B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Friedrich Schiller
1759 - 1805
     
   


A n t h o l o g i e
a u f   d a s   J a h r   1 7 8 2


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[184]
      Morgenfantasie.
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Frisch athmet des Morgens lebendiger Hauch,
      Purpurisch zukt durch düstre Tannenrizen
Das junge Licht, und äugelt aus dem Strauch,
             In goldnen Flammen blizen
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             Der Berge Wolkenspizen,
Mit freudig melodisch gewirbeltem Lied
      Begrüßen erwachende Lerchen die Sonne,
      Die schon in lachender Wonne
Jugendlichschön in Auroras Umarmungen glüht.

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             Sei Licht mir gesegnet!
             Dein Stralenguß regnet
Erwärmend hernieder auf Anger und Au.
             Wie silberfarb flittern
             Die Wiesen, wie zittern
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Tausend Sonnen im perlenden Tau!

[185]
             In säuselnder Kühle
             Beginnen die Spiele
                   Der jungen Natur,
            Die Zephyre kosen
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             Und schmeicheln um Rosen,
Und Düfte beströmen die lachende Flur.

Wie hoch aus den Städten die Rauchwolken dampfen,
Laut wiehern, und schnauben und knirschen und strampfen
             Die Rosse, die Farren,
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             Die Wagen erknarren
                   Ins ächzende Thal.
            Die Waldungen leben
Und Adler, und Falken und Habichte schweben,
Und wiegen die Flügel im blendenden Stral.

[186]
            Den Frieden zu finden,
            Wohin soll ich wenden
                    Am elenden Stab?
            Die lachende Erde
            Mit Jünglingsgebärde
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                    Für mich nur ein Grab!

Steig empor, o Morgenroth, und röthe
      Mit purpurnem Kusse Hain und Feld,
Säusle nieder Abendroth und flöte
      Sanft in Schlummer die erstorbne Welt.
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             Morgen – ach! du röthest
                    Eine Todenflur,
Ach! und du o Abendroth umflötest
      Meinen langen Schlummer nur.

Y.