte Jettchen keinen größern Fuß, als er nach diesem Schuhe seyn müßte, so wäre er für ihren Wuchs zu kurz. Nur die Slavischen Völker, oder gar die Mongolen, als die Sinesen, binden sich die Füße, weil sie einen kleinen Fuß für eine Schönheit halten. Emiliens Fuß wird gerade die Länge der Schönheit haben.“

Jettchen riß ihm die Schuhe aus der Hand. Sie wollen heute nun einmal Emilien loben! Nun meinetwegen! Gute Nacht! Ich bin müde.

Jettchen wollte schlechterdings mit dem Baron brechen; die Mutter gab ihr aber zu bedenken, daß sein großes Vermögen keine Kleinigkeit sey. Am nächsten Morgen machte Frau von Hausen beim Ankleiden ihrer Tochter die Kammerjungfer; und wirklich gerieht der Baron in Entzücken, als er Jettchen sah, die heute Reifrock, Italiänische Blumen, Allongen, Busen und das ganze Modewesen abgelegt hatte. Dafür war aber dem Bedienten befohlen, heute jedermann abzuweisen; denn man schämte sich, natürlich zu seyn.

„Nun sollen Sie sehen“, sagte der Baron, „daß Jettchen viel Aehnliches mit Emilien hat. Lassen Sie doch Ihre Nichte einmal kommen.“ Aber Emilie war zu einer Freundin gegangen, und blieb so lange aus, daß er sie nicht abwarten konnte.

Wahrscheinlich würde der erste Eindruck, den Emilie auf des Barons Herz gemacht hatte, durch die Bemühungen der Frau von Hausen wieder erloschen seyn, wenn nicht die Kammerjungfer sich seiner aufkeimenden Liebe angenommen hätte. Jungfer Lieschen war die Vertraute ihrer gnädigen Frau, und wußte also recht gut, was diese fürchtete. Aber sie sprach bisweilen auch mit Emilien vertraut, sah ihre Thränen, und war die einzige im Hause, die Mitleiden für sie fühlte. Sie hatte Emiliens Gespräch mit dem Obersten an der Thür behorcht, und dachte nun dem allen nach. Wie? der Baron will jährlich dreihundert Thaler Kostgeld für das Fräulein bezahlen? Das thut man nicht aus bloßem Mitleiden. Dahinter steckt mehr, als das Fräulein glaubt.

Lieschen klatschte vor Freude in die Hände: denn erstlich hatte sie Emilien herzlich lieb; zweitens sah sie voraus, daß es hier nothwendig eine Intrigue geben mußte; und drittens steckte ihr eigner Vortheil mit darunter: sie war nehmlich des Lebens bei der Frau von Hausen überdrüssig, und wünschte sich eine Herrschaft, wie die sanfte Emilie.

Um die Bahn zu brechen, sagte sie bei der ersten Gelegenheit zu dieser: wenn Sie erst Frau von Flaming sind, gnädiges Fräulein, so empfehle ich mich in Ihre Dienste. Emilie sah sie mit kaltem Ernst an, und befahl ihr zu schweigen; aber Lieschen fing an ihr System aus einander zu setzen, und gab ihr versteckt den Rath, das Eisen zu schmieden, weil es warm sey. Emilie wurde böse, und drohete mit der Tante. Lieschen schlich davon, maulte, und – wurde wieder gut.

Nun fiel sie auf einen Plan, der noch verwickelter und ihr eben deswegen desto angenehmer war: Emiliens und des Barons Liebe zu befördern, ohne daß Beide es wüßten. Als der Baron eines Abends wegging, ließ sie sich von ihm versprechen, daß er sie nicht verrathen wolle, und steckte ihm dann einen Zettel zu, worin sie ihm den Haß der Frau von Hausen gegen Emilien, und die Leiden des armen Mädchens klagte. Sie beschwor ihn, der Unglücklichen zu helfen, die auf ihn mit großem Zutrauen rechne. Auch sagte sie: man entferne Emilien durch alle möglichen Kunstgriffe von ihm, weil man fürchte, er werde ihre Vollkommenheiten bemerken, und ihr helfen. Noch setzte sie hinzu: sie ginge an den Abenden, wenn Assemblee wäre, mit Emilien auf dem Weidendamme vor dem Thore spazieren; wollte er sie sprechen, so wäre dies der rechte Ort. Zum Schlusse bat sie ihn dringend, Emilien ja zu verschweigen, daß sie ihm etwas von ihr gesagt hätte; denn Emilie wäre über diesen Punkt sehr empfindlich, und würde es ihr nie vergeben, wenn sie jemals etwas von dem Billet erführe.

Der Baron las den Zettel zu wiederholten Malen. „Ja“, sagte er dann; „eine wahre Celtin! Sie ist unglücklich, und schweigt. Sie weiß, daß ich ihr helfen will, und schweigt dennoch! ... Ich will sie sehen.“ – Am Assemblee-Tage ging er nach dem Weidendamme, wo er seine Celtin und die Kammerjungfer antraf. Emilie erschrak, als er sie anredete, und nahm zitternd den Arm, den er ihr bot. Aber schon nach einigen Schritten sagte sie ängstlich, doch in einem sehr sanften Tone: ich muß Sie bitten, Herr Baron, mich zu verlassen. Meine Tante weiß nicht, daß ich hier mit Ihnen gehe. Ich darf es ihr auch nicht sagen; und was man nicht sagen darf, ist, dünkt mich, allemal unrecht.

„Edle, reine Seele!“ sagte der Baron mit Bewunderung, und ließ ihren Arm fahren. „Aber helfen will ich Ihnen, wenn ich Sie auch nie wieder sehen sollte. Darf ich Ihnen schreiben, mein Fräulein?“

Ich dürfte meiner Tante nicht sagen, daß Sie mir geschrieben haben! ... Ueberlassen Sie eine Unglückliche ihrem Schicksale. Es kann nicht immer so hart bleiben; die Zeit wird es lindern.

„Nein, Deutsches Mädchen, Mädchen von dem edelsten Menschenstamme, nicht die Zeit soll Ihr Schicksal lindern; ich will das thun. Ich!“ Er hatte bei diesen Worten Thränen in den Augen. Sie verneigte sich gegen ihn, um Abschied zu nehmen. – Aber, sagte Lieschen; das begreife ein Christenmensch! So reden Sie doch erst ab, wie ihr geholfen werden kann, da der Zufall Sie nun einmal zusammen geführt hat. – Emilie ging schon; aber Lieschen rief laut: nein! und wenn ich morgen meinen Dienst verlieren sollte, so muß ich meinen Willen haben. In einer Stunde bin ich wieder hier, und hole Sie ab, gnädiges Fräulein. Mit diesen Worten eilte sie davon, als ob Feinde hinter ihr her wären.

Emilie war sehr bestürzt über Lieschens Streich. Indeß, sie konnte nicht mit dem Baron, und eben so wenig allein, zurückkehren; Beide gingen also auf dem einsamen Weidendamme hin und her. Der Baron setzte nun Emilien sein Menschen-Racen-System aus einander, und erklärte ihr, warum sie einen so tiefen Eindruck auf ihn gemacht hätte. Jetzt sah Emilie wohl, daß er nicht Liebe für sie fühlte, und ihr wurde leichter um das Herz. Sie verstand zwar nicht recht viel von seinem System; er sagte ihr aber doch: „Sehen Sie nun wohl, daß es meine heiligste Pflicht ist, Sie zu retten? und daß mich keine Umstände, keine Ausreden davon losmachen können? Sie sind eine Celtin. O, es wäre grausam, wenn Sie länger klagen müßten! Und ich? ich sollte Ihre Klagen hören, ohne Ihnen mehr als Mitleiden zu geben? Nein, Emilie, wenn Sie wollen, so führe ich Sie itzt gleich zu dem Obersten. Er ist zwar ein Slave; allein fürs erste müssen wir nehmen, was wir haben, bis es mir gelingt, Sie wieder zu Ihres Gleichen zu bringen. Doch hat mir der Oberst gesagt: alle seine Töchter wären Blondinen; und so hielten Sie Sich an die, und nicht an den Vater. Sein Herz ist edel, ist Celtisch, das gestehe ich; aber seine Sitten und sein Körper sind durchaus Slavisch.“ Emilie erklärte ihm, daß der Oberste heute wieder mit der Tante gesprochen hätte, und daß diese ihre Einwilligung wohl geben würde, daß aber sie selbst sich nicht zu dem Schritte entschließen könnte. So seltsam ihr übrigens alles klang, was sie von dem Baron hörte, so konnte sie doch nicht läugnen, daß ein recht guter Sinn darin lag. Man setze für Celte, dachte sie, ein guter Mensch; dann ist es doch rührend, die Rettung eines unglücklichen Guten für die heiligste Pflicht erklären zu hören. Genug, Emilie war geneigt, das schön zu finden, was der Baron sagte; und sie fand es so. Noch nie hatte ihr Herz die thätige Hülfe eines Menschen empfunden; und hier stand ein Mann, der sich mit vollem Herzen zu ihrem Schutz erbot, der es auf ihr Gesicht, ihre Gestalt, ihre Augen, ihr Haar hin that. Welchem Mädchen ist das nicht schmeichelhaft, besonders wenn es, wie Emilie, fühlt, daß sein innerer Werth der Voraussetzung nicht widerspricht!

Emilie hatte wirklich sehr tiefen, innigen Eindruck auf den Baron gemacht: nicht bloß durch ihre Schönheit, sondern hauptsächlich durch ihr Leiden, und durch die Geduld, mit der sie es ertrug. Als er nun bei der Unterredung mit ihr den reinen Ton ihrer Stimme hörte, ihr unschuldiges Gesicht, ihr frommes Auge, ihren freundlichen Mund, ihre wahrhaft schöne Gestalt erblickte, wurde der erste Eindruck noch tiefer, noch inniger. Nun hatte er ihr heute mehr zu sagen, als gewöhnlich Anderen; und er sagte ihr alles in einem Tone, dem sein bewegtes Herz etwas Natürliches, etwas Rührendes gab, das er sonst nicht hatte. Er sprach wieder von seinem System; aber es mußte Emilien ja schmeicheln, daß er in ihr sein Ideal fand. Ueber die Art, wie ihr zu helfen wäre, wurde nichts ausgemacht, sondern Beide kamen bald auf andere Gegenstände. Emilie erzählte von ihrem seligen Vater mit einer Herzlichkeit, die auch den Baron nicht kalt bleiben ließ. Er vergaß wirklich auf eine Viertelstunde sein System und seine Eitelkeit, um Emilien zu trösten, und erzählte ihr dann seine Jugendbegebenheiten, seinen Liebeshandel mit Käthen. Sie lächelte. „Ach“, sagte der Baron seufzend, „ich wußte damals nicht, was Liebe ist; allein ...“ Emilie sah ruhig und ernst vor sich auf den Weg, und er hatte nicht den Muth heraus zu sagen, was er sagen wollte: „jetzt kenne ich sie.“

Nach einer Stunde kam Lieschen wieder, und der Baron trennte sich von Emilien. Lieschen sagte: künftige Woche hier wieder, wie heute! Emilie hörte es nicht, weil sie in Träume versunken war. Auch der Baron kam träumend zu Hause, mit einer Empfindung, die er bei Marien nie gehabt hatte: mit einem heiteren, fröhlichen Verlangen, Emilien wieder zu sehen, sie immer so bei sich zu haben, wie heute, ihre Hand auf seinem Arme ruhen zu lassen, und vertraulich mit ihr zu plaudern. Auf einmal haßte er die Frau von Hausen und Jettchen, obgleich Emilie sich nicht über sie beklagt hatte. Aber trotz dem allen beschloß er, – wie fein die Liebe macht! – morgen, so früh als es der Wohlstand erlaubte, wieder hin zu gehen und gegen Jettchen sehr freundlich zu seyn.

Frau von Hausen empfing den Baron sehr zweideutig, und Jettchen verließ das Zimmer mit rothen Augen. Herr Baron, sagte die Mutter, wir haben einen Verdruß gehabt, den ich Ihnen nothwendig entdecken muß. Man beschuldigt Jettchen am Hofe eines zu vertrauten Umganges mit Ihnen. Es war gestern ein Gezischel über sie. Ich fragte, und erfuhr endlich, daß der gute Nahme meiner Tochter verloren sey, wenn sie nicht Ihre Hand erhalte. Es ist wahr, Herr Baron, der Hof hat nicht Unrecht. Sie ...

„Wie? nicht Unrecht? Ich mit Jettchen einen zu vertrauten Umgang? Wer sagt das? wer ...?“

Der ganze Hof. Man hat auch Ursache dazu. Sie sind alle Tage in unserm Hause, sind Jettchens Moitié bei allen Partieen, sitzen bei Tische immer neben ihr. Natürlicher Weise fragt man: warum? Das hat man schon lange gefragt, und ich selbst habe Sie darauf aufmerksam gemacht. (Wirklich hatte sie dem Baron verschiedene Male in Scherz etwas davon gesagt; aber immer mit dem Zusatze: mögen sie reden!) Dennoch setzten Sie Ihre Besuche fort. Was sollte ich davon denken? Natürlicher Weise dachte ich, Sie würden dem Gerede des Hofes durch eine Heirath ein Ende machen. Dazu berechtigte mich Ihr vertrauter Ton. Sie nannten meine Tochter, sogar auch in Gesellschaft: Jettchen. Gestern war ich am Hofe im Gedränge, und sagte, Jettchen wäre Ihre Braut. Das mußte ich thun, um die Ehre meiner Tochter zu retten; und Sie, Herr Baron, was Sie thun müssen, das wird Ihnen Ihr Herz sagen.

Der Baron stand da wie eine Bildsäule, sah die Frau von Hausen mit großen, stieren Augen an, und sprach nicht eine Sylbe. Vor acht Tagen dieselbe Scene; und er hätte sich auf der Stelle mit Jettchen verlobt. Aber jetzt war seine Liebe zu Emilien in ihrer vollen Stärke, und er fühlte, daß sie seine Frau werden müsse, wenn er glücklich seyn wolle.

Nun trat Jettchen selbst, mit Thränen in den schönen blauen Augen, herein. Meine Ehre ... schluchzte sie; weiter konnte sie nichts sagen. Die Frau von Hausen wurde sehr verlegen, als der Baron noch immer auf derselben Stelle stand, und erst sie, dann Jettchen ansah, endlich aber gar nach Hut und Stock in die Ecke blickte. Jettchen faßte eine seiner Hände, und ihre Mutter die andere; – er zog sie beide zurück. Reden Sie, Herr Baron! sagte Jettchen schluchzend; – er sah Jettchen an. Reden Sie! rief die Mutter; – er sah die Mutter an. Herr Baron! fuhr diese heftig fort: Jettchen wird Ihre Gemahlin, oder Sie sind ein Bösewicht! Jettchen umfaßte ihn; er zog aber mechanisch den Kopf in die Höhe, damit Sie ihn nicht küssen sollte.

Sieh! heulte die Mutter jetzt, und faßte ihre Tochter heftig an; ermorden will ich dich, wenn der Bösewicht dich nicht heirathet! – Ach ja! rief Jettchen; lieber will ich mich ins Wasser stürzen, als in Schande leben. Der Baron sah wieder nach seinem Hute in die Ecke. Jettchen sank vor Schmerz auf einen Stuhl; die Mutter streckte die Arme nach ihm aus. Beide thaten alles Mögliche, um ihn zu rühren; aber er war weder aus seiner Stellung, noch aus seinem Schweigen zu bringen.

Also Sie wollen Jettchen nicht? fragte die Mutter endlich in einem spitzen Tone. Er schüttelte den Kopf. Ha! ha! ha! lachte die Mutter. Ha! ha! ha! lachte die Tochter. Den Baron überfiel ein Grauen. Aber Emilien wollen Sie? fragte die Mutter höhnisch; die schöne, schlanke Emilie? die reitzende, vollkommne Celtin, die mit Ihnen an den Assemblee-Abenden in den dunklen Weiden umher läuft? Ach, lieber Gott, über die keusche Celtin! ... Fühlen Sie denn nicht, Herr Baron, daß man zuweilen Narren zum Besten hat, um lachen zu können? So macht es ja der ganze Hof mit Ihnen! Ihr System ist bekannt genug. Aber Emilie ist selbst für einen Thoren zu gut. Nicht wahr: der Oberst sollte sie mitnehmen, um sie Ihnen in die Hände zu spielen? Nein! Sagen Sie dem Herrn Obersten nur: Emilie wäre in guten Händen. Sie haben uns zum letzten Male gesehen, mich, Jettchen, und Emilien.

Jetzt bekam er endlich die Sprache wieder. „Emilien nicht, gnädige Frau, ich stehe Ihnen dafür; und, beim Himmel! Sie sollen mir für jede Thräne, die sie vergießt, Rechenschaft geben.“ Die Frau von Hausen lachte mit erstickter Wuth. Ich wäre eine reiche Frau, wenn ich für jede Thräne, die Emilie seit gestern weint, und noch weinen wird, einen Thaler hätte. Leben Sie wohl, Herr Baron, und grüßen Sie Ihre Celten! Für die Celtin, die Närrin, Emilie, will ich sorgen, daß sie den Weidendamm nicht wieder sehen soll. – Jettchen öffnete dem Baron die Thür, und er ging langsam weg. Dicht hinter ihm wurde Lieschen aus dem Hause gestoßen. Kupple wieder! rief die gnädige Frau ihr nach, und die Thür flog hinter ihr zu.

Der Baron nahm Lieschen mit nach seiner Wohnung, und ließ sich von ihr den Zusammenhang der Sache erzählen. Frau von Hausen hatte auf der Assemblee wirklich Verdruß gehabt, und sie noch vor Tische wieder verlassen. Sie hörte, daß Lieschen und Emilie spazieren gegangen wären, und wollte nun mit Jettchen auch noch ein wenig ins Freie. Das Ungefähr führte sie von hinten auf den Weidendamm, und da sahen sie Emilien am Arme des Barons vertraulich gehen. Jettchen wollte hin, und dem Baron seine Niederträchtigkeit vorwerfen; die Mutter hielt sie aber zurück. Beide gingen nach Hause, überlegten, und machten einen Plan. Abends examinirte die Tante erst Emilien, dann Lieschen, und erfuhr durch die Wahrheitsliebe der ersten die ganze Sache. „Laß nur, Jettchen!“ sagte die Mutter. „Er ist ein Narr. Wir wollen ihm morgen das Gewissen so rühren, daß er Gott danken soll, wenn er mit der Verlobung loskommt.“ Sie redeten ab, was wir schon wissen; und damit ihr Plan nicht gestört würde, bekam der Bediente Befehl, das Haus verschlossen zu halten, und niemanden weder aus- noch einzulassen, bis der Baron dagewesen wäre.

Der Baron eilte nun zum Obersten, um sich bei dem Raths zu erholen. Was ist Ihnen begegnet? fragte der Oberst, als er den Baron todtenbleich sah. „Emilie ist für uns verloren!“ rief dieser, und erzählte das Vorgefallene.

Ho! rief der Oberst; hier gilt es Entschlossenheit. Die alte Zigeunerin, die Ihnen ihre Tochter aufkuppeln wollte, wird Himmel und Erde in Bewegung setzen, ehe sie uns Emilien ausliefert. Ich armer Sünder bekomme sie nun nicht, das seh' ich; denn sie wird sagen: ich bin ihre Tante; mein Bruder hat mir sein Kind übergeben. Sie aber bekämen sie wohl; denn Sie könnten sagen: Emilie soll meine Frau werden!

„Ja, bei Gott, liebster Freund, das soll sie! das soll sie!“ – Nun, wie stehen Sie denn mit dem Mädchen? Liebt Emilie Sie? Wird sie auch Ja sagen? – „Das weiß der Himmel! Mein Vermögen gäb' ich darum, wenn ich wüßte, daß sie mich liebte!“

Wissen müssen wir das vorher schlechterdings; sonst ... Was sollen wir thun? Es wird Künste kosten, zu Emilien durchzudringen! Da haben Sie Recht, eine Mongolin ist die Alte, trotz ihren blonden Haaren! Sehen Sie, Herr, das hatt' ich weg, als sie mir das erste Wort sagte. Eine Mongolin! Und wenn es noch elendere Menschen auf dem Erdboden giebt, so dürfen wir sie dreist dazu rechnen, ohne ihr Unrecht zu thun.

„O, lassen Sie die Frau seyn, was sie will, und geben Sie Rath. Wie Sprech' ich Emilien? wie seh' ich sie?“

Lieber Baron, daß muß Lieschen uns sagen. Dazu sind wir Beide nicht pfiffig genug. Schicken Sie mir Lieschen. – Der Baron eilte nach Hause, und erfüllte dieses Verlangen.

Frau von Hausen fuhr noch denselben Morgen umher, und erzählte überall: daß der Baron von Flaming um Jettchen angehalten, und daß sie auch nichts dagegen gehabt hätte. Auf einmal aber – fuhr sie fort – komme ich dahinter, daß er meines Bruders Tochter, Emilien, verführen will, oder – verführt hat, Gott mag es wissen. Wenn ich mit Jettchen in Gesellschaft bin, läuft er mit Emilien in der Stadt umher, oder sitzt bei ihr auf der Kammer. Sehen Sie, das ist der Mensch, der immer von Tugend spricht, der uns alle für Slaven, Mohren und Mongolen erklärt! Was konnte ich machen? Ich verbat mir seine Besuche, und das arme verführte Mädchen muß ich nun hüten, wie mein Auge im Kopfe. Ich bin es ja meinem seligen Bruder in der Erde schuldig.

Das erzählte sie auch dem ersten Geheimenrathe, aus dessen dickem Bauche und langen Ohren der Baron die Armuth der Bauern im Fürstenthum erklärt hatte. „Das ist ja unerhört!“ rief der, und legte beide Hände gefalten über seinen Bauch.

Und denken Ew. Excellenz, er drohet mir die empfindlichste Rache; er drohet, Emilien zu entführen. Ins Gesicht hat er mir gesagt, daß er sie mir zum Trotze haben will!

„Ei! lassen Sie ihn nur. Er soll schon empfinden, daß die Gerechtigkeit in unsrem Lande nicht eingeschlafen ist. Geben Sie mir nur sogleich Nachricht, gnädige Frau, wenn etwas in der Sache vorfällt. Es ist doch gut, wenn man Se. Durchlaucht prävenirt. Ein unverschämter Mensch ist er, dieser Herr Baron, der sich über alle Leute aufhält, und selbst den Fürsten nicht verschont.“

Ja wohl! Denken Sie nur, was ich mehr als Einmal aus seinem Munde gehört habe. Ich schäme mich, es nachzusagen.

„Nein, nein, erzählen Sie nur, erzählen Sie. So etwas muß an's Sonnenlicht. Was sagte er denn?“

Die Frau von Koch (so hieß die Geliebte des Fürsten) wäre ... eine krummbeinige ... Ach nein! ich kann das häßliche Wort nicht über meine Zunge bringen.

Wirklich hatte der Baron sehr oft in Gesellschaften behauptet: man finde hundert schwarzhaarige, runde, fette, krummbeinige, stutznasige und rundlippige H...n gegen Eine schlanke, langnasige, dünnlippige Blondine, die sich liederlich aufführe. Er dachte dabei an keine Person insbesondre. Die Zuhörer wollten aber vor Lachen fast ersticken, wenn er das sagte; denn Frau von Koch, die Geliebte des Fürsten, war brünett, etwas korpulent und rundlippig.

Bis jetzt war der Geliebten des Fürsten diese Aeußerung des Barons verschwiegen geblieben; denn wer hatte das Herz, ihr etwas davon zu sagen? Nun aber spielte die Frau von Hausen diese unschuldige Bemerkung des Barons, und zwar hämisch verdrehet, in die Hände des Geheimenraths. Von ihm flog die Bemerkung in das Vorzimmer der Frau Geheimeräthin; von da kam sie zu der Kammerjungfer der Frau von Koch; und die lief hinauf, schlug in die Hände, und erzählte die Bemerkung, natürlicher Weise mit allen den Zusätzen, welche sie auf dem Wege zu ihr erhalten hatte.

Die Mätresse war außer sich vor Zorn. Frau von Hausen machte den andren Tag einen Besuch bei ihr, und äußerte, daß der Baron nicht empfindlicher zu bestrafen wäre, als wenn man ihm Emilien, die er liebte, vorenthalten könnte. Nun wendete man sich an den Geheimenrath. „Hm!“ sagte der; „wenn das Fräulein ihn, und er das Fräulein will, so ist es nicht zu hindern, oder es müßte durch einen Machtspruch von obenher geschehen.“

Aber wie kann ich dem Menschen meines Bruders Tochter geben? Er hat ja den Verstand verloren! Er ist ein Narr!

„Das müssen Sie gerichtlich erweisen. Ihre Niece hat kein Vermögen. Wahrhaftig, wenn er den rechten Weg geht, so gewinnt er.“

Er soll sie nicht haben, rief die Frau von Koch, und wenn er Himmel und Erde umkehrte! Er soll nicht! – Der Geheimerath zuckte die Achseln.

Habe ich denn nicht Mutterrecht über ein Mädchen, das ich ganz erhalten muß? Er soll sie nicht haben!

„Ja, die Gesetze fragen nach den Gründen, warum er sie nicht bekommen soll; und an denen fehlt es! Hat ihm denn Fräulein Emilie ihr Wort schon gegeben?“

Noch nicht. Er kam in mein Haus, um Jettchen zu heirathen, und heimlich verführt er mir meine Nichte.

Der alte Herr ließ sich erzählen. „So, so!“ sagte er. „Das ist ein Andres! Hinter Ihrem Rücken? verführt? und betriegt Fräulein Jettchen? Das ist ein Andres! O, lassen Sie nur. Da sollen die Gesetze schon gegen ihn sprechen. Das hieße ja der Verführung Thür und Thor öffnen, wenn man einen hinterlistigen Menschen seinen Zweck erreichen ließe. Des Exempels wegen, der Sitten wegen, die ohnehin schon verderbt genug sind, können die Gesetze und das Konsistorium das nicht erlauben. Nein, nein! Da er sich auf krummen Wegen hat wollen verheirathen, und noch obendrein, durch eine vorgespiegelte Verbindung mit einem andren Mädchen, die mütterliche Autorität hintergangen, betrogen, ja Ihres Bruders Tochter verführt hat; nein, das ist ein Andres. Er soll sie nicht haben! Lassen Sie mich nur sorgen!“

So sprach der Geheimerath. Der Oberst hingegen sagte: Sie müssen das Mädchen haben, Baron. Vor allem brauchen wir aber Emiliens Jawort. Dann halten Sie bei der Tante ordentlich an. Sie bekommen abschlägige Antwort. Nun wohl! dann nehmen wir einen Advokaten, und der beweist, daß ein Mann, der liebt und geliebt wird, einem Mädchen näher ist, als alle Tanten in der Welt, besonders als so ein Satan von Tante, wie diese, die blondes Haar hat, und doch ein Satan ist.

„Und dann, lieber Oberst? dann?“ fragte der Baron eifrig.

Dann? Wenn die Gesetze klug sind, und die Tante mit den blonden Haaren nicht etwa der Gerechtigkeit ein Bein unterschlägt, so treiben sie uns nicht aufs äußerste, sondern geben uns Emilien heraus, und wir machen Hochzeit.

„Lieber Oberst, der Geheimerath, auf den doch alles ankommt, hat einen gar zu dicken Bauch.“

Ei, zum Teufel, dicker ist er doch nicht als meiner. Und was hat Ihnen mein Bauch je Uebles gethan? He?

„Das ist wahr; aber ich gäbe viel darum, wenn Sie ihn nicht hätten. Denn ...“

Ei, das wollt' ich auch: denn er ist mir sehr unbequem; aber Ihnen nicht. – Wollen die Gesetze uns nicht hören, wie es sehr leicht der Fall seyn kann, so entführen wir die schöne, unglückliche Emilie; und dann ...

„Dann eile ich mit ihr über die Gränze. Da lernt sie mich erst kennen, ob ich ihrer, und ich sie, ob sie meiner werth ist.“

Halt! Das ist nichts! Ueber der Gränze werdet ihr getrauet, und dann lernt einander kennen, so viel ihr wollt. Was kennen lernen! Warum nicht lieber gar erst ein Probejahr! Nichts, nichts! Gleich getrauet!

„Ich habe gerade nichts dagegen, wenn Emilie will; sonst sind die Probejahre sehr Celtisch, und gerade da noch Sitte, wo sich das reinste Celtische Blut erhalten hat: auf dem Schwarzwalde, in der Schweiz, in Schottland und Irland. Ich will Ihnen Reisebeschreibungen leihen; daraus können Sie sehen, daß die Sitte rein Celtisch ist. Wenn also Emilie selbst mich näher kennen lernen wollte, so ...“

So hätten Sie nichts dagegen? Ich dann auch nichts. Aber ich stehe Ihnen dafür, daß Emilie, so eine reine Celtin sie auch seyn mag, nichts davon wird hören wollen. Den Teufel auch! das sollte sie erfahren! Sie schlüge sich den Augenblick auf die Seite der Schwarzköpfe, und lachte den Blondkopf aus. Den Teufel auch, mit Ihren Probejahren!

„Aber sie sind rein Celtisch, und müssen folglich auch weise und edel seyn.“

Nun, wenn Sie noch immer nicht begreifen wollen, daß Ihr System hinkt, so weiß ich nicht, wie es mit Ihren Augen steht. Ein Paar Celtinnen haben Sie häßlich betrogen, und peinigen ein armes, unschuldiges Mädchen aufs Blut; hier steht ein Slave vor Ihnen, wie Sie mich nennen, und risse sich gern das Herz aus der Brust, um es mit eben dem Mädchen zu theilen.

„Ja, Sie sind ein edler Mann, liebster Herr Oberst, und ich begreife wahrhaftig nicht, wie Sie schwarzes Haar haben können. Aber lassen Sie das gut seyn, und sagen Sie mir, was zu thun ist. Wie bekommen wir Emiliens Jawort?“

Das müssen Sie holen, und, wenn die Spartaner Celten gewesen sind, auf eine Celtische Weise. Sie steigen diese Nacht mit einer Leiter an Emiliens Fenster in die Höhe, (aber nicht etwa hinein), wechseln Ringe mit ihr, geben ihr einen Kuß, machen kein Geräusch, und lassen diese Schrift von ihr unterschreiben, wozu Sie eine Feder voll Tinte mitnehmen müssen. Emilie ist schon unterrichtet. Lieschen hat ihr einen Brief in die Hände zu spielen gewußt, der ihr von allem Nachricht giebt. Sie wird mit Ihnen gehen und Ihnen das Fenster zeigen. Dann haben wir Brief und Siegel, und fangen an zu trotzen.

Es war alles so, wie der Oberste sagte; nur wußte er zwei kleine Umstände nicht: daß Emilie das, was dem alten biedern Manne so natürlich vorkam, für höchst unschicklich hielt; ferner, daß Frau von Hausen sie beim Lesen des Billets ertappt, und es ihr weggerissen hatte. Emilie wurde nun auf eine andere Kammer gebettet. Frau von Hausen nahm mit Jettchen und einigen Anverwandten Besitz von der, worin Emilie bisher geschlafen hatte, und wartete mit Ungeduld auf den Baron. Um halb zwei Uhr legte dieser eine Leiter an, und stieg in die Höhe. Das verabredete Zeichen, ein weißes Tuch, hing zum offnen Fenster heraus, und der Baron kam mit dem Kopfe davor. Kommen Sie herein! rief eine weibliche Stimme. Der Baron kletterte in das Fenster, sprang auf den Boden, nahm Emilie in die Arme, und drückte – nicht Einen Kuß auf ihre Lippen, wie der Oberst ihm befohlen hatte, sondern zehn und mehr. Die vermeinte Emilie schrie. Nun flog eine Nebenthür auf, und der Baron stand – in den Armen der Frau von Hausen, von zehn Menschen umringt, deren jeder ein Licht in der Hand hielt.

Ha! der Baron Flaming! rief die Frau von Hausen. Was wollen Sie hier, mein Herr? – „Was ich will?“ sagte der Baron bestürzt. – Ja, was Sie wollen! sagte ein Anderer. – Ich werde mich bei dem Fürsten über Sie beklagen, Herr Baron, und das liederliche Mädchen werde ich weg schaffen. – „Liederlich?“ rief der Baron ergrimmt. „Wer sagt das?“ – Nun fing Jettchen an: ein Mädchen, das des Nachts Besuche durch das Fenster von einem jungen Manne annimmt ... – Der Baron fiel ein: „das Mädchen ist keuscher als Sie, mein Fräulein.“ Was? was? schrie Jettchen, und schien ihm die Augen auskratzen zu wollen. – Die Mutter machte die Thür auf, und ein Herr leuchtete. – Gehen Sie, Herr Baron. Sie sollen morgen mehr hören! riefen ihm noch einige Stimmen nach, als er aus dem Zimmer ging. Man begleitete ihn die Treppe hinunter, und öffnete die Hausthür. Er stand unten auf der Straße, und wußte nicht, wie ihm geschehen war.

Am folgenden Tage erhielt er ein Billet von dem dicken Geheimenrathe, worin ihm im Nahmen des Fürsten angedeutet wurde, „die Frau von Hausen und ihre ganze Familie künftig mit allen Anträgen, von welcher Art sie auch seyn möchten, in Ruhe zu lassen, da Se. Durchlaucht sehr ernstlich gewillet wären, nicht zu leiden, daß zügellose junge Herren hinter dem Rücken der Eltern, oder derer, die Eltern-Stelle verträten, Mädchen verführten, sich bei nächtlicher Zeit heimlich in die Häuser schlichen, so den Ungehorsam der Kinder gegen die Eltern und nächsten Anverwandten bestärkten, und Schande in die Familien brächten, weil selbst die Glückseligkeit des Staates auf dem kindlichen Gehorsam, auf der häuslichen und Familien-Eintracht, und auf einfachen unschuldigen Sitten beruhe. Dem Baron sey ja ein rechtlicher Weg offen gewesen, wenn er Absichten auf die Tochter oder Bruderstochter der Frau von Hausen gehabt habe; da er aber den strafbaren Weg der Verführung eingeschlagen, so würden die Gesetze, Andern zum Beispiel, nicht zugeben, daß ungehorsame Anverwandte, die ihre Pflegeeltern betrögen, Verbindungen vollführen könnten, wenn auch diese Verbindungen sonst nichts gegen sich hätten. Er habe also jede andere Verbindung, welche er wolle, ordentlich zu suchen; allein dagegen solle er alle Hoffnung fahren lassen, sich wider den Willen der Frau von Hausen mit ihrer Tochter zu verbinden.“

Der Baron fand, als er dieses Billet gelesen hatte, daß der Weg Rechtens ihm nun gänzlich abgeschnitten wäre. Er eilte zum Obersten, erzählte ihm seine nächtliche Begebenheit, gab ihm das Billet, und bat ihn um Rath. Herr, sagte der Oberst, wenn ich mit Fleisch und Blut überlege, so sag' ich: nun genug! Wir haben gethan, was wir sollten. Der Fürst, und, was noch schlimmer ist, seine Geliebte, die Sie einmal eine Hure genannt haben sollen, weil sie schwarzes Haar und dicke Lippen hat, sind gegen uns. Sogar die Justiz nimmt, so unschuldig wir auch sind, Parthei wider uns. Der Geheimerath ist erschrecklich erbittert gegen Sie. Sie haben seine Ohren und seinen Bauch getadelt; also ...

„Aber ist es denn nicht wahr? Er hat ja einen Bauch wie eine Tonne; und wie geht es im Lande zu? Und hat denn nicht die Geliebte des Fürsten, wie Sie die Frau nennen, einen pechschwarzen Kopf, und Lippen wie eine Negerin?“

Ja, ja! Aber so trösten Sie sich denn. Ihr System hat Sie um Ihre Geliebte gebracht, denn wenn Sie wußten, wie sehr elende Menschen die Rache lieben, so konnten Sie ja gleich befürchten, daß es mit Ihren Angelegenheiten schlecht stände.

„Aber ohne mein System hätte ich auch Emilien nie geliebt!“

Herr, Sie lieben Emilien, weil sie liebenswürdig ist. Wären ihre Augen schwarz, und hätten so unschuldig geweint, wie die blauen: Sie würden das Mädchen eben so geliebt haben, dafür steh' ich Ihnen.

„Nein, liebster Oberst. Ich muß doch wissen, wie ich mit meinem Herzen daran bin. Es steckt ein gewisser Zug, ein gewisser Instinkt in uns, den Sie nicht abläugnen werden. Tausend Menschen haben sich auf den ersten Blick in ein Mädchen verliebt. Wie wollen Sie das anders erklären, als gerade dadurch?“

Wodurch denn? wodurch?

„Sehen Sie, die edelste Menschennatur hat etwas, das an sich zieht, das Ehrerbietung und Vertrauen erregt, und zwar auf den ersten Blick.“

Warum nicht gar wie der Basilisk durch ein Gift, das aus den Augen strömt! Seltsamer Mensch, warum suchen Sie denn immer meilenweit von sich, was Ihnen so nahe liegt? Ja, jeder edle Mensch hat etwas an sich, das anzieht und Vertrauen erregt: nehmlich die Gutherzigkeit auf dem Gesichte, die Redlichkeit im Auge, die Herzlichkeit im Blicke.

„Das ließe ich wohl bei einigen Menschen gelten; doch nicht bei allen: denn woher hätten die Indianer für die Europäer den überaus großen Respekt, der so weit geht, daß sie es für eine Ehre halten, wenn der Europäer bei ihren Weibern und Töchtern schläft? Doch wohl nur daher, weil sie ihre Nation durch besseres Blut veredeln wollen.“

Aber, da müßte ja der Indianer, wenn das seine Absicht wäre, Ihr System von Grund aus kennen! ... Sehen Sie, die rohen wilden Matrosen stiegen unter den friedlichen, nackten, wehrlosen Indianern ans Land. Ihre Flinten, ihre Kartätschen, ihre Grausamkeiten, ihre unerhörte Barbarei verschafften ihnen bald Respekt. Nun griffen die wollüstigen Europäer nach den nackten Weibern, und ein Mann, der das nicht leiden wollte, wurde todt geschlagen. Das ist das ganze Räthsel. Die armen Indianer bringen den Europäern ihre Weiber, nicht um ihren Stamm zu veredeln, sondern, wie sie ihnen ihr Gold bringen, um das Leben zu behalten. Als ich noch jung war, kamen einmal Kosaken in meine Gegend. Sie sollten gesehen haben, welchen Respekt jedermann für diese rohen Leute hatte. Schlief ein solcher Kerl bei einem blonden Bauermädchen, so sagte der Vater kein Wort dazu, und wenn er auch dabei stand. Aber das thaten die Bauern wahrhaftig nicht, um ihr Blut zu veredeln; sondern, weil sie die langen Messer fürchteten, mit denen die Kerl den Leuten die Köpfe abschnitten. Wo ist denn nun Ihr geheimer Sinn, Ihr Instinkt?

„Ja, ja, zur Noth läßt sich das hören. Aber, Herr Oberst, warum soll ich diese Erklärung wählen, da ...“

Warum? Weil sie die simpelste, weil sie deutlich ist, weil sie in die Augen springt.

„Aber sie paßt nicht in mein System, und das ist doch in tausend andern Fällen richtig.“

Recht! Darum hole der Teufel alle Systeme; nur unser Planetensystem nicht! Da zerret Ihr so lange, bis alles hinein geht, es mag zu lang oder zu kurz seyn, wie der Räuber in dem Märchen, der ein eisernes Bett für alle Reisende hatte. Den Kleinen stampfte er so lange, bis er paßte; und dem Großen schnitt er so viel von Kopf und Füßen ab, daß auch er die rechte Länge bekam. So ein Bett ist Ihr System.

„Um des Himmels willen, lieber Oberst, ereifern Sie sich nur nicht!“

Nicht ereifern? Wir sollten alle Tage den lieben Gott auf den Knieen bitten, daß er unsere Herzen mit Bruderliebe erfüllte, weil ohnehin Geitz, Haß, Neid, Reichthum und Armuth, Stolz und Narrheit dieser Liebe in den Weg treten; Sie aber kommen daher und schreien, wenn einer seine milde Hand öffnet: vorgesehen! der ist dein Bruder nicht! es ist ein Slave! ein Mongole! Sieh nur das schwarze Haar, den dicken Bauch! ... Ohnedies horchen jetzt die Menschen, wenn ihrer zwei zusammen kommen, erst hin, von welcher Religion, von welchem Stande, und wie ihre Meinungen sind. Nun sollen sie gar erst nachsehen, ob der Andre schwarzes Haar hat oder blondes. Baron! Baron!

„Die Wahrheit muß ich lehren, wenn sie auch noch so schrecklich ist; und darum ...“

Die Wahrheit, Herr, ist nie schrecklich; denn sie kommt von Gott. Ich lasse Ihren Satz einmal gelten. Aber bei einer schrecklichen Wahrheit muß ich doch wohl erst recht genau untersuchen, ob sie Wahrheit ist; und kann ich das Ding auf irgend eine andre Art erklären, so muß ich: sonst bin ich ein Unmensch, oder, nach Ihrer Sprache, ein Mongol. Ich allein müßte im Stande seyn, Ihr System zu stürzen, weil sie in meinem dicken Leibe ein Herz, und in meinem schwarzen Kopfe Gehirn gefunden haben. Die Tante Hausen hat einen Kopf so blond wie ein reifes Kornfeld, und ist ein Satan. Das sind so ein Paar Exempel, Herr; und deren giebt es noch tausend.

„Mein System, Herr Oberst, wird ja nie Volks-System werden; und so kann es nicht schaden.“

In Ihren Händen wohl nicht, weil Sie zum Glück ein Herz haben, das über Ihr System lacht. Aber denken Sie nur, wenn einmal ein Mensch, wie zum Exempel die Tante Hausen, Ihr System annähme, und eine Emilie ein Schwarzkopf wäre: was dann? Oder gar ein Fürst! Das gäbe eine herrliche Finanz-Spekulation! Jeder müßte sein schwarzes Haar und seinen Bauch verzollen. Visitatoren liefen im Lande umher, und mäßen Bauch und Brust und Beine; sie witterten aus, wo ein braver schwarzköpfiger junger Mensch eine Blondine heirathen wollte, und er müßte Lizent dafür bezahlen, oder er wäre gezwungen, sich schlechterdings in einen Schwarzkopf zu verlieben.

„O“, rief der Baron, „das wäre sehr gut. Und spricht denn hier die Natur nicht deutlich? Es werden mehr Knaben geboren als Mädchen; aber nur in Europa, wo die Celten wohnen: in Asien, wo die Vielweiberei Statt findet, mehr Mädchen als Knaben. Wie wollte sonst die Vielweiberei dort herrschen können? Sehen Sie, die Natur hat sich entschieden erklärt. Die Knaben, die in Europa mehr geboren werden, bestimmte sie dazu, nach und nach die Nationen von schlechterem Stamme zu veredeln, bis nicht ein Tropfen unedles Blut mehr auf der Erde seyn wird. Und sehen Sie – ich habe in diesem Augenblick einen herrlichen Gedanken – darum eben war es bei unsern Vorfahren den Adeligen so streng verboten, eine Bürgerliche zu heirathen. Da steckt es. Der Adel enthielt das reine Blut der Celten. Slaven und Wenden hatten sich über Deutschland verbreitet. Man suchte durch Gesetze das Celtische Blut unvermischt, und mit ihm die edelsten Tugenden rein, zu erhalten.“

Ei, lassen Sie uns davon schweigen!

„Nein, liebster Oberst, ich bitte Sie, lassen Sie uns das Gespräch fortsetzen. Der Adel ...“

Und Emilie mag weinen, während Sie philosophiren! Nicht wahr?

„Emilie! O Himmel! wie befreien wir sie? Ich bin reich, Herr Oberst, sehr reich. Brauchen Sie mein Vermögen. Handeln Sie, als ob Emilie Ihre Tochter wäre. Leiden soll sie nicht länger. Ich weiß, was die Frau von Hausen will, ich soll das himmlische Mädchen nicht haben. So eben fällt mir ein Gedanke ein, liebster Oberst. Wenn ich mich nun verbindlich machte, Emilien nie zu heirathen – sollten wir sie auch dann nicht aus den Klauen der Tante retten können?“

Den Teufel auch! So bekämen Sie ja Emilien nicht; und Sie lieben das Mädchen doch! ... Das ginge freilich, wenn es Ihr Ernst wäre.

„O, retten Sie! Brauchen Sie mein ganzes Vermögen; retten Sie Emilien! Ich will mich verbindlich machen, nie ihre Hand zu besitzen. Wenn ich sie nur zuweilen sehen kann, und wenn sie nur ruhig und glücklich lebt! Ach, Herr Oberst, ich liebe das Mädchen über alles; aber ...“

Aber du Wetterjunge, rief der Oberst, und drückte den Baron fest an sein Herz: fühlst du denn nicht, daß ein solcher Entschluß mehr werth ist, als alle Systeme, die du erfinden kannst? Nein, du sollst Emilien haben, und wenn sie mit Ketten an die Tante gebunden wäre!

Lieschen zog, auf des Obersten Befehl, Nachrichten von Emilien ein, die aber nicht sehr tröstlich waren. Die Tante Hausen marterte die Unglückliche auf alle nur ersinnliche Weise, und wollte sie zwingen, einen Eid abzulegen, daß sie nie an eine Heirath mit dem Baron denken würde. Emilie hatte das bestimmt abgeschlagen, und seitdem war ihr Zustand noch härter geworden. Der Baron wurde durch diese Nachricht sehr gerührt; dann aber erwachte sein Zorn, und er drohete sogar, die Tante zu ermorden, wenn er Emilien nicht anders retten könnte.

Schöne Menschen! sagte der Oberst zornig; die Tante und ihre Tochter! Ich wollte ja lieber mitten in der Mongolei wohnen, lieber unter den Kamtschadalen, als unter solchen Celten!

„Nein!“ sagte der Baron: „die Hausen ist keine Celtin; sie ist eine Kakerlake, eine Spielart der Natur!“

So behüte uns Gott, daß die Natur nicht die Spielsucht bekommt, wenn diese Bestie eine Spielart ist! Noch Einen Gang für das Mädchen; und wenn der nicht hilft, so wollen wir die Domestiken der Hausen bestechen, so ungern ich alter, grauer, ehrlicher Kerl mich auch zu Spitzbübereien verstehe. Aber, soll nicht alles um einen her zu Grunde gehen, so muß man schon ein Spitzbube, ein Celte, mit seyn. Im Kriege war es immer, als ginge ich zum Tode, wenn ich mit meiner Schwadron marschiren mußte, um einer Stadt die Kontribution anzusagen. Doch, bei meiner Seele! über einen Auftrag hieher könnte ich mich jetzt freuen. Die Tante sollte ihren Teufel an mir haben! ... Meinen Pallasch, Johann! ... Ich wollte ihr die wildesten Kerl auf den Leib hetzen! ... Den Hut, den Stock! ... Sie sollte an den Husaren-Obersten denken! ... Bleiben Sie, Baron! Ich bin in einer halben Stunde wieder hier. Dann Viktoria; oder wir schießen mit goldnen Kugeln!

In diesem Eifer ging der alte Baron zum Fürsten, ließ sich melden, und wurde vorgelassen. Ew. Durchlaucht, hob er ehrerbietig an, ich komme nicht in meiner eigenen Sache; und Gott sey Dank, daß es nicht meine eigene ist: sonst stände es schon toller oder gut! Ich komme, einige Worte für den Baron von Flaming zu reden.

„Der Baron Flaming ist ein zügelloser junger Mensch, Herr Oberst. Doch das bei Seite. Was wollen Sie für ihn?“

Gerechtigkeit, Ew. Durchlaucht; nichts weiter. Der Baron ist mein Freund; und wenn graues Haar und ein, funfzig Jahre mit Ehre getragenes Portd'epee bei Ewr. Durchlaucht etwas gelten, so werden Sie mir glauben, daß Flaming ein edler Mann ist, der freilich seine Grillen hat, aber es wahrhaftig mit der Welt gut meint. Er liebt ein Mädchen, die Bruderstochter der Frau von Hausen. Ew. Durchlaucht, am ganzen Hofe sind vielleicht nicht zwei Damen, die so viele Achtung verdienen, als dieses Mädchen. Der Baron liebt sie, und sie ihn. Die Frau von Hausen, die nicht werth ist des Mädchens Tante zu seyn, widersetzt sich dieser ehrenvollen Verbindung; ich weiß nicht, warum.

„Der junge Mann hat das Mädchen, von dem Sie reden, verführt. Sie scheinen nicht zu wissen, daß er des Nachts zu ihr ins Fenster gestiegen ist.“

Das weiß ich, Ew. Durchlaucht; denn ich selbst habe dem jungen Manne gesagt: steigen Sie ins Fenster. Ew. Durchlaucht, es ist eine Husaren-Regel: wenn der Feind von vorn nicht zu attakiren ist, so geht man ihm in die Flanke. Der Baron war die Nacht auf einem ehrlicheren Wege, als Mancher, der am hellen, lichten Tage, vor aller Menschen Augen, in die Hausthür geht. Er wollte ein unglückliches Mädchen aus der grausamsten Sklaverei befreien, worin Neid und Haß, Rache und Eifersucht es halten.

Nun erzählte er den ganzen Vorgang der Sache. Der Fürst, trotz seinen Schwächen ein edler Mann, sah jetzt Alles in einem andern Lichte, und fragte: „verhält es sich so, Herr Oberst?“

Ew. Durchlaucht, ich bin ein alter Officier, und kann wahrhaftig nicht lügen. Es ist so, wie ich sage. Und Sie dürften nur das Mädchen einen Augenblick sehen, um überzeugt zu seyn, daß die Frau von Hausen Ewr. Durchlaucht Schutz zu einer Büberei gebraucht.

„Ich wäre doch neugierig“, sagte der Fürst lächelnd, „ein Mädchen kennen zu lernen, das einen alten Husaren so in Feuer setzen kann!“

Ich will sie holen, Ew. Durchlaucht, wenn Sie mir ein Paar Zeilen an die Tante mitgeben wollen.

Der Fürst besann sich einen Augenblick. „Befehlen kann ich in diesem Falle nicht; nur im Nahmen meiner Gemahlin bitten. Aber Frau von Hausen muß nicht gekränkt werden. Nehmen Sie ... ja, nehmen Sie den Kammerjunker mit.“ Er ging in das Vorzimmer, und sagte dem diensthabenden Kammerjunker: „Begleiten Sie den Herrn Obersten zur Frau von Hausen, und sagen Sie ihr, daß alles, was er thut, mein Wille ist.“

Der Oberst stieg mit dem Kammerjunker in den Wagen. Frau von Hausen wurde blaß, als sie ihn in ihr Zimmer treten sah. „Gnädige Frau, Se. Durchlaucht wünschen Fräulein Emilien zu sehen. Wir sollen Sie sogleich mitbringen. Sie werden doch nichts dagegen haben? Wo ist das Fräulein?“ Die Tante ließ sie rufen, freilich sehr erbittert über den Obersten und über den Fürsten. Emilie kam mit Kummer im Gesichte, und mit Thränen in den Augen. „Wie?“ rief der Oberst, als er sie sah, und drückte ihr die Hand: „Thränen, mein gutes Kind? Aber gewiß es sind die letzten, die du weinst! Von nun an soll nur die Freude und die belohnte Tugend dir Thränen auspressen. Komm, meine Tochter.“ – Emilie sah rings umher Alle an, und konnte sich kaum besinnen. Die Tante stand da, wie eine häßliche Bildsäule, und rührte sich noch nicht, als der Wagen mit Emilien und ihren beiden Begleitern schon wieder die Straße hinunter nach dem Schlosse hin rollte.

Emilie wollte fragen: bringen sie mich zu dem Baron? Aber sie erröthete nur, ohne zu sprechen, weil sie zu verschämt war, in Gegenwart des Fremden die Frage zu thun. – Auf dem Schloßhofe nahm der Oberst ihren Arm, und führte sie die Treppe hinauf in das Zimmer des Fürsten. Dies ist Emilie, sagte er mit einem triumphirenden Blick auf sie. – „Fürchten Sie nichts, mein Kind“, redete der Fürst sie an, und beobachtete sie sehr aufmerksam: „ich bin Ihr Freund!“

Emilie erkannte ihn an dem Orden. Sie mußte sich sammeln, ehe sie sprechen konnte. Endlich sagte sie, halb zu dem Fürsten, halb zu dem Obersten: ich bin sehr unglücklich. O, ich bitte, gönnen Sie mir nur eine Freistätte, wo ich einsam seyn darf; glücklich will ich nicht werden.

Der Fürst ergriff ihre Hand. „Mein schönes Fräulein, wer so viele Freunde hat, wie Sie, darf mehr fordern. – Sagten Sie nicht von einem jungen Manne, den sie liebt, Herr Oberst?“ Emilie erröthete. „Sieh da! nun weiß ich auch, wie dieses schöne blasse Gesicht aussehen wird, wenn die glückliche Liebe es gefärbt hat. Hören Sie, mein Fräulein, ich dächte, Sie ließen den Alten fahren, und schenkten mir Ihre Freundschaft. Wir wollten der bösen Tante schon vergelten.“ Emilie ergriff mit rascher Zärtlichkeit des Obersten Hand, und sagte bestürzt: es ist mein Vater!

Ja, rief der Oberst: das bin ich; und was ich habe, ist dein, Emilie: ein Herz voll Muth und Liebe!

„Und ich“, sagte der Fürst scherzend zum Obersten, „könnte ihr dennoch mehr geben, als Sie. ... Meinen Sie nicht, Fräulein, daß die Hand des jungen Barons mehr wäre, als die Liebe des alten Soldaten?“

Emilie erröthete. Der Fürst wiederholte die Frage. „Nun? lieben Sie den Baron? Seyn Sie aufrichtig, Fräulein!“

Mein Herz ist so voll von Dankbarkeit, sagte sie, daß ... –

„Daß die Liebe keinen Platz mehr darin hat?“ fiel der Fürst ein.

Daß auch meine Liebe nichts ist als Dankbarkeit, erwiederte sie leise. Ich habe ja von meinem Vater alles! setzte sie, mit einem zärtlichen Blick auf den Obersten, hinzu. Ach, Ew. Durchlaucht, ohne ihn wäre mein Unglück so groß!

Der Fürst sah nach der Uhr. „Ihr Unglück, liebes Kind? Ich glaube, ich selbst habe dazu beigetragen. Aber Geduld! Die Stunde ist gekommen, da Ihr Glück anfängt; und damit Sie diese Stunde nicht vergessen, so tragen Sie diese Uhr zum Andenken daran.“ Er hängte ihr die Uhr in das Schürzenband, ging in sein Kabinet, und schrieb auf eine Karte an die Frau von Hausen: „Ich bin Emiliens Freund, und hoffe, niemand wird das von jetzt an vergessen. Von Zeit zu Zeit werde ich mich nach Emiliens Zustand erkundigen, und es Ihnen danken, wenn er glücklich ist.“ ... „Geben Sie diese Karte Ihrer Tante“, sagte der Fürst zu Emilien; „und nun leben Sie wohl. Es soll alles gut gehen.“ Er führte sie in das Vorzimmer, und befahl dem Kammerjunker, sie nach Hause zu begleiten.

„Nun, Herr Oberst, war es so recht? In der That, ein sehr liebenswürdiges Mädchen! Nach der kletterte ich selbst wohl einmal durch das Fenster.“

Der Oberst stand kalt da. Und nun Ew. Durchlaucht? Ich muß doch etwas ausgerichtet haben!

„Nun ja, die Frau von Hausen wird jetzt dem Baron die Hausthür wohl wieder öffnen; und quälen wird sie das Mädchen auch nicht mehr. Was kann ich mehr thun? Man muß doch das Aufsehen vermeiden. Es soll alles gut gehen. Leben Sie wohl.“

Emilie war indessen zu Hause gekommen, und die Tante durchbohrte sie fast mit den Augen. „Hast du den Fürsten gesprochen?“ fragte die Tante in einem spitzen, giftigen Tone. – Ja, meine liebste Tante, antwortete Emilie zärtlich; und er läßt sich Ihnen empfehlen. Der Oberst hatte ihn, glaube ich, an meinen seligen Vater erinnert, den er gekannt hat. Nun war er neugierig, mich zu sehen.

Emilie war entschlossen, ihrer Tante die Karte des Fürsten nicht zu geben; und dieser großmüthige Entschluß bewirkte bei ihr eine gewisse Herzlichkeit. Sie küßte der Frau von Hausen die Hand, und sagte: liebste Tante, seyn Sie doch ein wenig gütig gegen mich; ich liebe Sie ja.

Jetzt erblickte Frau von Hausen die Uhr. „Was ist denn das?“ fragte sie mit einem Tone, worin Erbitterung mit einer falschen Freundlichkeit rang. – Der Fürst hat mir diese Uhr geschenkt. Sie soll ein Andenken seiner Freundschaft für mich seyn. – Die Tante wurde glühend roth, bald aber wieder grünlich blaß. Jetzt war sie verlegen, wie sie Emilien behandeln sollte. Sie fuhr nach ihrer Gewohnheit auf; doch plötzlich wandelte sich ihr heftiger Ton in den sanftesten um, den sie nur erzwingen konnte. Nach einigem Kampfe ließ sie sich von Emilien ihre Unterredung mit dem Fürsten ausführlich erzählen, und wurde immer freundlicher, als Emilie noch ein Paarmal erwähnte, daß der Fürst sie seines Schutzes, seiner Freundschaft versichert hätte.

Jettchen, die von einem Gange zurückkam, erstaunte über Alles, was sie hörte. Die Mutter flisterte eine halbe Stunde mit ihr allein; und nun nannte Jettchen Emilien zum ersten Male: liebste Cousine. – Emilie wurde durch die zweideutigen Zeichen einer falschen Freundlichkeit so gerührt, daß sie die Uhr abband, und sie Jettchen schenken wollte. Diese weigerte sich, freilich mit habsüchtigen Blicken. „O nehmen Sie“, sagte Emilie mit Thränen; „und schenken Sie mir Ihre Liebe dafür.“

Jettchen erröthete, und nahm die Uhr mit ungewisser Hand. Sie machte wirklich eine Bewegung, als wollte sie Emilien die Hand küssen; es wurde indeß eine Umarmung daraus. In diesem Augenblicke schalt die gnädige Frau den Bedienten sehr nachdrücklich, daß er für Fräulein Emilien kein Weinglas hingesetzt hatte. Sie und ihre Tochter waren den ganzen Tag hindurch äußerst verlegen, und wußten gar nicht, wie sie sich gegen Emilien betragen sollten.

Der Oberst ging nach seiner Unterredung mit dem Fürsten zu dem Baron. „Nun?“ rief dieser ihm lebhaft entgegen: „wie ist es? wie steht's?“

Ja, wie steht es! Gut, könnt' ich sagen; und, was Emilien betrifft, so steht es wirklich so. Ihr Fürst ist ein guter Mensch; ich wollte, ich könnte sagen: ein guter Fürst. Er hat Emilien gesehen, und sie feierlich seines Schutzes versichert. Wenn es nur hilft!

„O, warum nicht, lieber Herr Oberst? warum nicht? Weg mit den Runzeln von Ihrer Stirn! Ich bin so glücklich! Jetzt trägt die Tante Hausen Emilien gewiß auf den Händen. Was haben Sie denn gegen den Fürsten?“

Was ich gegen ihn habe? Er war aufgebracht über Sie und Emilien. Man hatte ihm euch Beide gewiß nicht vorteilhaft geschildert. Ich beredete ihn, Emilien zu sehen. Er bewunderte sie, und hielt ihre Sache, ohne sie zu kennen, für gerecht, weil Emilie ein schönes Auge und eine schöne Figur hat! – Was soll man davon denken?

„Lieber Oberst, es ist ja beinahe, als ob Sie mir die schnelle, unerwartete Hülfe nicht gönnten!“

Wenn es Hülfe ist, sage ich. Der Fürst denkt gut, denkt menschlich; aber, Baron, ein Fürst soll kalt urtheilen, kalt wie ein geschriebenes Gesetz, ehe er warm fühlt. Hätte er ruhig da gestanden, gezweifelt, gefragt, Emiliens Unschuld, Ihre Unschuld geprüft, sich überzeugt, und dann erst versprochen: so wollte ich hier einen Ehrensprung thun, und Sie müßten eine Flasche Wein auf sein Wohl mit mir trinken, oder sich mit mir schlagen. Aber nein; er sah Emilien, fand sie schön, und erklärte sie auf der Stelle für unschuldig. Ein Fürst muß keine Augen haben!

„Da sehen Sie ja, liebster Herzens-Oberst, was Sie immer nicht glauben wollen: die Wirkung der edlen Celtischen Natur. Der Fürst sah die Celtin mit der Empfindung, womit er ein höheres Wesen, einen Geist, erscheinen gesehen hätte: mit Ehrfurcht.“

Ei was! Ich sehe nichts weiter, als daß der Fürst jedem Eindrucke folgt. Eine gefährliche Eigenschaft! Der Eindruck verfliegt; ein andrer schöner Mund behauptet, es sey nicht so: und der Fürst vergißt Emilien wieder. Doch wir wollen das Eisen schmieden, weil es warm ist. Auf morgen Nachmittag lassen wir uns bei der Tante melden. Jetzt zittert sie und giebt uns Emilien; dann wollen wir dem Fürsten danken, daß es so gegangen ist.

„Ja, das wollen wir“, rief der Baron, und drückte dem Obersten die Hand. „Ich bin glücklich, daß ich Emiliens Auge nur ohne Thränen weiß. O, mein Vater! mehr als mein Vater! Emiliens Retter! wie dank' ich Ihnen!“

Der Oberst hatte mit seinem Urtheile über den Fürsten nicht Unrecht. Bald nach der Unterredung mit Emilien fuhr dieser zu seiner Geliebten, und erzählte ihr sogleich die kleine Begebenheit. „Nein, meine Liebe“, sagte er; „Sie haben in der That keinen Begriff von der ganz eigenen Schönheit dieses Mädchens. Sie war blöde. Aber denken Sie ja nicht an die Blödigkeit, die so albern aussieht, an die dumme Ziererei, die närrische, lächerliche Verlegenheit, mit der ein Landmädchen sich zum ersten Male der Fürstin und dem Hofe präsentiren läßt! Gar nicht. Es war liebliche, sehr liebliche Unschuld. Und was sie sagte, kam so tief, so ohne Zwang aus der Seele hervor, und war so schön gesagt, daß sie schon dadurch höchst interessant werden mußte. Glauben Sie mir, Sie haben sich arg von der Hausen betriegen lassen. Ich will meine Ehre zum Pfande setzen, daß dieses Mädchen so tugendhaft als schön ist. Man darf nur ihre Stimme hören. So etwas Interessantes, ein so reiner, so inniger Ton, ist mir noch nie vorgekommen. Glauben Sie mir, Liebe, wären Sie nicht mein – zu der stiege ich selbst ins Fenster, und wenn ich zuverlässig wüßte, daß ich den Hals brechen würde.“

Nun wahrhaftig, wo Sie doch die Augen zuweilen haben! Ein blasses, hageres Gesicht, ohne alles Feuer, ohne ...

„Aber das weiß ich: die Hausen ist kokett mit ihrer Tochter, wie sie es noch vor einigen Jahren auf ihre eigne Rechnung war; und so ein Gegenstück, wie Emilie, kann schaden. Geitzig ist die Frau dazu. Sie sollten nur die ärmliche Kleidung des Mädchens gesehen haben! Doch trotz der Kleidung eine Figur! o, eine Figur, so schlank, so edel!“

Die Geliebte suchte das Gespräch auf etwas Andres zu leiten; doch vergebens. Der Fürst fing immer aufs neue an von Emilien zu sprechen. Er saß sogar einige Minuten schweigend da, und dachte an sie; denn mitten im Nachdenken sagte er auf einmal wieder: sie ist wunderschön!

Mit einem solchen Enthusiasmus hatte der Fürst noch nie von einem Mädchen gesprochen. Der Frau von Koch wurde bange bei dem Handel, zumal da sie schon seit einiger Zeit gemerkt hatte, daß der Fürst in seinem Betragen gegen sie nachlässiger wurde. Sie zitterte, als er sagte: „ich werde mich genau erkundigen lassen, wie die Hausen das Mädchen behandelt. Zwar denke ich, jetzt recht gut: denn ich habe Emilien eine Karte an sie mitgegeben; allein ich werde sie nächstens selbst überraschen, um zu sehen, wie man meine Befehle achtet.“ Den ganzen Abend sprach er von nichts, als von Emilien. „Wenn Sie die Frau von Hausen sehen“, sagte er noch beim Abschiednehmen, „so eröffnen Sie ihr meine Meinung.“

Frau von Koch schlief sehr unruhig. Am folgenden Morgen fuhr sie ziemlich früh zu der Hausen, und war sehr artig, sehr freundlich. Sie kam bald auf Emilien, und horchte bei der Tante hin. Diese seufzte: was soll ich machen? Das Mädchen hat seinen Willen, und lacht mich obendrein aus. Die Koch lächelte. „Fürchten Sie Sich vor der Karte, die der Fürst Ihnen geschrieben hat?“ – Welche Karte? – Man erklärte sich, und Emilie mußte die Karte hergeben. Frau von Koch rückte immer näher. „Jetzt freilich“, sagte sie, „ist wohl eigentlich nichts zu thun. Der Baron wird uns Beide auslachen. Ich bedaure nur Ihr armes Jettchen, wenn er das Mädchen bekommt. Das wird am Hofe einen Lärm geben!“ – Ja, das Mädchen ist ordentlich zu meinem Unglück geboren, seufzte die Tante.

In diesem Augenblicke ließen der Oberst und der Baron sich auf den Nachmittag melden. Die Hausen sah die Frau von Koch verlegen an. „Sie müssen verbitten lassen, aber höflich!“ meinte diese. Die Hausen bedauerte; sie wünschte die Ehre auf ein andermal zu haben. Frau von Koch drang nun darauf, daß sie dem Baron Emilien abschlagen sollte. „Folgen Sie mir, Frau von Hausen; ich stehe für alles. Wenn Sie nicht Muth genug haben, so habe ich ihn. Geben Sie mir Emilien. Ich will sie fortschicken. Der Baron soll sie nicht bekommen, der unverschämte Geck! Und hier bleiben darf sie nicht. Nein, nimmermehr!“

Frau von Koch wurde noch besorgter, als der Fürst auch heute wieder anfing von Emilien zu sprechen. „Sind Sie bei der Hausen gewesen? Was macht Emilie? Wie gefällt sie Ihnen? Sie wird doch gut gehalten?“ So kam Frage auf Frage, bis Frau von Koch endlich ungeduldig wurde. Ja, sagte sie; ich habe das Mädchen gesehen. Sie ist niemals schlecht gehalten worden, und die Frau von Hausen beklagt sich bitter, daß Sie mit einer Karte, und obendrein mit einer unversiegelten, ihre Haushaltung und Kinderzucht reguliren wollen.

„Aber das Mädchen ist wahrhaftig unschuldig, liebste Frau von Koch! Sie sollten es nur gesehn haben.“

Nun ja; ermordet hat sie keinen. Sie hat einen Liebeshandel hinter dem Rücken ihrer Tante getrieben, der Oberst, Ew. Durchlaucht, mag auch sagen, was er will. Ins Fenster ist der Baron doch geklettert. Nun lassen Sie die jungen Herren und die jungen Mädchen nur erfahren, was vorgefallen ist. Man braucht nur hübsch seyn, zum Fürsten zu gehen, und bei ihm zu klagen, so schreiben Se. Durchlaucht dem Mädchen einen Erlaubnißschein, durch Thür und Fenster so viele Liebhaber zu sich kommen zu lassen, als es nur will. Das wird eine schöne Kinderzucht werden! So hab' ich heute schon an drei Orten gehört.

„Wie, meine schöne Frau? Das hätte Jemand gesagt? Nicht möglich!“

Warum nicht? Was wäre denn Unmögliches daran? Der Oberst hatte von dem reichen Baron ein Versprechen auf eine Pension von dreihundert Thalern jährlich bekommen. Dafür, hieß es, sollte er Emilien zu sich nehmen; denn das Mädchen zu heirathen, fiel dem Baron erst hinterher ein. Er wollte Emilien bei dem Herrn Obersten besuchen. Da war freilich keine Tante mehr, die ihn auffing, wenn er Nachts in das Fenster stieg. So stand es. Und nun geht auf einmal in der Stadt das Gerede, Se. Durchlaucht haben der Hausen befohlen, ihres Bruders Tochter schalten und walten zu lassen. Die Hausen ist eine Plaudertasche, und boshaft dazu. Da setzt sie sich hin, erzählt von Ihrer allerliebsten Karte und verdreht aus Bosheit den Sinn Ihrer Worte. Ich möchte immer in die Erde sinken, wenn ich solche schiefe Urtheile über Ew. Durchlaucht hören muß.

Der Fürst runzelte die Stirn. „Aber, wer mich kennt – und meine Unterthanen kennen mich ja –, der wird doch wissen, daß ich kein toller Tyrann bin, der den Eltern in ihre Erziehung greifen will!“

Ja, wer kennt Sie denn so, wie ich!

„Was konnte ich denn anders thun? Das Mädchen redete wie ein guter Geist; der Oberst wie ein Buch. Ich hätte darauf schwören wollen, und will es noch, daß Emilie unschuldig ist.“

O ja, das geb' ich zu. Wie gesagt, die Hausen ist boshaft und geitzig; sie mag das arme Mädchen genug gequält haben: denn sie wünschte sich den reichen Flaming zum Schwiegersohn. – Davon rede ich nicht; sondern von dem tollen Geschwätze, das in der Stadt auf Ihre Rechnung umherläuft. Ich habe mir heute schon das undankbare Geschäft gemacht, an drei Orte hin zu fahren, und dem Geschwätze laut zu widersprechen. Lassen Sie sich doch, sagte ich überall, von der Hausen die Karte Sr. Durchlaucht zeigen; eher müssen Sie nicht glauben.

„Nun, die Hausen wird das thun.“

Das wird sie nicht. Hier ist die Karte. Es hat mir Mühe genug gekostet, sie der Frau aus den Händen zu schwatzen.

Der Fürst nahm die Karte und zerriß sie. „Sie sind eine liebenswürdige Frau! Aber was ist nun anzufangen?“

Das Böse wieder gut zu machen, so viel es sich thun läßt. Der Baron kann für jetzt Emilien schlechterdings nicht bekommen. Wer weiß im Grunde auch, ob er sie will! Der Mensch ist ein Narr, und ich glaube, ein böser Mensch obendrein.

„Das glaube ich nicht, meine Liebe. Ein Narr, das gebe ich zu, mit seinen Menschen-Racen. Aber ein Mann, der den Armen so viel Gutes thut, und jedem Unglücklichen Hülfe und Schutz giebt, ist kein Bösewicht, gewiß nicht! Gäbe doch der Himmel, daß alle meine Unterthanen solche Bösewichter wären; ich wollte viel mit ihnen ausrichten!“

Nun, Emilien kann er fürs erste doch nicht bekommen, oder Sie beleidigen Ihr Kabinet, Ihr Konsistorium, und, was noch schlimmer wäre, sich selbst. Die ganze Stadt weiß, was erst vor einigen Tagen geschehen ist.

„Freilich wohl, es ist ein fataler Handel. Ich wollte, der Baron hätte das Mädchen, und ich wäre aus dem Spiele.“

Auch muß er sie haben; denn warum sollte man das Mädchen, dem hämischen Neide der Frau von Hausen zu gefallen, nicht glücklich machen? Aber nur jetzt nicht. Bleibt Emilie hier, so hat der Baron ja Ihre Einwilligung. Er entführt das Mädchen vor den Augen der Tante, und beruft sich dabei auf Sie. Was wollen Sie dann machen?

„Ei, die Frau von Hausen wird ja ein Mädchen hüten können! Nur so lange, bis die Sache sich verblutet hat.“

Da dauert mich wieder das Mädchen, das die Hölle in dem Hause haben würde. Doch lassen Sie mich nur machen. Die Tante muß ihren Willen nicht haben, und Ihr Wort soll gerettet seyn.

„Sie sind wahrhaftig die klügste Frau von der Welt. Machen Sie nur, Liebe, daß Niemanden wehe geschieht. Jede Klage meiner Unterthanen scheint mich zu treffen; und wenn ich es bedenke, so ist es auch so: denn bin ich nicht der Fürst, der Vater des Landes? Hören Sie, daß ja Niemanden wehe geschieht!“

Der Fürst war, wie diese Unterredung deutlich zeigt, ein recht guter, obgleich ein sehr schwacher, Mann. Auch umgaben ihn keine Bösewichter; nur Menschen, und in manchem Betrachte sogar gute Menschen. Selbst Frau von Koch war nicht schlecht. Man hatte Mühe gehabt sie in des Fürsten Arme zu liefern. Seitdem sie sich ihm auf vieles Zureden einmal ergeben hatte, betrachtete sie sich als seine Gattin, und war ihm pünktlich treu. Aus diesem Gesichtspunkte her hielt sie sich selbst für das züchtigste Weib im ganzen Fürstenthume. Sie konnte Beleidigungen ertragen; doch war sie unversöhnlich, wenn man ihre Tugend nur in den geringsten Zweifel zog. Aber nie mischte sie den Fürsten unmittelbar in ihre Händel. Sie nutzte sein Ansehen, um sich zu rächen; doch schonte sie dabei seiner Ehre. Der Fürst wußte das, und setzte um so größeres Vertrauen in sie.

Der Baron hatte sie „eine H..e“ genannt. Das glaubte sie um so fester, da er sie, wie jede Brünette, in Gesellschaften sehr nachlässig behandelte. Was Wunder, daß sie alles aufbot, den ersten Wunsch des Barons, Emiliens Besitz, zu vereiteln! Aber, dachte sie, die arme Emilie! Nun ich halte sie ja dadurch schadlos, daß ich sie von ihrer bösen Tante wegbringe. Mit ihrem Gesichte und ihrer Figur bekommt sie noch immer einen Mann, der klüger ist, als der Baron. Hier bleiben kann sie nun einmal nicht; ich muß sie dem Fürsten aus den Augen schaffen.

Am folgenden Tage machte die Tante Hausen der Frau von Koch ihren Gegenbesuch, und hörte von ihr, daß der Fürst es gern sähe, wenn Emilie entfernt würde. Die Tante hatte nichts dagegen; nur bat sie, Emilien gut zu halten, weil sie doch ihres Bruders Tochter wäre. Frau von Koch lächelte, und sagte ein wenig boshaft: „seyn Sie unbesorgt. Ihre Nichte soll wenigstens nichts verlieren.“

Nun wurde ein Plan verabredet, von dem selbst Jettchen nichts wissen sollte. Am nächsten Morgen mußte diese einen Besuch machen, und Frau von Hausen ging mit Emilien spazieren. Vor dem Thore begegnete Frau von Koch diesen Beiden, und lud sie auf ihr Gartenhaus ein. Man unterhielt sich sehr angenehm, und Frau von Koch bat nun beide Damen zu Tische. Die Tante konnte nicht, weil sie in Gesellschaft mußte; Emilie aber blieb, mit ihrer Genehmigung.

Sobald die Koch, in der That eine sehr liebenswürdige Frau, mit Emilien allein war, fing sie an mit ihr zu plaudern, machte sie treuherzig, ließ sich erzählen, und vergoß wirklich aufrichtige Thränen des Mitleidens. Bald drückte sie die arme Verlassene an ihre Brust, streichelte ihr die Wangen, und trocknete ihr die Augen; kurz, nach einer Stunde hatte sie Emiliens ganzes Herz.

Beide aßen allein in einem Kabinette von Rosensträuchen. Seyn Sie heiter, liebe Emilie, sagte Frau von Koch; hier wird Ihnen nichts zu leide geschehen. – „Ach“, erwiederte Emilie, „könnte ich hier, oder an irgend einem andern Orte der Erde, der so schön wäre, wie dieser, immer leben!“ – Frau von Koch schloß das Mädchen in ihre Arme, und sagte: höre, liebe Emilie, sey meine Tochter, – oder meine Schwester, was du am liebsten willst. Du bist sechzehn Jahre, ich sechs und zwanzig. Das ist kein großer Unterschied. Schwester also. Oder willst du lieber Tochter? – „Tochter!“ stammelte Emilie; und die Frau von Koch hatte eine Thräne im Auge. – Nun wohl, meine Liebe. Also von nun an meine Tochter! ... Deine Tante, gutes Kind, haßt dich. Sie glaubt, du habest Jettchen um den reichen Baron gebracht; und das vergiebt sie dir nie. Seit vorgestern war freilich alles in einem ziemlich guten Geleise. Der Oberst Brensen hatte das Eis gebrochen. Aber, sag mir, liebst du wirklich den Baron so innig? Dann wäre mein Plan nicht viel werth.

Emilie antwortete gutmüthig: „ich liebe ihn; denn er wollte mich ja von der Sklaverei meiner Tante befreien. Ach, gnädige Frau!“

Mütterchen, willst du sagen.

„Mütterchen, Sie liebt jedermann; aber ich Arme, ich hatte auf der weiten Welt keinen Menschen, der mich liebte, der zu meiner Rettung nur einen Finger bewegt hätte. Glauben Sie mir, Mütterchen, manchmal war ich beinahe überzeugt, der Himmel müsse sich meiner annehmen und mir einen Retter schicken. Ach, wie will ich ihn lieben! dachte ich. Da kamen der Baron und der Oberst. – Sie wissen es nicht; nein, Sie können es nicht wissen, wie einer Verlassenen ist, wenn sie nun endlich Jemanden findet, der ihr Liebe zeigt.“

Die Frau von Koch trocknete sich die Augen. Beinahe hätte der Baron gesiegt; sie wankte schon sehr stark.

„Sehen Sie“, fuhr Emilie fort; „meine Tante verdrehet mir alles. Ich hatte den Baron von ungefähr auf dem Weidendamme getroffen; und nun, o Gott! nun schalt sie mich ein liederliches Mädchen, nannte mich öffentlich so. Denken Sie nur!“

Der Entschluß der Frau von Koch wurde wieder fest. Der Narr, dachte sie, hat mich eine H..e geheißen; er soll sie nicht haben! Er soll nicht! Eine krummbeinige H..e! Hat der Narr meine Beine je gesehen?

Ja sieh, liebes Töchterchen, wie es steht. Der Baron ... Gut, ich will glauben, daß er dich liebt. Aber heirathen? Ich zweifle, ob es gehen wird. Der Fürst hat es ihm schlechterdings untersagt; und wenn er es auch jetzt, da er dich kennt, erlauben wollte, so kann er doch nicht gut, eben weil er es verboten hat. Die Hausen dringt mit aller Gewalt darauf, daß der Baron dich nicht haben soll. Was läßt sich nun machen? Es ist ein dummer Handel. Und zu jung bist du im Grunde auch wohl. Nach einigen Jahren, freilich, da ließe sich eher etwas thun. Aber du willst nicht warten.

Emilie erröthete. „Nicht warten, liebste Mutter? O, sagen Sie das nie wieder! Warten will ich noch zehn Jahre, ja Lebenslang, wenn ... wenn ich ... nur nicht mit der Tante leben muß.“

Gut, liebe Emilie; so fasse einen raschen Entschluß. Aber Kind, schweigen mußt du; oder du machst mich unglücklich!

„Schweigen wie das Grab, liebste, gütigste Mutter.“

Ich habe heimlich ein Gut gekauft in der schönsten, angenehmsten Gegend der Welt. Da will ich meine Tage beschließen. Vielleicht ziehe ich bald, sehr bald dorthin, oder bin gezwungen es zu thun. Dahin geh, Emilie. Baue, verschönere das Paradies, das du dort finden wirst. Ich habe dort einen Verwalter, und weiß nicht, ob er mir treu ist, noch weniger, ob er die Unterthanen drückt. Sey die Aufseherin des Mannes, und die Mutter der Armen und Unglücklichen. Bringe alles in Stand. Ich hoffe und fürchte (setzte sie mit Thränen hinzu), ich werde dir bald nachkommen ... Du sollst alles erfahren, Emilie (fuhr sie nachdenkend, und mit niedergeschlagenen Augen fort); denn auch ich bedarf Liebe. Du kennst den Fürsten. Der Staat gab ihm eine Gemahlin; die Liebe gab ihm ein Weib, mich. Ach! ich liebte ihn, und liebe ihn noch. Ich zittre vor dem Augenblicke, da der Tod oder seine Untreue ihn von mir trennen wird; und doch kann dieser Augenblick schon nahe seyn. Gott Lob! ich habe nie einen Menschen beleidigt, nie die Gelder des Staates verschwendet, nie jemanden gedrückt. Aber dennoch weiß ich, daß ich verachtet und gehaßt seyn werde, so bald er stirbt, oder aufhört mich zu lieben. Auf diesen Fall, Emilie, habe ich mir das Gut gekauft, sogar ohne des Fürsten Wissen. Dort will ich einst meine Thränen verbergen. Dorthin, Emilie, geh, daß ich dann eine Freundin finde, an deren Busen ich weinen kann.

Frau von Koch, die jetzt einen von ihren schwärmerischen Augenblicken hatte, zerfloß bei diesen Worten in Thränen, drückte Emilien an ihr Herz, küßte sie, und war außer sich. Emilie hing, wie alle Unglücklichen, auch ein wenig zur Schwärmerei hin, und weinte mit ihrer schönen Mutter. „Ja“, sagte sie: „ich will hin; Sie sollen dort ein Paradies finden, und ein Herz, das keine andere Freude kennen wird, als Sie zu erheitern.“

Die Domestiken nahmen nun das Essen ab, und man plauderte von dem Wetter. Nach dem Kaffee überlegte man alles gehörig. Die Erlaubniß deiner Tante habe ich, Emilie. – „Und der Baron, und der Oberst?“ – Schreib ein Billet, und nimm darin auf einige Jahre Abschied. So hast du obendrein den Vortheil, die Treue deines Geliebten prüfen zu können.“

Frau von Koch mahlte die letzte Vorstellung noch aus, und Emiliens warme Phantasie ergriff sie lebhaft. „Ja“, sagte diese, „ich werde, wenn er mir treu bleibt, die seltene Gewißheit haben, daß er mich wirklich liebt. Aber, Mütterchen, wenn der Baron nun glaubte, mein Billet wäre erzwungen! Er trauet meiner Tante alles zu; sie könnte also Verdruß davon haben.“

Beide waren jetzt zu allen romantischen Planen gestimmt. Frau von Koch schlug vor, und fand bei Emilien keinen Widerspruch. Sie ließ einen Miethswagen holen. Emilie stieg am Thor ein, hielt ein von ihr geschriebenes Billet in der Hand, und fuhr vor des Barons Haus. Ein sehr treuer Bursche der Frau von Koch, der, in einem Ueberrocke, hinten auf dem Wagen stand, ging hinein. „Herr Baron, eine Dame will Sie auf einen Augenblick sprechen. Sie hält unten im Wagen vor der Thüre.“ Der Baron sprang hinunter. Emilie lächelte ihm aus dem Wagenfenster zu, und reichte ihm die Hand, die er küßte. Sie gab ihm ihr Billet mit den Worten: „lesen Sie das, Herr Baron, und folgen Sie mir nicht.“ Nun fuhr der Wagen schnell wieder weg. Der Baron sah ihm nach, bis er verschwand, und ging dann langsam auf sein Zimmer. Es war Emilie! rief er dem Obersten entgegen; und hier ist ein Billet von ihr. Er riß es auf, und las:

„Ich verlasse Sie auf einige Zeit, mein theuerster, großmüthiger Freund: freiwillig; denn ich brachte Ihnen mein Lebewohl selbst. Seyn Sie nicht unruhig meinetwegen; ich bin glücklich. Sie lieben mich, und ich kenne keine größere Freude, als Ihnen die Treue aufzubewahren, die Ihnen mein Mund und mein Herz jetzt freiwillig geben. Von meinem zweiten Vater, dem Obersten, nehme ich mit Thränen Abschied. Sagen Sie ihm, daß ich zufrieden leben werde, bis mein vollendetes Glück mich Sie wieder finden läßt. Wir sehen uns wieder. Ihre treue Emilie.“

Der Baron konnte vor Stammeln das Billet kaum auslesen. Was, in aller Welt, ist das? rief der Oberst. Wo war sie? wer saß bei ihr im Wagen? – Der Baron erzählte. – Ganz allein? So hat man sie nicht gezwungen, das Billet zu schreiben. Aber warum verläßt sie uns? – Jedes Wort in dem Billet wurde nun abgewogen, untersucht; doch man kam damit nicht weiter.

Emilie war nun wieder zu der Frau von Koch gefahren, und diese hatte während der Zeit alles Nöthige zu ihrer Reise besorgt. Nachts um zwölf Uhr stiegen Beide in den Wagen: die Frau von Koch in schwermüthigem Nachdenken; Emilie mit fröhlichem Herzen, weil die schönsten Bilder eines freien, heiteren, dem Wohlthun gewidmeten Lebens in bunten Farben vor ihrer Seele schwebten.

Als der Morgen anbrach, fand Emilie einen kleinen Wagen, der voraus gegangen war, und trennte sich nun von ihrer Freundin mit heißen Thränen. Sie fuhr, in Begleitung eines alten Bedienten, den die Frau von Koch in Ruhe setzen wollte, mit Postpferden weiter, und die letztere kehrte zurück.

Niemand in der Stadt konnte errathen, wo Emilie geblieben war. „Nun wird mir der Oberst Brensen wieder zusetzen!“ sagte der Fürst verdrießlich zu der Frau von Koch. „Das arme Mädchen muß sich aus einem Winkel in den andern werfen lassen, weil Sie eine Grille im Kopfe haben!“

Der Oberst wird Ihnen nicht zusetzen! Für Sie und Ihre Ehre habe ich gesorgt, so viel es mir auch gekostet hat. In acht Tagen sollen Sie einen Brief von Emilien lesen, woraus Sie sehen werden, daß sie ganz gern in dem Winkel ist, in den ich sie gestoßen habe. Meine Grille führte ich aus, um mir tausend andere zu ersparen, wozu ich leicht hätte Anlaß bekommen können. Es ist alles so besser. Wir, die Hausen, ich, und Emilie selbst, sind zufrieden; es wäre doch seltsam, wenn Sie allein unzufrieden wären. – Der Fürst schwieg, las wirklich nach acht Tagen einige Worte von Emilien, war zufrieden, und – vergaß sie.

Der Baron allein und der Oberst waren unzufrieden. Ha! sagte dieser eifrig; dahinter steckt etwas. Emiliens Entschluß wegzureisen, kommt nicht von ihr selbst; sie ist viel zu einfach, um solche seltsame Einfälle zu haben. Ich setze meinen Kopf daran, die Tante ist im Spiele.

„Sie soll es gewiß verlieren! Ich will nicht eher ruhen, als bis ich Emilien finde.“ So sprachen Beide bis um Mitternacht hin. Am folgenden Morgen setzte sich der Baron zu Pferde, und sprengte die Straße hinunter, die Emilie gefahren war, zum Thor hinaus. Nicht weit davon theilte sich der Weg. Der Baron legte, weil er keine Gründe zur Wahl hatte, seinem Pferde den Zügel auf den Hals; und es ging gerade aus. Nun fragte er jeden Menschen, der ihm begegnete, ob er nicht einen Wagen mit einem Frauenzimmer gesehen habe; galoppirte hinter jeder Kutsche her, die er bemerkte, sah in jedes Kutschfenster, und – erfuhr nichts.

So ritt er acht Tage auf allen Landstraßen die Kreuz und Quer, und erregte bei seinem Reitknechte den Argwohn, es müsse mit seinem Kopfe nicht richtig seyn. Abgemattet kam er endlich wieder zurück, und rief dem Obersten betrübt zu: „ich habe sie nicht gefunden!“ – Wo haben Sie Emilien denn gesucht?“ – „Ueberall; in jedem Wagen, dem ich begegnete.“ – Aber Sie müssen doch irgend eine Vermuthung gehabt haben, der Sie nachgeritten sind; sonst ...

„Nein, die hatte ich freilich nicht. Mein Engländer wird an den Kreuzzug denken! ... Sie ist verloren!“

Jetzt theilte der Oberst ihm seine Vermuthungen mit. Er hatte Lieschen auf Kundschaft ausgesandt, und durch sie erfahren, daß Frau von Koch bei der Hausen, und dann diese wieder bei der Frau von Koch, gewesen war. Lieschen wußte auch, daß beide Damen mit großem Eifer von Emilien gesprochen hatten. Dann war Emilie mit ihrer Tante spazieren gegangen, und seitdem nicht zurückgekommen. Nun wurde der Miethkutscher ausgefragt. Er hatte das Fräulein vor dem Neuthore abgeholt, und es auch wieder auf eben die Stelle hingefahren. Vor diesem Thore lag das Gartenhaus der Frau von Koch, und Emilie hatte da gegessen. Frau von Koch war in der Nacht verreist, und erst am Mittage zurückgekommen. Wohin aber? das konnte man nicht heraus bringen, weil der Kutscher, der sie gefahren hatte, völlig verschwiegen war. Kurz und gut, sagte der Oberst, Frau von Koch hat Emilien weggebracht.

„Sehen Sie nun wohl?“ rief der Baron. „Dachte ich es doch! Die Frau hat pechschwarzes Haar, dicke Lippen, eine ganz Slavische Nase, einen Fuß, so klein wie eine Chinesin, und Zähne wie Alabaster!“

Aber zum Teufel, die Tante! Was hat denn die? Blondes Haar, und gar keine Zähne!

„Aber dicke Lippen, und einen Leib wie eine Trommel. Sie ist eine Spielart, wie eine Schecke.“

Warum hatte denn aber die Allerwelts-Slavin, die Koch, nicht den gehörigen natürlichen Respekt für Emiliens edle Celten-Natur? He?

„Keinen Respekt? Hat sie es denn gewagt, Hand an Emilien zu legen? Ueberlistet wurde das arme Mädchen, daß sie mich freiwillig verließ. Gewalt würde sie gegen Emilien nie gewagt haben.“

Nun, bei Gott! brummte der Oberst vor sich; einem Thoren fehlt es doch nie an einer Antwort! ... Meinetwegen! sagte er laut. Die Frau von Koch soll zuweilen Anfälle von Großmuth haben, und sie alsdann sehr weit treiben. Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, und Emilien liebte, ich suchte die Freundschaft der Frau zu gewinnen.

„Ja, liebster Oberst, das will ich!“

Und lassen Sie das ewige Schimpfen auf schwarzes Haar, und so weiter. Bis jetzt haben Sie Sich dadurch nur Feinde gemacht.

Der Baron versprach, weil er Emilien liebte, was der Oberst verlangte. Er drängte sich in alle Gesellschaften, wo er die Frau von Koch zu finden hoffen konnte, bezeigte ihr viele Aufmerksamkeit, und hütete sich vor allen Ausfällen gegen schwarzes Haar und volle Busen. Frau von Koch näherte sich dem Baron nach und nach, zumal da Emiliens schwärmerische Briefe fast nur ihn betrafen. Sie machte auf einmal die Bemerkung, daß Flaming kein so übler Mann wäre, als man ihn ihr geschildert hätte. Und wie schnell that sie ihm Schritte entgegen, als sie ihn einmal eine ihr sehr wichtige Meinung mit unverstelltem Enthusiasmus vertheidigen hörte!

Man sprach von einem jungen Manne, der ein Mädchen ohne Vermögen und von geringer Herkunft geheirathet hatte. Der Mensch ist ein Narr! hieß es. „Aber ich sehe doch nicht“, sagte Flaming, „warum er ein Narr seyn soll.“ Man setzte alle Gründe auseinander. „Wie?“ rief Flaming mit Eifer; „deswegen? Bei Gott! Sie müssen hier eine sonderbare Vorstellung von der Ehe haben. Wenn ich bedenke, was die Ehe nach den heiligen Gesetzen der Natur, die sie den edleren Völkerstämmen tief in die Seele drückte, seyn soll, so muß ich behaupten, daß tausend förmlich kopulirte Paare nicht in der Ehe leben. Der heirathet, um ein Haus zu machen; der, um bequeme Tage zu haben; jener aus politischen Gründen; dieser aus Geitz; ein Anderer, um in eine mächtige Familie zu kommen; Tausende, weil es Mode ist; Tausende aus Wollust. Sind das Ehen? Wenn man sie so nennt, bei Gott! so mißbraucht man einen der heiligsten Nahmen. Werfen Sie Ihre Augen auf die elendesten Völker der Erde. Sie heirathen alle aus eben diesen Gründen: die Mongolen, um Sklavinnen an ihren Weibern zu besitzen; die Morgenländer, ihre thierische Wollust zu befriedigen, oder um Nachkommen zu hinterlassen; die Amerikaner aus Trägheit, oder um doch auch ein Weib zu haben, wie Andre, so kalt sie auch sind. Lesen Sie den Gumilla oder den Charlevoix darüber. So sind die Ehen der allerverächtlichsten Völker auf dem Erdboden: von Eitelkeit, Hochmuth, Geitz, Tyrannei und Wollust gestiftet. Darum herrscht dort auch die Vielweiberei, und hier, wo man die Sitten dieser elenden Menschen nachahmt, die Untreue. Nein, die heilige, sanfte Flamme reiner Liebe, gegenseitiger Achtung und Freundschaft, das uneigennützige Vertauschen der Herzen gab die Natur nur ihren Lieblingen, den edelsten Menschen. Bei denen fragt der Mann seine Geliebte nicht: welchen Rang hast du? wie groß ist dein Vermögen? wirst du Kinder gebären können? hast du Reitze, die Wollust zu befriedigen? Er schauet dem holden, sittsamen Mädchen durch das Auge in die Seele, und fragt nur: bist du edel gesinnt wie ich? hast du die Tugend der edelsten Menschen? fließt dein Blut so rein wie das meinige durch dein Herz? liebst du mich, um mir alles in der Welt aufopfern zu können, das Scepter über die Erde für eine Hütte, in der ich lebe? Antwortet das Mädchen ihm Ja, schlingt es den Arm um seinen Hals, und drückt ihn an die keusche Brust, so ist die Ehe geschlossen. Die Natur beugt sich lächelnd und segnend auf die Liebenden herab; und dies ist die einzige wahre Ehe, im schönsten Sinne des Wortes. So heiratheten unsere edelsten Vorfahren; und darum wohnten Keuschheit, Zufriedenheit, Freiheit und Tugend mit ihnen in ihren Eichenwäldern.“

Aber unsere Vorfahren verboten ja die Mißheirathen. Kein Adeliger durfte eine Bürgerliche zur Gattin nehmen.

„Ganz recht. Aber damals enthielt der Adel den edelsten Menschenstamm, und war vollkommen tugendhaft. Doch wie ist er jetzt von seiner Höhe herabgesunken! Man sieht ja ...“ Hier brach er ab; er wollte sagen: eben so viele Schwarzköpfe unter dem Adel, als Blondköpfe unter den Bürgern. Doch zum Glück dachte er an die Frau von Koch, die ihm mit großem Wohlgefallen zuhörte. – „Jetzt“, fuhr er fort, „wohnt die Tugend überall; und wohl dem, der sie zu finden weiß! Nach den Gesetzen der Natur könnte jetzt ein Fürst sein Herz einem Bauernmädchen anbieten; und die Natur, die Vorsehung, die Vernunft, alle Schutzgeister der Menschen würden diese Ehe rechtfertigen.“

Frau von Koch erröthete vor Freude. Ja, dachte sie triumphirend, so ist es; so bin ich des Fürsten Weib, und die Fürstin ist – die Fürstin. Von diesem Augenblicke an war des Barons Glück bei ihr beschlossen. Sie schrieb an Emilien ganze Seiten voll, über den guten, liebenswürdigen Flaming; und sie hätte sogleich Emilien wiederkommen lassen, wenn ihr nicht die Vorstellung schwer geworden wäre, das Mädchen, das sie wirklich liebte, zu verlieren. Der Baron rückte täglich in ihrer Gunst so sichtbar vorwärts, daß er selbst die schönsten Hoffnungen faßte. Frau von Koch fing sogar schon freiwillig an, mit ihm von Emilien zu sprechen. Sie scherzte mit ihm, zeigte ihm mitunter schon, wenn er mit ihr allein war, einige Zeilen aus Emiliens Briefen; und diese Zeilen machten seine Liebe noch stärker: denn Emilie sprach von ihm mit einer Schwärmerei, wie ein reines Herz voll Liebe und Dankbarkeit sie immer hat. Er schrieb schon an den Obersten, der wieder abgereist war, sein Triumphlied. Aber auf einmal brach er selbst allen Umgang mit der Frau von Koch ab. Er war kalt, mißtrauisch gegen sie, und überlegte jetzt alles, was er ihr sagte, äußerst sorgfältig. Frau von Koch drang in ihn: er sollte ihr sagen, womit sie ihn beleidigt hätte; aber er zog dabei allemal die Stirn kraus, und schwieg.

An den Obersten schrieb er: „Liebster Oberst, ich habe meinen Umgang mit der Frau von Koch, von dem Sie Sich so viel versprachen, aufgeben müssen. Sie ist viel zu wollüstig, als daß ich ihr je trauen könnte. Ich habe sie einmal beleidigt; und ein Wollüstiger ist durchaus unversöhnlich. Emilien erwarte ich von der Hand des Schicksals, von ihr selbst, und von ihrer Liebe zu mir. Warum soll ich auch aus den Händen einer elenden Buhlerin ein Geschenk annehmen, das sie nur beflecken kann? Nein, ich traue jedem Menschen, nur dem Wollüstlinge nicht; er kann nicht vergeben. Ich trage geduldig, mit Fassung; aber Emilie ist mein: das fühl' ich wie mein Daseyn.“

Was den Baron auf einmal so umgestimmt hatte? Er las, ich weiß nicht in welchem Buche: „übergebogene Nägel auf den Fingern von sehr todtenweißer oder blauer Farbe, wären ein untrügliches Zeichen von der Liederlichkeit eines Weibes.“ Jetzt nahm er in jeder Gesellschaft, so viel er nur konnte, die Hände aller Mädchen, und besah die Nägel auf ihren Fingern sehr aufmerksam. Fast überall glaubte er todtenweiße oder blaue Nägel zu finden, und erstaunte nun über die Zügellosigkeit der Sitten unter dem weiblichen Geschlechte. „Hm!“ sagte er, wenn von einem Mädchen die Rede war: „ihre Unschuld ist dahin; denn ihre Nägel, ihre Nägel!“ Das wurde bekannt. Nun liefen die Mädchen vor dem Baron, als ob er die Pest hätte. Die jungen Herren machten es ihm nach; und seitdem trugen die Mädchen in Gesellschaften Fingerhandschuhe: nicht aus bösem Gewissen, sagten sie; aber wer will sich immer taxiren lassen!

Der Baron hatte auch die Nägel der Frau von Koch besehen, und sie übergebogen, sehr todtenweiß gefunden. Er sagte nichts, und dachte bloß: „Hm! bei der ist es kein Wunder; sie ist eine Slavin, und muß also wollüstig seyn. Wenn doch nun der Oberst noch hier wäre, und mit eignen Augen sähe, wie mein System so gänzlich zutrifft!“

Der Baron hatte jetzt keine schlechtere Meinung von der Frau von Koch als vorher. Aber er las gerade damals Cromwells Leben. Die Freunde dieses Usurpators riethen ihm, sich mit Karln II. zu vergleichen, ihm die Hand seiner Tochter und mit ihr die Krone zu geben. Cromwell überlegte den Vorschlag sehr lange. „Nein“, sagte endlich dieser Kenner des menschlichen Herzens: „nein, Karl Stuart wird mir nie verzeihen; auch wenn er wollte, auch wenn er es verspräche. Er ist unversöhnlich, und ich darf ihm nie trauen; denn er ist ein Wollüstling.“ Der Baron begriff nicht, warum ein Wollüstling unversöhnlich seyn müsse; aber eben darum hatte diese Maxime so großen Reitz für ihn, und er wünschte sich eine Gelegenheit, sie wieder anzubringen. Jetzt dachte er an die übergebogenen Nägel der Frau von Koch. „Nein“, sagte er; „ich kann ihr nie trauen: denn sie ist ein wollüstiges Weib!“, und so brach er allen Umgang mit ihr ab.

Vielleicht wäre dennoch alles gut gegangen, wenn er nur hätte schweigen können. Man fragte ihn um die Ursache seines Bruches mit der Frau von Koch. Er äußerte, was er dem Obersten geschrieben hatte: „ich habe die Frau von Koch einmal beleidigt. Sie ist, wie ihre Nägel beweisen, wollüstig, und also durchaus unversöhnlich. Traue ihr, wer will; ich nicht!“

Ein junger Mann, der sich einbildete, daß der Baron Flaming durch die Frau von Koch ein Amt suchte, welches er selbst gern haben wollte, wußte ihr diese Aeußerung zu hinterbringen. Man denke an ihre Empfindlichkeit in dem Punkte! Daß dieses Urtheil von dem Baron herrühre, daran konnte sie nicht zweifeln; denn sie erinnerte sich genau, daß er auch ihre Nägel besehen hatte. O, dachte sie; der elende Heuchler! Erst nennt er mich eine reine, unschuldige Seele, meine Verbindung mit dem Fürsten eine Ehe, welche die Natur mit lächelnden Blicken heilige; und jetzt? – Der elende Bösewicht geht umher, und nennt mich ein liederliches Weib, eine wollüstige Kreatur. Nein, er soll Emilien nicht haben!

Sie verbarg nun ihren Haß gegen den Baron gar nicht mehr, sondern zeigte ihn öffentlich. Hierauf hatten seine zahlreichen Feinde nur gewartet, um ihm allen ersinnlichen Verdruß zu erregen. Er mochte nun thun, was er wollte; alles wurde schief ausgelegt und verlästert. Der Baron schrieb an den Obersten:

„Wie sehr hatte ich Recht, daß ich mich von der Koch trennte! Ein wollüstiges Weib ist unversöhnlich. Alles hat sich gegen mich verschworen. O, Sie glauben nicht, wie viel Slavisches Blut hier fließt! Und wenn ich noch nicht von meinem System überzeugt gewesen wäre, so würde ich es jetzt seyn. Die Koch mit ihrem schwarzen Haare, der Geheimerath mit seinem dicken Bauche, Jettchen mit ihrem Lappländischen Busen, und die Hausen mit ihren Negerlippen machen mir so viel Verdruß, daß ich meines Lebens nicht mehr froh werde. Wehe! wehe! daß die Slaven in Deutschland eindringen mußten! Wenn mich Emilie nicht hielte, glauben Sie mir, ich zöge heute nach Biscaya oder Asturien, und schlüge meine Hütte dort auf, wo jeder, auch der Viehhirt, ein Edelmann ist; ich zöge in eins von den beiden Ländern, in denen man das Celtische Blut noch allein unvermischt und rein antrifft, so rein, wie es vielleicht vor Jahrtausenden in den Adern der Einwohner vom Kaukasus floß: unter die Menschen, die Spanien seinen Stolz nennt, unter die edlen Biscayer. Ach, jetzt sehe ich erst, wie recht Sie einmal hatten, als Sie in Scherz sagten: ‹man sollte jede Ehe zwischen einem Blondkopf und einem Schwarzkopf als Blutschande verbieten; und jeden Mann, der Mongolische Kennzeichen an sich trüge, ließe ich, wenn ich Fürst wäre, in meiner Kapelle Diskantsänger werden.› Das wäre Aufklärung, wahre Menschlichkeit; und wenn nun einmal stehende Heere nothwendig sind, so müßte in meinem Lande jeder Schwarzkopf Soldat werden. Sie bewundern jetzt den großen König; ich bewundre ihn mit Ihnen. Aber betrachten Sie seinen Kopf, sehen Sie seine himmelblauen, großen, schön gespaltenen Augen, sein blondes Haar, seine edle Nase; dann werden Sie den Muth begreifen, womit er seine Feinde besiegt, und die Weisheit, womit er seine Völker glücklich macht. Er ist ein reiner Celte. Leben Sie wohl. Ich bleibe Emilien treu: das ist alles, was ich Ihnen sagen kann.“

Den Entschluß, die Residenz zu verlassen, hatte Flaming schon gefaßt; nur wußte er noch nicht, wohin er sich wenden, und was er unternehmen sollte. Er machte tausend Plane, und verwarf sie alle wieder. Eines Abends fiel ihm beim Lesen eines Buches folgende Stelle in die Augen: C'est à la campagne, que les écrivains acquièrent plus de noblesse et d'élevation dans les idées, deviennent plus forts et plus touchans; c'est-là que se developpent toutes les forces de l'âme 1). Diese Stelle wirkte mit großer Gewalt auf ihn. Er stützte den Kopf in die Hand, und las sie noch dreimal. Schon längst war er Willens gewesen, seine Ideen über die verschiednen Menschen-Racen zu Papier zu bringen, und hatte sogar schon angefangen; aber es fehlte ihm an Erhabenheit, und seine Ideen blieben so kalt. Hier wurden ihm nun Stärke, Rührung und Erhabenheit versprochen. Verwirrte Bilder eines philosophischen, ruhigen, gelehrten Lebens auf dem Lande, erhellt von dem Glanze eines unsterblichen Ruhms, flogen durch seinen Kopf. „Aber“, dachte er, „da wird dich niemand sehen, als die wenigen Bauern, die nicht wissen, wer du bist; die in dir nur ihren Gutsherrn, und nie den Mann achten, der die größte Revolution auf der Erde bewirken will: nehmlich das Laster, den Aberglauben in ihren Quellen zu verstopfen, und die Reinheit des menschlichen Geschlechtes wieder herzustellen.“ Er schüttelte traurig den Kopf, und las weiter: Enseigner la saine morale, combattre la superstition et le fanatisme, ruiner de vieux préjugés, rendre les hommes respectables! quel bien peut faire un philosophe à la campagne, s'il réunit un esprit juste à un cœur honnête! 2) Dieser Schlag traf auch sein Herz, das so reitzbar für alles Gute war, und es entstand ein fröhlicher Tumult in seiner Seele. Er sah sich schon als den Schutzgeist von Hunderten guter Menschen, die ihn anbeteten, weil er sie ihren Werth fühlen und glücklich seyn gelehrt hatte. „Ja!“ rief er entzückt; „ich will die Welt unterrichten, und ihr zugleich ein Beispiel geben, wie man die Menschen glücklich machen soll!“ Sein Entschluß, die Residenz, worin er lebte, zu verlassen, wurde fest. Er verkaufte in aller Geschwindigkeit das Gut, das er in dem Fürstenthume geerbt hatte, weit unter dem Werthe, nahm sich kaum die Zeit seine Sachen in Ordnung zu bringen, packte seine Bücher, Todtenköpfe, Papiere und Instrumente ein, machte keine Abschiedsbesuche, und reiste in aller Stille nach seinem Geburtsorte ab, den er nun in sechs Jahren nicht gesehen, und den auch seine Mutter fast zu gleicher Zeit mit ihm verlassen hatte, weil sie Theils bei der Frau von Graßheim in Berlin, Theils auf einem ihr gehörigen Landhause in Schlesien leben wollte.

An einem schönen September-Abende kam er vor dem Dorfe an, und dachte mit leuchtenden Augen: „da wohnen die Menschen, die ich glücklich machen will!“ Er ließ den Wagen halten, und stieg aus, um durch das Dorf zu gehen. Gleich an dem ersten Hause begegnete ihm ein Bauerbursche mit blondem Haar und blauen Augen. Das nahm er als ein gutes Vorbedeutungszeichen auf. Er blieb stehen, und sah dem Burschen nach. „Ist es nicht abscheulich?“ rief er laut, und schlug die Hände zusammen. „Diese Menschen mit den Kennzeichen der edelsten Abkunft, geboren zu Glück durch Tugend, Weisheit und Selbstgefühl ihres Werthes, leben, um die schönsten Anlagen ihrer Seele unter niederdrückenden Arbeiten zu tödten! ... Aber“, rief er noch lauter, „es soll anders werden!“

Die Fenster in den Hütten öffneten sich, und man betrachtete den Fremden, der auf der Gasse mit sich selbst sprach. Flaming nickte jedem Gesichte einen freundlichen Gruß zu, und ging langsam weiter. Jetzt kam ihm ein Mädchen, die hübscheste Blondine im ganzen Dorfe, entgegen. Er erstaunte; denn sie hatte alle Zeichen der edelsten Abkunft an sich: eine schlanke Gestalt, einen Griechischen Busen, ein feines Gesichtchen, einen edlen Gang mit kleinen Schritten, und eine Kleidung von hellen Farben. „O!“ sagte er so laut, daß die Blondine es beinahe hörte: „der Himmel gebe mir hier zehn solche weibliche Geschöpfe, und ich trotze mit ihnen einer Welt voll Slaven!“

Das Mädchen sah seine bedeutenden Blicke, und wollte ihm ausweichen; er trat ihr aber in den Weg, sah sie lächelnd an, umfaßte ihren schlanken Leib, und sagte dann, wie entzückt: „Liebes, liebes Mädchen!“ Sie erröthete und wand sich aus seinen Armen. „Recht, recht! liebes Deutsches Mädchen!“ rief der Baron, und ließ sie los; „ich ehre die keusche Unschuld deiner Seele. Du bist vom edelsten Adel, mein Kind!“ – Sie sah ihn mit großen Augen an. Ich von Adel? fragte sie lächelnd, und wollte gehen. – „Ja, von Adel!“ sagte Flaming, und ergriff ihre Hand. „Wie heißest du, mein Kind?“ – Rosine Herrmann, antwortete das Mädchen verschämt. – „Herrmann? Herrmann? Richtig! Alles stimmt zusammen; auch der Nahme. Herrmann! Dein Gesicht kann deine Geburt nicht verläugnen. Dein Vater, Mädchen, sage ich dir, ist vom edelsten Adel, edler als du glaubst. Du denkst, er ist ein Bauer; aber ich sage dir ...“ Das Mädchen entschlüpfte ihm, und ging in ein nahes Haus.

„Ist der Mensch ein Narr?“ fragte der Besitzer dieses Hauses Rosen. „Du von Adel? Nahme und Gesicht stimmten zu? Dein Vater wäre ein Edelmann?“ – Ei, sagte Rose, der Mensch ist nicht gescheidt.

Man sah dem Baron nach, und er blieb wohl noch zehnmal bei der Jugend seines Dorfes, besonders bei der weiblichen, stehen. Die Bauern in den Fenstern und vor den Thüren schüttelten die Köpfe über den Fremden, der während dessen immer auf den Edelhof zu ging. Nach einer halben Stunde wußte das ganze Dorf, daß der Fremde, der heute alle Mädchen angehalten hatte, Quinctius, der junge Baron, wäre. Jetzt wurde das Kopfschütteln der Bauern noch stärker und allgemeiner. Alle Nachbarn traten zusammen. Väter und Mütter fanden an der Freundlichkeit des gnädigen Herrn gegen ihre schlanken Töchter gar kein Behagen; und die jungen Bauerkerl, die vorher gelacht hatten, noch weniger. Aber am größten war die Unruhe bei Rosens Eltern. Rose hatte ihr Gespräch mit dem Baron ihrer Mutter erzählt; der Bauer, der es mit angehört hatte, ihrem Vater. Dieser stützte den Ellbogen auf den Tisch, und schüttelte bedenklich den Kopf. „Rosens Vater soll ein Edelmann seyn? Herrmann? So heißt kein Anderer hier im Dorfe. Das ist doch seltsam!“ Er sprach mit seiner Frau darüber. Sie läugnete, daß der Baron so etwas gesagt habe. Das vermehrte seinen Argwohn, und brachte ihn in Hitze. „Läugne nur nicht!“ rief er; „ein Hurkind hat er Rosen geheißen. Veit hat es gehört. Nahme und Gesicht, hat er gesagt, träfen zu. Ein Edelmann, hat er gesagt, wäre ihr Vater!“ Die Mutter weinte und schimpfte; der Vater fluchte und lärmte. Auch Rose weinte; und nun kam ihr Bräutigam zu dieser Scene. Schon sein Gesicht sagte ihr, er wolle mit ihr zanken, daß sie sich von dem Edelmanne auf öffentlicher Straße habe in die Arme nehmen lassen. Kurz, die ganze Gemeinde dachte nichts weniger, als daß ihr Edelmann auf das Land gekommen sey, sie glücklich zu machen; und wo unser Baron, der am Abend spät noch einmal durch das Dorf ging, auf einen Bauer traf, da sah er auch ein kaltes, mürrisches Mißtrauen in dessen Gesichte. Die Mädchen aber liefen vor ihm, als ob er die Pest an sich hätte. Er konnte keine von allen Blondinen mehr zur Sprache bringen, und freute sich über ihre keusche Zurückgezogenheit, ohne an ein Verbot der Eltern und der jungen Bauerburschen zu denken.

So bald er die nöthigen Einrichtungen zu seinem häuslichen Leben gemacht hatte, stellte er sich an das Fenster, und sah mit einer sehr fröhlichen Miene auf die Hütten herunter, die in dem blassen Lichte des Herbstabends ruhig vor ihm lagen. Tausend verworrene Bilder, Plane und Wünsche drängten sich vor seine Seele. Mit wohlwollenderem Blick und Herzen hat vielleicht nie ein Herr auf die Wohnungen seiner Unterthanen herabgesehen, als jetzt Flaming; und mit mehr Widerwillen haben wohl nie Unterthanen an ihre Herrschaft gedacht, als jetzt die seinigen.

„Genug“, rief Flaming endlich den Hütten zu; „ich will euch glücklich machen. Euch habe ich meine heiße Begierde nach Ruhm und nach Ehre aufgeopfert! Euer Glück soll mein Stolz seyn; und wenn mein Nahme nur in diesen Hütten mit dankbaren Thränen der Freude genannt wird, so mag die übrige Welt immerhin nicht wissen, daß ich gelebt habe!“

Diese so wohlthuenden Gefühle der Liebe gaben seinem Herzen eine stolze Fröhlichkeit. Er ging heiter im Zimmer auf und nieder, und sah entzückt rings umher, als ob er unter seinen glücklichen Unterthanen ginge. „Und der Welt will ich zeigen“, rief er jetzt stillstehend, mit einem stolzen Lächeln, „zu welchem hohen Grade der Vollkommenheit der Mensch steigen kann, wenn ein fühlendes Herz, wenn die Weisheit sich seiner annimmt.“ Der Zuwachs dieser Idee, von der Welt bewundert zu werden, hob seine Empfindung, so hoch sie steigen konnte. Er warf sich sogleich an den Schreibtisch, um nachzudenken, wie seine Unterthanen glücklich zu machen wären. „Alles“, rief er, nachdem er eine halbe Stunde den Kopf gestützt hatte, „alles beruhet im Grunde doch darauf, der Natur zu folgen. Sie zeichnete den Weg zum menschlichen Glücke so deutlich vor; und nie hat ein Philosoph einen andern finden können. Es kommt nur darauf an, meine theuren Unterthanen zum Gefühl ihres hohen Werthes zu bringen; sie zu der Vollkommenheit zu heben, welche der edelste Menschenstamm erreichen kann; alles wegzuschaffen, was Sitte der unedleren Slaven, oder gar Verderbniß Mongolischer Nationen ist. Nachkommen von Wenden, Polen, Böhmen, Russen oder andern Slavischen Nationen werden, leider, gewiß noch unter meinen Unterthanen seyn!“

Er erinnerte sich jetzt, daß er sogar schon einige Bauern mit schwarzen Köpfen, Stutznasen, starken Backenknochen, oder krummen Beinen gesehen hatte. „Wohl!“ rief er; „auch sie sind da, um glücklich zu seyn. Ich will diesen versäumten Kindern der Natur ein zärtlicher Vater werden, und sie veredlen, ohne meinen Unterthanen von besserem Stamme zu schaden. Meine und deine Kinder, Emilie, sollen dann nur noch wenige Tropfen unedles Bluts aus meinem Dorfe wegzuschaffen haben!“

Nun brachte er an seinem Schreibtische die halbe Nacht damit zu, einen Plan auszuarbeiten, wie er seine Unterthanen glücklich machen könnte; und hiermit wollte er schon den nächsten Tag anfangen. Er hatte den Justizamtmann ganz früh zu sich bestellen lassen; und am Morgen studierte er noch auf eine kleine Rede an ihn. Seine Theorie von den Menschen-Racen, ganz kurz gefaßt, lag bereit, daß er sie dem Amtmanne sogleich mittheilen könnte. Darin waren alle körperliche und moralische Kennzeichen der Menschenstämme angegeben, und es ließ sich nun mit einem Blick übersehen, was für Reformen noch auf dem Gute zu machen wären.

Endlich wurde der Amtmann gemeldet. Flaming eilte, mit seinen Papieren in der Hand, mit geöffneten Lippen, auf die Thür zu. Sie ging auf; und ein kleiner, dickbäuchiger Mann mit schwarzem Haar, schwarzen Augen, und einem spitzen Kinne, trat ihm mit einigen tiefen Verbeugungen entgegen.

Der Plan von Glückseligkeit, der groß und lebendig in Flamings Seele lag, schrumpfte, als er den Dickbauch erblickte, über die Hälfte zusammen. „O weh!“ sagte er laut, und wendete sich, durch den ganz unerwarteten Anblick allzu sehr überrascht, unmuthig von ihm ab. Der Justizamtmann, der erst seit einigen Jahren hier stand, folglich den Baron noch nicht kannte, und ihm, nach den Erzählungen der Bauern im Dorfe, wenigstens keinen Glückseligkeitsplan für seine Unterthanen zutraute, war schon ohnedies sehr verlegen in das Zimmer getreten. Er wurde noch verlegener, als der Baron sich mit einem: „o weh!“ von ihm wendete. Indeß fing er doch an zu reden, und wünschte dem Baron Glück zu seiner Ankunft. Seine Verlegenheit stieg aber mit jeder Minute, da Flaming keine Sylbe sagte, sondern mit krauser Stirn bald ein Papier, das er in der Hand hielt, bald ihn sehr starr betrachtete. Flaming konnte nicht antworten; denn er hatte nichts gehört. Er sah mit Verdruß, daß er dem Amtmanne seine Theorie von den Menschenstämmen nicht mittheilen konnte, ohne ihm wehe zu thun, weil an ihm selbst die meisten Kennzeichen einer Slavischen Abkunft in die Augen fielen.

Wissen muß ich es doch, dachte er mit Kopfschütteln; und so fragte er auf einmal: „was für ein Landsmann sind Sie, Herr Amtmann?“ Zu gleicher Zeit fing er an den Kopf des Mannes mit dem Kosaken-Schedel, der nebst andern Todtenköpfen schon ausgepackt war und auf dem Tische stand, zu vergleichen. – Ein Sachse, Herr Baron. – Flaming schüttelte den Kopf, und sah auf den Schedel. „Aber Ihre Vorfahren?“ – Aus Preußen. – „Hm! ganz recht! ganz recht! Das konnte nicht anders seyn!“ sagte Flaming, und lächelte, daß seine Theorie sich so gut hielt. Er ging einen Augenblick im Zimmer umher, und nickte sich freundlich Beifall zu. Dann zeigte er auf den Kosaken-Kopf, und sagte: „das hab' ich wohl gedacht; das hab' ich wohl gedacht!“

Der Amtmann folgte dem zeigenden Finger des Barons, bemerkte die Todtenköpfe, und wurde noch verlegner. Flaming hatte in diesem Augenblicke seinen Plan vergessen, und lächelte sehr freundlich, daß seine Theorie sich so richtig bewährte.

„Nicht wahr, Herr Amtmann“, fuhr er mit funkelnden Augen und einem gutherzigen Tone fort: „Sie essen gerne fette, öhlichte Speisen? nicht wahr, ich hab' es erraten?“

Der Amtmann erröthete, weil er die Frage für Spott über seinen Bauch hielt, und verbeugte sich mechanisch.

„O, ich will Ihnen wohl noch mehr sagen, Herr Amtmann“, fuhr der Baron sehr eifrig fort. „Sie trinken lieber warme Getränke als kalte: nicht wahr? – Sie mögen Kleider von dunklen Farben lieber leiden, als von hellen: nicht wahr? Sie tragen gern weite Beinkleider: nicht wahr?“

Der arme Amtmann, der ohnedies nicht zu den Dreistesten gehörte, hatte bei diesen Fragen, von denen er auch nicht das Mindeste begriff, fast die Besinnung verloren. Er wollte etwas sagen; es wurde aber nur eine Verbeugung daraus. Diese hielt der Baron für ein Ja. Nun legte er dem Amtmanne die Hand auf die Schulter, fuhr fort, und sah dabei von Zeit zu Zeit in sein Papier. „Hören Sie nur zu, Herr Amtmann: Sie sind eifersüchtig, sehr eifersüchtig. Und“ – er sah wieder in sein Papier nach einem neuen Kennzeichen des Slavischen Völkerstammes – „Sie sind doch verheirathet? ... Nun – seyn Sie einmal aufrichtig – Sie legten einen eingebildeten Werth auf die Jungferschaft Ihrer jetzigen Frau.“

Aber, gnädiger Herr ... fing der Amtmann erröthend an, und konnte nicht endigen. Der Baron fuhr fort. „Sie rauchen gern Taback, starken Taback? Und dann, nicht wahr: Sie sind ein Freund von starken Getränken?“

Der Amtmann, der den Baron immer in das Papier blicken sah, glaubte bei ihm verläumdet zu seyn. Er unterbrach ihn hier: Trinken, gnädiger Herr, ist mein Fehler nicht. Zum Beweise dient meine feste Gesundheit; ich bin noch niemals in meinem Leben krank gewesen.

„Recht, recht!“ rief der Baron noch erhitzter; „auch das hab' ich gewußt.“ Um den Amtmann zu überzeugen, daß er es wirklich gewußt habe, ließ er ihn auf dem Papiere folgende Worte sehen: „er wird nie oder selten krank; und wird er es einmal, so bedarf er keiner Arzeneimittel. Die Natur ist sein Arzt; denn er hat sehr viel thierische Lebenskraft.“ ... „Ist es nicht mit Ihnen so, wie es hier steht?“

Jetzt versank der Amtmann in ein Erstaunen ohne Gleichen. Er war fest überzeugt, das Er auf dem Papiere solle ihn bezeichnen, da es doch nichts anders als der Slave bedeutete. Den letzten Umstand, der ihm vorgelesen war, gestand er ein, und erwartete nun ängstlich, was für Beschuldigungen diese Denunciation noch weiter enthalten würde.

Der Baron glühete vor Freude, daß seine Hypothese so bestätigt wurde; allein auf einmal fiel ihm sein Glückseligkeitsplan in die Augen. Er legte seine Theorie von den Menschen-Racen hin, kreuzte die Arme über einander, seufzte tief, und sagte langsam: „es ist doch Schade, sehr Schade!“

Gnädiger Herr, was denn? fragte der Amtmann, dem der Muth bei des Barons Freundlichkeit gewachsen war. Was ist denn Schade?

„Daß Sie, daß Ihre Vorfahren aus Preußen abstammen, daß ... daß ... Sie können ein ehrlicher Mann seyn, Herr Amtmann, und ich wollte darauf schwören, daß Sie es sind; aber ...“

Man hat mich verläumdet, Herr Baron! sagte der Amtmann mit einer Art von Heftigkeit.

„Verläumdet?“ Jetzt erst merkte Flaming, was der Amtmann von seinen Fragen denken mußte. „Seyn Sie ruhig, Herr Amtmann“, sagte er mit Güte. „Ich meine wahrhaftig nichts Uebles. Es sollte mir nahe gehen, wenn ich Sie beleidigt hätte; denn was können Sie für die Aehnlichkeit?“ Er sah aufs neue den Kosaken-Kopf an.

Flaming suchte wirklich – so gutherzig war er – ein Mittel, den Mann zu rechtfertigen. Vielleicht, dachte er, war seine Mutter eine Deutsche; und dann ist er doch halb ein edler Celte. „Wo stammt denn Ihre Mutter her?“ fragte er jetzt; „doch gewiß aus Deutschland!“

Nein, sie war eine Polin.

„Ei, so hol's der Henker!“ rief der Baron. „Eine Polin? Ich wollte, daß ... Nun, zu ändern ist es nicht. Lassen Sie es gut seyn! Sie können nicht dafür, und ich eben so wenig.“ Mit diesen Worten ging er heftig im Zimmer auf und nieder, und brummte von Zeit zu Zeit: „eine Polin! Hol's der Henker!“

Der Amtmann wurde von Sekunde zu Sekunde verlegener, und dem gutherzigen Baron, der es bemerkte, ging seine Verlegenheit nahe. Er trat von neuem freundlich zu ihm hin, um ihm so schonend als möglich die Ursache seines Verdrusses zu entdecken. „Sehen Sie, lieber Herr Amtmann“, fing er zutraulich an; „ich bin hieher gekommen, meine Unterthanen so glücklich zu machen, als Menschen es nur seyn können. Mein Herz empfindet tief, unter welchem Elende, welchen Bedrückungen der edle menschliche Geist erliegt. Glückliche Zufälle und ein anhaltendes Studium haben mich mit den Hauptursachen des menschlichen Elendes, und mit den wahren Mitteln, ihnen abzuhelfen, bekannt gemacht. Ich bin reich genug, es mit allen Hindernissen aufzunehmen.“ (In dem Laufe dieser Ideen vergaß er, daß er einen Slaven vor sich hatte. Der Glückseligkeitsplan füllte seine Seele, und die Augen leuchteten ihm von Gutherzigkeit.) „Ich will“, fuhr er mit erhobener Stimme fort, „der Wohlthäter meiner Unterthanen seyn. Sie sollen mich wie ihren Vater lieben. Ihrer Glückseligkeit habe ich eine Laufbahn voll Ehre, eine heiße Leidenschaft, ein Leben voll Bequemlichkeit, voll der feinsten Freuden, auf die mein Stand, mein Reichthum und meine Verbindungen mit den größten Gelehrten mir Ansprüche gaben, aufgeopfert; ich will die stillern und ruhigern Freuden, welche Unschuld, Einsamkeit, Verborgenheit und die Natur geben, mit meinen Unterthanen theilen, und ihre Glückseligkeit soll meine einzige Belohnung dafür seyn. Sie, Herr Amtmann, müssen das Vertrauen belohnen, das ich Ihnen schenke, indem ich Ihnen einen Theil von der Glückseligkeit meiner Unterthanen anvertraue; Sie müssen mit mir gemeinschaftlich arbeiten, denken, wachen und ausführen. Meine Unterthanen sind meistens des höchsten menschlichen Glückes fähig; denn sie sind meistens reine Deutsche. Ich, Herr Amtmann, und Sie selbst ...“

Auf einmal schwieg er mitten in dem feurigsten Strome seiner Beredtsamkeit. Er wollte sagen: Sie selbst sind ein Deutscher; und nun fiel ihm ein, daß ein Slave vor ihm stand. Er sah den Amtmann mit einer Miene an, die ihn und auch seine Unterthanen bedauerte.

Der Amtmann war während der kleinen Anrede wieder zu sich selbst gekommen. Er nickte freundlich mit dem Kopfe, sann schon hin und her, welche Vorschläge er seinem enthusiastischen Edelmanne zum Wohl der Bauern zuerst thun wollte, und sagte, da der Baron nun schwieg, sehr gutherzig: Was ich zur Ausführung Ihrer edlen Absichten thun kann, gnädiger Herr, will ich sehr gern thun. Ihr Vertrauen ist mir sehr schmeichelhaft.

„Legen Sie mir nur nichts dabei in den Weg“, erwiederte Flaming mit einer so empfindlichen Kälte, daß dem Amtmanne das Wort zwischen den Lippen blieb. Der Baron machte eine Verbeugung. Der Amtmann dankte Gott, als er im Freien war, ging augenblicklich zu dem Prediger hin, und fluchte unterweges von Herzen auf den tollen Baron, der ihn so geängstigt hatte.

„Nun? wie haben Sie unsern jungen gnädigen Herrn gefunden?“ fragte der Prediger; und dessen Schwester kam bei dieser Frage aus dem Nebenzimmer hervor. Ja, wie hab' ich ihn gefunden! antwortete der Amtmann mit gerunzelter Stirn. Bei Verstande kann er unmöglich seyn, unmöglich; denn so durch einander spricht kein vernünftiger Mensch. Entweder hat er mich zum Narren gehabt, oder ich bin bei ihm verläumdet. Sehen Sie, diesen Augenblick ist er so freundlich, wie ein Mensch nur seyn kann, und spricht wie ein Buch; aber dann fährt er unvermuthet auf, man weiß nicht warum, und thut Fragen, als ob er nicht bei Sinnen wäre.

Ja, sagte des Pastors Schwester; es wird wohl ein Wildfang seyn, der keinen Menschen ungeneckt lassen kann. Gestern hat er ja alle Mädchen angehalten.

Das kann wohl seyn, erwiederte der Amtmann; ein Paar Aeußerungen von ihm klangen nicht sehr ehrbar. Er sagte mir mit einem spöttischen Lachen: ich sey eifersüchtig; und hernach hielt er sich darüber auf, daß meine Frau noch Jungfer gewesen wäre, als ich sie geheirathet hätte. Glauben Sie mir, wir werden unsere Noth mit ihm haben. Er sagte mir ins Gesicht, ich tränke.

„Es soll indeß ein gelehrter Mann seyn“, sagte der Prediger.

Nun so hat er den Verstand wegstudiert. So etwas muß es auch seyn. Er hatte drei oder vier Todtenköpfe auf dem Tische stehen. Jetzt sprach er von anhaltendem Studium und von Verbindungen mit den größten Gelehrten; und dazwischen wieder das tollste Zeug.

Der Amtmann ging sehr verdrießlich nach Hause. Der Prediger schüttelte schweigend den Kopf, und zog sich an, um selbst zu dem Baron zu gehen. So eben wollte er weg, als Flaming zu ihm kam.

Das Herz schlug dem Baron, als der Amtmann von ihm gegangen war. Er fühlte, daß er den Mann beleidigt hatte, und daß er ihm Genugthuung geben mußte. Sogleich ging er nach dessen Wohnung, mit dem festen Vorsatze, seine Härte wieder gut zu machen und gar nicht an die Menschenstämme zu denken. Anstatt des Amtmannes, fand er dessen Frau, ein hübsches Weib, mit zwei liebenswürdigen Kindern, deren blondes Haar ihn völlig mit dem schwarzköpfigen Vater versöhnte. Er setzte sich bei ihr nieder, scherzte so vertraulich mit den Kleinen, und sagte der Mutter selbst so viel Gutes, daß diese ganz von ihm eingenommen wurde. Von ihr ging er, weil der Amtmann ihm zu lange ausblieb, zu dem Pfarrer, und traf diesen an der Thür.

Auch bei dem war Flaming sehr artig und zutraulich. Mit ihm sowohl als mit seiner Schwester, einem liebenswürdigen Mädchen, das zwar dunkelbraunes Haar, aber doch blaue Augen hatte, schwatzte er so heiter und so unterhaltend, daß Beide nicht wußten, was sie von den Aeußerungen des Amtmanns denken sollten. Er war gegen Karolinen (so hieß das Mädchen) sehr bescheiden, und redete, als es eine Veranlassung dazu gab, von der Verführung und der Wollust mit einem so unverstellten Abscheu, daß sie anfing die Erzählungen der Bauern im Dorfe von gestern Abend zu bezweifeln.

Genug, Beiden gefiel der Baron; und als sie Nachmittags den Amtmann besuchten, sprachen sie so einmüthig und so hitzig gegen dessen Behauptungen und Zweifel, daß er schweigen mußte.

Flaming war unterdessen zu dem festen Entschlusse gekommen, die Theorie, auf welche er das Glück seiner Unterthanen gründen wollte, gänzlich zu verschweigen; denn überall traf er auf Umstände, die ihn dazu nöthigten.

Der Amtmann war ein förmlicher Slave. Der Prediger hatte zwar blondes Haar und blaue Augen; allein in der Stunde, die der Baron mit ihm zugebracht, und in der er bei ihm über seine Hypothese ganz von weitem hingehorcht, hatte er auch bemerkt, daß der Mann steif und fest an eine gemeinschaftliche Abstammung des Menschengeschlechtes von Adam glaubte, und, was noch mehr war, diese Meinung mit seltener Gelehrsamkeit zu verfechten wußte. Trotz der Gelehrsamkeit des Predigers aber, und trotz dem schwarzen Haare, dem Slavischen Kinne und Gesichte des Amtmanns, würde Flaming dennoch mit seiner Hypothese auf den Kampfplatz gerückt seyn, wenn ihn nicht die Furcht, des Pastors Schwester zu beleidigen, davon abgehalten hätte. Er konnte sich nicht läugnen, daß an Karolinen manches Zeichen eine Slavische Abkunft verrieth; aber diese Slavischen Eigenthümlichkeiten standen dem Mädchen so gut, daß bei einem andern Manne, als unser Baron, dadurch die ganze Hypothese in Gefahr gerathen wäre.

Flaming traf Karolinen in dem ungekünstelten Morgenanzuge. Ihr dunkelbraunes Haar ringelte sich auf einem weißen Halse so schön, daß in der That das blondeste diese Wirkung nicht hätte hervorbringen können. Ihr Busen war voll, wie ihre ganze Gestalt etwas üppig; ihr Arm und ihre Hand schön geformt und fleischig; ihre Lippen rosenroth und wie zum Kusse gewölbt; und über ihren Lippen stand ein hübsches Stutznäschen, das ihr Gesicht äußerst witzig machte. Wuchs und Gesicht, Arm und Busen waren nicht Celtisch, das sah Flaming wohl; aber – wie es zuging, das mag die Natur verantworten, die schon mehreren Systemen böse Streiche gespielt hat – er heftete seine Blicke mit Wohlgefallen auf diese reitzende Slavische Figur; und in manchem Augenblicke hätte er für alle Schätze der Welt ihr nicht Eins von allen diesen Zeichen eines unedlen Geschlechtes nehmen lassen. Dabei war Karoline sehr heiter. Sie lachte und plauderte, wenn sie einmal hineinkam, ohne Aufhören fort; aber sie zeigte beim Lachen einen Mund voll so schöner weißer Zähne, und beim Plaudern wurden Auge und Gesicht so angenehm lebendig, daß der Baron keinen Blick von ihr wendete, ob er gleich Plaudern, Lachen und sehr weiße Zähne ebenfalls für Zeichen einer unedlen Abkunft hielt. Kurz, er konnte schlechterdings nicht mit seinem System hervorrücken, weil es ihm unmöglich war Karolinen zu beleidigen. So entschloß er sich denn, die Glückseligkeit seiner Bauern ganz in der Stille zu gründen, ohne seine Theorie bekannt werden zu lassen; und damit machte er unverzüglich den Anfang.

Den nächsten Tag ließ er die Hausväter und Hausmütter des Dorfes auf den großen Saal in seinem Schlosse zusammen kommen. Mißtrauisch standen die Alten in einem engen Kreise da, und flisterten mit einander. Noch mißtrauischer waren die jungen Männer junger hübscher Weiber; sie sahen jedem Bedienten, der durch den Saal ging, bedenklich nach. Endlich kam der Baron. „Guten Tag, meine lieben Freunde und Kinder!“ sagte er mit einem zutraulichen Tone. Aber da war kein Blick, der ihm antwortete, kein Mund, der seinen Gruß erwiederte.

Der Baron trat mitten unter die Bauern, und auf sein Winken schlossen sie einen Kreis um ihn her. „Ich habe“, fing er freundlich an, „die Stadt verlassen, meine Freunde, um in eurer Mitte glücklich zu seyn und mein Leben unter euch zu beschließen. Hier bin ich nun: nicht, wie viele meines Gleichen, euch zu drücken, eure Ernten durch meine Jagden zu zerstören; nein, euch glücklich zu machen. Ich verlange nichts von euch, als daß ihr meinem Rathe folgt, der nur auf euer Glück abzweckt. Um gleich meine Ankunft in eurer Mitte durch eine Wohlthat zu bezeichnen, will ich einigen von euch die Frohndienste erlassen, die ihr mir zu thun schuldig seyd. Ihr könnt leicht denken, daß ich Gründe haben muß, warum ich sie nicht allen erlasse; aber ich hoffe, daß es bald in meiner Gewalt stehen wird, gegen jeden von euch gleich gütig zu seyn.“

Die Bauern, die das nicht erwartet hatten, sahen einander an und schwiegen, besonders als sie bemerkten, mit welcher Aufmerksamkeit der Baron sie alle, vorzüglich aber die jungen Weiber, betrachtete.

Jetzt ließ sich der Baron das Dienstbuch bringen, und es mußte ein Hausvater nach dem andern mit seiner Frau herzutreten, wie ihre Nahmen im Buche folgten. Er betrachtete jedes Paar sehr lange, und schrieb dann etwas auf ein Blatt Papier. Es war eine Todtenstille im Saale, so lange die Musterung währte.

Der Baron untersuchte bei jedem Paare ganz genau die Kennzeichen ihres edleren oder unedleren Ursprunges, um die Größe seiner Wohlthat darnach abzumessen. Er war vollkommen überzeugt, daß alle Menschen von unedleren Stämmen keine Ansprüche auf die Rechte und Freiheiten der edlen Celten machen könnten; ja, auch davon, daß die Slavischen Bauern seine Wohlthaten nur mißbrauchen würden. So hatte er denn an den Frohndiensten einen Zaum, mit dem er die unsittlichere Natur der Schwarzköpfe bändigen konnte. Es lag ihm sehr viel daran, diesen Unterschied gleich Anfangs fühlbar zu machen, damit der bedeutendste Theil seines Planes, die Heirathen zwischen den edleren und unedleren Menschen auf seinem Gute zu hindern, desto leichter auszuführen wäre.

Jetzt las er die Nahmen der Glücklichen, denen er alle Frohndienste erlassen wollte, laut vor. Man kann leicht denken, daß es nur Blondköpfe mit blauen Augen waren. Den Köpfen mit braunem Haar erließ er die Hälfte, und allen Schwarzen doch etwas; nur bei Einem, der ein gar zu negerartiges Gesicht hatte, schüttelte er wohl zehnmal den Kopf, und erließ ihm gar nichts.

Der Amtmann, welcher gegenwärtig war, um der Handlung gerichtliche Kraft zu geben, schüttelte den Kopf eben so oft als der Baron. Er sann hin und her über die Ursachen, die der Baron haben könnte, diesem zu erlassen und jenem nicht; aber er sann nichts heraus. Der alte Mann mit dem Negergesichte trat endlich bescheiden an den Tisch, und fragte den Baron mit bebender Stimme: „was hab' ich denn Böses gethan, Ihr Gnaden, daß Sie mich vor der ganzen Gemeinde beschimpfen? Ich bin ein ehrlicher Mann, und seit zwanzig Jahren hier Schulze im Dorfe. Ihr hochseliger Herr Vater gab mir das Zeugniß der Ehrlichkeit dadurch, daß er mich zum Schulzen machte. Ich verlange keinen Erlaß meiner Dienste: denn Sie sind Herr zu schenken, wem Sie wollen; aber, Ihr Gnaden, bitten kann ich Sie doch wohl, daß Sie erklären, ob Sie mich für einen ehrlichen Mann halten, oder nicht.“

Der Baron gerieth in Verlegenheit, als der Amtmann und die Gemeinde unaufgefordert dem Schulzen das beste Zeugniß gaben. Er war überzeugt, daß er diesem Negergesichte kein Unrecht gethan haben konnte; und doch erhob sich in seinem Innern eine Stimme, die für den Alten sprach. Also erklärte er öffentlich, daß er nichts gegen den Schulzen habe. Mehr wollte dieser nicht. Er schlug es sogar, doch ohne alle Bitterkeit, aus, als der Baron ihm eben so viel erlassen wollte, wie den übrigen Schwarzköpfen.

Nun stand Flaming auf, und erklärte der Gemeinde noch zuletzt, daß er ihr eine Bedingung bekannt machen würde, die jeder beobachten müßte, wenn er die Freiheit auf seinem Gute behalten wollte. „Die Bedingung ist nicht schwer, meine Freunde“, sagte er. „Es ist eine Kleinigkeit, welche nichts als die natürliche Ordnung der Familien betrifft.“ Die Blonden dankten jetzt dem Baron, und die Schwarzhaarigen schüttelten die Köpfe. Der Baron verließ zufrieden den Saal, und alle Bauern gingen mit mannigfaltigen Gedanken und Empfindungen nach Hause.

Die Schwarzköpfe blieben auf dem Kirchhofe stehen, und sahen mit finstern Blicken den Blondköpfen nach, die fröhlich zu ihren Hütten eilten. Was meint Ihr dazu? fragte ein Alter. Wie nennt Ihr das? – Alle kamen überein, daß der Baron sehr partheiisch wäre. Man ging die Lebensläufe der Blondköpfe durch, und fand schlechterdings keine Ursachen darin, die sie zu dem so ausgezeichneten Vorzuge berechtigten. Warum aber hat der Baron den Unterschied gemacht? fragte jeder. Es kamen so viele Hypothesen zum Vorschein, als Schwarzköpfe da waren; allein jede hatte ihre Schwierigkeiten. Einige meinten, die andere Parthei müsse sie verläumdet haben; aber das war nicht möglich: denn niemand hatte den Baron vorher gesprochen. Kurz, man stritt, man erhitzte sich, ohne etwas auszumachen, und am Ende ging jeder Schwarzkopf, mit Erbitterung gegen Flaming im Herzen, nach Hause.

Auch die Blondköpfe nahmen die Ursache ihres Glückes in Ueberlegung, und brachten eben so wenig heraus. Indeß sie ließen es dahin gestellt seyn, und waren zufrieden. Natürlicher Weise erregte die Partheilichkeit des Barons auf der einen Seite Neid, auf der andern Stolz; und noch denselben Abend brachen ein Paar Weiber los. Die Brünette schrie der Blonden zu: ja, du hast eine hübsche Tochter; und wir wissen wohl, daß der Baron schon den ersten Tag freundlich mit ihr gesprochen hat. Eine Hand wäscht die andere; und wer giebt, will haben. Hätte ich eine hübsche Tochter, ich dürfte auch nicht mehr zur Frohne. Da, Herrmann ist auch los davon, und Veit und Richter. O, der gnädige Herr weiß wohl: wer fahren will, muß schmieren. Herrmanns Rosen hat er ja vor aller Menschen Augen in die Arme genommen; mit Richters Trinen hat er vor der Scheune geschwatzt, und Veits Dorthen sogar über den Steig geholfen. O ja, verkauft ihr nur euer Fleisch und Blut um Sündengeld! Wir wollen sehen, wer am weitsten kommt.

Dieses Geschwätz der Weiber traf; denn so viel war richtig: die Eltern aller der Mädchen, mit denen der Edelmann die beiden Tage hindurch freundlich gesprochen hatte, waren unter der Zahl der Glücklichen. Die Töchter der Schwarzköpfe hingegen hatte er nicht angesehen, wenn sie ihm auch begegnet waren. O, man sieht es ja, hieß es schon den andern Tag im Dorfe allgemein: den Vätern schenkt der Baron die Frohndienste; aber die Töchter sollen sie bezahlen. Pfui, das Sündengeld!

Obgleich diese Erklärung von des Barons Partheilichkeit auf keine Weise durch ihn selbst bestätigt wurde (denn alle Mädchen sahen sehr bald, daß sie vor ihm völlig sicher waren): so blieben dennoch die Schwarzköpfe bei ihrer Behauptung, weil sie auf solche Art wenigstens ihre Rache an den Blonden befriedigten.

Die Bedingung, welche der Baron nun bekannt machte, vergrößerte die Erbitterung noch mehr. Sie setzte nehmlich fest, daß jeder, dem die Frohndienste erlassen waren, sogleich dieses Vorrecht wieder verlieren sollte, wenn er in eine Familie heirathete, welche dieses Vorrechtes nicht genösse. Der Baron hatte dabei eine doppelte Absicht: einmal, seine Celtischen Unterthanen unvermischt zu erhalten; und dann, durch Vortheile und Wohlthaten junge Blondköpfe aus den benachbarten Dörfern anzulocken, daß sie die schwarzköpfigen Mädchen seines Dorfes heiratheten, und so das Slavische Blut veredelten.

Unmöglich konnten die Schwarzköpfe diese Verachtung mit Geduld ertragen. Der Haß gegen den Baron und gegen die glücklichen Blonden wurde glühend. Es kam zwischen beiden Theilen zu Neckereien, zu Händeln, zu Stößen, und zuletzt zu Schlägen. Natürlich waren die Schwarzköpfe allemal die Anstifter der Schlägereien; natürlich folgte die bürgerliche Strafe des Amtmanns; natürlich vergrößerte das den Triumph der einen, und den Haß der andern Parthei; und eben so natürlich wurde der Edelmann in seinem Glauben bestärkt, daß die Schwarzköpfe durch ihre Organisation mehr zu Lastern geneigt, und von unedlerer Natur wären, als die Blondköpfe, weil jene immer den Streit anfingen, und sich in ihrer Rache gar nicht mäßigen konnten. „O“, sagte er, als ihm der Amtmann wieder einen Bericht von einer neuen Schlägerei brachte, „da streiten die Philosophen schon Jahrtausende über die Ursachen der Freiheit und des Despotismus, über den Sklavensinn der Asiaten, und über das unauslöschliche Gefühl der Freiheit in der Brust der Europäer, über die Grausamkeit, den unbeugsamen Trotz so mancher Völker, und über die Humanität, die Lenksamkeit andrer; und hier, in meinem Dorfe, ist das Räthsel aufgelöst. Wohlthaten und Freiheiten sind die Bewegungsgründe zu allem Guten für meine edleren Unterthanen; und Kerker und Schläge können die wenigen Nachkommen eines unedleren Stammes nicht bändigen. Zufälle, sagen die Philosophen. Organisations-Unterschied, Racen-Unterschied, sag' ich. Da steckt es! Denn, Herr Amtmann“, – fuhr er eifrig fort, – „hätte bei den Hindus, unter dem schönsten Himmel, wo die ganze Natur so sanft ist, der harte, dem Anscheine nach so unmenschliche, Casten-Unterschied entstehen können, wenn nicht die Natur selbst durch ihre Bildung der Menschen diese Scheidewand geheiligt hätte? Warum konnte sich der alte Deutsche Adel so hoch über die andern Stände erheben? Warum bestrafte Infamie die Verbindung eines Edeln mit einer Unedeln?“ – Es war doch hart! erwiederte der Amtmann. – „Hart? Mit nichten, sage ich Ihnen. Der alte Adel hatte edleres Blut; eine edlere Organisation hob ihn empor, nicht Sitten, nicht Stolz, nicht Gebräuche. Warum sinkt jetzt der Adel immer tiefer? warum hat er die ehemalige große Verehrung verloren? An Stolz, an Ansprüchen darauf fehlt es ihm wahrhaftig nicht; aber die Unmöglichkeit stellt sich ihm in den Weg. Als der erste Adelsbrief für Geld gegeben wurde, war der Adel vernichtet. Edles Blut vermischte sich mit dem unedleren; es floß in alle Stände über, und mit ihm alle Tugenden des besseren Blutes. Das unedlere Blut hingegen mischte sich auch mit dem edleren: der Adel fühlte sich erniedrigt, und der unedlere Menschenstamm erhoben. O, glauben Sie mir, ich kenne nichts Abscheulicheres, als eine Mißheirath. Sie ist das größte, das einzige Verbrechen gegen die Natur. Aber, bei Gott! hier in meinem Dorfe soll es nicht Statt haben. Keine Mißheirath! das rath' ich Ihnen!“ – Mag er doch das halten, wie er will! dachte der Amtmann, der sehr wenig von des Barons Deklamation verstanden hatte, und gar nicht einmal daran dachte, daß er bei Mißheirath auch an seine Bauern denken könnte.

Der Baron hatte Recht: täglich gab es Händel oder blutige Köpfe; und immerfort waren Schwarzköpfe die Anstifter. Er schärfte die Strafen für sie, und nahm sich der Blondköpfe bei allen Gelegenheiten an. Ja, er war parteiisch in der Gerechtigkeitspflege; denn er glaubte, daß einen Blondkopf ein Vorwurf, ein Tadel, eben so stark bestrafe, als einen Schwarzkopf acht Tage Gefängniß bei Wasser und Brot.

Darüber nahm die Erbitterung der Schwarzköpfe, und der Stolz der Blondköpfe mit jedem Tage zu. Beide Partheien kamen nicht mehr zusammen, weder in der Schenke, noch auf den Feldern. Alle Verbindungen unter den Familien hörten auf, und der Unterschied zwischen beiden Arten wurde täglich größer, so wie man die Denkart des Edelmannes allmählig näher kennen lernte. Der Baron haßte alles, was den Wenden, Polen, oder Russen kenntlich macht. Die Blondköpfe, die ihren großen Vortheil dabei sahen, wenn sie die Wünsche ihres gütigen Herrn erfüllten, schafften nach und nach alles ab, was er nicht leiden konnte. Sie wählten zu ihrer Kleidung helle Farben; denn sie waren gewiß, daß der Baron ihnen dann die Hälfte der Kosten wiedergab. Die Mannspersonen trugen im Winter keine Schafpelze mehr; die Mädchen Röcke, welche wenigstens eine Handbreit länger waren, als sonst, und Schuhe mit hohen Absätzen. Sie suchten ihre Taille zu verlängern, schnürten sich fester, und machten, wenn sie gingen, kleinere Schritte. Der Baron war dafür bei allen Gelegenheiten ihr Wohlthäter. Er stellte Versuche an, den Schwarzköpfen eben diese Sitten angenehm zu machen; aber sie thaten gerade das Gegentheil, weil sie jetzt ein Mittel wußten, ihm Verdruß zu erregen. Die Mannspersonen dieser Parthei trugen sogar im Sommer Pelze und weite Beinkleider, und Schwarz wurde ihre Lieblingsfarbe. Die Mädchen machten ihre Röcke noch kürzer als sonst, banden sie hoch hinauf über die Hüften, und vergrößerten sowohl diese als den Busen durch eine Menge Röcke und Tücher über einander. Auch trugen sie ganz platte Schuhe.

„Sehen Sie doch nur!“ sagte der Baron zu dem Obersten Brensen, der ihn einmal besuchte, um etwas von Emilien zu erfahren. „Finden Sie einen Blondkopf in meinem Dorfe, den Sie nicht sogleich auch an der Kleidung erkennen, so will ich mein System aufgeben. Ich bitte Sie, versuchen Sie es. Gehen Sie ein Paarmal im Dorfe auf und ab; und sind Sie dann nicht überzeugt, so will ich nie ein Wort mehr darüber verlieren.“ Der Oberst that das; und zu seinem Erstaunen sah er einen so auffallenden Unterschied in der Kleidung und dem Benehmen der Schwarz- und der Blondköpfe, daß er nicht mehr wußte, was er sagen sollte.

Jetzt triumphirte der Baron sehr laut, und trieb seinen Satz so weit er konnte. Selbst die Zwietracht unter den beiden Partheien mußte zu seinem Triumphe beitragen. „Die Natur hat sie getrennt“, sagte er, als er in Gegenwart des Obersten wieder Nachricht von Händeln unter beiden Partheien erhielt.

Die Natur? erwiederte der Oberst; das ist nicht! das kann nicht seyn! Wie? die Natur, die unablässig das schöne Band der Liebe um alle Menschen zu schlingen bemühet ist, die Natur sollte hier Widerwillen, gegenseitigen Haß geschaffen haben und befestigen? Wenn das Wahrheit wäre, so hätte die Vernunft des Menschen nie etwas Schrecklicheres erdacht.

Der Baron zuckte die Achseln. „Der freien Vernunft“, sagte er mitleidig lächelnd, „ist die schrecklichste Wahrheit lieber, als der angenehmste Traum.“

Das mag seyn, erwiederte der Oberst, wenn ich streng, sehr streng beweisen kann: was ich glaube, sey Wahrheit. Ich bitte Sie, lieber Baron, bedenken Sie, was aus Ihren Sätzen folgt. Dem schrecklichsten Despotismus öffnen Sie Thor und Pforten. Sie erniedrigen Millionen Menschen auf einmal; rechtfertigen die Barbarei des einen gegen den andern; heiligen die Sklaverei, die Bedrückungen; setzen vielleicht auf zwei Drittel der Menschen das ewige, unauslöschliche Brandmahl der Leibeigenschaft, indem Sie die Natur zur Schöpferin der Sklaverei machen; Sie geben der Bosheit, der Gewinnsucht die sichersten Waffen, und bedecken sie mit dem Schilde eines Naturgesetzes.

Der Baron zuckte die Achseln. „Freilich, es thut mir weh um den armen Neger; allein die Natur schuf auch Esel und andere Lastthiere. Können wir sie zwingen, es anders zu machen?“

Pfui! rief der Oberst: pfui! Esel und Menschen! Herr, lassen Sie uns davon schweigen! Traurig genug, daß ich mich vor dem Arme der Vorsehung in den Staub beugen muß, wenn er ganze Geschlechter von Menschen zerschmettert; aber fluchen würde ich der Vorsehung, wenn ich glauben müßte, daß Elend und Schande des halben menschlichen Geschlechtes ihr ewiges Gesetz wäre.

„Lieber Oberst, Sie reden von Elend, von Schande, und bedenken nicht, daß die Menschen von niederen Racen der Schande und der Härte, womit sie behandelt werden müssen, eine unüberwindliche Gefühllosigkeit entgegen setzen, die ihnen von der Natur als eine Entschädigung gegeben wurde; Sie bedenken nicht, daß diese Härte, diese Strenge, welche Sie Barbarei und Grausamkeit nennen, für die Mongolen nothwendig ist. Lesen Sie nur etwas über den Charakter der Negersklaven.“

Recht! über ihren Charakter, den eure Grausamkeit ihnen giebt, so wie die Härte der Eltern die Kinder tückisch, starrköpfig und gefühllos macht! ... Guter Gott! dieser Mensch, der auf sein Herz stolz seyn könnte, künstelt in sich selbst eine unnatürliche Grausamkeit hinein, und beschuldigt die sanfte, liebende Natur einer Härte, deren er selbst nicht fähig ist! ... Herr, lassen Sie mir die Natur zufrieden!

„Wie aber, lieber Oberst, wenn wir besseren Menschen nun da wären, unsere versäumten Brüder zu veredeln? Unter den Celtischen Völkerschaften werden mehr Knaben als Mädchen geboren: das sagt Ihnen jede Todtenliste. Unter den Mongolen, Morgenländern u.s.w. mehr Mädchen als Knaben; denn sonst wäre die Vielweiberei bei ihnen nicht möglich. Wie? wenn die überzähligen Celtischen Männer von der Natur dazu bestimmt wären, durch Verbindungen mit den überzähligen Mädchen der unedleren Nationen diese nach und nach zu veredlen (wie es denn in Amerika und Ostindien schon der Fall ist), bis endlich die unedleren Menschen von der Erde weggeschafft würden?“

Die Natur schafft nichts, was weggeschafft werden soll; sie macht keine Fehler, die wir zu verbessern hätten. Wehe dem Menschengeschlechte, wenn die Natur dessen Glückseligkeit dem Verstände der Menschen anvertrauen müßte! Nein, Herr, ich will Ihnen sagen, wie es ist. Sie putzen Ihr System mit allen Künsten, die Sie wissen, aus, um etwas Neues sagen zu können. Sie wollen Beweise für Ihr System, und finden sie. Ein ehrlicher Mann unter den Negern, Ein großer Mann unter den Amerikanern stürzt Ihr ganzes System, das ohnehin von der ewigen Güte schon verdammt ist, weil ich, zum Beispiel, wenn Ihr System ausgemacht richtig wäre, mit meinem schwarzen Haar und dicken Bauche die größten Bosheiten vertheidigen könnte. Die Vorsehung wäre ja dann die Mitschuldige der Mörder; der Richterstuhl des Ewigen würde ja umgestürzt: denn der Ewige hätte ja bei der Schöpfung der Mongolen das Laster gerechtfertigt und gesegnet. Herr, diese Lehre könnte nur ein Teufel erfinden, und ein Elender glauben, weil sie ihm Hoffnung gäbe, mit ihr die Wunden seines Gewissens zu heilen. Oder meinen Sie, daß ein Mensch, und wenn sein Haar auch so blond wäre, wie Flachs, sein Auge so blau wie dort der Himmel, und seine Nase so lang so fein, wie ... wie – meinen Sie, daß ein solcher Mensch noch einen Augenblick glauben könnte, Tugend sey Befehl der ewigen Güte, wenn er zugleich überzeugt wäre, daß Gott andere Menschen, Menschen, sage ich, vernünftige Wesen, durch ihre Organisation gezwungen habe, zugleich vernünftig und lasterhaft zu seyn?

„Sie werden hitzig, lieber Oberst. Wie kann ich mit Ihnen fortdisputiren?“

Ei, gewisse Dinge sind so toll, daß sie jeden ehrlichen Mann mit toll machen! So – und, zum Henker! wer möchte da kalt bleiben? – könnte eben so gut ein Fürst auf den Einfall kommen, den Krieg und das Ermorden in Schlachten zu einem Gesetze der Natur und der Vorsehung zu machen, weil die Natur bei uns mehr Knaben als Mädchen geboren werden läßt. Die Natur ersetzt die Lücke, die der unmenschliche Krieg macht; aber sie schafft nicht, damit geschlachtet werden solle. So verhärtet die Natur auch Menschen, die unmenschlich behandelt werden; aber sie schafft sie nicht hart, um sie unmenschlich behandeln zu lassen. Was Sie zur Ursache machen, ist Wirkung. Kurz, Herr, so lange noch ein Menschenverstand etwas, und hätte es auch nur das Gewicht eines Sandkorns, gegen Ihr System aufbringen kann, so lange sollte kein ehrlicher Mann dies System behaupten, weil es abscheulich ist.

Der Baron lächelte und schwieg. Er glaubte, der Oberst vertheidige das Gegentheil um seines eignen schwarzen Haares willen, und hörte nicht auf zu triumphiren. Eben dieser Triumph gab ihm auch die Stärke, jetzt den Bitten einer ganzen Familie, und, noch mehr, den Empfindungen seines eignen Herzens zu widerstehen.

So groß auch der Haß beider Partheien im Dorfe gegen einander war, so hatte dennoch die Liebe einige junge Leute vor diesem Hasse bewahrt. Der Schulz mit dem Mohrengesichte war des blonden Herrmanns Nachbar. Sein Sohn und Herrmanns Tochter hatten als Kinder zusammen gespielt. Als Knabe und Mädchen waren sie immer zusammen im Garten, auf der Wiese, im Felde, auf der Scheuer. Sie hatten einander immer etwas zu sagen, das Niemand hören; immer etwas (eine Blume, ein Band, eine Hutschnalle) zu schenken, das Niemand sehen; sogar immer etwas mit einander zu zanken, in das sich Niemand mischen durfte.

Unter diesen Vertraulichkeiten und kleinen Händeln waren Rosine und Konrad zwanzig Jahre alt geworden, ohne daß ihnen jemand dabei etwas in den Weg gelegt hatte; denn die Eltern waren beinahe eben so gute Freunde, wie die Kinder. Nun trennte sich das Dorf, wie gesagt, in zwei Partheien. Lange noch hielt sich der Schulz, ohne von dem Hasse der seinigen mit fortgerissen zu werden. Endlich aber mußte er, trotz seiner Gutmüthigkeit, dennoch die seinige ergreifen; denn auch er litt von den Bedrückungen des Barons.

Flaming machte Anstalt, den Negerkopf des Schulzenamtes zu entsetzen, und es Herrmannen zu geben. Das merkte jener. Nun entstand die erste Kälte zwischen den beiden Nachbaren, die dann bald in den entschiedensten Haß überging. Der Schulz wies Rosinen mit Härte von seinem Brunnen weg, wo sie Wasser schöpfen wollte. Sie hatte in ihrem Hause die Meinung geltend zu machen gewußt, daß Schulzens Brunnen für Vieh und Menschen der gesundeste im Dorfe wäre; und wollte Jemand einen Trunk Wasser haben, so holte sie sogleich frisches von dessen Hofe.

So wie der Schulz sie von seinem Brunnen gewiesen, sie darüber geweint, und ihren Vater mit Thränen gebeten, ja die alte Freundschaft wieder anzuknüpfen, aber von ihm den Befehl erhalten hatte, keinen Fuß mehr über des Schulzen Schwelle zu setzen; so konnte sie sich auch ohne Wasser aus dessen Brunnen behelfen, und bot Niemanden mehr ein Glas davon an. Dagegen aber war sie nun desto thätiger für die Haushaltung. Wenn ihre Eltern zu Bett gingen, rief sie: wie sieht das hier aus! und fing an, mancherlei, was von ihr selbst in den Weg gestellt war, wegzuräumen, hatte sich dann noch nicht ausgezogen, oder erschrak, wenn sie sich ausziehen mußte, über ein Loch in ihrer Schürze, suchte Nadeln und Zwirn, schlich aber, wenn die Eltern fort waren, zur Thür hinaus, streichelte den Hofhund, und ging an den Zaun, wo Konrad schon auf sie wartete.

Konrad fluchte dann über den Baron, und wußte keinen andren Entschluß mehr, als Soldat zu werden und Rosinen mitzunehmen; sie aber fand in ihrer sanfteren Brust noch immer Hoffnungen, mit denen sie ihn hinhielt. Die Liebe der beiden jungen Leute bekam nun erst ihre größte Stärke durch die Schwierigkeiten, welche man ihr in den Weg legte, durch die verstohlnen Besuche, durch die gegenseitigen Tröstungen; und die furchtsame Rosine wurde durch ihre Liebe dreist, so wie der unbesonnene Konrad durch die seine vorsichtig.

Der alte Schulz ertappte das liebende Paar eines Nachts, als die Pferde lärmten, und er endlich aufstand, um seinen Konrad zu wecken. Rosine entfloh, und Konrad hörte nur halb die Drohungen seines Vaters. Am andern Morgen hob der Schulze wieder an, und drohete seinem Sohne die härtesten Strafen, wenn er noch mit einem Gedanken an das Mädchen denken würde. Die Mutter, die ihren Sohn kannte, und einen Sturm zwischen ihm und dem Vater befürchtete, erstaunte, als Konrad ganz ruhig dastand und seinen Vater, ohne ihn zu unterbrechen, ausreden ließ. Vater, sagte dann Konrad, ich habe Euch angehört; nun hört auch mich an. Rosinen hab' ich lieb gehabt, das wißt Ihr, von Jugend auf. Ihr hattet zwanzig Jahre nichts dagegen. Nun auf einmal fordert Ihr, ich soll sie nicht mehr lieb haben, und Rosine hat mir doch nichts Leides, sondern alles Liebes gethan. Ihr könnt viel fordern; aber es ist doch auch die Frage, ob ich es thun kann. Seht, Vater, ich habe recht ordentlich überlegt, ob ich wohl von Rosinen lassen könnte; allein hier in meinem Gewissen ist eine Stimme, die ruft, wenn ich so überlege: nein! Ich habe es ihr hundertmal geschworen, sie nicht zu lassen; und ein ehrlicher Kerl will ich bleiben. Wollt Ihr es nun nicht zugeben; gut! so sagt es mir ordentlich und ein- für allemal: dann gehe ich unter das Volk. In den Zeitungen steht ja so, daß es in Ungarn bald wieder losbrechen wird. Gott mag mir und Euch dann gnädig seyn! Werd' ich todt geschossen, so war es Gottes und Euer Wille; und dann – fuhr er mit stillen Thränen fort – bitte ich Euch, nehmt Euch meiner lieben Rosine an, wenn sie wiederkommt: denn sie geht mit mir, das hat sie mir heilig geschworen.

Dieser ruhige Ton und diese stillen Thränen (Konrad war sonst eben nicht für das Weinen) wirkten auf den Vater. Die Mutter hing schon an ihres Sohnes Halse, und schwor ihm, Rosine sollte sein werden, trotz dem Vater, dem Baron und Rosinens Eltern. Der Vater drehete sich bedächtig ab, murmelte etwas von ungerathnen Kindern, und die Sache blieb unentschieden.

In Rosinens Hause ging eine beinahe ähnliche Scene vor. Der alte Herrmann, der von des Nachbars Hofe her ein Paar kräftige Ermahnungen bekommen hatte, auf seine Tochter zu achten, daß sie nicht des Nachts ehrliche Bursche an sich zöge, fragte und erfuhr. Er lief zornig in das Haus, und stürzte auf Rosinen zu. Rosine gab nun alles verloren, und in dieser Vorstellung fand sie eine ungewöhnliche Stärke. Sie sprang hinter ihrem Rade auf; ihr sanftes blaues Auge blitzte, und ein ungewöhnliches Feuer goß sich auf ihre Wangen. Ja, rief sie auf einmal mit einer Stimme, die man an ihr sonst gar nicht kannte: ja, ich habe ihn lieb, und werde ihn ewig lieb haben, und einen Eid habe ich darauf geschworen, daß ich seine Frau werden will; und wollt Ihr nicht, so wird er Soldat, und ich gehe mit ihm.

Der Vater machte einen Versuch, den Muth seiner Tochter nieder zu schelten; aber vergebens. Sie versicherte sehr feierlich, daß sie mit Konraden nach Ungarn gegen die Türken gehen würde. Und bin ich da unglücklich, sagte sie, so habt Ihr es auf Eurem Gewissen! Mit diesen Worten ging sie zur Thür hinaus, auf den Hof. Konrad sah sie, und sprang an den Zaun. Sie sprachen da öffentlich mit einander, und gaben sich die Hände. Die Väter bemerkten es durch die Fenster, schüttelten die Köpfe, und schwiegen.

Einige Tage sahen die Väter dem Umgange der jungen Leute stillschweigend und unthätig zu, dann grüßten sie einander über den Zaun hin, sagten ein Paar Worte, und versöhnten sich endlich vollkommen. Man sprach nun hin und her über die Verbindung der jungen Leute, und kam zuletzt überein, dem Baron die Sache vorzutragen. (Der alte Herrmann fand das nöthig, weil er die Freiheit seines Gutes nicht gern wieder verlieren wollte.)

„Wie?“ sagte der Baron; „Eure Rosine und des Schulzen Sohn? Das ist nicht möglich! Herrmann, Ihr seyd betrogen, und Eure Tochter beschwatzt! Wie? dieser schwarze Krauskopf, dieses Gesicht mit den dicken Negerlippen? Herrmann, lieber gebt sie dem Teufel!“ – Herrmann kreuzte sich. Es ist aber doch ein Christenmensch, Ihr Gnaden. – „Das ist wohl wahr; aber der Himmel mag wissen, wie dieser Mensch aus der Mongolei hierher nach Deutschland hat gerathen können. Nein, Herrmann, kurz und gut, Rosinen bekommt er nicht, wenn Euch noch das Geringste an meiner Freundschaft gelegen ist.“ Herrmann schlich nach Hause.

Die beiden Familien wendeten sich um Vorbitte an den Amtmann, an den Prediger; der Baron blieb aber standhaft bei seiner Weigerung. Man wendete sich endlich an den Obersten. Da sehen Sie ja nun, hob dieser an, daß es nicht an der Natur liegt, wenn Ihre Schwarzköpfe von den Blondköpfen getrennt sind. Ein einziger solcher Fall, wie dieser, wo eine Blondine einen Schwarzen liebt, zeigt denn doch ...

„Liebt?“ fragte der Baron lächelnd. „Von dem Negerkopfe glaube ich wohl, daß er die Celtin lieben mag; aber für das Mädchen stehe ich. Sie ist gezwungen von den Eltern, oder beschwatzt. Denn Sie sollten dieses Mädchen kennen: schön wie eine junge Nymphe, schlank, fein, züchtig! Kurz, es ist nicht möglich.“

In dem Augenblicke ließ sich der Sohn des Schulzen melden. „Nun sollen Sie sehen“, sagte der Baron. „Geben Sie auf diesen Menschen mit seinem Negergesichte Acht, und dann bemerken Sie seine Aeußerungen, seinen Charakter. Ich hoffe, er soll ihn zeigen.“

Konrad kam. Der Baron fuhr ihn an, um ihn furchtsam zu machen. „Ich weiß, was du willst: Herrmanns Rosinen. Aber ich gebe meine Einwilligung niemals.“ Der junge Mensch blieb bescheiden, doch ohne Furcht, vor dem Baron stehen. Ja, Ihr Gnaden, ich will Sie bitten, meiner Heirath mit Rosinen nichts in den Weg zu legen. Eigentlich, Ihr Gnaden, wenn alles Recht wäre, was in der Ordnung ist, weiß ich nicht einmal, ob ich einen Menschen auf der Welt um seine Einwilligung zu bitten hätte. Ich habe Rosinen lieb, Rosine mich. Wir sind Beide im vernünftigen Alter. Ich kann arbeiten, sie auch. Ich bin ein ehrlicher Kerl, sie ein ehrliches Mädchen. Ich muß sie haben oder sterben, das fühl' ich hier in meiner Brust, so gut wie ich fühle, daß ich lebe. Sie sagt dasselbe; und mehr, Ihr Gnaden, glaube ich, fordert Gott nicht von einem Paar Menschen, die einander heirathen wollen.

Der Oberst schlug die Arme unter, und lächelte. Der Baron sah es, und das Lächeln verdroß ihn. „Höre“, wendete er sich zu dem Burschen: „überleg, was ich dir sagen will. Was soll ich dir geben, wenn du Rosinen fahren lassest?“ – Wie? erwiederte Konrad, und das Blut stieg ihm ins Gesicht: – da sind Sie, da ist die ganze Welt zu arm, mir Rosinen zu bezahlen. Ja, dann verdient' ich Rosinen nicht, wenn ich sie verkaufen könnte! – Der Oberst lächelte noch mehr.

„Ich glaube, Bursche“, rief Flaming mit gerunzelter Stirn, „du trotzest?“ – Ich habe nichts Uebles gethan, erwiederte der Jüngling, und weiß also nicht, wovor ich mich fürchten sollte.

„Du fürchtest also gar nicht, daß ich dir Rosinen abschlagen werde? Wohl denn! ich thu' es.“

Das können Sie, Ihr Gnaden, sagte der Bauer mit fester Stimme; wenn aber der Vater will –

„Ich stehe dir dafür, der Vater wird nicht wollen. Du bekommst sie nicht.“

Das können Sie nicht sagen, auch wenn ihr Vater nicht will. So lange Rosine mich lieb hat, und so lange diese beiden Arme (er hielt sie dem Baron geballt entgegen) arbeiten können, so lange kann kein Kaiser sagen, ich soll sie nicht haben. Unsre Eltern können uns enterben; das ist alles. Brot wächst auf der ganzen Erde für Menschen, die ehrlich und fleißig sind; das kann Rosine mit mir finden. Aber ob sie ohne mich einen Mann wieder findet, der sie so liebt wie ich ... – Ich fürchte mich nicht: also Ihr Gnaden ...

„Ich sage dir, du bekommst Rosinen nicht, und damit gut!“ – Der Bauer lächelte und ging.

Gott segne mir, sagte nun der Oberst, die Mongolen, wenn sie alle so sind! Was haben Sie gegen den Burschen, Baron? edel, furchtlos, bestimmt, kalt, wie ein Mann seyn muß. Nun?

„Aber sahen Sie nicht das Gesicht? die dicken Lippen, das wollichte Haar, die kleinen brennenden Augen?“

Recht verliebte Augen, voll Muth und Entschlossenheit, und ein Paar runde Lippen, recht zum Küssen.

„Ich sage Ihnen, das Mädchen liebt ihn nicht, so sehr der Bursche auch von ihr windbeutelte.“

Man entschloß sich, das Mädchen holen zu lassen. Rosine kam, und bat den Baron mit allem, was die unglückliche Liebe, was der wahreste Schmerz, was die Furcht, ewig von dem Geliebten getrennt zu werden, was die Thränen eines gebrochenen, natürlichen Herzens, was Tugend, Schönheit nur Rührendes haben, sie ihrem Geliebten zu geben. „Mädchen“, fragte der Baron hundertmal: „wie ist es möglich? wie kannst du das Mohrengesicht lieben?“ Aber Rosine hielt dem Gesichte ihres Konrads eine eben so große Lobrede, als seinem Herzen, und fiel dann dem Baron zu Füßen. Er war gerührt, und konnte kaum widerstehen. – Diese Ehe, lieber Baron, sagte der Oberst, soll Sie künftig immer am Ohre zupfen, wenn Sie mit Ihrem Systeme schwärmen. „Schwärmen?“ erwiederte der Baron, und das Mitleiden verschwand aus seinen Augen. „Meinen Sie, daß die Thränen einer verirrten Thörin das Gebäude der Weisheit stürzen können? Es bleibt dabei“ – so wendete er sich an Rosinen – „ich werde nie meine Einwilligung in eure Ehe geben. Das sag deinem Vater und dem jungen Menschen. Ich bedaure dich, armes Kind, aber es ist zu deinem Besten.“

Rosine stand auf, trocknete geschwind ihre Augen, sah den Baron mit einer Art von Abscheu an, und sagte dann mit Heftigkeit: gut! ich will ... Sie erröthete, endigte nicht; und ging.

Baron, fing nun der Oberst an, so hole doch der Teufel alle Systeme, wenn eins im Stande ist, ein solches Herz, wie das Ihrige, so von Grund aus zu versteinern! Wie können Sie des Jünglings Edelmuthe, seinem festen männlichen Trotze, wie den rührenden Thränen dieses Mädchens voll Liebe, dieses sanften Geschöpfes, widerstehen? Sie selbst müssen zugeben, daß Ihr System auf schreckliche Folgen führt. Sie können nicht läugnen, – denn, beim Himmel! in Ihrer Brust ist mein Zeuge – daß der Bursche mit dem Negergesichte sich wie ein edler Mensch betrug; nicht läugnen, daß die Celtin da den Menschen, trotz seiner Mongolen-Organisation, heftig und mit voller Seele liebt. Das ist Ein Beweis gegen Ihr abscheuliches System; und Ein Beweis dagegen muß Ihnen so viel seyn, als tausend, eben weil es abscheulich ist. Aus Ihrem eignen Systeme will ich Ihnen denn sogar beweisen, daß Sie selbst ein Mongol sind. Sie, Sie selbst ...

„Wie? ich?“ fragte der Baron voll Verwunderung.

Ja, Sie selbst! Da liegt der Beweis, da unter Ihren Füßen. (Er zeigte auf einen Pudel, den der Baron unbeschreiblich lieb hatte.) Wohl hundertmal haben Sie mir gesagt, es sey ein sicheres Kennzeichen eines unedleren Stammes, wenn man große Liebe und Achtung für Thiere bezeige. Der Asiat trauet dem Elephanten Menschenverstand zu; der Araber verehrt sein Kameel, sein Roß; der Peruaner sein Lama; der Lappe sein Rennthier; der Kamtschadale seinen Hund, der ihn zieht und nährt. Alle lieben diese Thiere mehr als ihre Weiber. Sie haben mich aufgefordert, unter den Celtischen Nationen nur Eine zu nennen, welche die Thiere so verehre, wie jene die ihrigen. Da sind Sie selbst! Stunden lang können Sie von Ihrem Pudel reden, von seiner Treue, von seinem Verstande, von seiner Klugheit. Mehr kann der Peruaner sein Lastthier nicht lieben, als Sie Ihren Pudel. Entweder geben Sie zu, daß es mit den Kennzeichen der unedleren Menschen-Racen, und also mit Ihrem ganzen Systeme, nicht richtig ist, oder gestehen Sie, daß Sie selbst ein Mongol sind.

„Aber, Herr Oberst, sehen Sie denn nicht, daß alle diese Nationen mit ihren Thieren anders umgehen, als ich mit ...?“

Ei ja! sie haben aber auch ganz andere Dienste von ihren Thieren, als Sie von dem Pudel. Und wie viel anders denn? Ich habe Sie schon Viertelstunden lang mit dem Pudel reden hören. Das kann eigentlich nur ein Rasender. Ich weiß wohl, man vergißt in einem solchen Augenblicke, daß man ein Thier vor sich hat. Jene Nationen auf ihrer Stufe der Kultur, die mit den Thieren aufgewachsen, an die Unterhaltung mit ihnen gewöhnt sind, von ihnen genährt und bekleidet werden: mich dünkt, man kann sie immer mit uns Menschen seyn lassen, und das Räthsel dennoch auflösen. Der Asiat liebt seinen Elephanten, wie Sie Ihren Pudel.

„Sie spotten, Herr Oberst! Ich liebe meinen Pudel nicht im mindesten, wenn Sie es so nehmen.“

Wohl denn, Baron! so geben Sie ihn mir. Sie wissen, wie gern ich ihn schon lange gehabt hätte. Da Sie ihn nicht lieben, so verlieren Sie ja an ihm nichts.

Flaming lächelte, lockte den Pudel an sich, und streichelte ihn. „Ich muß Ihnen den Pudel abschlagen; wenn ich auch den Hund nicht liebe, so liebt der Pudel doch mich. Es würde dem armen Thiere nahe gehen, wenn es von mir getrennt würde. Der Pudel kann nicht eine Stunde ohne mich seyn, obwohl ich ohne ihn.“

O pfui, Baron! Also dem häßlichen Thiere dort thut es weh, wenn es von Ihnen getrennt wird, und da fühlen Sie Mitleiden; aber, wenn zwei Menschenherzen von einander gerissen werden, die ohne einander unglücklich sind, da bleiben Sie hart? Großer Gott! dieser Mensch hat ein System erfunden, nach welchem es ihm erlaubt ist, gegen eine Bestie gütiger zu seyn, als gegen ein Geschöpf, in dessen Herzen sein Blut fließt, Menschenblut! Zum Teufel! ich will mich nicht weiter ärgern; und wenn Emilie nicht wäre, Sie sollten mich niemals wiedersehen! – Der Oberst ging voll Zorn hinaus.

Flaming wurde nachdenkend: nicht über die Richtigkeit seines Systems (denn daran zweifelte er auf keine Weise, und er hatte sich so hinein gearbeitet, hatte alles in der Welt in so genaue Verbindung mit seinem System gebracht, dachte nichts in der Welt, las nichts, als nur in Beziehung auf sein System, so daß jeder Angriff darauf vergeblich seyn mußte); aber Rosinens Thränen, und der Kummer des jungen Menschen über die Trennung von seiner Geliebten lagen schwer auf seinem Herzen. Trotz seinem Systeme würde er dennoch zuletzt in die Verbindung der beiden jungen Leute gewilligt haben, wenn er nicht befürchtet hätte, daß er dann jedem erlauben müßte, eine Slavin, ja noch etwas ärgeres, wohl gar eine Zigeunerin (die er nicht wie sein Vater für Juden, sondern für die elendeste Caste der Hindus hielt), zu heirathen. Er seufzte tief. „Lieber Gott! muß ich nicht hart seyn? kann ich die Glückseligkeit meiner Unterthanen so leichtsinnig aufs Spiel setzen? es wagen, daß einmal einer von den elenden Mongolen, die hier in Horden umherziehn ...? Nein! der Bursche ist ein Slave, und der Liebe nicht fähig. Sie wäre unglücklich mit ihm: denn sie forderte Liebe, Achtung; und er würde sie nach seiner Natur zur Sklavin erniedrigen. Sie wäre mit ihm unglücklich. Nein! nein!“

Er ließ den alten Herrmann holen, und suchte ihn von der Idee, seine Tochter dem jungen Menschen zu geben, abzubringen. Der Alte aber blieb dabei, seine Tochter würde davon gehen. Warum, fragte er endlich, wollen es denn Ihr Gnaden nicht zugeben? – „Herrmann“, sagte der Baron, „nur um Eurer Tochter willen. Wenn Ihr es denn wissen wollt ... Aber ich sage Euch, schweigt! Seht doch nur dem Schulzen ins Gesicht! Bemerkt Ihr denn da gar nichts?“

Nein, Ihr Gnaden, nicht das Mindeste. Er sieht aus wie alle andre Menschen.

„Herrmann, der alte Schulz sieht aus wie ein Zigeuner. Die Farbe, die Nase, die Augen, die Lippen ...“

Behüte Gott! Ihr Gnaden wollen ihn doch nicht zu einem Diebe und Mörder machen?

„Ich nicht; aber daß er von Zigeunern abstammt, das weiß ich, und daß Art von Art nicht läßt, das weiß ich auch. Ihr, Herrmann, Ihr ein Abstämmling von den freien Sachsen, wie es Eure blauen Augen und Euer helles Haar beweisen – wollt Ihr Eure Tochter einem Abkömmlinge von Zigeunern, oder doch wenigstens einem Wenden, geben, so thut es; aber ich erlasse keinem Wenden die Frohndienste. Und Eure Tochter sollte doch von Euch erben, was Ihr von Euren Voreltern ererbt habt: reines Deutsches Blut!“

Der alte Herrmann wischte sich die Stirn. Er sann einige Augenblicke nach, und dachte daran, daß der Baron keinem Schwarzkopfe die Frohndienste erlassen hatte. Auf einmal war ihm nun das Betragen des Barons deutlich. Kennt man denn die Wenden, fragte er, am schwarzen Haar, Ihr Gnaden?

„Nicht am Haar allein, Herrmann; noch an tausend anderen Zeichen. Aber ich bitte Euch, schweigt davon!“

Nicht ein Wort, Ihr Gnaden! Und der Konrad soll sie nicht haben! Der Teufel traue den Wenden!

Herrmann fand, als er zu Hause kam, Konraden, faßte ihn stillschweigend beim Arm, öffnete die Thür, und sagte: du bist zum letzten Male hier gewesen; meine Tochter ist nicht für dich! Damit warf er ihn zur Thür hinaus. Die Frau fragte ihn um die Ursache seiner schnellen Veränderung; er antwortete aber nur in Räthseln, und so wenig sie als Rosinens Thränen brachten etwas von ihm heraus. Der Schulz kam selbst; allein Herrmann behandelte den Alten so stolz, daß dieser seinem Sohne ebenfalls verbot, weiter an Rosinen zu denken. Konrad sprach seine Geliebte einige Augenblicke durch ein Loch, das in den Stall ging. Nachts um zwölf Uhr stand er, mit einem Pack Kleider und Wäsche unter dem Arm, und einem Bündelchen Geld in der Tasche, draußen vor dem Dorfe. Rosine kam eben so bepackt, warf sich in Konrads Arme, und benetzte ihn mit Thränen der Angst. „Weine nicht, Rosine“, sagte er zuversichtlich, und hob ihr Gesicht gen Himmel. „Da sieh hin! Gott ist uns gnädig; aber ich wollte alle mein Geld wegschenken, wenn er uns ein Zeichen seiner Gnade gäbe, damit du ruhig wärest.“ In diesem Augenblicke schneuzte sich ein Stern, und zog sich am Himmel herab, nach der Gegend, wohin sie wollten.

Sieh, sieh! Gott ist uns gnädig! rief Rosine jauchzend. Er zeigt uns den Weg! – Konrad nahm die Geliebte in seine Arme, und sie flogen unter Liebkosungen den Weg, den ihnen die Lufterscheinung zeigte.

Dies Ende hatte so wenig Herrmann als der Baron erwartet. Der Alte hätte, um es zu verhüten, seine Tochter lieber einem wirklichen Zigeuner gegeben; und der Baron konnte einige Tage hindurch den Gedanken nicht aus der Seele los werden: wie wird es den unglücklichen Flüchtlingen, wie nun den kinderlosen Eltern gehen! Und wer ist Schuld daran! – Noch tiefer und schmerzlicher drückte sich dieser Gedanke in sein Herz, als ein Bedienter ihm erzählte, daß der alte Schulze aus Kummer über die Flucht seines Sohnes sterbenskrank sey. Er verfinsterte die Stirn, ging den ganzen Tag unruhig, voll Reue, umher, verwünschte in Gedanken sein System, und erzeigte einigen Schwarzköpfen, die ihm in den Weg kamen, mit ausgezeichneter Güte Wohlthaten. Sobald er hörte, daß der alte Schulz wirklich dem Tode nahe wäre, drängte ihn sein Herz, den Mann zu besuchen und ihn um Vergebung zu bitten.

Er ging zu ihm, so sehr er auch vor dem Anblick des unglücklichen Vaters zitterte. Da lag der Alte bleich auf dem Bette, kraft- und muthlos. Ach! auch das noch? rief er schauernd, als er den Baron erblickte, und versuchte sich umzuwenden. „Nein“, sagte auf einmal der Baron mit dem Tone der Reue, der gutherzigsten Liebe, ging auf das Bett zu, und ergriff des Kranken Hand: „nein, lieber Schulz, Ihr sollt nicht aus der Welt gehen, ohne mir vergeben zu haben. O, wendet Euer Auge nicht von mir! laßt mir die Hand! Denkt, Euer Sohn stände hier, und bäte um Euren Segen.“

Ach, mein Sohn, mein armer Sohn! seufzte der Alte. Da wird er liegen auf dem Schlachtfelde, verwundet! Und niemand bringt ihm eine Erquickung, niemand verbindet ihn! niemand! Jammern wird er nach Trost und Hülfe; und niemand, niemand! – Diese Töne des bittersten Schmerzes, mit dem Accente des stärksten Jammers aus der Brust des Sterbenden hervorgehaucht, zerrissen des Barons Herz.

„Nein“, sagte er laut, und beugte sich über den Kranken: „ich will dir deinen Sohn wiederschaffen. Du sollst nicht ohne ihn, nicht trostlos sterben!“ Ein Strahl von Freude stieg in das erloschne Auge des unglücklichen Vaters. Er ergriff des Barons Hand, und drückte sie an seine kalten Lippen. „Gott!“ seufzte Flaming; „was hab' ich gethan!“ – Er riß sich los, eilte nach Hause, und ließ satteln. Alle Bedienten, so viel ihrer da waren, mußten aufsitzen. Er vertheilte sie auf alle Straßen, und bat den Obersten, mit ihm selbst zu reiten. – Wohin? Zu Emilien? fragte dieser.

„Nicht zu Emilien. Ich suche die unglücklichen Liebenden auf, um sie ihren Eltern wiederzugeben, ihren Eltern, die ich unglücklich gemacht habe. Lassen Sie uns eilen!“ Der Oberst umarmte den Baron, und sagte: „jetzt, Baron, wären Sie mir ein Celte, und wenn Sie das Gesicht eines Mopses hätten. Zum Teufel! sehen Sie wohl, daß ich Recht habe? Sie reden oft, daß einem schaudern möchte. Aber Empfindung, sag' ich, Handeln, macht den Menschen, nicht das System: eben so wenig, wie eine Mopsnase, krumme Beine, gelbe Farbe, oder ein dicker Bauch. Lassen Sie uns reiten. Haben wir den Jungen mit seinem Mädchen wieder, so sollen Sie dem Negermaule einen Bruderkuß geben, und damit Ihr System den Abschied bekommen.

Flaming sah und hörte nicht, sondern eilte vorwärts. Nach acht Tage langen vergeblichen Bemühungen kam er wieder zu Hause, und erfuhr zu seinem Schmerze, daß der Schulz vor einer Stunde gestorben war. Auch die Bedienten kamen zurück, ohne von dem jungen Paare Nachricht zu bringen. Der Baron that alles, um beiden Familien das Unrecht zu vergüten, das er ihnen gethan hatte. Er folgte der Leiche des Schulzen, und schämte sich der Thränen nicht, die er weinte, als man den Sarg versenkte.

Doch endlich heilte die Zeit die Wunde aus, welche diese Begebenheit seinem Herzen geschlagen hatte; und so fing denn auch sein System allmählich wieder an empor zu kommen. Dadurch machte er aber seine Bauern immer unzufriedner. Ob er gleich die Blonden unter ihnen durch unerwartete, ja durch unnöthige Wohlthaten vor den Schwarzen auszeichnete, so war er dennoch auch für diese bei jedem Unglücke, das sie traf, ein hülfreicher Vater. Allein er verdarb jede Wohlthat, die er den Schwarzen erzeigte, durch sein Betragen dabei, durch eine Art von Verachtung; und wohl hundertmal mußte er ausrufen: „die undankbaren, gefühllosen Seelen!“ Jetzt wurde auch das System des Edelmanns unter den Bauern bekannt; denn der alte Herrman war in seinem Schmerze über den Verlust seiner Tochter plauderhaft gewesen. Die Blonden sagten einander ins Ohr: der Edelmann habe in seinem Familienarchiv alte Nachrichten, woraus erhelle, daß die Vorfahren aller derer, denen er die Frohndienste nicht erlassen hätte, Zigeuner gewesen wären, wie man denn das auch noch aus dem schwarzen Haare dieser Leute sehen könne. Und wahr ist es, rief ein alter Bauer; denn denkt nur zurück: der selige Baron haßte nichts mehr als die Juden und die Zigeuner. Er hat es seinem Sohne noch auf dem Sterbebette anbefohlen, uns Andern die Frohndienste zu erlassen, und den Schwarzen nicht. – Das blieb Anfangs wie ein dumpfes Gespräch unter den Weißen; dann aber verbreitete es sich auch unter die Schwarzen, und endlich kam das Gerücht als Injurienklage vor den Amtmann.

Ja! rief der Verklagte; ja, es ist wahr. Der gnädige Herr weiß es am besten. Im alten Buche steht es. Alle die mit schwarzen Köpfen sind Zigeuner; und darum müssen sie zur Frohne, und wir nicht, und darum dürfen wir ihnen auch unsere Töchter nicht geben. – Der Amtmann wollte lachen; allein die weitere Auseinandersetzung des Bauern überzeugte ihn bald, daß mehr an diesem Geschwätze seyn müsse. Er verglich die Partheien, und nun erinnerte er sich aller Reden des Barons. Auf einmal wurde ihm alles hell: die Auszeichnung der Blonden, die seltsamen, räthselhaften Gespräche des Edelmanns, das Heirathsverbot, und manche andere Dinge.

Er ging zu dem Prediger, und sagte ihm seine Vermuthungen. Man lachte. Aber der Amtmann wurde ernsthaft genug, als sich von Tage zu Tage die Klagen über das Zigeunerschelten vermehrten, und jeder Verklagte sich auf den Baron und das alte Buch berief. Er sah sich endlich genöthigt, mit dem Baron darüber zu sprechen. „Die Bauern haben so Unrecht nicht“, fing dieser lächelnd an. Er setzte nun so mild als möglich sein System von den Menschen-Racen auseinander. Indeß, so mild er es auch gethan hatte, so erröthete der Amtmann doch vor Verdruß, als er sah, daß auch er selbst von dem Baron mit zu den schlechteren Menschen gerechnet wurde. Dieser Gedanke brachte ihn nach und nach in Hitze, besonders, als der Baron bei der Erklärung seines Systems immer mehr vergaß, wen er vor sich hatte. Ich habe, hob er auf einmal an, schon manchen Narren mit blondem Haar und blauen Augen gesehen, Ihr Gnaden, das versichere ich Ihnen.

„Das haben Sie nicht, Herr Amtmann“, antwortete Flaming sehr gelassen. „Es ist Ihnen so vorgekommen; denn um einen Menschen von der edelsten Race richtig zu beurtheilen, muß man selbst ein Celte seyn.“

Ho! ho! rief der Amtmann, dem die Geduld verging; um einen Narren richtig zu beurtheilen ...

„Muß man selbst ein Narr seyn“, unterbrach Flaming den Amtmann ruhig, und legte die Hand auf dessen Arm.

Wie? rief der Amtmann erhitzt; bin ich hier, um mich von Ihnen schimpfen zu lassen?

„Schimpfen?“ fragte der Baron befremdet; denn er hatte an nichts weniger gedacht, als den Amtmann zu beleidigen. „Schimpfen? Wahrhaftig, ich weiß nicht, was Sie wollen, lieber Herr Amtmann. Denken Sie doch nur nach! Um einen Narren richtig zu beurtheilen, daß heißt, um einzusehen, wie seine Narrheiten in sich zusammenhangen, muß man etwas Aehnliches bei sich fühlen, also auch ein Narr seyn, so wie man durchaus ein Mensch seyn muß, um den Menschen richtig zu beurtheilen. Um also einen edleren Menschen richtig zu beurtheilen, muß man durchaus ein eben so edler Mensch seyn, eben die Reife der Urtheilskraft haben: sonst kann freilich der Celte oft dem Slaven wie ein Narr erscheinen, ohne daß er es ist.“

O, alle diese Spitzfindigkeiten – fing der Amtmann erbittert, und doch verlegen an –

„Scheinen Ihnen nur so, lieber Herr Amtmann. Wer richtig und rein denken kann, redet nie so wie Sie. Die falschen Ausdrücke, die unbestimmten Worte, die man wählt, haben immer ihren Grund in verwirrten Vorstellungen. Man redet richtig, wenn man richtig denkt. Sehen Sie, lieber Herr Amtmann, sicher fließt schon in Ihren Adern edles, Celtisches Blut; es würde also nur auf Sie selbst ankommen, so rein und hell zu denken, wie es Ihnen möglich ist. Merken Sie nur fürs erste die neun Lateinischen Wörterchen, die wahrlich einen großen Sinn enthalten: an, quid, cur ...“

Herr Baron! sagte der Amtmann entrüstet; ich bin der Schule entwachsen!

„Ich nie, Herr Amtmann“, antwortete der Baron lächelnd; „und das, seh' ich jetzt, ist unser Unterschied. Ich lerne noch immer, weil ich noch immer lernen kann. Indeß, wie Sie wollen, Herr Amtmann.“ Er verbeugte sich. Der Amtmann ging, und der Baron sagte mitleidig: „lieber Gott, wie sie einander ähneln, diese vernachlässigten Menschen-Racen! Gerade wie der Sinese, der, wenn er die Form kennt, in der er seine Verbeugungen zu machen hat, den edlen Celten mit seinem offnen freien Wesen verachtet!“

Der Amtmann lief zornig zu dem Prediger, und klagte dem sein Leid. Der Letztere ließ sich weitläuftig alles erzählen, was der Baron gesagt hatte. Nun, meinte er dann, im Ganzen mag der Baron nicht Unrecht haben; denn in Absicht des ordentlichen, hellen Denkens seyd Ihr Juristen fast alle ein wenig Mongolisch.

„Herr Gevatter“, rief der Amtmann, „bleiben Sie damit weg! Wenn Ein Stand in der Ordnung denkt und schreibt, so ist es der unsrige. Wir müssen ja alles bis ins Unendliche abtheilen.“

Ihr schreibt freilich: erstlich, zweitens, und so weiter; aber das kommt mir, wenn ich eine juristische Schrift lese, gerade so vor, als wenn ich mit einem Rasenden rede, der seine tollen Ideen in einem guten Style vorträgt. Ein wenig Philosophie könnte wahrhaftig der ganzen Fakultät nicht schaden. – Der Prediger fing nun an das System, so viel ihm der Amtmann davon mittheilen konnte, zu studieren; und dann ging er zu dem Baron, ihm zu sagen, daß die ganze Gemeinde durch das System in Verwirrung geriethe. Er redete alle Sonntage von der Verträglichkeit, und hatte den Verdruß zu sehen, daß die jungen Bursche einander noch auf dem Kirchhofe vor seinen Augen bei den Köpfen nahmen, und die blonden und schwarzen Haare ausrauften.

Der Baron setzte dem Prediger mit großem Triumphe sein System auseinander. „Sie, lieber Pastor, werden es richtig beurtheilen; denn Sie selbst sind ein edler Celte.“

Ihr System mag einmal wahr seyn; aber man sollte es doch verschweigen, wie den bösesten und schädlichsten Irrthum. Es sind nur erst ein Paar Züge davon unter Ihren Unterthanen bekannt geworden, und schon liegen beide Partheien einander alle Tage in den Haaren. Denken Sie sich nun den Fall, die Blondköpfe erführen Ihr System in seiner ganzen Ausdehnung; sie erführen, daß sie ganz andere Menschen sind als die übrigen, daß sie von edleren Urmenschen abstammen, daß die andere Parthei sie an Verstandeskräften nie erreichen kann, daß sie zu größeren Genüssen, daß sie zum Beherrschen der andern Parthei geboren sind: so werden ...

„So werden sie“, fiel der Baron ein, „die Väter, die Lehrer, die Freunde, die Beschützer ihrer vernachlässigten Brüder werden.“

Ja, wahrhaftig! sagte der Prediger; das sehen wir jetzt alle Tage! Die edlen Celten behandeln ihre von der Natur vernachlässigten Brüder mit aller Härte und Verachtung, die nur der dümmste Stolz geben kann; und die Andern bezahlen ihnen mit dem glühendsten Hasse. Wie soll das aber auch anders seyn? Warum soll ich den nicht verachten, den die Natur verachtet hat? warum den nicht hart behandeln, den die Natur hart behandelte? O, lassen Sie erst Ihr System bekannt seyn, und Sie sollen sehen, wie Grausamkeit, Stolz, Wollust, Härte, Bosheit diese Sätze brauchen werden, um alle ihre Verbrechen zu vertheidigen. Ich predige: liebet alle Menschen; denn es sind eure Verwandten, eure Brüder! Die Menschen werden dann sagen: nein, es sind Fremde, die ich beleidige; nicht meines Blutes, nicht Gesellen meiner Natur, halbe Thiere. Ich predige: liebet den Menschen; denn Gott, die Liebe, hat sie mit Vollkommenheit, zum Glück, erschaffen. Sie werden mir antworten: Gott schuf diese Menschen zur Sklaverei, zu unsern Knechten, und uns zu ihren Herren. Das wird die Folge seyn. Wen man verachtet, den kann man nicht lieben; und wer uns hasset, dem können wir nicht wohlthun.

„Wenn mein System wahr ist, lieber Prediger“, antwortete der Baron ganz kalt, „so lassen Sie es immerhin bekannt werden. Die Natur mag die Folgen verantworten; was kümmern den Philosophen die Folgen der Wahrheit!“

Der Prediger mochte die Wirkungen des Systems von Menschen-Racen auch noch so schrecklich mahlen; der Baron blieb immer gleich kalt. Er mußte endlich das System selbst angreifen. Da hatte Flaming ihn erwartet. Sie stritten und stritten; aber am Ende blieb jeder bei seiner Meinung.

Die Unruhen, die Schlägereien unter den Bauern im Dorfe wirkten indeß auf den Baron doch so viel, daß er nichts weiter von seinem Systeme sprach; und da die schwarze Parthei der weißen drohete, ihre Sache an das höchste Landestribunal zu bringen, und von dem Baron den Beweis zu verlangen, daß schwarzes Haar eine Schande sey; da ferner der Amtmann dem Baron vorstellte, daß er leicht zu einer Ehrenerklärung angehalten werden könnte, indem sein System noch nicht privilegirt sey: so erging ein strenger Befehl an die Blonden, Niemanden sein schwarzes Haar weiter vorzuwerfen. Als dann der Amtmann den ersten Schuldigen wirklich ernstlich bestrafte, wurde die Ruhe leidlich wieder hergestellt. Nur hatte der Baron den Verdruß, daß jetzt auch die Blonden, trotz seinen Wohlthaten, ihn verlästerten.

Die Liebe der Blonden zu dem Baron verwandelte sich endlich sogar in Haß. Es kam ein Officier in das Dorf, um die junge Mannschaft zu messen. Der Baron, bei dem er aß, erkundigte sich, welche Leute er zu Rekruten wählen würde. Der Officier nannte ihm zwei Schwarzköpfe und einen Blonden. Eben der zum Soldaten bestimmte Blonde stand, als dieses Gespräch anhob, vor der Thüre des Eßzimmers, weil er den Baron um seine Fürsprache bitten wollte. Er verlor kein Wort von der Unterredung. „Auch die Beiden haben Sie gewählt?“ fragte der Baron, als er die Nahmen der Schwarzköpfe hörte, und zuckte die Achseln.

Meinen Sie nicht, erwiederte der Officier, daß ich gut gewählt habe?

„Wenn die Größe den Soldaten macht, Herr Lieutenant, so haben Sie gut gewählt. Fordern Sie aber Muth, Treue, Entschlossenheit, Vaterlandsliebe, dann, freilich, haben Sie nicht gut gewählt. Unser König ist ein Deutscher; er will auch Deutsche haben, um sein Land zu beschützen: und diese beiden Menschen ...“

Sind es Ausländer, Herr Baron? Freilich, dann –

„Sie heißen Deutsche, sind hier geboren und erzogen; allein ... Sehen Sie, Herr Lieutenant ...“ – Nun war er in seinem System, und bewies dem Officier, daß eine Armee mit blondem Haar und blauen Augen noch einmal so treu, so muthig, so einsichtsvoll, so entschlossen, so ausharrend fechten müsse, als eine mit schwarzem Haare. „Freilich“, fuhr er fort, „ist es auf der andern Seite Schade, daß solche Soldaten der Kriegesgefahr ausgesetzt werden, da es besser wäre, wenn sie alle das Leben zum Fortpflanzen behielten. Indeß ... Uebrigens kostet eine solche Armee mehr; denn der Celte kann sich nicht mit den elenden Nahrungsmitteln begnügen, mit denen ein Slave zufrieden ist. Eine Russische Armee lebt beinahe von nichts; ein Paar Zwiebeln, eine Handvoll Wurzeln nähren den Kosaken ganze Tage. Das kann ihm kein Deutscher nachthun; aber er kann ausharren, fechten, ohne je den Muth zu verlieren: das kann der Russe nicht. O, lebte Tacitus noch, und sähe jetzt eine Deutsche Armee, vor der Rom sonst zitterte; sähe er die vielen Schwarzköpfe darunter – er würde ausrufen: Schande für Deutschland! Das sind keine Teutonen mehr; das sind verächtliche Hunnen oder Sarmaten! Die fechten um Sold; nicht mehr für Freiheit und Vaterland!“

Der Enthusiasmus des Barons wirkte auf den jungen Officier. Sie haben Recht, Herr Baron, sagte dieser. Wahrhaftig, man vergißt das alles, wenn man nichts als die Zolle, die der Bursche mißt, im Kopfe haben muß. Aber ich gebe Ihnen mein Wort, von nun an nehm' ich nie einen andern Rekruten, als einen mit blondem Haar und blauen Augen. Für die beiden Schwarzköpfe wähle ich noch heute zwei Blonde.

In diesem Augenblick entsprang der Weißkopf, der von dem Gespräche nichts weiter begriff, als daß der Baron dem Officier zugeredet hatte, nur Blondköpfe zu Soldaten auszuheben. Seine Erzählung davon durchlief das Dorf wie ein Blitz. Man glaubte sie nicht, weil man der Gunst des Barons zu gewiß war; aber wie erstaunten die Blonden, und wie triumphirten die Andern, als der Offizier, anstatt der beiden schwarzköpfigen Rekruten, ein Paar blonde nahm, und mit ihnen abmarschirte!

Nun erwachte der Haß der Blondköpfe gegen ihren Beschützer fürchterlich. Die Eltern der beiden neuen Rekruten liefen heulend zu dem Baron, und machten ihm die bittersten Vorwürfe. Nie war er so in Verlegenheit gewesen, wie jetzt. Die Thränen, das Jammern der Eltern über ihre Söhne drang ihm durch das Herz, so unceltisch es ihm auch vorkam, daß sie gar nicht auf seine Vorstellung achteten, wie ehrenvoll es für sie und ihre Kinder sey, wenn ihnen, und nicht den Schwarzköpfen, das Vaterland seine Vertheidigung anvertraue. Er mußte ihnen zuletzt versprechen, sie wieder los zu machen; das allein konnte die Eltern beruhigen. Nun aber ging der Lärmen zwischen beiden Partheien aufs neue los. Die Schwarzen lachten und jubelten laut, und spotteten über die Gunst des Barons, der seine lieben Kinder unter die Soldaten bringe. Die Weißen riefen: euch will ja der König nicht! Schande genug für euch, daß der König euch nicht für werth hält, ihm zu dienen! – O, das mag er thun! antworteten die Schwarzen triumphirend.

„Die Elenden!“ rief der Baron. „Wie? und man will noch mein System angreifen? will noch nicht sehen, wie feigherzig, wie gefühllos gegen die Schande diese Nachkommen der Slaven sind?“ Der gute Baron vergaß, wie gern seine blonden Unterthanen in dem Falle gewesen wären, eben das sagen zu können, was die Schwarzen sagten, und sah nicht, wie sehr sie ihn haßten, weil er sie in den Fall gesetzt hatte, sich so tapfer stellen zu müssen.

Indeß, trotz allen Schwierigkeiten, die dem Baron in den Weg gelegt wurden, genoß er doch des Triumphes, seinen Glückseligkeitsplan immer mehr ausgeführt zu sehen. Das Herz lachte ihm vor Freude, wenn er seine Blondinen in ihren engen hellfarbigen Miedern und langen Röcken, mit kleinen Schritten, oder wenn er die jungen Bursche in hellblauen Röcken, engen Beinkleidern und Filzhüten über die Gassen gehen sah. „Sehen Sie“, sagte er dann dem Obersten Brensen jedesmal, und drückte ihm die Hand; „sehen Sie, wie schön der Strohhut über den blauen Augen steht!“ Und darin hatte er Recht. Die Mädchen putzten sich wie die Bräute; denn ihr Putz kostete ihnen nichts. Sie schonten Hände und Haut, denn der Baron gab ihnen so reichlich, daß sie keine harte Arbeit zu thun brauchten. Auch den Triumph hatte der Baron erlebt, daß sogar die Brünetten anfingen etwas von ihrer Liebe zu der Slavischen Kleidung nachzulassen. Er war fest überzeugt, daß seine Vorstellungen das bewirkt hätten; allein die armen Brünetten mußten wohl nachgeben, wenn sie nicht alle ihre Liebhaber verlieren wollten, denen die schlanken, wohlgekleideten Blondinen sehr in die Augen stachen.

Fielen den Weißköpfen ihre Häuser zusammen, so unterstützte der Baron sie mit Geld und Baumaterialien, wenn sie so baueten, wie er wollte. Folglich ließ jeder Weißkopf sein Haus mit der Front, und nicht, wie sonst, mit dem Giebel, nach der Gasse hin bauen. Die Häuser bekamen hohe und helle Fenster. Das Vieh wurde weiter von dem Wohnhause abgesondert, und die Bauern befanden sich jetzt in ihren Celtischen Häusern wirklich besser, als vorher in ihren Slavischen Hütten. Dem Schwarzen hingegen gab der Baron bei einem Baue gar nichts, oder so wenig, daß er bei der vorigen Bauart bleiben mußte. „Sehen Sie?“ sagte der Baron zu dem Obersten; „selbst in diesen Kleinigkeiten hat die verschiedene Organisation den Celten von dem Slaven getrennt. Geben Sie Acht. Aus diesem neuen Hause en front, aus diesem hohen hellen Fenster, sieht gewiß ein Blondkopf; dort aus jenem Hause, das ebenfalls erst gebauet ist, das den Giebel auf die Gasse kehrt und so kleine dunkle Fenster hat, sieht ein Schwarzkopf. Nun? Was sagen Sie dazu?“

Jener Mann wird wohlhabender seyn, als dieser.

„Mit nichten. Sie sind Beide gleich wohlhabend; allein die Organisation treibt jenen, sich hell und licht, und diesen, sich versteckt und dunkel anzubauen.“ Der Baron verschwieg sehr sorgfältig, daß er selbst das helle Haus gebauet hatte. Bei einem solchen Falle mußte der Oberst sich immer gefangen geben, weil er wirklich nichts davon begriff. Er schüttelte nur stillschweigend den Kopf über die seltsame Erklärung. Der Baron sah das Kopfschütteln, lächelte und sagte: „warum bauet der Biber in Kanada und an der Elbe einerlei Gebäude? warum die Bienen in meinem Garten und in Asien gleiche Zellen? warum der Sperling in Europa und in Afrika ein ähnliches Nest? Die gleiche Organisation treibt sie dazu. Sehen Sie, aus demselben Grunde bauet der Slave in Asien eben das Haus, das der Slave auf meinen Gütern bauet: dunkel, eng und schmutzig; und der Celte am Kaukasus, wie in Deutschland, hell, groß, und reinlich. Zweifeln Sie noch? Ich könnte Ihnen das mit tausend anderen Fällen belegen, mit der Kleidung, mit dem Schnitte der Haare, mit den Möbeln, mit der Art zu sitzen, zu gehen, zu tanzen und so weiter, die allen Slaven und allen Celten eigenthümlich sind.“

So hole der Teufel den Menschen, der bauen, essen, sitzen, tanzen, denken, fühlen und handeln muß, wie seine Organisation ihn zwingt! Fühlen Sie denn nicht, wozu Sie den Menschen machen? Zu einem Stocknarren der Natur, zu einer Marionette, die das hölzerne Maul aufreißt, und von Vernunft, von Moralität spricht, bloß um damit zu lachen zu machen. Herr, ich würde mir eine Kugel durch den Kopf jagen, wenn ich Ihr System glauben müßte. Nein, zu allem Glücke sehen auch noch Weißköpfe aus engen, dunkeln Häusern hervor. Aber gewiß haben Sie nie einen Fuchs aus einem Bibergebäude hervorschauen sehen. Und das beweist eins für alles.

„Ich stehe Ihnen dafür, das Haus hat dann gewiß ein Slave gebauet, kein Celte; und nur davon ist die Rede.“ –

Die Weißköpfe auf dem Gute des Barons lebten besser als die Schwarzen. Ihre Wohlhabenheit kam so schnell, so ohne Mühe, daß sie anfingen mehr auf Essen, Trinken und Betten zu wenden als sonst. Sie waren bequemer, als die Schwarzen. Der Oberst, der jetzt, wenn er bei dem Baron war, sich mehr um die Bauern bekümmerte, sagte ihm das, und warnte ihn vor ihrem Luxus.

„Sehen Sie, ein neuer Zug des Celten! Er muß besser essen, er kann nicht so hart liegen, als der Slave. Mit Einem Worte: der Celte ist weicher, zarter. Das werden Sie bei allen meinen Weißköpfen finden.“

Aber Ihre Celten werden zuletzt verhungern müssen, wenn Sie fortfahren so zart zu seyn.

„Sorgen Sie nicht! Der Slave verschwelgt das auf einmal, wovon der Celte einen Monat lang genießt. Sehen Sie zu. Sie werden meine Weißköpfe wenigstens in eben so gutem Vermögenszustande finden, als die Schwarzen. Der Celte genießt mäßig; der Slave verschlingt, frißt. Bei den Mongolen ist das noch sichtbarer. Alle Theile des Kopfes, die zum Essen gehören, Beißmuskeln, Zähne, Backenknochen, sind bei ihnen um vieles größer und stärker, als bei den Celten. Sagen Sie selbst, muß ich nun nicht schließen, daß die Natur sie zum Verschlingen, zum Fressen, zu den elendesten Nahrungsmitteln bestimmt habe?“

Aber, zum Teufel, Herr! wer heißt Sie so schließen? Die Mongolen sind durch den Grad ihrer Kultur, durch Klima, Beschäftigung, Lage, Umstände gezwungen, die härtesten Nahrungsmittel, rohes Fleisch, gedörrte Fische, Wallfischspeck, harte Wurzeln und dergleichen, zu verzehren. Ein Kind sieht ja ein, daß ein Mensch, der nur Suppen, Spinat, weich gekochtes Fleisch und Biskuit ißt, seine Beißmuskeln nicht so ausarbeiten kann, wie ein junger Mongol, dem die Mutter ein Stück rohes Fleisch zum Frühstücke giebt. Wer wird denn wohl, wenn er eines Bauern Hand und Arm befühlt, sagen: diese Hand ist härter, größer, muskulöser, stärker, knochiger, als meine; darum hat die Natur den Mann zu harten Arbeiten bestimmt, und mich für den Sofa! Des Mannes Hand ist durch die Arbeit härter geworden, wie des Mongolen Beißwerkzeuge durch die Arbeit stärker. Mit ihrer Art zu schließen könnte ich ja von einem Geräderten behaupten: die Natur hat diesen Unglücklichen bestimmt, auf das Rad geflochten zu werden; denn seht einmal her, wie viel geschmeidiger seine Knochen sind, als die meinigen! sie lassen sich biegen wie eine Weidenruthe.

„Ihre Vergleiche, Herr Oberst, sind so seltsam ...“

Wie Ihre Beweise, Herr Baron.

So zankten sie sich täglich; allein der Baron blieb unerschüttert. Er genoß des hohen Triumphes, fast alles, was Slavisch war, aus seinen Dörfern weggeschafft zu haben. Schon dreimal hatte er sogar das Glück gehabt, von auswärts her junge Blondköpfe mit drei Brünetten in seinem Dorfe zu verheirathen. Die Eltern sahen das gern; denn, so sehr sie die Blondköpfe auch haßten, so fühlten sie doch, daß es jetzt ein Glück sey, blondes Haar zu haben, besonders da der Baron die Befreiung von den Frohndiensten zum Preise dieser Verbindungen machte. Ein Paar Schwarzköpfe suchten voll Verdruß darüber, daß sie so zurückgesetzt wurden, ihre Höfe los zu werden. Der Baron kaufte sie, und verkaufte sie mit Schaden wieder, aber an die beiden blondesten Jünglinge, die in der Gegend zu finden waren. So sah er fröhlich dem Tage entgegen, da er rufen konnte: alle meine Unterthanen sind die edelsten Celten!

Die Prophezeiungen des Amtmanns, der dem Dorfe den vollen Untergang verkündigt hatte, trafen nicht ein. Die Schwester des Predigers nahm den Baron sogar in Schutz. „Ich verstehe von seinem Systeme nichts“, sagte sie, „und mag nichts davon verstehen; aber daß Ihr Beide das System in die Hölle verdammt, begreife ich doch auch nicht. Der Baron ist nur zwei Jahre hier, und das Dorf hat zehn neue Häuser, in denen man nicht vor Gestank vergeht. Die Mädchen im Dorfe kleiden sich niedlich; die jungen Bursche auch: das mag ich leiden. Die Schulden des Dorfes sind bezahlt, und keiner hier leidet noch Noth. Nehmt es mir nicht übel; bringt ein System das in zwei Jahren hervor, so kann man ihm wohl zu gute halten, daß es schwarzes Haar und Augen verdammt, und dicke Bäuche haßt, obgleich Ihrer, Herr Amtmann, Ihnen recht hübsch läßt. Ich selbst mag lieber einen schlanken jungen Menschen leiden, als einen kurzen, dicken. – Die Bauern prügelten sich sonst alle Tage; aber das ist nun vorbei. Daß der Baron die Schwarzen aus dem Dorfe nach und nach wegschafft, kann ihm Niemand verdenken. Du schaffst ja nach und nach alle Pergamentbände aus deiner Bibliothek, und nimmst Franzbände; und da der Amtmann schafft alle Blumen, die nur einen gelben Punkt haben, ohne Gnade ab. Es sind aber Menschen, sagt Ihr. Nun wohl! Der Baron thut doch Keinem Unrecht, und jagt doch Keinen fort. Er kauft die Güter, und setzt, was Ihr nicht läugnen könnt, sehr hübsche junge Männer wieder hinein.“

Aber, sagte der Prediger, was hätte mit eben dem Gelde, das dies alles kostet, nicht können gewirkt werden!

„Gebe der Himmel, daß erst alle Edelleute ihr Geld nur so anwenden, wie der Baron! Er läßt es sich etwas kosten, blonde Bauern in sein Dorf zu ziehen; aber er macht sie wohlhabend und glücklich. Andre Edelleute schaffen für ihr Geld Hunde, Pferde, Möbeln, und machen ihre Bauermädchen liederlich, ihre Bauern arm. Das System ist noch gut genug.“

Wenn es nicht bekannter wird, sagte der Prediger, und es nur dabei bleibt; was ich aber nicht glaube!

Bald nach dieser Unterredung hatte der Baron einen ziemlich lebhaften Streit mit dem Prediger, den er besuchte. Er behauptete: „es sey ein Merkmahl unedler Abkunft, wenn ein Bräutigam ein sichtbares Zeichen der Keuschheit von seiner Braut fordere. Der Celte schätze nur die jungfräuliche Unschuld, ohne sich um ein sichtbares Zeichen der Jungferschaft zu kümmern.“

Der Prediger erwiederte: aber was wäre denn unser Brautkranz anders?

Der Baron mußte am Ende zugeben, daß der Prediger Recht habe; und von diesem Augenblick an lag ihm der Brautkranz, als die letzte Spur von Slavischen Sitten in seinem Dorfe, sehr schwer auf dem Herzen. Bald nachher sollte eine Hochzeit seyn. Er ließ den Bräutigam zu sich rufen, und sagte: „höre, du sollst mir einen Gefallen thun.“ Der Bauer lächelte. „Eine Kleinigkeit, die nichts in der Welt auf sich hat ... Du bist doch fest überzeugt, daß deine Braut noch Jungfer ist?“ – Der Bauer stutzte. O ja, Ihr Gnaden; ja, das bin ich. – „Und du würdest doch gewiß kein Mädchen heirathen, von dem du vermuthen könntest, daß es sich schlecht aufgeführt hätte?“ – Nein, sagte der Bauer; wahrhaftig nicht! Glauben Ihr Gnaden, das thät' ich nimmermehr. Das weiß das ganze Dorf, so wie es weiß, daß meine Braut sich immer ehrlich aufgeführt hat, und unschuldig wie ein neugebornes Kind ist.

„Desto besser, wenn das Dorf so von dir und deiner Braut denkt! Um so leichter wirst du mir den Gefallen thun können, den ich von dir verlange. Laß dich mit deiner Braut trauen, ohne daß sie eine Brautkrone trägt; ich will dir auch ein ganz neues Wohnhaus bauen lassen.“ – Der Bauer stutzte wieder. Ihr Gnaden, sagte er mit argwöhnischen Blicken, wissen Sie etwa 'was, haben Sie 'was gehört, so sagen Sie. Wie? keine Krone? So weit wär' es?

Der Baron beruhigte den Bauer. „Eben weil wir, du, ich und das ganze Dorf, überzeugt sind, daß deine Braut eine reine Jungfer ist, so kann es dir ja einerlei seyn, ob sie eine Krone trägt oder nicht. Wie gesagt, ich will dir ...“

Aber der Bauer schlug es kurz ab. Der Baron bat, befahl, drohete vergebens. „Wenn nun aber deine Braut will?“ fragte er endlich. – Ihr Gnaden, erwiederte der Bauer erbittert: wenn meine Braut ohne Kranz in die Kirche käme – ja, bei meiner Seele! anstatt ihr die Hand zu geben als Mann, wollte ich sie zur Kirche hinaus prügeln!

„Aber, Mensch, wenn sie nun ein ehrliches Mädchen ist: kann es dir denn nicht gleichgültig seyn, ob ...?“

Ob sie einen Kranz trägt? gleichgültig? Nein! nimmermehr! Wenn sie mir heute gestände: sieh, Hans, ich habe einmal gefehlt, ich bin einmal zu Falle gekommen; und es wüßte keiner darum, das wollt' ich ihr vergeben. Aber ohne Kranz in der Kirche – ich stieße sie mit den Füßen vom Altare weg! das thät' ich!

„Aber du Narr“, rief der Baron hitzig; „ist dir denn das Zeichen der Sache lieber, als die Sache selbst?“

Ei was! Sache hin, Sache her! das sind Possen. Darnach hör' ich nicht. Aber an den Brautkranz, nicht rühr an! Der ist das Beste an der ganzen Hochzeit; das ist ja ordentlich das Christenthum dabei. Lieber die Hand hier, als den Kranz! Ei, seh doch einer! ohne Kranz! lieber mein Leben!

Der Baron machte einen neuen Versuch, der aber noch übler ablief. Er wurde endlich durch des Menschen Unvernunft, durch eine so unbegreifliche Anhänglichkeit an das Slaventhum, so erbittert, daß er schimpfte. „Gestohlen“, rief er, „gestohlen hast du das blonde Haar, die blauen Augen! Ein Bankert, ein Bastart bist du, du unvernünftiger Mensch! ein Hurkind! Ein Kakerlake war dein Vater. Alles an dir lügt. Und den Brautkranz soll deine Braut nicht tragen, und keine mehr im Dorfe, so lange ich lebe; oder ich lasse euch die Kirche verschließen! Keine, weder deine, du Elender, noch eine andre!“

Der Bauer eilte wüthend zu Hause, und fand da eben seine Braut mit ihren Eltern und Anverwandten. „Daß dich die Pest!“ rief er beim Hereintreten. „Denkt nur! Der Edelmann will meiner Braut verbieten, sich in einem Kranze trauen zu lassen!“ – Alle sprangen auf, und schrieen durch einander: Wer, wie, was? Sie soll keinen Kranz tragen? – Wer? meine Tochter? was? hat sie sich nicht ehrlich aufgeführt? Das hat er gesagt, der Baron? – „Das hat er gesagt!“ rief der erhitzte Bräutigam. „Und mich hat er ein Hurkind genannt, hat gesagt, Ihr wärt mein Vater nicht, sondern ein – ich weiß nicht mehr, wie mein Vater heißen sollte.“

Es entstand ein neuer Lärm. Du ein Hurkind? Wie? Ich wäre dein Vater nicht? – Des Bräutigams Mutter fing an eben so kräftig zu schreien, als der Braut Mutter schon schrie. Die Väter fluchten unter einander. Den Teufel auch! das wollen wir ihm wohl zeigen! Sie soll einen Kranz tragen; zwei, wenn wir's wollen! – „Ja, seht nur zu!“ rief der Bräutigam: „er will uns die Kirche vor der Nase zuschließen lassen.“ – Je, das ist doch unerhört! riefen die Alten. Unsere Kirche? Gebt Acht, das geht immer weiter! Zuerst hat er uns beredet, die Schwarzköpfe wären Zigeuner ... –

Ja, ja, da seht Ihr's nun! hob ein alter Schwarzkopf an, ein Verwandter der Braut. Den seligen ehrlichen Schulzen hat er auch auf den Kirchhof gebracht! Wer weiß, wo sein Sohn jetzt modert, und Herrmanns Tochter in der Irre herumläuft!

Herrmann sprang auf. Das ist wahr, rief er; durch ihn bin ich um meine Tochter gekommen. Ich leid' es nicht, das sag' ich.

Ja, ja! Und darf er uns denn befehlen, an wen wir unsre Kinder verheirathen sollen? Das thut ja der König nicht einmal; und der Edelmann nimmt sich das heraus! Und hat er nicht Jost und Hennig so lange geplackt, bis sie ihm die Höfe verkaufen mußten? Und nachher handelt er mit unsern Gütern! Ist das recht?

Und wir dürfen nicht tragen, was wir wollen! keine Pelzmützen! Und der Schäfer sogar hat müssen seinen Schafpelz ablegen! Und sagt noch lange, er ist uns gut, und bringt unsere Kinder unter die Soldaten!

Und jetzt will er uns gar verbieten, unsere Töchter in Kränzen trauen zu lassen, als ob sie Huren wären! und da, den Bräutigam heißt er ein Hurkind!

Das Schreien dieser Leute, die sich unter einander immer stärker erhitzten, zog mehr Leute herbei; und jedem wurde mit tausend Zusätzen erzählt, daß der Baron den Bräuten verwehren wolle, einen Kranz aufzusetzen.

Endlich entschlossen sich die Väter des Brautpaares, zu dem Edelmanne zu gehen, und ihn zu fragen, ob das wirklich seine Meinung wäre. Der Baron saß eben und ärgerte sich über den Triumph, den der Prediger haben würde, wenn die Braut nun doch einen Kranz trüge. Er sann auf Mittel, die Eltern mit Güte auf seine Seite zu bringen, als gerade die beiden Väter zu ihm herein kamen. Sie fragten mit scheinbarer Unterthänigkeit, ob er den Bräuten verboten habe, Kränze zu tragen. Der Baron wollte versuchen, was Entschlossenheit ausrichten würde. Er sagte: „ja, ich habe es verboten; und künftig trägt keine Braut einen Kranz mehr.“ – Und wollen denn Ihr Gnaden uns die Kirche zuschließen lassen? fragten die Bauern weiter. – „Ja!“ sagte der Baron kurz ab; „wenn Ihr nicht gehorchen wollt, ja!“ – Wir wollen Ihr Gnaden Antwort sagen, erwiederten die Bauern, und gingen.

Sie kamen zu Hause, und brachten den Bescheid. Nun beschloß man allgemein, den Baron bei der Regierung zu verklagen. Der alte Schwarzkopf, auf dessen Verschmitztheit und Rachbegierde man sich verlassen konnte, erhielt den Auftrag, in einer benachbarten Stadt eine Klage von einem Advokaten aufsetzen zu lassen. Man gab ihm dazu eine Vollmacht; und der Alte ging unverzüglich mit dem Bräutigam und dem Vater der Braut nach der Stadt.

Sie wendeten sich an einen Winkeladvokaten, den sie schon länger kannten, und der Muth genug hatte, selbst den König bei dem Könige zu verklagen; aber sogar dieser Mann erstaunte über die seltsame Klage der Bauern, und fragte mehrere Male: Leute, lügt Ihr auch nicht? Das ist ja nicht möglich! – Sie erzählten indeß so viele kleine Umstände, setzten alles so genau auseinander, und waren in ihrer Aussage so einstimmig, daß der Advokat nicht länger zweifeln konnte, und die Klage aufsetzte, so wie die Bauern sie haben wollten. Der Advokat war eine von jenen boshaften Seelen, die keine Gelegenheit vorüber gehen lassen, ehrliche Leute zu necken, von denen sie beleidigt zu seyn glauben. Der Regierungs-Präsident hatte ihn schon einige Male sehr ernstlich über sein Aufhetzen der Bauern zur Rede gestellt. Jetzt fand der Advokat eine Gelegenheit, sich an ihm, auf Kosten eines Dritten, so bitter zu rächen, als er nur wünschte. Boshaft lächelnd schrieb er, und reichte die Klage ein.

„Hier ist“, sagte der vortragende Rath in der nächsten Session, „eine so seltsame Klage, daß man kaum seinen eigenen Augen trauet. Die Gemeinde in Zaringen beschwert sich, daß ihr Gutsherr, der Baron von Flaming, sie seit zwei Jahren auf die unerhörteste Art gemißhandelt und unterdrückt habe, und bittet um schleunige Hülfe. Sie sagt: Erstlich habe der Baron alle Familien gegen einander aufgehetzt, Haß und Zwietracht in der Gemeinde verbreitet, und seine Freude an den Schlägereien der Bauern gehabt, wie das die Akten des Justizamtmannes bewiesen, die man mit den Akten vor der Ankunft des Barons vergleichen müsse, um zu sehen, wie ruhig und friedlich die Gemeinde vorher gelebt hätte. Um diesen Haß recht glühend zu machen, habe der Baron den Bauern mit blondem Haar und blauen Augen vorgespiegelt: die mit schwarzem Haare wären Nachkommen von Zigeunern, und müßten eigentlich nur Leibeigene der andern seyn; so wie er denn auch alle Menschen, die schwarzes Haar und schwarze Augen, einen dicken Bauch und dicke Lippen hätten, und gar schwarze Kleider trügen, bitter haßte, und sie geradehin für Dummköpfe, Mörder, Hurer und Diebe erklärte, in welchem Stande und Würden diese Menschen auch lebten“; (Hier verzogen alle Anwesende die Lippen zum Lächeln, ausgenommen der Präsident, auf den die Beschreibung, selbst bis auf das schwarze Kleid, das er immer trug, völlig paßte. Bei diesem Punkte hatte der Koncipient der Klage sich auch am weitläuftigsten ausgelassen, weil es der Punkt seiner Rache war) – „wie der Baron denn auch sogar den Justizamtmann damit verächtlich zu machen gesucht. Und so habe denn auch kein Bauer, der so unglücklich sey, schwarzes Haar zu haben, Gerechtigkeit erhalten, sondern wäre bedrückt, und oft ganz unschuldig mit Gefängniß und andern harten Strafen belegt worden, wie sich das aus den Akten des Dorfes ergeben würde. Der Baron habe ferner alle Heirathen zwischen Weiß- und Schwarzköpfen bei harter Strafe verboten, wie er denn auch ein Paar junge, gute Leute, den Sohn des Schulzen im Dorfe, und die Tochter des Bauern Herrmann, die mit Einwilligung ihrer Anverwandten sich verlobt gehabt, an ihrer Heirath gehindert, und sie endlich auf eine tyrannische Weise gezwungen, in die Welt zu gehen, worüber der alte Schulz vor Gram gestorben, und sein Hof noch leer stehe, weil man nicht erfahren können, wohin der junge Mensch gegangen sey. Ueberhaupt habe der Baron seine Unterthanen von schwarzer Farbe so gedrückt, daß sie sich aus Noth entschließen müssen, ihm ihre Güter zu verkaufen, und das Dorf, worin sie geboren worden, und ihre Familien zu verlassen. Zu diesen unerhörten, sinnlosen Bedrückungen gehöre, daß der Baron den Mannspersonen verboten habe, Pelzmützen, Pelze, weite Beinkleider und Röcke von schwarzer oder dunkelblauer Farbe zu tragen; die Mädchen hätten müssen in Einem Rocke, und beinahe ohne Bedeckung auf der Brust gehen. (Ein allgemeines Gelächter.) Sie hätten kein fettes Fleisch essen dürfen, und was dergleichen noch mehr wäre. Die Blonden hätte er auf eine andere Weise gedrückt. Er habe bei Aushebung der Rekruten den dazu kommandirten Officier zu bereden gewußt, nur Weißköpfe zu nehmen, und die Schwarzköpfe zu verschonen. Ferner habe er die Weißköpfe in ihrem Glauben irre gemacht, da er ohne Scheu öffentlich behauptet: sie stammten nicht von Adam ab, und die wahre Erbsünde sey ein dicker Bauch und schwarzes Haar. (Gelächter.) Er mache die Familien irre, indem er behaupte, daß der und der ein Bastart sey. Jetzt habe er nun gar jeder Braut verboten, einen Kranz zu tragen, und wolle dadurch die ehrlichen Mädchen zu Huren herabwürdigen; ja, er gehe in seiner Tyrannei so weit, daß er schon gedrohet habe, die Kirche, welche doch der Gemeinde gehöre, verschließen zu lassen. Die unglückliche und ganz verlassene Gemeinde von Zaringen bitte nun um Hülfe, Untersuchung ihrer gerechten Klagen, und schleunige Abhelfung ihrer Beschwerden, weil jetzt eine Braut befürchten müsse, ohne Kranz zur Trauung zu gehen, und sich dadurch auf ihr ganzes Leben zu beschimpfen.“

Die ganze Versammlung sah einander an, lachte, und zweifelte. Dieser dachte sich den Baron so, jener anders. Ein junger Rath sagte mit funkelnden Augen: „das ist ein boshafter Mensch, der sein Vergnügen daran findet, Menschen zu martern, ein Ungeheuer, wenn nur die Hälfte von dem Allen wahr ist!“ – „Ich vermuthe“, sagte ein anderer schmunzelnd, „es ist ein Bon vivant, ein Mädchenjäger. Er zwingt die Mädchen, halb nackend zu gehen. Die Bauern sind eifersüchtig. So läßt sich das Andere erklären.“ – „Ein Spottvogel“, rief ein dritter, „der den Prediger, den Amtmann und die ganze Welt zu Narren macht. Das wird es seyn; denn es ist gar zu toll.“ – „Oder der Baron muß den Verstand verloren haben“, sagte ein vierter. – „Ich setze meinen Kopf zum Pfande, er ist alles zusammen“, sagte der Präsident; „und ein neumodiger Philosoph dazu, der es gern sähe, wenn die Räthe der Landeskollegien in Reitjacken gingen! Der Narr, der!“

Ein Rath bekam nun den Auftrag, die Klage an Ort und Stelle zu untersuchen; und dem Prediger in Zaringen wurde sogleich befohlen, die Braut mit einem Kranze zu trauen, wenn sonst nichts im Wege stände. Der deputirte Rath schickte dem Baron die Klage der Gemeinde nebst seinem Kommissoriale zu, und bestimmte den Tag, wann er in Zaringen eintreffen würde.

Die Klage kam dem Baron so unerwartet, daß er kaum seinen Augen traute, als er sie las. Er schickte zu dem Amtmanne, der eben so sehr erstaunte. Als dann der Prediger dazu kam, fand man die Ursache der Klage so ziemlich aus. Auch die Gemeinde erhielt das Kommissoriale von der Regierung; und so geschäftig der Baron mit dem Amtmann und dem Prediger war, einen Entschluß zu fassen, so thätig waren auch die Urheber der Klage, die übrigen, welche noch nichts von der Sache wußten, auf ihre Seite zu bringen. Die Weißköpfe ließen sich überreden, weil man ihnen vormahlte, daß der Baron jetzt gezwungen werden solle, die Befreiung ihrer Güter von Frohndiensten ganz unbedingt fest zu setzen.

Der Amtmann machte einen Versuch, die Gemeinde zu bereden, daß sie die Klage zurücknehmen möchte. Der Prediger aber versprach sich davon nichts; und seine Prophezeiung traf ein. Die Bauern wurden jetzt erst recht eifrig; sie hielten diesen Vorschlag für eine Anerkennung, daß sie den Prozeß gewinnen müßten. Der Prediger erkundigte sich heimlich nach der eigentlichen Absicht der Bauern; denn so viel sah er wohl ein, daß sie selbst es mit dieser Klage nicht recht ernstlich meinen, und höchstens, weil der Schein für sie war, eine Demüthigung des Edelmannes bewirken konnten. Er brachte bald heraus, daß sie hofften, bei dieser Gelegenheit unbedingte Befreiung von den Frohndiensten zu erhalten. Dies sagte er dem Baron, und stellte ihm zugleich vor, daß er, da der Schein ganz gegen ihn sey, in diesem Prozesse eine schlechte, demüthigende Rolle spielen werde. Er gab ihm sogar zu verstehen, daß er mit einem kleinen Opfer, welches er den Bauern freiwillig brächte, sie leicht bewegen würde, die Klage zurückzunehmen.

„Wie?“ sagte Flaming: „diese Undankbaren sollten mich zwingen, ihnen die Wohlthaten zu geben, die ich ihnen freiwillig antrug, nur unter der Bedingung, daß ich sie glücklich machen dürfte? Nimmermehr! Habe ich denn Unrecht? O, die Undankbaren! Da stehen, anstatt verfallener Hütten, reinliche Häuser; anstatt unfruchtbarer Aecker, reiche Ernten. Da gehen sie, sonst wie zerlumpte Bettler, jetzt anständig und reinlich gekleidet! und mich, der ich ihnen das alles gab, mich klagen sie als einen Tyrannen, als einen Rasenden an? O, lassen Sie mich! Ich werde stillschweigend den Kommissarius bei der Hand nehmen, und ihm die reinlichen Häuser zeigen, die Ställe voll Pferde, die Heerden Kühe und Schafe, die Aecker voll Dünger und Saat. Ich werde ihm die Bücher aufschlagen, ihm die Schulden zeigen, welche die undankbaren Menschen seit den zwei Jahren, die ich hier bin, abbezahlt haben. Dann will ich ihn fragen: bin ich ein Tyrann, bin ich ein Rasender? und die Elenden werden verstummen.“

Sie kennen die Bauern nicht! sagte der Prediger. Trotz dem Allen werden die Ihrigen auf Untersuchung der einzelnen Klagepunkte dringen! und da ist der Schein gegen Sie, Herr Baron.

„Nein, nein! das können sie nicht. Menschen mit blondem Haar, mit blauen Augen! das können sie nicht! Wahrhaftig, es wäre ein Mongolen-Streich!“

Bauern, Ew. Gnaden, sind Mongolen, so lange sie nicht besser erzogen werden. Der Mensch ohne Bildung der Seele ist immer mehr oder weniger Mongol. Der gebildete Mann ist der einzige Celte auf der Erde.

Hier unterbrach der Amtmann den Baron, der so eben anfangen wollte, sein System zu vertheidigen: Mir fällt etwas ein. Ew. Gnaden haben Recht. Abzwingen muß man sich nichts lassen. Versprechen Sie den Weißköpfen die vollkommene Freiheit von dem Frohndienste, so machen wir die Gemeinde uneinig, und der Sieg ist unser. Die Weißen treten dann auf unsere Seite, dafür steh' ich Ihnen.

Der Baron sah den Amtmann verächtlich an: „Wie? ich soll mich zu Künsten herablassen? den Betrieger spielen? ... List und Verschmitztheit, Herr Amtmann, sind nicht die Waffen, womit ein Celte sich vertheidigt. Hätte ich Unrecht, so würde ich geradezu sagen: ich bin schuldig. Allein ich habe Recht; und das Recht geht keine Schleifwege. Wie? sollen meine Unterthanen von mir lernen, daß Betriegen erlaubt ist? Lassen Sie mich! Ich werde mich vertheidigen. Und was sorg' ich? Ich will der Regierung mein ganzes System vorlegen; ja, vielleicht ist dies der Zeitpunkt, den die Vorsehung herbei führt, das Auge des Staates auf mein System zu richten.“

Der Prediger schwieg mit einer bedauernden Miene, und ging; denn hier war jetzt kein Rath mehr möglich. Aber er ging, mit Achtung für das Herz des Barons.

Flaming war nun fest entschlossen, die Sache ihren Gang gehen zu lassen; aber dabei wurde auch die Vorstellung sehr rege, daß er sich bisher durch sein System nichts als bittre Feinde gemacht hätte. Seine natürliche Gutherzigkeit führte ihn zugleich auf den Gedanken, daß sein System auch Andern eben so vielen Verdruß erregt habe, als ihm selbst. „Ja“, dachte er; „es ist wahr! Wie weh muß es nicht einem Manne thun, wenn er sich auf einmal aus der Klasse der besseren Menschen weggestoßen sieht! ... Wohl! noch einmal also will ich mein System vorlegen, und dann es auf ewig in meine Brust verschließen. Unbemerkt will ich thun, was ich kann; verborgen will ich jede Ehe der Celten mit den unedleren Slaven verhindern. Alles Andre überlasse ich der Vorsehung.“ Er stand auf, und ritt sehr ruhig durch die Fluren seines Dorfes. Von einer Anhöhe betrachtete er die schönen Häuser, welche aus den üppigen Blüthen der Fruchtbäume hervorsahen. „Sey es, wie es sey; sie sind jetzt glücklicher, als ehemals. Undank belohnte von jeher die Wohlthäter der Menschen; und ihr Undank soll mich nicht abhalten, ihnen Gutes zu erweisen. Ja, ihr sollt frei seyn von allen Frohndiensten! Ihr haßt mich, und ich will euch wohlthun!“

Dieses Gefühl gab ihm jenen edlen Stolz, der das Herz erhebt. Langsam ritt er durch die Gassen seines Dorfes, freuete sich über den Wohlstand seiner undankbaren Bauern, und beschloß, gleich nach Beendigung des Prozesses Schwarzen und Blonden die Freiheit von allen Diensten unbedingt zu geben.

Der zur Untersuchung bestimmte Tag rückte heran. Der Regierungsrath hatte ein elendes, verfallenes Dorf erwartet, und fand zu seinem Erstaunen große, reinliche Häuser. Sein Begleiter, ein junger Referendar, machte ihn aufmerksam auf die wohlgekleideten Bauermädchen, und auf die frohen, gesunden Kinder, die vor den Häusern spielten.

Der Baron empfing sie mit Anstand, bescheiden, ohne jene falsche Höflichkeit, die den Richter bestechen, ohne den erborgten Trotz, der ihn schrecken soll. Doch fuhr er ein wenig zusammen, als er sah, daß der Regierungsrath mehrere Kennzeichen einer Slavischen Abkunft an sich hatte. Er war Willens gewesen, ihm sein System, ganz ins Kurze gezogen, nebst einer Vertheidigung gegen die einzelnen Klagpunkte, vorzulegen. Aber nun schob er sein Heft unter seine andern Papiere. Himmel! seufzte er heimlich; ist es nicht, als ob mir alle Slaven auf den Leib gebannt wären?

„Meine Bauern“, fing er endlich an, „haben mich angeklagt, ich sey ihr Tyrann, ihr Unterdrücker, ein Rasender, der sein Vergnügen daran finde, sie unglücklich zu machen. Ueber die einzelnen Punkte müssen wir freilich auch reden; allein erlauben Sie, Herr Regierungsrath, daß ich zuerst im Allgemeinen meine Vertheidigung führen darf.“ Die Bauern wurden auf das Schloß beschieden. Als sie da waren, wollte der Regierungsrath anfangen protokolliren zu lassen; allein der Baron hielt ihn davon ab. „Was ich sagen will, mag ungeschrieben bleiben. Es betrifft nur mich.“ Er ließ das Hypothekenbuch bringen, schlug einen Bauern nach dem andern auf, und zeigte dem Regierungsrathe die Summen, die jeder vor zwei Jahren schuldig gewesen war, und nun schon abbezahlt hatte. Dann setzte er dem Regierungsrath aus einander, und zwar in Gegenwart der Bauern, daß er ihnen Summen ohne Zinsen, oder doch zu ganz unbedeutenden, vorgeschossen, und die Bezahlung in Korn zu hohen Preisen zurückgenommen habe. Kurz, er machte dem Rathe deutlich, daß die Bauern durch ihn schuldenfrei waren. Sie gestanden das zu; und der Regierungsrath wendete sich nun zornig zu ihnen. „Ich bitte Sie“, sagte der Baron; „weiter!“ – Jeder Bauer mußte angeben, wie viel Vieh er vor zwei Jahren gehabt, und wie viel er jetzt habe. Der Unterschied war auffallend. Alle gestanden ebenfalls, daß der Baron es ihnen Theils zu sehr mäßigen Preisen auf Kredit verkauft, Theils auch völlig geschenkt hätte. – „Sie selbst“, fuhr der Baron fort, „sind durch die Flur gekommen, und werden nun leicht begreifen, warum sich die hiesigen Felder vor den benachbarten auszeichnen. Das Dorf haben Sie gesehen, Herr Rath; ich wollte, Sie hätten es auch vor zwei Jahren gesehen. Die Häuser hab' ich Theils ganz auf meine Kosten bauen lassen, Theils die Baumaterialien dazu geschenkt. Wenn einer – hier stehen sie Alle, sie mögen reden – wenn einer von ihnen ein Unglück hatte, Hagelschlag oder Ueberschwemmung, so habe ich den Schaden ersetzt. Wenn einer von ihnen krank lag, so habe ich den Arzt holen lassen, ihn und die Arzenei bezahlt. In jeder Noth konnten sie sich frei an mich wenden, und niemand kann sagen, daß er ohne Hülfe von mir gegangen ist.“ Die Bauern schwiegen. „Einem Theile von ihnen“, hob der Baron nach einer Pause wieder an, „hab' ich die Dienste erlassen, die sie mir schuldig waren. Jetzt, Herr Rath, kennen Sie den Tyrannen, den Unterdrücker dieser Menschen. Das hab' ich ihnen gethan.“

Nun wollte der Regierungsrath anheben. Der Baron aber fiel ein: „Nein, Herr Rath, seyn Sie ruhig. Dies ist nichts als ein Privatakt. – Jetzt mit euch ein Paar Worte, ihr Undankbaren! Ich habe euch Gutes erzeigt, das werdet ihr nicht läugnen. Zum Dank dafür verschreiet ihr mich als ein Ungeheuer. Aber ich will Frieden. Wollt ihr eure Klage zurücknehmen?“ – Es entstand ein Gemurmel. – „Jetzt keine Antwort. Besinnt euch. Nachmittags sagt mir, was ihr thun wollt.“ Die Bauern gingen, und auch der Baron entfernte sich, um keinen Verdacht zu erregen.

Der Rath konnte sich von seinem Erstaunen nicht erholen. Er sagte zu dem Prediger, der zur Gesellschaft bei ihm blieb: das ist mir unbegreiflich; die Klage der Gemeinde ...

Ist, unterbrach ihn der Prediger, einzeln genommen, so wahr, wie des Barons Vertheidigung.

Das ist nicht möglich, sagte der Rath: denn das sind Handlungen eines rasenden Tyrannen; und Ihr Baron ...

Ist ein edler Mann, wollen Sie sagen, und Sie haben Recht. Eine einzige Grille von ihm, seltsame Zufälle, einzelne Handlungen, die rasend scheinen, ohne es zu seyn, unzusammenhängend, und sehr wohl zusammenhangen, haben die Klage veranlaßt, die, so seltsam sie auch klingt, dennoch wahr ist. Die Bauern haben Recht, und der Baron nicht weniger. Ich glaube übrigens, Herr Regierungsrath, auch Sie müssen auf Ihrer Hut seyn, daß die Grille des Barons Sie nicht mehr beleidigt, als eine bloße Grille es eigentlich sollte. Doch verzeihen Sie. Vielleicht nehmen die Bauern ihre Klage zurück; und dann ist jedes Wort, das ich gesagt habe, und das nicht zu des Barons Lobe ist, schon zu viel.

Die Bauern nahmen, so sehr auch das Betragen des Barons sie in Bestürzung gesetzt hatte, ihre Klage nicht zurück, weil der Schwarzkopf seine Rachsucht allen Andern mitzutheilen wußte. Sie ließen Nachmittags dem Baron sagen: die Sache wäre einmal angefangen, und sollte den Weg Rechtens gehen.

„Die Undankbaren!“ rief der Baron mit Unwillen: „die Elenden! die Niederträchtigen! Wohl denn! von nun an will ich ihr Herr seyn! Sie stoßen die Würde, welche die Natur ihnen gegeben hat, von sich. Wohl denn! so sollen sie mir die Dienste leisten, wozu die Natur nur den Slaven verdammte. Ich habe ihnen einen Vergleich angeboten; das soll meine letzte Güte gegen sie seyn!“ Aber da dachte er wieder an den Rath mit dem schwarzen Haar. Er stützte nachdenkend den Kopf in die Hand. „Also bin ich gezwungen, noch einmal einem Menschen wehe zu thun, der in dem glücklichen Wahne ist, zu den besseren Menschen zu gehören?“ Dieser Gedanke fiel sehr schwer auf das Herz des Barons. – „Nein!“ rief er bald; „er bleibe in dem süßen Wahne!“ – Es kostete ihm nicht viele Mühe, seine Begierde nach Rache an den Bauern zu unterdrücken. Er eilte zu ihnen. „Ihr sollt euren Willen haben“, sagte er ohne alle Hitze. „Laßt eure Töchter mit Kränzen trauen; ja, meinetwegen hängt ihnen das Laken des Brautbettes um, und führt sie so mit Trompeten im Dorfe umher; kleidet euch in Pelz, wenn ihr wollt: ich will es gern sehen. Zieht euren Töchtern zehn Röcke über einander an, mir soll es künftig gleichgültig seyn. Gebt euren Töchtern meinethalben Neger zu Männern. Aber nehmt eure Klage zurück; und ich erlasse dafür euch Allen, Schwarzen und Blonden, die Frohndienste.“

Doch ohne alle Bedingung? fragte der Schwarzkopf.

„Ohne alle Bedingung, wenn Ihr die Klage zurücknehmt.“

Die Bauern thaten das, und der ganze Handel endigte sich mit einem „Vivat hoch!“, das sie dem Baron brachten, sobald sie das Instrument, welches ihnen die Freiheit sicherte, in Händen hatten. Noch an eben dem Tage gab der Baron ihnen einige Tonnen Bier zu trinken, wobei denn natürlicher Weise auch getanzt wurde. „Sehen Sie“, flisterte er dem Prediger zu; „sie sind doch nicht so undankbar, als Sie glauben. Ich kannte sie dennoch besser, als Sie.“

Beinahe hätte er ihnen noch mehr gegeben, als sie verlangten; denn sogar die Töchter der Schwarzköpfe waren heute beim Tanze so schlank und so hellfarbig gekleidet, wie die Blondinen.

Reitzende Mädchen! sagte der junge Referendar zu dem Baron. Solche allerliebste schlanke Bauernmädchen hab' ich in meinem Leben nicht gesehen. – „Ich bin's“, sagte der Baron mit Stolz, „der sie so reitzend gemacht hat; und eben darum haben die Väter mich verklagt!“

Am andern Morgen fuhren der Rath und sein Gehülfe wieder ab, bezaubert von dem Edelmuthe des Barons, und noch immer in Ungewißheit, wie eine solche Klage gegen ihn möglich gewesen sey.

Der Baron war durch die anscheinende Dankbarkeit seiner Bauern völlig mit ihnen ausgesöhnt, und sann schon die Nacht hindurch wieder auf Mittel, sie zu völligen Celten zu machen. Die Bauern aber handelten gerade wie alle rohe Menschen. Sie fühlten, daß sie den Baron beleidigt hatten, und glaubten, ihn zu seiner letzten großen Wohlthat gezwungen zu haben; daher erwarteten sie jetzt von ihm alles mögliche Böse. Sie setzten sich gegen ihn gewissermaßen in Vertheidigungsstand, waren völlig entschlossen, ihm so viel Verdruß zu machen, als sie von ihm befürchteten, und fingen, nach Art aller rohen Menschen, unverzüglich mit der Ausführung an. Zu gleicher Zeit glaubten sie, das wahre Mittel gefunden zu haben, wie sie von dem Baron alles erlangen könnten, was sie wollten; und das, meinten sie, wäre Trotz, und die Drohung zu klagen. Nachdem einige Tage ruhig verlaufen waren, hatte die Gemeinde eine Forderung an den Baron. Er war in der Stimmung, sie ihnen zu gewähren; allein sie machten die Forderung mit einem solchen Ungestüm, daß er beinahe nicht umhin konnte, sie ihnen abzuschlagen. Der Abgeordnete der Bauern drohete nun sogleich in sehr harten Ausdrücken dem Baron mit einer Klage. Dieser verlor die Geduld, warf den Bauer zum Zimmer hinaus, und ließ ihn einstecken.

Jetzt war der Krieg öffentlich erklärt. Die Bauern klagten wirklich, und wurden abgewiesen. Nun schlug die Flamme der Rache hoch auf. Der bestrafte Abgeordnete, ein Blondkopf, trug schon an eben dem Tage, da er aus dem Gefängnisse gekommen war, einen Schafpelz und weite Beinkleider. Seine Töchter mußten, schwarz gekleidet, mit wenigstens sechs hoch hinauf gebundenen Röcken, dem Baron überall begegnen. Der Baron ließ sich seinen Verdruß darüber zu sehr merken; und jeder Bauer, dem er auch das Unmögliche abschlug, kroch nun sogleich mit seiner Familie in Schafpelze und dunkelfarbige Kleider. Wollte das nicht helfen, so drohete er mit einem schwarzköpfigen Schwiegersohne; ach! und der Baron mußte in der That sehen, daß zwei seiner schönsten Blondinen an Schwarzköpfe verheirathet wurden, ohne daß er es hindern konnte.

Diese Unannehmlichkeiten verleideten ihm den Aufenthalt auf seinem Gute. Er war entschlossen, es zu verlassen; nur hatte er noch keine bestimmte Vorstellung, wohin er sollte. Emiliens reitzendes Bild, das bis jetzt unter dem Plane, seine Bauern zu veredeln, begraben gelegen hatte, hob sich jetzt wieder mit hellen Farben in seiner Phantasie hervor. Aber wo wollte er Emilien finden?

Der Oberst hatte die Frau von Koch wieder gesprochen, und sie zu einer Versöhnung mit dem Baron geneigt gefunden. Machen Sie ihr doch, sagte er zu Flaming, nur einen Besuch. Während Sie sich hier mit Ihren Bauern zanken, um eine Handvoll blondes Haar mehr in ihr Dorf zu schaffen, könnten Sie selbst schon ein Paar Jungen oder Mädchen von Emilien im Hause herumlaufen haben, die ja, wenn Ihr System nur halb richtig ist, um den Kopf so blond seyn müssen, wie Kanarienvögel. Wie gesagt, machen Sie der Koch einen Besuch. Die Frau ist so schlimm nicht, wie Sie glauben.

„Nie mit der Koch ein Wort von Emilien, Herr Oberst! Ich habe sie beleidigt; und wollüstige Menschen, wie ich Ihnen sage, können nie vergeben, auch wenn sie schwören, auch selbst wenn sie wollen.“

Aber, zum Teufel, Baron ...

„Fluchen Sie, so viel Sie wollen. Das kann mich nicht dahin bringen, von meiner Ueberzeugung abzugehen. Emilie soll mein seyn, ohne die Frau von Koch.“

Der Oberst schwieg, reiste aber bald wieder nach der Residenz des kleinen Fürsten, um für den Baron thätig zu seyn. Als er dahin kam, war die Frau von Koch kurze Zeit vorher auf einmal verschwunden. Der Fürst hatte ein schönes Mädchen sehr ausgezeichnet unterschieden. Frau von Koch versuchte erst alle Mittel, ihn von seiner Leidenschaft zurückzubringen; als sie das unmöglich fand, verkaufte sie ihr Haus, ihre Möbeln, und reiste in aller Stille ab, ohne daß man errathen konnte, wohin. Man wollte wissen, daß ihre Entfernung dem Fürsten Thränen gekostet hätte. So viel behauptete man mit Gewißheit, daß er kein Geld gespart habe, den Weg, den sie genommen, und ihren Aufenthalt aufzuspüren. Ob es ihm gelungen sey, konnte man nicht sagen. Er war eine Zeitlang weg gewesen, man wußte nicht wo, und dann in sehr übler Laune zurückgekommen.

Mit diesen Nachrichten reiste der Oberst wieder zu dem Baron, und theilte sie ihm ganz kalt mit. Die Einzige, – so endigte er – die Emiliens Aufenthalt wußte, ist nun verschwunden, und also ... Ich wasche meine Hände in Unschuld.

Der Baron antwortete sehr ruhig: „Nun wohl! so suchen wir sie auf. Sie wird doch irgendwo auf der Erde zu finden seyn; und dann hab' ich der Frau von Koch, die ich nun einmal hasse, nichts zu verdanken. In einigen Tagen reis' ich ab; und wahrhaftig, lieber Oberst, ich werde nicht eher zurückkehren, als bis ich Emilien gefunden habe.“

Sie verwickeln sich da in unendliche Schwierigkeiten. In dem weiten Deutschland ein Mädchen aufzusuchen!

„Emilie verdient es. Seyn Sie ganz ruhig; ich werde sie finden.“

Der Oberst begriff nicht, warum der Baron auf einmal mit solchem Enthusiasmus Emilien aufsuchen wollte. Allerdings war dem Baron die Idee interessant, seine Geliebte als den Preis seiner Reise zurückzubringen; aber zugleich hatte er auch noch einen andren Zweck: seine Theorie durch die Praxis zu bestätigen. Der Prediger hatte ihm oft den Einwurf gemacht: Sie reden mit solcher Gewißheit von den Sitten der Celten und Slaven, als ob Sie Ihr ganzes Leben hindurch auf Reisen an Ort und Stelle Versuche mit Ihrer Theorie angestellt hätten; und doch haben Sie seit der Erfindung Ihres Systems noch nicht mehr als zwei oder drei Punkte von Ihrem Vaterlande gesehen.

Wohl! dachte der Baron nun; so will ich denn Deutschland durchstreifen, überall die Slaven und die Celten belauern, und dann endlich den Unglauben völlig besiegen! Ja, ich will die Celten aufsuchen, wo sie noch echt und ungemischt sind: in den geistlichen Fürstenthümern. An ihrem Urbilde will ich mein Auge üben, bis ich selbst den kleinsten Zug der Celtischen Schönheit in dem Nebel der Slavischen Gestalt auffinden kann. –

Aber noch mehr. Erst vor einigen Tagen war der Baron in einer benachbarten Stadt gewesen, und man hatte da in einer Gesellschaft über den Werth der alten und der neueren Gelehrten gesprochen. Wie ist es möglich, sagte ein sehr gelehrter Mann von großen Kenntnissen, daß die jetzigen Gelehrten den Alten gleich kommen können? Unsre Philosophie schwebt ewig in dem Gebiete des Himmels; die Alten hatten wirkliche Lebensphilosophie: und daher denn die Energie, die hohe Einfalt in ihren Schriften. Wie ist es dagegen bei uns? Der Gelehrte muß ein Amt annehmen, das ihn an sein Zimmer, an seinen Wohnort fesselt. Er lernt die Menschen, für die er arbeitet, nicht anders kennen, als aus Büchern. Wie dürftig sind daher bei uns die Moralphilosophie und die Gesetzgebung, die beiden Wissenschaften, auf denen die Glückseligkeit des menschlichen Geschlechtes beruhet! Der Gelehrte hat selten Leidenschaften, und den Menschen in der Welt sieht er nie; er kennt also die Kraft des Hebels nicht, der den Menschen in Bewegung setzt: die Gewalt, das Wesen der Leidenschaften. Die Erziehung und die Moral überläßt er daher dem Zufalle, und die Gesetzgebung dem Finanz-Minister. Er selbst bringt sein Leben damit zu, neue Lesarten zu finden, eine verlorne Stelle in einem Schriftsteller zu ergänzen, oder Dinge zu erklären, die sich nicht erklären lassen. Der Griechische Philosoph lebte unter seinen Mitbürgern; kannte sie, ihre Bedürfnisse, ihre Wünsche, ihre Leidenschaften; kannte die Verfassung seines Vaterlandes und der benachbarten Staaten. Er machte weite Reisen, untersuchte an Ort und Stelle, sah den Menschen in allen Verhältnissen; und dieser Mensch und dessen Herz war sein Studium. Wehe uns, wenn die alten Schriftsteller verloren gingen, oder wenn wir uns einbildeten, wir könnten ihrer entbehren! Mit ihnen ginge alle Moralphilosophie, alle Gesetzgebung verloren; denn was der Gelehrte von dem Menschen noch weiß, hat er nur aus den Alten. Wo ist denn der Reiche unter uns, der einen Theil seines Vermögens aufwendete, um sein Vaterland, und die Menschen, auf Reisen zu studieren? Man geht an die Höfe, besieht die Bildergalerien, besucht die Vorzimmer der Großen, und kommt zurück, ohne einen Menschen gesehen zu haben. Wo ist denn bei uns ein Montesquieu?

Das Herz schlug dem Baron ungestüm. Er drängte sich begierig an den Mann, der gesprochen hatte, schnitt ihn von der übrigen Gesellschaft ab, und bemerkte Niemanden als ihn allein. Bald zog er den Mann in ein tiefes Gespräch, und sagte ihm dabei mit innerer, heimlicher Freude: „ich bin schon lange entschlossen, eine solche Reise zu machen, wie die, von der Sie gesprochen haben.“ Er bat sich den Rath des Gelehrten aus. Dieser freuete sich, daß ein Mann, von dessen Kenntnissen er schon viel gehört hatte, ihn um Rath fragte, und hielt dem Baron also eine Vorlesung über die Einrichtung einer solchen Reise. Der Baron schien aufmerksam zuzuhören; er dachte aber an nichts, als an das Erstaunen, worein der Gelehrte gerathen müßte, hier einen Montesquieu, einen Xenophon, vor sich zu sehen. „Gewiß“, sagte der Baron beim Abschiede zu ihm: „ich komme nicht eher wieder, als bis ich unter den Menschen die Gründe der Moral und der Gesetzgebung gefunden habe.“

Am folgenden Morgen ging er zu dem Prediger, um dem seinen Plan zu einer philosophischen Reise mitzutheilen. Er fand ihn nicht, wohl aber dessen Schwester bei einem Buche, das sie mit Thränen benetzte. „Warum weinen Sie?“ fragte er. – O, erwiederte Karoline: wenn ich reich und ein Mann wäre! – „Nun? dann würden Sie ...?“

Das thun, sagte das Mädchen mit großer Rührung, was hier in diesem Buche ein sehr edler Mensch thut. Ein sehr reicher junger Mann, den Ehre und Liebe locken, verläßt alles, und macht eine Reise durch Frankreich, um die Orte des Elendes aufzusuchen, die Gefängnisse, die Hütten der Armen, der Kranken, die Strohlager der Bettler, den Aufenthalt der Unterdrückten. Ach, Sie glauben nicht, Herr Baron, welche rührende Scenen das veranlaßt! Hören Sie nur! – Sie las ihm einige solche Scenen vor; und der Baron wurde gerührt. – O, Herr Baron, ist es nicht wahr, was er sagt? Sie las aus l'homme voyageur. „Jedes Fest, das ein Reicher feiert, ist die schreiendste Ungerechtigkeit, so lange noch in dem ganzen Umfange Frankreichs ein Mensch lebt, der ohne Brot sich auf sein Bund Stroh wirft; jeder Pallast ein Denkmahl der Grausamkeit, so lange noch eine Familie im Königreiche ohne Obdach, dem Sturm, dem Regen ausgesetzt, umher irrt; jeder Edelstein blitzt zu eurer Schande, so lange noch eine Mutter aus Verzweiflung schreiet, daß sie keine Lumpen hat, ihr Kind einzuhüllen. Tausend reisen: der, um die Gelehrsamkeit mit unnützen Schlüssen zu verwirren; jener, um die Verzeichnisse der Bildsäulen zu vermehren; dieser, um sagen zu können, er habe auf den Alpen gestanden; der, um die Verfassung seiner Nachbaren kennen zu lernen. Ach, wann wird denn einmal ein Mensch zu Menschen und um Menschen reisen! wann wird der Schmerz eines Elenden, der im Gefängnisse wehklagt, eines Armen, der um Brot schreiet für seine Kinder, wenn sie ihre um Hülfe jammernden Blicke auf ihn wenden – wann wird dieser Schmerz einmal einem Reisenden so interessant seyn, wie der todte Schmerz des Laokoon! Wann wird eine Mutter, die an der Leiche ihres Kindes sich das Haar ausrauft, weil sie es vor Hunger mußte sterben lassen, eure grausamen Blicke von der marmornen Mutter, der Niobe, und ihren Kindern abziehn! Wer wird der erste Mensch seyn, der als Mensch reist!“

„Ich“, rief der Baron; „ich will der erste seyn!“

Der Baron mußte Karolinen die Hand darauf geben, daß er eine solche Reise machen wollte. Er that es von Herzen; nur bat er sie, die Absicht seiner Reise zu verschweigen. Sie versprach das; allein er mußte ihr dagegen versprechen, daß er ihr alle Scenen, die er sehen würde, ausführlich erzählen wollte.

Nach einigen Tagen wurden die Anstalten zur Reise gemacht. Der Baron brachte alle seine Kapitalien, um seine Angelegenheiten leichter übersehen zu können, bei einem großen Handlungshause unter, und setzte sich dann, mit guten Wechseln, in den Wagen. In der einen Tasche des Wagens steckten Montesquieu, und Emiliens Brieftasche mit ihrem Portrait, die sie ihm von dem Gute der Frau von Koch geschickt hatte; in der andern l'homme voyageur, und das System von den Kennzeichen der Menschen-Racen. Der Baron hatte also die vierfachen Absichten seiner Reise immer bei der Hand. „Ja“, sagte er vor sich, „Emilie! deinetwegen verlasse ich meine Ruhe, um sie wieder mit dir zu theilen!“ Nach einigen Augenblicken flisterte er: „so in Bücher und Kapitel, wie Montesquieu, theile ich meine Bemerkungen nicht ein; das macht den Styl trocken.“ Nun sah er zum Wagen hinaus, ob sich nicht bald ein Unglücklicher finden würde, dem er helfen könnte; und dann zog er sein System hervor, schlug frohlockend auf die Hefte, und rief: „es soll mich doch wundern, wie die Domherren in Mainz aussehen werden!“ – So rollte der Wagen immer den Weg nach Berlin zu.

Er kam in Berlin an, und wunderte sich selbst darüber, daß er nicht Eine Gelegenheit gehabt hatte, irgend etwas Anderes in sein Taschenbuch einzuzeichnen, als die Nahmen der Poststationen. „O, wahrhaftig“, dachte er, „wenn das so fortgeht, so weiß ich, und wenn ich auch Jahre lang reise, nichts zu sagen, als daß ich Jahre lang gereist bin. Da ist kein Dorf, in welchem nicht dem homme voyageur aus einer Hütte das Geschrei eines Elenden entgegenschallt. Entweder es muß im Preußischen anders seyn, als in Frankreich, oder ich bin unter einem Unglücksgestirne geboren.“

Wirklich hatte der Baron, so oft bei einer Brücke oder sonst irgendwo ein Armer seine Hand bittend ausgestreckt, still halten lassen, den Armen angeredet, und ihn befragt, um eine interessante Begebenheit zu hören; aber alle diese Bettler wiederholten immer nur ihr: Gott wird's vergelten! Davon ließ sich nun nichts aufschreiben, oder erzählen. Kurz, der Baron war in Berlin, und hatte zu seinem Verdrusse keinen recht Unglücklichen gesehen, keiner Mutter seinen Mantel geben können, um ihr Kind darin einzuhüllen.

Er stieg bei der Frau von Graßheim ab, und die Freude, einander wiederzusehen, war auf beiden Seiten sehr groß. Käthe erzählte von ihrer Kindheit, und ließ sich von Quinctius erzählen. Ach, sagte sie zuletzt mit einem sehr sehnsuchtsvollen Blicke: die Freuden der Kindheit, lieber Vetter, sind doch das Einzige, warum es werth ist, gelebt zu haben! ... Haben Sie nie wieder etwas von Lissow gehört? fragte sie dann mit ungewisser Stimme. „Nicht das mindeste“, antwortete der Baron; und ein kleiner Seufzer stahl sich aus ihrem Busen hervor. Käthe war nicht unglücklich: sie hatte Ueberfluß, und ihr Mann liebte sie; allein er war an das Stadtleben gewöhnt, und sie an die Ergießungen eines immer vollen Herzens in ruhiger Einsamkeit. Sie hatte vielleicht seit Jahren nicht an Lissow gedacht; jetzt aber berührte der schöne Geist der Kindheit ihre Seele, und durch des Barons Gegenwart wurden alle die alten Eindrücke, alle die alten Gefühle, wieder lebendig.

Käthe nahm den Baron immer allein, um ihn an dies oder jenes zu erinnern; und der Herr von Graßheim gab ihm zu Ehren eine Fete nach der andern, wobei sie lange Weile hatte, weil sie nicht von Lissow, von ihrer Schreibstunde u.s.w. erzählen konnte. Der Baron versicherte Käthen, daß es eine Hauptabsicht seiner Reise sey, Lissowen aufzusuchen; und er versprach ihr, nicht ohne ihn zurückzukommen. Einmal möchte ich ihn wohl noch sehen! sagte Frau von Graßheim. Ob er wohl verheirathet seyn mag? ... O, ich wünsche ihm eine Frau, die ihn liebt, und ... die er liebt, setzte sie seufzend hinzu.

Der Baron wurde bald von den Spaziergängen und Spazierfahrten, die er mit Käthen machen mußte, bald von den Bällen und Gesellschaften, die Graßheim seinetwegen gab, so beschäftigt, daß er noch immer nicht Einen Elenden zu Gesichte bekam; und in Berlin hatte er sich doch eine Menge der rührendsten Begebenheiten versprochen! – Er philosophirte auch nicht über die Einwohner der großen Stadt, und sogar sein Veredlungs-System vergaß er halb und halb. Als er sich nach Emilien erkundigte, hatte niemand auch nur ihren Familien-Nahmen gehört. Kurz, es wollte mit seiner Reise nicht gehen, so viele Zwecke er auch dabei hatte. Er wünschte sich von Berlin weg, und nur Käthens herzliche Bitten hielten ihn noch.

Eines Tages machte er mit ihr und ihrem jüngsten Knaben wieder eine Spazierfahrt über Friedrichsfelde. Käthe ließ in diesem Dorfe halten, um dem Kleinen, der sie in ihren Gesprächen immer mit Fragen störte, Kirschen zu kaufen. Man stieg aus. Jedesmal, wenn ich ein Dorf mit einem Schlosse sehe, sagt Käthe, fällt mir Zaringen ein; und – nicht wahr, lieber Vetter, so ungefähr lag unser Schloß, wo wir in der Jugend so vergnügt waren? O lassen Sie uns einmal durch das Dorf gehen! Sie hängte sich an des Barons Arm, schlenderte die Gasse hinauf, und behauptete von jeder Gruppe Bäume, daß auch in Zaringen da oder dort eine ähnliche gestanden habe. Der Baron lächelte. – Auf einmal blieb Käthens Sohn stehen, zeigte auf ein Paar Kinder, die vor einem kleinen Hause spielten, und sagte sehr freudig: Mama, das sind Kinder, die beiden! Soll ich ihnen Kirschen abgeben? – Thu das! erwiederte seine Mutter. Der Knabe lief auf das Haus zu, blieb einige Schritte weit von den Kindern stehen, und hielt ihnen stumm den Hut hin. Da! rief er endlich, als sie ihn nur betrachteten und nicht näher kamen: Kirschen!

Sehen Sie den Alten, lieber Vetter! sagte Käthe, die mit dem Baron stehen blieb. – Der Mann saß mit gefaltenen Händen auf einem Rasen vor dem Hause unter einem Baume, und hatte den Blick an den Boden geheftet. In dieser Stellung war etwas sehr Rührendes. Der Baron machte sich von Käthen los, weil ihm auf einmal sein l'homme voyageur einfiel, und trat dem alten Manne näher, der nun aufblickte, und seine Mütze von einem schneeweißen Haare nahm. Er war reinlich, aber sehr ärmlich gekleidet; die Kinder, ein Knabe und ein Mädchen, schön wie Amor und Psyche, eben so, und in Trauer.

Der Baron fragte den Alten etwas Gleichgültiges, um nur ein Gespräch mit ihm anzufangen. Käthe setzte sich nieder, nahm die beiden Kinder vor sich, liebkos'te ihnen, drückte sie an sich, und rief einmal über das andere: welch ein Paar Engel!

Der Alte schien mit einer gewissen Aengstlichkeit zu reden, und das Gespräch gern abbrechen zu wollen; Flaming aber war, nach seinem gewöhnlichen Ungestüm, gar nicht Willens, das geschehen zu lassen. Er setzte sich vertraulich zu dem Alten auf den Rasen. „Lieber Vater, Ihr scheint unglücklich. Ich bin ein Mensch. Faßt Vertrauen zu mir! Kann ich Euch helfen?“ – Der Alte schüttelte traurig den Kopf. Der Baron wurde noch eifriger. „Ich bin reich, sehr reich!“ –

Armuth? sagte der Alte, und lächelte mit einem unbeschreiblich rührenden Ausdruck im Gesichte. O, ich wollte mit diesen beiden Kindern von einem Hause zum andern gehen; mein graues Haar und ihre Unschuld würden Tausende rühren. Armuth ist kein Unglück.

„Nun? was denn sonst?“ fragte der Baron sehr innig gerührt, und faßte des Alten Hand. Käthe näherte sich jetzt. „Was ist denn sonst Unglück?“ fragte der Baron zum zweiten Male.

Verzweiflung an der Menschheit, sagte der Alte mit bebender Stimme, und mit Thränen in den Augen.

„ Hier ist ein Mensch!“ rief der Baron, und zeigte auf sich.

Der Alte sah durch seine Thränen den Baron lächelnd an. Ich danke Ihnen, mein Herr; aber ich muß Sie bitten, uns zu verlassen. Wir sind so unglücklich (seine Stimme wurde schluchzend), daß ... daß ... Die Hoffnung, die Sie uns geben könnten, wäre nur ein Dolch mehr, der durch unser Herz führe. Ich bitte Sie, uns zu verlassen. Geht hinein, Kinder; geht, und sucht den Vater. – Die Kleinen gingen, und der Alte stand auf.

Ist den Kindern etwa die Mutter gestorben? fragte Käthe gerührt; sie sind in Trauer.

Der Alte winkte, und antwortete leise: ja! Nun wissen Sie unser Unglück; und nun bitte ich Sie ...

Das ist zwar sehr traurig, sagte Käthe beruhigend; aber die Zeit wird ...

Sterben ist kein Unglück, erwiederte der Alte; man begräbt ja seinen geliebten Todten neben seinem eigenen Grabe. Aber dieser Tod ...

Nun denn? fragte Käthe: was ist denn das Traurige an diesem Tode? Laßt es uns doch wissen, lieber Vater.

„Darf ich nicht einen Augenblick eintreten?“ fragte der Baron. „Wenn Geld nicht helfen kann, so hab' ich Mitleiden, Thränen.“

Er näherte sich der Thür. Der Alte faßte seine Hand, und hielt ihn auf. Ich bitte Sie, thun Sie es nicht. Der Unglückliche, den Sie sehen wollen, haßt die Menschen. Ihr Anblick würde ihn zu sehr erschüttern; ja, ich kann Ihnen nicht dafür stehen, ob er Sie nicht beleidigte.

 

 

„Ich gehe, ihm ein Herz anzubieten; mich wird er gewiß aufnehmen.“ Er bot Käthen, deren Brust von Mitleiden gepreßt war, seinen Arm, und ging mit ihr durch das Haus in den offenen Garten. Als sie hinein traten, sahen sie hinten in einem kleinen, finstern Gebüsch einen schwarz gekleideten Mann, der auf einem Rasenhügel saß, und die Stirn in seine Hand niedergebeugt hatte. Sie gingen langsam den Gang zu ihm hinunter, und der Alte folgte ihnen, mit dem kleinen Mädchen an der Hand. Der schwarz gekleidete Mann hörte endlich jemanden kommen. Er hob sein bleiches Gesicht, stand dann auf, und machte eine Wendung in einen andern Gang. Der Baron eilte zu ihm, und faßte seine Hand. Käthe blieb einige Schritte weit von ihm stehen. Der Mann riß die Hand los, und fragte mit einem finstern Blick auf den Baron: was wollen Sie von mir?

„Gott im Himmel!“ rief der Baron: „Lissow! Lissow!“

Käthe hörte den Baron diesen Nahmen ausrufen, warf einen Blick auf den Unglücklichen, erkannte ihn, hob die Arme, ließ sie sinken, und stammelte leise: Lissow! Lissow! Sie konnte vor Schrecken kaum stehen. Auf einmal brachen Thränen aus ihren Augen, und das Geschrei: „Lissow! Lissow!“ aus ihren Lippen. In einer Sekunde lag sie an seiner Brust. Der unglückliche Lissow stand betäubt in des Barons und Käthens Armen. Befremdet betrachtete er jetzt den Baron, noch befremdeter die Dame, die an seinem Halse hing und ihn mit Thränen benetzte. Er schien wie aus einem tiefen Traume zu erwachen. Käthe?! sagte er endlich sanft, halb fragend, halb versichernd. Das war sein alter Ton. Käthe umfaßte ihn nun inniger, und sagte noch einmal sehr zärtlich: Lissow! Jetzt legte er seine Arme um sie, drückte sie an sich, und seufzte schwer.

O Lissow, sagte Käthe endlich, und machte sich sanft aus seinen Armen los: Sie sind unglücklich? Sogleich wurden seine Blicke, die sich ein wenig erheitert hatten, wieder finster, und hefteten sich an den Boden. Jetzt betrachtete Käthe ihn genauer. Er trug einen schwarzen Rock, und sein blasses Gesicht schien durch diese Farbe seiner Kleidung noch bleicher. Sein langes Haar lag ungebunden und verwirrt auf dem Rücken. In den Augen brannte ein unstetes Feuer; die Züge um Nase und Mund schienen wie von Thränen eingegraben.

Die erste Empfindung des Wiedersehens hörte bei Käthen auf, und machte dem zärtlichsten Mitleiden Platz. „Lissow!“ sagte sie gerührt; er hörte nicht, „O Lissow!“ wiederholte sie mit einem zerschmetternden Tone; sein Haupt sank noch tiefer. Sie ergriff seine Hand. „O, um Gottes willen, Lissow! hören Sie mich! Käthe redet ja mit Ihnen.“ Er stand schweigend, mit starren Blicken, da. Jetzt brachte der Alte das kleine Mädchen, legte es in Käthens Arme, und flisterte ihr zu: das Kind heißt Jakobine! – Sie drückte das Kind innig an ihre Brust. „O Lissow!“ sagte sie; „sehen Sie her! Ihre Tochter auf Käthens Arme, an Käthens Herzen! Lissow, ich bin Jakobinens Mutter!“

Jakobine! rief er schmerzlich, und blickte wild gen Himmel. „Jakobine!“ sagte Käthe nach. „Hier, Lissow, hier ist Ihre Jakobine!“ Er warf einen Blick auf seine Tochter, sah sie in Käthens Armen, schien ruhiger zu werden, trat näher hinzu, streichelte dem Kinde die Wangen, küßte es, und benetzte es mit Thränen, die gewaltsam aus seinen Augen hervorbrachen. Die Kleine umfaßte ihn mit den Händchen, und stammelte: Lieber Vater! ich habe wieder eine Mutter! – Sanft nahm er das Kind in seine Arme, legte es an sein Herz, und führte dann Käthen nur mit Winken zu dem Rasenhügel.

Der Baron trocknete sich die Augen. Käthe setzte sich, beinahe schluchzend, neben Lissow auf den Rasen, nahm das Kind auf ihren Schooß, drückte es mit der einen Hand an ihre Brust, warf die andere um Lissows Schultern, und zog ihn so zu dem Kinde. Hier! rief er jetzt, und zeigte auf den Rasen. „Was ist da?“ fragte Käthe. – Da ist meine Mutter begraben, sagte das Kind. Käthe wurde von einem seltsamen Schrecken ergriffen, und sprang auf. – O meiner Jakobine Grab! rief Lissow jammernd, und verbarg sein Gesicht. Das Kind suchte mit seinen Händchen ihn aufzurichten, und sagte lächelnd: ich bin ja deine Jakobine! Er sah es lange starr an, und seine Blicke wurden freundlicher. Dann nahm er das Kind auf seine Arme, drückte es an sich, benetzte es mit Thränen, und ging schnell in einen anderen Theil des Gartens.

Gott segne Sie! sagte der Alte, und beugte sich auf Käthens Hand; Sie haben sein Herz zerschmettert. Gott Lob! er hat noch nicht alles Gefühl verloren. Aber jetzt, ich bitte Sie, verlassen Sie ihn; er möchte sonst unter der Last seiner schrecklichen Empfindung erliegen. „Was ist ihm denn begegnet?“ fragte Käthe weinend. – Morgen! sagte der Alte. Sie sollen alles erfahren. Doch jetzt verlassen Sie uns! Er nahm Lissow's Knaben, und ging mit ihm dem Vater nach.

Der Baron führte Käthen zu ihrem Wagen, und sagte: ich bleibe hier. Käthe erwiederte: thun Sie das; verlassen Sie ihn nicht. Sie stieg, mit dem Tuche vor ihren Augen, ein, und versank bald in seltsame Träumereien, bei denen sie nichts deutlich dachte: „Ach“, sagte sie dann auf einmal, „so würde er auch mich geliebt haben!“ Sie beneidete das Weib, auf dessen Grabhügel sie gesessen hatte. Der Baron kehrte wieder in das Haus und in den Garten zurück. „Ich gehe nicht von hier weg“, sagte er zu dem Alten, der ihm am Eingange begegnete. „Auch die Nacht will ich bleiben.“ – Lassen Sie, erwiederte jener, den Unglücklichen sich wenigstens wieder erholen. Jetzt muß er allein seyn. – Der Baron setzte sich auf die Rasenbank vor dem Hause, und zog seine Schreibtafel hervor, um diese Begebenheit aufzuzeichnen; allein das konnte er nicht: die Gefühle seines Herzens waren stärker, als seine Eitelkeit.

Ungefähr nach einer Stunde kam Lissow mit seinen beiden Kindern aus dem Garten, und ging in das Zimmer. Auch Flaming trat, auf einen Wink des Alten, hinein. Lissow sah ihn an. Wo ist Käthe? fragte er, sich besinnend; und ohne die Antwort abzuwarten, fuhr er fort: habt ihr euch des Unglücklichen einmal erinnert? Mit diesen Worten reichte er dem Baron die Hand.

„Lieber Lissow“, sagte der Baron, „ich könnte fragen: erinnerst du dich unser noch? Doch vergiß alles, und laß uns einmal wieder in die Zeiten unsrer Kindheit zurückkehren. Beyer lebt noch, und liebt dich wie ehemals.“ Und ist glücklich? fragte Lissow lebhaft. „Sehr glücklich.“ – Lissow lächelte. Und deine Mutter, lieber Flaming? – „In einigen Tagen sollst du sie sprechen; sie kommt nach Berlin, und wird sich freuen, dich wieder zu sehen.“ – Weinte nicht Käthe? fragte Lissow auf einmal, als ob er sich besönne. – Ja, sie weinte, mein Sohn, sagte der Alte. Dein unvermutheter Anblick traf ihr Herz. – Sie ist doch glücklich? – „Wie eine Frau es seyn kann. Sie liebt ihren Gatten, hat vier gesunde Kinder, und ...“ – Wie ist es? fragte Lissow; hab' ich nicht einen Knaben bei ihr gesehen? – „Das war ihr jüngster Sohn.“

Lissow lächelte, und die finstre Falte des nagenden Grames verlor sich von seiner Stirn. Wenn er ja wieder in Träume versank und nicht mehr hörte, so gab der Alte der kleinen Jakobine einen Wink. Sie trat dann zu ihrem Vater, faßte seine Hände, und sagte: Vater, ich bin ja deine Jakobine. So wie Lissow diesen Namen hörte, blickte er auf, faßte die Kleine in seine Arme, küßte sie, und nahm dann einige Zeit wieder Theil an dem Gespräche.

Ach, lieber Flaming, sagte Lissow endlich; wenn du wüßtest, was ich leide! – Sein Ton bei diesen Worten war sanft und klagend.

„Sey ein Mann!“ sagte der Baron. „Du hast eine schmerzende Wunde; aber die Freundschaft wird sie heilen.“

Bei dem Worte Freundschaft verdunkelte sich Lissows Gesicht auf einmal wieder, und sein Auge flammte wild. Er sprang auf, und verließ das Zimmer. Vermeiden Sie, sagte der Alte, die Wörter Freundschaft und Freund; sie erschüttern seine Gefühle allzu stark. Der Alte – es war Jakobinens Vater – erzählte nun dem Baron Lissows Geschichte in wenigen Worten. Nachher suchte man den Unglücklichen im Garten auf; aber die kleine Jakobine sagte: der Vater hat mir gute Nacht gewünscht; er ist schon zu Bett.

Noch lange blieb der Baron mit dem Alten sitzen. Er erbot sich zu allem, was geschehen könnte, um Lissowen zu helfen. Der Alte faßte seine Hand, und sagte: Sie hat der Himmel zu uns geführt; er wollte ein solches Herz nicht ohne Tröstung bleiben lassen. –

Mit Zittern nehme ich die Feder, um Lissow's Schicksal zu erzählen. Der Leser wird sich noch erinnern, daß er an dem Tage, da Käthe Frau von Graßheim wurde, Zaringen wieder verließ, und nach Berlin zurück ging. Jakobine war in seiner Abwesenheit ruhiger geworden. Sie saß so eben bei Rechnungen, als Lissow wiederkam. Auf einmal horchte sie, legte die Feder nieder, wechselte die Farbe, und wendete ihr Gesicht gegen die Thür hin. „Was ist dir, Jakobine?“ fragte ihr Vater. Sie hatte recht gehört; es war Lissows Fußtritt auf der Treppe. Er öffnete die Thür, und Jakobine flog ihm fröhlich entgegen. Sein heiteres Gesicht, und die Wärme, mit der er Jakobinen an sein Herz drückte, sagten mehr, als Worte hätten sagen können. Der Vater bewillkommte den Jüngling, und ging dann einen Augenblick hinaus. Seine Frau fand ihn mit entblößtem Haupte, mit gen Himmel gerichteten Augen am Fenster stehen.

Jakobine war vor Freude außer sich; sie konnte ihren Geliebten nicht aus den zitternden Armen lassen. Beinahe, rief sie, und hielt ihn fest umschlossen: beinahe hätt' ich Sie verloren! Ach, und was wäre dann aus mir geworden! Aber nun! nun habe ich Sie ja wieder! O, sehen Sie, lieber Vater; er ist da! Er ist da, liebe Mutter!“ Man konnte wirklich nicht bestimmen, ob sie weinte oder lachte. Blickte man ihr in das Gesicht, so sah man Thränen über ihre Wangen rollen, und ihre Lippen bei jedem Worte vor Weinen beben; hörte man sie aber, so waren es Töne einer Jauchzenden, mit dem Accente des Triumphes.

Lissow befand sich in einem eben so leidenschaftlichen Zustande. Beide hörten nicht auf einander zu betrachten, als ob sie sich ein Jahrhundert nicht gesehen hätten. Endlich erzählte Lissow, und Jakobine wurde jedesmal bleich, wenn sie an den Fall dachte, daß er bei Käthen in Zaringen geblieben wäre.

Der Alte sah ein, daß jetzt, da die beiden jungen Leute mit ihren Gefühlen bekannt geworden waren, ihr Umgang für sie gefährlich werden könnte. Er sprach mit Lissow; und dieser drang nun in seinen Gönner, seine Versprechungen zu erfüllen. Der Kammerrath trug nach einigen Monaten Lissowen, den er gern in seiner Nähe behalten wollte, eine kleine Stelle an, bei der er in Friedrichsfelde wohnen mußte. Der alte Grumbach sagte: „zweihundert Thaler sind zwar wenig; aber Unschuld und Liebe brauchen auch nicht viel: und dieses immer sichre, baare Kapital habt ihr von der Natur zur Ausstattung bekommen.“ Jakobine und Lissow hatten nun alles erreicht, was ihr Herz sich wünschte.

O ihr heiligen, seligen Stunden, wer kann euer Glück aussprechen! ihr Stunden von dem Augenblicke an, da der Vater mit segnenden Blicken, mit betender Seele, vor die Liebenden trat, und mit gebrochener Stimme zu Lissow sagte: „nimm sie, und liebe sie, wie ich sie liebe!“ bis zu dem Augenblicke, da Jakobine mit ihrem Geliebten vor dem Prediger stand, die letzte, ganze Kraft ihrer Seele in ein „Ja!“ zusammen drängte, und dann bleich, matt und bebend sich auf den Geliebten stützte! O ihr goldenen Träume süßer Stunden, warum ließ das Schicksal euch nur Träume bleiben! Da saßen die Liebenden, gleich den Eltern des Menschengeschlechtes, in der weiten Schöpfung allein, mit sich zufrieden. Sie sprachen von ihrer Liebe, und von ihrem Glücke. Ihrer Herzen, ihrer Liebe waren sie sicher; und nun glaubten sie, auch ihres Glückes, ihrer Freuden, sicher zu seyn. Ach, warum erlaubte der Himmel dem Unschuldigen nur ewige unwandelbare Liebe, und machte das Glück so veränderlich! Warum ist das Herz so stark, und das Glück des Menschen so schwach! Wer kann glücklich zu seyn hoffen, wenn Unschuld und Verborgenheit keine Schutzwehr gegen das Elend sind!

Lissows und Jakobinens Herzen fühlten eine Liebe, welche ihre Phantasie sich auch in den schönsten Träumen nicht gemahlt hatte; jeder Augenblick knüpfte ein neues festes Band um ihre Seelen, und hob eine neue Blüthe ihres Glückes hervor. Jakobine wurde die Gattin ihres Geliebten. Mehr sein, als vorher, glaubte sie nicht werden zu können: und doch war sie mehr sein, als sie ihm zur Seite beim Erwachen die schönen Augen öffnete, sich halb aufrichtete, und die Arme über ihn ausbreitete; als sie sich mit pochender Brust über ihn beugte, leise mit dem Schlafenden redete, ihm die Haarlocken, den säuselnden Athem küßte, nicht die rothen Lippen, um ihn nicht zu erwecken; als sie endlich, hingerissen von dem Gefühle, ganz die Seinige zu seyn, ihn mit Küssen und Freudenthränen erweckte, und nun sogleich der holde Nahme: mein Weib, meine Jakobine! freudig von seinen Lippen zitterte. Glücklicher, als jetzt, glaubte sie nicht werden zu können; und doch wurde sie es, als sie an Lissows Hand in das Haus, in das Zimmer trat, das sie mit ihm bewohnen, in den verwilderten Garten, den nun ihre und Lissows Hände bearbeiten sollten. Mit zitternder Hand brach sie zwei blühende Zweige von einem Baume, kränzte mit dem einen Lissow, mit dem andern sich selbst, umfaßte ihn dann, und nahm so gleichsam feierlich Besitz von dem Garten, den die Liebe zu einem Garten Gottes machte. Sie wollte sprechen, und konnte nicht. Noch immer schweigend, umfaßte sie den Geliebten, lächelte ihm zu, und seufzte; ihre Brust schlug hoch, ihr Glück war ihr zu groß. Sie führte ihn in ein Gebüsch, warf sich auf ein Knie nieder, und hob die Hände gefalten zu ihm auf, ohne zu wissen, ob sie vor ihm oder vor dem Himmel knieete.

Jeder Tag war Beiden ein Fest der heiligsten Liebe, das die rührendste Unschuld, die ganz sich hingebende Vertraulichkeit, und der immer neue Reitz schamhafter Keuschheit verschönerten. Jedes kleine, unbedeutende häusliche Geschäft erhielt durch sie ein rührendes Interesse; jeder schwere Augenblick floh durch sie mit leichten Flügeln vorüber; jedes Mittagsessen wurde durch sie zu einem Gastmahle. – Wehe dem Menschen, der das Leben verläßt, ohne in dem Zauberkreise der Liebe empfunden zu haben, welch ein Schatz es ist!

Wenn der frühe Morgen die Glücklichen zu dem Genusse des heiteren Tages erweckte, und Jakobine nach einigen Augenblicken den dampfenden Thee in die Laube trug; wenn Lissow dann, Hand in Hand mit ihr, auf und ab ging, bis seine Geschäfte ihn riefen; wenn sie ihm mit ihrer Arbeit zur Seite saß, und ihre hellen, freundlichen, zärtlichen Blicke, so oft er aufsah, wie belebende Sonnenstrahlen, auf ihn fielen; wenn sie ab und zu ging, den Tisch deckte, das einzige Gericht auftrug, und Lachen, Scherz, Vertraulichkeit, Liebe den Tisch umflogen: dann sprang Lissow oft auf, drückte Jakobinen an sein Herz, und rief: ist es möglich? sind wir noch Menschen? sind wir auf der Erde?

Am Abend saßen sie vor der Thür unter ihren Bäumen, und sprachen oder sangen. Der Alte schlich leise weg, wenn Jakobine sich auf Lissows Knie setzte, ihre Wange an seine Brust lehnte, und süße Worte mit ihm flisterte. Sie selbst lächelten, wenn sie sich wieder besannen; denn es war Mitternacht. – Heilige Freuden der Unschuld und Liebe!

Du kannst nur immer an ein Bettchen denken, sagte die Mutter einmal zu Jakobinen. Die liebenden Eheleute sprangen bei diesen Worten auf, und standen, in sprachlosem Entzücken, eins in des andern Armen. Jetzt war Jakobine ihrem Manne heilig. Ihre Freude, von der sie geglaubt hatten, daß sie auf dem höchsten Gipfel wäre, nahm einen anderen Charakter an, und wurde noch einmal so entzückend. Jetzt faßte Lissow die Hand der Gattin mit einer so zarten Ehrerbietung, und seine Liebkosungen waren so innig, so unbeschreiblich rührend, daß Jakobine sich oft aus seinen Armen reißen mußte, weil sie verzweifelte, ihm seine Liebe vergelten zu können. „Mutter!“ lispelte er ihr zuweilen in der süßesten Vertraulichkeit zu; und dann schloß er sie sanft in seine Arme, und küßte ihre Hand mit dem innigsten Ausdrucke der Dankbarkeit, der Freude. Er hatte sie Braut und Gattin genannt. Sie glaubte, daß nun kein Nahme mehr da sey, der ihrem Herzen größere Freude geben könne; aber er nannte sie: Mutter; und der ganze Himmel floß in ihre Seele über.

Jakobine gab ihrem Gatten einen Sohn. – Wer kann die Wonne der Seligen beschreiben! Lissows Hütte war ein Tempel der Ruhe, der Freude, der Tugend, der schönsten Menschlichkeit, und jedes mütterliche Geschäft ein Fest für die glücklichen Eltern. Die Mutter legte den Knaben an ihren keuschen Busen, und ihre lächelnden Blicke hingen segnend auf ihm, Lissow stand in der Ferne, verloren in den Anblick, mit frohen, dankenden Augen. Dann trat er langsam näher, setzte sich zu Jakobinen, bald auf die Lehne des Stuhls, bald zu ihren Füßen, und drückte sanfte Küsse auf ihre Locken oder auf ihr Kleid. Jakobine drückte ihm indessen die Hand; aber ihr Auge hing unverwendet an ihrem Sohne. Die Mutterwürde gab ihr einen neuen Charakter: ihr Wesen erhielt etwas Erhabenes; ihre Fröhlichkeit verwandelte sich in eine heilige Ruhe; ihr Blick glich dem Blick einer jungfräulichen, keuschen Vestalin. So war Lissow noch nicht geliebt, wie jetzt, da sie sich zwischen ihn und seinen Sohn theilte. Sie gebar ihm eine Tochter. Lissow nannte sie Jakobine; er liebte Mutter und Tochter mit doppelter Liebe, und auch er schien nun sein Herz zu theilen.

Sein Glück war so groß, daß nichts in der Welt seine Ruhe stören konnte, als nur der Gedanke an seinen oder Jakobinens Tod. Er schien sein Schicksal zu ahnen und zitterte davor. Wohl hundertmal sang er mit bewegter Stimme ein Liedchen, das er gemacht hatte, als er das erste Mal seinen Sohn an Jakobinens nährendem Busen liegen sah. So oft er es sang, wurde sein Auge naß; und Jakobine hörte es doch so gern. Mit diesem Liede, mit dem ersten Tone davon, hätte er sie können aus dem Todesschlummer erwecken. Es hieß so:

 

Siehst du die Thräne wohl, die mit Entzücken

Mein volles Herz in diese Augen gießt?

Der Mutter wein' ich sie, die, Segen in den Blicken,

Ihr Kind so sanft an ihren Busen schließt? –

Geliebtes Weib! Der Himmel gab uns Beiden

Am Grabe schon der Engel Seligkeit;

Warum verlieh er uns zu diesen Engelfreuden –

Warum nicht auch, ach, die Unsterblichkeit!

 

Um diese Zeit machte Lissow die Bekanntschaft, welche sein ganzes Glück zerschmettern sollte. Er ging an einem kalten Wintertage nach Berlin, um Rechnungen, die er ausgezogen hatte, dahin zu bringen. In einer engen Gasse sah er ein Schauspiel, das ihn aufhielt. Ein Mann stürzte aus einem kleinen Häuschen, und hinter ihm her ein ärmlich gekleidetes junges Weib, das ein Kind auf dem Arme trug, und dem ein anderes Kind laufend folgte. „O, um Gottes willen !“ rief das Weib, und ergriff den Mann am Arme; „wohin willst du? Bedenke mich, bedenke deine Kinder!“ Der Mann, in dessen Gesicht entschlossene Verzweiflung lag, antwortete: euch bedenk' ich; darum laß mich gehen! ... Wollt ihr da im Schnee umkommen? setzte er in einem bittern Tone hinzu. Ich muß! – Er riß sich los, und eilte die Gasse hinauf. Lissow, der noch in einiger Entfernung war, wollte so eben das Weib befragen; da hielt ihn ein junger Mann an, und erkundigte sich, was es hier gäbe. „Unglück! Elend!“ antwortete Lissow; „ich will sehen, ob ich helfen kann.“ Er eilte zu dem Weibe; und der junge Mann blieb stehen, die Scene abzuwarten.

Lissow redete die Frau, die mit immer ängstlichem Blicken die Gasse hinauf ihrem Manne nachsah, freundlich an, und erfuhr endlich, was er wissen wollte. Des Mannes Krankheit hatte die Familie in die größte Noth gebracht. Ihr Wirth fürchtete, um seine Hausmiethe zu kommen, die sie seit einem Jahr schuldig war, klagte, ließ sie auspfänden, und wollte sie zum Hause hinaus werfen.

Lissow fragte die Frau, wie viel Geld sie fürs erste gebrauche, um die Auspfändung zu hindern. „Ach!“ antwortete sie; „es ist viel, sehr viel! Zwanzig Thaler! wer wird mir die geben!“ Lissow zog seine Börse hervor, und schüttete, was darin war, der Frau in die Hand. Es mochten ungefähr drei Thaler seyn. Das ist alles, was ich habe, sagte er betrübt. Doch, hob er auf einmal freudig wieder an: warte Sie hier nur eine halbe Stunde auf mich. Ich werde Ihr das Uebrige schaffen können. – Er wollte zu dem Kammerrathe gehen, um von dem die zwanzig Thaler zu borgen. Aber jetzt hielt ihn der junge Mann aufs neue an, und fragte: wohin wollen Sie? – O lassen Sie mich, sagte Lissow; oder leihen Sie mir zwanzig Thaler für die Frau dort. – Der junge Mann lächelte. Warum nicht? Er zog seine Börse, gab Lissowen vier Louisd'or, und sagte: geben Sie das der Frau, und dann kommen Sie zu mir. Ich gehe in das Kaffeehaus hier um die Ecke. – Man kann leicht denken, welche Wirkung eine so unverhoffte Hülfe auf die Frau machte. Lissow entzog sich ihrem Danke, so geschwind er nur konnte. Vor dem Kaffeehause wurde er von dem jungen Manne, der ihm das Geld geliehen hatte, gerufen, und ging hinein.

Der Freiherr von Rheinfelden – so hieß der junge Mann – hatte aus einer Grille seines Vaters, der durch eine Erbschaft von einem alten Malteser-Ritter, seinem Oheim, reich geworden war, ebenfalls Malteser-Ritter werden müssen, und lebte jetzt in Berlin, weil er sich da besser fühlte, als in seinem südlichen Vaterlande. Dieser junge Mann war, bei vielem Geist und vielem Edelmuth, ein wenig wild und ungebunden. „Dafür“, sagte er scherzend, „bin ich ein Malteser-Ritter, verdammt, ewig allein zu leben, ein Zwitterthier, eine Pflanze ohne Blüthe, ohne Frucht, bestimmt unbeweint zu verdorren. Ich habe mein Kreuz auf mich geladen, und muß ein wenig tollen, um es mir zu erleichtern. Was geht es Euch an? Habe ich doch Niemanden in der Welt, vor dem ich mich zu schämen, dem ich Rechenschaft zu geben hätte! Ihr werdet Männer, Ehegatten, Väter, Großväter; und es ist gut, daß ihr auch weise werdet. Ich aber bleibe ewig ein Jüngling, und Jugend hat keine Tugend.“

Er blieb, von dem Anblicke der Frau gerührt, bei Lissow stehen, und redete sie nur darum nicht an, weil sich Leute sammelten. Indeß hörte er Lissows Gespräch mit ihr, hielt ihn dann auf, um ihm das Geld zu geben, und bestellte ihn in das Kaffeehaus, um durch ihn der Familie, deren Schicksal ihn gerührt hatte – oder, wenn wir recht aufrichtig seyn wollen, der artigen Frau, die ihm gefiel – wieder aufzuhelfen. Er trank eine Tasse Chokolate, trat an ein Fenster, und sagte lächelnd: wie alles so seltsam vertheilt ist! Dem armen Teufel standen Thränen des Mitleidens in den Augen; er wollte gern helfen und konnte nicht. Ja, der Himmel vertheilt den Reichthum, wie die Ordenskreuze!

Lissow kam. „Hören Sie“, sagte der Ritter freundlich, „was für Sicherheit geben Sie mir denn für meine vier Louisd'or? Ihr gutherziges, ehrliches Gesicht? ... Nun, trinken Sie nur eine Tasse Chokolate! Wie steht es denn eigentlich mit der Familie?“ – Wollen Sie hier eine halbe Stunde verziehen, antwortete Lissow, so will ich Ihnen das Geld wiederbringen; ich hoffe, es geliehen zu bekommen. Eine halbe Stunde freilich muß Ihnen mein Gesicht zur Bürgschaft dienen. Ich heiße Lissow, und bin Inspektor bei *** in Friedrichsfelde.

„Wahrscheinlich noch unverheirathet? Denn sonst würde das Weibchen zu Hause eine Gardinenpredigt halten!“

Ich habe eine Frau und zwei Kinder, sagte Lissow mit einem heitern Gesichte. Aber eben das; der Gedanke an sie – O, mein Herr, es ist das Schrecklichste in der Natur, wenn ein Mann seine Frau und seine Kinder unglücklich werden sieht; ohne Hülfe zu finden. Ich selbst bin arm; und so könnte ...

„Arm? und Sie borgen zwanzig Thaler, um Andern zu helfen? Wenn das auch edelmüthig seyn mag, so ist es doch unüberlegt, Herr Lissow.“

Wohl wahr; aber wenn wir immer rechnen wollten ... Und überdies, glaube ich, rechnen in einem solchen Falle ist schon unmenschlich und grausam. Rechnet denn der Himmel mit uns?

„Nun, Sie sagen ja selbst, daß er mit Ihnen sehr karg gerechnet hat; und so ...“

Karg? mit mir? fiel Lissow ein, und seine Augen leuchteten vor Freude. Nein, mein Herr: Sie reden mit dem glücklichsten Manne, den je die Erde getragen hat. Glücklicher, als ich bin, kann ich nie werden.

„Wahrhaftig, das muß man Ihren Augen ja wohl glauben, wenn man auch zweifeln wollte. Nun, mit den vier Louisd'or hat es keine Eil. Sie können mir sie nach Ihrer Bequemlichkeit wieder geben. Erkundigen Sie sich doch einmal nach den Umständen der Familie, wie ihr zu helfen wäre. Morgen um diese Zeit bin ich wieder hier. Wenn es nöthig ist, so will ich mein Scherflein so gut geben, wie Sie, ob ich gleich weniger glücklich und reich bin, als Sie. Bei mir hat der Himmel seltsam gerechnet; er gab mir ein Kreuz zu tragen, das ich erst im Grabe los werden kann, so schwer es mir auch wird.“

Lissow sah ihm mitleidig ins Gesicht. Darf ich fragen, fing er gutherzig an, was ...?

„Lieber Mann“, erwiederte der Ritter; „mir ist nicht zu helfen. Ich muß mein Kreuz forttragen bis an meinen Tod, so gut oder so schlecht ich es im Stande bin. Adieu. Morgen sehen wir uns, wenn Sie mir mein Geld bringen.“

Er ging, und schon auf dem Wege bedauerte er es, daß er sich nicht näher nach Lissow erkundigt hatte, der so gut und in einem so gebildeten Tone sprach. Sollte er mir wohl die zwanzig Thaler wiederbringen? dachte er.

Am folgenden Morgen war Lissow schon früh auf dem Kaffeehause. Er legte, als der Ritter kam, die vier Louisd'or auf den Tisch, und dankte ihm für sein Zutrauen. Der Ritter ließ das Geld liegen. „Und unsre unglückliche Familie?“ fragte er. Lissow lächelte. Sie ist nicht mehr unglücklich, mein Herr; indeß, wenn diese vier Louisd'or zu Ihrem Ueberflusse gehörten ...

„Sie gehören dazu, Herr Lissow.“

Und Ihnen daran gelegen wäre, eine tugendhafte Familie ganz gerettet zu wissen, so ... – Lissow setzte dem Ritter die Umstände, die Bedürfnisse der Familie aus einander, und zeigte ihm mit hinreißender Beredtsamkeit, daß vier Louisd'or dem Manne Mittel geben würden, wieder arbeiten und sich nähren zu können. Ich, so schloß Lissow mit einem Seufzer, ich habe nicht einen Heller mehr; sonst ...

„Nicht einen Heller mehr? Seltsamer Mann! Sie haben alles weg gegeben, und, wenn ich recht verstanden habe, mehr, als Sie gestern schon gaben? Aber denken Sie denn nicht daran, daß Sie selbst Mangel leiden können?“

Das war Ueberfluß, mein Herr. Zwar hatte ich die Summe schon bestimmt; doch ...

„Bestimmt? wozu?“

Zu einem besseren Klaviere für meine Frau. Aber ich kann wohl noch warten; ich bin glücklich.

Der Ritter war bewegt. „Das sind Sie“, sagte er; „wahrhaftig das sind Sie, oder niemand in der Welt ist es! ... Ja“, sagte er dann nach einer kleinen Pause Französisch, wie vor sich selbst: „die Tugend, sie sey auch was sie sey, macht glücklich.“

Und wenn die Tugend uns auch nicht immer glücklich macht, hob Lissow an, so macht sie uns doch zufrieden.

Der Ritter wunderte sich, daß Lissow Französisch verstand. „Und Inspektor sind Sie nur?“ fragte er, als er noch eine Stunde mit Lissow über mancherlei gesprochen und in ihm einen Mann von sehr vorzüglicher Geistesbildung und von edlem Herzen gefunden hatte. Er gab Lissowen eine beträchtliche Summe, und sagte: lassen Sie das in Ihren Händen wuchern. Sie haben mir zum ersten Male gezeigt, daß die Tugend mehr ist, als Heuchelei; denn Sie sind wahrlich tugendhaft. Leben Sie wohl!“

Lissow erstaunte über die Summe, die der Ritter ihm in die Hand gedrückt hatte. Er ging zu der unglücklichen Familie, übertraf alle ihre Hoffnungen, und entzog sich durch schnelles Weggehen ihrem Dank und ihren Thränen. Drei Tage nachher wurde Lissow'en ein Silbermannisches Klavier nach Friedrichsfelde gebracht. Jakobine nahm einen Zettel, der durch die Saiten gezogen war, und las: „Eine schönere Harmonie liegt nicht in diesen Saiten, als in dem Herzen des Mannes, dem ich mit diesem Instrumente einen Beweis geben will, daß ich der wahren Tugend huldige.“ Jakobine drückte mit Stolz und Entzücken den Geliebten an ihre Brust. Lissow mußte ihr den Mann beschreiben, der seine Tugend so geehrt hatte. „Ich wollte viel darum geben“, sagte sie, „wenn ich ihm einmal sagen könnte, wie gut ich ihm dafür bin, daß er dich liebt, daß er dich achtet. Weißt du denn seinen Nahmen nicht?“ Lissow hatte ihn nicht darnach gefragt.

Der Ritter vergaß in den Zerstreuungen des Winters seinen seltenen Inspektor bald; aber Lissow den Ritter nicht. Er war ihm noch Rechnung von der Summe schuldig, die er mit der feinsten Behutsamkeit angewendet hatte; und auch Dank für das Vergnügen, welches das Klavier Jakobinen machte. Lissow ging, so oft er nach Berlin kam, auf das Kaffeehaus, und fragte nach dem Fremden; allein man hatte ihn nicht wieder gesehen. Endlich begegnete er ihm einmal zufälliger Weise. Dem Himmel sey Dank! sagte Lissow laut: da find' ich Sie! – Der Ritter erkannte ihn. „Sieh da, Herr Inspektor! wie geht es?“ – Ich habe Ihnen viel zu sagen. – „Nun, so kommen Sie mit mir nach Hause.“ Lissow übergab ihm eine Berechnung über die von ihm erhaltene Summe. Der Ritter wunderte sich, daß so viel Gutes mit dem Gelde gethan war. „Wahrhaftig, Herr Lissow“, sagte er; „ich habe Summen verschleudert, und nicht Glückliche, sondern Unverschämte oder Undankbare gemacht. Wie fangen Sie es an, die Menschen in der That glücklich zumachen?“

Ich liebe den Unglücklichen, mein Herr, sagte Lissow sanft. Sie gaben vielleicht, ohne ihn zu lieben.

Der Ritter erröthete. „Sie haben Recht. Aber uns Reichen fehlt es meistens an Zeit, uns so genau zu erkundigen.“

An Zeit, Gutes zu thun? fragte Lissow betrübt. Von Ihnen hör' ich das ungern.

„Warum von mir? warum das?“

Weil ... weil es schmerzt, sich geirrt zu haben. Doch nein! Sie sind gewiß edel; denn Ihr Herz ist dazu geschaffen, das Unglück Anderer tief zu empfinden.

Der Ritter lächelte; doch fühlte er sich verlegen, was er in der That nicht oft war. „Sie sind ein seltsamer Mann“, sagte er, und reichte Lissowen die Hand. „Aber, um recht aufrichtig zu seyn – ich bedarf, trotz der Menschlichkeit, die Sie mir zutrauen, dennoch eines solchen Mannes, wie Sie. Hier, lieber, guter Lissow, ist eine gleiche Summe; vertheilen Sie auch die, und rechnen Sie jeden Monath auf eine ähnliche. Fällt etwas Außerordentliches vor, so gehört es nicht in die Rechnung. Dann kommen Sie zu mir. Ich traue meiner eigenen Tugend nicht so viel, wie der Ihrigen, und ich will einmal mit einem fremden Herzen handeln.“

Oder einen fremden Nahmen gebrauchen, um unerkannt ...

„Wie Sie wollen. Mögen Sie mich doch für besser halten, als ich bin. Schaffen Sie mir aber noch Einen solchen Menschen, wie Sie sind, so geb' ich Ihnen mein Wort, ich bin der Dritte; denn da würde es sich schon der Mühe verlohnen, tugendhaft zu seyn.“

Lissow verschwieg, was ihm auf der Zunge schwebte: die Nahmen seines Schwiegervaters, seiner Gattin, und der Frau von Flaming. – Von einem Domestiken erfuhr er den Nahmen des Ritters. Hm! sagte er im Gehen; das ist doch zu weit getriebene Bescheidenheit. Solche Summen monathlich an Unglückliche, und er sagt: er traue seinem eignen Herzen nicht!

Der Ritter stand lachend auf, als Lissow das Zimmer verlassen hatte, und trällerte ein Liedchen. Bei dem allen fand er indeß, daß Lissow ein sehr ausgezeichneter Mann war. „Das wäre doch seltsam!“ dachte er, und nahm den Hut; „was ich verzweifelte zu finden, hätte ich gefunden: einen Tugendhaften? Thorheit! wer kennt ihn denn so genau? Eine feine Eitelkeit; weiter nichts!“

Er eilte seinem Vergnügen zu. Als er nach Hause kam, fielen ihm Lissows Rechnungen wieder in die Hände. „Und ist das wirklich so?“ fragte er zweifelhaft. Er suchte einige von den darin genannten Leuten auf, und fand, daß Geld nur das Geringste an den Wohlthaten gewesen war, welche die Unglücklichen von Lissow empfangen hatten. Lissow war durch manche seiner Arbeiten so genau mit dem Umfange der Gewerbe bekannt geworden, daß der Rath, den er den Handwerkern gab, ihnen den Zustand sicherte, worein das ihnen geschenkte Geld sie versetzte.

Ja, wahrhaftig, sagte der Ritter auf dem Rückwege nachdenkend: er hat Recht; denn ohne den Unglücklichen zu lieben, wäre doch das ein mühsamer Triumph für die Eitelkeit. Aber wie fängt dieser Mensch es an, Unglückliche zu lieben, die durch Roheit, Schmutz und ihre langweiligen Klagen bei mir noch nichts erregt haben, als den Wunsch, mich so schnell als möglich von ihnen zu befreien? Hm! er selbst ist aus diesem Stande; in einer schmutzigen Armuth erzogen, fühlt er den Ekel nicht, den uns die Armuth erregt.

Das nächste Mal, als Lissow wieder zu ihm kam (und er kam bald), betrachtete der Ritter seinen Anzug genau. Lissow war zwar einfach, aber sehr reinlich gekleidet, und seine Wäsche sogar sehr fein. Der Ritter fragte; und Lissow erzählte, daß er bei dem Baron von Flaming in dem größten Ueberflusse erzogen worden sey. „Nun“, sagte der Ritter, und reichte ihm die Hand; „es mag seyn. Was will ich auch die Fäden aufsuchen, von denen das Herz bewegt wird! Die Menschen, denen wir helfen, stehen sich darum nicht schlechter und nicht besser. Besser sogar, will ich behaupten. Und habe ich je einen Freund nöthig, so gebe der Himmel, daß ich so einen finde, wie dieser ist!“

Lissow verstand von diesem Geschwätze nichts. Er hielt sich an des Ritters Handlungen, und übersah dessen Worte; so stieg denn seine Achtung für Rheinfelden von Tage zu Tage. Dieser mochte wollen oder nicht: er konnte sich gegen Lissows Tugend, und noch mehr gegen Lissows Liebe, die ihn so sichtlich umfaßte, am Ende nicht länger vertheidigen. Zwar lachte er selbst über seine Kinderei, wie er es nannte; aber er fing an, sich dem edlen Manne hinzugeben. An die Stelle des persiflirenden Tons, den er vorher gegen Lissow angenommen hatte, weil er ihn für einen gutherzigen Thoren hielt, trat ein edlerer Ton, der von Tage zu Tage freundschaftlicher, und endlich, zum Erstaunen des Ritters, vertraut, ja, leidenschaftlich wurde. Es gab Stunden, wo es ihn dünkte, als ob er eben so gut ein Schwärmer in der Tugend und in der Freundschaft sey, wie Lissow. Das kam ihm, weil er beständig Rechenschaft von seinem Herzen zu fordern gewohnt war, seltsam genug vor. Er haßte nichts mehr als Schwärmerei; und für diese hielt er beinahe jede Empfindung, welche nicht unmittelbar vom Körper ausging. Durch den Umgang mit Lissow fühlte er sein Herz erwärmt, und erröthete dafür. Er konnte die Ursache nicht finden. „Hm!“ sagte er endlich: „der Enthusiasmus theilt sich mit, weil der Mensch ein geselliges Thier ist.“

Er folgte dieses Mal dem Zuge seines Herzens, weil es ihm wohlthat. Achtungsbezeigungen hatte er bisher überall erhalten; aber noch nie Liebe, weil sein kaltes Herz alle Herzen, die sich an ihn hängen wollten, zurückstieß. Hier fand er zum ersten Mal eine zärtliche, innige, zutrauliche Liebe, ein Herz, das ihm immer offen stand. Umsonst suchte er irgend einen eigennützigen Bewegungsgrund auf, der Lissowen an ihn ziehen könnte. „Eitelkeit?“ fragte er sich. Aber Lissow hatte lange nicht einmal seinen Nahmen gewußt, und ging jedes Mal wieder weg, wenn er hörte, daß der Ritter Gesellschaft hatte. Er war nur unter vier Augen Freund; sobald jemand dazu kam, war er der Inspektor, welcher des Ritters Geschäfte besorgte.

Die Kälte des Ritters war nur erkünstelt; sein langer Aufenthalt in Frankreich, seine Lektüre, eine glänzende, aber falsche Philosophie, und der Stolz selbstständig zu seyn, hatte sie um sein Herz gezogen. Die Eisrinde fiel jetzt von seinem Herzen ab; er überließ sich seinen natürlichen Gefühlen, und wurde nun wirklich Lissows Freund.

Jetzt war er – denn er pflegte immer zu weit zu gehen – unzufrieden, daß Lissow ihn nur selten besuchte. Er lud ihn oft zu Gesellschaften ein, that sogar stolz mit ihm, und sagte mit Vergnügen: dies ist mein Freund, der Inspektor Lissow aus Friedrichsfelde.

Jetzt, da das schöne Frühlingswetter die Zerstreuungen in der Stadt verminderte, fiel er endlich auf den Gedanken, das häusliche Leben seines Lissow einmal mit eigenen Augen zu sehen. Er warf sich eines Tages auf ein Pferd, ritt nach Friedrichsfelde, ließ sich nach Lissows Hause führen, und trat in das kleine Zimmer. Das ist er, Jakobine! sagte Lissow fröhlich: das ist mein Rheinfelden!

Jakobine neigte sich mit einer seelenvollen Freundlichkeit vor dem Ritter. Dieser hatte freilich aus Lissows Erzählungen kein unangenehmes Bild von Jakobinen in der Seele; aber wie wenig war es dem Weibe ähnlich, das jetzt mit dieser bezaubernden Unschuld, mit diesem seelenvollen Gesichte vor ihm stand! Er hatte eine niedliche, kleine Frau erwartet, die blöde und verlegen seyn würde; und da stand die schlanke, edle Figur eines holden Weibes mit süßer Unschuld vor ihm. Seyn Sie uns willkommen! sagte sie mit einem Wohllaut in der Stimme, der in die Tiefen seiner Seele drang, um da ewig zu tönen. Er konnte sein Auge nicht von ihr wenden, und dennoch seinen Blick nicht fest halten. Zum ersten Male in seinem Leben war er blöde.

Lissow machte endlich seiner Verlegenheit ein Ende, da er ihn in ein Gespräch zog, das bald allgemein wurde. Des Ritters Verwunderung über diese Familie nahm immer mehr zu, je näher er die einzelnen Personen kennen lernte. Seine Blicke wurden mit Gewalt von Jakobinen auf den Alten gezogen, als diesen ein Paar Fragen von Lissow zur Theilnahme an dem Gespräche veranlagten. Die anspruchlose, reife Klugheit des Greises; seine genaue Bekanntschaft mit der Welt; seine treffenden Urtheile; seine Bekanntschaft mit dem Herzen, den Leidenschaften der Menschen, und den verschiedenen Systemen der Lebensphilosophie; die Ruhe, mit der er alles ansah und beurtheilte; seine Billigkeit gegen Thorheiten: das alles erregte des Ritters Bewunderung; seine leidenschaftliche Stärke und Wärme des Herzens, sein Enthusiasmus für das Gute, seine tiefe Ehrfurcht für jede Tugend erfüllten ihn mit Achtung. Lissow hatte ihm Liebe für den Tugendhaften abgezwungen; der Alte zwang ihm Liebe für die Tugend ab. Er sah hier, was er zu sehen verzweifelt hatte: einen Mann, der mit der tiefsten Weltkenntniß die Tugend des einfachsten Herzens verband. Der Ritter saß stumm, horchend, nachdenkend; er war ernster, und doch auch heiterer, als je. So gern er wollte, konnte er sich doch des Gefühls nicht erwehren, daß er in dieser Gesellschaft sehr wenig bedeute. Von dem allen, was ihm sonst eine Gesellschaft angenehm machte, war hier nichts. Hier hatte er nicht geglänzt, nicht gespottet, nicht die Gesellschaft mit sich weggerissen; er folgte dem sanften Zuge eines zufälligen Gespräches, und die Stunden flogen dahin, wie Augenblicke. Er bat um Erlaubniß, wieder kommen zu dürfen; und zum ersten Male wünschte er, von Menschen, wie diese, nicht nur geachtet, sondern auch geliebt zu werden.

Auf dem Rückwege legte er seinem Pferde den Zügel auf den Hals, und stützte lässig die Hände auf den Sattel. Jetzt konnte er sich nicht länger läugnen, daß es ein Glück giebt, welches nur Unschuld, Familieneinigkeit, Liebe und Tugend ertheilen. Er wiederholte sich alles Gesehene. Es war nichts, als was er auch in hundert andern Häusern schon sonst sah: eine Frau, die ihren Mann liebte; ein Alter, der mit den Kindern spielte; eine Familie mit ihren kleinen unbedeutenden Geschäften. Aber der Geist, der hier den Vater, die Mutter, die Kinder und den Großvater belebte, der aus jedem Auge hervorleuchtete, aus jeder Bewegung sprach – der Geist heiterer Liebe, der ungezwungensten Zufriedenheit, des schönsten Vertrauens: dieser Geist hatte ihm alles bedeutend gemacht.

Der Ritter untersuchte, und fand, daß auf die Länge ein solches Leben ohne alle Abwechslung langweilig werden müßte. Aber, trotz diesem Urtheile war Lissows Haus für ihn so unterhaltend, daß er es nicht mehr entbehren konnte. Er lachte über sich selbst; und dennoch ging, ritt oder fuhr er fast alle Tage nach Friedrichsfelde. In Kurzem war er gleichsam ein Mitglied dieser Familie geworden, und verdiente, es zu seyn. Die beiden Kinder saßen eben so gern auf seinem als auf ihres Vaters Schooße, und zuletzt gingen sie und Jakobine ihm auch wohl ein Viertelstündchen entgegen, wenn er zu lange wegblieb. Er erhielt, was ihm hier zu erhalten der feurigste Wunsch war: die Liebe des ganzen Hauses.

Auch der alte Grumbach sah den Ritter sehr gern. Manches, was er über die Menschen sagte, ging bei Lissow und Jakobinen verloren, weil Beide die Welt zu wenig kannten, um seine Bemerkung fein zu finden. Bei dem Ritter war das nicht der Fall. Er und der Alte untersuchten stundenlang die Leidenschaften des Herzens, den Zweck des Lebens, den Weg zum wahren Glücke, während daß Jakobine und Lissow ihn nur gingen. Diese Beiden hatten indeß nun jemand, dem sie sagen konnten, wie sehr, und mit welchem Rechte, sie einander liebten. Jakobine erzählte Rheinfelden von Lissow, wie er sie und ihre Eltern gerettet habe, wie edel sein Herz, wie gut er sey; und Lissow sprach etwas Aehnliches. Rheinfelden erzählte gut, blies die Flöte vortrefflich, scherzte äußerst fein, und brachte überdies unmerklich Wohlhabenheit in Lissows Haus.

Zuweilen saß er bei Jakobinen, hielt ihr, wenn Lissow abgerufen wurde, den Zwirn, den sie aufwickelte, und fand das Geschäft nicht langweilig; denn Jakobine stand mit holder Freundlichkeit vor ihm, und ihre runden Arme bewegten sich so reitzend vor seinen Augen, und ihre rothen, frischen Lippen plauderten so angenehm. Das Vertrauen wurde von beiden Seiten unbegränzt. Rheinfelden nannte sie, wie Lissow: Jakobine. Sie nannte ihn: Rheinfelden. Jetzt pflanzte er mit ihr im Garten, dann jagte er sich mit ihr, ihren Kindern und ihrem Manne. Er wußte nicht, wen er mehr liebte, Lissow'en, Jakobinen, oder den Alten. Sein Untersuchungsgeist, sogar seine Zweifelsucht, plagte ihn jetzt seltner. Er war glücklich, er war gut, ohne sich zu fragen, wodurch und warum. „Kinder!“ sagte er wohl hundertmal: „ihr habt mich zu einem Menschen gemacht!“ Eben so oft küßte er Jakobinen die Hand mit ruhiger Zärtlichkeit, und sagte: „Sie, liebe Jakobine, haben mich gelehrt, daß in einer Weiberbrust ein Herz schlagen kann, dem man Ehrfurcht schuldig ist.“

Jetzt fing Jakobinens Liebenswürdigkeit an, immer tiefern Eindruck auf ihn zu machen. Er fühlte Liebe für sie, aber jene ruhige, heitre, wie der Bruder sie für seine liebenswerthe Schwester empfindet. Sein Herz war voll von Jakobinen, seine Sinne aber gar nicht mit ihr beschäftigt. Und wie hätte auch ihre stille Unschuld, ihre keusche Einfalt, Begierden bei ihm erregen können? Jakobine wußte nicht einmal, was gefallen wollen heißt. Sie war schön, reitzend, in der frischen Blüthe ihrer Jugend; aber sie hing an ihrem Manne mit unaussprechlicher Liebe, und für den Ritter war sie nichts als gütig, heiter, freundschaftlich. So blieb seine Sinnlichkeit ruhig, und sein steter Umgang mit Jakobinen war bloße Gewohnheit.

Wehe dem Herzen, das einmal seine Unschuld verloren hat! Ein Zufall, eine bloße Kleinigkeit, kann den alten Sturm der Leidenschaft wieder rege machen.

Der Ritter war vorher in Absicht der Liebe einem sehr sinnlichen Systeme gefolgt. Sein unglücklicher Stand verbot ihm die Ehe. Wie leicht mußte er nun durch seine Lage in der Welt (er war jung, schön und reich) auf den Gedanken gerathen: Liebe sey nichts als Wollust! Hier in Lissows Hause lernte er zuerst, was Liebe ist; und jetzt sah er mit Verdruß, welches Glückes sein Stand ihn beraubte. Je mehr er Jakobinen kennen lernte, desto gewisser wurde er auch, daß sie nicht wollüstig war. Anfangs freilich, wenn sie so zutraulich mit ihm ging, oder mit ihm allein in der Laube saß und schwatzte, stieg wohl leise der Gedanke bei ihm auf: wer weiß? Aber nun kam Lissow. Jakobinens Ruhe, ihr unveränderter Ton, und ihr Betragen gegen ihn in dessen Gegenwart, machten ihn wieder irre; und sehr bald sagte er sich mit voller Ueberzeugung: sie ist das unschuldigste Weib, das ich jemals gesehen habe. Er wurde bei Jakobinen so ruhig, wie er noch nie bei einem schönen Weibe gewesen war; ihre Unschuld schläferte seine Sinne ein.

Eines Tages war er wieder da, und es kamen mehrere Umstände zusammen, das Elend der Glücklichen anzufangen. Lissow und der Alte hatten dringend zu thun. Rheinfelden saß mit Jakobinen im Garten, in den vertraulichsten Gesprächen. So anhaltend, so ungestört hatte er noch nie mit ihr gesprochen; und die Reitze ihres schönen Geistes brachen, wie die Sonne nach einem lange anhaltenden Nebel, völlig hervor. Sonst war das Gespräch getheilt gewesen; heute mußte Jakobine allein ihn unterhalten. Sie wurde immer lebendiger, und er um so einsylbiger. Unter andern erzählte sie ihm von dem Tode ihrer Mutter, die ungefähr ein Jahr nach ihrer Verheirathung gestorben war. Ihr Herz schlug, ihre Augen füllten sich mit schönen Thränen. In der Hitze des Gespräches faßte sie des Ritters Hände, und drückte sie, als ob es die Hände ihrer Mutter wären. „O“, schloß sie zuletzt, „lieber Rheinfelden, der Tod ist nicht schwer, wenn die Liebe eines Mannes, die Liebe der Kinder am Sterbebette steht. Man schließt das Auge in dem süßen Gefühle, daß man geliebt ist. Und auch ich bin Gattin und Mutter.“ Sie nahm ihre kleine Tochter, die neben ihr auf der Erde saß, drückte sie innig an ihre Brust, ging dann ein Paar Male den Garten auf und nieder, und sprach, wie es schien, mit sich selbst. Auf einmal trat sie an das Fenster von ihres Mannes Arbeitszimmer, das in den Garten sah, öffnete es, reichte ihm mit dem zärtlichsten Blicke ihre Hand hinein, und kam dann wieder in die Laube.

Der Ritter sagte, als sie im Garten auf und nieder ging: welch ein Weib! Er betrachtete sie mit wohlwollender und heißer Sehnsucht. Sie schien ihm reitzender, schöner, erhabner. Welch ein Weib! sagte er noch einmal. Der Glückliche! setzte er still hinzu. – „Kommen Sie, Rheinfelden!“ sagte Jakobine; „das Gespräch hat mich zu sehr bewegt. Lassen Sie uns ein wenig Musik machen. Ich habe es nicht gern, daß mir die Luft meine Thränen abtrocknet, sondern Lissows Hand; und eben so wenig mag ich eine süße Empfindung, wie die jetzige, so im Plaudern auf einmal zerstören. Die Musik hallt die Töne der Empfindung noch immer nach.“ Sie gingen. Jakobine spielte auf ihrem Klaviere mit so tiefer Wahrheit, daß der Ritter ihre Finger hätte küssen mögen. Er legte ihr ein Paar Gesänge vor, welche die Empfindung nicht störten. Endlich ließ er die Flöte ganz sinken, um nur Jakobinen zu hören. So hatte sie nie gesungen, und so hatte auch das Herz des Ritters noch nie gepocht, wie jetzt. Er beugte die Stirn in seine Hand, und murmelte zweimal vor sich: o, der glückliche Lissow!

Sein Herz, seine ganze Empfindung war rege gemacht. Er küßte, als sie fertig war, ihr Gewand, ohne daß sie es merkte. Ein Gewitter zwang sie aufzuhören, weil der Donner ihren Gesang überstimmte. Jetzt kamen Lissow, der Alte und die Kinder. Jakobine flog ihrem Manne in die Arme. Das hatte sie immer gethan, ohne daß es dem Ritter aufgefallen war; aber heute bemerkte er es. O, dachte er; wenn ein solches Weib mir nach vollendeter Arbeit in die Arme fiele! Er stand auf, und ging zwei- oder dreimal das Zimmer stillschweigend auf und nieder. In seiner Empfindung war kein Neid; nur der Wunsch, so glücklich zu seyn, wie Lissow. Das Gefühl seines Standes fiel zum ersten Male drückend schwer auf ihn. Er wollte fort, und rief nach seinen Pferden.

Man bat ihn, erst das Gewitter vorüber gehen zu lassen. Er lächelte. „Wird es denn einmal vorüber gehen?“ fragte er zweideutig. Nun, erwiederte Jakobine, so bleiben Sie ganz und gar hier; und unter der Bedingung mag es fort donnern. Schlagen Sie ein! Sie hielt ihm die Hand hin. Er nahm die Hand, und küßte sie feuriger, als er es sonst zu thun gewohnt war. Das Gewitter ging wirklich nicht vorüber, und er mußte sich wider seinen Willen entschließen zu bleiben. Das gab eine Art von Fest im Hause. Der Knabe holte dem Ritter Pantoffeln; Jakobine brachte ihm mit heitern Scherzen einen Nachtanzug von ihrem Lissow, und man zwang ihn, um ihn gewiß zu behalten, es anzuziehen. Spät gegen Abend verschwand Jakobine auf einige Augenblicke, und kam dann in einem leichten, sehr reinlichen Nachtkleide wieder.

Sehen Sie, sagte Jakobine, daß ich nicht so umständlich bin, wie Sie! Nun plaudern wir noch ein Stündchen. Wir nennen das hier unsere Feierstunden.

Der Ritter betrachtete Jakobinen in dem leichten Nachtkleide, worin sie erst recht reitzend war. O, das schöne Weib! dachte er, und seine Phantasie gerieth in eine lüsterne Bewegung. Bald versank er in düstre Träume, aus denen ihn weder Jakobine, noch der Alte herausschwatzen konnten. Er warf brennende Blicke auf das reitzende Weib, belauerte alle ihre Bewegungen, ging im Zimmer auf und nieder, um sie von jeder Seite zu sehen, und antwortete verkehrt auf alle Fragen, mit denen man ihn zu zerstreuen suchte.

Der Ritter wurde endlich von Lissow auf eine Kammer geführt, wo er schlafen sollte. Er warf sich in einen Stuhl, und konnte Jakobinens Gestalt nicht vor seinen Augen los werden. Immer sah er, wie Lissow sie mit Innigkeit umarmte. O, murmelte er halb, nur Einmal möchte ich meinen Arm so um sie schlagen, Einmal sie an dieses Herz drücken! Er warf sich unruhig in sein Bett; seine aufgeregte Phantasie verfolgte Jakobinen bis auf ihr Lager, bis in die Arme ihres Mannes, und füllte seine Brust mit Neid und wildem Feuer.

Am andern Morgen erwachte er früh. Sein erster Gedanke war die reitzende Jakobine: nicht mehr, wie sonst, die unschuldige Gattin, die sanfte Mutter; nein, das reitzende Weib, mit der schlanken Gestalt, dem vollen Busen, den runden Armen. Noch einmal möchte ich sie so sehen, dachte er, und sprang auf. Er warf sich in die Kleider. Sie muß doch, ehe sie sich ankleidet ... – Er hörte die Gartenthür aufgehen, und schlich an das Fenster. Es war Jakobine in der leichten Morgenkleidung; ihr Haar hing, in der schönen Unordnung der Nacht, auf ihre Schultern herunter. Ihr Mieder umgab den schönen Leib und die keusche Brust so eng. – Ohne Geräusch trug sie Stühle in den Garten, daß ihr Gast dort des schönen Morgens genießen könnte. Er wollte sie so in der Nähe sehen, und eilte zu ihr hinunter. Als Beide einander einen guten Morgen gewünscht hatten, ging Jakobine in das Haus. Nach einigen Minuten kam sie gekleidet wieder, und erzählte Lissowen, daß der Ritter sie noch im Nachtkleide überrascht habe.

Mit größerer Freundlichkeit, als er wirklich fühlte, bot der Ritter Lissowen die Hand. War dies der Augenblick, wo er sein Verbrechen ahnete? wo das Herz, im Vorgefühle seines künftigen Entschlusses falsch wurde? Wer mag es bestimmen! – Der Ritter selbst dachte noch nichts Arges; er war sich seines eigenen Zustandes nicht bewußt. Eine unbekannte, nahmenlose Empfindung stieg von Zeit zu Zeit leise und schmerzhaft in seiner Seele auf. Er war nicht so heiter wie sonst, und wollte noch heiterer scheinen als gewöhnlich. Wenigstens wurde er falsch. War das noch Tugend, Genugthuung für seine Begierden, oder schon der Anfang seines Betruges? – Wer kann die feine Linie bezeichnen, welche das Gute und das Böse scheidet!

Der Ritter blieb noch einige Stunden. Eine seltsame Unruhe, deren er nicht Herr werden konnte, trieb ihn endlich fort, so sehr ihn Lissow auch bat, daß er bleiben und Jakobinen Gesellschaft leisten möchte, weil er auch noch heute mit dem Vater dringende Arbeit zu thun hätte.

Zu Hause fühlte der Ritter wohl, daß eine Veränderung mit ihm vorgegangen war; allein er floh mit Vorsatz die Untersuchung seines Zustandes, ob er gleich sonst seine Empfindungen gern anatomirte: so wie ein unglücklicher Spieler sein Geld nicht nachzählen will, weil er mehr verloren zu haben fürchtet, als er jetzt noch glaubt. Er suchte sich von dem Gedanken an Lissow und an Jakobinen los zu machen. Sonst dachte er an Beide mit gleicher Empfindung, mit heiterer Zufriedenheit; jetzt aber an Jakobinen mit brennender Sehnsucht, an Lissow mit leiser Unruhe. Er flog heute und den folgenden Tag von Gesellschaft zu Gesellschaft; er suchte die Vergnügungen auf, welche ihm sonst die schmackhaftesten gewesen waren: doch überall blieb er gleich zerstreuet, und Jakobinens Gestalt, wie er sie den Morgen gesehen hatte, verfolgte ihn.

Abends warf er sich auf seinen Sofa, halb entschlossen, sich dem Laufe seiner Phantasie zu überlassen. Sie führte ihn zu Wünschen, zu Vorstellungen, die – das fühlte er sehr hell – für seinen Freund sehr grausam waren; und dennoch überließ er sich diesen Vorstellungen, oder – sie rissen ihn, wie er glaubte, gewaltsam mit sich fort.

Was ich für ein Kind bin! dachte er. Ist es, wenn ich eine reitzende Frau sehe, nicht natürlich, zu wünschen, daß sie meine Frau seyn möchte? Soll die Tugend blind, stumm, taub, und steinern machen? Hab' ich nicht hundertmal eben so gewünscht, Jakobinens Vater möchte mit mir leben? Hab' ich nicht selbst gegen Lissow diesen Wunsch geäußert? Hab' ich ihm nicht gesagt: ein Weib, wie Ihre Jakobine, würde mich in einem Abgrunde von Elend glücklich machen? Und hat er mich dafür nicht an seine Brust gedrückt? Das war ein Wunsch im Allgemeinen. Wohl! Aber mußte nicht das Herz endlich einzelne Züge von dem Glücke, dieses reitzende Weib zu besitzen, hervorheben? mußte es sich nicht an diese einzelnen Züge fester hängen, als an das Allgemeine? O, ich bin ein Kind. Ich wünsche mir ein Weib, so sanft, so unschuldig, so tugendhaft, wie Jakobine. Man hat nichts gegen den Wunsch, man belächelt ihn, und hält ihn für einen Beweis meiner Tugend. Und nun, wenn ich mir diesen Wunsch, wie es natürlich ist, vereinzele; wenn ich hinzu setze: ich würde sie unendlich lieben, ich würde meine Arme um sie schlingen, sie an mein Herz drücken, von ihren Lippen tausend Küsse nehmen; so schreiet man: der Bösewicht! Was thu' ich denn jetzt mehr? Ich wünsche mir den Besitz des Weibes. Darf mein Auge nicht schön finden, was schön ist? Soll mein Herz allein kalt bleiben bei dieser jugendlichen, frischen, reinen, lieblichen, unschuldigen Schönheit? Seltsame Forderung! Ich wünsche mir, dieses reine Herz zu besitzen; ich wünsche, diesen Busen, unter dem ein solches Herz schlägt, in ewiger inniger Umarmung an mein Herz drücken zu dürfen. Kommt das nicht auf Eins? kann das Eine ohne das Andere Statt finden? Ja, wenn ich ausschließend ihren Besitz mir wünschte; ihren Mann haßte, weil er ihr Mann ist: dann wäre ich ein Verbrecher! dann!

So philosophirte der Ritter. Allein er konnte die Unruhe nicht vertreiben, die ihn immer mit schmerzhaften Schlägen an seinen Freund erinnerte; und trotz seiner Philosophie stellte sich ihm etwas in den Weg, das ihn hinderte, nach Friedrichsfelde zu reiten, so groß auch der Zug seines Herzens dahin war. Erst am dritten Tage kam er wieder dahin. Mit einer unruhigen Empfindung sah er die Freude der Familie, die ihm entgegen eilte. Lissows Vorwürfe, daß er so lange weggeblieben wäre, drangen wie Dolche durch sein Herz. Kaum konnte er sein Auge auf ihm festhalten. Er wünschte, nicht gekommen zu seyn, Lissowen nie gesehen zu haben. Heute vermied er es sogar, Jakobinen beim Kommen zu küssen; desto zärtlicher war er aber gegen Lissow. Er gab, wenn er mit diesem sprach, seinem Tone etwas Rührendes. Alle seine Bewegungen waren gespannter; und wirklich wurde durch dieses Opfer, das er Lissowen brachte, und das er der Tugend zu bringen glaubte, seine Unruhe milder. Er schwankte zwischen beiden. In dem Augenblicke, da er Lissowen die Hand mit heftiger Freundlichkeit reichte, wendete er sein Auge unmuthig ab; denn Lissow zog mit der andern Hand Jakobinen zu sich, und drückte sie an seine Brust.

Diese Scenen wiederholten sich einige Male. Jakobine bemerkte des Ritters Innigkeit gegen Lissowen. Er hat ihn in drei Tagen nicht gesehen, dachte sie; o, wie muß er ihn lieben! Sie trat vor den Ritter hin. Lieben Sie ihn denn, fragte sie mit funkelnden Blicken, wirklich so zärtlich? lieben Sie meinen Mann? – Der Ritter erröthete, wurde verlegen, und warf verstohlen einen Blick auf sie. Ja, sagte er feurig; ich liebe ihn, und will ihn ewig lieben! Sie haben mein Wort: ich liebe ihn. – Sein Herz wurde jetzt noch stürmender, seine Unruhe schmerzlicher, und er eilte nach Berlin.

Jakobinens Frage: lieben Sie meinen Mann wirklich? brachte ihn zu sehr heilsamen Untersuchungen. Es lag in dieser Frage ein so tiefer Vorwurf, daß sie seine ganze Seele erschütterte. „Und hat sie nicht Recht? liebe ich ihn so zärtlich, wie ich ihn zu lieben gern scheinen möchte?“ Seine Eigenliebe konnte ihn gegen die Wahrheit dieses Vorwurfes nicht vertheidigen. Wirklich fand er in seinem Innern einen geheimen Neid, eine verborgne Eifersucht gegen Lissow. Er fühlte, wohin diese gehässigen Empfindungen ihn führen könnten, und fühlte es mit dem Unmuth eines Herzens, das Betriegereien haßt: denn er war nicht niederträchtig.

Bei dem Allen konnte er sich aber dennoch nicht von der Sehnsucht nach Jakobinen befreien. Er wollte mit Gewalt seinen vorigen Zustand wieder herstellen; aber da stand Jakobine in der reitzenden Morgenkleidung vor ihm. Seine verderbte Phantasie warf die festesten Entschlüsse seines Pflichtgefühls um. Er kämpfte immer matter und matter, und hielt zuletzt, um sich zu beruhigen, den Sieg für unmöglich.

Ja, dachte er, nachdem er noch einige Male in Friedrichsfelde gewesen war: ja, ich liebe sie von ganzer Seele, und bin unglücklich, doch nicht lasterhaft ... Nein, nicht lasterhaft! Wie könnt' ich dem Zauber dieser himmlischen Unschuld, wie der Allmacht dieser seelenvollen Reitze widerstehen? Liebt nicht auch Lissow sie? sagt er nicht, gerade wie ich: man muß sie lieben? Wir lieben sie Beide: der ganze Unterschied ist der, daß er sie zuerst sah. Er würde sie auch, wenn sie mein Weib wäre – o Himmel! wenn sie mein Weib wäre! – ja, er würde sie auch dann lieben. Und soll ich sie nun nicht lieben? soll ich die Seligkeit nicht lieben, weil sie nicht mein ist? nicht meine Arme nach dem Himmel sehnend ausstrecken, weil Engel ihn bewohnen und nicht ich? Nein, ich muß, ich will sie lieben, und unglücklich, aber nicht lasterhaft seyn. Verschließen will ich das brennende Verlangen in meine Brust; aber sehen will ich sie, sehen, anbeten, mich nach ihr sehnen, und sterben! Ja, ich verrathe die Freundschaft, betriege das Vertrauen der Glücklichen; ja, ich liebe ihn nicht mehr, beleidige ihn: denn in Gedanken strecke ich die Arme nach seiner Glückseligkeit aus. Freilich, ich würde den ermorden, der nur von ferne sie liebte, wenn sie mein Weib wäre. Ja, Lissow ist beleidigt; aber das Schicksal führt den Streich, nicht meine Hand. Das Schicksal beleidigt ihn durch mich, und mich macht es zur Strafe unglücklich.

Jetzt schrieb der Ritter den Haß, die Eifersucht gegen Lissow, die er zuerst ein Verbrechen nannte, dem Schicksale zu. Läugnen konnte er sein Unrecht nicht; aber er suchte es zu vertheidigen. Wann hätte es der Leidenschaft je an Gründen gefehlt! Das Herz ist eben so spitzfündig, wie der Verstand, wenn es ein Verbrechen entschuldigen will.

Er war nun fest entschlossen, seine Leidenschaft zu verbergen. Sein Glück soll mir heilig seyn, wie meine Liebe! dachte er; kein Seufzer soll ihm mein Elend und seinen Triumph verrathen. Die Gerechtigkeit fordert von mir nur, ihn des Guten nicht zu berauben, das mich unendlich glücklich machen würde. Wenn ich ihn auch nicht mehr liebe, so bin ich doch gerecht gegen ihn; und welch ein Opfer ist hier nicht die Gerechtigkeit!

Alle Spitzfündigkeiten schützten ihn nicht gegen die stillen aber gewaltigen Vorwürfe, die in dem Zutrauen lagen, womit Lissow ihn aufnahm. Seine Heiterkeit war dahin, und er saß stumm, ohne Theilnahme, unter der glücklichen Familie da. Lissows sorgende Freundschaft, seine mitleidigen Fragen: was fehlt Ihnen? erhielten bei dem Ritter den Entschluß, seine Liebe zu verbergen; ja, sie erregten noch zuweilen bei ihm den Gedanken, sie zu bekämpfen, oder zu entfliehen, um durch seine Stimmung die reine Zufriedenheit der glücklichen Familie nicht länger zu stören. Er fing den Kampf mit kaltem Herzen an, und seine Flucht bestand darin, daß er einige Tage wegblieb. Länger konnte er die Sehnsucht, Jakobinen zu sehen, nicht unterdrücken. Er ritt nach Friedrichsfelde, mit dem Entschlusse, heiter zu scheinen; aber seine Heiterkeit war eine spottende Ausgelassenheit.

Wäre Jakobine nicht in so hohem Grade unschuldig gewesen, sie hätte seine brennende Leidenschaft endlich merken müssen. An ihm lag es nicht, wenn ihr seine Liebe verborgen blieb. „Was fehlt Ihnen, Rheinfelden?“ fragte sie und betrachtete ihn mit gütigen, tröstenden Blicken. – „Seyn Sie doch heiter“, sagte sie dann wieder, „damit auch ich es seyn kann; oder vertrauen Sie wenigstens Ihren Kummer einem von Ihren Freunden, die Sie so herzlich lieben!“ Er stand zitternd, mit glühenden, still verlangenden Blicken, vor ihr, und legte seine brennenden Lippen auf ihre Hand. Dann riß er sich rasch von ihr los, und ging allein im Garten auf und nieder. Er war im Begriff gewesen, sich vor ihr nieder zu werfen, und zu rufen: „du, Jakobine, fehlst mir! du!“ Nur mit Mühe hatte er sich gehalten. Wenn er in ihrem Auge die zärtliche Theilnahme las, ihren Händedruck fühlte, die bewegten Worte hörte, welche sie mit dem Accente der Liebe zu ihm sagte; so stieg auch wohl der Gedanke bei ihm auf: wie, wenn sie mich lieben könnte! wenn diese zärtliche Theilnahme die hervorkeimende Knospe ihrer Liebe wäre! Er sah sie rathend darauf an. Gern hätte er sie an seine Brust gerissen, und ihr gesagt: ich liebe dich! Aber er wagte es nicht; denn sie hing noch immer mit unsäglicher Innigkeit an ihrem Manne, und dachte, wenn dieser ihr zulächelte, nicht einen Augenblick an Rheinfeldens Kummer.

Und soll ich denn immer leiden und schweigen? flisterte er ergrimmt, und beugte die Stirn in seine Hand nieder. Soll sie es denn nie wissen, nie ahnen, daß ich um ihretwillen mich verzehre? Ach, ihr Mitleiden würde mich aufrichten, ihre Theilnahme mich glücklich machen, ihre Bitte mir den Muth geben, daß ich meine Liebe aufopfern könnte. Jetzt – o, das ist die Hölle! das ist die Hölle! – jetzt drückt sie mir die Hand, umarmt mich, und facht in meiner Brust die Flamme dreifach an. Wenigstens darf ich ihr doch sagen: verbirg dein Auge, gieb mir diese schöne Hand nicht mehr, biete mir nie mehr diese holde Wange; sey kalt, sey hart gegen mich! Das ist doch kein Verbrechen? Ich will ihr selbst die Waffen gegen meine Liebe, gegen mein Glück, darreichen. Sie soll mich zerschmettern, wenn sie mich nicht retten kann! Nein, geschehe was da will, sie soll wissen, daß meine Verzweiflung ihr Werk ist. Ich werde sie dann nicht mehr sehen; sie wird mir das Haus untersagen, und der Glückliche seinen Schatz vor mir verschließen. Mag er. Wohl denn! desto dreister kann ich es ihr sagen. Ich opfere mich selbst; und das ist doch kein Verbrechen?

Aber der Ritter meinte das so ernstlich nicht. Er zitterte vor dem Gedanken, Jakobinen zu meiden. Auch mischte sich ganz leise die Eitelkeit ins Spiel. Jakobinens Mitleiden schien ihm immer mehr als Mitleiden. Nun wagte er es, sie seine Liebe ahnen zu lassen; ja, er fing sogar an, dem Alten und Lissowen, besonders dem ersteren, seine üble Laune zu verbergen. Jetzt versank er nur dann in eine traurige Stellung, wenn er wußte, daß Jakobine allein ihn bemerkte. Dadurch wollte er ihre Aufmerksamkeit erregen, und es gelang ihm.

So ging er, wenn Lissow arbeitete, und der Alte die Kinder unterrichtete, allein im Garten umher. Jakobine lief von ihrem Manne zu ihren Kindern, und sah dann auf einen Augenblick nach ihrem Freunde. Er warf sich in eine Laube, stützte den Kopf auf, und saß unbeweglich, in Kummer verloren, da. Jakobine sah ihn schon in der Ferne, und kam mit theilnehmenden Blicken näher. Vor der Laube stand sie still, und betrachtete ihn. Lieber Rheinfelden! sagte sie auf einmal. Er fuhr zusammen, nahm eine heitre Miene an, und that einige Fragen. Jakobine setzte sich zu ihm. Sie haben Kummer, lieber Rheinfelden, und seit einigen Tagen verbergen Sie ihn uns. Das ist noch schlimmer, als vorher!

Er lächelte. „Sollen denn meine Schicksale Ihre Zufriedenheit stören? Sie sehen, Jakobine, daß ich heiter bin.“

Nein, Rheinfelden; ich mag die Verstellung nicht, auch wenn sie Edelmuth ist. Kummer mit einem Freunde zu theilen, ist angenehmer, als Sie denken. Wir theilen ja unsere Freuden mit Ihnen; warum wollen Sie karger seyn als wir, und uns noch obendrein täuschen?

Rheinfelden erröthete; dieser Anfang paßte gar nicht in seinen Plan. „In der That, Jakobine“, sagte er sehr ruhig, „ich bin heiter, und verspreche Ihnen, es noch mehr zu werden. Kommen Sie, lassen Sie uns ein Stündchen plaudern.“

Sie sind nun einmal zu unserm Glücke nothwendig, und darum sollen Sie mit uns zufrieden und glücklich seyn.

„Ach, Jakobine, wollte der Himmel, ich könnte so glücklich werden, wie Sie, wie Lissow! Alle Schätze der Welt gäbe ich darum, so zu leben wie Sie, in der stillen Einsamkeit, in dem heitern Genusse der Liebe, der Freundschaft und der Thätigkeit!“

Nicht wahr? sagte Jakobine mit lächelnden Augen. O, wohl hundertmal habe ich mir das so gedacht, und, glauben Sie mir, das Herz pochte mir dabei vor Freude: Sie müßten mit uns in Einem Dorfe wohnen, hier oder anderswo, gleichviel; nur uns gegenüber. Ihre Kinder, meine Kinder, Ihre Frau, ich, Sie und Lissow, wir machten durch Liebe, Freundschaft, Zufriedenheit Eine Familie aus. O, meinen Sie nicht, daß uns die Engel beneiden sollten? Denken Sie einmal in Ernst: Sie hätten eine Frau ...

„Wenn Sie eine Schwester hätten, Jakobine“, sagte der Ritter wirklich in Ernst; „ich wollte sie um ihr Herz bitten, und dann mit Euch glücklich seyn.“

Ich habe noch viele Schwestern. Suchen Sie nur!

„Die haben Sie nicht, Jakobine, bescheidne, demüthige Frau. Gäbe es eine, die nur die Hälfte Ihrer Tugenden besäße; ich würde nicht ruhen, bis ich sie gefunden hätte. Dann wollte ich sie Ihnen bringen, und da an Ihrem Garten meine Hütte bauen. Diese Laube müßte gemeinschaftlich seyn; hier wollten wir leben, uns lieben und mit Zufriedenheit den Tod erwarten. Mein Ordenskreuz, das mich zu einem Leben ohne Liebe verdammt, wollte ich abreißen, und zu einem Spielzeuge meiner Kinder machen.“

Wie? fragte Jakobine erstaunt. Sie sagten schon neulich einmal so etwas. Dürfen Sie denn nicht heirathen?

„Nein“, erwiederte der Ritter. „Ich bin ein Malteser. Dies Kreuz, das die Thorheit erfand, das Europa Millionen Menschen kostet, verbindet mich, allen Freuden, welche die heiligsten Verhältnisse der Menschen geben, zu entsagen. Ich darf nicht Geliebter, nicht Gatte, nicht Vater seyn, kein Herz haben. Fühlen Sie nun, Jakobine, warum ich traurig bin? Hier, Jakobine, bei Ihnen, habe ich gelernt, welch ein Glück es ist geliebt zu werden. Hier sah ich zuerst ein Weib, das mir dieses Kreuz verhaßt machte. Hätte ich Sie nie gesehen, Jakobine; nie gesehen, was ein Weib dem Manne seyn kann: o dann ...“

Jakobine gerieth in einen seltsamen Zustand der Empfindung. Was sollte sie zu dem allen sagen? Er hatte ja Recht; und Trost, wie Hoffnung, war hier unmöglich. Sie schwieg, warf einen mitleidigen Blick auf den Ritter, drückte ihm die Hand, und schlug dann ihr Auge nieder. Sie wagte es nicht, den Unglücklichen wieder anzusehen, dem sie gar nicht zu helfen wußte. – Diesen Händedruck der guten Jakobine, ihr Stillschweigen, ihre Seufzer, die verstohlnen Blicke, mit denen sie ihn heimlich betrachtete, legte der Ritter falsch aus, und es erhob sich in seiner Seele der fröhlichste Tumult von Hoffnungen.

Jakobine erzählte dieses Gespräch ihrem Vater und ihrem Manne. Man fand es natürlich, daß der Ritter, der in dieser Familie das höchste irdische Glück so wahr, so lebendig sah, eben so glücklich zu seyn wünschen müßte; und alle Drei vereinigten sich, durch die innigste Freundschaft ihm sein hartes Geschick so viel als möglich zu erleichtern. „Aber wie?“ fragte Jakobine; „wenn der Ritter ein Mädchen liebte, und geliebt würde: wäre es gar keine Möglichkeit, daß er ...“

Wie du fragen kannst, meine Tochter! Hatte er früher ein Herz in der Brust, oder sein Kreuz auf dem Kleide? Wenn er liebte, wenn Liebe ihm Alles wäre, wie sie zum Beispiel dir Alles ist, so würde er das Zeichen von seines Vaters Thorheit nicht länger am Rocke dulden, und sollte er sich mit seiner Gattin, mit seinen Kindern in eine Wüste verbergen.

Jakobine würde viel darum gegeben haben, wenn ihr Jemand hätte sagen können, ob Rheinfelden wohl liebe. Sie betrachtete jetzt den Ritter oft, mit Nachdenken auf der Stirn, mit rathenden, verstohlnen Blicken. O, wenn er wirklich liebte, dachte sie: wie unglücklich wäre er dann! Sie behandelte ihn nun mit dem zärtlichsten Mitleiden, und kam seinen kleinsten Wünschen zuvor. Wenn sie mit ihm sprach, so war alles, ihr Ton, ihre Blicke, ihre Bewegungen, affektvoll, beinahe gespannt, nicht mehr so ruhig, so gelassen, wie ehemals. Der Ritter schwamm in einem Meere von Wonne. Er hielt ihr Mitleiden für hervorbrechende Liebe, ihre zurückhaltende Schonung für Kampf mit sich selbst, ihre stillen Blicke voll freundschaftlichen Kummers für liebevolle Sehnsucht. Jetzt würde er sich ihr zu Füßen geworfen, und ihr seine Leidenschaft bekannt haben, wenn nicht eine Bemerkung ihn zurückgehalten hätte.

Jakobine war in Gegenwart ihres Mannes immer ruhig, unverstellt zufrieden, und hing noch eben so innig, wie vorher, an seinem Halse. Ihre Stirn wurde heiter, ihr Gesicht strahlte von Freude, wenn Lissow nach einer Abwesenheit wieder kam. Das allein machte den Ritter ungewiß. „Wie? diese unschuldige Seele, die so überspannte Begriffe von Treue und Tugend hat, liebte mich, und hinge dennoch so heiter, so ruhig, in den Armen ihres Mannes? Bei ihr sollte sich nie eine Spur von Reue, von Unruhe zeigen? Die unschuldige Jakobine, diese Seele ohne Falsch, sollte Meisterin in der Buhlerei seyn, und den Mann, den sie doch wenigstens achten muß, da sie ihm Glück und alles schuldig ist, – diesen Mann sollte sie lächelnd betriegen? Unmöglich! Das kann Jakobine nicht!“ Er faltete die Stirn vor Verdruß.

Und dennoch saß sie wieder bei ihm, drückte seine Hand, und betrachtete ihn mit sehnsuchtsvollen Blicken, mit stillem Grame, den sie vergebens zu verbergen suchte. Endlich stand sie sogar auf, und verließ ihn, um ihre heftige innere Bewegung nicht merken zu lassen. Was war das? wie sollte er sich das erklären?

Ja, rief er endlich: die unschuldige Seele liebt mich, ohne es zu wissen. Sie ist ruhig, weil sie ihre Liebe für Freundschaft hält; sie denkt nicht, daß die Küsse, die Liebkosungen, die sie ihrem Manne giebt, nur Gewohnheit sind. In der holdesten Unschuld folgt sie dem Zuge ihres Herzens, und ahnet nicht, daß grausame, selbstsüchtige, tyrannische Menschen diesen schönen Drang des Herzens ein Verbrechen nennen. Verbrechen! Kann Jakobine mit ihrem schönen reinen Herzen ein Verbrechen begehen?

An dieses Selbstgespräch, das des Ritters Brust mit neuen entzückenden Hoffnungen belebte, knüpfte sich die Vorstellung, die einem nicht ganz verwahrlosten Herzen so natürlich war: „wenn nun Jakobine endlich erfährt, daß sie mich liebt; wenn sie nun weiß, daß sie ihren Mann betriegt: wie wird ihr dann seyn?“ Jakobine, mit ihrem empfindlichen, zarten Herzen, – das konnte er sich nicht läugnen – mußte dann in einen entsetzlichen Zustand gerathen. Er sah, daß diese Liebe, ehe Jakobine dadurch glücklich werden konnte, ihr feines Tugendgefühl und ihre Unschuld zerstören mußte; und dennoch – o der entsetzlichen Wollust! – riß ihn seine Leidenschaft nach einigen vergeblichen Kämpfen mit sich dahin. „Ihr Herz wird bluten“, rief er giftig, durch den Widerspruch seines Gewissens erbittert; „aber ihr Verstand wird und soll die Wunde heilen. Ist ihr Herz, mit seinen Leidenschaften, ihr Werk? kann sie denn dafür, daß der Himmel sie so machte? Sie that, was sie konnte, was ich that: sie kämpfte mit allen Kräften ihrer Seele. Ist es denn ihre Schuld, wenn sie endlich in diesem ungleichen Kampfe erliegt? ist es ihre Schuld, wenn thörichte Menschen den Gehorsam gegen die ewigen unwiderstehlichen Gesetze der Natur und unsres Herzens Verbrechen nennen? ist es ihre Schuld, wenn sie sich dem Manne hingiebt, der sie mit unaussprechlicher Liebe umfaßt? Denn – ist das Liebe, was dieser kalte Glückliche für sie empfindet? Nein, ich allein liebe sie. Er kann sie so nicht lieben, wie ich. Nur Zufriedenheit, Ruhe, ist das Gefühl, das ihre Umarmung in ihm erregt. Mit einem freundlichen Lächeln belohnt er sie, wenn sie die schönen Arme um ihn schlingt. O Himmel! Zufriedenheit? Lächeln? Mit tausend Leben, mit dem Himmel selbst, würde ich eine Umarmung von ihr erkaufen! Ist sie eine Verbrecherin, wenn sie ihr Herz dem Manne nimmt, der es wie ein Hausgeräth betrachtet, und es dem giebt, in dessen Brust ein ähnliches schlägt? Soll die heiße Liebe um kalte Worte buhlen? Nein, Jakobine, in deinen Armen liegt der Himmel; ich sehe ihn, sinke nieder, und bete ihn an!“

Indeß hielt Menschlichkeit Rheinfelden doch ab, Jakobinen mit ihrem eigenen Zustande und mit seiner Liebe bekannt zu machen. Er beschloß, die Entwickelung ihr selbst zu überlassen. Wohl! dachte er; kalt will ich hier stehen, kalt wie ein Marmorbild, und die Flamme nicht anfachen, die mit verborgener Gewalt in ihrem Busen lodert; kein Wort, kein Seufzer von mir soll die Rechte der Freundschaft beleidigen. In stiller Unterwerfung unter das Gesetz, das man Tugend nennt, will ich harren. Aber wenn ihr Herz endlich unter dem gewaltigen Drucke der Natur erliegt, sich öffnet, und die Flamme ihrer Liebe hervorbricht; wenn ihre Arme sich freiwillig heben, mich zu umfassen: o, dann soll kein Mensch und kein Gott mich hindern, die Seligkeit ihrer Liebe zu erringen; dann flieg' ich an ihre Brust, und wenn die Blitze des Ewigen dahin führen, wo sie steht, und mir die Arme entgegen streckt!

Der Ritter irrte sich. Jakobine war gegen ihn wohl zärtlich; aber ihr Herz öffnete sich nie in Liebe zu ihm. Er rechnete jeden Tag auf ein deutlicheres Zeichen von Jakobinens Liebe, und wußte nicht zu begreifen, wie es möglich war, daß sie noch immer so ganz sich gleich blieb. Ihr Zutrauen zu ihm war ohne Gränzen, ihre Zärtlichkeit kam aus dem Herzen: das sah er an ihren Blicken, das hörte er an ihrem Tone; und dennoch blieb alles unverändert. Er hatte, ohne zu handeln, glücklich werden wollen; jetzt aber mußte er die Unthätigkeit, hinter der er sein Gewissen verbarg, fahren lassen. Er erstaunte über die hohe Unschuld, die Jakobinen den Zustand ihres Herzens so sehr und so anhaltend verbergen konnte, und trat ihr nun einen Schritt näher. Von jetzt an war er um sie, wie ihr Schatten. Sie hatte nicht den leisesten Wunsch, den er nicht errieth und befriedigte. Er schloß sich immer mehr an Jakobinen an, und schien sich nur an die Familie im Allgemeinen anzuschließen. Um des Vaters Freundschaft bewarb er sich nun noch emsiger, und es gelang ihm damit nur allzusehr. Auf eine sehr unmerkliche Weise erregte er in dem Kopfe des Alten die Idee, daß er ganz nach Friedrichsfelde herausziehen möchte. Der Alte trug das seinen Kindern vor, und sie wunderten sich, daß man nicht schon längst auf diesen Gedanken gekommen war. Der Ritter hatte, als man den Wunsch äußerte, allerlei dagegen, bis Jakobine sagte: thun Sie es uns zu gefallen. Nun drückte er ihr die Hand, und sagte: wohl! so bin ich denn auf ewig der Eurige! Man dankte Jakobinen, daß sie den Ritter dazu bewogen hatte, und sie lächelte zufrieden.

Er zog nun nach Friedrichsfelde, und jetzt hob dort ein andres Leben an. Fast alle Tage waren Feste, und Jakobine bei jedem die Königin, obgleich der Ritter bald den Alten, bald Lissowen, bald die Kinder zum Anlasse seiner Feste gebrauchte. Jakobine sah wohl, daß er nur ihr Vergnügen hauptsächlich im Sinne hatte, und ein seelenvolles Lächeln belohnte ihn dafür. Wem hätte je die Liebe eines Menschen nicht geschmeichelt? – Nun gab der Ritter Jakobinen die Summen, die sonst Lissow unter die Armen in Friedrichsfelde vertheilte. Er hatte mit Jakobinen immer seine kleinen Geheimnisse: bald ein heimliches Fest, Lissowen zu überraschen; bald die Angelegenheiten eines Unglücklichen, und die Art ihm zu helfen. Jetzt saßen Beide in der Laube, und flisterten; dann war er schon mit dem Aufgange der Sonne bei ihr, wenn noch alle Anderen im Hause schliefen, und sie ließ sich in ihrem Morgenanzuge beim Frühstück überraschen: so lange hatte sie mit Rheinfelden geplaudert. Aber dennoch kam er mit ihr nicht weiter. Sie sprach oft ganze Morgen mit ihm, allein von nichts als von Lissow, oder von einem Unglücklichen. Brachte er ein anderes Gespräch auf die Bahn, mochte es auch noch so interessant seyn, so bemerkte sie bald, daß sie noch nicht angekleidet war. Nur einige Minuten warten Sie, sagte sie dann; ich bin bald wieder bei Ihnen. – So ein Weib hatte er noch nie gesehen, das ihm, wenn er es recht fest zu halten glaubte, immer wieder entschlüpfte.

Nach und nach, theils aus Empfindung, theils mit Vorsatz, spielte er seine Rolle wieder ins Tragische über. Er verlor alles bei Jakobinen, Geduld, Hoffnung, Mühe, Nachsinnen; nur seine Liebe nicht. Sie ward vielmehr eine glühende, verzweiflungsvolle Leidenschaft, je näher er Jakobinen kennen lernte, je mehr sich ihr Geist, ihr Herz mit immer neuer Liebenswürdigkeit vor ihm entfalteten, je mehr er sie in jedem Verhältnisse sah, mit den Reitzen der blühendsten Jugend und der holdesten Schönheit bekleidet. Oft stand er verzweifelnd auf seinem Zimmer, murmelte unvernehmliche Worte, und verwünschte Jakobinens Unschuld, die doch der Reitz seiner Liebe war.

Sein Gemüthszustand wurde immer unleidlicher; und dennoch mußte er ihn in eine Hülle von Heiterkeit und Freundschaft kleiden. Die Anstrengung, die ihm das kostete, erbitterte ihn noch mehr, und er fing nun an, Lissowen förmlich zu hassen. Mit Verzweiflung, in die sich eine Art von Beschämung mischte, dachte er daran, daß ihm dieses einfache, so leicht zu berückende Herz endlich dennoch entschlüpfen könnte. Zum ersten Male flog die Idee, Jakobinen zu verführen, – halb als Gedanke, halb als Entschluß – durch seine Seele. „Meines Vaters Thorheit, oder mein Schicksal, hat mich verdammt, die Hände an fremdes Gut legen zu müssen. Das Geschick mag es verantworten. Warum gab es mir dieses Herz mit der verzehrenden Flamme, und das Todtenkreuz des widernatürlichen Ordens? Ist es ein Verbrechen, so begeht es der Himmel!“ – Die Freundschaft verrathen! sagte leise eine Stimme in seinem Innern. Er schlug beschämt und erbittert den Blick zu Boden. „Verrathen? Nun, was heißt das eigentlich? Ich nehme ihm ja nichts. Ist nicht der Verlust, den er erleidet, bloße Einbildung des Stolzes, der Selbstsucht? Wie leicht wäre es überdies nicht, ihm den Verlust zu verhehlen! und dann litte er gar nichts.“ – Ihn betriegen! sagte die Stimme wieder. „Himmel!“ rief er, mit dem Füße stampfend; „soll denn an diesen Menschen, diesen kalten Menschen, der mit jedem Weibe glücklich seyn würde, solche unbegränzte Seligkeit verschwendet seyn? Soll denn der blinde Zufall, der über Geburt und Reichthum entscheidet, auch über das Einzige entscheiden, was dem Leben Werth giebt, über Herzen? Er sah Jakobinen früher als ich: das ist sein ganzes Verdienst. Er lächelt ihr zu; mehr konnte er nicht. Er bietet ihr seine Hand, weil ihr Besitz seine Zufriedenheit nicht stören wird; sie giebt sie ihm, weil sie nie fühlte, was Liebe heißt. So ist es. Und nun stehe ich da mit diesem glühenden Herzen, kann ihr ein Glück bieten, das sie in seinen Armen nicht ahnet, kann in ihren Armen ein Glück finden, dessen er nicht fähig ist, und soll verzweifeln, weil ein Zufall ihn früher auf den Platz warf, den die Vorsehung, wenn anders eine über den Menschen waltet, mir bestimmen mußte! Himmel und Hölle! Da steht sie vor ihm! Alle Freuden des ganzen Lebens, alle Seligkeiten des ganzen Himmels locken in ihre Arme, an ihre Brust; und er bietet ihr gleichgültig die Hand mit einem Lächeln, das kaum hinreichte, die Liebkosung eines gemeinen Weibes zu bezahlen. O, mit einem Dolche in der Hand möchte ich mir den Eingang in dieses Paradies eröffnen, dessen Blüthen ungenossen verwelken, dessen goldene Früchte ungenossen abfallen! Da stehen wir Drei, von einem grausamen Geschicke zusammen gestellt, in seinem Netze gefangen, von ihm verdammt, zwischen Verbrechen und Verbrechen zu wählen! Sie würde an meinem Herzen, in meinen Armen, durch meine heiße, ewige Liebe das höchste Loos des menschlichen Glückes erreichen; ich würde vergehen vor Entzücken, um in ihren Armen, an ihren Lippen, zu lebendigem Entzücken wieder zu erwachen; er würde über den Verlust ein Paar kalte Klagen seufzen und sich mit der Fügung der Vorsehung trösten, oder wohl gar den Verlust ihres Herzens nicht einmal merken, und mit uns glücklich seyn. O! und ich darf nicht! ich soll verzweifeln, weil ein barbarisches Vorurtheil die erhabenste Liebe ein Verbrechen nennt, und nur die Liebe billigt, welche eine kalte Ceremonie geheiligt hat!“

Finster, unentschlossen ging er umher; er wurde kalt und bitter, zuweilen sogar gegen Jakobinen. Jetzt verhärteten sich immer mehr Fasern seines Herzens. Er verwünschte sich selbst, daß er nicht stark genug war, den Entschluß, seinen Freund zu verrathen, fest zu halten. Wenn Lissow ihm die Hand so zutraulich bot, wurde sein Herz erschüttert; und zugleich zerriß auch der feste Entschluß, ihn zu betriegen. O, Dank sey dem Himmel, es ist nicht leicht ein Bösewicht zu seyn! Das Verbrechen siegt nur nach langen Kämpfen, und zugleich öffnet es das Herz wieder der Reue, indem es selbst das Glück zerschmettert, für dessen Besitz es kämpfte.

Rheinfelden ließ sich unthätig von dem Sturme der Leidenschaft treiben. Jetzt, wenn Jakobine neben ihm saß, seine Hand drückte, und ihn mit ihrer sanften, liebevollen Stimme fragte: was ist Ihnen? Seyn Sie heiter; wir lieben Sie ja so herzlich! – jetzt war der Entschluß da: sie soll mein seyn. Wenn ihm dann wieder Lissow sagte: hat denn die Freundschaft alle Gewalt über Ihren Kummer verloren? dann reichte der Ritter ihm die Hand, stand auf, entfernte sich, und schwor: ich will ihn nicht verrathen! und mit jedem Schwure wurde sein Herz schwächer. Er erklärte sich sogar, weil er mußte, über die Ursache seines Kummers. „Ich fühle“, sagte er zu dem Alten, „wie glücklich man seyn kann, wenn man Gatte, wenn man Vater ist. Hier seh' ich alle Tage, wie unter dem belebenden Sonnenscheine der Liebe, des häuslichen Glückes, alle Tugenden keimen und gedeihen, und nur unter ihm gedeihen können. Aber mich hat das Geschick ausgeschlossen aus diesem allgemeinen Paradiese; es verdammt mich entweder zu Verbrechen, oder zu einem freuden- und tugendlosen Leben!“

Oder, setzte der Alte lächelnd hinzu, zu einer großen Handlung: Schranken, die Ihnen die Thorheit bauete, mit einem Male zu überspringen, in nahmenloser Verborgenheit die Freuden der Liebe, der Freundschaft, die Tugenden der Natur, des Herzens zu suchen, und trotz Ihrem Ordenskreuze glücklich zu seyn.

Der Ritter schüttelte den Kopf. Das Ordenskreuz hätte er gern und leicht weggeworfen, wäre nur sein Gewissen eben so leicht wegzuwerfen gewesen. Der arme, unglückliche Rheinfelden! sagte der Alte nachher, als er sein Gespräch mit ihm seinen beiden Kindern erzählte. Redet ihm nicht zu, fuhr er fort, überlaßt Alles ihm selbst. Die Natur allein und sein Herz müssen ihm den Muth geben, seinen Stand abzuwerfen und seine Verhältnisse zu vergessen; sonst war er der Natur und seines Herzens nicht werth. Ich vermuthe sogar aus einem gewissen Umstande, daß sein Herz nicht mehr frei ist. (Er schloß das aus des Ritters Worten: „mich verdammt das Geschick zu Verbrechen!“)

Da war die alte Idee wieder in Jakobinens Kopfe: wie? wenn der Ritter liebte – wie unglücklich müßte er dann seyn! Sie versprach zwar, wie ihr Mann, den Ritter und seinen Kummer sich selbst zu überlassen; allein die Begierde, zu wissen, ob er wirklich liebe, und der Wunsch, ihn mit einer Gattin glücklich zu sehen, wurden bei ihr so stark, daß sie sich kaum enthalten konnte, ihn zu fragen. Sie sprach von dieser Idee so oft mit Lissow und ihrem Vater, daß dieser sie noch einmal erinnern mußte, alles dem Ritter selbst zu überlassen. „Das Opfer, das er der Natur bringen muß, ist schwer, mein Kind. Er soll seiner Familie, seinem Nahmen, seinem Stande, allen seinen Hoffnungen in der Welt, entsagen. Sein Weib, seine Kinder und die Verborgenheit, in der er lebt, müssen das Einzige seyn, worin er bis an seinen Tod sein Glück findet. Sein Herz hat noch andere Wünsche als das deinige, Jakobine: es ist an Ehre, an Glanz, an Achtungsbezeigungen gewöhnt; das deinige kennt nichts als die Liebe. Unser wird er immer bleiben, er sey Ritter oder Mensch. Ueberlaß ihn sich selbst. Sein Herz muß den Kampf allein kämpfen, und siegen oder sinken. Wir werden mit ihm glücklich seyn, oder ihn trösten.“

Jakobine erinnerte sich immer der kummervollen Tage, da sie von Lissow getrennt war, dachte sich das Leiden des Ritters, wie das ihrige, und hielt es für Pflicht, ihn wenigstens zu trösten, wenn sie ihm auch nicht rathen sollte. Jetzt schloß sie sich aus Mitleiden noch inniger an den Ritter, und ihre Freundschaft wurde so zart, so herzlich, daß aufs neue bei ihm die Hoffnung erwachte.

Jakobine war ein Weib: sie sagte dem Ritter nichts; aber zuweilen machte sie doch eine feine Anspielung auf eine unglückliche Liebe, und jedesmal that sie das mit einem tiefen Seufzer. Rheinfelden verging beinahe vor Freude bei diesem ersten Strahle der Seligkeit. Er sah sie an, ergriff diese Anspielung, und war eben im Begriff loszubrechen. Jakobine merkte es, und zitterte vor dem Vertrauen, das schon auf seinen Lippen schwebte, weil sie fürchtete, ihm alsdann rathen zu sollen. Der Ritter sah ihre Unruhe, und hielt das Geständniß seiner unglücklichen Liebe zurück. Laß ihre Empfindung erst ihr Herz zersprengen! rief ihm der Instinkt zu. Er schwieg mit einer kummervollen Miene, und drückte nur wild Jakobinens Hände.

Jetzt zweifelte Jakobine nicht mehr, daß der Unglückliche ein Mädchen liebe. Sie wäre ruhig geworden, wenn sie nur noch gewußt hätte, ob er wieder geliebt werde. Dem Mädchen, das sie sich dachte, lieh sie alle Reitze, und die Thränen, die sie selbst ehedem vergossen hatte. Sie liebte es schon im voraus, und lispelte still: o sie soll mich lieben, und wir wollen glücklich seyn! Wenn der Ritter bei ihr allein war, sah sie nicht, wie seine Blicke voll Sehnsucht auf ihr hingen; sie dachte nichts bei seinen Händedrücken, bei seiner stummen Verzweiflung. Man hätte Jakobinen sagen können: der Ritter liebe sie; gewiß würde sie es niemanden, ja kaum ihm selbst, geglaubt haben. Sie hatte gar keinen Begriff davon, wie man die Gattin eines Andern lieben könne. Ihr schönes Herz war für die Tugend geschaffen; und sie hielt ein Verbrechen bei jedem, den sie liebte, für unmöglich. So bahnte sie selbst in der heiligsten Unschuld, in dem zärtlichsten Mitleiden, den Weg zu ihrem Verderben.

Der Ritter wollte die Hoffnung, die Jakobine, wie er glaubte, ihm gegeben hatte, nicht wieder fahren lassen, und ging seinen Weg fort. Jetzt entfuhr ihm eine Anspielung auf eine unglückliche Liebe; dann nannte er sich den unglücklichsten aller Menschen. Jakobine, die nichts mehr sagen wollte, seufzte doch, wenn sie das hörte; ihr Busen schlug, und zuweilen rann sogar eine Thräne des Mitleidens aus ihrem Auge. Jetzt klagte er, daß sich ein Vorurtheil so grausam seiner Glückseligkeit in den Weg stelle. (Er meinte die eheliche Treue, und sie dachte an sein Ordensgelübde.) Sie seufzte. „Aber“, sagte er dann, „sollen Vorurtheile die Seligkeit zweier Herzen zerstören?“ Sie sah ihn nachdenkend von der Seite an, seufzte wieder, stand auf, und ging, weil sie an ihres Vaters Rath, den Ritter sich selbst zu überlassen, dachte.

„Ja, sie liebt mich!“ sagte der Ritter mit stolzer Freude. „Die Strahlen ihrer Liebe brechen schon gewaltig aus ihrem Herzen hervor. O ich Glücklicher! Was kann die Freundschaft, was die Tugend nun noch fordern? Soll ich ihr Herz unter einer Liebe, deren Allmacht ich so gut kenne, brechen lassen, damit ich ihm eine kalte Klage erspare? Soll dieses Weib unglücklich werden, dieses Weib, das der Himmel zum Genusse des höchsten Glückes schuf? Ist unsere Liebe ein Verbrechen, so hat die tugendhafte Jakobine mit ihrer Unschuld sie zur Tugend geheiligt. Jakobine liebt; sie ist keines Verbrechens fähig, und jetzt will ich meine Liebe gegen den Himmel vertheidigen. Die Eine Thräne, die sie weinte, hat alle Schuld von ihrem und von meinem Herzen abgewaschen. Mehr als diese kostbare Thräne können das beleidigte Vorurtheil und die beleidigte Freundschaft nicht fordern. Sie haben ihr Opfer: diese Thräne. Und nun soll die allmächtige Liebe den langen Kampf zweier Herzen, welche die Natur für einander bestimmte, belohnen!“

Er warf sich, wie ohne Bewußtseyn, auf die Kniee, als ob er vor Jakobinen läge. Im Uebermaße seiner Freude sah er den Augenblick ganz nahe, da Jakobine, von Liebe überwältigt, ihn an den schönen Busen drücken würde; und eilte mit seiner aufgereitzten Phantasie diesem großen Augenblicke vor. Mit Entzücken dachte er sich die Gewalt der Leidenschaft, womit sie, dieses Weib, das nichts als Liebe war, an ihm hangen würde; dann bebte er wieder vor Furcht, daß eben diese Gewalt ihrer Leidenschaft sie verrathen möchte: denn sogar in Lissows Gegenwart warf Jakobine Blicke der kummervollsten Liebe auf ihn.

Jakobine fühlte wirklich das zärtlichste Mitleiden für den Unglücklichen, und zeigte, weil sie nichts von des Ritters Gedanken ahnete, ihm offen, was sie fühlte. Er freuete sich, daß Lissow noch immer nichts merkte, am meisten aber darüber, daß auch der feine Alte sich von ihm betriegen ließ. Beider gutmüthige Sicherheit war ihm so wichtig, daß er sich alle Mühe gab, sie darin zu erhalten. Gegen Lissow war er, so schwer es ihm auch wurde, jetzt freundschaftlicher und zärtlicher als je. Um ihn zu betriegen? Ueber diesen Gedanken flog er weg. Sonderbar genug heuchelte er sich selbst vor, daß er Freundschaft für Lissow fühlte. Er tröstete sich mit dem Beispiele Jakobinens, die, wie er sah, noch eben die Zärtlichkeit gegen Lissow zeigte, wie sonst.

Noch einmal warnte ihn sein Genius. Wenn die Familie Abends zusammen war, machte man Musik oder plauderte, oder las die Reihe herum vor. Unsre Deutsche Litteratur blühete damals erst auf; man las daher gewöhnlich Französisch. Eines Abends mußte Jakobine lesen. Der Alte saß mit seiner Tabackspfeife neben ihr; und gegenüber der Ritter, der seine Hand vertraulich auf Lissows Knie ruhen ließ. Sie gaben einander Zeichen bei jeder schönen Stelle, oder so oft Jakobine etwas vorzüglich gut deklamirte. Jakobine las mit immer steigendem Enthusiasmus; ihre Augen blitzten, ihr Busen klopfte, ihre Stimme wurde immer lauter und inniger. Lissow sah mit zärtlichen Blicken auf seine reitzende Gattin, seufzte leise dem Ritter ein frohes Ach zu, und drückte ihm zärtlich die Hand. Der Ritter erwiederte den Händedruck. In diesem Augenblicke las Jakobine mit beinahe erstickter Stimme die beiden Verse:

 

Sans crainte, sans soupçon, au milieu du danger,

Il caresse la main qui le doit égorger 3).

 

Der Gedanke fiel mit solcher Gewalt, und so überraschend, an des Ritters Herz, daß er aufsprang und sich eilig entfernte. Er ging auf sein Zimmer; da stand sein Verbrechen in der ganzen Abscheulichkeit, unbeweglich, vor seiner Seele. Wohin er sah, was er auch denken mochte: immer kam der Vers, „il caresse la main qui le doit égorger“, wieder in seine Seele. Jetzt erwachte sein Gewissen noch einmal, und rief ihm furchtbar zu. Er verhüllte sein Gesicht, und wiederholte laut, mit bitter klagender Stimme, die beiden Verse. O, abscheulich! abscheulich! sagte er dann. Ich grabe einen Abgrund unter den Füßen des Mannes, der mich liebt, der voll Zutrauens an meinem Herzen schlummert! Nein! sterben kann ich; und bis über das Grab hinaus wird mich ja diese fürchterliche Liebe nicht verfolgen. Fort von hier! fort! Diese Hand, die ihm ewige Freundschaft gelobte, soll ihn nicht ermorden!

Lissow kam zu ihm, um zu erfahren, ob ihm etwas zugestoßen sey. Der Ritter sagte: „vergebt mir die Unruhe, die ich euch mache. Mein unglückliches Gestirn! Nein, es soll euch nicht länger quälen. Seyd glücklich. Ich will, ich muß mein Glück, meine Ruhe aufsuchen. Vielleicht finde ich sie wieder.“ – Was hoffen Sie zu finden? Rheinfelden, ich beschwöre Sie, seyn Sie aufrichtig! Vielleicht können wir Ihnen helfen. – Der Ritter schüttelte den Kopf. – Nun denn, sagte Lissow, der jetzt durch des Ritters eigene Worte die Vermuthung, daß er geliebt hätte, und die Geliebte aufsuchen wollte, bestätigt glaubte: nun denn, ich will nicht weiter in Sie dringen. Nur schonen Sie Jakobinen; sie nimmt größeren Theil an Ihrem Zustande, als Sie vielleicht wissen. Ihre Heftigkeit hat sie sehr erschreckt.

Der Ritter schwieg, und seine Empfindung heftete sich mit neuer Gewalt an Jakobinen. Sein Entschluß zu gehen, war dahin. Er verwünschte seine Heftigkeit, und lächelte dann mit heimlicher Freude über Lissows Mißverständniß. Als Jakobine schlafen ging, und vor seiner Thüre mit zärtlicher Stimme fragte: ist Ihnen nun besser, lieber Rheinfelden? sprang er an die Thür, und riß sie auf. Kaum sah er die reitzende Jakobine, so schwor er schon wieder im Herzen: sie soll mein seyn! – O, die Wollust ist das schrecklichste von allen Lastern. Sie verspottet die donnernde Stimme des Gewissens, die warnende Stimme des Himmels; und nichts ist ihr heilig, wenn sie nur ihre Begierde stillen kann.

„Jakobine ist sehr erschrocken über meine Heftigkeit? sie nimmt mehr Theil an mir, als ich weiß?“ Aus diesen beiden Vorstellungen schuf sich der Ritter die Nacht hindurch wollüstige Träume; und der Morgen fand ihn schon entschlossen, sie nicht bloße Träume bleiben zu lassen, sollte auch Lissows Herz in Verzweiflung darüber brechen. Ueber die letzte Vorstellung schlüpfte er weg; seine lüsterne Begierde verschlang alle andern Gedanken. Er flog jetzt den Weg des Verbrechens, den er vorher nur langsam gegangen war.

Lissow ging nach Berlin, und der Alte mußte indessen seine Geschäfte verrichten. Mit glühender Freude setzte der Ritter sich in die fernste Laube des Gartens. Er war, obgleich mit quälender Unruhe, und zitternd, entschlossen, heute den entscheidenden Schritt zu thun. Jakobine mußte sich den Vormittag mit Rechnungen, die fertig seyn sollten, beschäftigen. Sie kam wohl einige Male, aber nur einen Augenblick, und vertröstete ihn auf den Nachmittag und Abend. Gegen vier Uhr hatte sie endlich jene Arbeit fertig, und kam mit ihrer weiblichen zu ihm. Auf ihrer Stirn lag Unruhe; sie heftete ihre Blicke fest auf den Ritter, und alles an ihr war in einer gespannten Bewegung. Mit einer kleinen Verwirrung setzte sie sich zu ihm, und sah ihn gerührt an.

Lissow hatte Jakobinen gebeten, dem Ritter sein Geheimniß zu entreißen. Was auch der Vater dagegen haben mag, Jakobine, sagte er zu ihr allein: sein Zustand ist zu wild, zu heftig, als daß wir länger ruhig zusehen könnten, wie es enden wird. Du hast sein Vertrauen mehr als wir alle. Suche sein Geheimniß zu erfahren. Gewiß, er liebt; und sein Herz erliegt unter der Unentschlossenheit. Gieb dir Mühe, Jakobine; er kann es deiner Freundschaft nicht abschlagen.

Jetzt war Jakobine endlich auf dem Punkte, auf dem sie schon lange zu seyn gewünscht hatte: sie sollte nun erfahren, wen der Ritter liebte, und ob sie Hoffnung hätte, bald an Rheinfeldens Gattin eine Freundin zu bekommen. Wir werden ungestört bleiben, lieber Rheinfelden, fing sie mit großer Freundlichkeit an: die Kleinen hab' ich meinem Mann entgegen geschickt, und mein Vater hat Geschäfte. (In des Ritters Auge glänzte auf einmal ein heller Strahl von Freude; denn klang das nicht, als ob sie ihm andeuten wollte: jetzt ist es Zeit, mir Ihr Herz zu entdecken?) Nun, sagen Sie mir doch endlich, fuhr sie noch zärtlicher fort: was machte Sie gestern so wild? Sie sollten sich selbst gesehen haben! Was war Ihnen denn, lieber Rheinfelden?

„Die Verse, die Sie lasen, Jakobine“, fuhr er unbedachtsam heraus. Jakobine schwieg nachsinnend. Sie wollte sich der Verse erinnern. Die Verse? sagte sie. Es waren, wie mich dünkt, die: sans crainte, sans soupçon, und wie es weiter heißt: er liebkos't noch der Hand, die ihn ermorden soll. Weshalb fielen Ihnen denn die Verse so auf?

„Ich war ein Kind“, sagte der Ritter einlenkend, „als ich meinem Vater das Versprechen geben mußte, Malteser zu werden. Ohne zu argwöhnen, wie unglücklich das Kreuz mich machen könnte, ließ ich mich von ihm zum Altare führen, und küßte die Hand, die mein Glück zerstörte. Das fiel mir ein; dieses Gefühl meines Elendes ergriff mich.“

Ihres Elendes, lieber Rheinfelden? (Sie ließ ihr Strickzeug in den Schooß sinken.) Wenn Sie wüßten, wie das Wort mich schmerzt! Ist denn Ihr Elend so gewiß? Hoffnung hat ja jeder Mensch; und Sie allein hätten keine?

„Ich allein habe keine: Die jammervollste Verzweiflung ist mein Loos.“

Nein, Rheinfelden, sagte Jakobine sehr bewegt; verzweifeln müssen Sie nicht. – Sie faßte seine Hand, und drückte sie. Er ergriff die Hand, und führte sie zu seinen Lippen. „Ach, wenn Sie mein Elend kennten, Jakobine!“ rief er schmerzlich. – Sie sah ihn mitleidig von der Seite an, und schwieg. Er fuhr fort: „Aber ich muß schweigen und verzweifeln. Meine Wünsche sind Unmöglichkeit, mein Elend ohne Hoffnung.“

Sie seufzte, und nun schwiegen Beide ziemlich lange. Jakobine sann darauf, wie sie es anfangen sollte, ihm das Geheimniß zu entreißen, das er ihr nicht sagen konnte.

„O Jakobine“, hob er nach einiger Zeit wieder an, „wenn Sie in diese Brust sehen könnten. Sie würden Mitleiden mit mir haben.“ Sie ließ ihre Arbeit sinken, und sah ihn wehmüthig lächelnd an. Ach, sie wissen nicht, sagte sie beinahe weinend, was ich für Sie empfinde. Aber so entdecken Sie mir doch: was ist Ihnen?

„Ich liebe!“ rief er und sprang auf; „ich liebe mit unsäglicher Leidenschaft, und bin unglücklich!“ Nun verließ er die Laube, und ging wild den Garten auf und nieder. Jakobine saß still da, und betrachtete den Unglücklichen mit tiefem Schmerze. Sie faltete die Hände auf ihrem Schooße, und es flossen milde Thränen über ihre Wangen. Jetzt wußte sie gewiß, was sie vorher schon vermuthete; aber sie zitterte vor der weitern Erklärung. Sie konnte leicht einsehen, daß die Geliebte des Ritters, auch wenn sie eine eben so glühende Leidenschaft hätte, wie er, in Verhältnissen seyn könnte, die es ihr unmöglich machten, ihm in die Verborgenheit zu folgen, wohin er doch mußte, wenn er seinem Orden entsagte. O! seufzte sie, und schlug die Hände zusammen: der Unglückliche! Sie blieb zitternd in der Laube sitzen; denn was sollte, was konnte sie ihm sagen?

Der Ritter sah sie die Hände ringen, und triumphirte schon: „ja, sie liebt mich!“ Sogleich ging er wieder zu ihr, setzte sich neben sie, und beugte die Stirn in die Hand. O Rheinfelden, sagte sie seufzend, ich bitte Sie, nicht diese hoffnungslose Stellung! Seyn Sie großmüthig; schonen Sie meiner!

„Ich liebe“, sagte er, ohne seine Stellung zu verändern; „und der Himmel selbst kann meine Liebe nicht verdammen: denn ich liebe ein Herz, eine Seele, eine Unschuld, die selbst Engel anbeten würden, wenn sie unter Menschen wallten.“ Jakobine seufzte aufs neue. So hatte sie sich die unbekannte Freundin gedacht, die sie an Rheinfeldens Geliebter zu bekommen hoffte. Sie fragte, halb schon die Antwort ahnend: und es wäre unmöglich? – „Ja! und das eben ist mein Elend! ... Ich Unglücklicher!“ Er wollte aufspringen. Sie ergriff zitternd seine beiden Hände, und sagte: O Rheinfelden, ich weiß, was Sie leiden. Auch ich kenne diese Thränen. – Sie versank in stille Träume an jene Stunden, wo Lissow sie verlassen hatte, und Thräne auf Thräne rollte von ihrer Wange, als sie endlich langsam aufstand. Er faßte ihre Hand, und stammelte: „Ihr Mitleiden, Jakobine ... Ihr schönes Mitleiden ... Nein, Sie kennen meinen Schmerz nicht; was ich fühle, hat nie ein Mensch gefühlt. Ich war dazu aufbehalten, den ganzen Zorn des Himmels in seinem bittersten Kelche zu leeren!“ –

Ich muß mich erholen, Rheinfelden, sagte Jakobine sanft. Werden Sie ruhiger, ich bitte Sie, werden Sie ruhiger! Nachdenken findet den Weg zum Glücke, den die Verzweiflung übersieht. – Sie drückte seine Hand, und ging, zärtlich nach ihm zurücksehend, in das Haus.

Wie? dachte er, als sie verschwunden war: wie war das? Nachdenken findet den Weg zum Glücke, den die Verzweiflung übersieht? Das war so hoffnungsreich, und doch so ruhig gesagt. Er hatte auf einen fürchterlichen Sturm bei Jakobinen gerechnet, und sah nun gerade das Gegentheil. „Hat sie mich nicht verstanden? Aber ihr Betragen, ihre Seufzer, ihre Thränen, ihre Worte! Auch sie kennt meine Thränen! Und ihr Händedruck zuletzt!“ Es blieb ihm etwas Räthselhaftes in Jakobinens Betragen; indeß war nun doch die wildeste Freude in seiner Brust. „Noch eine solche Stunde“, dachte er, „noch eine solche Unterredung; und sie ist mein!“ Nichts rechnet falscher, als die Begierde. Ein einziger Gedanke an Jakobinens Unschuld hätte ihn überzeugen müssen, daß sie nicht fähig war, ihre Kinder wegzuschicken, um mit ihm ungestört allein zu seyn, und ihm es dann noch zu sagen. Er verlor sich in sein erträumtes Glück; aber ein plötzlicher Schlag stürzte das ganze Gebäude seiner Hoffnungen wieder um.

Noch immer saß er im Garten, und hoffte auf Jakobinen. Endlich kam sie; allein an der Hand des verhaßten Lissow. Sie ging gerade auf die Laube zu, worin der Ritter saß, nahm mit unbeschreiblicher Zärtlichkeit seine Hand, und sagte in dem sanftesten Tone: Sie haben mich zu Ihrer Vertrauten gemacht, lieber Rheinfelden, und ich kann nun nicht wieder zufrieden seyn, wenn ich nicht hoffen darf, Sie glücklich zu sehen. Ja, Lissow, ich weiß unseres Freundes Geheimniß. Er liebt ein unschuldiges, tugendhaftes Mädchen, und ein Zufall, ein Vorurtheil, stellt sich seinem Glücke in den Weg. Wenn dieses Kreuz das Hinderniß Ihres Glückes ist, lieber Rheinfelden, so zögern Sie nicht; reißen Sie es ab, und tauschen Sie dafür den Himmel ein, dessen Seligkeit Sie (und darauf bin ich stolz) durch mich und Lissow kennen gelernt haben. Ich bin zur Trösterin der Unglücklichen nicht geboren; denn, lieber Lissow, ich habe heute Nachmittag mehr Thränen vergossen, als er selbst. Er hat mir beinahe das Herz gebrochen. Ich dankte Gott, als ich allein war. Ihr seyd zwei Männer; doch das will wenig sagen. Aber ihr seid Freunde, und Freunde, die Männer sind: was wäre denen unmöglich? Sie können nicht überlegen, das weiß ich, lieber Rheinfelden. Ihr Zustand ist mir nicht fremd; ich habe Ihre Thränen selbst geweint. Aber Lissow soll mit Ihnen überlegen. Schon vorhin habe ich Ihnen gesagt: Nachdenken findet den Weg zum Glücke, den Ihre Verzweiflung übersieht. Und nun, bedenken Sie, zu meinem Himmel fehlt noch Eins: eine Freundin; und, Rheinfelden, die will ich Ihnen zu danken haben. Ich bitte Sie, setzte sie schmeichelnd hinzu, nehmen Sie Lissows Rath an. Auch Ihr Glück muß möglich seyn, lieber Rheinfelden. Nein, ich zweifle nicht mehr daran. – Sie schlug ihr Auge gen Himmel, und eine Thräne rollte über ihre Wange. – Sie können glücklich werden; nur müssen Sie Ihren Freunden trauen.

Das sagte Jakobine mit einem Tone, der scherzhaft seyn sollte, in den sich aber noch immer ein zärtliches Mitleiden mischte; und nun ließ sie die beiden Freunde allein. So zu verfahren, hatte sie in der Zeit, da sie von Rheinfelden ging, bis Lissow kam, beschlossen.

Man denke sich, was der Ritter in diesem Augenblick empfinden mußte! So wie Jakobine anfing zu reden, erschrak er heftig; als er aber endlich begriff, was sie wollte, als nun das stolze Gebäude seines Glückes zusammen stürzte, stand er da, der beschämte Verbrecher, mit dem bittern Gefühle seiner Nichtswürdigkeit und seiner Schande: den Blick auf den Boden geheftet, bleich, zitternd, ergrimmt vor Verdruß, sich so geirrt zu haben, vergebens ein Elender, ein Nichtswürdiger gewesen zu seyn. Wäre seine Hand in diesem Augenblicke bewaffnet gewesen, so hätte er in seinem Grimme, gleichviel wen, sich, oder Lissow, oder Jakobinen, ermorden können. Er stand wie eingewurzelt; die betrogene Freundschaft, die beleidigte Liebe, das verrathene Zutrauen waren in diesem Augenblicke bitter gerächt.

Mein Gott! rief Lissow; Rheinfelden! Kommen Sie zu sich! Was starren Sie so zu Boden? Wenn Sie nicht glücklich sind, so seyn Sie wenigstens ein Mann, so verdienen Sie wenigstens durch Standhaftigkeit, es zu seyn! – Es dauerte lange, ehe er Lissowen nur hörte. Giftige Empfindungen der Nachbegierde hoben sich, wie stürmende Wellen, in seiner Brust, und wurden wieder von Scham, von Selbstverachtung verschlungen. Wahrlich, er war in diesem Augenblicke ein Bösewicht. Sein Ehrgefühl zerriß, und mit ihm das festeste Gewebe seiner Tugend. Er empfand noch Liebe für Jakobinen; aber sie war eine fürchterliche Leidenschaft geworden: Wollust, mit Haß und Rachbegierde vereinigt. Seine Schande gab er dem Weibe Schuld, das ihn so freundschaftlich liebte; und seine wollüstige Begierde wurde nun durch die Begierde nach Rache noch schärfer und gewaltiger. – Aus welchen seltsamen Fäden sind die Verbrechen der Menschen gewebt!

Endlich verschaffte sich Lissow Gehör. Er drang mit allem, was die Freundschaft Rührendes hat, in den Ritter, und suchte das Herz, das sich ihm verschloß, zu öffnen. „Ja, ich liebe“, sagte endlich der Ritter, weil er fühlte, daß er jetzt sprechen mußte: „ja, ich liebe ein Mädchen mit der glühendsten Leidenschaft! ... Ich bin unglücklich“, setzte er bitter hinzu: „zerschmettert, vernichtet! Lassen Sie mich. Sie kämpfen so gut mit der Unmöglichkeit, wie ich. Ich werde nie glücklich seyn; doch nie können Sie von mir die näheren Umstände meines Elendes erfahren. Ihre Freundschaft martert mich, ohne mich zu trösten. Sie wissen nun die Ursache meiner Verzweiflung. Ich liebe ein Mädchen, liebte es schon, ehe ich mit Ihnen bekannt war, und vergaß es aus Leichtsinn. Ihr Glück, Lissow, hat mich wieder an die Verlorne erinnert, mit der ich eben so glücklich hätte seyn können. Meine Leidenschaft, die nur schlummerte, ist erwacht, und ich bin ohne Hoffnung ihr Raub. Jetzt haben Sie meine Wunden gesehen; gönnen Sie mir nun auch Zeit, sie zu verbinden.“ – Er ging auf sein Zimmer, und kam den Abend nicht wieder zum Vorschein.

Die ganze Nacht hindurch dauerte der Sturm seiner wilden Empfindungen fort. Der Schlaf nahm seinem Hasse die schärfste Spitze; Eigenliebe, die Schwester der Tugend sowohl als des Lasters, besänftigte auch seinen Haß gegen Jakobinen. „Kann nicht Jakobine eine Absicht gehabt haben, die ich nicht weiß? Und wenn auch das nicht, so fängt doch ihr Herz an, so lebendigen Antheil an mir zu nehmen, daß ...“ Es stiegen neue Hoffnungen, freilich mit bitterer Scham gemischt, bei ihm auf. Sie unterdrückten zwar seinen Grimm; allein seine Empfindungen behielten doch alle eine Spur von dieser gehässigen Leidenschaft. Jetzt schien es ihm, als ob seine Ehre an Jakobinens Besitze hafte. Die Hoffnung, ihre Liebe zu gewinnen, vernichtete zwar seine Rachsucht; aber der Gedanke, Jakobine könnte ihm entgehen, entzündete sie sogleich wieder. Durch das Zusammentreffen aller dieser Empfindungen hatte er jetzt eine bestimmte Absicht bekommen, Jakobinen um jeden Preis zur Seinigen zu machen. Er wollte sich von dem Lächerlichen, sich so seltsam in ihr geirrt zu haben, befreien, und seine Eigenliebe so gut als seine Begierde nach dem schönen Weibe befriedigen. Nun trat alles in seiner Seele, was vorher noch leise oder laut widerstanden hatte, auf die Seite seiner Wollust. Die Erfüllung seines Wunsches befriedigte nicht mehr allein seine Begierde; sie rächte ihn auch an Jakobinen, die ihn so empfindlich getäuscht hatte, sie befriedigte auch seinen gekränkten Stolz. Wie konnte die leise Stimme seines Gewissens sich noch in dem Sturme dieser drei wilden Leidenschaften – der Wollust, der Rachsucht und des Stolzes – Gehör verschaffen? Es schwieg, von dem Tumulte betäubt.

Er trug nun die Maske fort, die ihm der Zufall gegeben hatte. Jetzt konnte er mit Jakobinen frei von seiner unglücklichen Liebe reden. Er mahlte ihr ein Bild von seiner Geliebten, worin sie hätte sich selbst erkennen müssen, wenn sie weniger bescheiden gewesen wäre. Sie erstaunte voll Ehrfurcht vor ihren eigenen Tugenden, bewunderte das Herz, das sie selbst hatte, und fand zum ersten Male die heißeste Liebe nicht genug für ihre eigenen Vollkommenheiten. Nun drang sie mit neuer Gewalt in den Ritter, ihr zu sagen, warum er an dem Besitze dieses liebenswerthen Geschöpfes verzweifle. Er ließ sich lange bitten; doch endlich wagte er es, ihr das Geheimniß zu entdecken. „Meine Geliebte“, sagte er, als Jakobine wieder lebhaft in ihn drang: „meine Geliebte ... ist schon verheirathet.“ – Jakobine warf einen heftigen Blick auf ihn, nur Einen; dann stand sie auf, und ging von ihm weg.

Der Ritter konnte sich den Blick nicht erklären. Es war ein Blick, als ob sie heftig überrascht, heftig erschreckt wäre. „Wie?“ fragte der Ritter sich selbst: „sollte sie gemerkt haben, daß ich sie meine?“ Jakobinens Betragen schien ihm das zu bestätigen. Sie vermied es sichtlich, mit ihm allein zu seyn; und war sie durch Umstände dazu gezwungen, so suchte sie mit allen Zeichen einer ängstlichen Verlegenheit dem Gespräche von seiner Liebe zu entgehen. Aber dennoch war sie noch eben so zärtlich gegen den Ritter, wie sonst; ja, ihre Zärtlichkeit hatte sogar etwas Geheimnißvolles, etwas sehr Rührendes, bekommen. Der Ritter forschte jetzt ganz fein, ob sie ihrem Manne oder ihrem Vater etwas gesagt hätte; allein Beide wußten nicht das Mindeste.

Er fühlte, daß er mit einem seltnen Weibe zu thun hatte, und daß er sehr behutsam seyn müßte. Zwar stieg seine Hoffnung wieder; allein er überließ sich ihr nur mit Mißtrauen. Freilich konnte er beinahe nicht mehr zweifeln, daß sie nun sein Herz kenne: warum sollte sie ihn sonst vermeiden, warum ein Gespräch fliehen, woran sie vorher so großen Antheil genommen hatte? Sie schien unruhig, verlegen, wehmüthig, und dennoch zärtlich. War das Liebe, mit dem Gefühl ihres Unrechtes? Was konnte es anders seyn? Er glaubte es mit Freude, und zitterte dennoch. Kaum hatte er den Muth, sie anzusehen, wenn sie so unruhig neben ihm saß; noch weniger wagte er es, mit ihr von seiner Liebe zu sprechen, weil er sich mit Verdruß seines ersten Irrthums erinnerte.

Jakobine hatte keine Ahnung davon gehabt, daß seiner Liebe ein solches Hinderniß im Wege stände. Sein Ordensgelübde, oder so etwas, das sich durch eine entschlossene Handlung wegräumen ließe, war alles, was sie sich dachte. Sie entsetzte sich, als der Ritter ihr sagte: meine Geliebte ist schon verheirathet; und sie würde sich mit dem entschiedensten Abscheu von ihm gewendet haben, wenn sie nicht die Vorstellung gehabt hätte: der Ritter habe der Hand seiner Geliebten um seines Ordens willen entsagen müssen. Seinen Kummer hielt sie für Reue über die Aufopferung seiner Liebe. Des Wunsches, die Gattin eines Andern zu besitzen, glaubte sie ihn gar nicht fähig, und rechnete es ihm hoch an, daß er nicht einen Schritt that, sich seiner Geliebten wieder zu nähern. Sie achtete ihn dafür, daß er in seiner Verzweiflung dennoch stark genug sey, in Friedrichsfelde, getrennt von seiner Geliebten, zu leben, und daß er Berlin (wo diese nach ihrer Meinung war) verlassen habe. Freilich hielt sie es für Unrecht, daß er, wenn auch ganz heimlich, die Gattin eines Andern liebte. „Aber“, sagte sie traurig, „er ist ja ein Mensch! Und wenn Lissow nicht zurückgekommen wäre – würde ich je so stark gewesen seyn, ihn nicht zu lieben? Er thut nicht recht; aber wie schwer ist hier die Tugend!“ Aus Mitleiden, aus Freundschaft für den Ritter, verschwieg sie das Geheimniß ihrem Vater und ihrem Manne, weil sie deren brennenden Haß gegen jeden kannte, der das Eigenthum eines Andern auf irgend eine Art verletzte. Sie wollte dem Ritter nicht noch obenein den Trost der Freundschaft und das Bedauern der Tugend entziehen. Für ihr Theil vermied sie es indeß von jetzt an, mit ihm allein zu seyn, weil sie davor zitterte, einmal mehr hören zu müssen, als sie wünschte. Sie war zu gut, um ihm zu sagen: Sie thun Unrecht!

Der Ritter hoffte noch immer, Jakobine sollte sich ihm allmählig mehr nähern; aber vergebens. Sie wurde, als er von seiner Liebe schwieg, sogar wieder ruhiger. Nun glaubte er, noch einen Schritt thun zu müssen; und er that ihn mit Zittern. „Ihre scheue Tugend“, sagte er, „muß sich nach und nach an den Anblick des – Verbrechens, wollte auf seine Zunge springen; er unterdrückte das Wort mit gerunzelter Stirn – an den Gedanken gewöhnen, daß es kein Verbrechen ist, dem Zuge seines Herzens zu folgen.“ In einem Gespräche mit ihr über die Gewalt der Leidenschaften sagte er, nachdem er ihr mehrere auffallende Beispiele erzählt hatte: „wollen Sie, Jakobine, Sie gütige, mitleidige Seele, ein Weib verdammen, wenn es sich einer glühenden Leidenschaft hingiebt, die das Werk des Himmels ist, von dem es sein Herz bekam? Wollen Sie das Weib verdammen, das endlich nach einem langen, schweren Kampfe unter einer verzehrenden Liebe erliegt? das mit heißen Thränen, mit ganz aufgelöster Seele, endlich gesteht: die allmächtige Natur ist stärker, als ich? das nun endlich, nach dem ohnmächtigen Ringen mit der Natur, mit seinem Herzen, mit seiner Liebe, mit dem was die Menschen Tugend und Treue nennen, sich an das Herz des Mannes wirft, der es Jahre lang anbetete? Wollen Sie ein solches Weib verdammen, wenn es endlich das ihrem Manne so unvorsichtig gegebene Wort bricht, ihn ewig zu lieben, ihn, der ja durch Kälte und Gleichgültigkeit beweist, daß er ihrer Liebe überdrüßig ist?“

Jakobine sprang mit sichtlichem Abscheu auf. Ich bitte, Rheinfelden, sagte sie mit funkelnden Augen: ich bitte, schweigen Sie! Die elendeste, verächtlichste Leidenschaft, die Wollust, nennen Sie ein Werk des Himmels? diese Abscheulichkeit nennen Sie Liebe? Wie? ich sollte ein so verächtliches Geschöpf, das sich wollüstig in die Arme eines fremden Mannes wirft, ihre Treue bricht, ihren Mann verächtlich macht, ihr häusliches Glück stört, den Nahmen Mutter schändet, alle Bande der Natur zerreißt, um ihrer Begierde zu fröhnen – ein solches Weib sollte ich nicht verachten? nicht hassen? Ich bitte Sie, reden Sie nicht mehr davon. Es ist gräßlich!

„Ich rede nicht von Wollust, Jakobine“, sagte der Ritter einlenkend; „sondern von einer reinen, keuschen Liebe, von dieser höchsten Liebe der Seele, die der Stolz des Menschen ist.“

Nun, so haben Sie sich sehr seltsam ausgedrückt; so paßt nichts von dem, was Sie sagten. Sie lieben mich, nicht wahr? Ich liebe Sie wieder, und gewiß, Rheinfelden, von ganzem Herzen. Wohl hundertmal haben wir Ihnen gesagt, wie nothwendig Sie zu unserer Zufriedenheit sind. Aber diese Liebe hat mir noch nicht den geringsten Kampf gekostet; sie stimmt mit meinem Herzen überein, mit meiner Tugend, mit dem Himmel, mit der Natur, mit Allem, was Sie vorhin nannten, und wovon Sie sagten, daß man damit kämpfen müsse. Meine Freundschaft zu Ihnen vermehrt meine Zufriedenheit, und macht mir keine Unruhe.

„Aber“, sagte der Ritter bestürzt und lauernd, „setzen Sie den Fall, Jakobine, Sie bemerkten an mir mehr Vollkommenheiten als an Ihrem Manne: ich wäre wohlthätiger, edler, großmüthiger, gütiger, klüger, gebildeter; nehmen Sie die Eigenschaft, die bei Ihnen den größten Eindruck machen müßte, geben Sie mir die, so – Sie können nicht läugnen, so könnte bei Ihnen doch der Wunsch aufsteigen ...“

Jakobine lächelte. Ei nun ja! Und der Wunsch, lieber Rheinfelden, steigt wirklich oft bei mir auf. Wohl schon hundertmal habe ich gewünscht, daß Lissow so viel Musik, so viele Sprachen verstehen möchte, als Sie. Aber was hat das damit zu thun? Ich würde dann wünschen, auch mein Mann möchte die Eigenschaften haben, die Sie da nannten.

„Sie wollen mich nicht verstehen, Jakobine!“ sagte der Ritter empfindlich. – Nun? fragte Jakobine. – Der Ritter fuhr fort: „So könnte doch wohl bei der tugendhaftesten Frau der Wunsch aufsteigen, dem vollkommneren Manne ihre Hand gegeben zu haben. Wenn nun, setzen Sie den Fall, dieser fremde Mann an dem Weibe Vollkommenheiten bemerkte, die er noch nirgends gefunden hätte; wenn seine wohlwollende Empfindung für das Weib immer wüchse, und Liebe, heiße Liebe, würde ...“

Nun? fragte Jakobine wieder. – Der Ritter schwieg einige Augenblicke; dann fuhr er fort: „so könnte doch der Wunsch bei ihm entstehen, dieses Weib zu besitzen. Wenn nun das Weib, mag es so tugendhaft seyn, wie es will, seine Liebe bemerkte, ihn schätzte, ihm Dankbarkeit schuldig zu seyn glaubte; wenn nach und nach die Empfindungen sich erhöheten, verfeinerten; wenn die gegenseitige Liebe Leidenschaft, eine verzehrende Flamme würde: so ...“

Ich verstehe Sie wirklich nicht, so gern ich Sie auch verstehen möchte. Nun ja, eine Frau kann tausend gute Eigenschaften an einem Manne bemerken, die ihr Gatte nicht in einem so hohen Grade hat (obgleich selbst das schwer ist, wenn eine Frau ihren Gatten wirklich liebt: denn ich glaube, schon die Eigenliebe verdeckt der Frau die Fehler ihres Mannes). Indeß kann doch die höchste Werthschätzung eines andern Mannes nicht den Grad der Liebe erreichen, den das innige Vertrauen der Ehe, und die Liebe zu gemeinschaftlichen Kindern – o, die Stärke dieser Liebe kennen Sie gar nicht, Rheinfelden! – zwischen Mann und Weib hervorbringen. Welche fremde Liebe könnte stark genug werden, die heiligen, vielfachen Bande, welche Natur, Liebe, Hoffnung, Zufriedenheit Dankbarkeit, Vertrauen um Mann und Frau geschlungen haben, zu zerreißen? ... Ich weiß wohl, daß es geschieht; ja, mein Vater sagt, es geschehe sogar häufig. Wollust! sagte er. Nun denn, so ist diese Wollust das abscheulichste Laster, eben weil es alle Bande der Natur zerreißt. O Himmel! wie wäre es mir möglich, je zu vergessen, daß ich Lissows glückliche Frau, daß ich Mutter seiner Kinder bin, daß ich ihm, seiner Liebe und meiner Liebe, alles, jeden Genuß, jede Hoffnung, jede Tugend sogar, verdanke!

Der Ritter schwieg erstaunt und erbittert über die hohe Unschuld dieses Weibes, das ihn nun schon zweimal so beschämend getäuscht hatte; aber eben diese hohe Unschuld wurde für seine Wollust ein Reitz mehr. „Welch eine Seligkeit“, dachte er in seinen grausamen Träumen, „wenn nun endlich dieses Weib im Kampfe mit der Liebe erliegt; wenn diese schönen Arme, widerstrebend, endlich von der Liebe gehoben, mich zitternd umschlingen; wenn ihre schöne Brust voll Liebe und voll Angst an meinem Herzen schlägt!“ – Der Wollüstling ist der grausamste Egoist: er zerstört, um zu genießen; er hauet den Baum nieder, um seine Früchte zu pflücken; er kennt nichts, er will nichts, als sich selbst.

Der Ritter sah nun wohl, daß er nicht zum Zwecke kommen würde, wenn er nicht Jakobinens reine Seele vergiftete. Er schwieg eine Zeitlang gänzlich von seiner Liebe; aber desto mehr suchte er, in öfteren Unterredungen mit Jakobinen, den Grund ihrer Tugend, ihre Vorstellungen von der Tugend, zu erschüttern. Er fühlte wohl, daß er auf diesem Wege sehr leise gehen mußte, um sie nicht gänzlich und auf einmal von sich zu entfernen. Ganz fein schob er in seine Gespräche Anmerkungen und Fragen ein, welche die Tugend zweifelhaft, ja lächerlich machen sollten. Jakobine bemerkte dies an ihrem Freunde, und zitterte für ihn. Sie vermuthete, daß Leidenschaft für seine Geliebte sein Herz irre führe, und fing einige Male an, mit ihm über diesen Gegenstand zu streiten; allein der Ritter war ihr zu gewandt; sie konnte zuletzt gewöhnlich nichts weiter sagen, als: es ist nicht so; das fühl' ich! es ist abscheulich! Sie schwieg ganz über diesen Punkt; desto mehr aber bedauerte sie im Stillen ihren Freund, daß sein Herz diese falsche Wendung bekommen hatte. Sie freuete sich nur darüber, daß ihr Mann und ihr Vater nichts von diesen Grundsätzen des Ritters merkten; besonders ihr Vater, dem aber doch seit einiger Zeit in dem Benehmen des Ritters etwas Zweideutiges aufgefallen zu seyn schien.

Sie wollte den Ritter warnen, und schlug ihm eines Abends vor, Pope's Versuch über den Menschen zu lesen, den er in einer Französischen Uebersetzung bekommen hatte. Schon von Anfang an las sie mit gerührter Stimme. Auf einmal wurde sie unruhig; ihre Hand zitterte, ihr Busen klopfte, ihre Stimme wurde affektvoller, ihre Augen funkelten. Sie warf einen sprechenden Blick auf den Ritter, und las nun den Vers:

 

Prétendrez – vous qu'il n'est ni vices, ni vertus? 4)

 

Sie machte eine lange Pause, in der sie sich zu erholen schien. Dann legte sie die Hand auf die Brust, und las mit sanfter Stimme weiter:

 

L'esprit veut-il prouver une telle chimère,

Le cœur le contredit, et le force à se taire. 5)

 

Mit einem tiefen Seufzer fuhr sie fort, und ihre Augen schimmerten von Thränen:

 

Le vice est regardé comme un monstre odieux

Dans le premier instant qu'il paroit à nos yeux;

Mais l'horreur qui le suit, par degrés diminue;

Nous nous accoûtumons à soutenir sa vue:

Bientôt le cœur pour lui se laisse interesser,

Et notre aveuglement va jusqu'à l'embrasser. 6)

 

Sie konnte vor Rührung nicht weiter lesen, warf noch einen Blick durch ihre rinnenden Thränen auf den Ritter, und schlug das Buch zu. Der Ritter erröthete; er fühlte sehr deutlich, daß diese Lektüre ihm bestimmt gewesen war.

Der Alte fragte Jakobinen, was sie in dieser Stelle so Rührendes fände. – „O“, erwiederte sie, „ist es nicht schrecklich, daß ein edler Mann am Ende so weit kommen kann, das Laster, das Verbrechen, lieb zu gewinnen?“

Man sprach nun über diese Stelle, über die Gewalt des Lasters; doch der Ritter schwieg, weil sein Herz auf der Folter war. Das Verbrechen, sagte der Alte, wird dem Menschen gewöhnlich sehr leicht. Der erste Schritt dazu ist der schwerste; die übrigen folgen von selbst. – „Nun, so behüte Gott“, sagte Jakobine gerührt, „uns Alle vor dem ersten Schritte!“ Sie sah den Ritter, der mit finstern nachdenkenden Blicken an den Boden hing, noch einmal flüchtig an, und lächelte, weil sie sein Herz getroffen zu haben glaubte.

Ach, die arme Jakobine kannte den Wollüstigen nicht! Den ersten Schritt, von dem sie ihn abhalten wollte, hatte er längst gethan; er stand schon am Ziele des Verbrechens. In diesem Augenblicke, da sie ihn gerührt glaubte, brannte die abscheuliche Flamme in seinem Inneren noch lodernder. Ihre schöne Stimme, nicht die Worte, die sie las, brachte sein Herz in eine zitternde Bewegung. Ihr pochender Busen rührte ihn nicht; der Anblick erregte in ihm die heißesten Begierden. Er brauchte die Waffen, womit Jakobine für die Tugend streiten wollte, gegen sie. Was Jakobine las, wendete er auf sie an. Es war ihm der Schutzbrief seines Verbrechens, und reitzte ihn zu einem neuen Angriff auf ihre Unschuld.

„Ja“, sagte der Ritter, als er allein war, „ja, so ist es. Die Untreue gegen ihren Mann scheint ihr ein abscheuliches Ungeheuer. Aber man darf ihren Blick nur daran gewöhnen, so verschwindet die häßliche Gestalt; und zuletzt wird sie meine Liebe für das Glück ihres Lebens halten. Richtig! der erste Schritt ist der schwerste, und zu dem werde ich ja das gute, arglose Weib verleiten können!“ Schon längst hatte den Ritter sein guter Genius verlassen. Arzenei wurde ihm zu Gift; und Jakobine, die seine Tugend retten wollte, riß den letzten Keim davon aus seiner Seele. Der Wollüstige findet in dem besten Buche, wie überall, Nahrung für seine Flamme. Selbst die Leiche eines schönen Weibes entflammt seine Begierde, und eine weinende Magdalena lockt ihn mit ihren frommen Thränen nur zu Sünden.

Der Ritter schwor es sich, Jakobinen, die jetzt neue Reitze für ihn hatte, zu besitzen; aber bald mußte er die Hoffnung, sie zu verführen, gänzlich aufgeben. Die tiefe Ehrerbietung, die er ihr bezeigte; die innige Anhänglichkeit, womit er sich ihr hingab; die feinsten Schmeicheleien, die er ihrer Schönheit, ihrem Geiste machte, um nur ihre Eitelkeit zu erregen: alles wurde zu nichts an dieser demüthigen, reinen, treuen Seele.

Mit Verzweiflung sah er sich weiter als jemals von seinem Ziele entfernt. Er besaß Jakobinens Achtung wieder: denn er schwieg jetzt von seinen Grundsätzen; – ihr Vertrauen: wem trauete ihr argloses Herz nicht! – ihre Liebe, ihre reine Liebe: denn sie glaubte, ihn der Tugend gerettet zu haben – Aber Lissow, dieser Glückliche, hatte ihre ganze Seele ungetheilt.

Die Unmöglichkeit machte Rheinfeldens Begierden noch glühender. Er verzehrte sich in der Hölle, die in seinem Busen brannte. Seinen Haß, seine Eifersucht gegen Lissow mußte er in seine Brust einkerkern. Die Verzweiflung drohete sein Herz zu zersprengen, und sein Gesicht mußte lächeln. Er brachte der Erfüllung seiner Begierde fürchterliche Opfer; aber desto unumstößlicher wurde auch sein Entschluß, diese Begierde zu befriedigen.

Jakobine kämpfte nun nicht mehr mit dem Laster: sie kämpfte mit der Verzweiflung. Ihre Unschuld konnte Rheinfelden nicht zerstören; aber ein unglücklicher Zufall lehrte ihn ein Mittel, ihre Ruhe zu vernichten. Er that es im wilden Taumel seiner Verzweiflung, als sein moralisches Gefühl nicht mehr reden konnte. – Dahin führt die Wollust!

Eine junge Frau, Lissow's Nachbarin, lag an einer schweren Krankheit, und Jakobine war die Zeit über täglich in ihrem Hause. Anfangs hatte die Kranke fürchterliche Angst vor dem Tode; sie wurde aber kränker, und mit jedem Tage ruhiger. Ihr Mann kündigte ihr mit Händeringen den Tod an; sie lächelte, und versank sogleich wieder in den Schlummer, worin sie nach einigen Tagen auch starb, ohne, wie es schien, den Tod zu bemerken, der ihr Leben endigte. „Ach, wie schrecklich ist der Tod!“ sagte Jakobine, als sie von dem Sterbebette der Frau zu Hause kam. Sie sah mit ängstlichen Blicken auf ihren Mann, und reichte ihm beide Hände zu. Lissow nahm sie in seine Arme; sie schloß sich fest an ihn, und der Ritter trat unmuthig an das Fenster.

Für wen schrecklich? fragte der Alte, der keine Gelegenheit vorüberließ, wo er Bemerkungen machen konnte. Für den Zurückbleibenden: das geb' ich zu. Aber für den Sterbenden? wo ist für den das Schreckliche?

„Wenn ich Lissow, wenn ich meine Kinder, euch Alle, verlassen sollte! O Gott!“ – Sie schauderte.

Die Natur würde dir leicht über diesen Augenblick helfen, Jakobine. Sie verläßt ihre Kinder auch im Tode nicht. Da ist ihre segnende Hand um nichts weniger mächtig, als im Leben. – Wie starb die Frau?

Jakobine erzählte. Nun, siehst du? sagte der Alte triumphierend. In diesen schweren Augenblicken nimmt die gütige Natur den Sterbenden sanft in die Arme, an ihren mütterlichen Busen. Schlummernd betritt er die Gränze des Lebens, vor der er bebte. Er lächelt noch bei dem letzten erlöschenden Funken des Lichtes, und fühlt nicht, daß es der letzte ist. Dieser Schlummer, der alle Krankheiten endet, ist das Opium, das dir der Arzt bei deiner letzten schweren Geburt gab, um dich zu betäuben. Du fühltest die Schmerzen der Geburt so wenig, wie der Sterbende, wenn die Natur ihm ihr Opium gegeben hat, die Schmerzen des Todes.

Diese unglückliche Vergleichung zerschmetterte das Glück der Familie. Der Ritter horchte hoch auf. Er dachte: Opium betäubte sie so, daß sie die Schmerzen der Geburt nicht fühlte? Glühend heiß floß ein Gedanke durch seine Seele. Ihn schauderte vor dem gewaltsamen Mittel; nur die Verzweiflung streckte die Hand, aber nicht ohne Zittern, darnach aus. Er schwankte schrecklich. Seine Tugend erhob noch einmal die unterdrückte Stimme, und rief ihm zu: Ungeheuer! – Nein! rief er, und sprang mit Heftigkeit und rollenden Augen auf. Er wollte dem schrecklichen Gedanken mit Gewalt entfliehen; aber immer kam er nach kurzen Zwischenzeiten wieder. So oft er Jakobinen sah, fiel ihm der Gedanke aufs neue ein, und jedesmal ergriff ihn dabei eine fürchterliche Angst.

Nach und nach verlor der Gedanke bei ihm sein Schreckliches; allein noch immer dachte der Ritter ihn nur als eine Möglichkeit, die allenfalls in einem Romane zu gebrauchen wäre. In Berlin sprach er mit einem Arzte darüber, nur um gewiß zu werden, ob Opium die Wirkung thun könne oder nicht. Er erkundigte sich genau nach allen Vorsichtsmaßregeln, die man dabei beobachten müsse; und noch immer überredete er sich selbst, daß er nie im Stande sey, ein solches Mittel zu gebrauchen.

Jetzt bestürmte er mit aller Gewalt, mit aller möglichen Zärtlichkeit Jakobinens Herz, und gab sich keine Rechenschaft davon, wie es zuging. Schon lange hatte er die Untersuchung seines Inneren gescheuet; er hätte sonst leicht einsehen können, daß dieses der letzte Versuch auf ihr Herz seyn sollte. Jakobine blieb sich vollkommen gleich. „Wahrlich!“ rief er nun, im Schmerze der Verzweiflung: „sie zwingt mich, grausam zu seyn.“

Immer näher erkundigte er sich nach dem Gebrauche des betäubenden Mittels, und verschaffte es sich. Er wurde todtenbleich, wenn er es sah, und legte es tief unter andre Sachen. Bald holte er es wieder hervor, betrachtete es mit wilden Blicken, warf es mit Abscheu von sich, rang die Hände, und konnte dennoch nicht Herr seines Gedankens werden. Er kämpfte mit der Wuth eines Verzweifelten, und wurde immer matter.

Fort über die Geschichte des abscheulichsten Verbrechens! Die Qualen einer dreifachen Hölle ergriffen den Ritter schon, ehe es begangen war. Es wurde an einem Tage vollführt, da Lissow in Geschäften auf einige Tage verreisen mußte. Jakobine bekam noch Abends spät einen Brief von Lissow, und lief zu dem Ritter, ihm den Brief zu zeigen. Ihre Fröhlichkeit reitzte die Begierde des Bösewichts, und erleichterte ihm die abscheuliche That. Sie trank das betäubende Gift in einem Glase Wein auf Lissows Gesundheit. Bei jedem Tropfen, den sie hinunter trank, wälzte sich die Hölle mit ihren Qualen in das Herz des Verbrechers. Er hätte ihr beinahe das Glas wieder entrissen. Wehe ihm! Ein Mittel, welches die Natur gab, den Schmerz zu lindern, brauchte er, Schmerz zu schaffen! – Das Opium that seine Wirkung; das abscheulichste Verbrechen wurde begangen.

Einen Augenblick, aber nur einen Augenblick, triumphirte das Laster; die Reue fiel mit Geierklauen in des Ritters Herz, sobald die That verübt war. Jakobine erwachte aus der Betäubung. Ein Blick auf sich, auf den Ritter, auf den Ort, wo sie war, überzeugte sie von ihrer Schande, und von der an ihr verübten Abscheulichkeit. Todtenbleich, an allen Gliedern zitternd, flog sie vom Lager auf, und warf einen Blick auf den Ritter. In seinem bleichen Gesicht, in seinen scheuen Augen war sein Verbrechen unverkennbar. Er hob die Hände zu Jakobinen auf. „Verzeihung!“ seufzte er leise; „meine verzweiflungsvolle Liebe!“ Er wollte Jakobinens Hand ergreifen. Seine Bewegung gab der bleichen Bildsäule wieder Leben; sie zog ihre Hand heftig zurück, und blickte auf ihn mit Zorn, Verachtung, Ekel, Betrübniß und Verzweiflung. Er starrte den Boden an. Heiliger Gott! rief sie. Mit langsamen, ungewissen Schritten, die geballte Hand fest auf ihr Herz gedrückt, schwankte sie zum Zimmer hinaus, und eine starre Thräne kalter Verzweiflung stand in ihrem matten Auge. Der Ritter verhüllte mit beiden Händen das Gesicht. Ihm war, als ob die Decke auf ihn herabstürzen wollte. Eine unnennbare Angst ergriff ihn; ihn dünkte, als höre er Jakobinens Klagegeschrei mit dem Heulen der Hölle. Die Stimme verfolgte, trieb und ängstete ihn. Er konnte nicht länger im Hause bleiben. Mit zitternder Hand schrieb er auf ein Papier: „Sie sind gerächt, unschuldige Jakobine. Die Hölle ist in meiner Brust. Ich will sie tragen; nur werden Sie nicht unglücklich!“

Mit diesem Billet schlich er langsam nach Jakobinens Zimmer, und öffnete es leise. Jakobine lag vor dem Bette ihrer beiden Kinder auf den Knieen, und hatte ihr Gesicht in die gefalteten Hände gelegt. Ihr Athem flog laut und ängstlich. Er knieete hinter ihr nieder, und streckte die Arme nach ihr aus. Drückende Angst lag wie ein Felsstück auf seinem Herzen. Sie sah sich mit einem wilden Blicke um. Das Papier fiel ihm aus der zitternden Hand; er sprang auf, verließ das Zimmer, taumelte zum Hause hinaus, den Weg nach Berlin, und blickte immer hinter sich, weil er den schweren Gang der Rache zu hören glaubte. Ermattet, bleich, verstört, wild kam er mit dem Morgen nach Berlin. Er schloß sich in sein Zimmer, und wurde erst am Abend sichtbar. Seine Bedienten kannten ihn kaum: so war er entstellt!

Am folgenden Morgen fand der Alte, dem Jakobine zu lange ausblieb, die Unglückliche am Bette ihrer Kinder knieen. “Jakobine“, fragte er, „was machst du?“ Sie wendete sich zu ihm hin. Der Vater erschrak, als er das bleiche Gesicht voll starrer Wildheit sah. „Was machst du, Jakobine?“ fragte er noch einmal, und reichte ihr die Hand.

Ich bete! sagte sie in einem sehr ungewöhnlichen Tone. Er hob sie auf, nahm sie an seine Brust, und rief: „Jakobine, liebste Jakobine!“ Sie antwortete nicht. Er faßte ihren Puls, der wild und fieberhaft flog. „Du bist krank, mein Kind“, rief er ängstlich. „Ich bitte dich, Jakobine, lege dich nieder.“ Er führte sie an ihr Bett; sie sank matt hinein, und schloß das starre Auge. Der Alte lief nach dem Zimmer des Ritters, und fand ihn nicht. Er schickte einen Boten in die Stadt an den Arzt, und einen an Lissow. Der Arzt fand Jakobinen in dem heftigsten Fieber, und zuckte die Achseln. Als Lissow am Abend kam, wollte der Arzt ihn vorbereiten; aber Lissow riß sich mit heftiger Gewalt von ihm los, und stürzte in Jakobinens Zimmer. „Jakobine!“ rief er, als er das Zimmer öffnete. Er hob die Arme auf, und blieb, als er ihr Gesicht sah, starr und bleich, an der Thüre stehen. „Jakobine!“ schrie er verzweifelnd. Sie schlug das Auge auf; aber sogleich sank es wieder. Lissow jammerte, und rang die Hände. Schweigend drückte er dem Arzte die Hand, und konnte nichts sagen. Er zeigte nur auf die Kranke, und sein Athem flog eben so schnell, wie der ihrige.

Der Arzt wurde von dieser stummen Verzweiflung gerührt, und blieb sogar die Nacht da. Das Fieber währte sieben Tage. Lissow saß ununterbrochen an ihrem Bette, und sah mit starren Augen nach ihr hin. So blieb er, fast ohne Nahrung und ohne Schlaf. Am achte Tage sagte der Arzt dem Alten: entfernen Sie den Mann; die Frau stirbt. „Stirbt?“ fragte der Alte mit keuchender Brust. „O, lieber Herr, dann ist es Eins, ob wir Alle einen Tag früher, oder einen Tag später sterben.“ Er eilte von dem Arzte weg in das Zimmer, warf sich am Bette seiner Tochter nieder, ergriff ihre heißen Hände, benetzte sie mit Thränen, und rief schluchzend: „o Jakobine! Jakobine! muß ich dein Grab noch sehen! Sie stirbt! Lissow, sie stirbt!“

Lissow saß ohne Bewegung da. Auf einmal riß er sich die Weste und das Hemde auf, um seiner Brust Luft zu schaffen. Man hätte sein Gesicht für ruhig halten sollen; doch endlich stürzte er mit dem schmetternden Jammergeschrei: „o Jakobine!“ an ihr Bett. Sie schlug die Augen auf, betrachtete ihn, reichte ihm langsam, in matten Absätzen, die Hand, und wollte lächeln; aber sie konnte nur den Mund freundlich verzucken. Lissow riß sich von ihr los, und warf sich laut jammernd zu Boden. Man mußte ihn halten. Aber Jakobine verlangte ihn zu sprechen; und sogleich war er sanft wie ein Lamm. Er trat an das Bett, und hielt sein Ohr an ihren Mund. Sie lispelte leise, doch verständlich: „Ich bin unschuldig, liebster Mann. Bei Gott, vor dem ich nun bald stehe: ich bin unschuldig! Der Abscheuliche hat mich entsetzlich betrogen. Denn sieh, ich wußte nichts von meinen Sinnen. Es ist mein Tod! Ich bin dir treu gewesen bis an den letzten Hauch meiner Brust.“ Lissow mußte sich anstrengen, sie zu verstehen. Wer denn, arme Jakobine? fragte er. „Rheinfelden!“ sagte sie; und in das leidenschaftslose, aufgelöste, bleiche Gesicht stieg noch einmal ein Zug von Unmuth, von verzeihendem Hasse (so möchte ich ihre Miene nennen), als sie den Nahmen Rheinfelden nannte. „Ich habe ihm vergeben“, fuhr sie fort. „Sag ihm das, Lissow; aber ich danke Gott, daß ich sterbe! Ich bin ... deine Jakobine.“ Sie wollte die Arme aufheben, und konnte nicht. „O Lissow, nimm mich noch einmal in deine Arme.“ Sie brachte mühsam ihre Hände um seinen Nacken. Seufzend suchten ihre Lippen die seinigen, und fanden sie. „Lissow!“ seufzte sie, und drückte die kalten Lippen auf seinen Mund. Ein leiser Hauch flog aus ihrer Brust, und sie hing entseelt in seinen Armen.

Lissow hielt sie noch immer sanft umschlossen, an seinen Lippen, und sprach mit ihr. „O, meine geliebte Jakobine“, sagte er; „nein, du stirbst nicht! Nein! nein! Gott wird dich mir erhalten!“

O Gott! rief der Alte, welcher sah, daß sie schon todt war: kannst du des Unglücklichen noch spotten? Sohn! sagte er laut; sie ist todt! – „Wer ist todt?“ rief Lissow, und ließ Jakobinen fallen. Er sah sie an, und schüttelte den Kopf zu wiederholten Malen. Seine Miene würde man ein Lächeln genannt haben, wenn man die andern Gesichter und die Leiche nicht gesehen hätte. Er betrachtete sie starr, faßte mit zweifelndem Gesicht ihren Puls, und legte seine Hand auf ihr Herz. „Sie ist wirklich todt, Vater!“ rief er noch einmal, und drückte den Alten wild an seine Brust. Es kostete Mühe, ihn los zu reißen; ihn aus dem Zimmer weg zu bringen, war unmöglich. Kaum konnte man ihn bereden, sie in den Sarg legen zu lassen. Er saß neben der Leiche, und führte mit ihr so seltsame, und doch so rührende Gespräche, daß niemand ihn mit trocknen Augen sehen oder hören konnte.

Er verliert den Verstand, sagte der Arzt, wenn wir nicht ein Mittel finden, ihm eine andere Idee interessant zu machen. Der Alte fing an von dem Ritter zu reden, den jeder, nur er nicht, gänzlich vergessen hatte. Sobald Lissow den Nahmen Rheinfelden hörte, wurde sein Gesicht auf einmal gespannt. Er horchte, und schien sich tief zu besinnen, legte die Hand an die Stirn, und schüttelte den Kopf, als ob er sich nicht an das erinnern könnte, was er wissen wollte. So saß er eine ganze Weile und sprang dann plötzlich auf. Man trug einige von Jakobinens Kleidungsstücken aus dem Zimmer. Er nahm sie und packte sie in einen Schrank. Dann suchte er alles zusammen, was Jakobinen gehört hatte. Jedes Bändchen, jedes Stückchen Papier, auf dem ihr Nahme stand, drückte er mit wilden Geberden an seine Lippen. Auf einmal bemerkte er noch ein Papier in einem Winkel. Es war Rheinfeldens Billet. Er las es, las es wieder, und seine Augen fingen an zu funkeln. Jetzt lief er aus dem Zimmer. „Wo ist Rheinfelden?“ rief er. In Berlin, antwortete dessen Knecht, der wohl wußte, daß sein Herr immer dort war, wenn er sich nicht in Friedrichsfelde befand. Lissow eilte in den Stall. Dort fand er Rheinfeldens Pferd gesattelt, weil man nach der Stadt geschickt hatte. Im eiligsten Galopp flog er nach Berlin, und vor Rheinfeldens Wohnung. Die Bedienten freuten sich, als sie Lissowen sahen, weil sie glaubten, daß er ihren Herrn, der seit acht Tagen kein Wort gesprochen hatte, aufmuntern würde. Sattelt eurem Herrn ein Pferd! rief Lissow; geschwind! Dann stürzte er nach des Ritters Zimmer, und riß die Thür auf. Der Ritter wurde todtenbleich. „Sie wollen Rache, Lissow?“ sagte er bitter lächelnd, als er des sanften Lissows wildes Gesicht sah. „Sie sind schon gerächt; mein ...“

Ich muß wissen, ob Jakobine unschuldig ist! sagte Lissow kalt und grimmig. Ich will Licht, Licht will ich!

„Jakobine ist unschuldig, wie ein Engel Gottes“, erwiederte der Ritter, kalt betheuernd.

Das sollen Sie in Jakobinens Gegenwart sagen. Die Welt soll es wissen, daß sie unschuldig ist!

„Soll ich sie noch einmal sehen?“ fragte der Ritter schmerzhaft. „Auch das! Ich werde doch ein Wort der Vergebung von ihren Lippen hören, wenn sie meine Verzweiflung sieht.“ Er ging mit Lissow hinunter, und Beide setzten sich zu Pferde. Lissow antwortete auf alles, was der Ritter fragte, verkehrt; ja, er schien ihn zuweilen nicht zu kennen. Der Ritter befand sich in der That in einem bedauernswürdigen Zustande. Sein ganzes Herz, seine ganze Seele war Eine brennende Wunde; eine immer lebendige Hölle in seiner Brust rächte Jakobine fürchterlich. Er suchte unterweges durch das wiederholte Geständniß seines Unrechtes Lissowen zu rühren; aber dieser blieb immer gleich seltsam.

Als sie in Friedrichsfelde ankamen, eilte Lissow die Treppe hinauf, und Rheinfelden hinter ihm her. Jener öffnete die Thür, und stürzte hinein; dieser folgte ihm auf dem Fuße. Beide sahen zugleich den Sarg, worin Jakobine, noch immer schön, im weißen Sterbekleide lag. „Barmherziger Gott!“ riefen sie Beide mit Einem Schrei; „ist sie todt?“ Beide stürzten ohnmächtig an der Seite des Sarges nieder.

Lissow hatte, wie es schien, Jakobinens Tod vergessen, und sich bloß mit der Idee ihrer Unschuld, und mit dem Ritter beschäftigt. Rheinfelden hingegen, welcher nichts von Jakobinens Tode ahnte; nichts vermuthete, als eine kleine Streitigkeit zwischen beiden Eheleuten, die sein Zeugniß beilegen sollte; nichts fürchtete, als die seltsame Wildheit des Mannes, aber entschlossen war, ihm jede Genugthuung, auch eine blutige, zu geben – Rheinfelden trat wirklich etwas beruhigter in das Zimmer; und da lag Jakobine todt, und starr, vor ihm. Fürchterlicher ist wohl nie ein Mensch überrascht worden, fürchterlicher hat die ewige Gerechtigkeit wohl nie gestraft, als hier. Der Ritter sah, schrie auf, und sank betäubt zu Boden.

Man hatte Mühe, sie Beide zu sich selbst zu bringen. Lissow beugte sich sogleich über Jakobinens Leichnam, benetzte ihn mit heißen Thränen, verlor wieder jede andere Idee als ihren Tod, rief ihr zu, versicherte jedem mit den gräßlichsten Schwüren, sie müsse wieder erwachen, wenn eine Vorsehung sey, und zerriß sich das Haar, so oft ihn die starre Kälte des Leichnams von ihrem Tode überzeugte.

„Sie ist todt, lieber Sohn!“ sagte der Alte; „todt!“ – Lissow sah ihn an. Wirklich todt? jammerte er. Nun denn, rief er mit heftigem Schmerze: so ist die Krone der Schöpfung dahin! – Lissows Sohn, ein Knabe von fünf Jahren, warf sich ihm schreiend in die Arme. Was willst du noch länger leben? rief der Vater. Geh ihr nach! Er ergriff den Knaben so wüthend, daß man ihn kaum seinen Händen entreißen konnte. Dann trat er wieder zu der Leiche, und sank matt neben ihr nieder.

In einem Winkel des Zimmers saß der Ritter, todtenbleich, die Augen an den Boden geheftet. Er zitterte an allen Gliedern; sein Auge war starr, die Lippen blau, die Hände konvulsivisch zusammen geballet. Er wagte es, seine Blicke bis an den Fuß des Sarges zu heben; höher nie: dann schlug er die Augen wieder zu Boden, und bebte wie ein Verbrecher, der die strafende Rache vor sich sieht. Kein Wort war aus ihm zu bringen, kein Seufzer, keine Thräne. Wenn Lissow sich ihm von ungefähr näherte, wurde er noch bleicher, und verbarg sich feigherzig. Jakobinens Tochter, die an ihn so gewöhnt war, kam heimlich, an der Wand sich hindrängend, zu ihm. Guter Ritter, sagte das Kind weinend, und faßte seine Hand: mach die Mutter wieder lebendig. Ich habe keinen mehr, der mich auf den Schooß nimmt! Da sprang er auf. „Auch du?“ rief er wimmernd, und verhüllte sein Gesicht. „Noch nicht genug, strafende Gerechtigkeit?“ Trotzig sprang er vor Lissow hin, und rief mit furchtbarem Tone: „Lissow! ich bin Jakobinens Mörder! ich gab ihr Opium! ich entehrte sie! Sie ist unschuldig!“ Lissow hörte nicht; er saß bei der Leiche seiner Jakobine, und horchte, ob nicht ihr Herz wieder schlagen würde. Der Alte faßte des Ritters Arm, und zeigte auf Jakobinen. Da sieh hin! sagte er; da sieh hin, Elender! Du bist Jakobinens Mörder. Willst du ihn nun zu deinem Mörder machen? Geh! und die Hölle sey mit dir!

Der Ritter nahte sich bebend der Thüre. Geh, rief der Alte ihm nach, und betritt dieses Haus nie wieder! – Man half dem Ritter auf sein Pferd, und er sprengte davon.

Jakobine mußte endlich beerdigt werden. Der Alte schlug Lissowen vor, sie im Garten an ihrem Lieblingsplatze zu begraben, und den Hügel dann mit Rosen zu bepflanzen. Das geschah wirklich, so ungewöhnlich ein solches Begräbniß auch war.

Von jetzt an saß Lissow, weinend, klagend, in seinem Trauerkleide, den ganzen Tag und halbe Nächte auf dem Grabe. Er rührte seine Arbeit nicht an, und hörte kaum hin, wenn der Alte davon sprach. Ein einziges Mittel gab es, ihn zu sich selbst zu bringen; und das war seine Tochter Jakobine. Die Mutter hatte das Kind sehr lieb gehabt; und der Alte machte oft die Bemerkung, daß es der Seligen sehr ähnlich sähe. Das Kind schickte man zu ihm; es liebkoste dem Vater, sagte zu ihm: ich bin Jakobine, bat ihn um das, was man von ihm wollte; und er that es.

Lissows erster sinnenloser Schmerz ging endlich vorüber, weil der Alte ihn zu erschüttern wußte. Eines Abends saß er, wie gewöhnlich, am Grabe seiner Frau. Der Alte führte beide Kinder hinzu, und sagte laut: „da knieet hin auf das Grab eurer Mutter!“ Die Kinder knieeten, und Lissow sah es lächelnd. „Bittet eure Mutter Jakobine, daß sie euch nachhole; denn euer Vater, Jakobinens Mann, stirbt unthätig in Kummer, läßt euch verhungern, läßt ein Paar Kinder von Jakobinen verhungern und ohne Erziehung aufwachsen, weil es ihm Mühe macht, ein Mann zu seyn.“

Lissow nahm die beiden Kinder auf seine Arme, drückte sie schweigend an seine Brust, weinte, und fand in seinen Thränen Erleichterung. Er setzte sich sogar zum ersten Male wieder an den Schreibtisch. Der Alte dankte dem Himmel, als Lissow nur mit Mühe sein Amt versah; an Nebenarbeiten durfte man nicht mehr denken: denn in allen Stunden, die seine Geschäfte ihm übrig ließen, saß er schwermüthig auf Jakobinens Grabe.

So war nun etwa ein Jahr hingelaufen, als Flaming und Frau von Graßheim zu ihm kamen. Der Alte freuete sich, weil er hoffte, daß sie Lissows Herz aufs neue beleben würden. Er erzählte dem Baron das Wesentliche von Lissows Geschichte, doch ohne dabei Rheinfeldens Stand zu bestimmen; und Beide sannen nun auf Mittel, wie Lissow der Welt wiederzugeben wäre.

Am folgenden Morgen trat Lissow heiterer als gewöhnlich in das Zimmer. Er reichte dem Baron freundlich die Hand, und blieb heiter, bis Flaming ihn fragte: „wie ist es dir denn gegangen?“ Lissow antwortete nicht. Er nahm seine Tochter auf den Arm, zeigte auf den Alten, und ging nach Jakobinens Grabe. Sehen Sie, sagte der Alte; so ist er! ... Härter konnte der Himmel die Erde nicht strafen, als mit dem fürchterlichsten aller Triebe, mit der Wollust, die lachend das Glück ganzer Familien zertrümmert!

„Ja!“ rief Flaming; „Sie haben Recht, lieber Alter. Der feine Menschenkenner Cromwell schlug jede Versöhnung mit Karln II. aus, weil dieser ein Wollüstling war. Die Wollust macht zu allen Verbrechen fähig! ... Ich selbst“, fuhr er traurig fort, „bin durch ein wollüstiges Weib elend geworden, und meine tugendhafte Geliebte lebt leider noch in der Gewalt dieses Weibes. O Himmel! mit der Wollust würde der größte Theil der Verbrechen die Erde verlassen. Ach! und sie greift immer weiter um sich, da die Eltern bei den Heirathen ihrer Kinder so unverantwortlich gleichgültig sind. Die Wollust wird Familienfehler.“

Sehr wahr! sagte der Alte; man darf nur die Familienportraits in verschiedenen Häusern aufmerksam betrachten: hier hangen lauter keusche, unschuldige Gesichter; dort spricht aus jedem Gesichte der Vorfahren schon deutlich die Wollust. Beinahe ließe sich bestimmen, mit welcher Person die Wollust in eine Familie eingedrungen sey. Die Geschichte des Originals von jedem Familienportrait in den Häusern müßte interessante Aufschlüsse geben.

„Himmel!“ rief Flaming, fröhlich erstaunt: „Sie bringen mich auf eine Idee, die nicht mit Golde zu bezahlen ist. Diese Familienportraits sind die wahren, sichersten Urkunden zu der moralischen Geschichte jeder Familie. Ich brauchte nichts weiter als die Portraits der Menschen, die zu allen Zeiten gewirkt haben; und alle historischen Werke könnten für mich immerhin untergehen. Aus den Portraits allein wollte ich eine Weltgeschichte schreiben, gegen die sich Bossuet und Rollin verkriechen sollten. Warum erhielten die Alten – o, sehen Sie, wie ein so zufälliger Gedanke Licht über tausend Dinge verbreitet! – warum erhielten die Alten das Andenken ihrer großen Männer in Statuen und Gemählden? Warum bezeichnet Homer an seinen Helden so genau die Farbe des Haars und der Augen? Warum beschreibt er ihre Gestalt, ihren Gang, ihre Schultern so weitläuftig? warum die Wunden, woran seine Helden starben, so genau, als ob er Wundarzt gewesen wäre? Wir sollten über seine Helden in keinem Zweifel bleiben. Ein einziger Umstand dieser Art, ob ein Mensch an einer solchen Wunde stirbt, oder ob er aufkommt, sagt mir mehr von seinem Charakter, als zwei Seiten darüber; denn die thierische Lebenskraft steht immer mit dem moralischen Innern in Verhältniß. Ein Mensch, der an schweren Wunden fällt, zwei Tage auf dem Schlachtfelde liegt, dann erst verbunden wird, und doch davon kommt, ist ein unedler Mensch, ein Irokese, und wenn er das Heer kommandirt hätte. Paris ist wollüstig und feige; und die Wunde, die er bekommt, heilt unmittelbar wieder. Sehen Sie da den Slaven! Sehen Sie, wie genau Homer von den unterschiednen Menschen-Racen und ihren Kennzeichen unterrichtet war, und warum er gleichsam die Portraits aller seiner Helden so genau gemahlt hat! – Ein großer Gedanke mit den Familienportraits!“

Der Alte begriff nicht, wie das Alles, was er da hörte, zusammenhing. Er erwiederte lächelnd: dem sey, wie ihm wolle. Wenn wir nur ein Mittel hätten, diesen fürchterlichen Trieb der Wollust sicher zu leiten!

Der Baron war schon auf dem Wege, mit seinem Plane hervorzurücken. „Es sind Mittel da“, fieng er an; „allein sie hangen mehr von den Fürsten ab, als von uns. Da giebt es Domherren, Mönche von allen Farben“ – Der Alte horchte auf, und gerade trat Lissow in die Thür. Flaming fuhr fort: „da giebt es Deutsche Herren, Malteser-Ritter ...“

Richtig! sagte der Alte, und Lissow seufzte. Richtig, Herr Baron! Sie fassen das Ding am rechten Ende.

Der Baron lächelte. „Merken Sie etwas? hab' ich etwa schon davon gesprochen? Also diese Domherren, Mönche, Malteser, Deutsche Herren, die jüngeren Söhne aus den adeligen Familien, die nicht heirathen können, Soldaten werden ...“

Recht! recht! sagte der Alte, und nickte mit dem Kopfe; gerade die sind es, die ich meine.

O, in die tiefsten Abgründe der Hölle mit ihnen allen! rief Lissow, und verließ das Zimmer.

„Was ist ihm jetzt wieder“, fragte der Baron, „daß er die Leute, die ich genannt habe, verwünscht?“

Nun, sagte der Alte; Rheinfelden, Jakobinens Mörder, dieser wollüstige Bösewicht, war ein Malteser. Und sind es denn nicht gerade jene Menschen, welche in die Familien brechen und den giftigen Samen der Wollust darin aussäen?

Der Baron schwieg. Ein Malteser! und, als er sich genau erkundigte, ein sehr blonder, blauäugiger Malteser! Das war zu arg; denn nun konnte er mit seinem Plane, von eben diesen Rittern und Domherren die Keuschheit des menschlichen Geschlechtes behüten zu lassen, gar nicht hervor rücken. Der arme Baron! er schwieg, um seinen Freund nicht zu kränken. Indeß bildete er den Plan mit den Familienportraits aus. Manchmal, dachte er, ist doch wohl auch in die älteste Deutsche Familie Slavisches Blut gekommen; denn dieser Malteser, dieser Rheinfelden, zum Exempel, muß, trotz seinen zwei und dreißig Ahnen, doch nicht echt Celtisch gewesen seyn. Ganz gewiß hat seine Mutter oder seine Großmutter die eheliche Treue gebrochen. Oder wer weiß, woran es sonst liegt! Hätte ich die Portraits seiner Vorfahren, ich wollte wohl sagen, wer eigentlich Schuld daran ist. O Himmel, daß die Menschen auch die besten Gewohnheiten untergehen lassen! Die Ahnen aus Wachs in den Vorsälen der Römer: welch eine weise Einrichtung! Da hatte man auf einmal die Geschichte der Familie vor sich. Darum erhielten sich in Rom auch die Tugenden so lange, und mit den Tugenden die Freiheit. Beide sanken, als die Geschlechter nicht länger rein blieben. Unsere Stammbäume bedecken die Verbrechen der Urmütter mit prächtigen Nahmen. Eine Stutznase, ein schwarzer Bart auf einem Familienbilde hätte sie der Welt gezeigt, und die Familie der Schande Preis gegeben!

Die Idee von den Familienportraits drückte sich tief bei ihm ein. Einige Tage nachher kaufte er in ganz Berlin alle Portraits, die er nur immer aufzutreiben wußte, und schickte sie nach Hause. Sein Verwalter wunderte sich, als ganze Kisten voll alter Köpfe in allerlei Kleidungen, gut und schlecht gemahlt, ankamen, und der Baron dabei befahl, diese Köpfe wohl aufzubewahren; noch mehr aber wunderte er sich, als Lissow, dessen beiden Kinder, und ihr Großvater in Zaringen anlangten, und auf Befehl des Barons von den besten Zimmern im Schlosse Besitz nahmen, so wie auch von den sämmtlichen Einkünften der Güter, worüber sie nur dem Baron Rechnung abzulegen brauchten.

Trotz den seltsamen Ideen, die der Baron im Kopfe hatte, und die er zuletzt wirklich gegen den Alten äußerte, gelang es doch seiner Herzlichkeit, seiner unverstellten Liebe zu Lissow, dessen ersterbendes Herz wieder zu erquicken, wobei Käthe ihn mit dem freundschaftlichsten Eifer unterstützte. Da saßen Käthe und der Baron neben ihm: sie drückte seine Tochter auf dem Schooße an ihre Brust; er hatte seinen Arm um Lissow geschlungen, und gegenüber saß der Großvater, mit dem Knaben auf seinen Knieen. Man erzählte von Käthens und Lissows Liebe, wobei Käthen noch jetzt das Herz schlug; man sprach von Jakobinen, ihrer Tugend, ihrem Schicksale: und die Thränen der Andern milderten Lissows stummen Schmerz. Sein Kummer wurde zum ersten Male menschlich und mild. Zum ersten Male nahm er auch wieder Theil an seinen übrigen Verhältnissen und Geschäften.

„Nein“, sagte der Baron, „diese Arbeit ist nicht für dein Herz, Lissow. Weinende Augen können nicht rechnen, und ein kummervolles Herz erliegt unter dem Geldzählen. Ich will dich in eine Lage setzen, die für dich paßt. Geh auf meine Güter. Dort sind Gegenstände für dein Herz: Unglückliche. Versuch es, ob meine Unterthanen von deiner Hand die Wohlthaten annehmen wollen, die ich ihnen vergebens anbot. Das wird dich erheitern. Ich kenne dich.“

Und, lispelte Käthe, da werden die guten Geister unsrer kindischen Freuden sie umschweben, lieber Lissow: die Geister einer zärtlichen Freundschaft. Ach! setzte sie seufzend hinzu; es waren sehr glückliche Zeiten!

Zwar kostete es Mühe, Lissowen zu bereden, daß er Jakobinens Grab verließe; allein es gelang den Vorstellungen des Alten, und den herzlichen Bitten des Barons. Er netzte das Grab noch einmal mit Thränen des tiefsten Schmerzes, besuchte noch einmal alle die theuren Stellen, wo er mit Jakobinen so glücklich gewesen war; dann stieg er schweigend mit seiner Familie in den Wagen, und fuhr nach Zaringen ab. Der Alte dachte heimlich: Gott sey Dank dafür! Er wird glücklich werden! Und Käthe, die herzliche Käthe, seufzte: es ist gut, daß er weg kommt; denn ich habe ihn doch einmal recht innig geliebt, und er ist so unglücklich!

Desto mehr ließ Käthe sich nun mit ihrem Vetter, dem Baron, ein, dessen gutes Herz sie bei dieser Gelegenheit aufs neue bewundert hatte. Mit großer Geduld hörte sie alle seine Grillen an. Sein System gefiel ihr sogar: denn ein Paar Berlinische Damen, denen ihr Mann mehr als gewöhnliche Höflichkeit erwies, hatten schwarzes Haar; und nun konnte sie doch mit gutem Gewissen auf die Brünetten schimpfen. Das aber gefiel ihr an dem System nicht allein; sie gründete darauf das Glück ihrer Freundin Auguste von Breitenbach.

„Liebe Auguste“, sagte sie lebhaft, und faßte sie bei der Hand: „sey nicht wunderlich! Ich will dich nicht ausbieten. Aber es ist ja keine Sünde, wenn man sich so benimmt, wie es die Männer nun gerade wollen. Mein Vetter ist wahrhaftig der beste, gütigste, edelste Mann, sogar der vernünftigste, sein Steckenpferd ausgenommen, daß er die Menschen eintheilt, wie die Hunde, in Mopse, Pudel, Spitze. Liebe? Ach, gute Auguste! Ja, du hast Recht! Eine Liebe, wie der Lissow sie hatte, von dem ich dir erzählt habe, ja, die ist freilich ein Glück. Aber die meisten Männer? Glaube mir, es ist tausendmal sicherer, einen guten Mann zu haben, als einen Mann, der uns ein Paar Monathe liebt, und dann thut, was er Lust hat, ohne sich weiter um uns zu bekümmern. Thu, was ich dir sage. Betriegerei ist es wirklich nicht. Sieh, ich würde dir ohne Bedenken rathen, dich in die Farbe zu kleiden, die mein Vetter liebte; und du würdest ohne Bedenken gehorchen. Die Portraits, die du kaufen sollst, sind ja wahrhaftig nichts anderes, als ein Band auf eine Haube, die dich kleidet. Ich liebe meinen Vetter von Herzen; was kann ich Besseres für ihn thun, als ihm eine edle Frau geben, deren er sehr bedarf? Sieh, ich habe oft überlegt, ob es Recht wäre. Aber er fällt gewiß in die Hände einer Betriegerin, wenn ich ihn nicht verheirathe.“

Auguste von Breitenbach hatte freilich noch viele Einwendungen; allein sie trug ihre Einwürfe nur vor, um sie widerlegt zu sehen. Sie war reitzend, aber arm; und der Baron mochte seyn wie er wollte – in seinem Gesichte lagen Unschuld und Güte sehr offen da. Ueberdies hatte er Augusten, eine helle Blondine, sogar schon ausgezeichnet.

Käthe studierte jetzt des Barons System; und was sie lernte, lehrte sie ihre Freundin. Nun ging sie einmal mit ihm spazieren, und hatte unterweges den Einfall, ihre Freundin zu besuchen, vor deren Hause sie vorüber kamen. Sie haben ja meine Freundin Auguste von Breitenbach wohl schon gesehen, Vetter? fragte sie gleichgültig.

Des Barons Blicke fielen sogleich auf dreißig Portraits, die im Zimmer umher hingen, und die Käthe in zwanzig Trödelladen zusammen gekauft hatte, um sie für Augustens Ahnen gelten zu lassen. Es waren die unschuldigsten Gesichter, die man nur hatte auftreiben können; und ein Mahler hatte an einigen sogar die schwarzen Augen blau, und das schwarze Haar blond färben müssen. Eine solche Folge von Blondköpfen hatte der Baron noch nie gesehen. Seine Augen blieben starr auf die Bilder gerichtet. Die häßlichen Bilder, sagte Käthe, fallen doch jedermann auf. Laß sie doch weghängen!

Auguste erröthete. Warum? erwiederte sie; meine Vorfahren sind mir heilig.

Der Baron fing an, Augusten mit den weiblichen Köpfen zu vergleichen, und lächelte. „Ihre Vorfahren?“ fragte er. „Ich glaube, kein Mensch in der Welt hat einen so glänzenden, reinen Stammbaum, wie Sie, mein Fräulein. O sagen Sie mir, wie kommen Sie zu diesem Stammbaume? Der erste, den ich von der Art sehe!“

Mein Urältervater, sagte Auguste stockend und erröthend, schrieb seinen Nachkommen vor, diese Familiengemälde immer fortzusetzen. Er hatte sogar die Sonderbarkeit, daß er sie verpflichten wollte, die blonde Farbe, die Sie an allen Köpfen bemerken werden, in der Familie zu erhalten. Meine Vorfahren richteten sich wirklich darnach, und heiratheten, wie Sie sehen, lauter Blondinen. Es war eine Grille, Herr Baron; allein ... –

„Eine Grille?“ sagte der Baron lächelnd. „Um Vergebung, mein theures Fräulein; vorausgesetzt – Doch woher wissen Sie das?“

Auguste erröthete. Käthe fiel ein: Gustchen, war es nicht der da mit der Halskette, der die seltsame Grille hatte? Sehen Sie, Vetter, wir haben oft darüber gelacht, als Augustens Mutter noch lebte. Er hat sogar behauptet, Kain habe schwarzes, und Abel blondes Haar gehabt, und er stamme von Abel, alle Schwarzköpfe aber von Kain ab.

„In der Idee, als Allegorie genommen, ist so viel Unrichtiges nicht, wie Sie glauben, liebe Cousine. – Wie hieß der Vorfahr?“

Auguste erröthete. Bodo von Breitenbach, sagte sie endlich, als Käthe winkte.

„Dieser Bodo war ein großer Mann!“ erwiederte der Baron. Er nahm ihn herunter, verglich ihn mit seinen Enkeln, mit Augusten selbst, faßte Augustens Hand, führte sie zu allen ihren Stammmüttern, verglich ihr Gesicht mit den Bildern, und fand überall Aehnlichkeit. Die Portraits hielten ihn so fest, daß er sich nur mit Mühe von ihnen losreißen konnte. Auf dem Rückwege erkundigte er sich mit leidenschaftlicher Hitze bei Käthen, ob das Fräulein diese Sammlung von Bildnissen wohl verkaufen würde.

Das wohl nicht, antwortete Käthe; aber wer ihre Hand bekommt, bekommt auch ihre Bilder. Das arme Mädchen hat nur diesen Brautschatz. Der Baron sagte mit einem Seufzer: „Der reichste Brautschatz, von dem ich jemals gehört habe! ...Und sie selbst, liebste Käthe“, fuhr er eifrig fort, „das Fräulein selbst, verdient eines Königs Hand; denn diese Ahnen, diese Ahnen ...“

Käthe lächelte; sie wußte am besten, wie viel sie kosteten.

„Erlaubt Ihre Freundin wohl, daß ich sie öfter besuche?“

Sie, oder ihre Ahnen? Doch, lieber Vetter, Sie besuchen wohl beide. Es sah höchst drollig aus, als Sie die hübsche Auguste da rings im Zimmer umher führten, und sie mit den alten Köpfen verglichen. Ich hätte mir das nicht gefallen lassen; aber Auguste folgte Ihnen mit einem so freundlichen Gesichte, daß sie nicht angenehmer aussehen könnte, wenn sie als Braut mit Ihnen bei den Verwandten komplimentirte. – Mir ist an den Köpfen die Unschuld in allen den Gesichtern aufgefallen, nicht das blonde Haar und die blauen Augen; ja, die Unschuld! die Unschuld!

„Das ist einerlei, liebe Käthe, blondes Haar oder Unschuld, wie ein heller Himmel das Zeichen von gutem Wetter ist. So seh' ich in dem Fräulein selbst das unschuldigste, süßeste Geschöpf unter der Sonne. O, Käthe, wie glücklich muß der Mann seyn, dem sie zu Theil wird!“

Es ist noch die Frage, ob sie überhaupt Jemanden zu Theil wird. Unsere jungen Herren fragen nichts nach goldenem Haar; und ich glaube, das ist das einzige Goldne, was Auguste hat. Sie lebt von einer Pension.

Der Baron hörte nicht auf, von Augusten und von ihren Vorfahren zu reden. Bald ging er wieder zu ihr, und behandelte sie mit der zärtlichsten Ehrerbietung. Sie erröthete, wenn Käthe in die Hände klatschte und sie schon im voraus Frau von Flaming nannte. Aber Käthe wurde doch an dem Baron irre; denn bei aller Zärtlichkeit gegen Augusten kam er niemals näher. Diese hatte ihre Freundin gebeten, ihn nicht weiter zu treiben; Käthe aber trieb ihn dennoch weiter. Eines Morgens kam sie auf sein Zimmer, und leitete das Gespräch bald auf Augusten. Nun, sagte sie, kann die Reihe an die Schwarzköpfe kommen; und es müßte sehr lächerlich seyn, wenn nach ein Paar hundert Jahren bei einer Enkelin von Augusten eben so viele Schwarzköpfe hingen, als jetzt bei ihr Blondköpfe. Der Baron fragte; und Käthe erzählte ganz kalt: ein Mann, der einen Kopf hat so schwarz wie eine Steinkohle, und Augen, wie die Nacht, bewirbt sich um Augusten, und ...

„Um Augusten?“ rief der Baron; „um Augusten! Das kann nicht seyn! Und Auguste? Sagen Sie, Cousine!“

Freilich gäbe sie ihre Hand lieber einem Andern; allein wie soll das arme Mädchen sich helfen? Man drängt sie. Sie hat kein Vermögen. Wenn sie zu leben hätte, so könnte sie es abwarten.

„Nein, beim Himmel!“ rief der Baron; „gezwungen soll dieses unbeschreiblich liebenswürdige Mädchen nicht werden. Sagen Sie mir, liebe Cousine: was braucht Auguste, um bequem, in Ueberfluß zu leben? Großer Gott! reichen denn Schönheit, Tugend und die höchste Unschuld nicht mehr hin, die Blicke der Männer auf sich zu ziehen? Wohl! besser kann ich das verächtliche Metall nicht gebrauchen, als um Augusten, diese schöne, reine Celtin, aus den wollüstigen, zerstörenden Armen eines Slaven zu retten! Sagen Sie, Käthe, wie spielen wir Augusten eine Summe in die Hände, ohne daß sie weiß, von wem sie kommt? Ich bitte, suchen Sie ein Mittel auf. Bestimmen Sie die Summe, so groß Sie wollen.“

Aber, Vetter, Sie sind doch höchst seltsam! Was soll Augusten Ihr Geld helfen? Wenn nun kein Andrer kommt als ein Schwarzkopf? Ein Schwarzkopf ist am Ende doch besser, als gar keiner; und heirathen muß ein Mädchen.

„Dafür lassen Sie dann Augusten und das Schicksal sorgen. Ich stehe Ihnen dafür, ein Schwarzkopf erhält ihre Hand nicht.“ Er lächelte mit solcher Zuversicht, daß Käthe nun gewiß glaubte, er selbst habe Absichten auf die schöne Blondine. Sie wurde ruhig; und um Augusten vor einer Verlegenheit zu sichern, sagte sie nachher: ihre Freundin hätte den Schwarzkopf abgewiesen. „Sehen Sie“, erwiederte der Baron. „Oh, das vortreffliche Mädchen! könnte ich es doch dafür belohnen!“ Der Baron wurde nun zärtlicher gegen Augusten. Käthe gab sich alle Mühe, ihm jeden Schritt, den er vorwärts thun sollte, zu erleichtern. Auguste war täglich in ihrem Hause, und immer des Barons Moitié. Er machte ihr wirklich auf eine sehr feine Weise große Geschenke, weil Käthe erklärt hatte, daß sie sich nicht in Geldsachen mischen wollte. Nichts wäre gewisser, dachten beide Frauenzimmer, als daß der Baron sich bald erklären würde; aber es geschah dennoch nicht.

Käthe mußte wieder einen Schritt thun. Jetzt bewarb sich ein Blondkopf heimlich um Augustens Liebe. „So?“ sagte der Baron seufzend; „wenn ich nur die Köpfe hätte! – Welch ein Schatz sind die!“

Aber, seltsamer Mensch! so nehmen Sie doch die Köpfe, und Augustens Hand dazu!

„Ich? – Ich habe schon eine Braut, liebe Cousine.“ Das sagte er so trocken, wie die unbedeutendste Nachricht.

Käthe war wie aus allen Wolken gefallen. Eine Braut? rief sie mit Unwillen und Verwunderung. Und das sagen Sie erst jetzt?

„Die schönste Blondine, die ich über alles in der Welt liebe. Ach, Sie sollten sie kennen, liebe Käthe! noch blonder beinahe als Ihre Freundin! Hätte sie einen Stammbaum, wie Auguste, und wüßte ich, an welchem Orte der Erde sie ist, so wäre ich der glücklichste Mensch von der Welt.“

Der Baron mußte Käthen erzählen; und nach der Art, wie er es that, verzweifelte sie gar nicht daran, ihren Wunsch mit Augusten noch zu erreichen. Ohne sich an die verlorne Emilie zu kehren, arbeitete sie immer gerade auf des Barons Herz los. Sie brachte ihn so oft mit Augusten in Gesellschaft, und warf so viele Fäden, von Schmeichelei und Lob gedrehet, für ihn aus, daß sie in der That sein Herz nahe genug zu ihrer Freundin hin zog. Auch die dreißig Portraits thaten ihre Wirkung. Kurz, der Baron wäre allem Anscheine nach unthätig in Berlin geblieben, wenn der Oberst ihn nicht durch die dringendsten Bitten fortgetrieben hätte.

Käthe ließ sich indeß nicht irre machen. Sie schlug einen Briefwechsel zwischen Augusten und dem Baron vor, der von Beiden angenommen wurde. Augustens Dankbarkeit für des Barons Güte gegen sie war wirklich schon der Liebe ähnlich; auch hatte die Ehrerbietung, die er ihr bei allen Gelegenheiten bezeigte, einen tiefen Eindruck bei ihr gemacht. Freilich waren es nur dreißig in allen Trödelbuden zusammen gekaufte Gesichter, um derentwillen er sie achtete; aber, liebe Himmel, hat der Baron nicht Brüder, die eine Reihe ungewisser Nahmen eben so tief verehren, als er die Köpfe? und ist es nicht dem Menschen gewöhnlich gleichviel, warum er geachtet wird?

Beide nahmen in der That sehr zärtlich von einander Abschied. Auguste vergoß einige Thränen, und auch der Baron war gerührt. Er küßte ihre Hand mit Herzlichkeit, und sagte: „o, warum sah ich Sie so spät! oder warum sah ich Sie jemals! Und wenn ich Sie sehen mußte, Auguste – warum ist es mir nicht erlaubt, wie jenem glücklichen ...“ Er brach ab, versank in stille Träume, drückte Augustens Hand, und sagte schnell Lebewohl. Noch im Reisewagen wiederholte er: „warum ist es mir nicht erlaubt, wie jenem glücklichen Gleichen, zwei Weiber zu nehmen! ... Nicht aus Wollust thu' ich diesen Wunsch, das weiß der Himmel; auch nicht aus Stolz, wie ein unedler Slave: nein, aus dem edlen Verlangen, eine reine Celtin zu retten.“ Er beschäftigte sich mit den Mitteln, dies möglich zu machen, und so kam er immer weiter von Berlin und der schönen Auguste.

 

Ende des zweiten Theils.

 

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1) Auf dem Lande bekommen die Schriftsteller mehr Adel und Hoheit der Ideen; dort werden sie stärker und rührender; dort entwickeln sich alle Kräfte der Seele. 

2) Eine vernünftige Moral lehren, Aberglauben und Fanatismus bekämpfen, alte Vorurtheile vernichten, die Menschen achtungswerth machen – wie viel Gutes kann ein Philosoph auf dem Lande bewirken, wenn er richtigen Verstand mit einem edlen Herzen verbindet! 

3) Schon von Gefahr umringt, frei von Verdacht und Furcht,

Liebkos't er noch der Hand, die ihn ermorden soll. 

4) Es gebe, sagest du, nicht Laster, Tugend nicht? 

5) Will diesen Trug mir auch der Kopf als Wahrheit zeigen,

So widerspricht das Herz, und zwinget ihn zu schweigen. 

6) Erhebt das Laster sich zuerst vor unsrem Blick,

So schaudern wir vor ihm, dem Ungeheu'r, zurück.

Doch immer schwächer wird der starke Abscheu täglich,

Und durch Gewohnheit ist der Anblick dann erträglich.

Ja, bald kann unser Herz, verblendet, weiter gehn;

Was ihm abscheulich war, das findet es nun schön.