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B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A

 

 

 

 
Johann Heinrich Voss
1751 - 1826
 


 






 



O d e n ,
E l e g i e n ,
L i e d e r ,
E p i g r a m m e
1 7 8 2 - 1 8 0 1


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Der fette Prediger
(Epigramm 1784)

Wenn Pastor Schmidt
Mit schwerem Schritt
Die Straße tritt:
«Gott segn' euch, Herr!»
5
Schrein um ihn her
Die Pflasterer
Und sehn in Ruh'
Dem Rammeln zu.

 
Stand und Würde
(Epigramm 1784)

      Der adlige Rath:
Mein Vater war ein Reichsbaron!
Und Ihrer war, ich meine . . . ?

      Der bürgerliche Rath:
So niedrig, daß, mein Herr Baron,
Ich glaube, wären Sie sein Sohn,
5
Sie hüteten die Schweine.

 
Im Grünen
(1787)

vertont von
Johann Karl Gottfried Loewe (1796-1869),
«Frühlingslied», vor 1829.
Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847),
«Im Grünen», op. 8 no. 11 (1828).
Johann Abraham Peter Schulz (1747-1800),
«Im Grünen», veröffentlicht 1782-90.


Willkommen im Grünen!
Der Himmel ist blau,
Und blumig die Au,
Der Lenz ist erschienen!
5
Er spiegelt sich hell
Am luftigen Quell
      Im Grünen!

Willkommen im Grünen!
Das Vögelchen springt
10
Auf Sproßen, und singt:
Der Lenz ist erschienen!
Ihm säuselt der West
Ums heimliche Nest
      Im Grünen!

15
Willkommen im Grünen!
Aus knorrigem Spalt
Der Eichen erschallt
Das Sumsen der Bienen;
Flink tragen sie heim
20
Den würzigen Seim
      Im Grünen!

Willkommen im Grünen!
Es blöcket im Thal
Das Lämchen, vom Stral
25
Der Sonne beschienen;
Das fleckige Reh
Durchhüpfet den Klee
      Im Grünen!

Willkommen im Grünen!
30
Hier labt uns der Most,
Bei ländlicher Kost;
Und Weiblein bedienen!
Hier ruhen wir weich
Am plätscherden Teich
35
      Im Grünen!

Willkommen im Grünen!
Wir schenken aufs Wohl
Der Weiblein uns voll,
Und äugeln mit ihnen!
40
Am flimmernden Stral
Klingt hell der Pokal
      Im Grünen!

Willkommen im Grünen!
Hier darf man vertraut
45
Gelagert im Kraut,
Zum Kuß sich erkühnen!
Es wallet vor Lust
Auch Weiblein die Brust
      Im Grünen!

50
Willkommen im Grünen!
Ein Kranz von Gezweig
Und Blüten wird euch
Die Strafende sühnen.
Die sprödeste Frau
55
Nimts nicht so genau
      Im Grünen!

 
Das Landmädchen
(1788)

An meines Vaters Hügel,
Da steht ein schöner Baum:
Gern singt das Waldgeflügel
An meines Vaters Hügel,
5
Und singt mir manchen Traum.

Man ruht auf weichem Rasen,
Von Zitterglanz erhellt;
Die Schaf' und Lämmer grasen;
Man ruht auf weichem Rasen,
10
Und überschaut das Feld.

In grüngewölbtem Laube,
Die Sonne schien so warm!
Belauscht' ich meine Taube
In grüngewölbtem Laube,
15
Und froher Würmchen Schwarm.

Da kam er mit Erröthen
Durch hohes Gras daher;
Ich hatt' ihn nicht gebeten:
Da kam er mit Erröthen,
20
Gewiß von Ohngefähr.

Vertraulich sank er nieder
Zu mir auf weiches Gras.
Mir ward so eng das Mieder!
Vertraulich sank er nieder,
25
Und sprach, ich weiß nicht was.

Er wäre gern geblieben;
Allein ich hieß ihn gehn.
Mich deucht, er sprach von Lieben:
Er wäre gern geblieben,
30
Und schmeichelte so schön.

Wie öd' ist mir seit gestern
Die Stell' im weichen Gras!
Erzählt was, liebe Schwestern!
Wie öd' ist mir seit gestern
35
Die Stelle, wo er saß!

 
Die Spinnerin
(1789)

Ich armes Mädchen!
Mein Spinnerädchen
Will gar nicht gehn,
Seitdem der Fremde
5
In weißem Hemde
Uns half beim Weizenmähn!

Denn bald so sinnig,
Bald schlotternd spinn' ich
in wildem Trab,
10
Bald schnurrt das Rädchen,
Bald läuft das Fädchen
Vom vollen Rocken ab.

Noch denk' ich immer
Der Sense Schimmer,
15
Den blanken Hut,
Und wie wir beide
An gelber Weide
So sanft im Klee geruht.

 
Der Korb
(1790)

Es freit' ein alter Junggesell,
Mit neugeschabtem Barte.
Wie that er schön, wie kuckt' er grell,
Als man bei Tisch uns paarte!
5
Laß ihn nur grell und artig sein,
Und noch so glatt sich schaben!
Nein, wahrlich nein!
Ich will den Herrn nicht haben.

Er trug ein Kleid von altem Schnitt,
10
Und seines Oheims Schnallen.
Wie äugelt' er, wie macht er mit,
Dem Mädchen zu gefallen!
Er mag um reiche Wittwen frein,
Mit reichen Morgengaben!
15
Nein, wahrlich nein!
Ich will den Herrn nicht haben.

Mitseinem wohlersparten Gut
Und seiner Tugend pral' er!
Was kümmert mich sein falber Hut,
20
Und seine blanken Thaler!
Soll sich ein frisches Jüngferlein
Am dürren Geize laben?
Nein, wahrlich nein!
Ich will den Herrn nicht haben.

25
Bald sezt er weiter seinen Stab,
Um ehrenfest zu werben.
Dann, Schwestern, fertigt flink ihn ab
Mit nett geflochtnen Körben!
Laßt ihn sogar zum Zipperlein
30
Auf Freierfüßen traben!
Nein, wahrlich nein!
Ich will den Herrn nicht haben.

 
Heraklits Sittenspruch
(Epigramm 1790)

Ferne von Menschen zu sein, wenn dies dir Seligkeit scheinet,
Bist du entweder ein Gott, Einsamer, oder ein Vieh.

 
Die Spinnerin
(1791)

Ich saß und spann vor meiner Thür,
Da kam ein junger Mann gegangen;
Sein braunes Auge lachte mir,
Und röther glühten seine Wangen.
5
Ich sah vom Rocken auf und sann
Und saß verschämt, und spann und spann.

Gar freundlich bot er guten Tag
Und trat mit holder Scheu mir näher;
Mir ward so angst; der Faden brach;
10
Das Herz im Busen schlug mir höher.
Betroffen knüpft' ich wieder an
Und saß verschämt, und spann und spann.

Liebkosend drückt' er mir die Hand,
Und schwur, daß keine Hand ihr gleiche,
15
Die schönste nicht im ganzen Land',
An Schwanenweis' und Ründ' und Weiche.
Wie sehr dies Lob mein Herz gewann;
Ich saß verschämt, und spann und spann.

Auf meinen Stuhl er lehnt' den Arm
20
Und rühmte sehr das feine Fädchen,
Sein naher Mund, so roth und warm,
Wie zärtlich haucht' er: Süßes Mädchen!
Wie blickte mich sein Auge an!
Ich saß verschämt, und spann und spann.

25
Indes an meine Wange her
Sein schönes Angesicht sich bückte,
Begegnet' ihm von Ohngefähr
Mein Haupt, das sanft im Spinnen nickte;
Da küßte mich der schöne Mann.
30
Ich saß verschämt, und spann und spann.

Mit großem Ernst verwies ichs ihm;
Doch ward er kühner stets und freier,
Umarmte mich mit Ungestüm
Und küßte mich so roth wie Feuer.
35
O sagt mir, Schwestern, sagt mir an:
Wars möglich, daß ich weiter spann?

 
Hymnus der Freiheit
(Gesang der Neufranken)

(1793)

Denen, die dieses Gedicht anstößig finden mögten, ist es hoffe ich unzugänglich. Wohl dem Staate, wo ein Hymnus der Freiheit Gefühl des Glüks ist, das man genießt. Wo er es nicht ist, da streben freilich Regierungen und Volksmeinungen, Volksglük und Geist der Zeiten gegen einander und da gehet es dann, wie es kann; aber glüklich sind weder Regent, noch Volk. Dii hostibus illum.

Melodie:
Marsch der Marseiller.


Sei uns gegrüßt, du holde Freiheit!
Zu dir ertönt froh der Gesang!
Du zerschlägst das Joch der Bezwinger,
Und erhebst zu Tugend und Heil!
5
Du erhebst zu Tugend und Heil!
Uns zu erneun, kehrst du vom Himmel,
Längst deinen Geweihten ersehnt!
Was hemmet ihr Bezwinger noch
In verschworner Wut die Erneuung?
10
      Mit Waffen in den Kampf!
      Für Freiheit und für Recht!
Naht, Bürger, naht! Bebt, Mietlingsschwarm!
Entfliehet oder sterbt!

      CHOR
Wir nahn, wir nahn! Bebt, Mietlingsschwarm!
15
Entfliehet oder sterbt!

O wie betäubt von Todesschlummer
Wie gar entmenscht starrte der Mensch!
Du berührst ihn sanft; er erwachet,
Und vertraut sich, denket und fühlt!
20
Er vertraut sich, denket und fühlt!
Ihr, die zum Vieh Menschen entwürdigt,
Unmenschen, ihr trozet noch jezt?
Ihr straft, wo ein Gedank' ertönt,
Und erzwingt fühllosen Gehorsam?
25
      Mit Waffen in den Kampf!
      Für Freiheit und für Recht!
Naht, Bürger, naht! Bebt, Mietlingsschwarm!
Entfliehet oder sterbt!

      CHOR
Wir nahn, wir nahn! Bebt, Mietlingsschwarm!
30
Entfliehet oder sterbt!

In der Befehdung wüstem Alter
Habt ihr des Volks Kette gefügt!
Mit berittnen Horden bezwangt ihr,
Wo der Fleiß sich Hütten gebaut!
35
Wo der Fleiß sich Hütten gebaut!
Wie ihr das Volk, banden den Landmann
Leibeigen sich Ritter und Knapp!
Ihr weigert die Erlösung noch?
Ihr verstärkt die Kette der Knechtschafft?
40
      Mit Waffen in den Kampf!
      Für Freiheit und für Recht!
Naht, Bürger, naht! Bebt, Mietlingsschwarm!
Entfliehet oder sterbt!

      CHOR
Wir nahn, wir nahn! Bebt, Mietlingsschwarm!
45
Entfliehet oder sterbt!

Nur des Berittnen weicher Enkel
Ist von Geburt edel und klug!
Ihm allein wird alle Verwaltung,
Das Gebot im Frieden und Krieg!
50
Das Gebot im Frieden und Krieg!
In dem Gepräng' eiteler Thorheit
Mishandelt er Geist und Verdienst!
Kaum schüzet noch ein Titelschall;
Und des Bürgers Namen ist Schmähung!
55
      Mit Waffen in den Kampf!
      Für Freiheit und für Recht!
Naht, Bürger, naht! Bebt, Mietlingsschwarm!
Entfliehet oder sterbt!

      CHOR
Wir nahn, wir nahn! Bebt, Mietlingsschwarm!
60
Entfliehet oder sterbt!


Wie das Gezücht unnüzer Hummeln
Euch den Ertrag, Bienen, entraft:
So verschwelgt des Landes Gemeingut
Der gebohrnen Höflinge Schwarm!
65
Der gebohrnen Höflinge Schwarm!
Und es erwächst Schuld und Beschazung
Weitwuchernder Üppigkeit Frucht!
Für Haupt wird dann gesteurt und Brot;
Und die Wittwe weint mit den Waisen!
70
      Mit Waffen in den Kampf!
      Für Freiheit und für Recht!
Naht, Bürger, naht! Bebt, Mietlingsschwarm!
Entfliehet oder sterbt!

      CHOR
Wir nahn, wir nahn! Bebt, Mietlingsschwarm!
75
Entfliehet oder sterbt!

Wann hat Gefühl gemeines Wohles
Euch in das Herz, Edle! gestralt?
Unerzogen selbst, nur gebildet,
Auch dem Volk versperrt ihr das Licht!
80
Auch dem Volk versperrt ihr das Licht!
Und es erträgt Raub des Gewildes,
Hezgeißel und Jäger und Hund!
Die Saaten, die es kaum geschirmt,
Die zerstampft die tobende Rennjagd!
85
      Mit Waffen in den Kampf!
      Für Freiheit und für Recht!
Naht, Bürger, naht! Bebt, Mietlingsschwarm!
Entfliehet oder sterbt!

      CHOR
Wir nahn, wir nahn! Bebt, Mietlingsschwarm!
90
Entfliehet oder sterbt!

Und es erträgt zahllose Heere,
Die wie der Feind lasten und drohn:
Nur genährt zum Dienste der Willkühr,
Dem Gewerb' und Pfluge geraubt!
95
Dem Gewerb' und Pfluge geraubt!
Und es erträgt Kriege des Thrones,
Arglisten und Launen ein Spiel!
Und, Jammer! an ein fremdes Volk
Wird verkauft sein Blut von der Habsucht!
100
      Mit Waffen in den Kampf!
      Für Freiheit und für Recht!
Naht, Bürger, naht! Bebt, Mietlingsschwarm!
Entfliehet oder sterbt!

      CHOR
Wir nahn, wir nahn! Bebt, Mietlingsschwarm!
105
Entfliehet oder sterbt!

O du Beherrscher, sei uns Vater;
Und dir gehorcht kindlich das Volk!
Die Erfahrnen hör' und die Guten,
Die das Volk zum Rath dir gesandt!
110
Die das Volk zum Rath dir gesandt!
Es sei geehrt Fleiß nur und Tugend,
Wohlthätig für Leben und Geist!
Doch schwelgst du mit der Hochgeburt,
Und erstickst die Rufe der Menschheit?
115
      Mit Waffen in den Kampf!
      Für Freiheit und für Recht!
Naht, Bürger, naht! Bebt, Mietlingsschwarm!
Entfliehet oder sterbt!

      CHOR
Wir nahn, wir nahn! Bebt, Mietlingsschwarm!
120
Entfliehet oder sterbt!

 


Unterschrieben von Vossens Söhnen
und deren Schulkameraden


Grabschrift unseres Haushahns
(1793)

An diesem Baume ruht
Der Haushahn treu und gut.
Er führt' ins achte Jahr
Der lieben Frauen Schaar.
5
Als wackrer Ehemann,
Rührt' er kein Krümchen an,
Was wir ihm vorgebrockt,
Bis er die Fraun gelockt.
Nun strozet er nicht mehr
10
Im Hofe stolz umher,
Und jagt aus seinem Ort
Des Nachbars Hüner fort.
Nun schüzt er nicht vor Graun
In Sturm und Nacht die Fraun.
15
Nun wecket uns nicht früh
Sein helles Kikeri.
Vor Alter blind und taub,
Sank er zulezt in Staub.
Sein Kamm so schön und roth,
20
Hing nieder, bleich vom Tod.
Hier gruben wir ihn ein,
Wir Kinder, groß und klein,
Und sagten wehmutsvoll:
Du guter Hahn, schlaf wohl!

 
Junker Kord
(1794)

Ein Gegenstück zu Virgils Pollio
Sicilides Musae, paullo majora canamus
(Virg. Ecl. IV)


Sing' höheren Gesang, o ländliche Kamöne.
Nicht jeder liebt die Flur und sanfte Flötentöne.
Ein Lied, des Junkers werth, ein Lied voll Saft und Mark,
Ein edles Waldhornstück durchschmettere den Park.

5
Horch! von dem Schindelthurm summt schwellend durch die Himmel
Zu Stadt und Dörfern rings ein feierlich Gebimmel.
Horch! zwölffach ruft vom Hof metallner Böller Knall
Und gellendes Juchhein dem fernen Wiederhall.
Unruhig fragt das Dorf, was doch der Lerm bedeutet,
10
Warum so rasch aufs Schloß der Adel fährt und reitet.
Freud' über Freud'! ertönts; der Storch hat diese Nacht
Für unsers Junkers Frau ein Jünkerchen gebracht!

Traur', armes Waldgeschlecht! Ihr Rehe, Schwein' und Hirsche,
Traurt rudelweis'; euch droht die mörderlichste Birsche!
15
O Has' und Häsin, traurt! Ein schrecklich Kind erwuchs!
Vor seinem Rohr entrinnt kein Otter und kein Fuchs!
Umschreit, ihr Vögelschwärm', und hackt mit Klau und Schnabel
Ihn, der euch Mord gebracht, den Unglücksstorch der Fabel!
Euch schüzt vor Beiz' und Schuß kein Schluf des Moors und Walds;
20
Dich, Trappe, nicht der Flug, dich, Birkhahn, nicht die Balz!

Noch harmlos ruht und fromm der sanftgewiegte Junker:
Sein Wappen ziert die Deck', im Glanz der goldnen Klunker;
Es wehrt dem Ungethüm der Basen Kreuz und Spruch;
Die Nichten sehn das Bild des Vaters Zug vor Zug.
25
Der Vettern Waidgelag stößt an mit vollem Glase;
Rheinwein und englisch Bier bepurpert jede Nase.
Windspiel und Dogg' und Brack und Dachs- und Hühnerhund
Hüpft wedelnd um die Wieg', und leckt ihm Hand und Mund.
Unsichtbar überschwebt das Dach der wilde Jäger
30
Auf trübem Nebelgaul, und wird des Kindleins Pfleger.
Bald horchts, und lächelt still, auf Hifthorn und Geblas,
Zielt an der Amme Brust, und lallt: Aport und Paf!
Bald lernt es namentlich der Hunde Trup zu locken;
Mit hölzernem Gewehr, Wildpret und Jägerdocken
35
Spielts Jagd; und selbst der Mund des gütigen Papas
Pfeift ihm dazu ein Stück auf seinen Pulvermaß.
Wohl dir, holdselig Kind! Dir sprießet Gerst' und Hopfen
Auf väterlicher Flur, zu braunen Balsamtropfen;
Dir trägt die Biene Meet zu starker Morgenkost;
40
Aus eignem Garten quillt würzhafter Apfelmost!

Wann, als Husar, der Knab' ein Steckenpferdchen tummelt,
Den kleinen Tiras schlägt, und auf der Trommel rummelt;
Behaglich hört er dann vom Oheim und Papa
Gar manchen Jugendschwank, und athmet staunend Ah!
45
Selbst führt der Vater ihn durchs große Tafelzimmer,
Und zeigt rings an der Wand der Wappen bunte Schimmer,
In Stal und Knebelbart der Ahnenbilder Reih,
Und über jedem Bild' ein stattlich Hirschgeweih.
Schau, ruft er, Junker Kord, schau jenen Sechzehnender!
50
Den schoß ich dir als Bursch für unsern Bratenwender!
Noch seh' ich, wie voll Angst durch Heid' und Bach er lechzt,
Mit Schweiß die Fährte färbt, und hin sein Leben ächzt!
Als Bursch erlegt' ich auch, ohn' einen Schuß der Büchse,
Mit bloßem Peitschenhieb, den schlauesten der Füchse!
55
Wie Donnerwetter gings! Mir stürzten in den Sand
Drei Klepper: dennoch ward der Bau ihm kurz verrannt!
Wie aber sprang mit mir der Wallach über Hecken
Und Zäun' und Graben hin! Wie bäumt' er wild vor Schrecken,
Als ich den Wehrwolf mit geerbtem Silber schoß,
60
Und schnell ein altes Weib aus Lumpen Blut vergoß!

Was weinst du, zärtlichste der Mütter? Troz den Thränchen,
Lernt Schreib' und Lesekunst, vier Stunden Tags, dein Söhnchen.
Doch ist sein Kandidat nicht unnüz ganz und gar:
Er tanzt und ficht mit Kord, und kräuselt ihm das Haar.
65
Auch weiß der Mensch, ein Wust von Wissenschaften ziere
Nur Bürgervolk zur Noth, doch schänd' er Kavaliere.
Was macht ein junger Herr mit Griechisch und Latein?
Sollt' er der klügste Sproß des alten Stammbaums sein?

Eh noch sein flaumig Kinn der Diener eingeseifet,
70
Wird er ein voller Kerl, im Jägerkrug gereifet,
Spielt deutsches Solo, schnapst, schiebt Kegel, schmaucht Taback,
Und leert auf Einen Zug sein Reifglas Kniesenak.
Beherzt nun schäkert er um Gouvernant' und Zofe,
Nicht knabenhaft, und bald um jede Magd im Hofe.
75
Doch hält ihn Lenens Reiz, hochstämmig, roth von Mund,
Mit derbem Backenpaar, von Brust und Hüfte rund.
Heuboden, Garten, Wald, ihr wißt, warum die Schürze
Sich so zur Ungebühr dem armen Lenchen kürze.
Sei lustig, gutes Ding! Zwar keift die gnädge Frau,
80
Zwar stehst du büßend bald im Kirchengang zur Schau;
Allein was achtest du des Zischelns und des Hohnes?
Die Herschaft in Geheim freut sich des wackern Sohnes;
Auch nimt der Kandidat voll Unterthänigkeit
In deiner Schürz' einmal die Pfarre hocherfreut.

85
O Kord, zum zwanzigsten Geburtstag nun erwachsen,
Des jungen Adels Kron' im Doppelreich der Sachsen,
Verherlichst du den Glanz des nahen Hofs, und wirst
Jagdjunker, dreist und keck. Verdienste lohnt der Fürst.
In silberhellem Grün, mit reger Hunde Koppeln,
90
Trabst du zur Martinsjagd durch Auen, Forst' und Stoppeln.
Wie hallt Gebell und Horn! wie schnaufen Roß und Mann!
Wie scheucht der Dörfer Volk das Wild bergab bergan!
Doch hebt sein adlich Herz auch mildere Bewegung:
Er schirmt mit List und Mut verrufnes Wildes Hegung,
95
Wenn gleich der Bauer laut zum Landesvater klagt.
Zur Strafe wird dem Schelm sein Brotkornfeld zerjagt.
Ihm huldigten, fürwahr! Vestalinnen und Nonnen,
Durch liebenswürdige Zudringlichkeit gewonnen.
Zwar Weiber kosten viel, und der Papa ist knap;
100
Doch mahne Jud' und Christ! er lacht, und handelt ab.
Zur Wette spornt er einst den feurigen Polacken,
Sprengt tollkühn übers Heck, und stürzet. Weh! es knacken
Zwei Rippen ihm morsch ab! Möcht' er gerettet sein!
Er ists! um bald als Herr sein Völkchen zu erfreun.

105
Seht da! Frau Lenens Mann, der Ausbund der Pastöre,
Kommt sporenstreichs vom Gut auf der besprizten Mähre:
«Ihr Vater, Herr Baron!» - Ist endlich abgeschurrt? -
«Am Schlag!» - Nun, gute Nacht. So hat er ausgeknurrt.

Leibeigne, jung und alt, mit Jubel und mit Segen
110
Hüpft eurem Herrn, mit Spiel und Sensenklang entgegen!
Der wird voll Eifers sich erbarmen eurer Mühn,
Und eure Kinder fromm und wirtschaftlich erziehn!
Streut Blumen auf den Weg, singt, Mädchen, singet munter,
Und schlagt die Hark' im Takt! Er winkt vom Hengst herunter
115
Euch Küsse! Jäger, blast! Ihr Hund', erhebt das Maul,
Und grüßt mit festlichem, vielstimmigem Gejaul!

Die ganze Bauerschaft mit aufgereckten Ohren
Schwört Ihm, des gnädigen Barons Hochwohlgebohren,
Erb- und Gerichtesherrn der alten Baronei,
120
Nach vorgelesner Schrift des Frohnvogts, Pflicht und Treu.
Bankett und Ball empfängt die Adlichen der Gegend,
Mit Prunk und Völlerei die groben Sinne pflegend.

Im Kreis der Spötter sizt der muntre Schwarzrock auch,
Antwortet bibelfest, und sättiget den Bauch.
125
Jauchzt, froher Ahndung voll, jauchzt, Unterthan und Pächter!
Stimmt ins Gekreisch, ins laut aufschallende Gelächter
Der Damen und der Herrn! Vom Jägerchor wird jezt
Ein matter Fuchs geprellt, ein Marder todt gehezt!

Schon herscht er ritterlich, uralter Straßenräuber
130
Unausgeartet Kind, ein stolzer Menschentreiber!
Sein Prachtschloß überschaut nur Hütten rings von Stroh;
In weiter Segensflur ist er, der eine, froh!
Ihm wird durch Frohn und Zwang geerntet und gebuttert,
Und, fast dem Zugvieh gleich, sein Menschenvieh gefuttert.

135
Fällt einst ein Misjahr ein; er laurt, und schüttet auf:
Je dürftiger der Mann, je wuchrischer der Kauf.
Von Brennen und von Braun, von Handwerk und Gewerbe,
Strozt sein freiherrlich Gut, ob nahrlos auch ersterbe
Die hartbeschazte Stadt: er schüzt in alter Kraft
140
Freiheit von Zoll und Schoß, als Recht der Ritterschaft.
Der Baur und Bürger wird Kanalj' und Pack betittelt,
Und seinem Anwachs früh die Menschheit ausgeknittelt:
Schulmeister, spricht er, macht die Buben nicht zu klug!
Ein wenig Christenthum und Lesen ist genug!
145
Beim Pfeifchen schwazt mit ihm von Korn- und Pferdeschacher
Sein Pfäflein, und beseufzt der neuen Büchermacher
Gottlosigkeit. Verdammt zum Galgen und zum Rad
Wird dann durch beider Spruch Freigeist und Demokrat!
Der welken Stadtmamsell abtrünnig, wählt er endlich
150
Ein Fräulein sich zur Dam', halb höfisch und halb ländlich.
Bald seht ihr junge Zucht, dem edlen Vater gleich;
Spielt nicht des Kutschers Tück' ihm einen Kukuksstreich.

 
Die erneuete Menschheit
(1794)

Stille hersch', Andacht, und der Seel' Erhebung,
Ringsumher! Fern sei, was befleckt von Sünd' ist,
Was dem Staub' anhaftet, zu klein der Menschheit
Höherem Aufschwung!

5
Dem die Weltkreis all in den Sonnenhimmeln
Staub sind; dem Weltjahre wie Augenblicke;
Dem, gesamt aufstrebend, der Geister Tiefsinn
Nur ein Gedank' ist;

Dessen Macht kein Maß der Erschafnen ausmißt;
10
Dessen fernhin dämmerndes Licht Begeistrung
Kaum erreicht, hochfliegend: den Geist der Geister!
Betet ihn an! Gott!

Nicht der Lipp' Anbetung ist werth der Gottheit,
Nicht Gepräng' abbüßendes Tempeldienstes,
15
Nicht Gelübd' und Faste; nur That geklärter
Menschlichkeit ehrt ihn!

Dich allein Abglanz von der Gottheit Urlicht,
Menschlichkeit! dich sah der entzückte Denker,
Bebt' in Wollust, rang, wie zur Braut der Jüngling,
20
Ach! und umschloß dich!

Flog mit dir aufwärts, und vernahm in Demut
Näher Gott! - Allvater, erbarm dich unser!
Fleht' er auf: Allvater, unendlich groß, unendlicher Güte!

25
Flehn auch wir: Allvater, erbarm dich ihrer,
(Ach sie thuns unkundig!) die: Gott der Heerschaar!
Uns nur Gott! aufrufen, der Rache Zorn dir
Löschend in Sühnblut!

Gott, sie nahn lobsingend, vom Blut der Brüder
30
Wild, die fromm dir dienten den Dienst der Heimat,
Anders nur dich, Großer, Engeln selbst Viel-
namiger! nennend!

Höchstes Gut allstets und des Guten Geber!
Ihm, der Raubwild jagt in der Eichelwaldung;
35
Ihm, der Feind' abwehrt mit Geschoß und Harnisch,
Froh des Gemeinwohls:

Oder ihm, deß Seel', in das All sich schwingend,
Mit der Grundursachen Gewicht und Maße,
Harmonie wahrnimt, aus Verblühn Erschaffung,
40
Leben aus Tode!

Ob wie todt auch starre der Geist der Menschheit,
Durch der Willkür Zwang und gebotnen Wahnsinn;
Doch erringt siegreich auch der Geist der Menschheit
Neue Belebung.

45
Zwar er schlief Jahrhunderte, dumpf in Fesseln,
Todesschlaf, seit himmelempor die Freiheit
Vor den Zwingherrn floh und des Gözenpriesters
Laurendem Bannstral.

Luther kam: auf schauert' im Schlaf der Geist ihm,
50
Blickt' umher, schloß wieder das Aug' in Ohnmacht
Und vernahm leis' ahnend den Laut aus Trümmern
Attischer Weisheit.

Bald, wie Glut fortglimmt in der Asch', am Windhauch
Fünkchen hellt, roth wird, und in Feuerflammen
55
Licht und Wärm' ausgießt: so erhub der Menschheit
Schlummernder Geist sich,

Lebensfroh! Hin sank die verjährte Fessel,
Sank der Bannaltar, und die Burg des Zwingherrn;
Rege Kraft, Schönheit und des Volks Gemeinsinn,
60
Blühten mit Heil auf!

 
Morgenlied
(1794)

vertont von
Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847), op. 86 no. 2
Karl Friedrich Zelter (1758-1832), 1799?


      Erwacht in neuer Stärke,
      Begrüß' ich, Gott, dein Licht,
      Und wend' auf deine Werke
      Mein frohes Angesicht.
5
Wie herrlich stralt die Sonn' empor,
Und weckt des Lebens lauten Chor!

      Wir feirten all' ermattet,
      Und sehnten uns nach Ruh;
      Da schloß, von Nacht umschattet,
10
      Dein Schlaf die Augen zu;
In Nest und Höhle lag das Thier,
Gedehnt auf weichem Lager wir.

      Da floß aus deiner Fülle
      Erquickung unbemerkt:
15
      Wir lagen sanft in Stille,
      Aufathmend und gestärkt!
Wir fühlten unser Leben kaum,
Und um uns spielt' ein leichter Traum.

      Es schwebte leis' am Himmel
20
      Die Muterfreuerin,
      Die Nacht im Sterngewimmel,
      Und thaute Segen hin.
Und goß, ging' einer wo noch spat,
Ihm Dämmerlicht auf seinen Pfad.

25
      Bald hellte sich die Frühe,
      Im kühlen Morgenwehn.
      Auf Einmal steigt, o siehe!
      Die Sonne, roth und schön:
Erst Berg und Wipfel, dann das Thal,
30
Mit Thau betröpfelt, glühn im Stral.

      Von Jubel lebts und webet
      Durch Feld, Gebüsch und Luft;
      Das Vieh voll Mutes strebet,
      Und schnaubt den frischen Duft.
35
Das Vöglein schüttelt sich vom Thau,
Fliegt auf, und singt im hellen Blau.

      Mit heiterm Aug' und sinnend
      Geht nun der Mensch, und schaft,
      Sein Tagewerk beginnend,
40
      Voll Lust und junger Kraft:
Er geht mit Singen und Gebet;
Und was er vornimmt, das geräth.

      Gott, deine Sonne raget,
      Und stralt uns Lieb' und Macht!
45
      Wohl uns hinfort, wanns taget
      Nach unsrer lezten Nacht!
O Gott, in deinem Sonnenschein,
Wer wollte nicht auch gern erfreun!

 
Abendlied
(1794)

Das Tagewerk ist abgethan,
Gieb, Vater, deinen Segen!
Nun dürfen wir der Ruhe nahn;
Wir thaten nach Vermögen.
5
Die holde Nacht umhüllt die Welt,
Und Stille herscht in Dorf und Feld.

Ohn' Ende kreist der Rundelauf
der eitlen Lebenssorgen:
Den Müden nimt der Abend auf;
10
Ihn weckt der andre Morgen.
Man trachtet, hoft, genießt, wird satt;
Groß siehts, wer wünscht, und klein, wer hat.

Aus Lieb' hat uns der Vater Schweiß
Und Arbeit aufgeleget.
15
Des Leibes Wohl gedeiht durch Fleiß;
Der Geist auch wird erreget,
Und strebt aus eitler Sorgen Tand
Empor zu Gott, der ihn gesandt.

Wann du getreu vollendet hast,
20
Wozu dich Gott bestellte;
Behaglich fühlst du dann die Rast,
Vom Thun in Hiz' und Kälte.
Am Himmel blinkt der Abendstern,
Und zeigt noch beßre Rast von fern.

25
Auf Hahn und Blume läßt geheim
Der Vater Labsal thauen;
Mit lassen Knien wandert heim
Der Mensch aus kühlen Auen:
Ihn bettet Gott zu süßer Ruh,
30
Und zieht des Dunkels Vorhang zu.

Er aber sorgt indeß und wacht
Für uns mit Vatergnade,
Daß nicht ein Unfall wo bei Nacht
An Leib' und Gut uns schade.
35
Wir ruhn, uns selber unbewußt,
Und wachen auf, voll Kraft und Lust.

So ruhn wir, naht das Stündlein einst,
Im Rasenbett der Erde.
Was sinnest du am Grab' und weinst?
40
Gott ruft auch hier sein Werde!
Bald neugeschaffen stehn wir auf,
Und heben an den neuen Lauf.

 
Der Herbstgang
(1794)

Für Christian Rudolf Boie.


Die Bäume stehn der Frucht entladen,
Und gelbes Laub verweht ins Thal;
Das Stoppelfeld in Schimmerfaden
Erglänzt am niedern Mittagsstral.
5
Es kreist der Vögel Schwarm und ziehet;
Das Vieh verlangt zum Stall, und fliehet
Die magern Aun, vom Reife fahl.

O geh am sanften Scheidetage
Des Jahrs zu guter Lezt hinaus,
10
Und nenn' ihn Sommertag, und trage
Den lezten schwer gefundnen Strauß.
Bald steigt Gewölk, und schwarz dahinter
Der Sturm, und sein Genoß, der Winter,
Und hüllt in Flocken Feld und Haus.

15
Ein weiser Mann, ihr Lieben, haschet
Die Freuden im Vorüberfliehn,
Empfängt, was kommt, unüberraschet,
Und pflückt die Blumen, weil sie blühn.
Und sind die Blumen auch verschwunden;
20
So steht am Winterheerd' umwunden
Sein Festpokal mit Immergrün.

Noch trocken führt durch Thal und Hügel
Der längstvertraute Sommerpfad.
Nur röthlich hängt am Wasserspiegel
25
Der Baum, den grün ihr neulich saht.
Doch grünt der Kamp von Winterkorne;
Doch grünt, beim Roth der Hagedorne
Und Spillbeern, unsre Lagerstatt!

So still an warmer Sonne liegend,
30
Sehn wir das bunte Feld hinan
Und dort, auf schwarzer Brache pflügend,
Mit Lustgepfeif, den Ackermann:
Die Krähn in frischer Furche schwärmen
Dem Pfluge nach, und schrein und lärmen;
35
Und dampfend zieht das Gaulgespann.

Natur, wie schön in jedem Kleide!
Auch noch im Sterbekleid wie schön!
Sie mischt in Wehmut sanfte Freude,
Und lächelt thränend noch im Gehen.
40
Du, welkes Laub, das niederschauert,
Du Blümchen, lispelst: Nicht getrauert!
Wir werden schöner auferstehn!

 
Der Rosenkranz
(1794)

      An des Beetes Umbüschung
      Brach sie Rosen zum Kranz,
      Feurig prangte die Mischung
      Rings im thauigen Glanz.
5
Ros' auf Ros' in das Körbchen sank,
Purpurroth, und wie Silber blank.

      Zwar den Grazien heilig,
      Sang sie, blühet ihr dort;
      Warum aber so eilig
10
      Abgeblüht und verdorrt.
Die sich eben geöfnet blähn,
werden bald in dem Winde wehn!

      Rund zusammen gefaltet,
      Glühst du schwellend am Strauch;
15
      Komm', o Rose: dich spaltet
      Mein anathmender Hauch.
Ach! wir schwellen, wie du, und glühn;
Nur ein Lüftchen, und wir verblühn.

      Du rothstreifiges Knöpfchen
20
      Zitternd scheust du dein Grab;
      Und ein perlendes Tröpfchen
      Hängt als Thräne herab.
Bleib! du sollst in dem Sonnenschein
Dich des flüchtigen Lebens freun!

25
      Mit tiefsinniger Säumnis
      Flocht das Mädchen den Kranz
      In der Laube Geheimnis,
      Lieb' und Zärtlichkeit ganz.
Als aufs Haupt sie das Kränzchen nahm;
30
Wohl mir seligen, daß ich kam!

 
Der schlafende Satyr
(Epigramm 1794)

Tretet leise heran. Den Satyr hat Diodoros
Eingeschläfert, so sanft, daß er wie Marmor erscheint.

 
Arm und reich
(Epigramm 1794)

Arm ist auch bei wenigem nicht, wer nach der Natur lebt;
Wer nach Meinungen lebt, ist auch bei vielem nicht reich.

 
[Frühlingslied]
aus der Idylle «Luise»
(1795)


Blickt auf, wie hehr das lichte Blau
Hoch über uns sich wölbet!
Wie fern den grünen Glanz der Au
Die Butterblume gelbet!
5
Um uns im Sonnenscheine wehn
Der Buchen zarte Blätter;
Aus tausend Kehlen schallt, wie schön!
Vielstimmiges Geschmetter!

Ringsum an Bäumen und Gebüsch
10
Entschwellen junge Triebe!
Hier schattets kühl! Hier athmet frisch,
Und trinkt den Geist der Liebe!
Wir beben dir, der Liebe Geist,
In dieser Auferstehung,
15
Wie wenn du einst vom Tod' erneust
Zu seliger Erhöhung!

Aus allen Völkern rauschen dann
Verklärte Millionen,
Die brüderlich gesellt fortan
20
Den neuen Stern bewohnen!
Durch Farb' und Glauben nicht getrennt,
An Sinn und Thaten höher,
Sind Ihm, den selbst kein Jubel nennt,
Die Brudervölker näher!

25
Schon hier vereint in Lieb' und Recht
Sei aller Welt Gewimmel!
Wir sind ja Eines Staubs Geschlecht,
Bedeckt von Einem Himmel!
Wir spielen all' im Sonnenschein,
30
Vergnügt gemeiner Gabe;
Wir ruhn und steigen, groß und klein,
Gestärkt aus unserm Grabe!

Aus allen Völkern schall' empor
Gesang zum Ungenannten:
35
Wie jedes sich den Dienst erkohr,
Wie seinen Gottgesandten!
Gern hört der Vater Aller so
Sich vielfach angelallet,
Wie hier im jungen Laube froh
40
Der Waldgesang erschallet!

 
Der zufriedene Greis
(1795)

Ein Nachbar von Gleims Hüttchen


Ich sitze gern im Kühlen
Auf meiner Knüppelbank,
Und seh' im Winde wühlen
Das Rockenfeld entlang.
5
Dann flecht' ich Stühl' und Körbe,
Und sing', und denke wohl:
Bald sagt des Holzes Kerbe,
Die vierte Stieg, ist voll.

Wie unvermerkt doch schlendert
10
Die liebe Zeit dahin!
Gar viel hat sich verändert,
Seit ich im Dorfe bin.
So manches Jugendspielers
Gedenk' ich: Ach der war!
15
Der Sohn des Nebenschülers
Hat auch schon graues Haar.

Wer hören mag, der höret
Mich oft von alter Zeit:
Wer da und dort verkehret,
20
Wer dies und das verneut.
Ich weis des Krams nicht minder,
Als unsers Kirchthurms Knopf;
Das Neue nur, ihr Kinder,
Behalt' ich nicht im Kopf.

25
Ich mags auch nicht behalten,
Obs abschrekt, oder körnt;
Ich habe längst am Alten
Mein Sprüchlein ausgelernt:
Der Mensch im Anfang launet,
30
Und findet manches hart;
Er wirds gewohnt, und staunet,
Wie gut es endlich ward.

Du wirk' ohn' umzugaffen,
Und übe deine Pflicht.
35
Will Gott was neues schaffen,
So widerstrebe nicht.
Wie seltsam er oft bessert,
Er übersieht uns weit:
Was klein war, wird vergrößert,
40
Das große wird zerstreut.

Fürwahr im Himmel waltet,
Der wohl zu walten weis;
Der Alte, der nie altet,
Der lenkt der Dinge Gleis.
45
Gewitter, Sturm und Regen
Erheitern Luft und Flur.
Bebt nicht vor Donnerschlägen;
Der Alte bessert nur.

Jezt naht er manchem Volke
50
Mit Strafgericht und Graus,
Und donnert aus der Wolke;
Getrost! er bessert aus.
Drum lass' ich ohne Kummer
Es gehen, wie es geht:
55
Als ob in halbem Schlummer
Um mich der Schatten weht.

 
Die Braut am Gestade
(1796)
vertont von
Karl Friedrich Zelter (1758-1832)


- v -, - v v - -
v - v - v v - - v :|:
v - v -
- - v v - - v :|:

Schwarz wie Nacht, brausest du auf, Meer!
Wie wogt, wie krümmt sich und schäumt Brandung!
Wer? o Gott! fliegt in dem Sturm? Wer?
Und fleht, die Hände gestreckt, Landung?
5
      Ein weites Grab
Wogt furchtbar zum Tod winkend!
      Auf rollts und ab,
Nun strudelt das Schif sinkend!

Ach ihr schweigt, Stimmen der Angst! schweigt!
10
Des Sturmwinds Todtengesäng' hallen!
Ach des Kiels Scheitergeripp steigt,
Und Männer, ringend mit Tod, wallen!
      Mein Trauter du?
Todt wallest du, todt? Jammer!
15
      Gieb Meer uns Ruh, gib uns Ruh!
Sei beiden uns Brautkammer!

 
Die Kartoffelernte
(1800)

Kindlein, sammelt mit Gesang
Der Kartoffeln Überschwang!
Ob wir voll bis oben schütten
Alle Mulden, Körb' und Bütten,
5
Noch ist immer kein Vergang!

Wo man nur den Bulten hebt,
Schaut, wie voll es lebt und webt!
O die schöngekerbten Knollen,
Weiß und roth, und dick geschwollen!
10
Immer mehr, je mehr man gräbt.

Nicht umsonst in bunter Schau
Blüht' es röthlich, weiß und blau!
Ward gejätet, ward gehäufet:
Kindlein, Gottes Segen reifet!
15
Rief ich oft und trafs genau!

Einst vom Himmel schaute Gott
Auf der Armen bittre Noth:
Nahe gings ihm; und was that er
Uns zum Trost, der gute Vater?
20
Regnet' er uns Mannabrot?

Nein, ein Mann ward ausgesandt,
Der die neue Welt erfand!
Reiche nennens Land des Goldes;
Doch der Arme nennts sein holdes,
25
Nährendes Kartoffelland!

Nur ein Knöllchen eingesteckt
Und mit Erde zugedeckt.
Unten treibt dann Gott sein Wesen!
Kaum sind Hände gnug zum Lesen,
30
Wie es unten wühlt und heckt!

Was ist nun für Sorge noch?
Klar im irdnen Napf und hoch,
Dampft Kartoffelschmaus für alle!
Unsre Milchkuh auch im Stalle
35
Nimt ihr Theil, und brummt am Trog!

Aber, Kindlein, hört! ihr sollt
Nicht verschmähn das liebe Gold!
Habt ihr Gold, ihr könnt bei Haufen
Schöne Saatkartoffeln kaufen,
40
Grad' aus Holland, wenn ihr wollt!
 
 
 
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