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B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
  Johann Gottfried Schnabel
vor 1692 - nach 1750

 
 
   
   



W u n d e r l i c h e
F a t a   e i n i g e r
S e e f a h r e r


1 .   T e i l   ( 1 7 3 1 )
S e i t e   4 0 4 - 4 2 3


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     [404] O du barmhertziger GOTT! rieff ich aus, wie kannstu zugeben, daß sich alle ängstlichen Umstände mit der Boßheit der Menschen vereinigen müssen, einer höchst unschuldigen armen Waise Unglück zu befördern. O ihr Richter, schrye ich, übereilet euch nicht zu meinem Verderben, sondern höret mich an, auf daß euch GOtt wiederum höre. Hiermit erzehlete ich ihnen meinen von Kindes Beinen an geführten Jammer=Stand deutlich genung, allein da es zum Ende kam, hatte ich tauben Ohren geprediget und sonsten kein ander Lob davon, als daß ich eine sehr gewitzigte Metze und gute Rednerin sey, dem allen ohngeacht aber solte ich mir nur keine Hoffnung machen sie zu verwirren, sondern nur bey Zeiten mein Verbrechen in der Güte gestehen, widrigenfalls würde ehester Tage Anstalt zu meiner Tortur gemacht werden. Dieses war der Bescheid, welchen mir die allzuernsthafften Inquisiteurs hinterliessen, ich armes von aller Welt verlassenes Mägdlein wuste mir weder zu helffen noch zu rathen, zumahlen, da ich von neuen in ein solches hitziges Fieber verfiel, welches meinen Verstand biß in die 4te Woche gantz verrückte. So bald mich aber durch die gereichten guten Artzeneyen nur in etwas wiederum erholet hatte, verhöreten mich die Inquisiteurs aufs neue, bekamen aber, Seiten meiner, keine andere Erklärung als vormals, weßwegen sie mir noch drey Tage Bedenck=Zeit gaben, nach deren Verlauff aber in Gesellschafft des Scharff=Richters erschienen, der sein peinliches Werckzeug vor meine Augen legte, und mit grimmigen Gebärden sagte: Daß er mich in kurtzer Zeit zur [405] bessern Bekänntniß meiner Boßheiten bringen wolle.

     Bey dem Anblicke so gestallter Sachen veränderte sich meine gantze Natur dergestalt, daß ich auf einmal Lust bekam, ehe tausendmal den Tod, als dergleichen Pein zu erleiden, demnach sprach ich mit gröster Hertzhafftigkeit dieses zu meinen Richtern: Wohlan! ich spüre, daß ich meines zeitlichen Glücks, Ehre und Lebens wegen, von GOTT und aller Welt verlassen bin, auch der schmählichen Tortur auf keine andere Art entgehen kan, als wenn ich alles dasjenige, was ihr an mir sucht, eingestehe und verrichtet zu haben auf mich nehme, derowegen verschonet mich nur mit unnöthiger Marter, und erfraget von mir was euch beliebt, so will ich euch nach euren Belieben antworten, es mag mir nun zu meinem zeitlichen Glück und Leben nützlich oder schädlich seyn. Hierauff thaten sie eine klägliche Ermahnung an mich, GOtte, wie auch der Obrigkeit ein wahrhafftiges Bekänntniß abzustatten, und fiengen an, mir mehr als 30. Fragen vorzulegen, allein so bald ich nur ein oder andere mit guten Gewissen und der Wahrheit nach verneinen, und etwas gewisses zu meiner Entschuldigung vorbringen wolte, wurde alsobald der Scharff=Richter mit seinen Marter=Instrumenten näher zu treten ermahnet, weßwegen ich aus Angst augenblicklich meinen Sinn änderte und so antwortete, wie es meine Inquisiteurs gerne hören und haben wolten. Kurtz zu melden, es kam so viel heraus, daß ich das mir unbekannte halb verfaulte Kind von Ambrosio empfangen, zur Welt gebohren, selbst ermordet, und solches durch meine [406] Wart=Frau in einen Canal werffen lassen, woran doch in der That Ambrosius und die Wart=Frau, so wol als ich vor GOTT und allen heiligen Engeln unschuldig waren.

     Solchergestalt vermeynten nun meine Inquisiteurs ihr Ammt an mir rechtschaffener Weise verwaltet zu haben, liessen derowegen das Gerüchte durch die gantze Stadt erschallen, daß ich nunmehro in der Güte ohne alle Marter den Kinder=Mord nebst allen behörigen Umständen solchergestalt bekennet, daß niemand daran zu zweiffeln Ursach haben könte, demnach war nichts mehr übrig als zu bestimmen, auf was vor Art und welchen Tag die arme Virgilia vom Leben zum Tode gebracht werden solte. Immittelst wurde noch zur Zeit kein Priester oder Seel=Sorger zu mir gesendet, ohngeacht ich schon etliche Tage darum angehalten hatte. Endlich aber, nachdem noch zwey Wochen verlauffen, stellete sich ein solcher, und zwar ein mir wohl bekandter frommer Prediger bey mir ein. Nach gethanem Grusse war seine ernsthaffte und erste Frage: Ob ich die berüchtigte junge Raben=Mutter und Kinder=Mörderin sey, auch wie ich mich so wohl in meinem Gewissen als wegen der Leibes=Gesundheit befände? Mein Herr! gab ich ihm sehr freymüthig zur Antwort, in meinem Gewissen befinde ich mich weit besser und gesunder als am Leibe, sonsten kan ich GOTT eintzig und allein zum Zeugen anruffen, daß ich niemals eine Mutter, weder eines todten noch lebendigen Kindes gewesen bin, vielweniger ein Kind ermordet oder solches ermorden zugelassen habe. Ja, ich ruffe nochmals GOTT zum Zeu=[407]gen an, daß ich niemals von einem Manne erkannt und also noch eine reine und keusche Jungfrau bin, jedoch das grausame Verfahren meiner Inquisiteurs und die grosse Furcht vor der Tortur, haben mich gezwungen solche Sachen zu bekennen, von denen mir niemals etwas in die Gedancken kommen ist, und noch biß diese Stunde bin ich entschlossen, lieber mit freudigen Hertzen in den Tod zu gehen, als die Tortur auszustehen. Der fromme Mann sahe mir starr in die Augen, als ob er aus selbigen die Bekräfftigung meiner Reden vernehmen wolte, und schärffte mir das Gewissen in allen Stücken ungemein, nachdem ich aber bey der ihm gethanen Aussage verharrete, und meinen gantzen Lebens=Lauff erzehlet hatte, sprach er: Meine Tochter, eure Rechts=Händel müssen, ob GOTT will, im kurtzen auf andern Fuß kommen, ich spreche euch zwar keineswegs vor Recht, daß ihr, aus Furcht vor der Tortur, euch zu einer Kinder= und Selbst=Mörderin machet, allein es sind noch andere eurer Einfalt unbewuste Mittel vorhanden eure Schuld oder Unschuld ans Licht zu bringen. Hierauff setzte er noch einige tröstliche Ermahnungen hinzu, und nahm mit dem Versprechen Abschied, mich längstens in zweyen Tagen wiederum zu besuchen.

     Allein gleich folgenden Tages erfuhr ich ohnverhofft, daß mich GOTT durch zweyerley Hülffs=Mittel, mit ehesten aus meinem Elende heraus reissen würde, denn vors erste war meine Unschuld schon ziemlich ans Tages Licht gekommen, da die alte Dienst=Magd meiner Pflege=Mutter, aus eigenem Gewissens=Triebe, der Obrigkeit angezeiget [408] hatte, wie nicht ich, sondern die mittelste Tochter meiner Pflege=Mutter das gefundene Kind gebohren, selbiges, vermittelst einer grossen Nadel, ermordet, eingepackt, und hinweg zu werffen befohlen hätte, und zwar so hätten nicht allein die übrigen zwey Schwestern, sondern auch die Mutter selbst mit Hand angelegt, dieweiln es bey ihnen nicht das erste mahl sey, dergleichen Thaten begangen zu haben. Meine andere tröstliche Zeitung war, daß mein bester Freund Ambrosius vor wenig Stunden zurück gekommen, und zu meiner Befreyung die äusersten Mittel anzuwenden, allbereits im Begriff sey.

     Er bekam noch selbigen Abends Erlaubniß, mich in meinem Gefängnisse zu besuchen, und wäre bey nahe in Ohnmacht gefallen, da er mich Elende annoch in Ketten und Banden liegen sahe, allein, er hatte doch nach Verlauff einer halben Stunde, so wohl als ich, das Vergnügen, mich von den Banden entlediget, und in ein reputirlicher Gefängniß gebracht zu sehen. Ich will mich nicht aufhalten zu beschreiben, wie jämmerlich und dennoch zärtlich und tröstlich diese unsere Wiederzusammenkunfft war, sondern nur melden, daß ich nach zweyen Tagen durch seine ernstliche Bemühung in völlige Freyheit gesetzt wurde. Uber dieses ließ er es sich sehr viel kosten, wegen meiner Unschuld hinlängliche Erstattung des erlittenen Schimpffs von meinen allzu hitzigen Inquisiteurs zu erhalten, empfing auch so wohl von den geistlichen als weltlichen Gerichten die herrlichsten Ehren=Zeugnisse vor seine und meine Person, am allermeisten aber erfreuete [409] er sich über meine in wenig Wochen völlig wieder erlangte Gesundheit.

     Nach der Zeit bemühete sich Ambrosius, seine lasterhaffte Mutter und schändliche Schwestern, vermittelst einer grossen Geld=Summe, von der fernern Inquisition zu befreyen, zumahlen da ich ihnen das mir zugefügte Unrecht von Hertzen vergeben hatte, allein, er konte nichts erhalten, sondern muste der Gerechtigkeit den Lauff lassen, weil sie nach der Zeit überzeugt wurden, daß dieses schon das dritte Kind sey, welches seine zwey ältesten Schwestern gebohren, und mit Beyhülffe ihrer Mutter ermordet hätten, weßwegen sie auch ihren verdienten Lohn empfingen, indem die Mutter nebst den zwey ältesten mit dem Leben büssen, die jüngste aber in ein Zucht=Hauß wandern muste.

     Jedoch, ehe noch dieses geschahe, reisete mein Ambrosius mit mir nach Amsterdam, weil er vermuthlich dieses traurige Spectacul nicht abwarten wolte, ließ sich aber doch noch in selbigem Jahre mit mir ehelich verbinden, und ich kan nicht anders sagen, als daß ich ein halbes Jahr lang ein recht stilles und vergnügtes Leben mit ihm geführet habe, indem er eine der besten Handlungen mit seinem Compagnon daselbst anlegte. Allein, weil das Verhängniß einmahl beschlossen hatte, daß meiner Jugend Jahre in lauter Betrübniß zugebracht werden solten, so muste mein getreuer Ambrosius über Vermuthen den gefährlichsten Anfall der rothen Ruhr bekommen, welche ihn in 17. Tagen dermassen abmattete, daß er seinen Geist darüber aufgab, und im 31. Jahre seines Alters mich zu [410] einer sehr jungen, aber desto betrübtern Wittbe machte. Ich will meinen dieserhalb empfundenen Jammer nicht weitläufftig beschreiben, genung, wenn ich sage, daß mein Hertz nichts mehr wünschte, als ihm im Grabe an der Seite zu liegen. Der getreue Ambrosius aber hatte noch vor seinem Ende vor mein zeitliches Glück gesorget, und meine Person so wohl als sein gantzes Vermögen an seinen Compagnon vermacht, doch mit dem Vorbehalt, daß, wo ich wider Vermuthen denselben nicht zum andern Manne verlangete, er mir überhaupt vor alles 12000. Thlr. auszahlen, und mir meinen freyen Willen lassen solte.

     Wilhelm van Cattmer, so hieß der Compagnon meines seel. Ehemannes, war ein Mann von 33. Jahren, und nur seit zweyen Jahren ein Wittber gewesen, hatte von seiner verstorbenen Frauen eine eintzige Tochter, Gertraud genannt, bey sich, die aber, wegen ihrer Kindheit, seinem Hauß=Wesen noch nicht vorstehen konte, derowegen gab er mir nach verflossenen Trauer=Jahre so wohl seine aufrichtige Liebe, als den letzten Willen meines seel. Mannes sehr beweglich zu verstehen, und drunge sich endlich durch tägliches Anhalten um meine Gegen=Gunst solcher Gestalt in mein Hertz, daß ich mich entschloß, die Heyrath mit ihm einzugehen, weil er mich hinlänglich überführete, daß so wohl der Wittben=Stand, als eine anderweitige Heyrath mit Zurücksetzung seiner Person, vor mich sehr gefährlich sey.

     Ich hatte keine Ursach über diesen andern Mann zu klagen, denn er hat mich nach der Zeit in unsern [411] 5.jährigen Ehe=Stande mit keiner Gebärde, vielweniger mit einem Worte betrübt. Zehen Monat nach unserer Vereheligung kam ich mit einer jungen Tochter ins Kind=Bette, welche aber nach anderthalb Jahren an Masern starb, doch wurde dieser Verlust bald wiederum ersetzt, da ich zum andern mahle mit einem jungen Sohne nieder kam, worüber mein Ehe=Mann eine ungemeine Freude bezeigte, und mir um so viel desto mehr Liebes=Bezeugungen erwiese. Bey nahe zwey Jahr hernach erhielt mein Wilhelm die betrübte Nachricht, daß sein leiblicher Vater auf dem Cap der guten Hoffnung Todes verblichen sey, weil nun derselbe in ermeldten Lande vor mehr als 30000. Thaler werth Güter angebauet und besessen hatte; als beredete er sich dieserwegen mit seinem eintzigen Bruder und einer Schwester, fassete auch endlich den Schluß, selbige Güter in Besitz zu nehmen, und seinem Geschwister zwey Theile des Werths heraus zu geben. Er fragte zwar vorhero mich um Rath, auch ob ich mich entschliessen könte, Europam zu verlassen, und in einem andern Welt=Theile zu wohnen, beschrieb mir anbey die Lage und Lebens=Art in selbigem fernen Land als dermassen angenehm, so bald ich nun merckte, daß ihm so gar sehr viel daran gelegen wäre, gab ich alsofort meinen Willen drein, und versprach, in seiner Gesellschafft viel lieber mit ans Ende der Welt zu reisen, als ohne ihn in Amsterdam zu bleiben. Demnach wurde aufs eiligste Anstalt zu unserer Reise gemacht, wir machten unsere besten Sachen theils zu Gelde, theils aber liessen wir selbige [412] in Verwahrung unsers Schwagers, der ein wohlhabender Jubelier war, und reiseten in GOttes Nahmen von Amsterdam ab, dem Cap der guten Hoffnung, oder vielmehr unserm Unglück entgegen, denn mittlerweile, da wir an den Canarischen Insuln, uns ein wenig zu erfrischen, angelandet waren, starb unser kleiner Sohn, und wurde auch daselbst zur Erden bestattet. Wenig Tage hierauf wurde die fernere Reise fortgesetzt, und mein Betrübniß vollkommen zu machen, überfielen uns zwey Räuber, mit welchen sich unser Schiff ins Treffen einlassen muste, auch so glücklich war, selbigen zu entgehen, ich aber solte doch dabey die allerunglückseeligste seyn, indem mein lieber Mann mit einer kleinen Kugel durch den Kopff geschossen wurde, und dieserwegen sein redliches Leben einbüssen muste.

     Der Himmel weiß, ob mein seeliger William seinen tödtlichen Schuß nicht vielmehr von einem Meuchel=Mörder als von den See=Räubern bekommen hatte, denn alle Umstände kamen mir dabey sehr verdächtig vor, jedoch, GOtt verzeihe es mir, wenn ich den Severin Water in unrechten Verdacht halte.

     Dieser Severin Water war ein junger Holländischer, sehr frecher und wollüstiger Kauffmann, und hatte schon öffters in Amsterdam Gelegenheit gesucht, mich zu einem schändlichen Ehe=Bruche zu verführen. Ich hatte ihn schon verschiedene mahl gewarnet, meine Tugend mit dergleichen verdammten Ansinnen zu verschonen, oder ich würde mich genöthiget finden, solches meinem Manne [413] zu eröffnen, da er aber dennoch nicht nachlassen wolte, bat ich würcklich meinen Mann inständig, seine und meine Ehre gegen diesen geilen Bock zu schützen, allein, mein William gab mir zur Antwort: Mein Engel, lasset den Haasen lauffen, er ist ein wollüstiger Narr, und weil ich mich eurer Tugend vollkommen versichert halte, so weiß ich auch, daß er zu meinem Nachtheil nichts bey euch erhalten wird, indessen ist es nicht rathsam, ihn noch zur Zeit zum offenbaren Feinde zu machen, weil ich durch seine Person auf dem Cap der guten Hoffnung einen besondern wichtigen Vortheil erlangen kan. Und eben in dieser Absicht sahe es auch mein William nicht ungern, daß Severin in seiner Gesellschafft mit dahin reisete. Ich indessen war um so viel desto mehr verdrüßlich, da ich diesen geilen Bock alltäglich vor mir sehen, und mit ihm reden muste, er führete sich aber bey meines Mannes Leben noch ziemlich vernünfftig auf, jedoch gleich etliche Tage nach dessen jämmerlichen Tode, trug er mir so gleich seine eigene schändliche Person zur neuen Heyrath an. Ich nahm diese Leichtsinnigkeit sehr übel auf, und bat ihn, mich zum wenigsten auf ein Jahr lang mit dergleichen Antrage zu verschonen, allein, er verlachte meine Einfalt, und sagte mit frechen Gebärden: Er frage ja nichts darnach, ich möchte schwanger seyn oder nicht, genung, er wolle meine Leibes=Frucht vor die seinige erkennen, über dieses wäre man auf den Schiffen der Geistlichen Kirchen=Censur nicht also unterworffen, als in unsern Vaterlande, und was dergleichen Geschwätzes mehr war, mich zu [414] einer gleichmäßigen schändlichen Leichtsinnigkeit zu bewegen, da ich aber, ohngeacht ich wohl wuste, daß sich nicht die geringsten Zeichen einer Schwangerschafft bey mir äuserten, dennoch einen natürlichen Abscheu so wohl vor der Person als dem gantzen Wesen dieses Wüstlings hatte, so suchte ihn, vermöge der verdrüßlichsten und schimpfflichsten Reden, mir vom Halse zu schaffen; Allein, der freche Bube kehrete sich an nichts, sondern schwur, ehe sein gantzes Vermögen nebst dem Leben zu verlieren, als mich dem Wittwen=Stande oder einem andern Manne zu überlassen, sagte mir anbey frey unter die Augen, so lange wolle er noch Geduld haben, biß wir das Cap der guten Hoffnung erreicht hätten, nach diesem würde sich zeigen, ob er mich mit Güte oder Gewalt ins Ehe=Bett ziehen müsse.

     Ich Elende wuste gegen diesen Trotzer nirgends Schutz zu finden, weil er die Befehlshaber des Schiffs so wohl als die meisten andern Leute durch Geschencke und Gaben auf seine Seite gelenckt hatte, solcher Gestalt wurden meine jämmerlichen Klagen fast von jederman verlacht, und ich selbst ein Spott der ungehobelten Boots Knechte, indem mir ein jeder vorwarff, meine Keuschheit wäre nur ein verstelltes Wesen, ich wolte nur sehr gebeten seyn, würde aber meine Tugend schon wohlfeiler verkauffen, so bald nur ein junger Mann ===

     Ich scheue mich, an die lasterhafften Reden länger zu gedencken, welche ich mit gröster Hertzens=Quaal von diesen Unflätern täglich anhören muste, über dieses klagte mir meine Aufwärterin Blandina [415] mit weinenden Augen, daß ihr Severin schändliche Unzucht zugemuthet, und versprochen hätte, sie auf dem Cap der guten Hoffnung nebst mir, als seine Kebs=Frau, beyzubehalten, allein, sie hatte ihm ins Angesicht gespyen, davor aber eine derbe Maulschelle hinnehmen müssen. Meiner zarten und fast noch nicht mannbaren Stieff=Tochter, der Getraud, hatte der Schand=Bock ebenfalls seine Geilheit angetragen, und fast Willens gehabt, dieses fromme Kind zu nothzüchtigen, der Himmel aber führete mich noch bey Zeiten dahin, diese Unschuldige zu retten.

     Solcher Gestalt war nun mein Jammer=Stand abermahls auf der höchsten Stuffe des Unglücks, die Hülffe des Höchsten aber desto näher. Ich will aber nicht weiter beschreiben, welcher Gestalt ich nebst meiner Tochter und Aufwärterin von den Kindern und Befreunden des theuren Alt=Vaters Albert Julii aus dieser Angst gerissen und errettet worden, weil ich doch versichert bin, daß selbiger solches alles in seiner Geschichts=Beschreibung so wohl als mein übriges Schicksal, nebst andern mit aufgezeichnet hat, sondern hiermit meine Lebens=Beschreibung schliessen, und das Urtheil darüber andern überlassen. GOTT und mein Gewissen überzeugen mich keiner muthwilligen und groben Sünden, wäre ich aber ja eine lasterhaffte Weibs=Person gewesen, so hätte thöricht gehandelt, alles mit solchen Umständen zu beschreiben, woraus vielleicht mancher etwas schlimmeres von mir muthmassen könte.

     * * *

     [416] Dieses war also alles, was ich Eberhard Julius meinen Zuhörern, von der Virgilia eigenen Hand geschrieben, vorlesen konte, worauf der Alt=Vater seine Erzehlung folgender massen fortsetzte:

     Unsere allerseitige Freude über die gewünschte Wiederkunfft der Meinigen war gantz unvergleichlich, zumahlen da die mitgekommene junge Wittbe nebst ihrer Tochter und einer nicht weniger artigen Jungfrau bey unserer Lebens=Art ein vollkommenes Vergnügen bezeugten. Also wurde der bevorstehende Winter so wohl als der darauf folgende Sommer mit lauter Ergötzlichkeit zugebracht. Das Schiff luden meine Kinder aus, und stiessen es als eine nicht allzu nöthige Sache in die Bucht, weil wir uns nach keinen weitern Handel mit andern Leuten sehneten. Dahingegen erweiterten wir unsere alten Wohnungen, baueten noch etliche neue, versperreten alle Zugänge zu unserer Insul, und setzten die Hauß=Wirthschafften in immer bessern Stand. Amias hatte von einem Holländer ein Glaß voll Lein=Saamen bekommen, von welchen er etwas aussäete, um Flachs zu zeugen, damit die Weiber Spinnwerck bekämen, über dieses war seine gröste Freude, daß diejenigen Blumen und andere Gewächse zu ihrer Zeit so schön zum Vorschein kamen, zu welchen er die Saamen, Zwiebeln und Kernen von den Holländern erbettelt und mitgebracht hatte. Seiner Vorsicht, guter Wartung und besonderen Klugheit habe ich es eintzig und allein zu dancken, daß mein grosser Garten, zu welchen er im Jahr 1672. den Grund gelegt, in guten Stande ist.

     [417] Doch eben in selbigem Jahre, ließ sich die tugendhaffte Virgilia van Cattmers, und zwar am 8. Jan., nemlich an meinem Geburths=Tage, mit meinem Sohne Johanne durch meine Hand ehelich zusammen geben, und weil der jüngste Zwilling, Christian, seine ihm zugetheilte Blandina an seinen ältern Bruder Christoph gutwillig überließ, anbey aber mit ruhigen Hertzen auf die Gertraud warten wolte, so geschahe dem Christoph und der Blandina, die einander allem Ansehen nach recht hertzlich liebten, ein gleiches, so, daß wir abermahls zwey Hochzeit=Feste zugleich begingen.

     [417] Im Jahr 1674. wurden endlich die letzten zwey von meinen leiblichen Kindern verehliget, nemlich Christian mit Gertraud, und Christina mit David Rawkin, als welcher letztere gnungsame Proben seiner treuen und geduldigen Liebe zu Tage gelegt hatte. Demnach waren alle die Meinigen dermassen wohl begattet und berathen, daß es, unser aller vernünfftigen Meinung nach, unmöglich besser erdacht und ausgesucht werden können, jedoch waren meine Concordia und ich ohnstreitig die allervergnügtesten zu nennen, denn alle die Unserigen erzeigten uns aus willigen ungezwungenen Hertzen den allergenausten Gehorsam, der mit einer zärtlichen Ehrerbietung verknüpfft war, wolten auch durchaus nicht geschehen lassen, daß wir uns mit beschwerlicher Arbeit bemühen solten, sondern suchten alle Gelegenheit, uns derselben zu überheben, von selbst, so, daß eine vollkommene Liebe und Eintracht unter uns allen anzutreffen war. Der Himmel erzeigte sich auch dermassen gnädig gegen uns [418] von allen andern abgesonderte Menschen, daß wir seine barmhertzige Vorsorge in allen Stücken gantz sonderbar verspüren konten, und nicht die geringste Ursache hatten, über Mangel oder andere dem menschlichen Geschlecht sonst zustossende betrübte Zufälle zu klagen, hergegen nahmen unsere Familien mit den Jahren dermassen zu, daß man recht vergnügt überrechnen konte, wie mit der Zeit aus denselben ein grosses Volck entstehen würde.

     Im Jahr 1683. aber begegnete uns der erste klägliche Zufall, und zwar solcher Gestalt: Wir hatten seit etlichen Jahren her, bey müßigen Zeiten, alle diejenigen Oerter an den auswendigen Klippen, wo wir nur vermerckten, daß jemand dieselben besteigen, und uns überfallen könte, durch fleißige Hand=Arbeit und Sprengung mit Pulver, dermassen zugerichtet, daß auch nicht einmahl eine Katze hinauf klettern, und die Höhe erreichen können, hergegen arbeiteten wir zu unserer eigenen Bequemlichkeit 4. ziemlich verborgene krumme Gänge, an 4. Orten, nehmlich: Gegen Norden, Osten, Süden und Westen zu, zwischen den Felsen=Klippen hinab, die niemand so leicht ausfinden konte, als wer Bescheid darum wuste, und dieses geschahe aus keiner andern Ursache, als daß wir nicht die Mühe haben wolten, um aller Kleinigkeiten wegen, die etwa zwey oder drey Personen an der See zu verrichten hätten, allezeit die grossen und gantz neu gemachten Schleusen auf= und zu zu machen. Jedoch, wie ihr meine Lieben selbst wahrgenommen habt, verwahreten wir den Aus= und Eingang solcher bequemlicher Wege mit tieffen [419] Abschnitten und andern Verhindernissen, solcher Gestalt, daß niemand, ohne die herab gelassenen kleinen Zug=Brücken, die doch von eines eintzigen Menschen Händen leicht zu regieren sind, weder herüber= noch hinüber zu kommen vermögend ist. Indem nun alle Seiten und Ecken durch unermüdeten vieljährigen Fleiß in vollkommen guten Stand gesetzt waren, biß auf noch etwas weniges an der West=Seite, allwo, auf des Amias Angeben, noch ein ziemlich Stück Felsen abgesprengt werden solte, versahe es der redliche Mann hierbey dermassen schlimm, daß, da er sich nicht weit genung entfernet hatte, sein linckes Bein durch ein grosses fliegendes Stein=Stücke erbärmlich gequetscht und zerschmettert wurde, welcher Schade denn in wenig Tagen diesem redlichen Manne, ohngeacht aller angewandten kräfftigen Wund=Mittel, die auf unserer Insul in grosser Menge anzutreffen sind, und die wir so wohl aus des Don Cyrillo Anweisung, als aus eigener Erfahrung ziemlich erkennen gelernet, sein edles Leben, wiewohl im hohen Alter, doch bey gesunden Kräfften und frischen Hertzen, uns allen aber noch viel zu früh, verkürtzte.

     Es war wohl kein eintziger, ausgenommen die gantz jungen Kinder, auf dieser Insel anzutreffen, der dem guten Robert, als dessen Bruders Sohne, im wehmüthigsten Klagen, wegen dieses unverhofften Todes und Unglücks=Falles, nicht eifrige Gesellschafft geleistet hätte, Jacob, Simon und David, die alle drey in der Tischler=Arbeit die geschicktesten waren, machten ihm einen recht schönen Sarg nach Teutscher Art, worein wir den zierlich [420] angekleideten Cörper legten, und an denjenigen Ort, welchen ich vor längst zum Begräbniß der Todten ausersehen, ehrlich zur Erde bestatteten.

     Robert, der in damahligem 19ten Jahre seines Ehestandes mit der jüngern Concordia allbereit 11. Kinder, als 3. Söhne und 8. Töchter, gezeuget hatte, war nunmehro der erste, der sich von uns trennete, und vor sich und sein Geschlechte eine eigene Pflantz=Stadt, jenseit des Canals gegen Osten zu, anlegte, weil uns der Platz und die Gegend um den Hügel herum, fast zu enge werden wolte. Mein ältester Sohn, Albert, folgte dessen Beyspiele mit seiner Judith, 6. Söhnen und 2. Töchtern am ersten, und legte seine Pflantz=Stadt Nordwerts an. Diesem that Stephanus mit seiner Sabina, 4. Söhnen und 5. Töchtern, ein gleiches nach, und zwar im Jahr 1685. da er seine Wohnung jenseit des West=Flusses aufschlug. Im folgenden Jahre folgte Jacob und Maria mit 3. Söhnen und 4. Töchtern, ingleichen Simon mit 3. Söhnen und 2. Töchtern, auch Johannes mit der Virgilia, 2. Söhnen und 5. Töchtern.

     Ich ersahe meine besondere Freude hieran, und weil sie alle als Brüder einander im Hauß=Bauen und andern Dinge redlich zu Hülffe kamen, so machte auch ich mir die gröste Freude daraus, ihnen kräfftige Handreichung zu thun. Bey uns auf dem Hügel aber wohnete also niemand mehr, als David und Christina mit 3. Söhnen und 3. Töchtern, Christoph mit 3. Söhnen und 4. Töchtern, und letztlich Christian mit 2. Söhnen und einer Tochter, ingesammt, meine Concordia und mich [421] mit gerechnet, 24. Seelen, ausserhalb des Hügels aber 59. Seelen. Summa, im Jahr 1688. da die erstere Haupt=Vertheilung vollendet wurde, aller auf dieser Insul lebenden Menschen, 83. Nehmlich 39. Mannes= und 44. Weibs=Personen.

     Ich habe euch aber, meine Lieben, diese Rechnung nur dieserwegen vorgehalten, weil ich eben im 1688ten Jahre mein Sechzigstes Lebens=Jahr, und das Vierzigste Jahr meines vergnügt=geführten Ehestandes zurück gelegt hatte, auch weil, ausser meinem letzten Töchterlein, biß auf selbige Zeit kein eintziges noch mehr von meinen Kindern oder Kindes=Kindern gestorben war, welches doch nachhero eben so wohl unter uns, als unter andern sterblichen Menschen=Kindern geschahe, wie mein ordentlich geführtes Todten=Register solches bezeuget, und auf Begehren zur andern Zeit vorgezeigt werden kan.

     Nun solte zwar auch von meiner Kindes=Kinder fernerer Verheyrathung ordentliche Meldung thun, allein, wem wird sonderlich mit solchen allzu grossen Weitläufftigkeiten gedienet seyn, zumahlen sich ein jeder leichtlich einbilden kan, daß sie sich mit Niemand anders als ihrer Väter und Mütter, Brüders= und Schwester=Kindern haben verehligen können, welches, so viel mir wissend, Göttlicher Ordnung nicht gäntzlich zuwider ist, und worzu mein erster Sohnes=Sohn, Albertus der dritte allhier, anno 1689. mit Roberts ältesten Tochter den Anfang machte, welchen die andern Mannbaren, zu gehöriger Zeit, biß auf diesen Tag nachgefolget sind.

     [422] Es mag aber, ließ sich hierauf unser Alt=Vater hören, hiermit auf diesen Abend sein Bewenden haben, doch Morgen, geliebt es GOtt, und zwar nach verrichteten Morgen=Gebeth und eingenommenen Frühstück, da wir ohnedem einen Rast=Tag machen können, will ich den übrigen Rest meiner Erzehlung von denjenigen Merckwürdigkeiten thun, die mir biß auf des Capitain Wolffgangs Ankunfft im Jahr 1721. annoch Erzehlenswürdig scheinen, und ohngefähr beyfallen werden.

     Demnach legten wir uns abermahls sämmtlich zur Ruhe, da nun dieselbe nebst der von dem Alt=Vater bestimmten Zeit abgewartet war, gab er uns den Beschluß seiner bißhero ordentlich an einander gehenckten Erzehlung also zu vernehmen:

     Im Jahr 1692. wandten sich endlich die 3. letzten Stämme auch von unserm Hügel, und baueten an selbst erwehlten Orten ihre eigene Pflantz=Städten vor sich und ihre Nachkommen an, damit aber meine liebe Concordia und ich nicht alleine gelassen würden, schickte uns ein jeder von den 9. Stämmen eins seiner Kinder zur Bedienung und Gesellschafft zu, also hatten wir 5. Jünglinge und 4. Mägdleins nicht allein zum Zeitvertreibe, sondern auch zu täglichen Lust=Arbeitern und Küchen=Gehülffen um und neben uns, denn vor Brodt und andere gute Lebens=Mittel durfften wir keine Sorge tragen, weil die Stamm=Väter alles im Uberflusse auf den Hügel schafften. Die Affen machten bey allen diesen neuen Einrichtungen die liederlichsten Streiche, denn ob ich gleich dieselben ordentlich als Sclaven meinen Kindern zugetheilet, [423] und ein jeder Stamm die seinigen mit einem besondern Halß=Bande gezeichnet hatte, so wolten sich dieselben anfänglich doch durchaus nicht zertheilen lassen, sondern versammleten sich gar öffters alle wieder auf dem Hügel bey meinen zweyen alten Affen, die ich vor mich behalten hatte, biß sie endlich theils mit Schlägen, theils mit guten Worten zum Gehorsam gebracht wurden.

     Im Jahr 1694. fingen meine sämmtlichen Kinder an, gegenwärtiges viereckte schöne Gebäude auf diesem Hügel vor mich, als ihren Vater und König, zur Residentz aufzubauen, mit welchen sie erstlich nach 3en Jahren völlig fertig wurden, weßwegen ich meine alte Hütte abreissen und gantz hinweg schaffen ließ, das neue hergegen bezohe, und es Alberts=Burg nennete, nachhero habe in selbigem, durch den Hügel hindurch biß in des Don Cyrillo unterirrdische Höle, eine bequemliche Treppe hauen, den auswendigen Eingang derselben aber biß auf ein Lufft=Loch vermauren und verschütten lassen, so, daß mir selbige kostbare Höle nunmehro zum herrlichsten Keller=Gewölbe dienet.

     So bald die Burg fertig, wurde der gantze Hügel mit doppelten Reihen der ansehnlichsten Bäume in der Rundung umsetzt, ingleichen der Anfang von mir gemacht, zu den beyden Alléen, zwischen welchen Alberts=Raum mitten inne liegt, und die nunmehro seit etliche 20. Jahren zum zierlichsten Stande kommen sind, wie ich denn nebst meiner Concordia manche schöne Stunde mit Spatziren=gehen darinne zugebracht habe.

 
 
 
 
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