B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Friedrich Schiller
1759 - 1805
     
   


A n t h o l o g i e
a u f   d a s   J a h r   1 7 8 2


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[42]
      Die Kindsmörderin.
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Horch – die Gloken weinen dumpf zusammen,
      Und der Zeiger hat vollbracht den Lauf,
Nun, so seys denn! – Nun, in Gottes Namen!
      Grabgefährten brecht zum Richtplaz auf.
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Nimm o Welt die lezten Abschiedsküße,
      Diese Thränen nimm o Welt noch hin .
Deine Gifte – o sie schmekten süße! –
      Wir sind quitt du Herzvergifterin.

Fahret wohl ihr Freuden dieser Sonne
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      Gegen schwarzen Moder umgetauscht!
Fahre wohl du Rosenzeit voll Wonne,
      Die so oft das Mädchen lustberauscht;
[43]
Fahret wohl ihr goldgewebten Träume,
      Paradiseskinder Fantasie'n! –
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Weh! sie starben schon im Morgenkeime,
      Ewig nimmer an das Licht zu blühn.

Schön geschmükt mit rosenrothen Schlaifen
      Dekte mich der Unschuld Schwanenkleid,
In der blonden Loken loses Schweifen
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      Waren junge Rosen eingestreut: –
Wehe! – die Geopferte der Hölle
      Schmükt noch izt das weißlichte Gewand,
Aber ach! – der Rosenschlaifen Stelle
      Nahm ein schwarzes Todenband.

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Weinet um mich, die ihr nie gefallen,
      Denen noch der Unschuld Liljen blühn,
Denen zu dem weichen Busenwallen
      Heldenstärke die Natur verliehn!
Wehe! menschlich hat diß Herz empfunden! –
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      Und Empfindung soll mein Richtschwerd seyn! –
Weh! vom Arm des falschen Manns umwunden
      Schlief Louisens Tugend ein.

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Ach vielleicht umflattert eine andre
      Mein vergessen dieses Schlangenherz,
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Ueberfließt, wenn ich zum Grabe wandre,
      An dem Puztisch in verliebten Scherz?
Spielt vielleicht mit seines Mädchens Loke?
      Schlingt den Kuß, den sie entgegenbringt?
Wenn versprizt auf diesem Todesbloke
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      Hoch mein Blut vom Rumpfe springt.

Joseph! Joseph! auf entfernte Meilen
      Folge dir Louisens Todenchor,
Und des Glokenthurmes dumpfes Heulen
      Schlage schröklichmahnend an dein Ohr –
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Wenn von eines Mädchens weichem Munde
      Dir der Liebe sanft Gelispel quillt
Bohr es plözlich eine Höllenwunde
      In der Wollust Rosenbild!

Ha Verräther! nicht Louisens Schmerzen?
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      Nicht des Weibes Schande harter Mann?
Nicht das Knäblein unter meinem Herzen?
      Nicht was Löw' und Tiger milden kann?
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Seine Seegel fliegen stolz vom Lande,
      Meine Augen zittern dunkel nach,
55
Um die Mädchen an der Seine Strande
      Winselt er sein falsches Ach! – –

Und das Kindlein – in der Mutter Schoose
      Lag es da in süßer goldner Ruh,
In dem Reiz der jungen Morgenrose
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      Lachte mir der holde Kleine zu,
Tödlichlieblich sprang aus allen Zügen
      Des geliebten Schelmen Konterfey;
Den beklommnen Mutterbusen wiegen
      Liebe und – Verrätherey.

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Weib, wo ist mein Vater? lallte
      Seiner Unschuld stumme Donnersprach,
Weib, wo ist dein Gatte? hallte
      Jeder Winkel meines Herzens nach –
Weh, umsonst wirst Waise du ihn suchen,
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      Der vielleicht schon andre Kinder herzt,
Wirst der Stunde unsrer Wollust fluchen,
      Wenn dich einst der Name Bastard schwärzt.

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Deine Mutter – o im Busen Hölle! –
      Einsam sizt sie in dem All der Welt,
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Durstet ewig an der Freudenquelle,
      Die dein Anblik fürchterlich vergällt,
Ach, in jedem Laut von dir erwachet,
      Todter Wonne Qualerinnerung,
Jeder deiner holden Blike fachet
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      Die unsterbliche Verzweifelung.

Hölle, Hölle wo ich dich vermiße,
      Hölle wo mein Auge dich erblikt,
Eumenidenruthen deine Küße,
      Die von seinen Lippen mich entzükt ,
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Seine Eide donnern aus dem Grabe wieder,
      Ewig, ewig würgt sein Meineid fort,
Ewig – hier umstrikte mich die Hyder; –
      Und vollendet war der Mord –

Joseph! Joseph! auf entfernte Meilen
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      Jage dir der grimme Schatten nach,
Mög mit kalten Armen dich ereilen,
      Donnre dich aus Wonneträumen wach,
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Im Geflimmer sanfter Sterne zuke
      Dir des Kindes grasser Sterbeblik,
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Es begegne dir im blutgen Schmuke,
      Geißle dich vom Paradiß zurük.

Seht! da lag es – lag im warmen Blute,
      Das noch kurz im Mutterherzen sprang,
Hingemezelt mit Erinnysmuthe,
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      Wie ein Veilchen unter Sensenklang; – –
Schröklich pocht schon des Gerichtes Bote,
      Schröklicher mein Herz!
Freudig eilt' ich in dem kalten Tode
      Auszulöschen meinen Flammenschmerz.

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Joseph! Gott im Himmel kann verzeihen,
      Dir verzeiht die Sünderin.
Meinen Groll will ich der Erde weihen,
      Schlage Flamme durch den Holzstoß hin –
Glüklich! Glüklich! Seine Briefe lodern,
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      Seine Eide frißt ein siegend Feu'r,
Seine Küße! – wie sie hochan flodern! –
      Was auf Erden war mir einst so theu'r?

[48]
Trauet nicht den Rosen eurer Jugend,
      Trauet, Schwestern, Männerschwüren nie!
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Schönheit war die Falle meiner Tugend,
      Auf der Richtstatt hier verfluch ich sie! –
Zähren? Zähren in des Würgers Bliken?
      Schnell die Binde um mein Angesicht!
Henker kannst du keine Lilje kniken?
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      Bleicher Henker zittre nicht! – – –

Y.