BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Hermann Samuel Reimarus

1694 - 1768

 

Von Duldung der Deisten:

Fragment eines Ungenannten

 

1774

 

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[Lessings Nachwort]

 

 

Und so weiter! Zu einer Probe ist dieses mehr als hinreichend. Nun erlaube man mir noch, meinen Unbekannten nicht so ganz ohne Geleite abtreten zu lassen.

1. Ich habe gesagt, daß Neusers Schicksale mich an diese Stelle erinnert. Denn als Neuser so weit gekommen war, daß er sich kein Bedenken machte, zur Mahometanischen Religion überzutreten, war er doch vermuthlich kein Phantast, der sich von der Wahrheit der Mahometanischen Religion, als geoffenbarter Religion, vorzüglich vor der Christlichen, überzeugt fühlte: sondern er war ein Deist, der Eine geoffenbarte Religion für so erdichtet hielt, als die andere, und den nur die äusserste Verfolgung zu einem Tausche brachte, an den er nie würde gedacht haben, wenn er irgendwo in der Christenheit die Duldung zu finden gewußt hätte, auf welche unser Unbekannte für solcher Art Leute dringet. Er hatte sie [222] bey den Unitariern anfangs zu finden geglaubt. Aber der Streit, in welchen er auch mit ihnen sofort verwickelt wurde, mochte ihn wohl abnehmen lassen, was er sich mit der Zeit selbst von denen zu versehen habe, welche anderswo eben so vogelfrey waren, als er. Ja es scheinet, daß diese seine Besorgniß durch Franc. Davidis nachherige Schicksale hinlänglich gerechtfertiget worden. Indeß kann es doch gar wohl seyn, daß Neuser auch eine Art von Prädilection für die Mahometanische Religion gehabt, und daß er ihr bereits alle die Gerechtigkeit wiederfahren lassen, die weit neurer Zeit freymüthige und unverdächtige Gelehrte ihr erzeigen zu müssen geglaubt haben. „Des Mahomets Alkoran, sagt auch unser Unbekannte kurz vor der mitgetheilten Stelle, und der Türkische Glaube hat zwar einen bösen Ruf bey uns, nicht allein, weil der Stifter dieser Religion Betrügerey und Gewalt gebraucht, sondern auch weil viele Thorheiten und Irrthümer, nebst manchen unnöthigen äusserlichen hergebrachten Gebräuchen, sich eingemischet finden. Ich will ihm auch gar nicht das Wort reden, vielweniger denselben der christlichen Religion zum Nachtheil erheben. Doch bin ich versichert, daß unter denen, die der Türkischen Religion dies und jenes Schuld geben, die wenigsten den Alkoran gelesen haben, und daß auch unter denen, die ihn gelesen, die wenigsten den Vorsatz gehabt, den Worten einen gesunden Verstand, dessen sie fähig sind, zu geben. Ich getraute mir, wenn dieses mein Hauptabsehen wäre, das vornehmste der natürlichen Religion aus dem Alkoran gar deutlich, und zum Theile gar schön ausgedruckt darzuthun, und glaube, [223] daß ich bey Verständigen leicht darinn Beyfall finden werde, daß fast alles wesentliche in Mahomets Lehre auf natürliche Religion hinauslaufe. Der gelehrte Thomas Hyde 1), den man sowohl der Sachen kundig als unpartheyisch halten muß, lobt den Mahomet als verae Religionis Abrahami restauratorem, der die wahre Religion Abrahams wieder hergestellt habe: und der getreuste Uebersetzer und Ausleger des Alkorans George Sale 2) zeigt in seiner Einleitung zum Alkoran, daß der Grundsatz der Lehre Mahomets auf der Einheit Gottes beruhe, oder auf der Wahrheit, daß nur Ein Gott sey, und seyn könne: daß der Vorsatz, die heidnischen Araber von der Abgötterey zum Erkenntniß dieses einigen Gottes zu bringen, edel und höchlich zu loben gewesen, und daß Herr Prideaux nicht mit Grund vorgebe, ob habe Mahomet bey den Arabern statt der Abgötterey eine Religion eingeführt, welche eben so schlimm sey als die Abgötterey. Herr Sale sagt, daß die Ermahnungen zu guten Sitten und Tugenden, welche im Alkoran enthalten sind, und sonderlich die Ermahnungen zur Verehrung eines wahren Gottes zum Theil so vortrefflich sind, daß ein Christ sie wol beobachten möchte.“ – Wie weit nun dieses auch Neuser zu seiner Zeit bereits erkannt, würden wir mit Gewißheit sagen können, wenn es den Herausgebern der Monumentorum Palatinorum beliebt hätte, uns seine Anmerkungen über den Alkoran mitzutheilen, die sie vor sich gehabt zu haben versichern. [224]

2. Dennoch, muß ich hinzufügen, würde mich diese Beziehung auf Neusern blos und allein nicht haben bewegen können, die mitgetheilte Stelle vor allen andern zu wählen, wenn ich nicht, in ihr auch einen besondern Punkt der Gelehrsamkeit auf eine ganz besondere Art berührt zu finden, geglaubt hätte. Ich meine hiermit, was der Verfasser von den Proselytis portae in der alten Jüdischen Kirche behauptet. Nicht als ob die Sache selbst nicht längst bekannt wäre: es ist blos die Anwendung auf unsere heutige Deisten, die mir neu und ihm völlig eigen zu seyn scheinet. Sie hat etwas sehr blendendes, diese Anwendung; und ich wünschte um so mehr, sie aus den Quellen geprüft zu sehen, je weniger ich meinem eigenen Urtheile in mir so fremden Dingen trauen darf. Indeß dünket mich doch, daß, wenn man schon zugeben müßte, daß diese Proselyti portae nichts als Deisten gewesen, damit gleichwol noch nicht erwiesen sey, daß sie auch alle die Freyheit unter den Juden genossen, auf welche die heutigen Deisten unter den Christen Anspruch machen. Wenn wenigstens der Verfasser selbst zugiebt, daß das Siebente der Noachischen Gebote sie keineswegs als ein Naturgesetz verbunden habe, sondern nur hinzugefügt worden, um den Jüden kein Aergerniß zu geben: so dürften sie leicht mehrern solchen Einschränkungen in Beziehung auf die herrschende Religion, der sie nicht zugethan seyn wollten, unterworfen gewesen seyn. Falls sich nun dergleichen fänden: sollten wohl nicht aus ihnen Bedingungen herzuleiten seyn, unter welchen sich auch die Christen könnten und möchten gefallen lassen, Deisten in ihren Pfälen zu dulden? Aber unsere Deisten wollen ohne alle Bedingung [225] geduldet seyn. Sie wollen die Freyheit haben, die christliche Religion zu bestreiten; und doch geduldet seyn. Sie wollen die Freyheit haben, den Gott der Christen zu verlachen; und doch geduldet seyn. Das ist freylich ein wenig viel: und ganz gewiß mehr, als ihren vermeinten Vorgängern in der alten jüdischen Kirche erlaubt war. Denn wenn deren einer des Herrn Namen lästerte, (Levit. XXIV. 12.) so ward er ohne Barmherzigkeit gesteiniget, und die Entschuldigung half ihm nichts, daß er nicht den wahren Gott, den die Vernunft den Menschen lehre, sondern den Aftergott gelästert habe, wie die Juden sich ihn bildeten. Und schon hieraus, meine ich, ist zu schliessen, daß auch die alte jüdische Religion es in diesem Stücke nicht anders werde gehalten haben, als sie es alle halten.

3. Was von dem übrigen Innhalte der Stelle zu denken und zu sagen, brauchen meine Leser nicht von mir zu lernen. Aber wie sehr merkt man es ihr an, daß sie vor dreyssig Jahren geschrieben worden! Wie? noch itzt wären der gesunden Vernunft alle Wege versperret, Gott nach ihrer Einsicht, unter einem angenommenen Christennamen, zu verehren? Freylich, ein dergleichen angenommener Christenname, als Arianer, Socinianer, ist vielleicht noch eben so verhaßt, als er es jemals war. Allein, was braucht es auch dieser Namen? Ist der bloße Name Christ nicht weitläuftig, nicht bezeichnend genug? Sind die Namen Calvinist und Lutheraner nicht eben so verwerflich geworden? Weg mit allen diesen Namen, die uns der Einsicht eines Einzigen unterwerfen! Wir sind Christen, biblische Christen, vernünftige Christen. Den [226] wollen wir sehen, der unser Christenthum des geringsten Widerspruchs mit der gesunden Vernunft überführen kann! Was braucht es noch, die Schriften der Freygeister zu unterdrücken? Heraus damit! Sie können nichts als den Triumph unserer Religion vermehren. – Daß dieses die Sprache mancher heutigen Theologen ist, wer weiß das nicht? Und allerdings hat diese Sprache das Gute hervorgebracht, daß neurer Zeit, wenigstens in dem protestantischen Deutschlande, alle bürgerliche Verfolgung gegen Schriften und Schriftsteller unterblieben ist. Eine merkwürdige Erscheinung, von welcher ich wohl wissen möchte, aus welchem Gesichtspunkte sie unser Unbekannte betrachtet haben dürfte! Er scheinet dergleichen Theologen in Verdacht zu haben, daß sie von dem ganzen Christenthume nichts übrig lassen, und nichts übrig lassen wollen, als den Namen. Daß dieses bey einigen auch wohl der Fall seyn möchte, daran ist kein Zweifel. Aber bey vielen ist er es auch gewiß nicht; bey denen gewiß nicht, die sich gegen die Vertheidiger einer blos natürlichen Religion mit so vielem Stolze, mit so vieler Bitterkeit ausdrücken, daß sie mit jedem Worte verrathen, was man sich von ihnen zu versehen hätte, wenn die Macht in ihren Händen wäre, gegen welche sie itzt noch selbst protestiren müssen. Dieser ihr vernünftiges Christenthum ist allerdings noch weit mehr, als natürliche Religion: Schade nur, daß man so eigentlich nicht weiß, weder wo ihm die Vernunft, noch wo ihm das Christenthum sitzt.

 

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1) Th. Heyde de relig. vet. Persar. p. 33. 

2) G. Sale preliminary discourse to the Koran p. 36. et 63.