BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Caspar von Voght

1752 - 1839

 

Grabrede für den Vater

 

1781

 

Textgrundlage:

Caspar von Voght - ein Hamburgisches Lebensbild

von Dr. Otto Rüdiger, Hamburg: Lütcke und Wulff, 1901

Faksimile: Internet Archive

 

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Am Begräbnistage meines Vaters.

 

Für Euch, Ihr wenigen, die den Todten liebten, – für Dich, theure empfindliche Seele, beste der Mütter und Frauen – für Dich, auch schon Mutter, – und für Dich, Liebe, die Du jetzt unsre Trähnen trocknest – für Dich, mein Einziger, den er so liebte, – für Euch Edlen Alle die er liebte, der Mann, auf den ich stolz war, um den ich weine, – für Euch nur ist dieses Blatt. Ihr hört gern von dem Mann reden, der uns so warm, so herzlich liebte, und mein Herz spricht gern von ihm. Das ist ja Alles, was wir nun für ihn thun können, – als er lebte, konnte unsre zärtliche Sorgfalt ihn belohnen, – jetzt belohnt ihn Gott und unsre Trähne.

Könnte ich reden, wie ich fühle, ich wollte ihn der Welt darstellen, wie er war, sagen, darum liebte ich ihn, das that er, so dacht' er, darum wein ich über ihn, und kein Herz sollte ungerührt, kein Auge ohne Trähnen bleiben, – aber izt kann ich nur für euch verständlich reden, Ihr wenigen, die ihr wustet, wie groß und gut er war. Das Auge des Kalten, dem fremde Tugend nicht die Wange röthet, deß Herz bey'm Anschauen süßer häuslicher Freuden nicht schmilzt, entweihe dies Blatt nicht, – es war ja auch nur für Euch! –

Fließet sanft, meine Trähnen, ihr fließet um den Tod eines Edlen, – fließet sanft, – daß ichs Euch, meine Lieben, sagen kann, was wir Alle so oft fühlten, das Lob des Mannes, – das verzerrter Wohlstand [= affektirte Bescheidenheit?] uns verbot zu sagen, da er lebte. – Nur Ein Lob ist's das des guten Mannes würdig ist: die Erzählung seiner Thaten. Last mich Euch darauf zurückführen, – es wird unsern Schmerz mildern, wenn wir uns an so manche Züge seines schönen Lebens erinnern, – himmlische Freude wird sich in unsre Trähnen mischen, daß Gott es uns erlaubte, solch einen Mann zu beweinen.

Er war der jüngste Sohn eines Dorfpfarrers, der seiner zahlreichen Familie kaum die nothwendige Erziehung geben und für ihr weiteres Fortkommen gar nichts thun konnte. Er sollte Theologie studieren, die Wortkrämereyen der unteren Schulen waren für seinen Geist zu leer, für seine Lebhaftigkeit zu niederdrückend. Er verlies sie und – offt erzählte er es uns mit inniger Freude und einer dankbaren Trähne zu Gott – 32 [Gulden] und eine Empfehlung an einen weitläufigen Verwandten waren der ganze Reichthum, mit dem er nach Hamburg kam. Aber dieser Verwandte brachte ihn in das Haus eines würdigen teutschen Mannes – Du bist ja sein Bild, theure Mutter, und Du warst sein Liebling, – ihm hatte der Verstorbene zwei mahl sein Glück zu verdanken. Nach vielen Jahren der unermüdeten, redlichsten Arbeit schickte er meinen Vater nach Lissabon an die Spitze seines Hauses. Da zeigte sich seine ganze Thätigkeit, die Kraft seiner Seele und der Handlungsgeist, den er in so hohem Maaß besaß. Er machte aus einem ruinirten Hause das Erste Haus in Lissabon, verließ es nach 16 Jahren in den blühendsten Umständen und hatte sich durch ehrenvollen Fleiß ein Vermögen erworben, das ihn in den Stand setzte, irgendwo der Stifter einer glücklichen Familie zu werden. Ich brauche es euch nicht zu sagen, meine Lieben, was sein empfindliches Herz für eine Freude und Beruhigung in dem Gedanken fand, unser Glück und unsre Freude nur Gott und seinem Fleiß zu verdanken. Der Ahnenstolze, vielleicht der letzte seines Stammes, wenn Tugend adelte, hat er eine Empfindung, die dieser gliche? – Wir hatten einen edlen Vater!

Der Aberglaube Portugalls scheuchte ihn aus Lissabon. Vielleicht war auch von daher sein Abscheu gegen Intoleranz. Ihr wisst, wie nachsichtsvoll Er bey der herzlichsten Frömmigkeit, bey der wärmsten Liebe zur Religion, gegen andre Meynungen und gegen Irrthümer war. Gott im Menschen lieben war der Erste Grundsatz in seinem System, und, ihr Theologen! hatte er Unrecht?

Hier, meine Besten, geht nun die Zeit seines Lebens an, von der wir Zeugen waren, oder von der wir so oft haben erzählen hören.

Mein Vater suchte häusliche Glückseeligkeit. – Die Vorsicht, die so gütig fast alle seine Wünsche hier erfüllte, vielleicht die Ueberzeugung, daß die Tochter eines so tugendhaften Mannes, als der Beförderer seines Glücks war, auch die beste Frau und Mutter seyn müßte, führte ihn zurück nach Hamburg. Mein Grosvater konnte seiner Tochter keinen größern Beweis seiner Liebe geben, als daß er sie mit dem Manne verband, der während einer Ehe von 33 Jahren das Glück ihres Lebens gemacht hat. Und dieser Mann, mit welcher Zärtlichkeit genoß er die Freude, sie so glücklich zu sehen, durch sie so glücklich zu seyn!

O meine Freunde! Für euch war der Vorhang vor diesen Szenen häuslicher Glückseeligkeit geöfnet. So kannte die Welt meinen Vater nicht! Die Heftigkeit eines lebhaten Temperaments schien Fremden nicht das reizbarste, empfindlichste, zärtlichste Herz zu verbergen. Der Himmel ersparte ihm fast alle häusliche Leiden: ich bin gewiß, er hätte sie nicht ertragen können. Ich habe viele gute Menschen gekannt, aber keinen, der einer solchen Anhänglichkeit, einer solchen warmen, zärtlichen, thätigen Theilnehmung, solcher Ergiessungen des Herzens fähig gewesen wäre.

Offt, wenn er unter uns saß und bey gewissen Veranlassungen von der Liebe der Seinigen so recht überzeugt wurde, – wie die Trähnen der Freude da über seine Wangen rollten, unsre Augen naß wurden und wir Alle fühlten, daß das Glück zu lieben und geliebt zu seyn hier schon Himmel ist! Ihr Bilder der reinen ehelichen Freuden, des Bandes, das zwey Seelen für eine Ewigkeit verbindet, der reinen Liebe, die so über alle andem menschlichen Gefühle erhaben ist, wenn ihr meiner Seele gegenwärtig seyd, wenn mein klopfender Busen voll Wunsch und Ahndung für euch schlägt, – euch danke ich dieser Ehe, ich sah euch nie wahrer, nie herrlicher als hier – beste Mutter, weine nicht mehr. Die Liebe wäre für diese Welt zu viel gewesen: hier entsprang sie, um dort zu reifen, – sie blühte hier, ihre Früchte waren für die Ewigkeit. – Der süsseste, liebste Gegenstand dieser Liebe – waren wir, – der Vater war wie der Mann.

Kommt näher zu mir, meine Schwestern, – umarmt mich, last uns zugleich zu ihm aufweinen, denn er liebte uns gleich, liebte so zärtlich uns alle. – Last uns – Vater – zu ihm sagen, und sein Engel bringe den Laut zum Thron des Vaters unser Aller. – Hier ist Reden Entheiligung, Worte nichts, – nur Trähnen. –

Verklärter Geist, wenn Du mich hörst, wenn Du mich siehst, wenn Du meinem Herzen hörbar reden kannst, – gieb mir das Zeugnis, das ich mir vor Gott gebe, – ich liebte Dich.

Wie offt küste ich Dir die Trähne vom Aug', die Liebe zu mir und Zufriedenheit weinte! Noch hör ich den Ton, mit dem er unterm allgemeinen Schluchzen des Wiedersehens nach einer vierjährigen Abwesenheit sagte – „Weine nicht, mein Sohn, wir haben Dich ja wieder!“

Ja, Du dachtest zu gut von mir. Du sahst mit Augen der Liebe – aber Gott sey dafür Dank! – ich konnte Dein Glück vermehren. Ihr wißt wie warm Er an alle dem Theil nahm, was mich zu interessiren schien. – Alle meine jugendIichen Freuden, meine späten Wünsche und Entwürfe, mit welcher Freude er davon sprach, dafür arbeitete, – ihr waret ihm nichts, – aber ich war ihm viel.

Bester, unersetzlichster meiner Freunde vergebts mir, Theure, daß ich von mir sprach, – Empfindung überwältigte mich, Empfindung sey mein Richter.

Nicht mehr von uns, – er gehörte auch dem Staate zu, und der Staat weis, mit welchem unermüdeten Eyfer er die Pflichten des Bürgers erfüllte. Frey und stolz auf Freyheit, liebte er das Vaterland, das sein Geschick ihm gab. Nicht Schwäche des Alters, nicht Beschwerlichkeit hielten ihn je von den mühsahmen Arbeiten ab, wofür den Bürger Freyheit belohnt. Muht, teutsche Redlichkeit und fester Sinn charakterisirten alle seine Handlungen. Nie sich einer Neben-Absicht bewust, sagte er kühn, was er dachte, und fürchtete das Hohnlächeln und die Feindschafft keines Mannes, weil ihm der Staat heilig war. Er verwaltete das schwere Richter Amt, – man spricht noch von seiner Verwaltung. Und hier muß ich's sagen, wie ich offt die große Anlage meines Vaters bewunderte. Ohne aus Büchern geschöpfte Kenntnisse, ohne feinere Kultur, ließ sein scharfer, durchdringender Geist oft jene hinter sich zurück, die sich mit Mühe diese Vortheile verschafft hatten. Ein gesundes Urtheil, das ihn fast nie irre führte, brachte ihn gleich zur Uebersicht der Sache, die man ihm vortrug, erfaste, worauf es ankam, und dann hielt nichts ihn ab, seinem Urtheil gemäß zu verfahren und mit der bewunderungswürdigsten Thätigkeit zu seinem Zweck zu eilen.

So war er auch gegen seine Freunde. Ihr Alle, denen er so wesentlich diente: für die er mit so viel Wärme arbeitete, ihr solltet für mich reden. Aber seine Wohlthätigkeit machte viel Undankbare, – er war teutsch und bieder, wuste nicht Kleinigkeiten mit der Manier eines Hofmannes einen glänzenden Anstrich zu geben. Manche haben's ihm nie vergeben, daß er ihr Wohlthäter war.

So war, so lebte der Mann, um den wir weinen: So war jeder seiner Abende schwanger an guten Thaten für den andern Morgen. So waren die Augenblicke, die er nur selten seinen Berufs Arbeiten entriß, ganz den häuslichen Freuden geweiht. Ihr wist, meine Besten, wie noch in den lezten Jahren, da er schon schwächer ward, seine Arbeitsamkeit nie aufhörte: wie er jeden Augenblick nuzte, den ihm die schreckhaften Zufälle übrig ließen, die uns so offt besorgt machten. – hier fließen eure Trähnen aufs neue, – ihr denkt sie euch alle, die traurigen Augenblicke, wo er die nahe Zerstörung seiner Hütte fühlte, wo sein trüber halbgebrochener Blick uns oft sagte: „es wird nicht lange währen: wie Gott will. Ich habe lange das Leben genossen“, und dann ein kurzes Gebet voll Dank zu Gott. – Gott hat ihn erhört.

Sanft war sein Ende, schreckhaft nur für uns. Zu einer Zeit, da er für alle seine häuslichen Umstände gesorgt hatte, da er nach und nach die Liebe zum Leben verlohr, da nichts ihn beunruhigte, – starb er nicht, – schlummerte er hinüber ins bessere Leben, dessen er nun ganz würdig war. So stirbt der Mann, den Gott liebte: sanft wiegt ihn sein Engel mit dem Traum von seinen besten Thaten ein, – und sein Erwachen ist sein Lohn!

Da trugen sie ihn hin den Guten, senkten ihn hinunter zum Staube seiner Kinder – trüber Gedanke! Nein, nicht ihn, – die Hütte von Erd erbauet nicht ihn. Wir beteten und weinten, – er betet schon näher am Thron und weint nicht mehr – zürnt milde vielleicht auf die Trähne, die seine Seeligkeit verkennt. – Zürne nicht, geliebter Geist auch diese Trähne soll zur sanften Wemuht werden, zur seeligen Ahndung des Wiedersehens. Wie so beglückend ist Hofnung des Wiedersehens da, wo Trennung nicht mehr ist. –

Ruhe sanft, Asche des würdigen Mannes, – ein hoher Geist wohnte in Deinen Verwesungen. – Mit Dir ruhe die Feindschafft derer, die Dir übel wollten, – denn auch Du wurdest verkannt. Die Welt liebt und ehrt nur die, die sich ihre Liebe erschleichen: nicht den, der ihre Achtung verdient.

Ihr Feinde meines Vaters seyd auch meine Feinde, – aber wenn ich einst nicht mehr bin, so verstumme eure Verleumdung wie jetzt.

Und Ihr Freunde meines verklärten Vaters seyd auch meine Freunde, – ich liebte ihn zu sehr, um eurer Liebe nicht werth zu seyn. Du theure, zärtliche, – kann ich inniger als Mutter dich nennen? Sieh uns alle bemüht, deine Trähne zu trocknen, dein Leben dir lieb zu machen.

Beste, gönne uns den Trost, wenn etwas deinen Schmerz lindern kann, – so müsse es das Herz deiner Kinder seyn.