BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Friedrich Schiller

1759 - 1805

 

Der versöhnte Menschenfeind

 

1790

 

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Achte Scene.

 

Hutten. Angelika.

 

Angelika. (tritt schüchtern zurück) Es war ihr Befehl, mein Vater – Aber wenn ich ihre Einsamkeit störe. – [129]

Hutten. (der sie eine Zeit lang stillschweigend mit den Augen mißt, mit sanftem Vorwurf) Du hast nicht gut an mir gehandelt Angelika.

Angelika. (betroffen) Mein Vater –

Hutten. Du wußtest um diesen Ueberfall – Gesteh es – du selbst hast ihn veranlaßt.

Angelika. Ich darf nicht  nein  sagen, mein Vater.

Hutten. Sie sind traurig von mir gegangen. Keiner hat mich verstanden. Sieh, du hast nicht gut gehandelt.

Angelika. Meine Absichten verdienen Verzeyhung.

Hutten. Du hast um diese Menschen geweint. Läugne es nur nicht. Dein Herz schlägt für sie. Ich durchschaue dich. Du mißbilligst meinen Kummer.

Angelika. Ich verehre ihn, aber mit Thränen.

Hutten. Diese Thränen sind verdächtig – Angelika – du wankst zwischen der Welt und deinem Vater – Du mußt Partey nehmen, meine Tochter, wo keine Vereinigung zu hoffen ist – Einem von beiden mußt du ganz entsagen oder ganz gehören – Sey aufrichtig. Du mißbilligst meinen Kummer? [130]

Angelika. Ich glaube, daß er gerecht ist.

Hutten. Glaubst du? Glaubst du wirklich? – Höre Angelika! – Ich werde deine Aufrichtigkeit jetzt auf eine entscheidende Probe setzen – Du wankst und ich habe keine Tochter mehr – Setze dich zu mir.

Angelika. Dieser feierliche Ernst –

Hutten. Ich habe dich rufen lassen. Ich wollte eine Bitte an dich thun. Doch ich besinne mich. Sie kann ein Jahr lang noch ruhen.

Angelika. Eine Bitte an ihre Tochter, und Sie stehen an, sie zu nennen?

Hutten. Der heutige Tag hat mir eine ernstere Stimmung gegeben. Ich bin heute fünfzig Jahr alt. Schwere Schicksale haben mein Leben beschleunigt, es könnte geschehen, daß ich eines Morgens unverhofft ausbliebe, und ohne zuvor – (er steht auf) Ja, wenn du weinen mußt, so hast du keine Zeit, mich zu hören.

Angelika. O halten sie ein, mein Vater – Nicht diese Sprache. Sie verwundet mein Herz.

Hutten. Ich möchte nicht, daß es mich überraschte, ehe wir miteinander in Richtigkeit sind – Ja, ich fühle es, [131] ich hange noch an der Welt – Der Bettler scheidet eben so schwer von seiner Armuth, als der König von seiner Herrlichkeit – Du  bist alles was ich zurück lasse. (Stillschweigen)

Kummervoll ruhen meine letzten Blicke auf dir – Ich gehe und lasse dich zwischen zwey Abgründen stehen. Du wirst weinen, meine Tochter, oder du wirst beweinenswürdig seyn – – Biß jetzt gelang mirs, diese schmerzliche Wahl dir zu verbergen. Mit heiterm Blicke siehst du in das Leben, und die Welt liegt lachend vor dir.

Angelika. O möchte sich dieses Auge erheitern mein Vater – Ja, diese Welt ist schön.

Hutten. Ein Widerschein deiner eignen schönen  Seele  Angelika – Auch ich bin nicht ganz ohne glückliche Stunden – Diesen lieblichen Anblick wird sie fortfahren, dir zu geben, so lange du dich hütest, den Schleyer aufzuheben, der dir die Wirklichkeit verbirgt, so lange du Menschen entbehren wirst, und dich mit deinem eigenen Herzen begnügen.

Angelika. Oder dasjenige finde, mein Vater, das dem meinigen harmonisch begegnet.

Hutten. (schnell und ernst) Du wirst es nie finden – – – Aber hüte dich vor dem unglücklichen Wahn, es gefunden zu haben (nach einem Stillschweigen, wobey er in Gedanken verloren saß) Unsre Seele Angelika, erschafft sich zuweilen [132] große bezaubernde Bilder, Bilder aus schöneren Welten, in edlere Formen gegossen. In fern nachahmenden Zügen erreicht sie zuweilen die spielende Natur, und es gelingt ihr, das überraschte Herz mit dem erfüllten Ideale zu täuschen. – Das war deines Vaters Schicksal Angelika. Oft sah ich diese Lichtgestalt meines Gehirns von einem Menschenangesicht mir entgegenstrahlen, freudetrunken streckt' ich die Arme darnach aus, aber das Dunstbild zerfloß bey meiner Umhalsung.

Angelika. Doch mein Vater –

Hutten. (unterbricht sie) Die Welt kann dir nichts darbieten, was sie von  dir  nicht empfienge. Freue dich deines Bildes in dem spiegelnden Wasser, aber stürze dich nicht hinab, es zu umfassen; in seinen Wellen ergreift dich der Tod.  Liebe  nennen sie diesen schmeichelnden Wahnsinn. Hüte dich, an dieses Blendwerk zu glauben, das uns die Dichter so lieblich mahlen. Das Geschöpf, das du anbetest, bist du selbst; was dir antwortet, ist dein eigenes Echo aus einer Todtengruft, und schrecklich allein bleibst du stehen.

Angelika. Ich hoffe, es gibt noch Menschen, mein Vater, die – von denen – –

Hutten. (aufmerksam) Du hoffest es? – Hoffest! – (er steht auf. Nachdem er einige Schritte auf und nieder gegangen) Ja, meine [133] Tochter – das erinnert mich, warum ich dich jetzt habe rufen lassen (indem er vor ihr stehen bleibt und sie forschend betrachtet) Du bist schneller gewesen als ich, meine Tochter – Ich verwundere mich – ich erschrecke über meine sorglose Sicherheit: – So nahe war ich der Gefahr, die ganze Arbeit meines Lebens zu verlieren!

Angelika. Mein Vater. Ich verstehe nicht, was sie meynen.

Hutten. Das Gespräch kommt nicht zu frühe – Du bist neunzehn Jahr alt, du kannst Rechenschaft von mir fordern. Ich habe dich herausgerissen aus der Welt, der du angehörst, ich habe in dieses stille Thal dich geflüchtet. Dir selbst ein Geheimniß wuchsest du hier auf. Du weißt nicht, welche Bestimmung dich erwartet. Es ist Zeit, daß du dich kennen lernest. Du mußt Licht über dich haben.

Angelika. Sie machen mich unruhig, mein Vater –

Hutten. Deine Bestimmung ist nicht, in diesem stillen Thal zu verblühen – Du wirst mich hier begraben, und dann gehörst du der Welt an, für die ich dich schmückte.

Angelika. Mein Vater, in die Welt wollen Sie mich stoßen, wo Sie so unglücklich waren?

Hutten. Glücklicher wirst  du  sie betreten (nach einem Stillschweigen) Auch wenn es anders wäre, meine Tochter – [134] Deine Jugend ist ihr schuldig, was mein frühzeitiges Alter ihr nicht mehr entrichten kann. Meiner Führung bedarfst du nicht mehr. Mein Amt ist geendigt. In verschlossener Werkstätte reifte die Bildsäule still unter dem Meisel des Künstlers heran; die vollendete muß von einem erhabenen Gestelle strahlen.

Angelika. Nie nie, mein Vater, geben sie mich aus ihrer bildenden Hand.

Hutten. Einen einzigen Wunsch behielt ich noch zurücke. Zugleich mit ihr wuchs er groß in meinem Herzen, mit jedem neuen Reize, der sich auf diesen Wangen verklärte, mit jeder schönern Blüthe dieses Geistes, mit jedem höhern Klang dieses Busens sprach er lauter in meinem Herzen – Dieser Wunsch, meine Tochter – reiche mir deine Hand.

Angelika. Sprechen sie ihn aus. Meine Seele eilt ihm entgegen.

Hutten. – Angelika! Du bist eines vermögenden Mannes Tochter. Dafür hält mich die Welt, aber meinen ganzen Reichthum kennt niemand. Mein Tod wird dir einen Schatz offenbaren, den deine Wohlthätigkeit nicht erschöpfen kann – – Du kannst den Unersättlichsten überraschen.

Angelika. So tief, mein Vater, lassen sie mich sinken!

Hutten. – Du bist ein schönes Mädchen, Angelika. Laß deinen Vater dir gestehen, was du keinem andern [135] Manne zu danken haben sollst. Deine Mutter war die schönste ihres Geschlechts – du bist ihr geschontes veredeltes Bild. Männer werden dich sehen, und die Leidenschaft wird sie zu deinen Füßen führen. Wer diese Hand davon trägt –

Angelika. Ist das meines Vaters Stimme? – O ich höre es. Sie haben mich aus Ihrem Herzen verstoßen.

Hutten. (mit Wohlgefallen bey ihrem Anblick verweilend) Diese schöne Gestalt belebt eine schönere Seele – Ich denke mir die Liebe in diese friedliche Brust – Welche Aernte blüht hier der Liebe – O dem Edelsten ist hier der schönste Lohn aufgehoben.

Angelika. (tiefbewegt, sinkt an ihm nieder und verbirgt ihr Gesicht in seinen Händen)

Hutten. Mehr des Glückes kann ein Mann aus eines Weibes Hand nicht empfangen! – Weißt du, daß du  mir  alles dieß schuldig bist? Ich habe Schätze gesammelt für deine Wohlthätigkeit, deine Schönheit hab ich gehütet, dein Herz hab ich bewacht, deines Geistes Blüthe hab ich entfaltet.  Eine  Bitte gewähre mir für dieß alles – in diese einzige Bitte fasse ich alles zusammen, was du mir schuldig bist – wirst du sie mir verweigern?

Anglika. O mein Vater! Warum diesen weiten Weg zum Herzen Ihrer Angelika? [136]

von Hutten. Du besitzest alles, was einen Mann glücklich machen kann (er hält hier inne, und mißt sie scharf mit den Augen) Mache nie einen Mann glücklich.

Angelika. (Verblaßt, schlägt die Augen nieder.)

Hutten. – Du schweigst? – diese Angst – dieses Zittern – Angelika!

Angelika. Ach mein Vater –

Hutten. (sanfter) Deine Hand meine Tochter – Versprich mir – Gelobe mir – Was ist das? Warum zittert diese Hand? Versprich mir, nie einem Mann diese Hand zu geben.

Angelika. (in sichtbarer Verwirrung) Nie mein Vater – als mit Ihrem Beifall.

Hutten. Auch wenn ich nicht mehr bin – Schwöre mir, nie einem Mann diese Hand zu geben.

Angelika. (kämpfend, mit bebender Stimme) Nie – niemals, wenn nicht – wenn Sie nicht selbst dieses Versprechens mich entlassen.

Hutten. Also niemals (er läßt ihre Hand los. Nach einem langen Stillschweigen) Sieh diesen welken Hände! Diese Furchen, die der Gram auf meine Wangen grub! Ein Greis steht vor dir, der sich zum Rande des Grabes hinunterneigt, und ich bin noch in den Jahren der [137] Kraft und der Mannheit! – Das thaten die Menschen – Das ganze Geschlecht ist mein Mörder – Angelika – Begleite den Sohn meines Mörders nicht zum Altar. Laß meinen blutigen Gram nicht in ein Gauckelspiel enden. Diese Blume, gewartet von meinem Kummer, mit meinen Thränen bethaut, darf von der Freude Hand nicht gebrochen werden. Die erste Thräne, die du der Liebe weinst, vermischt dich wieder mit diesem niedern Geschlechte – die Hand, die du einem Mann am Altare reichst, schreibt meinen Nahmen an die Schandsäule der Thoren.

Angelika. Nicht weiter mein Vater. Jetzt nicht weiter. Vergönne Sie, daß ich (Sie will gehen, Hutten hält sie zurück)

Hutten. Ich bin kein harter Vater gegen dich meine Tochter. Liebt ich dich weniger, ich würde dich einem Mann in die Arme führen. Auch trag ich keinen  Haß  gegen die Menschen. Der thut mir Unrecht, der mich einen Menschenhasser nennt. Ich habe Ehrfurcht vor der menschlichen Natur – nur die Menschen kann ich nicht mehr lieben. Halte mich nicht für den gemeinen Thoren, der die Edeln entgelten läßt, was die Unedeln gegen ihn verbrachen. Was ich von den Unedeln litt, ist vergessen. Mein Herz blutet von den Wunden, die ihm die Besten und Edelsten geschlagen.

Angelika. Oeffnen sie es den Besten und Edelsten – sie werden heilenden Balsam in diese Wunden gießen. Brechen Sie dieses geheimnißvolle Schweigen. [138]

Hutten (nach einigem Stillschweigen) Könnt' ich dir die Geschichte meiner Mißhandlungen erzählen, Angelika! – Ich kann es nicht. Ich will es nicht. Ich will dir die fröhliche Sicherheit, das süße Vertrauen auf dich selbst nicht entreißen. Ich will den Haß nicht in diesen friedlichen Busen führen. Verwahren möcht ich dich gegen die Menschen, aber nicht erbittern. Meine treue Erzählung wurde das Wohlwollen auslöschen in deiner Brust, und erhalten möchte ich diese heilige Flamme. Ehe sich eine neue und schönere Schöpfung von selbst hier gebildet hat, möchte ich die wirkliche Welt nicht von deinem Herzen reißen.

(Pause. Angelika neigt sich über ihn mit thränenden Augen.)

Ich gönne dir den lachenden Anblick des Lebens, den seligen Glauben an die Menschen, die dich jetzt noch gleich holden Erscheinungen umspielen; er war heilsam, er war nothwendig, den göttlichsten der Triebe in deinem Herzen zu entfalten. Ich bewundre die weise Sorgfalt der Natur. Eine gefällige Welt legt sie um unsern jugendlichen Geist, und der aufkeimende Trieb der Liebe findet, was er ergreife. Au dieser hinfälligen Stütze spinnt sich der zarte Schößling hinauf, und umschlingt die nachbarliche Welt mit tausend üppigen Zweigen. Aber soll er, ein königlicher Stamm, in stolzer Schönheit zum Himmel wachsen – o dann müssen diese Nebenzweige ersterben, und der lebendige Trieb, zurückgedrängt in sich selbst, in gerader Richtung über sich streben. Still und sanft fängt die erstarrte Seele jetzt an, den verirrten Trieb von der wirklichen Welt abzurufen, und dem göttlichen Ideale, [139] das sich in ihrem Innern verklärt, entgegen zu tragen. Dann bedarf unser seliger Geist jener Hülfe der Kindheit nicht mehr, und die gereinigte Glut der Begeisterung lodert fort an einem innern unsterblichen Zunder.

Angelika. Ach mein Vater! Wie viel fehlt mir zu dem Bilde, das sie mir vorhalten! – Auf diesem erhabenen Fluge kann ihre Tochter sie nicht begleiten. Lassen Sie mich das liebliche Phantom verfolgen, bis es von selbst von mir Abschied nimmt. Wie soll ich – wie kann ich außer mir hassen, was sie mich in mir selbst lieben lehrten! Was sie selbst in ihrer Angelika lieben?

Hutten. (mit einiger Empfindlichkeit.) Die Einsamkeit hat dich mir verdorben, Angelika. – Unter Menschen muß ich dich führen, damit du sie zu achten verlernest. Du sollst ihm nachjagen deinem lieblichen Phantom – du sollst dieses Götterbild deiner Einbildung in der Nähe beschauen – Wohl mir, daß ich nichts dabey wage – Ich habe dir einen Maaßstab in dieser Brust mitgegeben, den sie nicht aushalten werden. (mit stillem Entzücken sie betrachtend) o noch eine schöne Freude blüht mir auf und die lange Sehnsucht naht sich ihrer Erfüllung. – Wie sie staunen werden, von nie empfundnen Gefühlen entglühen werden, wenn ich den vollendenten Engel in ihre Mitte stelle – Ich habe sie – Ja  ich  habe sie gewiß – ihre Besten und Edelsten will ich in dieser goldenen Schlinge verstricken – Angelika! (er naht sich ihr mit feierlichem Ernste und läßt seine Hand auf ihr Haupt niedersinken) Sey ein höheres Wesen unter diesem gesunknen Geschlechte! – Streue Segen um dich, [140] wie eine beglückende Gottheit! – Uebe Thaten aus, die das Licht nie beleuchtet hat! – Spiele mit den Tugenden, die den Heldenmuth des Helden, die die Weißheit des Weisesten erschöpfen. Mit der unwiderstehlichen Schönheit bewaffnet wiederhohle du vor ihren Augen das Leben, das ich in ihrer Mitte unerkannt lebte, und durch  deine Anmuth  triumphiere meine verurtheilte Tugend. Milder strahle durch deine weibliche Seele ihr verzehrender Glanz, und ihr blödes Auge öffne sich endlich ihren siegenden Strahlen. Bis hieher führe sie – bis sie den ganzen Himmel sehen, der an diesem Herzen bereitet liegt, bis sie nach diesem unaussprechlichen Glück ihre glüenden Wünsche ausbreiten – und  jetzt  fliehe in deine Glorie hinauf – in schwindlichter Ferne sehen sie über sich die himmlische Erscheinung! ewig unerreichbar ihrem Verlangen, wie der Orion unserm sterblichen Arm in des Aethers heiligen Feldern. – Zum Schattenbilde wurden sie mir, da ich nach Wesen dürstete, in Schatten zerfließt du  ihnen wieder. – So stelle ich dich hinaus in die Menschheit – Du weißt,  wer  du bist – Ich habe dich meiner Rache erzogen. (er entfernt sich.) *)

 

*) Die hier eingerückten Scenen sind Bruchstücke eines Trauerspiels, welches schon vor mehrern Jahren angefangen wurde, aber aus verschiedenen Ursachen unvollendet bleibt. Vielleicht dürfte die Geschichte dieses Menschenfeindes und dieses ganze Karaktergemählde dem Publikum einmal in einer andern Form vorgelegt werden, welche diesem Gegenstand günstiger ist, als die dramatische.

d. V.