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B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
  Johann Gottfried Schnabel
vor 1692 - nach 1750

 
 
   
   



W u n d e r l i c h e
F a t a   e i n i g e r
S e e f a h r e r


1 .   T e i l   ( 1 7 3 1 )
S e i t e   7 1 - 1 1 1


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     [71] Ob nun schon der Capitain dieses Unternehmen anfangs vor allzu verwegen und gefährlich erkannte, so sahe er sich doch letzlich fast gezwungen, dem eifrigen Verlangen der verliebten Venus=Brüder ein Genüge zu thun, und zwey Schiffe hierzu auszurüsten, deren eines ich als Unter=Hauptmann commandirte. Wir lieffen aus, und kamen auf Hispaniola, glücklich an Land. Es erreichten auch die Verliebten ihren erwünschten Zweck, indem sie etliche 30. junge Weibs=Personen zu Schiffe brachten, ich aber, der ich hiebey die Arrier=Guarde führete, war so unglücklich, von den nachsetzenden Spaniern einen gefährlichen Schuß in die rechte Seite, und den andern durch die lincke Wade zu bekommen, weßwegen ich, nebst noch zweyen der Unsern, von den Spaniern erhascht, gefangen genommen und zu ihrem Gouverneur gebracht wurde.

     Ein grosses Glück war es bey unserm Unglück, daß uns derselbe in der ersten furie nicht gleich auffhencken ließ, weil er ein verzweiffelt hitziger Mann war. Jedoch wurden wir nach völlig erlangter Gesundheit wenig besser, ja fast eben so schlimm als die Türckischen Sclaven tractiret. Am allerschlimmsten war dieses: daß ich nicht die geringste Gelegenheit finden konte, meinem redlichen Capitain Nachricht von meinem wiewol elenden Leben zu geben, weil ich versichert war, daß er nichts sparen würde, mich zu befreyen. Nachdem ich aber 3.Jahr in solchen jämmerlichen Zustande hingebracht, erhielt Zeitung, daß mein redlicher Capitain nebst meinen besten Freunden die Insul Bonatry, (oder Bon Ayres auch Bon air wie sie andere nennen,) verlassen, [72] und zurück nach Holland gegangen wäre, um sich das rechtmäßige Gouvernement, darüber nebst andern Vollmachten auszubitten. Anbey wurde mir der jetzige Zustand auf selbiger Insul dermassen schön beschrieben, daß mein sehnliches Verlangen, auf solche wieder zu kommen, als gantz von neuen erwachte, zumahlen wenn mich meiner daselbst vergrabenen Schätze erinnerte. Jedoch ich konte, ohne meine Person und Vermögen in die größte Gefahr zu setzen, nicht erdencken, auf was vor Art ich den Gouverneur etwa einen geschickten Vorschlag wegen meiner Ranzion thun wolte. Muste also noch zwey Jahr als ein Pferde=Knecht in des Gouverneurs Diensten bleiben, ehe sich nur der geringste practicable Einfall in meinem Gehirne entsponn, wie ich mit guter manier meine Freyheit erlangen könte.

     Die Noth erwecket zuweilen bey den Menschen eine Gemüths=Neigung, der sie von Natur sonsten sehr wenig ergeben sind. Von mir kan ich mit Warheit sagen, daß ich mich, auch in meinen damaligen allerbesten Jahren, um das Frauenzimmer und die Liebe, fast gantz und gar nichts bekümmerte. War auch nichts weniger, als aus der intention mit nach Hispaniola gegangen, um etwa eine Frau vor mich daselbst zu holen, sondern nur bloß meine Hertzhafftigkeit zu zeigen, und etwas Geld zu gewinnen. Allein itzo, da ich in gröster Noth stack, und kein sicheres Mittel zu meiner Freyheit zu gelangen sahe, nahm meine Zuflucht endlich zu der Venus, weil mir doch Apollo, Mars und Neptunus, ihre Hülffe gäntzlich zu verwegern schienen.

     [73] Eines Tages da ich des Gouverneurs Tochter, nebst ihren Cammer=Mägdgen, auf ein nah gelegenes Land=Gut spatzieren gefahren, und im Garten gantz allein bey der erstern war, setzte sich dieselbe auf eine grüne Banck nieder, und redete mich auf eine freye Art also an: Wolffgang! sagt mir doch was ihr vor ein Lands Mann seyd, und warum man euch niemals so lustig als andere Stall=Bedienten siehet. Ich stutzte anfänglich über diese Anrede, gab aber bald darauff mit einem tieffgeholten Seuffzer zur Antwort: Gnädiges Fräulein, ich bin ein Teutscher von Geburth, zwar von mittelmäßigen Herkommen, habe ich aber in Holländischen Diensten durch meine Courage, biß zu dem Posten eines Unter=Hauptmanns geschwungen, und letztens auf dieser Insul das Unglück empfunden, gefährlich blessirt und Gefangen zu werden. Hierauff erwiederte sie mit einer niedergeschlagenen und etwas negligent scheinenden mine: Ich hätte euch zum wenigsten wegen eurer guten Visage, Adelichen Herkommens geschätzt. Stund damit auf, und gieng eine gute Zeit in tiefen Gedancken gantz allein vor sich spatzieren. Ich machte allerhand Glossen über ihre Reden, und war mir fast leyd, daß ich von meinem Stande nicht etwas mehr geprahlet hatte, doch vielleicht (gedachte ich,) gehet es in Zukunfft mit guter manier besser an. Es geschahe auch, denn ehe wir wieder zurück fuhren, nahm sie Gelegenheit, mir mit einer ungemeinen verliebten Mine noch dieses zu sagen: Wolffgang! Wo euch an eurer Freyheit, Glück und Vergnügen etwas gelegen; so scheuet euch nicht, mir von eurem [74] Stande und Wesen nähere Nachricht zu geben, und seyd versichert, daß ich euer Bestes eilig befördern will und kan, absonderlich wo ihr einige Zärtlichkeit und Liebe vor meine Person heget. Sie wurde bey den letztern Worten Feuerroth, sahe sich nach ihren Mägdgen um, und sagte noch zu mir: Ihr habt die Erlaubniß mir in einem Briefe euer gantzes Hertz zu offenbaren, und könnet denselben morgen meinem Mägdgen geben, seyd aber redlich und verschwiegen.

     Man wird mich nicht verdencken, daß ich diese schöne Gelegenheit meine Freyheit zu erlangen, mit beyden Händen ergriff. Donna Salome (so hieß das Fräulein,) war eine wohlgebildete Person von 17. biß 18. Jahren, und solte einen, zwar auch noch jungen, aber einäugigen und sonst überaus heßlichen Spanischen wohlhabenden Officier heyrathen, welches ihre eigene Mutter selbst nicht billigen wolte, aber doch von dem eigensinnigen Gouverneur darzu gezwungen wurde. Ich könte diesem nach eine ziemlich weitläufftige Liebes=Geschicht von derselben und mir erzehlen, allein es ist mein Werck nicht. Kurtz! Ich schrieb an die Donna Salome, und machte mich nach ihrem Wunsche selbst zum Edelmanne, entdeckte meine zu ihr tragende hefftige Liebe, und versprach alles, was sie verlangen könte, wo sie mich in meine Freyheit setzen wolte.

     Wir wurden in wenig Tagen des gantzen Krahms einig. Ich that ihr einen Eyd, sie an einen sichern Orth, und so bald als möglich, nach Europa zu führen, mich mit ihr ordentlich zu verheyrathen, [75] und sie Zeit Lebens vor meine rechte Ehe=Gemahlin zu ehren und zu lieben. Hergegen versprach sie mir, nebst einem Braut=Schatze von 12000. Ducaten und andern Kostbarkeiten, einen sichern Frantzösischen Schiffer auszumachen, der uns vor gute Bezahlung je ehe je lieber nach der Insul Bon air bringen solte.

     Unser Anschlag gieng glücklich von statten, denn so bald wir erlebten, daß der Gouverneur in eigener Person jene Seite der Insul visitirte, packten wir des Nachts unsere Sachen auf leichte, darzu erkauffte Pferde, und jagten von sonst niemand als ihren Mägdgen begleitet, in etlichen Stunden an dasjenige Ufer, allwo der bestellte Frantzösische Schiffer unserer mit einem leichten Jagd=Schiffe wartete, uns einnahm, und mit vollen Seegeln nach Bon air zu eilete. Daselbst landeten wir ohne einig auszustehende Gefahr an, man wolte uns zwar anfänglich das Aussteigen nicht vergönnen, jedoch, so bald ich mich melden ließ, und erkannt wurde, war die Freude bey einigen guten Freunden und Bekandten unbeschreiblich, welche dieselben über mein Leben und glückliche Wiederkunfft bezeigten. Denn man hatte mich nun seit etlichen Jahren längst vor todt gehalten.

     Monsieur van der Baar, mein gantz besonderer Freund, und ehemaliger Schiffs=Quartier=Meister, war Vice=Gouverneur daselbst, und ließ mir, vor mich, und meine Liebste, sogleich ein fein erbautes Hauß einräumen, nach etlichen Tagen aber, so bald wir uns nur ein wenig eingerichtet, muste uns einer von den zwey daselbst befindlichen Holländi=[76]schen Priestern ehelich zusammen geben. Ich ließ auf mehr als 50. Personen eine, nach dasiger Beschaffenheit, recht kostbare Mahlzeit zurichten, vor alle andern aber, auch so gar vor die Indianischen Familien, weiß Brod, Fleisch, Wein und ander starck Geträncke austheilen, damit sich nebst mir, jederman zu erfreuen einige Ursach haben möchte. Der Vice=Gouverneur ließ mir zu Ehren, beym Gesundheit Trincken, die Stücken auf den Batterien tapffer abfeuren, damit auch andere Insulaner hören möchten, daß in selbiger Gegend etwas Besonderes vorgienge, kurtz, wir lebten etliche Tage, auf meine Kosten, rechtschaffen lustig. Meine nunmehrige Ehe=Liebste, die Donna Salome, war so hertzlich vergnügt mit mir, als ich mit ihr, indem ich nun erst in ihren süssen Umarmungen empfand, was rechtschaffene Liebe sey. Es solte mancher vermeinen, ich würde am allerersten nach meinen vergrabenen Schätzen gelauffen seyn, allein ich bin warhafftig so gelassen gewesen, und habe dieselbe erst 8. Tage nach unserer Hochzeit gesucht, auch ohnversehrt glücklich wieder gefunden, und meiner Liebste dieselben in der Stille gezeiget. Sie erstaunete darüber, indem sie mich nimmermehr so reich geschätzt, nunmehro aber merckte, daß sie sich an keinen Bettel=Mann verheyrathet habe, und derowegen vollkommen zufrieden war, ohngeacht ich ihr offenbarete, daß ich kein Edelmann, sondern nur aus Bürgerlichen Stande sey.

     Vier Monath nach meiner glücklichen Wiederkunfft, nachdem wir unsere Haußhaltung in vortrefflichen Stand gesetzt, hatte ich die Freude, mei=[77]nen alten Capitain zu umarmen, welcher eben aus Holland wieder zurück kam, und nicht allein die Confirmation über seine Gouverneur=Charge, sondern auch weit wichtigere Vollmachten, nebst vielen höchstnöthigen Dingen, in 3. Schiffen mit brachte. Er erzehlete mir, daß, nach der Versicherung meines Todes, er alsofort mein zurückgelassenes Vermögen durch redliche und theils gegenwärtige Personen taxiren lassen, welches sich auf 6.tausend Thlr. werth belauffen, hiervon habe er meinem jüngern Bruder, den er nach Amsterdam zu sich verschrieben, vor ihn und das andere Geschwister 5000. Thlr. gezahlet, ein tausend aber vor sich selbst zur Erbschafft, vor die meinetwegen gehabte Mühe, behalten, welche er mir aber nunmehro, da er die Freude hätte, mich wieder zu finden, gedoppelt bezahlen wolte; Allein, ich hatte eine solche Freude über seine Redlichkeit, daß ich ihn beschwur, hiervon nichts zu gedencken, indem ich, weil ich vergnügt wäre, mich reich genug zu seyn schätze, und wohl wüste, daß ihm selbst ein noch weit mehreres schuldig sey.

     Wir lebten nachhero in der schönsten Einträchtigkeit beysammen, Monsieur van der Baar muste mit 50. Mannen, und allerhand ihm zugegebenen nothdürfftigen Sachen, eine andere kleine Insul bevölckern, ich aber wurde an dessen Statt Vice=Gouverneur, und war fast nicht mehr willens, in Zukunfft auf Frey=Beuterey auszugehen, sondern, bey meiner Liebens=würdigen Salome, mein Leben in Ruhe zuzubringen, wie denn dieselbe ihr Verlangen nach Europa gäntzlich fahren ließ, und [78] nichts mehr wünschte, als in meiner beständigen Gegenwart Lebens=lang auf dieser Insul zu bleiben. Allein, o Jammer! mein innigliches Vergnügen währete nicht lange, denn da meine Hertz=allerliebste Ehe=Frau im zehenden Monath nach unserer Copulation durch eine entsetzliche schwere Geburth eine todte Tochter zur Welt gebracht hatte, vermerckte sie bald darauf die Anzeigungen ihres eigenen herran nahenden Todes. Sie hatte sich schon seit etlichen Wochen mit den Predigern, der Religion wegen, fast täglich unterredet, und alle unsere Glaubens=Articul wohl gefasset, nahm derowegen aus hertzlichen Verlangen nach dem heiligen Abendmahle die Protestantische Religion an, und starb folgenden Tages sanfft und seelig.

     Ich mag meinen Schmertzen, den ich damahls empfunden, in Gegenwart anderer voritzo nicht erneuern, sondern will nur so viel sagen, daß ich fast nicht zu trösten war, und in beständiger Tieffsinnigkeit nirgends Ruhe zu suchen wußte, als auf dem Grabe meiner Liebsten, welches ich mit einem ziemlich wohl ausgearbeiteten Steine bedeckte und mit eigener Hand folgende Zeilen darauf meisselte:

     Hier liegt ein schöner Raub, den mir der Todt geraubt,
     Nachdem der Freyheits=Raub den Liebes=Raub erlaubt.
     Es ist ein seelig Weib. Wer raubt ihr diesen Orden?
     Doch ich als Wittber, bin ein Raub des Kummers worden.

     [79] Unten drunter meisselte ich fernere Nachricht von ihrer und meiner Person, nebst der Jahr=Zahl, ein, um die Curiosität der Nachkommen zu vergnügen, ich hergegen wuste weiter fast nichts mehr von einigen Vergnügen in der Welt, ward dannenhero schlüssig, wieder nach Europa zu gehen, um zu versuchen, ob ich daselbst, als in der alten Welt, einige Gemüths=Ruhe finden, und meine Schmertzen bey der begrabenen geliebten Urheberin derselben in der Neuen Welt zurück lassen könte. Dieses mein Vorhaben entdeckte ich dem Capitain, als unsern Gouverneur, welcher mir nicht allein die hierzu benöthigten freywilligen Leute, sondern auch eins der besten Schiffe, mit allen Zubehör versehen, auszulesen, ohne die allergeringste Schwierigkeit, vielmehr mit rechten Freuden, erlaubte. Jedoch mich inständig bat, bald wieder zu kommen, zumahlen, wenn ich meine Meublen und Baarschafften wohl angelegt hätte.

     Ich versprach alles, was er von mir verlangte, und seegelte, nachdem er mich mit vielen wichtigen Commissionen und guten Passporten versehen, im Nahmen des Himmels von der mir so lieb gewesenen Insel nach Europa zu, und kam, ohne besondere Hinderniß, nach verflossener ordentlicher Zeit glücklich in Amsterdam an.

     Binnen 2. Monathen richtete alle mir aufgetragene Commissionen aus, überließ das Schiff an meines Capitains Compagnons, und gab ihnen zu verstehen, daß erstlich in mein Vaterland reisen, und mich allda resolviren wolte, ob es wei=[80]ter mein Werck seyn möchte, wieder in See zu gehen oder nicht. Packte nachhero alles mein Vermögen auf, und ging nach Lübeck zu meinem ehemahligen Patrone, der mich mit grösten Freuden empfing, in sein Hauß auf so lange aufnahm, biß ich einen richtigen Schluß gefasset, wohin mich nunmehro wenden wolte. Da mir aber dieser mein Patron erzehlete, daß sein Sohn, mit dem ich ehemahls in Grypswalde studiret, nunmehro vor ein paar Jahren einen ansehnlichen Dienst in Dantzig bekommen hätte, machte mich auf die Reise, ihn daselbst zu besuchen, nachdem ich vorhero meinem Bruder, der ohne mich der jüngste war, schrifftlich zu wissen gethan, daß er mich in Dantzig antreffen würde.

     Derselbe nun hatte sich nicht gesäumet, sondern war noch zwey Tage eher als ich bey dem beschriebenen guten Freunde eingetroffen, indem nun ich auch arrivirte, weiß ich nicht, ob ich bey dem Bruder oder dem Freunde mehr Freude und Liebes=Bezeugungen antraff, wenigstens stelleten sie sich einander gleich. Nachdem wir uns aber etliche Tage rechtschaffen mit einander ergötzt, schickte ich meinen Bruder mit einem ansehnlichen Stück Geldes nach meinem Vaterlande, und überließ ihn die Sorge, durch einen geschickten Juristen, einen Pardon=Brief bey der höchsten Landes=Obrigkeit vor mich auszuwircken, wegen des in Franckfurt erstochenen Studenten. Weil nun mehrentheils auf der Welt das Geld alles ausmachen kan, so war auch ich in diesem Stück nicht unglücklich, sondern erhielt nach Verlauff etlicher [81] Wochen den verlangten Pardon=Brief, und konte nach genommenen zärtlichen Abschiede von meinem Freunde sicher in meine Geburths=Stadt reisen, nachdem ich in Dantzig die Zeit ungemein vergnügt zugebracht, und mit den vornehmsten Kauff= und andern Leuten genaue Kund= und Freundschafft gepflogen hatte.

     Meine Geschwister, Bluts= und Muths=Freunde empfingen mich mit gantz ausserordentlichen Vergnügen, konte also in den ersten 4. Wochen wenig thun, als zu Gaste gehen, nachhero ließ mich zwar bereden, daselbst in Ruhe zu bleiben, zu welchem Ende ich ein schönes Gut kauffen, und eine vortheilhafft Mariage treffen solte, allein, weil es vielleicht nicht seyn solte, muste mir eine unverhoffte Verdrüßlichkeit zustossen, die zwar an sich selbst wenig importirte, allein ich ward auf einmahl capricieus, setzte meinen Kopff auf, resolvirte mich, wieder zur See zu gehen, und reisete, nachdem ich mich über ein Jahr zu Hause aufgehalten, meine Verwandten und Freunde auch reichlich beschenckt, ohne fernern Zeit=Verlust wieder nach Amsterdam.

     Es hielt daselbst nicht schwer, einen neuen Brief vor mich als Capitain eines Frey=Beuter Schiffs heraus zu kriegen, zumahl da mich selbst equippiren wolte, ich warb Leute an, bekam aber, wie ich nachhero erfahren muste, zu meinem Unglücke den Abschaum aller Schelmen, Diebe, und des allerliederlichsten Gesindels auf meinem Schiff, mit selbigen wolte ich nun eine neue Tour nach West=Indien vornehmen, so bald mich aber nur auf dem [82] grossen Atlantischen Meere befand, änderten sie auf Einrathen eines Ertz=verruchten Bösewichts, der sich Jean le Grand nennete, und den ich wegen seines guten Ansehens und verstellten rechtschaffenen Wesens, zum nächsten Commandeur nach mir gemacht hatte, ihre Resolution, und zwungen mich, sie nach Ost=Indien zu führen. Ihr ungestümes Wesen ging mir zwar sehr im Kopffe herum, jedoch ich muste klüglich handeln, und mich in die Zeit schicken, da aber ihre Boßheit überhand nahm, und von einigen die verzweiffeltesten und liederlichsten Streiche gemacht wurden, ließ ich die Rädels=Führer exemplarisch bestraffen, setzte auch hiermit, meines Bedünckens, die übrigen alle in ziemliche Furcht. Immittelst waren wir allbereit die Linie passiret, als uns ein entsetzlicher Sturm von der Ost=Indischen Strasse ab= im Gegentheil nach dem Brasilischen Meere hin, wo das Mittägliche America liegt, getrieben hatte. Ich brauchte alle meine Beredsamkeit diesen uns von dem Glückgewiesenen Weg zu verfolgen, und versicherte, daß wir in America unser Conto weit besser finden würden, als in Ost=Indien; allein, meine Leute wolten fast alle anfangen zu rebelliren, und durchaus meinem Kopffe und Willen nicht folgen, weßwegen ich ihnen auch zum andern mahle nachgab, allein, sie erfuhren es mit Schaden, weil wir in öfftern Stürmen bey nahe das Leben und alles verlohren hätten. Endlich erholeten wir uns auf einer gewissen Insul in etwas, und waren allbereits den Tropicum capricorni passiret, da mir die unruhigsten Köpffe abermahls allerhand verfluchte [83] Händel auf dem Schiffe machten. Ich wolte die ehemalige Schärffe gebrauchen, allein, Jean le Grand trat nunmehro öffentlich auf, und sagte: Es wäre keine Manier, Frey=Beuter also zu tractiren, ich solte mich moderater aufführen, oder man würde mir etwas anders weisen.

     Dieses war genung geredet, mich völlig in Harnisch zu jagen, kaum konte mich enthalten, ihm die Fuchtel zwischen die Ohren zu legen, doch ließ ihn durch einige annoch Getreuen in Arrest nehmen, und krumm zusammen schliessen. Hiermit schien es, als ob alle Streitigkeiten beygelegt wären, indem sich kein eintziger mehr regte, allein, es war eine verdammte List, mich, und diejenigen, die es annoch mit mir hielten, recht einzuschläffern. Damit ich es aber nur kurtz mache: Einige Nächte hernach machten die Rebellen den Jean le Grand in der Stille von seinen Ketten loß, erwehleten ihn zu ihrem Capitain, mich aber überfielen sie des Nachts im Schlaffe, banden meine Hände und Füsse mit Stricken, und legten mich auf den untersten Schiffs=Boden, allwo zu meinem Lebens=Unterhalte nichts anders bekam als Wasser und Brod. Die Leichtfertigsten unter ihnen hatten beschlossen gehabt, mich über Boord in die See zu werffen, doch diejenigen, so noch etwa einen halben redlichen Bluts=Tropffen im Leibe gehabt, mochten diesen unmenschlichen Verfahren sich eifferig widersetzt haben, endlich aber nach einem abermahls überstandenen hefftigen Sturme, da das Schiff nahe an einem ungeheuern Felsen auf den Sand getrieben worden, und nach 2. Tagen erst
=[84]lich wieder Flott werden konte, wurde ich, vermittelst eines kleinen Boots, an dem wüsten Felsen ausgesetzt, und muste mit thränenden Augen die rebellischen Verräther mit meinem Schiffe und Sachen davon seegeln, mich aber von aller menschlichen Gesellschafft und Hülffe an einen gantz wüsten Orte gäntzlich verlassen sehen. Ich ertrug mein unglückliches Verhängniß dennoch mit ziemlicher Gelassenheit, ohngeacht keine Hoffnung zu meiner Erlösung machen konte, zudem auch nicht mehr als etwa auf 3.Tage Proviant von der Barmhertzigkeit meiner unbarmhertzigen Verräther erhalten hatte, stellete mir derowegen nichts gewissers, als einen baldigen Todt, vor Augen. Nunmehro fing es mich freylich an zu gereuen, daß ich nicht auf der Insul Bon air bey dem Grabe meiner liebsten Salome, oder doch im Vaterlande, das Ende meines Lebens erwartet, so hätte doch versichert seyn können, nicht so schmählich zu sterben, und da ich ja gestorben, ehrlich begraben zu werden; allein es halff hier nichts als die liebe Gedult und eine christliche Hertzhafftigkeit, dem Tode getrost entgegen zu gehen, dessen Vorbothen sich in meinem Magen und Gedärme, ja im gantzen Cörper nach aufgezehrten Proviant und bereits 2. tägigem Fasten deutlich genung spüren liessen.

     Die Hitze der Sonnen vemehrete meine Mattigkeit um ein grosses, weßwegen ich an einen schattigten Ort kroch, allwo ein klares Wasser mit dem grösten Ungestüm aus dem Felsen heraus geschossen kam, hiermit, und dann mit einigen halbverdorreten Kräutern und Wurtzeln, die doch sehr [85] sparsam an dem rings herum gantz steilen Felsen anzutreffen waren, konte ich mich zum Valet=Schmause auf der Welt noch in etwas erquicken. Doch unversehens hörete die starcke Wasser=Fluth auf einmahl auf zu brausen, so, daß in Kurtzen fast kein eintziger Wasser=Tropfen mehr gelauffen kam. Ich wuste vor Verwunderung und Schrecken nicht, was ich hierbey gedencken solte, brach aber in folgende wehmüthige Worte aus: So muß denn, armseeliger Wolffgang! da der Himmel einmahl deinen Untergang zu beschleunigen beschlossen hat, auch die Natur den ordentlichen Lauff des Wassers hemmen, welches vielleicht an diesem Orte niemahls geschehen ist, weil die Welt gestanden hat, ach! so bete denn, und stirb. Ich fing also an, mit weinenden Augen, den Himmel um Vergebung meiner Sünden zu bitten, und hatte den festen Vorsatz, in solcher heissen Andacht zu verharren, biß mir der Todt die Augen zudrückte.

     Was kan man doch vor ein andächtiger Mensch werden, wenn man erstlich aller menschlichen Hülffe beraubt, und von seinem Gewissen überzeugt ist, daß man der Göttlichen Barmhertzigkeit nicht würdig sey? Ach! da heist es wohl recht: Noth lernet beten. Doch ich bin ein lebendiger Zeuge, daß man die Göttliche Hülffe sodann erstlich rechtschaffen erkennen lerne, wenn uns alle Hoffnung auf die menschliche gäntzlich entnommen worden. Doch weil mich GOtt ohnfehlbar zu einem Werckzeuge ausersehen, verschiedenen Personen zu ihrer zeitlichen, noch mehrern aber zu ihrer geistlichen Wohlfarth behülfflich zu seyn, so hat er mich auch [86] in meiner damahligen allergrösten Lebens=Gefahr, und zwar folgender Gestalt, wunderlich erhalten:

     Als ich mich nach Zurückbleibung der Wasser=Fluth in eine Felsen=Klufft hinein geschmieget, und unter beständigen lauten Seuffzenund Bethen mit geschlossenen Augen eine baldige Endigung meiner Quaal wünschte; hörete ich eine Stimme in Teutscher Sprache folgende Worte nahe bey mir sprechen: Guter Freund, wer seyd ihr? und warum gehabt ihr euch so übel? So bald ich nun die Augen aufschlug, um 6. Männer in gantz besonderer Kleidung mit Schieß= und Seiten=Gewehr vor mir stehen sahe, kam mein auf der Reise nach der Ewigkeit begriffener Geist plötzlich wieder zurücke, ich konte aber, ich glaube, theils vor Schrecken, theils vor Freuden kein eintzig Wort antworten, sie redeten mir derowegen weiter zu, erquickten mich mit einem besonders wohlschmeckenden Geträncke und etwas Brodt, worauf ihnen meine gehabten Fatalitäten kürtzlich erzehlete, um alle möglichste Hülffe, gegen bevorstehende Gefahr zu verhungern anhielt, und mich anbey erkundigte, wie es möglich wäre, an diesem wüsten Orthe solche Leute anzutreffen, die meine Mutter=Sprache redeten? Sie bezeugten durch Gebärden ein besonderes Mitleyden wegen meines gehabten Unglücks, sagten aber: Guter Freund, sorget vor nichts, ihr werdet an diesem wüste und unfruchtbar scheinenden Orthe alles finden, was zu eurer Lebens=Fristung nöthig seyn wird, gehet nur mit uns, so soll euch in dem, was ihr zu wissen verlanget, vollkommenes Genügen geleistet werden.

     [87] Ich ließ mich nicht zweymahl nöthigen, wurde also von ihnen in den Schlund des Wasser=Falles hinein geführet, allwo wir etliche Stuffen in die Höhe stiegen, hernach als in einem finstern Keller, zuweilen etwas gebückt, immer aufwärts gingen, so, daß mir wegen unterschiedlicher einfallender Gedancken angst und bange werden wolte, indem ich mir die 6. Männer bald als Zauberer, bald als böse, bald als gute Engel vorstellete. Endlich, da sich in diesem düstern Gewölbe das Tages=Licht von ferne in etwas zeigte, fassete ich wieder einen Muth, merckte, daß, je höher wir stiegen, je heller es wurde, und endlich kamen wir an einem solchen Orthe heraus, wo meine Augen eine der allerschönsten Gegenden von der Welt erblickten. An diesem Ausgange waren auf der Seite etliche in Stein gehauene bequeme Sitze, auf deren einen ich mich niederzulassen und zu ruhen genöthiget wurde, wie sich denn meine Führer ebenfals bey mir niederliessen, und fragten: Ob ich furchtsam und müde worden wäre? Ich antwortete: Nicht sonderlich. Hatte aber meine Augen beständig nach der schönen Gegend zugewand, welche mir ein irdisch Paradieß zu seyn schien. Mittlerweile bließ der eine von meinen Begleitern 3.mahl in ein ziemlich grosses Horn, so er an sich hangen hatte, da nun hierauf 6. mahl geantwortet worden, ward ich mit Erstaunen gewahr, daß eine gewaltige starcke Wasser=Fluth in dem leeren Wasser=Graben hergeschossen kam, und sich mit gräßlichen Getöse und grausamer Wuth in diejenige Oeffnung hinein stürtzte, wo wir herauf gekommen waren.

     [88] So viel ists Messieurs, sagte hier der Capitain Wolffgang, als ich euch vor dießmahl von meiner Lebens=Geschicht erzehlet haben will, den übrigen Rest werdet ihr bey bequemerer Gelegenheit ohne Bitten erfahren, geduldet euch nur, biß es erstlich Zeit darvon ist. Hiermit nahm er, weil es allbereit ziemlich spät war, Abschied von den andern, mich aber führete er mit in seine Cammer, und sagte: Mercket ihr nun, mein Sohn, Monsieur Eberhard Julius! daß eben diese Gegend, welche ich itzo als ein irrdisches Paradieß gerühmet, dasjenige Gelobte Land ist, worüber euer Vetter, Albertus Julius, als ein Souverainer Fürst regieret? Ach, betet fleißig, daß uns der Himmel glücklich dahin führet, und wir denselben noch lebendig antreffen, denn den weitesten Theil der Reise haben wir fast zurück gelegt, indem wir in wenig Tagen die Linie passiren werden. Hierauf wurde noch ein und anderes zwischen mir und ihm verabredet, worauf wir uns beyderseits zur Ruhe legten.

     Es traff ein, was der Capitain sagte, denn 5.Tage hernach kamen wir unter die Linie, allwo doch vor dieses mahl die sonst gewöhnliche excessive Hitze nicht eben so sonderlich war, indem wir unsere ordentliche Kleidung ertragen, und selbige nicht mit leichten Leinwand=Kitteln verwechseln durfften. Unsere Matrosen hingegen vergassen bey dieser Gelegenheit ihre wunderlichen Gebräuche wegen des Tauffens nicht, sondern machten bey einer lächerlichen Masquerade mit denenjenigen, so die Linie zum ersten mahle passirten, und sich [89] nicht mit Geld lösen wolten, eine gantz verzweiffelte Wäsche, ich nebst einigen andern blieb ungehudelt, weiln wir jeder einen Species Thaler erlegten, und dabey angelobten, Zeit Lebens, so offt wir an diesen Ort kämen, die Ceremonie der Tauffe bey den Neulingen zu beobachten.

     Die vortrefflich schöne Witterung damahliger Zeit, verschaffte uns, wegen der ungemeinen Windstille, zwar eine sehr langsame, doch angenehme Fahrt, der gröste Verdruß war dieser, daß das süsse Wasser, so wir auf dem Schiffe führeten, gar stinckend und mit eckeln Würmern angefüllet wurde, welches Ungemach wir so lange erdulden musten, biß uns der Himmel an die Insul St. Helenæ führete. Diese Insul ist von gar guten Leuten, Englischer Nation, bewohnt, und konten wir daselbst nicht allein den Mangel des Wassers, sondern auch vieler andern Nothwendigkeiten ersetzen, welches uns von Hertzen wohlgefiel, ohngeacht wir binnen denen 12. Tagen, so wir daselbst zubrachten, den Geld=Beutel beständig in der Hand haben musten.

     Wenn der Capitain den wollüstgen Leuten unsers Schiffs hätte zu gefallen leben wollen, so lägen wir vielleicht annoch bey dieser Insul vor Ancker, indem sich auf derselben gewiß recht artig Frauenzimmer antreffen ließ, allein er befand, ehe sich dieselben ruinirten, vor rathsam, abzuseegeln, da wir denn am 15. Octobr. den Tropicum Capricorni passirten, allwo die Matrosen zwar wieder eine neue Tauffe anstelleten, doch nicht so scharffe Lauge gebrauchten, als unter der Linie.

     [90] Wenig Tage hernach fiel ein verdrüßliches Wetter ein, und ob es wohl nicht beständig hinter einander her regnete, so verfinsterte doch ein anhaltender gewaltig=dicker Nebel fast die gantze Lufft, und konten wir um Mittags=Zeit die Sonne sehr selten und trübe durch die Wolcken schimmern sehen. Wenn uns der Wind so ungewogen als das Wetter gewesen wäre, hätten wir uns des übelsten zu befürchten gnugsame Ursach gehabt, doch dessen gewöhnliche Wuth blieb in ziemlichen Schrancken, obgleich der Regen und Nebel biß in die dritte Woche anhielt.

     Endlich zertheilte sich zu unsern allerseits grösten Vergnügen so wohl Regen als Nebel, indem sich die Sonne unsern Augen in ihrer schönsten Klarheit, der Himmel aber ohne die geringsten Wolcken als ein blaugemahltes Gewölbe zeigte. Und gewißlich diese Allmachts=Geschöpffe erweckten in uns desto grössere Verwunderung, weil wir ausser denselben sonst nichts sehen konten als unser Schiff, die offenbare See, und dann und wann einige schwimmenden Kräuter. Wir bekamen zwar einige Tage hernach auch verschiedene Seltsamkeiten, nemlich See=Kühe, See=Kälber und See=Löwen, Delphine, rare Vögel und dergleichen zu Gesichte, aber nichts fiel mir mit mehrern Vergnügen in die Augen, als, da der Capitain Wolffgang eines Tages sehr frühe mit aufgehender Sonne mir sein Perspectiv gab, und sagte: Sehet, mein Sohn! dorten von ferne denjenigen Felsen, worauf nächst GOtt eure zeitliche Wohlfahrt gegründet ist. Ich wuste mich vor Freuden fast nicht zu lassen, als ich [91] diesen vor meine Person so glücklichen Ort nur von ferne erblickte, ohngeacht ich nichts wahrnehmen konte, als einen ungeheuern aufgethürmten Stein=Klumpen, welcher auch, je näher wir demselben kamen, desto fürchterlicher schien, doch weil mir der Capitain in Geheim allbereits eine gar zu schöne Beschreibung darvon gemacht hatte, bedünckten mich alle Stunden Jahre zu werden, ehe wir diesem Trotzer der Winde und stürmenden Meeres=Wellen gegen über Ancker wurffen.

     Es war am 12. Novemb. 1725. allbereit nach Untergang der Sonnen, da wir in behöriger Weite vor dem Felsen die Ancker sincken liessen, weil sich der Capitain vor den ihm gantz wohlbekandten Sand=Bäncken hütete. So bald dieses geschehen, ließ er kurtz auf einander 3. Canon=Schüsse thun, und bald hernach 3.Raqueten steigen. Nach Verlauff einer Viertheils Stunde musten abermahls 3. Canonen abgefeuert, und bey jedem 2.Raqueten gezündet werden, da denn alsofort von dem Felsen mit dreyen Canonen=Schüssen geantwortet wurde, worbey zugleich 3. Raqueten gegen unser Schiff zugeflogen kamen, welches bey denen, so keinen Bescheid von der Sache hatten, eine ungemeine Verwunderung verursachte. Der Capitain aber ließ noch 6. Schüsse thun, und biß gegen Mitter=Nacht alle Viertel Stunden eine Raquete steigen, auch Lust=Kugeln und Wasser=Kegel in die See spielen, da denn unsern Raqueten allezeit andere von dem Felsen entgegen kamen, um Mitter=Nacht aber von beyden Seiten mit 3. Canonen=Schüssen beschlossen wurde.

     [92] Wir legten uns hierauf mehrentheils zur Ruhe, biß auf einige, welche von des Capitains generositeé überflüßig profitiren wolten, und sich theils bey einem Glase Brandtewein, theils bey einer Schaale Coffeé oder Canarien=Sect noch tapffer lustig machten, biß der helle Tag anbrach. Demnach hatten wir schon ausgeschlaffen, da diese nassen Brüder noch nicht einmahl müde waren. Capitain Wolffgang ließ, so bald die Sonne aufgegangen war, den Lieutenant Horn nebst allen auf dem Schiffe befindlichen Personen zusammen ruffen, trat auf den Oberlof, und that ohngefähr folgende Rede an die sämmtlich Versammleten:

     Messieurs und besonders gute Freunde! Es kan euch nicht entfallen seyn, was ich mit einem jeden ins besondere, hernach auch mit allen insgesammt öffentlich verabredet, da ich euch theils in meiner Compagnie zu reisen, theils aber in meine würcklichen Dienste aufgenommen habe. Die meisten unter euch haben mir einen ungezwungenen Eyd über gewisse Puncte, die ich ihnen wohl erkläret habe, geschworen, und ich muß euch allen zum immerwährenden Ruhme nachsagen, daß nicht ein eintziger, nur mit der geringsten Gebärde, darwider gehandelt, sondern einer wie der andere, vom grösten biß zum kleinesten, sich dergestalt gegen mich aufgeführet, wie ich von honetten, rechtschaffenen Leuten gehofft habe. Nunmehro aber, lieben Kinder, ist Zeit und Ort vorhanden, da ich nebst denen, die ich darzu auf= und angenommen, von euch scheiden will. Nehmet es mir nicht übel, denn es ist vorhero so mit euch verabredet worden. Sehet, [93] ich stelle euch hier an meine Statt den Lieutenant Philipp Willhelm Horn zum Capitain vor, ich kenne seine treffliche Conduite, Erfahrenheit im See=Wesen und andere zu solcher Charge erforderliche Meriten, folget meinem Rathe und seinem Anführen in guter Einträchtigkeit, so habt ihr mit Göttl. Hülffe an glücklicher Außführung eures Vorhabens nicht zu zweiffeln. Ich gehe nun an meinen auserwehlten Ort, allwo ich die übrige Zeit meines Lebens, ob GOTT will, in stiller Ruhe hinzu bringen gedencke. GOTT sey mit euch und mir. Ich wünsche euch allen, und einem jeden ins besondere, tausendfaches Glück und Seegen, gedencket meiner allezeit im Besten, und seyd versichert, daß ich eure an mir erwiesene Redlichkeit und Treue, allezeit danckbar zu erkennen suchen werden, denn wir können einander in Zukunfft dem ohngeacht wol weiter dienen. Inzwischen da ich mein Schiff nebst allen dem was ihr zur Ost=Indischen Reise nöthig habt, an den Capitain Horn, vermöge eines redlichen Contracts überlassen habe, wird hoffentlich niemand scheel sehen, wenn ich diejenigen Meublen so vor mich allein mitgenommen, davon abführe, hernachmals freundlichen Abschied nehme, und euch ingesammt Göttl. Schutz empfehle.

     Man hätte, nachdem der Capitain Wolffgang diese seine kleine Oration gehalten, nicht meinen sollen, wie niedergeschlagen sich alle und jede, auch die sonst so wilden Boots=Knechte bezeugten. Ein jeder wolte der erste seyn, ihn mit Thränenden Augen zu umarmen, dieser fiel ihm um den Halß, jener küssete ihm die Hände, andere Demüthigten sich [94] noch tieffer, so daß er selbst weinen und mit manier Gelegenheit suchen muste, von allen Liebkosungen loß zu kommen. Er hielt hierauff noch eine kleine Rede an den neuen Capitain, stellete ihm das Behörige zum Uberflusse nochmals vor, ließ allen, die sich auf dem Schiffe befunden, abermals Wein und ander starckes, auch gelinderes und lieblicher Geträncke reichen, aus den Canonen aber tapffer Feuer geben. Währender Zeit wurden unsere Sachen von dem Schiffe auf Boote gepackt, und nach und nach hinüber an den Felsen geschafft, womit wir zwey vollkommene Tage zubrachten, ohngeachtet von Morgen biß in die Nacht aller Fleiß angelegt wurde.

     Am allerwundersamsten kam es einen jeden vor, daß der Capitain an einem solchen Felsen bleiben wolte, wo weder Graß, Kraut noch Bäume, vielweniger Menschen zu sehen waren, weßwegen sich auch einige nicht enthalten konten, ihn darum zu befragen. Allein er gab ihnen lächelnd zur Antwort: Sorget nicht, lieben Kinder, vor mich und die ich bey mir habe, denn ich weiß daß uns GOTT wol erhalten kan und wird. Wer von euch in des Capitain Horns Gesellschafft wieder mit zurück kömmt, soll uns, ob GOTT will, wieder zu sehen und zu sprechen kriegen.

     Nachdem also alle Personen und Sachen so am Felsen zurück bleiben solten, hinüber geschafft waren, lichtete der Capitain Horn seine Ancker und nahm mit 4. Canonen=Schüssen von uns Abschied, wir danckten ihm gleichfalls aus 4. Canonen die Herr Capitain Wolffgang mit an den Felsen zu [95] bringen befohlen hatte, dieses aber war am vergnüglichsten, daß die unsichtbaren Einwohner des Felsens auch kein Pulver spareten, und damit anzeigten, daß sie uns Bewillkommen, jenen aber Glück auf die Reise wünschen wolten.

     Kaum hatte sich das Schiff aus unsern Augen verlohren, als, indem sich die Sonne bereits zum Untergange geneiget, die sämtlich Zurückgebliebenen ihre begierigen Augen auf den Capitain Wolffgang worffen, um solchergestalt stillschweigend von ihm zu erfahren, was er nunmehro mit uns anfangen wolte? Es bestunde aber unsere gantze Gesellschafft aus folgenden Personen:

         1. Der Capitain Leonhard Wolffgang, 45. Jahr alt.
         2. Herr Mag. Gottlieb Schmeltzer, 33. Jahr alt.
         3. Friedrich Litzberg ein Literatus, der sich meistens auf die Mathematique legte, etwa 30. Jahr alt.
         4. Johann Ferdinand Kramer, ein erfahrner Chirurgus, 33. Jahr alt.
         5. Jeremias Heinrich Plager, ein Uhrmacher und sonst sehr künstlicher Arbeiter, in Metall und anderer Arbeit, seines Alters 34. Jahr.
         6. Philipp Harckert, ein Posamentirer von 23. Jahren.
         7. Andreas Klemann, ein Pappiermacher, von 36. Jahren.
         8. Wilhelm Herrlich, ein Drechsler, 32. Jahr alt.
         [96]
         9. Peter Morgenthal, ein Kleinschmied, aber dabey sehr künstlicher Eisen=Arbeiter, 31. Jahr alt.
         10. Lorentz Wetterling, ein Tuchmacher, 34. Jahr alt.
         11. Philipp Andreas Krätzer, ein Müller, 36. Jahr alt.
         12. Jacob Bernhard Lademann, ein Tischler, 35. Jahr.
         13. Joh. Melchior Garbe, ein Büttner, von 28. Jahren.
         14. Nicolaus Schreiner, ein Töpffer=Geselle, von 22. Jahren.
         15. Ich, Eberhard Julius, damals alt, 19 1/2 Jahr.

     Was wir an Geräthschafften, Thieren und andern Sachen mit ausgeschifft hatten, wird gehöriges Orts vorkommen, derowegen erinnere nur nochmals das besondere Verlangen so wir allerseits hegten, nicht allein das Gelobte Land, darinnen wir wohnen solten, sondern auch die berühmten guten Leute zu sehen. Capitain Wolffgang merckte solches mehr als zu wohl, sagte derowegen: wir möchten uns nur diese Nacht noch auf dieser Städte zu bleiben gefallen lassen, weiln es ohnedem schon späte wäre, der morgende Tag aber solte der Tag unsers fröhlichen Einzugs seyn.

     Indem er nun wenig Worte verlieren durffte, uns alle nach seinen Willen zu lencken, setzte sich ein Theil der Unsern bey das angemachte Feuer nieder, dahingegen Herr M. Schmeltzer, ich und noch einige mit dem Capitain am Fusse des Felsens spa=[97]tzieren giengen und den herabschiessenden Wasser=Fluß betrachteten, welches gewiß in dieser hellen Nacht ein besonderes Vergnügen erweckte. Wir hatten uns aber kaum eine halbe Stunde hieran ergötzt, als unsere zurückgelassenen Leute, nebst dreyen Frembden, die grosse Fackeln in den Händen trugen, zu uns kamen.

     Ermeldte Frembde hatten bey den Unserigen, nach dem Capitain Wolffgang gefragt, und waren nicht allein dessen Anwesenheit berichtet, sondern auch aus Neugierigkeit biß zu uns begleitet worden. So bald die Frembden den Capitain erblickten, warffen sie sogleich ihre Fackeln zur Erden, und lieffen hinzu, selbigen alle drey auf einmal zu umarmen.

     Der Capitain, so die 3. Angekommenen sehr wol kennete, umarmete und küssete einen nach dem andern, worauf er nach kurtz gefasseten Grusse sogleich fragte: Ob der Altvater annoch gesund lebte? Sie beantworteten dieses mit Ja, und baten, er möchte doch alsofort nebst uns allen zu ihm hinauff steigen. Allein der Capitain versetzte: Meine liebsten Freunde! ich will die bey mir habenden Leute nicht zur Nachts=Zeit in diesen Lust=Garten der Welt führen, sondern erwarten, biß Morgen, so GOtt will, die Sonne zu unsern frohen Einzuge leuchtet, und uns denselben in einer natürlichen Schönheit zeiget. Erlaubet uns solches, fuhr er fort, und empfanget zuförderst diesen euren Bluts=Freund Eberhard Julium, welchen ich aus Teutschland mit anhero geführet habe.

     Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als sie [98] vor Freuden in die Höhe sprungen, und einer nach dem andern mich umfiengen und küsseten. Nachdem solchergestalt auch alle unsere Reise=Gefährten bewillkommet waren, bat der Capitain meine frembden Vettern, daß einer von ihnen hinauf steigen, dem Altvater seinen Gehorsam vermelden, anbey Erlaubniß bitten solte, daß er Morgen frühe, mit Aufgang der Sonnen, nebst 14. redlichen Leuten bey ihm einziehen dürffe. Es lief also Augenblicklich einer hurtig davon, um diese Commission auszurichten, die übrigen zwey aber setzten sich nebst uns zum Feuer, ein Glaß Canari=Sect zu trincken, und liessen sich vom Capitain erzehlen, wie es uns auf der Reise ergangen sey.

     Ich vor meine Person, da in vergangenen 2. Nächten nicht ein Auge zugethan hatte, konte nunmehro, da ich den Hafen meines Vergnügens erreicht haben solte, unmöglich mehr wachen, sondern schlieff bald ein, ermunterte mich auch nicht eher, biß mich der Capitain beym Aufgange der Sonnen erweckte. Meine Verwunderung war ungemein, da ich etliche 30. ansehnliche Männer in frembder doch recht guter Tracht um uns herum sahe, sie umarmeten und küsseten mich alle ordentlich nach einander, und redeten so feines Hoch=Teutsch, als ob sie gebohrne Sachsen wären. Der Capitain hatte indessen das Früh=Stück besorgt, welches in! Coffeé, Frantz=Brandtewein, Zucker=Brod und anderen Confituren bestund. So bald dieses verzehret war, blieben etwa 12. Mann bey unsern Sachen, die übrigen aber giengen mit uns nach der Gegend des Flusses, bey welchen wir gestern Abend gewesen [99] waren. Ich ersahe mit gröster Verwunderung, daß derselbe gantz trocken war, besonn mich aber bald auf des Capitains vormahlige Erzehlung, mitlerweile stiegen wir, aber ohne fernern Umschweiff, die von dem klaren Wasser gewaschenen Felsen=Stuffen hinauff, und marchirten in einer langen, jedoch mit vielen Fackeln erleuchteten, Felsen=Höle immer aufwärts, biß wir endlich ingesammt als aus einem tieffen Keller, an das helle Tages=Licht herauff kamen.

     Nunmehro waren wir einigermassen überzeugt, daß uns der Capitain Wolffgang keine Unwahrheiten vorgeschwatzt hatte, denn man sahe allhier, in einem kleinen Bezierck, das schönste Lust=Revier der Welt, so, daß unsere Augen eine gute Zeit recht starr offen stehen, der Mund aber, vor Verwunderung des Gemüths, geschlossen bleiben muste.

     Unsern Seel=Sorger, Herr M. Schmeltzern, traten vor Freuden die Thränen in die Augen, er fiel nieder auf die Knie, um dem Allerhöchsten gebührenden Danck abzustatten, und zwar vor die besondere Gnade, daß uns derselbe ohne den geringsten Schaden und Unfall gesund anhero geführet hatte. Da er aber sahe, daß wir gleiches Sinnes mit ihm waren, nahm er seine Bibel, verlaß den 65. und 84. Psalm Davids, welche beyden Psalmen sich ungemein schön hieher schickten, betete hierauf einige kräfftige Gebete, und schloß mit dem Liede: Nun dancket alle GOTT etc. Unsere Begleiter konten so gut mit singen und beten als wir, woraus sogleich zu muthmassen war, daß sie im Christenthum nicht unerfahren seyn müsten. So bald [100] wir aber dem Allmächtigen unser erstes Opffer auf dieser Insul gebracht, setzten wir die Füsse weiter, nach dem, auf einem grünen Hügel, fast mitten in der Insul liegenden Hause zu, worinnen Albertus Julius, als Stamm=Vater und Oberhaupt aller Einwohner, so zu sagen, residirte.

     Es ist unmöglich dem Geneigten Leser auf einmal alles ausführlich zu beschreiben, was vor Annehmlichkeiten uns um und um in die Augen fielen, derowegen habe einen kleinen Grund=Riß der Insul beyfügen wollen, welchen diejenigen, so die Geometrie und Reiß=Kunst besser als ich verstehen, passiren zu lassen, gebeten werden, denn ich ihn nicht gemacht habe, etwa eine eingebildete Geschicklichkeit zu zeigen, sondern nur dem curieusen Leser eine desto bessere Idee von der gantzen Landschafft zu machen. Jedoch ich wende mich ohne weitläufftige Entschuldigungen zu meiner Geschichts=Erzählung, und gebe dem Geneigten Leser zu vernehmen: daß wir fast eine Meilwegs lang zwischen einer Alleé, von den ansehnlichsten und fruchtbarsten Bäumen, die recht nach der Schnur gesetzt waren, fortgiengen, welche sich unten an dem ziemlich hoch erhabenen Hügel endigte, worauf des Alberti Schloß stund. Doch etwa 30. Schritte lang vor dem Ausgang der Alleé waren die Bäume mit Fleiß dermassen zusammen gezogen, daß sie oben ein rechtes Europäisches Kirchen=Gewölbe formirten, und an statt der schönsten Sommer=Laube dieneten. Unter dieses ungemein propre und natürlich kostbare Verdeck hatte sich der alte Greiß, Albertus Julius, von seiner ordentlichen Behau=[101]sung herab, uns entgegen bringen lassen, denn er konte damals wegen eines geschwollenen Fusses nicht gut fortkommen. Ich erstaunete über sein Ehrwürdiges Ansehen, und venerablen weissen Bart, der ihm fast biß auf dem Gürtel herab reichte, zu seinen beyden Seiten waren noch 5. ebenfalls sehr alt scheinende Greisse, nebst etlichen andern, die zwar etwas jünger, doch auch 50. biß 60. Jahr alt aussahen. Ausser der Sommer=Laube aber, auf einem schönen grünen und mit lauter Palmen= und Latan=Bäumen umsetzten Platze, war eine ziemliche Anzahl erwachsener Personen und Kinder, alle recht reputirlich gekleidet, versammlet.

     Ich wüste nicht Worte genung zu ersinnen, wenn ich die zärtliche Bewillkommung, und das innige Vergnügen des Albert Julii und der Seinigen vorstellen solte. Mich drückte der ehrliche Alte aus getreuem Hertzen dermassen fest an seine Brust, daß ich die Regungen des aufrichtigen Geblüts sattsam spürte, und eine lange Weile in seinen Armen eingeschlossen bleiben muste. Hierauff stellete er mich als ein Kind zwischen seinen Schooß, und ließ alle Gegenwärtigen, so wol klein als groß herzu ruffen, welche mit Freuden kamen und den Bewillkommungs=Kuß auf meinen Mund und Hand drückten. Alle andern Neuangekommenen wurden mit nicht weniger Freude und Aufrichtigkeit empfangen, so daß die ersten Höfflichkeits=Bezeugungen biß auf den hohen Mittag daureten, worauff wir Einkömmlinge mit dem Albert Julio, und denen 5. Alten, in dem auf dem Hügel liegenden Hause, die Mittags=Mahlzeit einnahmen. Wir wurden [102] zwar nicht Fürstlich, doch in der That auch nicht schlecht tractiret, weiln nebst den 4. recht schmackhafften Gerichten, die in Fleisch, Fischen, gebratenen Vögeln, und einem raren Zugemüse bestunden, die delicatesten Weine, so auf dieser Insul gewachsen waren, aufgetragen wurden. Bey Tische wurde sehr wenig geredet, mein alter Vetter Albert Julius aber, dem ich zur Seite sitzen muste, legte mir stets die allerbesten Bissen vor, und konte, wie er sagte, vor übermäßiger Freude, itzo nicht den vierdten Theil so viel, als gewöhnlich essen. Es war bey diesen Leuten nicht Mode lange zu Tische zu sitzen, derowegen stunden wir nach ordentlicher Ersättigung auf, der Altvater betete nach seiner Gewohnheit, so wol nach als vor Tische selbst, ich küssete ihm als ein Kind die Hand, er mich aber auf den Mund, nach diesen spatziereten wir um das von festen Steinen erbauete Hauß, auf dem Hügel herum, allwo wir bey nahe das gantze innere Theil der Insul übersehen konten, und des Merckwürdigsten auf derselben belehret wurden. Von dar ließ sich Albert Julius auf einem Trag=Sessel in seinen angelegten grossen Garten tragen, wohin wir ingesammt nachfolgeten, und uns über dessen annehmliche, nützliche und künstliche Anlegung nicht wenig verwunderten. Denn diesen Garten, der ohngefehr eine Viertheils Teutsche Meile lang, auch eben so breit war, hatte er durch einen Creutz=Weg in 4. gleiche Theile abgetheilet, in dem ersten quartier nach Osten zu, waren die auserlesensten Fruchtbaren Bäume, von mehr als hundert Sorten, das 2te quartier gegen Süden, hegte vielerley schöne Weinstöcke, welche [103] theils rothe, grüne, blaue, weisse und anders gefärbte extraordinair grosse Trauben und Beeren trugen. Das 3te quartier, nach Norden zu, zeigte unzehlige Sorten von Blumen=Gewächsen, und in dem 4ten quartire, dessen Ecke auf Westen stieß, waren die allernützlichsten und delicatesten Küchen=Kräuter und Wurtzeln zu finden.

     Wir brachten in diesem kleinen Paradiese, die Nachmittags=Stunden ungemein vergnügt zu, und kehreten etwa eine Stunde vor Untergang der Sonnen zurück auf die Albertus=Burg, speiseten nach der Mittäglichen Art, und setzten uns hernachmals vor dem Hause auf artig gemachte grüne Rasen=Bäncke nieder, allwo Capitain Wolffgang dem Altvater von unserer letzten Reise ein und anderes erzehlte, biß uns die hereinbrechende Nacht erinnerte: Beth=Stunde zu halten, und die Ruhe zu suchen.

     Ich muste in einer schönen Kammer, neben des Alberti Zimmer schlaffen, welche ungemein sauber meublirt war, und gestehen, daß Zeit meines Lebens noch nicht besser geruhet hatte, als auf dieser Stelle.

     Folgenden Morgen wurden durch einen Canonen=Schuß alle Einwohner der Insul zum Gottesdienst beruffen, da denn Herr M. Schmelzer eine ziemliche lange Predigt über den 122. Psalm hielte, die übrigen Kirchen=Gebräuche aber alle auf Lutherische Art ordentlich in Acht nahm. Den Albert Julium sahe man die gantze Predigt über weinen, und zwar vor grossen Freuden, weiln ihm der Höchste die Gnade verliehen, noch vor seinem [104] Ende einem Prediger von seiner Religion zuzuhören, ja so gar denselben in seiner Bestallung zu haben. Die übrigen versammleten waren dermassen andächtig, daß ich mich nicht erinnern kan, dergleichen jemals in Europa gesehen zu haben.

     Nach vollbrachten Gottesdienste, da die Auswärtigen sich alle auf den Weg nach ihren Behausungen gemacht, und wir die Mittags=Mahlzeit eingenommen hatten, behielt Albertus Herrn M. Schmeltzern allein bey sich, um mit demselben wegen künfftiger Kirchen=Ordnung, und anderer die Religion betreffenden höchstnöthigen Anstalten, Unterredung zu pflegen. Monsieur Wolffgang, der itzo durchaus nicht mehr Capitain heissen wolte, ich, und die andern Neuangekommenen, wolten nunmehro bemühet seyn, unsere Packen und übrigen Sachen auf die Insul herauff zu schaffen, welches uns allerdings als ein sehr Beschwerlich Stück Arbeit fürkam, allein, zu unserer grösten Verwunderung und Freude, fanden wir alle unsere Güter in derjenigen grossen Sommer=Laube beysammen stehen, wo uns Albertus zuerst bewillkommet hatte. Wir hatten schon gezweiffelt, daß wir binnen 4. biß 5. Tagen alle Sachen herauff zu bringen vermögend seyn würden, und sonderlich stelleten wir uns das Aufreissen der grossen Packe und Schlag=Fässer sehr mühsam vor, wusten aber nicht, daß die Einwohner der Insul, an einem verborgenen Orthe der hohen Felsen, zwey vortrefflich=starcke Winden hatten, durch deren force wohl ein gantzer Fracht=Wagen auf einmal hätte hinauff gezogen werden können. Mons. Litzberg hatte [105] sich binnen der Zeit die Mühe genommen, unser mitgebrachtes Vieh zu besorgen, so aus 4. jungen Pferden, 6. jungen Stücken Rind=Vieh, 6. Schweinen, 6. Schaafen, 2. Böcken, 4. Eseln, 4. Welschen Hünern, 2. Welschen Hähnen, 18. gemeinen Hünern, 3. Hähnen, 6. Gänsen, 6. Endten, 6. Paar Tauben, 4. Hunden, 4. Katzen, 3. Paar Caninichen, und vielerley Gattungen von Canari= und andern artigen Vögeln bestund. Er war damit in die nächste Wohnstädte, Alberts=Raum genannt, gezogen, und hatte bereits die daselbst wohnenden Leute völlig benachrichtiget, was diesem und jenen vor Futter gegeben werden müste. Selbige verrichteten auch in Warheit diese in Europa so verächtliche Arbeit mit gantz besondern Vergnügen, weiln ihnen dergleichen Thiere Zeit ihres Lebens nicht vor die Augen kommen waren.

     Andere, da sie merckten, daß wir unsere Sachen gern vollends hinauff in des Alberti Wohnhaus geschafft haben möchten; brachten so fort gantz bequeme Rollwagen herbey, luden auf, was wir zeigten, spanneten zahmgemachte Affen und Hirsche vor, diese zohen es mit Lust den Hügel hinauff, liessen auch nicht eher ab, biß alles unter des Alberti Dach gebracht war.

     Immittelst hatte Mons. Wolffgang noch vor der Abend=Mahlzeit das Schlag=Faß, worinnen die Bibeln und andere Bücher waren, aufgemacht, und præsentirte dem alten Alberto eine in schwartzen Sammet eingebundene Bibel, welche aller Orten starck mit Silber beschlagen, und auf dem Schnitt verguldet war. Albertus küssete diesel=[106]be, drückte sie an seine Brust und vergoß häuffige Freuden=Thränen, da er zumal sahe, daß wir noch einen so starcken Vorrath an dergleichen und andern geistl. Büchern hatten, auch hörete, daß wir dieselben bey ersterer Zusammenkunfft unter die 9. Julischen Familien, (welche dem G. Leser zur Erläuterung dieser Historie, auf besondere, zu Ende dieses Buchs angehefftete Tabellen gebracht worden,) austheilen wolten. Nächst diesem wurden dem Alberto, und denen Alten, noch viele andere köstliche Sachen eingehändiget, die so wol zur Zierde als besonderer Bequemlichkeit gereichten, worüber alle insgesammt eine Verwunderungs=volle Dancksagung abstatteten. Folgenden Tages als an einem Sonnabend, muste ich, auf Mons. Wolffgangs Ersuchen, in einer bequemen Kammer einen vollkommenen Krahm, so wohl von allerhand nützlichen Sachen, als Kindereyen und Spielwerck auslegen, weiln er selbiges unter die Einwohner der Insul vom Grösten biß zum Kleinesten auszutheilen willens war. Mons. Wolffgang aber, ließ indessen die übrigen Dinge, als Victualien, Instrumenta, Tücher, Leinwand, Kleyder=Geräthe und dergleichen, an solche Orte verschaffen, wo ein jedes vor der Verderbung sicher seyn konte.

     Der hierauff einbrechende 25. Sonntag post Trin. wurde früh Morgens bey Aufgang der Sonnen, denen Insulanern zur Andächtigen Sabbats=Feyer, durch 2. Canonen=Schüsse angekündiget. Da sich nun dieselben 2. Stunden hernach ingesammt unter der Albertus=Burg, auf dem mit Bäumen umsetzten grünen Platze versammlet hat=[107]ten, fieng Herr M. Schmeltzer den Gottesdienst unter freyen Himmel an, und predigte über das ordentliche Sonntags Evangelium, vom Greuel der Verwüstung, fast über 2. Stunden lang, ohne sich und seine Zuhörer zu ermüden, als welche Letztere alles andere zu vergessen, und nur ihn noch länger zuzuhören begierig schienen. Er hatte gantz ungemeine meditationes über die wunderbaren Wege GOTTES, Kirchen zu bauen, und selbige wiederum zu verwüsten, brachte anbey die application auf den gegenwärtigen Zustand der sämbtlichen Einwohner dieser Insul dermassen beweglich vor, daß, wenn auch die Helffte von den Zuhörern die gröbsten Atheisten gewesen wären, dennoch keiner davon ungerührt bleiben können.

     Jedwedes von außwärtigen Zuhörern hatte sich, nach vollendeten Gottesdienste, mit benöthigten Speisen versorgt, wem es aber ja fehlete, der durffte sich nur bey dem Altvater auf der Burg melden, als welcher alle nach Nothdurfft sättigen ließ. Nachmittags wurde abermals ordentlicher Gottesdienst und Catechismus=Examen gehalten, welches über 4. Stunden lang währete, und hätten, nebst Herrn M. Schmeltzern, wir Einkömmlinge nimmermehr vermeynet dieses Orts Menschen anzutreffen, welche in den Glaubens=Articuln so trefflich wohl unterrichtet wären, wie sich doch zu unseren grösten Vergnügen so wol Junge als Alte finden liessen. Da nun auch dieses vorüber war, beredete sich Albertus mit den Aeltesten und Vorstehern der 9, Stämme, und zeigten ihnen den Platz, wo er gesonnen wäre eine Kirche aufbauen zu lassen. Dersel=[108]be wurde nun unten an Fusse des Hügels von Mons. Litzbergen, Lademannen und andern Bau=Verständigen ordentlich abgesteckt, worauff Albertus sogleich mit eigenen Händen ein Loch in die Erde grub, und den ersten Grund=Stein an denjenigen Orth legte, wo der Altar solte zu stehen kommen. Die Aeltesten und Vorsteher gelobten hierbey an, gleich morgenden Tag Anstalten zu machen, daß die benöthigten Bau=Materialien eiligst herbey geschafft würden, und an fleißigen Arbeitern kein Mangel seyn möchte. Worauff sich bey herannahenden Abende jedes nach seiner Wohnstätte begab. Albertus, der sich wegen so viel erlebten Vergnügens gantz zu verjüngern schiene, war diesen Abend absonderlich wohl aufgeräumt, und ließ sich aus dem Freuden=Becher unsern mitgebrachten Canari=Sect hertzlich wohl schmecken, doch so bald er dessen Kräffte nur in etwas zu spüren begunte, brach er so wohl als wir ab, und sagte: Meine Kinder, nunmehro hat mich der Höchste bey nahe alles erleben lassen, was ich auf dieser Welt in zeitlichen Dingen gewünschet, da aber mercke, daß ich noch bey ziemlichen Kräfften bin, habe mir vorgenommen die übrige Zeit meines Lebens mit solchen Verrichtungen hin zu bringen, die meinen Nachkommen zum zeitlichen und ewigen Besten gereichen, diese Insul aber in den beglücktesten Zustand setzen können.

     Demnach bin ich gesonnen, in diesem meinem kleinen Reiche eine General=Visitation zu halten, und, so GOTT will, morgenden Tag damit den Anfang zu machen, Monsieur Wolffgang wird, [109] nebst allen neu angekommenen, mir die Gefälligkeit erzeigen und mit reisen. Wir wollen alle Tage eine Wohnstatt von meinen Abstammlingen vornehmen, und ihren jetzigen Zustand wol erwegen, ein jeder mag sein Bedencken von Verbesserung dieser und jener Sachen aufzeichnen, und hernach auf mein Bitten an mich liefern, damit wir ingesammt darüber rathschlagen können. Wir werden in 9. aufs längste in 14. Tagen damit fertig seyn, und hernach mit desto bessern Verstande die Hände an das Werck unserer geistlichen und leiblichen Wohlfahrt legen. Nach unserer Zurückkunfft aber, will ich alle Abend nach der Mahlzeit ein Stück von meiner Lebens=Geschicht zu erzehlen Zeit anwenden, hierauff Beth=Stunde halten, und mich zur Ruhe legen.

     Monsieur Wolffgang nahm diesen Vorschlag so wol als wir mit grösten Vergnügen an, wie denn auch gleich folgenden Morgen mit aufgehender Sonne, nach gehaltener Morgen=Gebets=Stunde, Anstalt zum Reisen gemacht wurde. Albertus, Herr M. Schmeltzer, Mons. Wolffgang , und ich, sassen beysammen auf einem artigen Wagen, welcher von 4. zahm gemachten Hirschen gezogen wurde, unsere übrige Gesellschafft aber folgte mit Lust zu Fusse nach. Der erste und nächste Ort den wir besuchten, war die Wohnstatt, Alberts=Raum genannt, es lag gleich unter der Alberts=Burg nach Norden zu, gerade zwischen den zweyen gepflantzten Alleen, und bestund aus 21. Feuerstätten, wohlgebaueten Scheunen, Ställen und Gärten, doch hatten die guten Leute ausser einer wunder=[110]baren Art von Böcken, Ziegen, und zahmgemachten Hirschen, weiter kein ander Vieh. Wir traffen daselbst alles in der schönsten Haußhaltungs=Ordnung an, indem die Alten ihre Arbeit auf dem Felde verrichteten, die jungen Kinder aber von den Mittlern gehütet und verpfleget wurden. Nachdem wir die Wohnungen in Augenschein genommen, trieb uns die Neugierigkeit an, das Feld, und die darauff Arbeiteten, zu besehen, und fanden das Erstere trefflich bestellt, die Letzten aber immer noch fleißiger daran bauen. Um Mittags=Zeit aber wurden wir von ihnen umringet, in ihre Wohnstatt geführet, gespeiset, getränckt, und von dem grösten Hauffen nach Hause begleitet. Monsieur Wolffgang schenckte dieser Albertinischen Linie, 10. Bibeln, 20. Gesang= und Gebeth=Bücher, ausser den verschiedene nützlichen, auch Spiel=Sachen vor die Kinder, und befahl, daß diejenigen so etwa leer ausgiengen, selbsten zu ihm kommen, und das Ihrige abholen möchten.

     Nachdem wir nun von diesen Begleitern mit freudigem Dancke verlassen worden, und bey Alberto die Abend=Mahlzeit eingenommen hatten, ließ dieser Alt=Vater sonst niemand, als Herr Mag. Schmeltzern, Mons. Wolffgangen und mich, in seiner Stube bleiben, und machte den Anfang zu seiner Geschichts=Erzehlung folgendermassen.

     Ich Albertus Julius, bin anno 1628. den 8. Januar. von meiner Mutter Maria Elisabetha Schlüterin zur Welt gebohren worden. Mein Vater, Stephanus Julius, war der Unglückseeligste Etaats=[111]Bediente eines gewissen Printzen in Teutschland, indem er in damaliger heftiger Kriegs=Unruhe seines Herren Feinden in die Hände fiel, und weil er seinem Fürsten, vielweniger aber seinem GOTT ungetreu werden wolte, so wurde ihm unter dem Vorwande, als ob er, in seinen Briefen an den Fürsten, den respect gegen andere Potentaten beyseit gesetzt, der Kopf gantz heimlicher und desto mehr unschuldiger Weise vor die Füsse gelegt, mithin meine Mutter zu einer armen Wittbe, 2. Kinder aber zu elenden Wäysen gemacht. Ich gieng dazumal in mein sechstes, mein Bruder Johann Balthasar aber, in sein vierdtes Jahr, weiln wir aber unsern Vater, der beständig bey dem Printzen in Campagne gewesen, ohnedem sehr wenig zu Hause gesehen hatten, so war unser Leydwesen, damaliger Kindheit nach, nicht also beschaffen, als es der jämmerlich starcke Verlust, den wir nachhero erstlich empfinden lerneten, erforderte, ob schon unsere Mutter ihre Wangen Tag und Nacht mit Thränen benetzte.

     Meines Vaters Principal, welcher wol wuste, daß mein Vater ein schlechtes Vermögen würde hinterlassen haben, schickte zwar an meine Mutter 800. Thlr. rückständige Besoldung, nebst der Versicherung seiner beständigen Gnade, allein das Kriegs=Feuer gerieth in volle Flammen, der Wohlthätige Fürst wurde weit von uns getrieben, der Todt raubte die Mutter, der Feind das übrige blutwenige Vermögen, alle Freunde waren zerstreuet, also wusten ich und mein Bruder sonst kein ander Mittel, als den Bettel=Stab zu ergreiffen.

 
 
 
 
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