BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Hermann Samuel Reimarus

1694 - 1768

 

Ein Mehreres

aus den Papieren des Ungenannten,

die Offenbarung betreffend

 

1777

 

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[384]

Viertes Fragment.

Daß die Bücher A. T. nicht geschrieben worden,

eine Religion zu offenbaren.

 

 

§§. Ich verstehe aber besonders eine übernatürliche seligmachende Religion, welche vor allen Dingen ein Erkenntniß von der Unsterblichkeit der Seelen, von der Belohnung und Bestrafung unserer Handlungen in einem zukünftigen ewigen Leben; von der Vereinigung frommer Seelen mit Gott zu einer immer grössern Verherrlichung und Seligkeit, erfordert und zum Grunde legen muß. Wenn wir demnach annehmen, daß einer den Vorsatz hat, eine seligmachende Religion zu lehren und zu offenbaren, und daß ihm diese wichtigen Sätze, welche den vornehmsten Zweck der Religion ausmachen, bekannt sind, und daß er sie für wahr hält: so ist nicht möglich, daß er dieselben verschweigen, oder nur kaltsinnig, im Vorbeygehen, mit ein Paar zweydeutigen Worten berühren sollte: Er müßte diese unbekannte, und nicht so leicht zu begreifende, ja wol grossen Zweifeln unterworfene Wahrheiten zu allererst verständlich erklären, und überzeuglich darthun, und als den wichtigsten Bewegungs-Grund und Zweck aller religiosen Handlungen und menschlichen Hoffnung anpreisen. Setzen wir aber, daß einer von diesen wichtigen Sätzen nichts erwähnet, sondern lauter zeitliche Belohnungen und Strafen zu Bewegungs-Gründen brauchet, ja dem Menschen vorstellet, daß, wenn er einmal todt sey, er [385] auch nicht mehr lebe noch aufleben könne: so folget auch nothwendig, daß ihm diese wichtigen Grund-Sätze einer seligmachenden Religion entweder gar nicht bekannt gewesen, oder, daß er sie für falsch und unmöglich gehalten habe. Folglich kann er auch den Zweck nicht gehabt haben, eine seligmachende Religion zu offenbaren: sondern wo er ja von einer Religion spricht und schreibt, so kann es keine andere, als eine schlechte und niederträchtige Religion seyn, welche kaum mehr den Schein einer Religion behaupten kann. Am wenigsten wird es jemand für eine göttliche Offenbarung annehmen können: da, wo uns irgend eine göttliche Offenbarung nöthig ist, dieselbe insonderheit und hauptsächlich zu dem Erkenntnisse von der Unsterblichkeit der Seelen, und dessen mehrerer Vergewisserung nöthig wäre. Nun frägt sich, was wir von Mose und den übrigen Schreibern altes Testaments sagen wollen? Denn was wir auch sonst für ein Erkenntniß oder Absicht bey ihnen annehmen; so scheinet doch der Schluß herauszukommen, daß sie uns keine göttliche Offenbarung gewähren, wo sie nicht zugleich das Erkenntniß von der Unsterblichkeit der Seelen und ihrem Zustande nach diesem Leben als einen der wichtigsten Puncte sorgfältig vortragen.

§§. Es hat zwar der gelehrte Herr Warburton die göttliche Sendung des Moses eben daher zu beweisen gesucht, weil er von der Unsterblichkeit der Seelen nichts gelehret hat. Allein ich muß gestehen, daß ich in denen drey Bänden, so er davon zusammen geschrieben, sonst viele schöne Anmerkungen, aber nur das eine nicht gefunden, [386] worinn der Grund seines Beweises liege. Ich rede von solchem Beweise, dabey man einem vernünftigen, gelehrten und ehrliche[n] Manne zutrauen kann, daß er ihn im Ernste meyne: und ich fürchte, daß diese Art Mosen zu rechtfertigen nirgend Beyfall finden, und den Herrn Warburton selbst verdächtig machen werde. Ich kann es nicht anders als einen Widerspruch ansehen, daß einer das verheelet, was er offenbaren will. Setze ich nun, daß Moses oder die folgenden Schreiber eine seligmachende Religion hat offenbaren wollen: so setze ich zugleich, daß sie eine Religion offenbaren wollen, welche die Menschen in Absicht und Hoffnung der Seligkeit annehmen und ausüben sollten: damit sie nemlich daraus die Bewegungs-Gründe der Liebe und des Verlangens zu Gott, des Vertrauens auf denselben, des Gehorsams gegen ihn, der Geduld und Standhaftigkeit in aller Trübsal und überhaupt aller Tugenden und Pflichten nehmen könnten. Da nun eine solche Religion sich auf das Erkenntniß der Seligkeit, als ihre Haupt-Absicht, und auf die daraus genommenen Bewegungs-Gründe stützet: so ist es ein Widerspruch, eine seligmachende Religion offenbaren wollen, und doch das Erkenntniß von der Seligkeit mit Fleiß verschweigen und verheelen. Das wäre eben so beschaffen, als wenn Moses die Israeliten hätte bereden wollen, mit ihm ins gelobte Land zu ziehen, um das einzunehmen, und hätte ihnen doch nicht gesagt, daß ein solches Land in der Welt sey, noch daß ihnen Gott solches verheissen.

§§. Allein, wenn wir auch den Zweck, eine seligmachende Religion zu offenbaren, bey Mose und den übrigen [387] gleich nicht setzen: so würde[n] sie doch noch andere Ursachen genug gehabt haben, ihren Israeliten von der Seelen Unsterblichkeit und Seligkeit was vorzusagen, und ihnen diese Hoffnung anzudringen. Ich habe im vorigen Capitel gezeiget, daß die Absicht der Priester und Propheten in ihren Büchern nicht weiter gegangen, als nur die Israeliten von dem Dienste anderer Götter zu ihrem Levitischen Dienste des Gottes Jehovah zu bringen, davon sie so große Vortheile hatten, und daß sie doch hieran die ganze Zeit über vor der Babylonischen Gefängniß, durch alle ihre Geschichte und Weissagungen, durch alle Thaten und Wunder, durch alles Verheissen und Drohen, vergeblich gearbeitet haben. Nun versprechen sie ihnen alles, was auf der Welt angenehm seyn mag, und drohen mit allem, was in diesem Leben fürchterlich und erschrecklich seyn kann. Der Bewegungs-Grund ist also bloß von leiblichen Strafen und Belohnungen dieses Lebens hergenommen: und eben derselbe wird auch allein den Erz-Vätern beygelegt. Jakob fodert nichts mehr von Gott, als Brodt zu essen, und Kleider anzuziehen: so soll Jehovah sein Gott seyn, und sodann will er ihm ein Haus bauen, und ihm den Zehenden geben von allem Vermögen: welches man gewiß einen sehr niederträchtigen und knechtischen Gottesdienst heissen mag. Moses legt den Israeliten keinen andern Bewegungs Grund vor, Gott zu dienen. Dem Jehovah, eurem Gott sollt ihr dienen: so wird er dein Brodt und dein Wasser segnen, und ich will alle Krankheit aus deinem Mittel hinweg thun: es wird keine Mißgebährende [388] noch Unfruchtbare seyn in deinem Lande: ich will die Zahl deiner Tage erfüllen (dich alt werden lassen), ich will meinen Schrecken vor dir her senden. Werdet ihr in meinen Satzungen wandeln, und meine Gebote halten, und dieselbe thun: so will ich eure Regen geben zu ihrer Zeit, und das Land wird sein Gewächs geben, und der Baum des Feldes wird seine Frucht geben: und es wird euch die Dresch-Zeit reichen bis an die Wein-Erndte, und die Wein-Erndte wird reichen bis an die Saat: also werdet ihr euer Brodt essen bis ihr satt werdet, und werdet sicher wohnen in eurem Lande etc. und so lautet es in vielen andern Stellen. Insonderheit ist zu merken: wenn Moses alle Segen und Flüche dem Volke vorlegen will, die er nur erdenken kann, um sie zur Beobachtung des Gesetzes zu bewegen, so ist doch nicht ein einziger Segen oder Fluch, auf was geistliches oder ewiges, auf Seligkeit oder Verdammniß, Belohnung oder Strafe nach diesem Leben gerichtet: alle sind sie leiblich und zeitlich. In den nachfolgenden Büchern und in den Propheten ist es nicht anders beschaffen; wobey ich mich nicht aufhalten darf, weil es jedem in die Augen fällt und längst erkannt ist. Nun mußte doch Moses sowol als alle nachfolgende Priester und Propheten erfahren, daß alle ihre Bewegungs-Gründe, alle Segen und Flüche nichts helfen wollten, das Volk von dem abgöttischen Dienste zum Levitischen zu bringen. Hatten sie denn nicht demselben, die himmlischen und ewigen Güter als triftigere Bewegungs-Gründe vorlegen müssen, [389] da sie mit den leiblichen Verheissungen so viele Jahre herdurch nichts ausgerichtet hatten? hätten sie ihnen nicht die Natur der Seele und ihre Unsterblichkeit, nebst den unendlichen der Ewigkeit erklären, und eine Furcht vor de[m] Gott aller Geister einprägen müssen, der auch nach dem Tode die Seele kann zur Rechenschaft fordern, welche hier seine Gebote verachtet und übertreten? Es ist nicht möglich, daß einer, dem die Wahrheit selbst bekannt ist, dieselbe in solchem Falle, da sie noch als das einzige Mittel zum Zwecke übrig bleibt, nicht hervorbringen sollte. Zumal, da hier die sinnlichen und leiblichen Güter bey den Israeliten unmöglich einen Eindruck geben konnten, daß sie zum Levitischen Gottesdienste willig würden. Denn sie hatten bey ihrer Abgötterey in der That mehrerern Ueberfluß und Bequemlichkeit, als bey dem Levitischen Dienste, vermöge welches sie nach dem Gesetze den Priestern und Leviten so viele Abgaben entrichten, so viele kostbare Pflichten ausüben sollten, daß sie kaum das liebe Brodt dabey behalten konnten; der Last und Mühe noch zu geschweigen. Es wäre also nichts nöthiger gewesen, als daß ihnen diese sclavische Armuth wenigstens durch Verheissung weit grösserer Güter versüßet würde.

§§. Moses sucht die Levitischen Gebräuche beym Gottesdienste durch die Weisheit und den Verstand, welcher darinn liege, beliebt zu machen. Schau, spricht er, ich hab euch Satzungen und Rechte gelehret, wie mir der Herr, mein Gott, geboten hat. - - - So behaltets nun, und thuts: denn dieß [390] ist eure Weisheit und Verstand vor den Augen der Völker, welche, wann sie hören werden alle diese Satzungen, werden sie sagen; nur dieses herrliche Volk ist ein weises und verständiges Volk. Denn welches ist so ein herrlich Volk, das Götter habe, die sich zu ihm nahen, als derJehovah unser Gott, so oft wir ihn anrufen? Wenn aber Moses, wie es scheinet, insonderheit auf die Levitischen Satzungen zielet: so siehet man nicht, warum dieselben mehr Weisheit und Verstand zeigen, als die heydnischen. Denn auch die Heyden hatten ihre Tempel, Priester, Altäre, Opfer, Reinigungen, Orakel und alle die Haupt-Sachen, welche Moses gestiftet. Daher durften sich weder die Heyden darüber wundern, noch die Israeliten damit besondere Weisheit und Verstand dünken lassen. Denn in dem äusserlichen steckt es nicht. Diese Handlungen sind vielmehr an sich den Sinnen unangenehm, und müssen den Weisen als ungereimt vorkommen, wenn sie nichts weiter zu bedeuten haben. Nun wußte man bey den Heyden noch, daß diese äusserliche Ceremonien gewisse Geheimnisse bedeuten sollten: die Priester verstanden sie, und liessen auch andere dazu, welche endlich in diese Geheimnisse hinein schauen durften, und ἐπόπται genannt wurden. Und da hat Herr Warburton gar schön gezeiget, daß die Heiden unter andern mit ihren geheimnißvollen Ceremonien, der Seelen Unsterblichkeit, Belohnung und Bestrafung nach, diesem Leben, vorstellen wollen. Sollte denn nicht Moses auch diese bey seinem Volke verachtete Levitische Ceremonien, wenn er anders was offenbaren wollte, dadurch [391] haben als weise und verständig vorstellen müssen, daß sie lauter himmlische und ewige Dinge bedeuteten? Sollte er vom Anfange bis zu Ende in seinem Gesetze nicht einmal einen Wink von dieser wichtigen Sache geben? Wir können es doch aus heydnischen Schreibern deutlich sehen, ob sie gleich sonst mit ihren Mysteriis sehr geheim waren: warum nicht aus Mose, da er uns was offenbaren sollte? So verhält es sich auch mit David. Der preiset den Levitischen Gottesdienst wegen seiner Schönheit, und freuet sich, daß er soll den schönen Gottesdienst besuchen, und im Hause des Herrn immerdar wandeln. Nun ist wahr, daß David dem Gottesdienste so fern einen äusserlichen Wohlstand und Ordnung gegeben, als er Musik und Lieder dabey eingeführet. Aber das allermeiste bey dem Gottesdienste war doch der gesunden Vernunft und den Sinnen zuwider. Denn worinn bestand das schöne des Gottesdienstes? Sollte Gott Fleisch von Rindern und Schafen essen, oder von deren Blute trinken, oder den lieblichen Geruch von dem verbrannten Fette riechen in seiner Nasen? das ist der Vollkommenheit Gottes unanständig. Menschen konnte das meiste äusserliche auch nicht schöner dünken: daß da Rinder und Kälber blökten, Schafe und Ziegen mäckerten, Turteltauben girreten: daß da eine Schlacht- und Fleisch-Bank war, alles mit Blut, Fett und Unflat aus den Gedärmen besudelt, und durch eben den Unflat und das Verbrennen des Fettes mit Gestank und Schmauch erfüllet ward: daß dort einer sich durch einen Jsop-Büschel mit Wasser und Asche besprützen, dort ein anderer sich den Ohrlappen und Daumen der rechten Hand und [392] den Zehen am rechten Fuße mit einem Tropfen Bluts vom Stier beschmieren ließ: dort ein anderer sich nackend wusch, und die Kleider wieder abtrocknete: dort wieder ein anderer alle Haare vom Leibe abschor, und sie hernach unter dem Fleisch-Kessel verbrennete: dort Priester und Leviten und Israeliten schmauseten. Ich sehe darinn nichts schönes, und würde es noch viel weniger sehen, wenn ich das Unangenehme selbst mit meinen Sinnen empfinden sollte. Wenn aber David andere höhere Schönheit darinn gesehen, wenn er sich, zum Exempel, bey dem Gottesdienste vorgebildet hätte, daß er einmal näher zu Gott kommen und in jener Seligkeit freudig vor ihm wandeln würde: sollte er andern diese Gedanken bey solcher guten Gelegenheit mißgegönnet, und nicht vielmehr mitgetheilet haben, damit sie auch die Schönheit des Levitischen Gottesdienstes erkennen, und Lust dazu bekommen könnten?

§§. Einen andern starken Bewegungs-Grund hätte Moses gehabt, der Seelen Unsterblichkeit und Seligkeit zu offenbaren, in so fern er die Israeliten dadurch hätte beherzt machen können wider ihre Feinde zu streiten, und das Land Canaan einzunehmen. Moses hatte ihnen sonst zwar Begierde und Muth zu machen gesucht, indem er das Land Canaan als das herrlichste Land, da Milch und Honig in flösse, beschrieben, und dabey verheissen, daß Gott vor ihnen hergehen und alle Heyden und Feinde durch viele Wunder vor ihnen her vertreiben und bestreiten würde: sie sollten nur getrost und unverzagt seyn. Aber es ist aus der Geschichte bekannt, [393] daß diese Vorstellung bey den feigen Israeliten nichts helfen wollte. So bald sie hörten, daß da große Enaks-Kinder wohnten, daß sie veste Städte und eiserne Wagen hätten, wurden sie verzagt und wollten ihr Leben, in dessen Gränzen nemlich Moses alle Belohnung eingeschränkt hatte, nicht daran wagen: sie irreten lieber vierzig Jahre in der Wüsten herum, und es ward bey Mosis Leben nichts aus der Sache. Man weiß auch, wie sie noch zu Josuae Zeiten und nachmals, dieses einzige Kleinod des Lebens so ungern in die Schanze gesetzt. Wenn nur ein Paar ihrer Brüder blieben, so wird die ganze Armee von 600000 Mann verzagt zu fechten, fliehet zurück, und will nicht wieder an den Feind: sie behelfen sich lieber kümmerlich mit ein wenig Landes, indem sie gegen die starken Cananiter, ihre Vestungen, und eiserne Wagen, viel zu weiches Herz hatten. Weil denn Milch und Honig nicht süß genug war, ihr theures Leben daran zu wagen, wovon sie hernach weder Genuß noch einige Belohnung weiter zu hoffen hatten: hätte sie nicht die Hoffnung der Unsterblichkeit und der Belohnung nach diesem Leben zu tapfern Männern gemacht? und hätten Moses und Josua nicht auch deßfalls große Ursache gehabt, ihnen diesen Glauben auf alle Weise beyzubringen? Denn man weiß ja aus so vieler andern Völker, insonderheit der Celten ihrer Geschichte, wie tapfer sie gegen ihre Feinde gefochten, wie unerschrocken sie in den Tod gegangen, bloß weil sie von ihren Priestern und Druiden belehret worden, daß sie eben [394] darum in ein besseres Leben versetzt würden 1). Ist denn begreiflich, daß Moses und Josua und alle Priester und Propheten bey den Israeliten mit dieser so starken Aufmunterung zur Tapferkeit wissentlich hinter dem Berge halten, da sie mit allen andern Zureden nichts ausrichten?

§§. Es ist oft die Frage in der Schrift, insonderheit in Hiobs, Davids, und Salomons Büchern, warum es denen Frommen gehe wie den Gottlosen? warum es diese oft gut, und jene böse haben? wie dieses mit göttlicher Güte und Gerechtigkeit übereinstimme? Was antwortet die Schrift hierauf? entweder nichts, oder höchstens dieses, daß Gott es doch zuletzt dem Frommen und seinem Saamen in der Welt wohl, und dem Gottlosen, oder wenigstens seinem Saamen, in der Welt werde übel gehen lassen. Also wird die ganze Comödie der menschlichen Begebenheiten in diesem Leben beschlossen. Da widerlegt es aber die Erfahrung, daß es so allezeit gehe. Wie oft hält das Unglück bey einem Frommen nicht bis an das Ende [395] seines Lebens an? wie oft muß nicht auch sein Saame nach Brodt gehen? wie oft stirbt der Gottlose in allem Wohlleben, und hinterläßt eine glückliche Familie? Die rechte Antwort hierauf wäre ja wol gewesen, daß dieses Leben nur kurz sey, und nur einen Auftritt der menschlichen Begebenheiten ausmache; daß hergegen noch ein anderer Auftritt mit einem andern Leben erfolge, worinn sich dieser widrige Schein auflösen werde; darinn Gott den Frommen werde Recht und Gnade widerfahren lassen, und hergegen die Gottlosen zur Strafe ziehen. Ist es nun wohl möglich, daß einer einen schweren Zweifel in der Religion aufbringet, und stark macht, und dennoch seine Leser lieber in Zweifel oder im Irrthum lässet, wo er die rechte Antwort weiß, und den Zweck hat, die Religion zu lehren und zu bevestigen?

§§. Wir finden in der Schrift zum öftern Sterbende redend aufgeführet, welche für fromme Männer Gottes gehalten worden, oder Propheten, welche zu den Sterbenden vor ihrer Todes-Stunde gesandt sind. Da wäre es doch einmal Zeit, nun die vergänglichen Güter dieser Welt vorbey sind, und das überstandene Leben so wenig wiederkommt, als Hoffnung gegeben wird vom Tode wieder aufzustehen, und ein neues Leben wieder anzufangen: Da wäre es, sage ich, einmal Zeit, daß fromme Männer ihre Augen auf das zukünftige und ewige richteten, daß sie sich mit der Hoffnung eines andern Lebens aufmunterten, oder sich nur mit einem Worte merken liessen, daß sie daran gedächten: daß Priester und Propheten die Sterbenden zu den himmlischen [396] und ewigen Gütern durch ihr Zureden bereiteten. Allein da ist nichts zu thun: alles Reden und Zureden bestehet darinn, daß sie entweder noch einige Jahre einer Lebens-Frist geniessen, oder ihre Nachkommen es gut haben sollen. Mit dem Beschluß des Lebens ist auch ihre Gottesfurcht, Religion, Tugend und Hoffnung zum Ende. Genug, die Frommen sind dieses Lebens satt, sie werden versammlet zu ihren Vätern, sie werden begraben, und denn ruhen und schlafen sie immer und ewiglich. Sollte denn eine so wichtige Sache, als die Unsterblichkeit und Seligkeit ist, bey so vieler Gelegenheit, und insonderheit bey Sterbenden, nicht ein einzig mal in Betrachtung gezogen werden? zum Exempel, Moses erzählt vom Henoch, daß er immer mit Gott gewandelt, hernach aber, war er nicht mehr, dieweil ihn Gott hinweg genommen hatte; weiter stehet da nichts. Daher Clericus billig dabey die Anmerkung machet: Es ist zu bewundern, daß Moses, wenn er anders geglaubt, Henoch sey in die Unsterblichkeit versetzt, eine so wichtige Sache ganz im Vorbeygehen und so dunkel berühret, als ob er solches niemand hätte wollen wissen lassen. Esaias bestraft diejenigen, welche nichts thun, als Ochsen würgen, Schaafe schlachten, Fleisch essen und Wein trinken, und dabey sagen: Lasset uns essen und trinken, denn morgen werden wir sterben. Das ist: alsdenn hat doch alle Freude ein Ende, wenn man todt ist: so wollen wir derselben geniessen, weil wir noch leben. Was sagt denn Esaias hierauf? sagt er etwa: ihr irret euch: ihr müsset noch nach diesem Leben Rechenschaft [397] geben? Nein, er spricht nur: aber der Herr Zebaoth hat sich offenbaret vor meinen Ohren, daß euch diese Missethat nicht solle vergeben werden, bis ihr sterbet. Das ist, ihr sollt bis an euren Tod dafür gestraft werden. Hiebey hat abermahl Clericus die ganz natürlichen Gedanken: “Wenn die Unsterblichkeit zu diesen Zeiten bekannt gewesen wäre, so würde es sich an diesem Orte sehr wohl geschickt haben, die Gottlosen vor den Strafen des zukünftigen Lebens zu warnen. Denn die so redeten, laßt uns essen und trinken, weil wir morgen sterben, die glaubten kein ander Leben. Das ist nemlich einerley mit dem, was beym Petronius stehet: Ach! ach! wie elend sind wir! wie wird doch der ganze Mensch so bald ein Nichts! Drum laßt uns wohlleben, so lange wir noch sind.” Solcher Gelegenheiten nun, da der Unsterblichkeit, und der zukünftigen Belohnung oder Bestrafung nohtwendig hätte müssen gedacht werden, sind gar viele mehr, welche ich nicht alle namhaft machen kann. Da nun die Schreiber des alten Testaments bey keiner auch noch so dringenden Gelegenheit, diesen wichtigen Lehr-Punct der Religion erwehnen: so folget erstlich, daß sie ihn selbst nicht müssen gewußt haben: und ferner folgt daraus, daß, was man ihnen auch für einen Zweck beylegt, derselbe doch keine göttliche Offenbarung einer seligmachenden Religion könne gewesen seyn.

§§. Ich will aber noch mehr sagen: es ist nicht genug, daß die Schreiber des alten Testaments die Unsterblichkeit nicht lehren und erwehnen; sie leugnen sie sogar, [398] und behaupten das Gegentheil, daß der Mensch nichts sey als Erde und Staub, daß wir im Tode nicht besser sind als das Vieh, daß mit dem Leben alles aus sey, daß die Todten nichts wissen und keinen Lohn mehr haben, daß sie nimmer und in Ewigkeit vom Tode wieder erwachen. Nach Mosis Beschreibung ward der Mensch aus einem Erden-Klos gebildet, und darauf bläset ihm Gott einen Hauch der Luft, welche das Leben giebt, einen Odem des Lebens, in seine Nase, und also wird er eine lebendige Seele. Die Eva wird aus der Rippe Adams erbauet; wir lesen aber nicht, daß ihr besonders ein solcher Hauch des Lebens in die Nase geblasen sey; vermuthlich weil die Rippe schon Fleisch und Blut, und folglich Leben an sich hatte, und so zu reden ein Pfropf-Reis eines neuen Menschens war. Denn das Blut ist, nach Mosis Grund-Sätzen, die Seele, oder das principium vitale alles Fleisches, auch des Menschen, und aus dessen Bewegung entstehet der Odem, oder das Hauchen des Lebens. Wenn nun der erste Mensch zwar ewiglich leben sollte, so sollte es doch geschehen von den Früchten im Garten, insonderheit von dem Baume des Lebens. Nach dem Falle aber soll er des Todes sterben, der Baum des Lebens wird weggethan, daß der Mensch nicht ewiglich lebe. Und dann heißt es schlechthin von dem Menschen, ohne Einschränkung etwa auf den Leib allein: Staub bist du, und zu Staub wirst du wieder werden. Die Wörter, welche Moses und die andern hebräischen Schreiber von der Seele gebrauchen, deuten alle nur was cörperliches an. Nephesch, ein Odem, Ruach, ein Wind, Neschamah, [399] ein Hauch. Wenn der Odem aus ist (cum homo animam efflavit) so ist er nicht mehr. Demnach, daß Gott dem ersten Menschen diesen Hauch des Lebens, diese Neschamah in seine Nase geblasen, kann keinen Geist andeuten, der von der Materie unterschieden oder unsterblich wäre. Der Mensch ziehet den Odem durch die Nase, und das thun die Thiere auch, darum auch den Thieren eine Neschamah beygelegt wird. Und wenn Ezechiel die Belebung todter Gebeine in einem Sinnbilde von der Herstellung des Volks, nach der Art der Mosaischen Schöpfung beschreibt: so läßt er erst die Gebeine zusammen kommen, Fleisch und Haut darauf wachsen: aber denn ist noch kein Ruach, kein Odem in ihnen. Darauf ruft er dem Winde, der kommt herzu aus allen vier Gegenden der Welt, und bläst die Todten an, dann kommt Odem in sie, und sie werden wieder lebendig. Es ist also doch ein materieller Wind, Hauch oder Odem. Wesfalls Hiob sagt: Gedenke, daß mein Leben ein Wind ist. Und Esaias braucht dieselbe Mosaische Redens-Art zum Beweise der Sterblichkeit: so lasset nun ab, spricht er, von dem Menschen, der Odem hat in der Nasen. Dann Lieber, wie hoch ist er zu schätzen: Das ist, ist er doch nur ein Hauch, ein Wind. So wie David auch spricht: Verlasset euch nicht auf Fürsten, auf ein Menschen-Kind, bey dem keine Hülfe ist, sein Geist (oder Wind) wird auffahren (Rucho teze) er wird wieder zur Erde werden. Demnach haben auch die folgenden Hebräer Mosis Worte nicht anders erklärt, als daß er die Seele des Menschen angesehen [400] als einen Hauch, der wieder in die Luft verfladdert, so wie der Leib in der Erde vermodert. Der Mensch ist also., nach seiner Beschreibung, ganz und gar Materie, verweslich und sterblich. Und daher rechnet ers in seinem Gesetze unter die abergläubischen Handlungen, wenn einer die Todten frägt: nemlich, weil die Todten nicht mehr sind, nicht mehr leben, oder wieder aufstehen werden, und also auch keine Antwort geben können: eben so wenig als Wahrsager, Zeichendeuter oder Tagewähler etwas von den Dingen, darum sie gefragt werden, wissen.

§§. So reden und schreiben auch die Hebräer von dem Zustande der Verstorbenen. Das kluge Weib von Tekoah sagt zum Könige David: wir werden gewiß sterben, und werden seyn, wie das Wasser, das in die Erde verschleuft, das man nicht wieder sammlen kann. Hiob sagt zu Gott: Meine Tage vergehen ohne Hoffnung. Gedenke, daß mein Leben ein Wind ist, und meine Augen nicht wiederkommen werden, zu sehen das Gute, und daß mich auch das scharfsichtigste Auge nicht mehr sehen wird; ja wenn auch deine Augen nach mir sehen werden, so werde ich nicht mehr seyn. Eine Wolke vergehet und fähret dahin: also, wer in das Grab hinunter fähret, kömmt nicht wieder herauf. Welche Worte nicht bloß in Absicht auf dieses Leben geredet seyn können, weil er sagt, daß wenn auch Gottes scharfsichtige Augen nach ihm sehen wollten, so sey er doch nicht mehr. Hätte er geglaubt, nach dem Tode mit seiner Seelen [401] vor dem Angesichte Gottes zu seyn, oder Gott zu schauen, so könnte er so nicht sprechen. Weiter sagt Hiob: Ein Baum hat Hoffnung, wenn er schon abgehauen ist, daß er sich wieder erneuere, und seine Schößlinge hören nicht auf: ob schon seine Wurzel in der Erde veraltet, und sein Stamm in dem Staube erstirbt, so grünet er doch wieder vom Geruche des Wassers, und bringet Zweige, wie eine Pflanze. Ein Mann aber stirbt, wenn er so abgemattet ist: und wenn ein Mensch gestorben ist, wo ist er denn? (d. i. nirgend.) Wie das Wasser ausläuft aus einem See, und wie ein Strom versieget und vertrocknet, also ein Mensch, wenn er sich geleget hat, wird er nicht wieder aufstehen, und wird nicht wieder aufwachen, bis der Himmel nicht mehr seyn wird (d. i. in Ewigkeit nicht), und wird von seinem Schlafe nicht erwecket werden. Ach, daß du mich im Grabe verdecktest, daß du mich verbärgest, bis dein Zorn sich wendete, und setztest mir ein Ziel, daß du wieder an mich dächtest! (ach! daß doch dieses möglich wäre, daß ich eine Zeitlang seyn könnte wie ein Todter, der nichts empfindet, und darnach wieder aufleben mögte!) aber sollte ein Mann, wenn er gestorben ist, wieder aufleben? (das ist nicht möglich). Ich wollte (sonst) alle die Tage meiner bestimmten Zeit harren, bis daß meine Erneuerung käme; so würdest du mir dann rufen, und ich wollte dir antworten, du würdest zum Werke deiner [402] Hände Begierde haben. Nun aber zählest du meine Gänge. etc. Es kann nichts deutlichers gesagt werden, daß mit dem Tode alles aus sey, und der Mensch in Ewigkeit keine Hoffnung habe wieder aufzuleben, und daß solches eine an sich unmögliche Sache sey. Es klingt alles vollkommen heydnisch, und pflegen die heydnischen Schreiber diese Meynung durch gleiche Sinnbilder auszudrücken.

§§. Es wird mir hienächst erlaubt seyn, dreyer Israelitischen Könige Zeugnisse von eben dieser Meynung bey den Hebräern aufzuführen. David betet: Wende dich, Herr, und errette meine Seele (mein Leben), hilf mir um deiner Güte willen. Dann im Tode (wenn man todt ist) gedenket man deiner nicht. Wer will dir in der Hölle (in dem Zustande nach diesem Leben) danken? Auf eben die Art redet er zu Gott: Was hast du für Gewinn an meinem Blute (an meinem Tode), wann ich in die Grube hinabfahre? wird dir auch der Staub danken? wird er deine Wahrheit verkündigen? d. i. denn bin ich nichts als Staub, und kann es nicht mehr mit Dank erkennen und preisen, daß du mir viele Wohlthaten erzeiget hast. Wiederum spricht er in einem andern Psalm: Wirst du dann den Todten Wunder erzeigen? oder werden die Verstorbenen aufstehen und dir danken? wird man im Grabe (in dem Zustande nach diesem Leben) erzählen deine Güte? und deine Treue im Verderben? (wenn man vermodert ist.) Mögen deine Wunder in der Finsterniß erkannt werden? oder deine Gerechtigkeit [403] im Lande der Vergessenheit? (im Reiche der Todten, da man weder das Gegenwärtige erkennet, noch sich des Vergangenen erinnert.) Hätte David irgend einen Begriff gehabt von einer Seele, die vom Körper unterschieden ist, und ihr geistliches Leben, nach der Absonderung vom Leibe, in sich behält, ja eben durch den Tod in den Zustand gesetzt wird, Gott näher zu erkennen und zu loben; so könnte er unmöglich so reden, als wenn der Mensch lauter Leib wäre, und nicht anders, als mit dem Leibe, in dieser Welt leben, und nicht anders, als hier, Gott loben und danken konnte. Der König Hiskias aber, nachdem er die Verlängerung seines Lebens erhalten hatte, redet eben so: Ich sprach, ich muß zu den Pforten des Grabes fahren - - nun werde ich nicht mehr sehen den Herrn, ja den Herrn im Lande der Lebendigen - - Dann das Grab (d. i. der Begrabene) lobt dich nicht, so rühmet dich der Tod (d. i. der Todte) nicht, die in die Grube fahren, warten nicht auf deine Wahrheit (haben nichts mehr von deinen Verheissungen zu gewarten), sondern die Lebendigen; ja die Lebendigen (allein) loben dich. Worinn eine gleiche Meynung entdeckt wird, daß Menschen, wenn sie einmal todt sind, keine Wohlthaten mehr von Gott zu gewarten haben, und zu geniessen fähig sind. Der König Salomon spricht in seinem Prediger-Buche: Das ist ein bös Ding unter allem, das unter der Sonne geschiehet, daß allen einerley begegnet, (dem Frommen wie dem Gottlosen) und - - sie gleichwol darnach zu den Todten fahren müssen. Zwar [404] derjenige, der mit allen Lebendigen Gesellschaft hat, der hat eine Hoffnung, (sintemal auch ein lebendiger Hund besser ist, dann ein todter Löwe) dann die Lebendigen wissen, daß sie sterben werden, die Todten aber wissen nichts, haben auch keinen Lohn mehr, sintemal ihr Gedächtniß in Vergessenheit gestellet ist etc. Geneuß des Lebens mit deinem Weibe, das du lieb hast, alle die Tage deines eiteln Lebens. Alles, was dir vorhanden kommt, zu thun, das thue wacker: dann im Grabe (im Reiche der Todten) da du hinfährest, ist weder Werk, noch Anschlag, noch Klugheit, noch Weisheit. An einem andern Orte macht er eine Vergleichung zwischen Menschen und Vieh: Ich sprach in meinem Herzen von dem Zustande der Menschen-Kinder - - daß sie an ihnen selbst seyn, wie das Vieh: dann was den Menschen-Kindern begegnet, und was dem Viehe begegnet, das ist bey beyden einerley. Wie dieses stirbt, so stirbt jener auch, und haben alle einerley Geist, und der Mensch hat nichts vortreflichers, dann das Vieh, dann sie sind allzumal eitel: sie fahren alle an einen Ort, sie sind alle aus dem Staube gemacht, und werden alle wieder zu Staub. Wer weiß, ob der Geist des Menschen aufwärts fahre, und ob der Geist des Viehes unterwärts fahre? Es kann gewiß niemand die Meynung, daß die Seele des Menschen mit dem Leibe vergehe, daß der Mensch, auch der Seele nach, nichts vor den Thieren voraushabe, daß [405] kein Leben nach diesem Leben, keine Belohnung einer Seligkeit sey, stärker an den Tag legen. Und die Ausleger, welche an diesen Stellen künsteln, um einen andern Verstand herauszubringen, haben Mühe und Arbeit verlohren.

§§. Wären die Menschen nicht gewohnt, mit den Begriffen, die sie einmal eingesogen, alles anzusehen, und das, was sie in ihren Gedanken haben, in allen Dingen wahrzunehmen: so müßte diese Wahrheit, daß das alte Testament von keiner Unsterblichkeit und ewigen Leben weiß, allen einleuchten. Aber, wir lernen erst die Unsterblichkeit der Seelen, Himmel, Hölle und Auferstehung aus dem neuen Testamente oder Catechismo, und glauben, daß eben dasselbe auch im alten Testamente stehen müsse. Dann lesen wir das alte Testament in der Meynung und Absicht: so finden wir denn diese Sätze in vielen Stellen, zumal da uns die Wörter Himmel, Hölle, Geist und dergleichen, verleiten, zu gedenken, daß sich die Hebräer eben das dabey vorgestellet haben, was wir; ja da auch zum öftern die Uebersetzungen falsch sind, und einen Verstand darlegen, welcher durchaus in dem Grundtexte nicht enthalten ist. Wenn wir ohne Vorurtheil dabey verfahren wollen, so müssen wir 1) die Meynung der Schreiber des neuen Testaments eine Weile bey Seite setzen, sonst würden wir eben das, wovon die Frage ist, schon zum Grunde legen. 2) Müssen wir uns nicht bloß auf die Uebersetzungen verlassen, als welche schon den Verstand nach diesem Vorurtheil etwas gedrehet haben, und an manchen Stellen offenbar unrichtig sind. Denn wer zum [406] Exempel eine Uebersetzung von dem bekannten Spruche Hiobs hat: ich weiß, daß mein Erlöser lebt, und der wird mich hernach aus der Erden auferwecken, der betriegt sich, wenn er die Erweckung der Todten darinn findet, weil die Uebersetzung falsch ist. 3) Müssen wir mit den Wörtern bloß diejenigen Begriffe verknüpfen, welche die alten Hebräer gehabt, nicht aber welche wir aus der christlichen Lehre geschöpft haben. Denn, wenn einer, zum Exempel, das Wort Hölle in der Uebersetzung lieset, und denket, es bedeute, wie bey uns Christen, einen Ort der Quaal oder Strafen der verdammten Seelen nach diesem Leben, der fasset einen Begriff daraus, welchen kein Schreiber alten Testaments damit verknüpft hat. Und so ist es mit dem Worte Messias, Goel oder Erlöser, und andern mehr beschaffen. Die Hebräer haben durch einen Messias oder Gesalbten nichts anders als einen weltlichen König verstanden, und ein Goel oder Erlöser ist bey ihnen derjenige, so seine Anverwandten aus der Gefangenschaft erkaufet und errettet. Dünken einem diese Regeln zu erklären billig zu seyn, so wird er gewiß andere Gedanken von der Lehre des alten Testaments bekommen. Ich kann fast nicht umhin, denenjenigen, welche noch mit Vorurtheilen in diesem Stücke behaftet sind, aus dem Traume zu helfen, und die Stellen des alten Testaments kürzlich durchzugehen, welche auf solche Art einen Schein geben, daß auch die alten Hebräer von einer geistigen, unsterblichen Seele, welche nach diesem Leben bestraft oder belohnet würde, ja von der Auferstehung, etwas gewußt haben. [407]

§§. Man beziehet sich Gegentheils auf Gen. I. 26. Lasset uns Menschen machen nach unserm Bilde, nach unserer Gleichniß. Denn da sehr viele das Ebenbild Gottes nach ihrem Catechismo setzen in einer Vollkommenheit des Geistes, welche in Weisheit und Gerechtigkeit bestehet, woraus eine ewige Seligkeit entstehet; so ist der Schluß fertig: also wird von Mose unter dem Ebenbilde Gottes die Vollkommenheit der Seele verstanden, welche den ersten Menschen zur Seligkeit geschickt gemacht. Oder man schliesset so: der Mensch ist ein Bild Gottes, nicht dem Leibe, sondern der Seele nach: also ist er Gott ähnlich in der Unsterblichkeit und Seligkeit der Seele. Allein wir müssen nicht Begriffe, nach unserm Gefallen, und nach unserer christlichen Meynung annehmen, um dieselbe den Worten der alten Hebräer anzuhängen. Das Ebenbild oder Gleichniß Gottes, so Moses meynet, wird alsobald erkläret: auf daß sie herrschen über die Fische des Meers, und über die Vögel des Himmels, desgleichen über das Vieh und über die ganze Erde 2). Wenn denn der Mensch sollte Gottes Bild werden, [408] auf daß er über die Thiere herrsche: so ist das Ebenbild Gottes so etwas, wodurch die Herrschaft über die Thiere von dem Menschen erhalten wird. So erkläret sich auch David: Dennoch hast du ihn (den Menschen) wenig geringer gemacht als Gott (Elohim), mit Herrlichkeit und Schmuck hast du ihn gekrönet: du hast ihn zum Herrn gemacht über die Werke deiner Hände, alles hast du unter seine Füße gethan, Schaafe und Ochsen allzumal, dazu auch die wilden Thiere, die Vögel des Himmels und die Fische des Meeres. Nun folget die Herrschaft über die Thiere nicht aus der Unsterblichkeit oder Seligkeit der Seelen: demnach ist auch das Ebenbild Gottes von Mose nicht darinn gesetzt. Es folgt aber die Herrschaft über die Thiere aus des Menschen Vernunft: und das ist es, was die Schrift ausdrücklich sagt. Denn seyn wie Gott, seyn wie ein Engel Gottes heisset, sie wissen, was gut oder böse sey. Wir wissen aber Gutes und Böses nicht anders, als durch die Vernunft zu unterscheiden. Demnach bestehet das Ebenbild Gottes nach dem Begriffe der Schrift A. T. eigentlich in der Vernunft: wodurch wir uns zu Herren über die andern Thiere machen. Und weil uns die Vernunft durch Adams Fall aus dem Paradiese nicht benommen ist, so wird der [409] Mensch auch nach dem Falle Gottes Ebenbild genannt. Es folget aber im geringsten nicht, daß einer, der dem Menschen eine Vernunft zustehet, wodurch er Gutes und Böses unterscheiden, und sich zum Herrn über die Thiere machen kann, auch einen Begriff von der Seele Unsterblichkeit oder Seligkeit haben müsse.

2. Der sterbende Jacob sagt in der Weissagung, die auf den Stamm Dan gerichtet ist: zu deinem (nehmlich, o Dan!) Heil, warte ich des Herrn, oder, hoffe ich auf den Herrn. Denn so müssen diese Worte übersetzet werden; nicht aber, wie einige wider die Wortfügung und Accente es geben: Herr, ich warte auf dein Heil. Dennoch gehet man auf diese falsche Übersetzung zu Werke, und weil man Heil und Seligkeit nach der Christen Sprache für eins nimmt, oder auch (per Metonymiam) Christum, der uns das Heil erwirbt, darunter verstehet: so siehet man in der an sich falschen Uebersetzung, durch den angenommenen christlichen Begriff, die Seligkeit und Christum. Allein, was wäre wol für Ursache, daß dem Jakob ex abrupto ein geistliches und ewiges Seelen-Heil bey dem Stamme Dan einfallen sollte? Der Stamm Dan ginge Christum vielleicht weniger an, als die andern, und er sollte auch nicht vor andern selig werden. Es hat aber offenbar eine Verknüpfung mit dem vorigen, daß dieser Stamm sich würde niederlassen, wo gut ruhen sey, und sich bequemen, dienstbar zu werden; aber doch endlich seine eigene Herrschaft behaupten, und wie eine Schlange dem Pferde in die Fersen beissen, daß der Reuter [410] herunter falle. Darauf folget der Seufzer: zu deinem Heil (o Dan!) warte ich des Herrn. So ist auch offenbar, daß Jacob das Heil der Daniter verstehe, welches kurz vorher beschrieben worden, nemlich, daß sie sich von dem Joche durch List würden los machen.

3. Ferner soll auch Bileam die Unsterblichkeit und Seligkeit andeuten, da er von dem Volke Israel spricht: o! daß ich sterben mögte des Todes der Gerechten, und mein Ende würde wie eines derselben! Im Hebräischen lauten die Worte eigentlich so: o! daß meine Seele stürbe des Todes etc. Dieses giebt denen, welche die Art der Hebräischen Sprache nicht kennen, oder hier nicht beachten wollen, Gelegenheit an die Seele zu gedenken, und durch den Tod die Absonderung der Seele von dem Leibe zu verstehen; da denn der Tod der Gerechten, aus den Begriffen des neuen Testaments, nach seiner Folge angenommen wird: denn da heißt es, die Gerechten werden gehen ins ewige Leben. So weiß man künstlich aus den Worten: ach! daß meine Seele stürbe herauszubringen, daß die Seele nicht stirbet. Gewiß, kein Mensch, der sich der Seele nach eine selige Unsterblichkeit anzuwünschen gedächte, würde sich so ausdrücken: ach! daß meine Seele stürbe! Die wahre Meynung dieser Redens-Art ist bey den Hebräern, daß meine Seele so viel heissen soll, als, ich; deine Seele, so viel, als, du, und so weiter. Denn sie haben kein ander Wort, das sie an statt der Person selbst, oder an statt eines pronominis, und besonders eines reciproci setzen können; und denken daher [411] bey solchen Redens-Arten im geringsten nicht auf eine Seele, die vom Leibe unterschieden ist, oder vom Leibe abzusondern wäre, sondern sie denken überhaupt auf die Person. Daher Simson spricht: meine Seele sterbe mit den Philistern, das ist, ich will mit den Philistern zugleich sterben. So war auch Bileam nicht gedungen, den Israeliten ein Seelen- oder geistliches Uebel, sondern leibliches Uebel anzuwünschen. Da sich nun der Fluch bey ihm in Segen verkehret, so haben wir auch unter diesen Worten einen leiblichen Segen zu verstehen. Denn einen geistlichen Segen, einen seligen Tod, hätte der Moabiter den Israeliten vielleicht nicht mißgönnet:sit divus, modo non vivus. Der Gerechten Segen aber ist nach dem Begriffe der Hebräer, daß sie alt und Lebens satt werden, im Friede und gutem Alter sterben: dagegen der Gottlosen Fluch ist, daß sie nicht lange leben und ihr Leben nicht zur Hälfte bringen. Dieß hohe und geruhige Alter der gerechten Israeliten hängt zusammen mit ihrem vorhergehenden Segen, daß sie sich vermehreten wie der Staub, den man nicht zählen kann: indem aus dem langen Leben die starke Vermehrung fliesset, und beydes sich die Hebräer selbst gerne anzuwünschen pflegten. Daher auch Moses ihnen die Verheissung giebt: Es wird keine Mißgebährende noch Unfruchtbare seyn in deinem Lande, und ich will dieZahl deiner Tage erfüllen. Indem aber Bileam diesen Wunsch von den Israeliten zugleich auf sich ziehet, wird er als ein Prophete aufgeführet, als ob er in der Offenbarung vorher gesehen, daß er nicht so ruhig [412] und alt, sondern vor der Zeit gewaltsam sterben würde. Denn die folgende Geschichte giebt, daß er nachmals im Kriege wider die Midianiter mit dem Schwerdte erwürget sey.

Nach Bileams Zeiten will sich lange kein Spruch finden lassen, der nur irgend auf der Seelen Unsterblichkeit zu ziehen sey, bis man zu Davids Schriften kömmt, woraus unterschiedliche pflegen angeführet zu werden. Es heißt erstlich, wenigstens nach vielen auch alten Uebersetzungen im XVI. Psalm: Du wirst meine Seele nicht in der Hölle lassen, noch zugeben, daß dein Heiliger verwese. Allein diese Uebersetzung ist ungetreu, da sie ohne Noth von den Worten des Grund-Textes abgehet, und dadurch den Verstand verkehret. Es heisset eigentlich: Du wirst meine Seele (d. i. mich) nicht verlassen bis zum Grabe: du wirst nicht zugeben: daß dein Heiliger die Grube sehe. Da verstehet aber ein jeder, daß David nichts anders sagen will, als er hoffe, Gott werde ihn nicht sterben oder umkommen lassen: wie er denn auch vorher sagt, er werde nicht umgestoßen, (oder vom Thron gestoßen) werden: sein Fleisch werde sicher wohnen, nemlich in dem Erbtheile, darinn ihm das Loos gefallen: und hernach, daß Gott ihm den Weg des Lebens, d. i., eines langen und glücklichen Lebens, kund thue.

An einem andern Orte spricht David: Ich will (oder, werde) dein Angesicht schauen in Gerechtigkeit, wenn ich erwache, will (oder, werde) [413] ich mich sättigen an deinem Bilde. Man nennet die Seligkeit, nach der christlichen Theologie, das Anschauen Gottes: man vergleicht den Tod einem Schlaafe und die Auferstehung einem Erwachen: also denket man auch so christlich von Davids Worten, daß er auf das Anschauen Gottes im Himmel und in der Seligkeit, wie auch auf die Erweckung seines Leibes in der Auferstehung warte und hoffe. Jedoch lasset David sich erklären, was er durch das Angesicht Gottes nach seiner Sprache verstehe. Denn die Hebräer heissen Liphne Jehovah, vor dem Angesichte des Herrn, in ihrer Levitischen Schreib-Art, den Ort vor der Bundeslade, gegen dem Allerheiligsten. Die Bundeslade selbst, und sonderlich der Deckel, worauf die Cherubim abgebildet waren, wurde als ein Zeichen der göttlichen Gegenwart angesehen. Daher wenn die Bundeslade in der Wüsten von ihrem Orte sich bewegte, sprach Moses: Herr, stehe auf; und wenn sie ruhen sollte, sprach er: komm wieder, Herr, zu der Menge der Tausenden Israel. Hinaufgehen zum Herrn hieße so viel, als zur Stiftshütte gehen, wo die Bundeslade war. Wie also David die Bundeslade mit grossem Jauchzen und Tanzen gen Jerusalem holete, nichts anders, als ob er Gott selber zu sich geholet hätte: so spricht er auch, wenn er zum Hause des Herrn gehen will, da die Bundeslade war, er wolle Gottes Angesicht sehen, oder vor dem Angesichte des Herrn erscheinen. Zum Exempel, wie er vertrieben war, so wünschete er: wenn werde ich hinein gehen, daß ich vor Gottes Angesicht erscheine? Er erkläret sich [414] gleich darauf: denn ich wollte gern hingehen mit dem Haufen, und mit ihnen wallen zum Hause Gottes mit Freuden-Gesang und Danken, unter dem Haufen der Feyrenden. In einem andern Psalm spricht er eben davon: Lasset uns vor sein Angesicht kommen mit Danksagung, lasset uns ihm jauchzen mit Psalmen. Und weiter: dienet dem Herrn mit Freuden, kommt vor sein Angesicht mit frölichem Gesang – gehet zu seinen Thoren ein mit Danksagung, zu seinen Vorhöfen mit Loben. In diesem Psalm nun setzt er sich den gottlosen Weltleuten, die alles voll auf haben, entgegen, und spricht, daß er sich an Gott und seinem Dienste halten wolle: Ich will dein Angesicht schauen in Gerechtigkeit, ich will in dem Hause Gottes vor der Bundeslade erscheinen in Unschuld, und wenn ich erwache, des Morgens früh, so oft ich erwache, will ich mich sättigen an deinem Bilde, will ich mich daran vergnügen, daß ich das Bild deiner Gnaden-Gegenwart daselbst bey dem Morgen-Opfer erblicke. Denn frühe pflegte David zu beten, und zu dem Ende in das Haus Gottes zu gehen. Es ist also eben das, was David in einem andern Psalm sagt: wenn Gott nur das Licht seines Antlitzes über ihn erhebet, so sey er fröhlicher, als jene, die viel Korn und Most haben, und bezeuget, wie er früh zu Gott beten wolle und in sein Haus gehen in seiner Furcht.

Im XLIX. Psalm lasset sich David vernehmen: Gott wird mich (eigentlich, meine Seele) erlösen von dem Grabe (eigentlich von der Hand des Grabes), [415] weil er mich annehmen (oder, ergreifen) wird. Der Verstand ist, Gott werde ihn aus der Todes-Gefahr erretten; dagegen die Gottlosen wie das Vieh, wie Ochsen und Schaafe, vor der Zeit getödtet werden. Um aber hierinn das Gesuchte zu finden, giebt man diesen Ort so: Gott wird meine Seele erlösen von der Höllen Gewalt, denn er wird mich aufnehmen. Da ist denn die Seele, welche die Hölle mit ihren Sünden verdienet hat: da ist der geistliche Erlöser, daß die Hölle keine Macht über die Seele habe: da ist das Aufnehmen ins Reich der Herrlichkeit. Welches alles keiner Widerlegung braucht, weil es sich auf eine ungetreue Uebersetzung, und auf eigene Vorstellungen und Zusätze gründet.

§§. Noch ein Paar Stellen aus Salomons Büchern und dem Hiob sind zu berühren. In den Sprüchwörtern heißt es nach der gemeinen Uebersetzung: Der Gottlose wird umgestoßen in seinem Unglücke, aber der Gerechte ist auch im Tode getrost: nemlich, wie man es deutet, weil er auf ein besseres Leben hoffet. Aber eigentlich sollte es gegeben werden: aber der Gerechte hat auch, wenn er sterben soll, Hoffnung, nemlich, wieder aufzukommen, dagegen der Gottlose, wenn ihn ein Unglück trifft, umgestoßen wird, daß er liegen bleibt, und nicht wieder aufkommt.

Ferner spricht Salomon, oder vielmehr die gemeine Uebersetzung seiner Worte: Der Weg zum Leben, der aufwärts gehet, ist des Weisen, auf daß er meide die Hölle, welche drunten ist. Also [416] verstehet man das Leben, das droben ist im Himmel, wornach die Weisen trachten, und sich hüten für die Hölle, welche man sich unten zu seyn einbildet. Aber es ist bekannt, daß das hebräische Scheol, so Hölle gegeben wird, nichts anders bedeute, als das Grab, den Tod, oder den Zustand der Todten, welche unter der Erde begraben liegen. Daher hat auch das Leben seine eigentliche natürliche Bedeutung; und wie das, was den Tod zuwege bringt, unterwärts führet, und unter die Erde bringt, so gehet der Weg, der zum Leben führet, aufwärts. Dieses ist des Weisen und Frommen Wandel, als womit Gott durch die Natur und durch besondere Vorsehung dieses verknüpft hat, daß aus solcher Lebensart ein langes und glückliches Leben entspriesse; dagegen sich die Ruchlosen durch ihr unordentliches Leben gemeiniglich bald unter die Erde bringen.

Es ist ein andrer merkwürdiger Ort im Prediger-Buche, da Salomon sagt: daß der Staub (des Menschen) wieder in die Erde komme, wie er gewesen ist, der Geist aber wieder zu Gott komme, der ihn gegeben hat. Das nimmt man so an, als ob der Geist oder die Seele des Menschen zu Gott in die himmlische Freude und Seligkeit komme. Wie sollte man aber aus solchen zweydeutigen Worten dem Schreiber eine solche Meynung andichten, der mit viel deutlichern Ausdrückungen gesagt hatte, daß die Todten nichts wissen, und keinen Lohn mehr haben, daß der Mensch stirbt wie das Vieh und daß sie beyde einerley Geist haben, und an einen Ort fahren: zumahl, da [417] Salomon hier gleich darauf seinen Haupt-Satz wiederholet: es ist alles ganz eitel, ja alles ist eitel, das heißt, vergänglich. Will man den Prediger in keinen offenbaren Widerspruch mit sich selbst setzen, so bedeutet der Geiste des Menschen, von dem er gesagt hatte, daß er eins sey mit dem Geist des Viehes, nichts anders, als das Leben, oder den Odem. Denn das ist nach der gemeinen Erfahrung wahr, daß das Leben des Menschen sowol, als des Viehes, vergehe und aufhöre. Indem er aber auf die Historie der Schöpfung siehet, und angefangen hat, Mosis Worte zu gebrauchen, daß der Mensch wieder zur Erde werde, davon er genommen ist, so fügt er auch bey dem Geiste hinzu, daß er zu Gott komme, der ihn gegeben hat, da er nemlich dem Menschen einen lebendigen Odem in seine Nase eingeblasen. Denn dieser Geist, oder Odem, kömmt wieder zu Gott, in so ferne Gott, der dem Menschen das Leben gegeben hat, es ihm auch wieder nimmt, und ihn seinen Lebens-Odem läßt wieder aushauchen: πνεῦμα μὲν πρὸς αἰθέρα, τὸ σῶμα δ᾽ εἰς γῆν wie Euripides sagt: der Geist, oder Odem, in die Luft, der Leib in die Erde. Hätte Salomo durch die Worte, daß der Geist wieder zu Gott komme, was anders, nemlich ein freudiges Anschauen Gottes, eine Seligkeit, und Unsterblichkeit wollen anzeigen, so würde er hier nicht unmittelbar darauf sagen: es ist alles ganz eitel, sprach der Prediger, ja alles ist eitel. Denn eitel heißt beym Salomon in diesem ganzen Buche, was vergänglich ist, und nur eine kleine Weile dauret. Wie reimte sich nun der Schluß: Der Geist kömmt zu einem [418] ewigen, unsterblichen Leben und zum Anschauen Gottes: also ist alles eitel oder vergänglich? Hergegen ist die Folgerung natürlich: Gott nimmt dem Menschen, wenn er alt und schwach wird, endlich auch das Leben, so er ihm gegeben hatte, und damit hat alles ein Ende: ergo ist alles menschliche eitel und vergänglich.

Die bekannte Stelle im Hiob pflegt man so zu übersetzen: Ich weiß, daß mein Erlöser lebt, und er wird mich hernach aus der Erden auferwecken, (oder, ich werde hernach von der Erde auferstehen) und werde darnach mit dieser meiner Haut umgeben werden, und werde in meinem Fleische Gott sehen, denselben werde ich mir sehen, und meineAugen werden ihn schauen und kein Fremder. Was Wunder denn, daß dieser Ort fast in allen Catechismis und Lehrbüchern zum Beweise der Auferstehung, der Seligkeit und des Verdienstes Christi sich gebrauchen lassen muß? Es ist aber viel falsches in der Uebersetzung. Eigentlich lautet es nach dem Hebräischen so: Ich weiß, daß mein Erlöser (oder Erretter) lebt, und zuletzt über dem Staube stehen (oder sich über den Staub stellen) wird. Wenn nun gleich nach der Haut auch dieses (mein Fleisch) mögte durchlöchert (oder abgestreifet) werden, so werde ich doch aus meinem Fleische Gott schauen, denselben werde ich mir schauen, und meine Augen werden ihn schauen und kein anderer: meine Nieren vergehen (darüber) in meinem Schoosse (für Verlangen). Hiobs Haut war [419] durch die Geschwüre, und vielleicht auch Würmer durchlöchert, und so war zu vermuthen, daß die anhaltende Krankheit tiefer ins Fleisch fressen mögte. Dennoch hoffet er aus diesem seinem Fleische, darauf er mit Fingern gewiesen, Gott als einen Erlöser oder Erretter von seinem Leiden zu seinem Troste zu schauen; wenn er sich nemlich zuletzt in dem Dramate würde auf die Schaubühne stellen, und auf der Erde erscheinen. Dieses geschahe auch, und machte den Beschluß, da Gott, wie in den Comödien der Alten zu geschehen pflegte, tanquam Deus ex machina, erscheinet, und dem Hiob alles Gute verspricht und widerfahren lässet. Darnach verlanget Hiob schon jetzt, oder darnach schmachten ihm seine Nieren. Hernach aber, als es geschehen, giebt er sich, wegen des erfüllten Verlangens, zufrieden, und spricht: Ich habe dich mit meinen Ohren gehöret, und mein Auge siehet dich auch nun. Es ist demnach in dem Spruche, dessen Erfüllung sich in der Comödie und in diesem Leben völlig zeigt, nichts, das auf ein künftiges Leben zielte.

§§. Gleichwie nun alle jetzt angeführten Oerter offenbarlich einen ganz andern Verstand haben, als daß sie mit Grund auf die Unsterblichkeit, Seligkeit oder Auferstehung sollten können gezogen werden: so will ich doch auch ein Paar Stellen beybringen, welche mehr Wahrscheinlichkeit haben. Erstlich kann man sich mit einigem Schein beziehen auf die Geschichte des Elias, die so erzählt wird, daß Elias mit feurigen Roß und Wagen in einem Wetter gen Himmel gefahren, oder von Gott in einem Wetter gen Himmel geholet sey. [420] Ich will hier eben von der Wahrheit der Geschichte selbst keine Frage anstellen. Denn sonst, da diese Himmelfahrt Eliae unter dem Könige Josaphat geschehen seyn soll, mögte es schwer zu begreiffen stehen, wie Elias einige Jahre hernach an des Josaphats Sohn, Joram, einen Brief geschrieben, welchen wir wörtlich in das Buch der Chroniken eingerückt lesen. Da man nun im Himmel, (man verstehe Luft- Sternen- oder Seligen-Himmel) keine Briefe schreibt und damit Boten an die Bürger der Erden abfertiget: so mögte man eher glauben, daß Elias sich nur eine Weile verborgen, wie er sonst wohl gethan hatte, und daß, damit man ihn nicht suchen sollte, ausgesprengt sey, ob wäre er gen Himmel geholet worden. Denn der Brief des Elias, den er nach der Zeit geschrieben, hebt die Wahrheit seiner Himmelfahrt nothwendig auf: oder so Elias von der Erden vorher weggeholet ist, müßte der Brief erdichtet seyn. Allein es kömmt hier auf die Wahrheit der Geschichte nicht so sehr an, weil die Frage nur ist, ob die Schreiber des alten Testaments von einer Unsterblichkeit oder Seligkeit der Seelen etwas gewußt: welche Meynung sie auch in Erzählung einer falschen Geschichte hätten an den Tag legen können. Demnach frägt sich nur von dem Geschicht-Schreiber, der die Himmelfahrt Eliae erzählet, was der für einen Begriff dabey gehabt habe. Erstlich nun kann man nicht behaupten, daß darinn der Begriff von der Unsterblichkeit der Seelen stecke. Denn der ganze Elias ist körperlich aufgeh[o]ben. Wie, wenn er nun irgend in eine Gegend des Himmels weggerissen ist, so folgte noch nicht, daß [421] er da beym Leben geblieben: und wenn er da beym Leben geblieben, so würden doch die Worte noch nichts weiter sagen, als daß er cörperlich lebe, auch nicht, wie lange er da leben solle, oder in welchem Zustande er lebe. Es könnte auch seyn, daß er nur in den Luft-Himmel bey dem Gewitter durch einen Wirbel-Wind hingerissen, und hernach anderwärts wieder niedergesetzet sey; wie es die meisten Jünger des Elias deuteten, und desfalls ausgingen ihn zu suchen. Keiner aber unter ihnen, selbst Elisa nicht, läßt sich merken, daß er an einen Ort oder Zustand der Seligkeit denke, wohin Elias versetzt sey. Die Juden sind zum Theil der Meynung, Henoch sey würklich gestorben, und Josephus scheinet vom Henoch und Elias anzudeuten, daß man nur die Art ihres Todes nicht wisse; wodurch er indirecte zugiebt, daß sie gestorben seyn müssen. Es mag aber Josephus davon gehalten haben, was er will, so erzählt er es doch auch nicht so, als ob er verstanden, daß Elias lebendig in den Himmel der Seligen versetzt sey; und es scheint besonders, als ob er sich vor den Römern und Griechen geschämt, der feurigen Roß und Wagen hiebey zu gedenken. Wenn wir einen gesunden Verstand aus dieser biblischen Erzählung ziehen wollen, so müssen wir wohl zum Grunde legen, daß hier eben so wenig feurige Pferde und Wagen zu verstehen sind, als man gedenken kann, daß die Poeten sich einen würklichen Pegasus, oder einen wirklichen Sonnen-Wagen des Phaeton mit vier Pferden bespannet, eingebildet hätten. Es ist demnach etwas verblümtes in dieser Beschreibung, und weil Feur in der Luft wohl seyn kann, fliegende Pferde [422] und Wagen aber in der Luft nicht seyn können, so steckt das verblümte in den Pferden und Wagen, das Feuer hingegen muß eigentlich verstanden werden, zumahl weil eines Wetters gedacht wird, darinn Elias gen Himmel gefahren. Denn ein Wetter bringt vermittelst des Windes aus den zusammengejagten Wolken Blitz und Donner, und der Blitz ist nichts anders als ein Feuer: Nun muß man wissen, daß das Gewitter Gott besonders von den Alten beygelegt wird, als ob er darinn erscheine und seine Stimme hören lasse; und so dann den Himmel neige, und auf den Wolken als seinen Cherub (Fahr-Zeuge oder Wagen) herabfahre, und mit den Flügeln des Windes in den blitzenden Wolken einherfliege. Wir finden viele solche Beschreibungen des Gewitters in der Schrift, insonderheit im XVIII. Psalm. Er (Gott) neigete den Himmel und fuhr herab, und dunkel war unter seinen Füßen, und er fuhr auf dem Cherub und flog daher, er schwebete auf den Fittigen des Windes – Vom Glanze vor ihm her trenneten sich seine Wolken, es hagelte und blitzte; und der Herr donnerte im Himmel, und der Höchste gab seine Stimme, es hagelte und blitzte. Da ist offenbar, daß das Wetter auf eine hohe prophetische Art abgebildet werde, und daß insonderheit die Wolken Gottes Cherub (anderwärts Rechub) das ist Gottes Fuhrwerk, Roß und Wagen genannt werden. Wir können also schon aus dieser prophetischen Schreib-Art verstehen, was feurige Roß und Wagen heissen sollen. Es sind nemlich die mit dem Winde schnell fortgehende Wolken, in so ferne [423] sie feurige Blitze schiessen, und einen rollenden Donner, gleich einem Knall eines fahrenden Wagen, hören lassen, auch durch die Pressung der Luft in einem Wirbelwinde oft vieles von der Erden, selbst auch Menschen mit sich in die Luft oder in den Himmel führen. Da nun ein Wetter und Wind mit feurigen Blitzen und rollenden Donner den Eliam aus der Menschen Gesicht in die Luft gerückt hatte, so hiesse nach der prophetischen Rede-Art des Elisa und seiner Gesellen: Daß Gott mit seinen Cherubim, als feurigen Roß und Wagen, den Elias gen Himmel geholet habe, welche Ausdrückung, als eine unter den Propheten-Kindern vom Elia gebräuchliche, der Geschicht-Schreiber zwar behalten, aber auch durch seine eigene unverblümte Redens-Art erkläret hat, daß ihn Gott im Wetter gen Himmel geholet. Wir erinnern uns hiebey abermahl dessen, was Livius vom Romulo schreibt: Subito coorta tempestas cum magno fragore tonitribusque tam denso regem operuit nimbo, ut conspectum eius concioni abstulerit, nec deinde in terris Romulus fuit. Romana pubes – satis credebat patribus, qui proximi steterant, sublimem raptum procella – So hatte denn auch ein schleunig entstandenes Gewitter den Elias aus der Leute Gesichte entrissen: et pubes prophetarum satis credidit Elisae, qui proximus steterat, sublimem raptum procella. Doch ist der Unterschied, daß die Römer nach Livii Bericht, daraus Gelegenheit nahmen zu sagen, Romulus sey in die Zahl der Götter versetzt, Elisa aber nichts davon sagt, daß Elias unter die Zahl der Seligen versetzt sey, sondern es dabey lässet, daß er in den Luft-Himmel mit Donner [424] und Blitz gerissen sey. Was ihm weiter begegnet, oder wo er geblieben, wußte er folglich nicht, sonst müßte ers bey der Gelegenheit, als die andern ihn hie und da zu suchen bemühet waren, nohtwendig offenbaret haben. Gleichwie also in der ganzen Geschichte nichts ist, was einen Begriff von der Menschen Seligkeit nach diesem Leben andeutet, so zeiget insbesondere das letztere, daß auch Elisa und die übrigen Propheten-Knaben im geringsten nicht an dergleichen gedacht haben.

§§. Das ausdrücklichste, woraus man schliessen mögte, daß die Hebräer, wenigstens in den letztern Zeiten, von der Seelen Unsterblichkeit und Auferstehung Wissenschaft gehabt haben müßten, ist, daß zu Zeiten des Elias und Elisa sogar Todte wieder lebendig geworden: als der Sohn der Wittwen zu Sarepta und der Sunamitischen Frauen, wie auch der Todte, welcher Elisae Gebeine berührte. Imgleichen, daß der Prophet Ezechiel in einem Gesichte und Bilde ein ganzes Feld voller Todten-Knochen vorstellet, welche wieder lebendig werden. Jedoch, wenn wir nicht unbedächtlich zufahren wollen, so werden wir finden, daß noch ein großer Unterschied zwischen beyden Begriffen sey, und einer aus dem andern gar nicht folge. Diese Exempel und Gesichte stellen nicht etwas vor, das allen Menschen zukömmt, oder dermaleinst widerfahren wird, sondern Wunder, die Gott außerordentlich an gewissen Personen gethan oder thun kann. Dergleichen Wunder hatte David noch nicht erlebt, oder davon gehört: darum spricht er: wirst du dann den Todten Wunder erzeigen? [425] oder werden die Verstorbenen aufstehen und dir danken? Er hält es also für eine Sache, die Gott nicht thun würde, oder vielleicht, weil sie unmöglich sey, nicht thun könnte, daß er Todte wieder lebendig machte. Endlich aber zu des Elias und Elisa Zeiten stiegen die Wunder so hoch, daß auch Todte auferweckt wurden. Nun fragt sich, ob dieses den Begriff von der Seelen Unsterblichkeit, Seligkeit und künftiger Auferweckung aller Menschen habe erwecken können und sollen? Ich sage, nein. Die Sache sollte nichts anders beweisen, als daß Elias und Elisa grosse Propheten wären, und Gott allmächtig sey: man kann mit Grunde der Wahrheit nicht sagen, daß entweder von den Propheten selbst, oder in der Schrift eine Folgerung auf der menschlichen Seelen geistliche Beschaffenheit, oder Daur und Zustand nach diesem Leben, daraus gezogen sey. Auch konnten die Hebräer nach ihren Begriffen, so sie bisher bekommen hatten, aus dieser Begebenheit den Schluß nicht machen: daß die Seele eine von dem Körper wesentlich unterschiedene, und an sich fortdaurende Substanz sey, welche nur durch den Tod vom Leibe getrennet würde, inzwischen aber für sich lebe, und als eadem numero substantia mit dem Leibe in der Auferweckung wieder vereiniget würde: sondern die Seele war bey den Hebräern der Odem, das Leben, das Regen und Bewegen im Menschen. Wie nun Gott dem Menschen einen lebendigen Odem in seine Nase geblasen, und dadurch den leblosen Erdklos belebet hat; so kann er über und wider den Lauf der Natur eben den entseelten Körper wieder aufs neue beleben, oder [426] ihm eine regende Lebens-Kraft eindrücken, die ebenfalls nach Ezechiels prophetischer Erscheinung durch einen Wind oder Hauch aufs neue erregt ward; auch nur eine Zeitlang währet und eben so vergänglich ist, daß der Mensch dennoch zum andern male stirbet: so wie wenn ein Baum einmal todt ist, Gott nicht anders als durch ein Wunder denselben wieder beleben würde; aber niemand daher dem Baume eine Seele zuschreiben mögte, die bisher außer ihm gewallet, und nunmehr wieder in ihn hineingebracht sey. Wenigstens haben wir, was die menschliche Seele betrifft, weder sonst, noch auch bey diesen Erweckungen der Todten die geringste Spur in dem alten Testamente, daß die Seele außer dem Leibe ein fortdaurendes Leben habe, und daß sie in einem seligen oder unseligen Zustande sey: daß dieses allen Menschen widerfahre, und aller Seelen einmal mit ihren Leibern wieder vereiniget werden sollen: nichts als das zeitliche Leben wird gewissen Personen ausserordentlich durch ein Wunder wieder geschenkt, zum Beweise der göttlichen Macht, der Sendung seiner Propheten, und der Gnade für gewisse Personen, welchen an dem Leben dieser Verstorbenen gelegen war. Ezechiels Vorstellung aber ist bloß ein symbolisches Gesichte, wodurch nichts weiter angedeutet werden soll, als daß Gott das fast ganz abgestorbene und entkräftete jüdische Volk wieder aufs neue mit blühenden Wachsthum und frischer Kraft beleben wolle. Nun weiß man ja, daß in prophetischen Gesichten gar nicht auf die Wahrheit oder Möglichkeit des Vorbildes gesehen oder geachtet werde: das bestehet mehrentheils in Träumen und Phantaseyen, welche für [427] sich ungereimt scheinen mögten, und zu dem Zweck dessen, was die Propheten lehren wollen, gar nicht gehören, sondern bloß das Gegenbild oder die Deutung. So ist es denn auch hier in dem Gesichte Ezechiels mit dem Vorbilde beschaffen: die Absicht ist gar nicht eine Auferstehung der Todten zu lehren, oder davon, als von einer Wahrheit, die vorausgesetzt wird, einen Schluß und Deutung zu nehmen: sondern diese Belebung der Todten-Gebeine ist bloß eine Mahlerey der Einbildungs-Kraft, ein erdichtetes Sinnbild, welches weiter keinen Grund hat, als in so ferne darunter die Wiederaufrichtung des Israelitischen Volkes vorgestellet ward. Wenn wir aber auch annehmen wollten, daß in Ezechiels Gesichte eine Wahrheit zum Vorbilde den andern gesetzt würde: so würde doch, wie ich schon angezeigt, nichts mehr in dem Vorbilde stecken, als daß es Gott möglich sey, wenn er Wunder thun wolle, die Gebeine der verstorbenen Israeliten wieder aufs neue zu beleben: welches nichts von einer allgemeinen Auferstehung aller Menschen, die würklich geschehen soll, in sich fasset, und eben so wenig beweiset, daß es eine und dieselbe für sich lebende und fortdaurende Seele sey, welche in der neuen Belebung den Körpern wieder zugesellet wird: als wenig es in dem Gegenbilde die Meynung ist, daß eben dieselben einzelnen Israeliten, welche ins Unglück gerahten, und zum Theil längst in ihrem Elende verstorben waren, wieder sollten glücklich gemacht werden: sondern nur das Volk oder die ganze Nation, ob gleich aus ganz andern Personen bestehend. [428]

§§. Nach der babylonischen Gefängniß kommen erst die Zeiten, da die Juden solche Begriffe von der Seele und deren künftigen Zustande hatten und äusserten, als wir im neuen Testamente lesen: gleichwie sie überhaupt von der Zeit an in ihrem ganzen Wesen, Religion und Sitten viel Veränderung spühren liessen. Vorhin waren sie beständig der Vielgötterey und Abgötterey ergeben; sint der Zeit aber verehrten sie nimmer und nirgend mehr als einen Gott Jehovah, und liessen sich lieber zu Tode martern, als daß sie fremden Göttern dienen sollten. Vorhin hatten sie nimmer das Gesetz Mosis beobachtet; jetzt wurden sie Eiferer des Gesetzes. Vorhin waren keine Abschriften des Gesetzes oder der Propheten in der Leute Händen, auch keine Synagogen, wo das Gesetze ordentlich gelesen oder gelehret ward: jetzt wurden aller Orten häufige Synagogen aufgerichtet, Moses ward alle Sabbathe in den Synagogen ordentlich gelesen und erkläret, und bald wurde solches auch bis auf die Propheten ausgedehnt: die Bücher Mosis und der Propheten wurden durch die Schreiber γραμματεῖς oder סופרימ, Sopherim) so fleißig und oft abgeschrieben, daß sie in aller Händen waren. Vorhin war weder Gottesgelahrtheit, noch Weltweisheit bey diesem Volke; jetzt fingen sie an zu denken, ihre Vernunft zu gebrauchen, Lehrgebäude aufzurichten und zu disputiren. Vorhin war lauter Unwissenheit und Unglauben bey ihnen, da sie noch Propheten und Wunder hatten; jetzt bekommen sie ohne Weissagung und Wunder Erkenntniß und Glauben, nachdem sie die Wahrheit zu überlegen anfangen. Alle diese Veränderungen können [429] wir keiner andern Ursache zuschreiben, als daß die Juden durch ihre Gefangenschaft und Zerstreuung mehreren Umgang mit andern Völkern, und insonderheit mit den vernünftigsten von ganz Asien, Africa und Europa bekamen; bey ihnen eine bessere Policey sahen, Künste und Wissenschaften lerneten, Umgang mit den Weltweisen hatten, und ihre Bücher lasen. Die Babylonier und Perser, als Herren der Juden, waren wegen ihrer Weisheit berühmt, und besonders hatten die alten Perser eine ziemlich gesunde und reine Gottesgelahrtheit, und wo jemals ein Regent zugleich ein großer Weltweiser gewesen, so ist es gewiß Cyrus. Egypten, wo sich die Juden seit Alexandri M. Zeiten häufig aufhielten und große Freyheiten hatten, war eine alte, jetzt noch durch die Griechen verbesserte Schule der Weltweisheit, wo alle Wissenschaften gelehret wurden, wo Philo, Aristobulus und andere das ihrige erlernet. Die Griechen, welche sich Asien unterwürfig gemacht, und häufig da wohnten, auch wiederum die Juden unter sich zu wohnen veranlasset hatten, mußten diesem Volke nothwendig etwas von ihrem Geschmacke guter Wahrheiten und Anstalten beybringen: und denen folgten die Römer auf dem Fuße, welche nicht minder häufig in Palästina, als die Juden häufig in Italien und dem Römischen Gebiete waren.

§§. Nun werden wir durch die glaubwürdigsten Zeugnisse überführet, daß alle diese Völker eine Unsterblichkeit der Seele erkannt und gelehret haben. Pausanias sagt in Messeniacis von den Chaldäern: ich weiß, daß die Chaldäer und die Magi der Inder zuerst [430] gesagt, daß die Seele des Menschen unsterblich sey. Herodotus redet so von den Egyptiern, daß sie die ersten gewesen, die solches behauptet. Ihr Zeugniß beweiset, daß beide Völker solches geglaubt, und von langen Zeiten geglaubt, ob gleich schwer zu sagen ist, welche von diesen Nationen die erste gewesen sey. Die schöne Rede des sterbenden Cyrus von der Unsterblichkeit der Seelen findet sich beym Xenophon und beym Cicero. Augustinus berichtet, daß ein Assyrier Pherecydes dem Pythagoras zuerst von der Seelen Unsterblichkeit was vorgesagt, und ihn dadurch zur Weltweisheit bewogen. Unter den Griechen hat sie nicht allein Pythagoras und Plato getrieben und fortgepflanzet, sondern Plutarchus bemerket, daß Homerus diese Meynung schon gehabt. Cicero beruft sich in diesem Stücke auf die Uebereinstimmung aller Nationen, und giebt anderwärts zu verstehen, daß des Epicuri Meynung neu sey. Da nun die Juden vor ihrer Gefangenschaft und Zerstreuung von der Seelen Unsterblichkeit nichts wußten, noch aus ihren Schriften wissen konnten, sondern daraus vielmehr das Gegentheil zu glauben Ursache hatten; nun aber, nachdem sie unter die Völker gerathen waren, welche der Seelen Unsterblichkeit glaubten, gleichfalls dieselbe zu glauben anfingen: so ist offenbar, daß sie diese Meynung von den fremden Nationen und deren Weltweisen erlernet, und um so viel williger angenommen haben, je mehr sie dieselbe einer vernünftigen Religion und der natürlichen Neigung des Menschen gemäß erkannten, und je weniger sie damals Bedenken trugen, zu den Lehren ihrer Schriftsteller unterschiedliche [431] Zusätze zu machen, oder von deren buchstäblichem Verstande abzuweichen. Es wird durchgehends erkannt, daß die drei Secten der Juden von den heidnischen Weltweisen viele Meynungen und Gebräuche angenommen, und dieselben mit der Gottesgelahrtheit ihrer eigenen Vorfahren vermischet haben. Die Pharisäer und Essäer nun behaupteten die Unsterblichkeit der Seelen und ein zukünftiges Leben; gleichwie die Sadducäer solches leugneten. Jene hatten vieles von den Stoikern und Pythagoräern, diese von des Epicurus Schule geborget. Allein das war der Unterschied zwischen beiden, daß diese zu einem Grundsatze machten, nichts anzunehmen, was nicht der buchstäbliche Sinn Mosis und der Propheten in sich hielte; jene hingegen allerley fremde Zusätze machten und annahmen, und sich daher nicht anders zu helfen wußten, als daß sie zur Behauptung ihrer Sätze aus Mose und den Propheten eine künstliche, allegorische Erklärung gebrauchten, wodurch sie Dinge, woran diese Schreiber nimmer gedacht, aus ihren Worten zu erzwingen wußten. Die Sadducäer würden demnach Epicuri Meynung von der Vergänglichkeit der Seelen nimmer angenommen und öffentlich gelehret und vertheidiget haben, wenn sie nicht Mosi und den Propheten nach dem buchstäblichen Verstande gemäß gewesen wäre. So konnten sie sich auch bey den Juden völlig rechtfertigen, daß sie nichts lehreten, als was in Mose und den Propheten enthalten sey. Denn man hätte sich sonst billig zu wundern, daß diese an sich gegen alle Religion laufende gefährliche Sätze der Sadducäer, unter den damaligen Juden, als Eiferern des Gesetzes, öffentlich [432] geduldet worden, und daß die Sadducäer desfalls nicht für Ketzer erkläret und aus der Synagoge gestoßen worden: wenn man nicht bedächte, daß sie durch Beziehung auf Mosen und die Propheten leicht oben bleiben konnten, indem kein einziger Spruch aus der ganzen Schrift aufzuweisen war, welcher das Gegentheil lehret. Da nun die Juden insgemein keine andere Richtschnur des Glaubens annahmen, so konnten die Sadducäer nicht allein nach dem Gesetze nicht verstoßen oder bestraft werden, sondern sie machten gar die vornehmste Parthey unter den Juden aus, waren bey Hofe beliebt, saßen mit im Synedrio, in dem Tempel und in den Synagogen: Und ob es gleich heisset, daß Simeon ben Schetach sie aus dem großen Rathe verjaget; so lesen wir doch an vielen Orten, daß sie nachher beständig mit darinn gesessen, ja daß sogar unter den hohen Priestern selbst Ananus II. und Hyrcanus I. Sadducäer gewesen. Wie gern würden die Pharisäer und alles Volk solche unter dem Namen der Epicurer noch mehr verhaßte Leute unterdrückt und verbannet haben, wenn sie ihnen hätten weisen können, daß sie wider das Gesetz lehreten? Die Pharisäer hatten also die Lehre von der Seelen Unsterblichkeit und künftiger Belohnung oder Bestrafung nicht aus der Schrift genommen, sondern von fremden auswärtigen Völkern und Weltweisen entlehnet: Und hatten so fern den wichtigsten Grund, das mangelhafte Gesetz zu ergänzen und zu verbessern, ja nun zuerst eine Religion daraus zu machen, was bisher noch keiner Religion ähnlich gesehen; wenn sie nur nicht durch andere thörichte Zusätze alles wieder verdorben, und die ganze [433] Religion zu einer scheinheiligen Heucheley gemacht hätten. Allein sie wollten doch auch weder in dem einen noch in dem andern das Ansehen haben, daß sie etwas vortrügen, welches in Mose und den Propheten nicht enthalten sey; als welcher Verdacht bey dem Volke sehr zu verhüten war. Sie ergriffen daher zweyerley Mittel, ihre Zusätze mit der Schrift zu vereinigen. Einmal suchten sie zu behaupten, daß vieles von Mose und den Propheten nur mündlich vorgetragen wäre, welches auf sie, als auf dem Stuhle Mosis sitzende Lehrer, durch ihre Vorfahren gebracht sey: andern Theils erfunden sie eine Art allegorischer, mystischer, symbolischer, ja cabbalistischer Auslegung der Schrift, welches eine Kunst ist aus allen alles zu machen, und aus der Schrift zu beweisen, was man nur will. Dadurch wurden ihnen Thüren und Thore aufgethan, ihre eigenen Lehren und Stiftungen als schriftmäßig einzuführen: sie wußten der Sache wie Peter im Tale of a Tube bald zu helfen: stand es nicht totidem verbis in der Schrift, so stand es doch totidem syllabis et litteris darinn, und stand es nicht buchstäblich darinn, so war es doch hie und da auf eine verblümte Weise angezeiget. Dieses ist der wahre Grund und Ursprung der an sich unnatürlichen und nie erhörten allegorischen und mystischen Auslegung, welche man mit der Zeit zur Einführung vieler andern Sätze gebraucht hat, und worinn sich die Juden endlich so verliebt, daß ihnen nichts artig bewiesen zu seyn dünkte, welches nicht allegorisch bewiesen wäre.

§§. Daß die Unsterblichkeit der Seelen aus dem alten Testament blos auf diese künstliche Weise herauszubringen [434] sey, lehret uns auch die Unterredung Jesu mit den Sadducäern über diese Materie. Denn da Jesus es mit Leuten zu thun hatte, welche nichts gelten liessen, als was der buchstäbliche Verstand an den Tag legte, so würde er sich ausser Zweifel auf einen solchen Ort altes Testaments bezogen haben, wenn er irgend wäre zu finden gewesen. So aber bringt Jesus keinen Ort der Schrift hervor, wo die Sache ausdrücklich gesagt wird, sondern nur einen Spruch, woraus es soll geschlossen werden, und zwar nicht eher kann geschlossen werden, als wenn man erst den buchstäblichen Verstand verläßt. Es ist der Ort, da Gott sagt: ich bin der Gott Abrahams, Isaacs und Jacobs, woraus Jesus folgert: Gott aber ist nicht ein Gott der Todten, sondern der Lebendigen: und will damit den Schluß in die Gedanken bringen, also leben Abraham, Isaac und Jacob. Da sie aber dem Leibe nach nicht leben, so folget, daß sie der Seele nach bey Gott leben. Allein der buchstäbliche Verstand des Ortes ist ohnstreitig dieser: Ich bin der Gott, welchen eure Väter, Abraham, Isaac und Jacob verehret haben Denn so heißt der Gott Nahors, den Nahor anbetete: so heißt Camos ein Gott des Ammonitischen Königes, das ist, den derselbe für einen Gott erkannte und dem er diente: die Götter der Heiden heissen, welche nach der Meynung der Heiden Götter sind, und von ihnen als solche angebetet werden. Jacob sagt: wirst du mir Kleider und Schuh, Essen und Trinken geben, so sollt du mein Gott seyn, das ist, wie folget, ich will dich als Gott verehren, dir ein Haus bauen, opfern, und den Zehenden [435] geben. Nun folget aus diesem eigentlichen buchstäblichen Verstande nicht: Abraham, Isaac und Jacob haben den Gott Jehovah verehret, oder, Jehovah ist der Gott, welchen Abraham, Isaac und Jacob verehret haben: also leben die Ertzväter noch. Noch weniger folget das daraus, wovon eigentlich der Streit war, daß sie körperlich wieder aufstehen werden. Daher muß erst der buchstäbliche Sinn verlassen, und ein anderer angenommen werden. Wollte man etwa einen andern Verstand zum buchstäblichen machen, nemlich, daß Gott wegen des Schutzes und Lohns, Abrahams und seiner Kinder Gott sey: so wird man finden, daß die Folgerung nichts richtiger sey, und nichts mehr beweise. Denn der Schluß würde dieser seyn: Wenn Gott wegen des Schutzes und Lohns ein Gott Abrahams, Isaacs und Jacobs genannt wird, so folget, daß dieselbe nicht todt sind, sondern leben. A. E. Hier würde entweder Abraham, Isaac und Jacob als noch existirend verstanden, oder als vorzeiten lebend. Das erste wäre eine petitio principii, wie man in Schulen redet, oder es setzte eben das zum Grunde, welches bewiesen werden soll, und bewiese also nichts. Denn es hiesse eben so viel: als wenn Abraham, Isaac und Jacob noch sind, so sind sie: Das andere aber folget nicht: Wenn Gott den Abraham, Isaac und Jacob vorzeiten geschützt und belohnt hat, da sie noch lebten, so leben sie auch noch, und werden ewiglich leben. Es ist also wol offenbar genug, daß Jesus den buchstäblichen Verstand, (welchen man auch setzen will) nicht wider die Sadducäer aus der Schrift zum Grunde legen können, und daß [436] folglich im alten Testamente die Lehre von der Unsterblichkeit und Seligkeit der Seelen nicht eigentlich und würklich enthalten sey. Ob nun gleich Jesus durch seinen Beweis den Sadducäern das Maul gestopfet hatte, nemlich, daß sie darüber verwirret wurden, und nicht wußten, was auf den Schluß zu antworten wäre, folglich stille schwiegen; so wurden sie doch auch nach denen Grund-Sätzen, welche sie angenommen hatten, nicht überführt. Sie blieben bey ihrer Meynung, und es ist gar merkwürdig, daß sich im ganzen neuen Testamente, meines Wissens, kein einzig Exempel findet, daß sich ein Sadducäer zu Christo oder seiner Lehre bekehret hätte; weil sie nemlich nichts annehmen wollten, als was der klare Verstand des alten Testamentes gab, und daraus sich nicht überzeugen konnten.

 

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1) Lucanus Pharsal. I. v. 458.

– certe populi, quos despicit Arctos

Felices errore suo, quos ille timorum

Maximus haut urguet. leti metus: inde ruendi

In ferrum mens prona viris, animaeque capaces

Mortis, et ignavum rediturae parcere vitae.

Conf. et Appian. Celt. θανάτο[υ] καταφρονηταὶ δι᾽ ἐλπίδα ἀναβιώσεως.

Clem. Alex. Strom. III. 7. Iuliani Caes. in Traiano de Getis. 

 

2) Es ist derselbe Begriff, welchen uns Ovidius von dem göttlichen Ebenbilde giebt, Metam. I. 76. sqq.

Sanctius his animal, MENTISQVE CAPACIVS ALTAE

Deerat adhuc, et QUOD DOMINARI IN CAETERA POSSET.

Natus homo est.

Quam (tellurem) satus Iapeto, mistam fluuialibus vndis

Finxit IN EFFIGIEM MODERANTVM CVNCTA DEORVM.

Da bestehet die effigies deorum darin, quod dominari in caetera posset, gleichwie die Götter cuncta moderantur. Und woher dieß? quia mentis est capacius altae.