BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Charlotte von Stein

1742 - 1827

 

Dido, ein Trauerspiel

in fünf Aufzügen.

 

Erster Aufzug.

 

___________________________________________________

 

 

 

Fünfte Scene.

Dodus, Ogon, Aratus und noch drei Abgesandte

und die Vorigen.

 

Dido.

Sagt an, edle Männer, was war des Königs Jarbas Begehren?

 

Dodus.

Er lobte unsre Sitten, unsern Verstand . . .

 

Ogon.

Auch unsre Reichthümer.

 

Dodus.

Schalt auf die Barbarei seines Landes, schämte sich ein Gätulier zu sein; genug, er verlangte einige aus deinem Volk, um den Seinigen Aufklärung zu lehren.

 

Dido.

Das macht den Meinigen Ehre. Wer bietet sich dazu an? – – Ihr schweigt?

 

Aratus.

Königin, wer von uns, an das gebildete Land gewöhnt, könnte unter den Barbaren leben? –

 

Alle Abgesandten.

Keiner!

 

Dido.

Das hätte ich nicht gedacht. Also keiner wäre einer Aufopferung fähig, die sein Vaterland zuletzt beglücken könnte! O glaubt mir! unsrer Nachbarn Weisheit bringt uns Heil, so wie ihre Thorheit uns auch über die Gränze kommt.

 

Aratus.

Königin, du hast dein Urtheil gesprochen! Höre die Wahrheit! Der König der Gätulier dringt auf sein schon ehemaliges Begehren. Versagst du ihm deine Hand, so überzieht er dein Volk mit einem blutigen Krieg!

 

Dodus.

Wem geziemt die Aufopferung? (Während die Königin in Gedanken steht, declamirt er vor sich.) So ist unser Schicksal! Der heutige Tag und der morgende und der 1) noch folgende sind Pfänder von 2) Begebenheiten in der Hand des Verhängnisses, von welchem wir keine Kenntniß haben! – – – (Die Königin noch immer in Gedanken.)

 

Ogon.

(nachdem er die Wände betrachtet, auf denen Trauben gemalt sind.)

Auf, süßes Mädchen! erwache und bring uns den Morgentrank in einem weiten Becher! Und leide nicht, daß die reichen Thracischen Weine länger gehäuft werden.

 

Dido.

Ich will es hier mit meinem Rath überlegen.

(Die Gesandten alle ab.)

 

―――――

 

1) «der» fehlte ursprünglich. 

2) statt «von» stand früher «der».