B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Friedrich Schiller
1759 - 1805
     
   


A n t h o l o g i e
a u f   d a s   J a h r   1 7 8 2


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[82]
      Eine Leichenfantasie.
      1780.
      (in Musik zu haben beim Herausgeber.)
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Mit erstorbnem Scheinen
Steht der Mond auf todenstillen Haynen,
      Seufzend streicht der Nachtgeist durch die Luft –
            Nebelwolken schauern,
5
            Sterne trauern
      Bleich herab, wie Lampen in der Gruft.
Gleich Gespenstern, stumm und hohl und hager
      Zieht in schwarzem Totenpompe dort
Ein Gewimmel nach dem Leichenlager
10
      Unterm Schauerflor der Grabnacht fort.

[83]
      Zitternd an der Krüke,
Wer mit düstern rükgesunknem Blike
      Ausgegossen in ein heulend Ach,
Schwer genekt vom eisernen Geschike
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      Schwankt dem stumm getragnen Sarge nach?
Floß es, Vater von des Jünglings Lippe?
      Nasse Schauer schauern fürchterlich
Durch sein gramgeschmolzenes Gerippe,
      Seine Silberhaare bäumen sich. –

20
      Aufgerissen seine Feuerwunde!
Durch die Seele Höllenschmerz!
      Vater floß es von des Jünglings Munde,
Sohn gelispelt hat das Vaterherz.
Eiskalt, eiskalt liegt er hier im Tuche,
25
      Und dein Traum so golden einst so süß!
Süß und golden Vater dir zum Fluche!
Eiskalt, eiskalt liegt er hier im Tuche!
      Deine Wonne und dein Paradis. –

[84]
Mild, wie umweht von Elisiumslüften,
30
      Wie aus Auroras Umarmung geschlüpft,
Himmlisch umgürtet mit rosigten Düften,
      Florens Sohn über das Blumenfeld hüpft,
Flog er einher auf den lachenden Wiesen,
      Nachgespiegelt von silberner Flut,
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Wollustflammen entsprühten den Küssen,
      Jagten die Mädchen in liebende Glut.

Muthig sprang er im Gewüle der Menschen,
      Wie auf Gebirgen ein jugendlich Reh,
Himmelum flog er in schweifenden Wünschen,
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      Hoch wie der Adler in wolkigter Höh,
Stolz wie die Rosse sich sträuben und schäumen,
      Werfen im Sturme die Mähnen umher,
Königlich wider den Zügel sich bäumen,
      Trat er vor Sklaven und Fürsten daher.

[85]
Heiter wie Frühlingstag schwand ihm das Leben,
      Floh ihm vorüber in Hesperus Glanz,
Klagen ertränkt' er im Golde der Reben,
      Schmerzen verhüpft' er im wirbelnden Tanz.
Welten schliefen im herrlichen Jungen,
50
      Ha! wenn er einsten zum Manne gereift –
Freue dich, Vater! – im herrlichen Jungen
      Wenn einst die schlafenden Keime gereift.

Nein doch, Vater – Horch! die Kirchhofthüre brauset,
      Und die eh'rnen Angel klirren auf –
55
Wie's hinein ins Grabgewölbe grauset! –
      Nein doch laß den Thränen ihren Lauf. –
Geh du holder, geh im Pfad der Sonne
      Freudig weiter der Vollendung zu,
Lösche nun den edeln Durst nach Wonne
60
      Gramentbundner, in Walhallas Ruh –

[86]
Wiedersehen – himmlischer Gedanke! –
      Wiedersehen dort an Edens Thor!
Horch! der Sarg versinkt mit dumpfigem Geschwanke,
      Wimmernd schnurrt das Totenseil empor!
65
Da wir trunken um einander rollten,
      Lippen schwiegen, und das Auge sprach –
Haltet! haltet! – da wir boshaft grollten –
      Aber Thränen stürzten wärmer nach – –

Mit erstorbnem Scheinen
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Steht der Mond auf todenstillen Haynen,
      Seufzend streicht der Nachtgeist durch die Luft.
            Nebelwolken schauern,
            Sterne trauern
      Bleich herab wie Lampen in der Gruft.
75
Dumpfig schollerts überm Sarg zum Hügel,
      O um Erdballs Schäze, nur noch einen Blik!
[87]
Starr und ewig schließt des Grabes Riegel,
Dumpfer – dumpfer schollerts über'm Sarg zum Hügel,
      Nimmer gibt das Grab zurük.

Y.