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B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A

 

 

 

 
Johann Heinrich Voss
1751 - 1826
 


 






 



A b r i ß
m e i n e s   L e b e n s


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Penzlin um 1840


Johann Heinrich Voß erwuchs in dem mecklenburgischen Städtchen Penzlin, geboren am 20. Febr. 1751 zu Sommersdorf ohnweit Wahren. Sein Vater, der nach abgelaufener Pacht eines Gutes ein städtisches Gewerbe suchte, blieb hier zufällig den Winter hindurch; im Sommer 1751 zog er nach Penzlin, wo er den Zoll von den Baronen Malzahn, und ein Haus mit einigen Gärten, samt der Gerechtigkeit des Brauens und Brennens, gekauft hatte. Er ward wohlhabend, auch durch Nebenerwerb mit der Feder, als deutscher Sachwalter.

      An dem Knaben bemerkte man früh ein ungewöhnliches Gedächtnis, allseitige Wißbegierde, und Nachsinnen bis zu Träumerei. Er hatte bald die schönsten Gesänge, Lehren und Sprüche im Kopf, und, weil er schwächlich war, zog er anstrengenden Leibesübungen das Lesen der Hausbibel und unterhaltender Volksbücher vor; im Soldatenspiel war er Anführer. Vom achten Jahr an unterrichtete ihn der Rector Struck, ein geistreicher Mann, in dessen väterlicher Zucht er durch zierliche Hand, Rechnen, Gesang, deutsche Aufsätze und Latein sich auszeichnete, ermuntert von dem Präpositus und einem Burgemeister, der den Terenz liebte. Vierzehn Jahre alt hatte er die Freude, daß sein Trieb zum Studieren auf des Rectors Rath vom Vater genehmigt ward, obgleich der Wohlstand in den Nachwehen des siebenjährigen Krieges sank.

      Im Frühling 1766 ging er zur Schule in Neubrandenburg, wo, weil er für sich die Anfänge der griechischen und selbst der hebräischen Sprache gelernt hatte, ihn der M[agister] Dankert in die oberste Klasse aufnahm. Zum Unterhalte genügten Freitische bei wohlthätigen Einwohnern, und Lehrstunden, die er des Magisters Privatzöglingen (unter andern dem jetzigen Minister von Schuckmann), und in angesehenen Häusern gab. Was er dem M. verdankt, war strenge Grammatik und Vernunftlehre; anderes konnte wohl besser sein. Für das Griechische war wöchentlich nur Eine Stunde, worin das morgende Evangelium gedolmetscht, und jedes Wortes Form und Accent erläutert ward. Nach Profangriechen begierig, stiftete V[oss] ingeheim eine Gesellschaft von 12 Primanern: einer um den andern mußte Lehrer sein; bei unauflöslichen Knoten geschah ein Aufgebot; Nachlässigkeit ward gebüßt, und das Strafgeld zum Ankauf deutscher Dichter bestimmt. Schon in Penzlin hatte V[oss] manches gereimt; der M. gab Schulverse auf, und weil V[oss] sie in Luthers Sprache schrieb, hörte er den Vorwurf Klopstockischer Unnatur. V[oss] erforschte, wer Klopstock sei; ein Mitschüler verschafte ihm, was vom Messias in den Bremischen Beiträgen steht, und ein anderer Geßners Tod Abels und die Idyllen, Ramlers Tod Jesu ward aufgeführt. Welche Poesie gegen die gewöhnlichen Musiktexte! Die griechische Gesellschaft kaufte, was Ramlers war, und was, wie Klopstock und Ramler sich zu heben schien, Hagedorn, Haller und Uz. Nun ahndete man auch in Virgil und Horaz einen höheren Sinn, und V[oss] versuchte Oden und Lieder, auch Idyllen in Hexametern.

      Im J. 1768 empfand er, daß dort nichts mehr zu lernen war. Aber wie weiter? Der Vater versank in Armut; sonst niemand, der helfen konnte, obgleich mancher von ihm sprach. Das Gerücht verschafte ihm die Stelle eines Hauslehrers bei dem Hrn. v. Oertzen in Ankershagen bei Penzlin, der ihm 60 Rthlr. mit einem Weihnachtsgeschenk, und für das zweite Jahr 70 bot; der abgegangene Kandidat hatte, wie der Koch, 80 gehabt. Im Herbst 1769 bezog V[oss] die ehemalige Raubburg, um sich so viel zu ersparen, daß er nach Halle gehn, und als Lehrer am Waisenhause sich forthelfen könnte. Dabei erfüllte er, wie in Neubrandenburg, die Pflicht, seinen Vater zu unterstüzen, der, im folgenden Hungerjahr völlig verarmt, 1771 Schulmeister ward. Nach des Tages Last (denn zu den 5 bedungenen Lehrstunden ward, da sein Klavierspiel Glück machte, noch täglich eine Klavierstunde gewünscht, und nicht bezahlt) erheiterte sich V[oss] durch Latein, Griechisch und Hebräisch, durch Musik und einsame Gänge im nahen Walde, wo Horaz und Ramler und die Hermannsschlacht mit lauter Stimme getönt, und mancher eigene Ton versucht ward. Zachariä's Verdeutschungen homerischer Stellen bei seinem Milton weckten den Mut, auch selbst einige hundert Verse der Theogonie zu übersetzen. Mehr Aufheiterung brachte der Winter von 70 auf 71, da Brückner, seit kurzem Landprediger in der Nähe, ihm älterer Freund und Rathgeber ward. Einst bei Anhörung eines neuen Gedichts entfuhr ihm ein weissagendes Lob, und, als er den Jüngling erröthen sah: Nun nun, sagte er, ich meine, was werden kann! und schloß den Bestürzten in die Arme.

      Die griechische Gesellschaft sandte dem Vorsteher in seine Burg Bücher und Musikalien; darunter kam der Göttinger Musenalmanach von 1770, herausgegeben, wie man meldete, von Kästner. V[oss] meinte, so gut, wie einiges darin, könnte ers auch liefern, und schickte heimlich ein paar Proben ein. Kästners freundlichen Brief begleitete einer von dem Herausgeber Boie, der seiner Kritik eine Erkundigung nach dem Einsender hinzufügte. Eben hatten die Aussichten auf Halle sich getrübt; ein frömmelnder Superintendent, der beim Kirchenbesuch den Jüngling zum Gebet ermahnt, und Empfehlung am Waisenhause versprochen hatte, that nichts; der Herr von Oertzen, so zufrieden mit dem jungen Hofmeister er gegen andere sich äußerte, that nichts. Auf die erhaltene Nachricht lud Boie den Verlassenen ein. Er verschafte ihm aus Hannover, wohin er Gedichte von ihm gesandt hatte, die am 26. Merz 1772 erlassene Zusicherung eines zweijährigen Freitisches; wozu er einträgliche Lehrstunden bei jungen Engländern und freie Kollegia verhieß. Getrost mit 300 Rthl. (einbegriffen mehrere Geschenke von Unadelichen, und die Zulage für die lezten 11/2 Jahre, woran der Hr. v. O. sich erinnern ließ), ging V[oss] zu Ostern 1772 nach Göttingen.

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      (Johann Heinrich Voss:
      Abriß meines Lebens.
      Rudolstadt 1818, S. 3-7)

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Entnommen dem verdienstvollen Katalog der Ausstellung der Eutiner Landesbibliothek zum 250. Geburtstag von Johann Heinrich Voss. Der Katalog ist zu beziehen über die Eutiner Landesbibliothek, Schloßplatz 4, D-23701 Eutin (Tel. 04521/701260) oder die Edition Temmen, Hohenlohestr. 21, D-28209 Bremen. (email: info@edition-temmen.com)
 
 
 
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