BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Christian Friedrich Daniel Schubart

1739 – 1791

 

Zaubereien

 

1766

 

____________________________________________________________

 

 

 

Zaubereien

 

Erstes Stück

Zweites Stück

Drittes Stück

Viertes Stück

Fünftes Stück

Sechstes Stück

Siebtes Stück

Achtes Stück

Neuntes Stück

Zehntes Stück

Elftes Stück

 

________

 

Zehntes Stück

Die Macht des Plutus

 

PLUTUS wollte einmal eine Probe von seiner Gewalt auf die Menschen machen und verwandelte einen Esel des Silen (dann man muß wissen, daß Silen einen ganzen Marschstall von Eseln hat) – in einen Menschen.

 

Burlesk und komisch stund sie da,

Die menschliche Maschine,

Die Einfalt und die Dummheit sah

Aus einer dreusten Miene.

Mit tiefem Auge klein und matt,

Mit Backen, wie sie Fama hat,

Und steifem Unterkinne.

 

Und als sein schlotterendes Knie

Des fetten Wansts Peripherie

Zum erstenmale hebte;

So lachten alle Götter laut,

Selbst Herkul mit der Löwenhaut,

Daß Plutos Thron erbebte.

 

Mit Gold und Samt bedeckt, mit einer Schar von Gnomen, die ihm Plutus zur Bedienung gab, einer Karosse, aus Vulkans Werkstatt, und sechs stolzen Hengsten vom Neptune geschaffen, kam Gingang (dies war sein menschlicher Name) zur Oberwelt. Und im wilden Triumphe zog er in der ersten Stadt ein, die vor ihm lag. – Erst stieg aus den Hälsen des Pöbels ein wieherndes Gelächter donnrend gen Himmel; aber als ein Gnome einen goldenen Regen von der Karosse herabschüttete, so verstummte der Spott, und, wie Stoßvögel, stürzte der Pöbel zur Beute. – Drauf vereinigte sich der freudige Haufe, zog in wilder Ordnung vor die prächtige Wohnung des Fremdlings, und eine Wolke von stinkendem Odem stieg, wie Rauch aus Schornsteinen, empor, und die Luft wurde von dem rauhen Jubel gepeitscht: Es lebe Gingang! Lange lebe Gingang, der Wohltäter! – Indessen wurde der goldene Fremdling nicht müde, überall eine dumme Freigebigkeit von sich ausströmen zu lassen, dann seine Gnomen kannten jede Goldader der Erde, und Plutus wollte itzt alle seine Schatzkammern eröffnen, um seine Macht über die Menschen zu zeigen. – Die erste Würkung dieser Verschwendung war, daß man dem umgeschaffnen Esel – denn er war auf einer Akademie – den Doktorhnt erteilte. Hundert zerrissene Poeten krochen nun aus ihren Höhlen hervor, donnerten Päane, weinten Elegien, logen Oden und prophezeiten auf Kosten der Musen. – Und der besungene Esel ließ den Bettlerorden kleiden und füllte ihre Säckel mit Gold. Aber itzt war Gingang nicht mehr Gingang der Esel, sondern Gingang der Mäzen, der Göttersohn, der Freund der Tugend und der Musen; und seine häßlichen Gnomen wurden alle in Liebesgötter umgeschaffen, die Sr. Exzellenz Luft zufächelten. – Auf den Flügeln der Zeitungsblätter ward nun Gingangs Name weit umhergetragen, und der Fürst des Landes bot ihm eine Stelle im Staat an. Der graduierte Esel griff nach dem Degen, wie ein Harlekin nach seinem hölzernen Säbel langt, und schnell erstieg er auf goldenen Stufen – den Posten eines Feldherrn. Zwar ward eine halbe Armee unter Gingangs mutiger Anführung zuschanden gehauen; aber die Geschichtschreiber sagen: «Gingang der Große hat niemals stärkere Proben von seiner wahren Größe gegeben, als in dem unglücklichen Vorfalle bei – Wie groß ist der Weise im Unglück!» Doch der Fürst hielt es für seine Ehre zuträglicher, den großen Feldherrn zu seinem vordersten und ersten Staatsminister zu machen. Tausend kleinere Räder trieben das Uhrwerk des Staats und stießen das größere Rad langsam mit sich herum. Aber jeder bedeutende Schlag wurde nur  i h m e  zugeschrieben, die kleineren Räder bemerkte man kaum. – Ich wili heiraten, sagte einmal der glückliche Esel; und – wie viele Seufzer wurden geseufzt! wie viele Fächer rauschten Beifall! aber umsonst. Nur Mösis, die Bewunderung des Hofes, das Wiehern der Stutzerwelt, der Neid der drei Grazien, das Schoßkind der taubenäugigen Unschuld, sollte Gingangs Gemahlin werden – und ward sie auch. Zwar ihre Tränen! ihre Fußfälle! die Liebe des weisen, des tugendhaften Osiris! der Seufzer, der ihren Marmorbusen hob: «Sie machen mich unglücklich, Papa!» – doch Possen!

 

«Nichts», spricht Papa. «Du mußt ihn nehmen; dann er hat Geld.»

 

Zween Dichter hatten um diese Zeit den Mut, zu sagen, daß Gingang ein Esel sei, und wurden – ausgepeitscht. Kurz, in weniger Zeit hatte der glückliche Fremdling durch Plutus' Zauberkraft alle Stufen des menschlichen Ansehns erklettert. Man baute ihm Altäre, und auf allen öffentlichen Plätzen standen Statuen in Kolossengestalt mit der Unterschrift: «Gingang dem Großen! dem Göttlichen! – dem Vater des Vaterlandes!» – Myriaden Schmeichler krümmten sich wie getretene Würmer vor ihm und leckten Staub. Ein Wink – mehr nicht! – so stürzte der Weise vom Stuhl, und der Tor stieg an den verlassenen Stufen empor. Übertreter der Gesetze wurden belohnt, sobald sie Gingang in seinen Schutz nahm. Die Tugend verbarg sich in menschenfeindliche Höhlen, und die Laster fuhren wie Hummeln aus ihren Ritzen hervor. Dummköpfe saßen am Ruder, Dummköpfe quakten in heiligen Pagoden, Dummköpfe bildeten die wächserne Seelen derJugend, und es wimmelte schon unter Gingangs glücklicher Regierung im ganzen Lande von menschlichen Eseln. – Aber Plutus, nachdem er sein Götteransehen auf der Welt genug geprüft, führte den umgeschaffenen Gingang wieder im Sturm zur Hölle hinab. – Als er ankam, so jauchzte der Gott durch die Pforten der Hölle:

 

«Triumph, ihr Götterseelen! Hier

Kommt Gingang! Er, mein Held!

Triumph! Triumph! o Hölle  m i r !

I c h  bin der Gott der Welt!»

 

Und die unterirdischen Felsen ertönten von dem gewaltigen Zujauchzen der höllischen Stimmen.

 

«Triumph! Triumph! o Plutus  d i r !

D u  bist der Gott der Welt!»

 

Aber Silens Esel trabte stolz in seinen fast verkannten Stall, und die Muse hat mir im Vertrauen gesagt, daß Mösis nach ihm Zwillinge geboren, die seitdem Gingangs großen Namen auf die Nachwelt fortgepflanzt hätten.