BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Hermann Samuel Reimarus

1694 - 1768

 

Von dem Zwecke

Jesu und seiner Jünger

 

1778

 

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[III]

Vorrede des Herausgebers.

 

Gegenwärtiges Fragment sollte, meinen ersten Gedanken nach, durch mich entweder gar nicht, oder doch nur irgend einmal zu seiner Zeit, in eben dem abgelegenen so wenig besuchten Winkel Bibliothekarischen Auskehrichts erscheinen, in welchem seine Vorgänger erschienen sind. Ich lasse mir es ungern früher aus den Händen winden: aber wer kann für Gewalt?

Gleich Anfangs muß ich sagen, daß dieses Fragment zu dem Fragmente über die Auferstehungsgeschichte gehöret, welches bereits so viele Federn beschäftiget hat, und wahrscheinlich noch lange immer neune gegen eine beschäftigen wird, die ihr Heil gegen die übrigen Fragmente versuchen möchte. [IV]

Die Ursache dieser Erscheinung, daß eben das Fragment über die Auferstehungsgeschichte so viel Athleten wecket, ist klar. Die Sache worüber gestritten wird, ist so wichtig, und der Streit scheinet so leicht zu seyn! Jeder Homilet, der sich getrauet eine Osterpredigt zu halten, getrauet sich auch mit meinem Ungenannten hier anzubinden. Krüppel will überall vorantanzen: und er läßt mehrers drucken, was nur eben verdiente gesagt zu werden, – und auch das kaum verdiente.

Doch es sey fern von mir, daß ich alle die würdigen Männer, welche gegen besagtes Fragment bisher geschrieben haben, in diesem ärmlichen Lichte erblicken sollte. In einigen derselben erkenne ich wirklich Gelehrte, deren Schuld es nicht ist, wenn ihr Gegner nicht zu Boden liegt. Die Streiche, die sie führen, sind nicht übel; aber sie haben auf die Strahlenbrechung nicht gerechnet: [V] der Gegner steht nicht da, wo er ihnen in seiner Wolke zu stehen scheinet, und die Streiche fallen vorbey, oder streifen ihn höchstens.

Gewissermaassen kann ich selbst nicht in Abrede seyn, daß ich, der Herausgeber, daran mit Schuld habe. Man konnte es dem Bruchstücke nicht ansehen, welche Stelle es in dem Gebäude behauptet, oder behaupten sollen. Ich gab desfalls keinen Wink: und es ist ganz begreiflich, wenn sonach die Schnauze einer Renne für einen Kragstein, das Gesimse einer Feuermauer für ein Stück des Architrabs genommen, und als solches behandelt worden.

Freylich könnte ich zu meiner Entschuldigung anführen, gleichwohl vor der Klippe gewarnet zu haben, an der man gescheitert, indem ich Fragmente für nichts als Fragmente ausgegeben. Freylich könnte ich meinen sehr verzeihlichen Wahn vorschützen, daß [VI] ich geglaubt, des Celsus Incivile est, nisi tota lege perspecta, una aliqua particula ejus proposita, judicare vel respondere habe Justinian eben sowohl für den Gottesgelehrten, als für den Rechtsgelehrten aufbewahren lassen.

Doch da es indeß auch seinen Nutzen hat, daß unsere Gottesgelehrten so vorsichtig und bedächtig nicht sind, als unsere Rechtsgelehrten, und manche derselben nicht ohne Grund für nöthig erachten, lieber bald und nicht gut, als spät und besser zu antworten; indem es vielen ihrer Leser doch einerley ist, wie sie antworten, wenn sie nur antworten: so will ich darüber weiter nichts sagen, und nur so bald als möglich den Fehler von meiner Seite wieder gut zu machen suchen.

Aus dem nehmlich, was ich nun noch aus den Papieren des Ungenannten mitzutheilen im Stande bin, wird man, wo nicht günstiger, doch richtiger von dem Fragmente der [VII] Auferstehungsgeschichte urtheilen lernen. Man wird wenigstens aufhören, seinen Verfasser als einem Wahnsinnigen zu verschreyen, der die Sonne mit einem Schneeballe auslöschen will; indem man nun wohl sieht, daß die Zweifel, welche er wider die Auferstehungsgeschichte macht, das nicht sind, noch seyn sollen, womit er die ganze Religion umzustossen vermeynet. Er schließt ganz so lächerlich nicht, als man ihn bisher schliessen lassen; „die Geschichte der Auferstehung ist verdächtig: folglich ist die ganze Religion falsch, die man auf die Auferstehung gegründet zu seyn vorgiebt:“ Sondern er schließt vielmehr so; „die ganze Religion ist falsch, die man auf die Auferstehung gründen will: folglich kann es auch mit der Auferstehung seine Richtigkeit nicht haben, und die Geschichte derselben wird Spuren ihrer Erdichtung tragen, deren sie auch wirklich trägt.“ – [VIII]

Aber schäme ich mich nicht, daß ich das kleinere Aergerniß durch ein weit größres heben zu wollen vorgebe? Warum lasse ich es bey jenem nicht bewenden, wenn ich nicht selbst Freude an dem Aergernisse habe? – Darum nicht; weil ich überzeugt bin, daß dies Aergerniß überhaupt nichts als ein Popanz ist, mit dem gewisse Leute gern allen und jeden Geist der Prüfung verscheuchen möchten. Darum nicht; weil es schlechterdings zu nichts hilft, den Krebs nur halb schneiden zu wollen. Darum nicht; weil dem Feuer muß Luft gemacht werden, wann es gelöscht werden soll.

Man erlaube mir, daß ich besonders auf dem Letztern einen Augenblick bestehe. Ich habe bereits an einem andern Orte gesagt, daß das Buch ganz und völlig ausgearbeitet existiret, und bereits in mehrern Abschriften, an mehrern Orten existiret, wovon ich nur den kleinern Theil in Fragmenten des ersten [IX] Entwurfs in Händen habe. Ich setze itzt hinzu, daß dieses Buch geschrieben aus einer Hand in die andere geht, aus einer Provinz in die andere vertragen wird, und so im Verborgenen gewiß mehr Proselyten macht, als es im Angesichte einer widersprechenden Welt machen würde. Denn man lieset nichts begieriger, als was man, nur nächst Wenigen, lesen zu können glaubt. Ein Manuscript ist ein Wort ins Ohr; ein gedrucktes Buch ist eine Jedermannssage: und es ist in der Natur, daß das Wort ins Ohr mehr Aufmerksamkeit macht, als die Jedermannssage.

Bey diesem Gleichnisse zu bleiben: was habe ich nun Unrechtes gethan, was thue ich noch Unrechtes, daß ich das Wort ins Ohr, welches die Wohlfarth eines ehrlichen Mannes untergräbt, je eher je lieber zu einer lauten Sage mache, damit es auch dem, den es betrift, zu Ohren komme, und er Gelegenheit [X] habe, sich darüber zu verantworten? Ja, wenn dieses Wort ins Ohr in meinem Ohre erstürbe! wenn ich selbst der Urheber dieses Wortes wäre! – Aber ist dieses hier der Fall? Und doch sollte ich mich schämen?

Die mögen sich vielmehr schämen, welche die Verheissung ihres göttlichen Lehrers haben, daß seine Kirche auch von den Pforten der Hölle nicht überwältiget werden soll, und einfällig genug glauben, daß dieses nicht anders geschehen könne, als wenn sie die Pforten der Hölle überwältigen! – Und wie denken sie einen solchen Sieg zu erlangen? Dadurch, daß sie gar in keinen Streit sich einlassen? Dadurch, daß sie das Ding so zu karten suchen, daß die Pforten der Hölle auch nicht einmal einen Anfall wagen dürfen? – Von diesem negocirten Siege aus ihrer politischen Studierstube, kenne ich keine Verheissung.

Aber warum sage ich denn, „die mögen [XI] sich schämen?“ Die muß der heissen. Der mag sich schämen, der noch der einzige seiner Art ist! Denn noch ist der Herr Hauptpastor Goeze der einzige Theolog, der zugleich so stolz und so klein von der christlichen Religion denket. Noch ist er der einzige, der es mir verübelt, daß ich die Fluth, lieber nach und nach durch den Damm zu leiten suche, als den Damm auf einmal will übersteigen lassen. Noch ist er der einzige, der mich darum auf eine Art verlästert, die wenigstens dem Racha gleich kömmt. Nur freylich, daß der Grosse Rath nicht dieses sein Racha, sondern mich auf dieses sein Racha bestrafen soll. Sehr christlich!

Darauf wage ich es denn nun aber auch hin. Genug daß für mich selbst der Nutzen immer unendlich größer ausfallen muß, als der Schade seyn kann, dem mich meine Dreistigkeit in Zuversicht auf die gerechte Sache aussetzet. Denn da, wie mir der Herr [XII] Hauptpastor bereits selbst attestiret haben, ich schlechterdings kein Hebräisch verstehe: so kann es nicht fehlen, daß ich, auf Veranlassung dieses neuen Fragments, bey welchem es lediglich auf eine tiefe Kenntniß der hebräischen Sprache und Alterthümer ankömmt, nicht über manche Dinge belehrt werden sollte, über die ich fremde Belehrung nothwendig brauche. Der Herr Hauptpastor selbst, nach ihrer bekannten großen Orientalischen Gelehrsamkeit, werden hoffentlich ein Vieles dazu beytragen; wofür ich ihm gern alle das Uebel vergeben will, das sein heiliger Eifer mir etwa sonst möchte zugezogen haben. Ein frommer Schüler kann über die Züchtigung seines treuen Lehrers weinen, aber nicht zürnen. – Und hiermit küsse ich seine Ruthe, oder seine Scorpionen, schon im Voraus!