B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Friedrich Schiller
1759 - 1805
     
   


A n t h o l o g i e
a u f   d a s   J a h r   1 7 8 2


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[78]
      An einen Moralisten.
      Fragment.
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Betagter Renegat der lächelnden Dione!
      Du lehrst, daß Lieben Tändeln sei,
Blikst von des Alters Winterwolkenthrone
      Und schmälest auf den goldnen May.

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Erkennt Natur auch Schreibepultgeseze?
      Für eine warme Welt – taugt ein erfrorner Sinn?
Die Armuth ist, nach dem Aesop, der Schäze
      Verdächtige Verächterin.

Einst, als du noch das Nymfenvolk bekriegtest,
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      Ein Fürst des Karnevals den teutschen Wirbel flogst,
Ein Himmelreich in beiden Armen wiegtest,
      Und Nektarduft von Mädchenlippen zogst?

[79]
Ha Seladon! wenn damals aus den Achsen
      Gewichen wär so Erd als Sonnenball,
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In Wirbelschwung mit Julien verwachsen,
      Du hättest überhört den Fall,

Und wenn nach manchen fehlgesprengten Minen
      Ihr eignes Blut, von wilder Lust geglüht,
Die stolze Tugend deiner Schönen
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      Zulezt an deine Brust verrieth?

Wie? oder wenn romantisch im Gehölze
      Ein leiser Laut zu deinen Ohren drang,
Und in der Wellen silbernem Gewälze
      Ein Mädchen Sammetglieder schwang?

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Wie schlug dein Herz! wie stürmete! wie kochte
      Aufrührerisch das scharfgejagte Blut!
Zukt jede Senn – und jeder Muskel pochte
      Wollüstig in die Flut!

[80]
Wenn dann gewahr des Diebs, der sie belauschte,
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      Purpurisch angehaucht von jüngferlicher Schaam,
Ins blaue Bett die Schöne niederrauschte,
      Und hintennach mein strenger Zeno – schwamm,

Ja hintennach – und sey's auch nur zu baden!
      Mit Rok und Kamisol und Strumpf –
–      –      –      –      –      –      –      –      –      –
–      –      –      –      –      –      –      –      –      –
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Leis flöteten die lüsternen Najaden
      Der Grazien Triumf!

O denk zurük nach Deinen Rosentagen
      Und lerne, die Philosophie
Schlägt um, wie unsre Pulse anders schlagen,
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      Zu Göttern schaffst du Menschen nie.

Wohl! wenn ins Eis des klügelnden Verstandes
      Das warme Blut ein bischen muntrer springt!
Laß den Bewohnern eines bessern Landes,
      Was ewig nie dem Erdensohn gelingt.

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Zwingt doch der thierische Gefährte
      Den gottgebornen Geist in Sklavenmauren ein –
Er wehrt mir, daß ich Engel werde,
      Ich will ihm folgen Mensch zu sein.

M.