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B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A

 

 

 

 
Johann Heinrich Voss
1751 - 1826
 


 






 



F ü r   d i e
R o m a n t i k e r


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Die Übersetzung August Wilhelm Schlegels
Vossens Parodie
Das lateinische Original


Die folgende Parodie eines verdeutschten Mönchsliedes, welches nicht durch Poesie, sondern, wie die meisten der Art, durch frommen Inhalt, berühmte Musik und feyerliche Aufführung, Ansehen gewann, ist die Frucht einer heitern Stunde, worin der Verfasser vor sieben Jahren die neu erschienene Verdeutschung mit unwillkührlichen Veränderungen vorlas.

     Es war die Zeit, da ein Schwarm junger Kräftlinge, wozu ein paar Männer sich herabließen, nicht nur unsere edelsten Dichter, jene tapfern Anbauer und Verherrlicher des deutschen Geistes, sondern sogar die großen, seit Jahrtausenden bewunderten Klassiker, mit Verkleinerung und Hohn zu behandeln sich unterfing, und jeden, wer Gnade wünschte, öffentlich zur Theilnahme des Bundes einlud. Den reinen Naturformen, in welchen des Alterthums freyer Genius sich verklärt darstellt, wurden die unförmigen Vermummungen des dumpfen, von Hierarchen und Damen abhängigen Rittergeistes, - der beseelten Gestalt des Urschönen, des zur Göttlichkeit gesteigerten Menschlichen ward Ihres Ideals düsteres Fantom, dem Klassischen das wilde Romantische, dem Antiken das Moderne, ja wenn sie noch schamloser sich aussprachen, dem Irdischen Ihr Geistiges, dem Heidnischen Ihr Christkatholisches vorgezogen *), und in den klingelnden Tonweisen der Fidelare und Meistersänger erhöht.

     Mitleidig sahn die Verständigen zu, wie mancher Kaltherzige aus  J a k o b  B ö h m  und ähnlichen sich selbst eine mystische Erhitzung zusammenpüsterte; und zwischendurch sagte wohl einer zum andern:

- - - - - Ein unsterblicher Gott zu erscheinen,
Wünscht' ein Empédokles hier, und kalt in den brennenden Ätna
Sprang er hinab. - Frey seys und erlaubt zu sterben den Dichtern!
Wer Unwillige rettet, der thut, wie der Mörder, Gewaltthat! . . .
Auch nicht sehen wir klar, warum er mit Versen sich abgibt:
Ob er des Vaters Asche gelaugt, ob entweihend des Donners
Schreckliche Stelle geregt; Toll raset er! -

     Weil man dem nachgegaukelten Veitstanze ein baldiges Ende zutrauete, so blieb diese Parodie, die zum Besprechen des Unwesens dienen konnte, in der Schreibtafel zurück. Jetzt, da das seltsame Bundesfieber noch ansteckender um sich greift, und mitunter einen feinsinnigen Jüngling in den Tanz fortraft, haben es bedachtsame Freunde für zuträglich erklärt, daß man den Befallenen dieß wenigstens unschädliche Heilmittel nicht vorenthalte. Ihnen, die mit inniger Religion und Andacht ihre Sprünge zu machen vorgeben, empfehle sich diese Gabe des Morgenblattes zur nüchternen Morgenandacht.

     Für den geistreichen Verdeutscher des Mönchsliedes kann der wohlmeinende Scherz keiner Mißdeutung fähig seyn. Er selbst, wissen wir, hat Eckel an den erkünstelten Verzückungen jener abenteuerlichen Romantiker. Wofern er, der das Höchste der Kunst, das Klassische, bey Alten und Neueren, bey Homer und Ariost, bey Sophokles und Shakspeare, bey Pindar und Klopstock zu würdigen versteht, jemals die Verächter des Klassischen in Laune oder Sorglosigkeit zu begünstigen schien; so wird er, was ihm entfuhr, mit so muthigem Biedersinne, wie sein Urtheil über den deutschen Homer, dem einwohnenden Gotte getreu, zurücknehmen.
 
*)
Siehe Rottmanners Kritik der Rede Jakobi's S. 20-24; und, wenn du die angeblichen Heroen dieser Leutlein nach ihrer Rangordnung kennen willst, S. 5: wo Goethe als Haupt der christkatholischen Romantiker auftreten muß, und als Kollege von - Ast!


 
August Wilhelm Schlegels Übersetzung der
Thomas von Celano (um 1190 - 1260)
zugeschriebenen Hymne «Dies irae, dies illa»



V o m   j ü n g s t e n   G e r i c h t

Jenen Tag, den Tag des Zoren,
Geht die Welt in Brand verloren,
Wie Profeten hoch beschworen.

Welch ein Graun wird seyn und Zagen,
5
Wenn der Richter kommt, mit Fragen
Streng zu prüfen alle Klagen!

Die Posaun, im Wundertone,
Wo auch wer im Grabe wohne,
Rufet alle her zum Throne.

10
Tod, Natur mit Staunen sehen
Dann die Kreatur erstehen,
Zur Verantwortung zu gehen.

Und ein Buch wird sich entfalten,
So das Ganze wird enthalten,
15
Ob der Welt Gericht zu halten.

Wann der Richter also richtet,
Wird, was heimlich war, berichtet,
Ungerochen nichts geschlichtet.

Ach, was werd' ich Armer sagen?
20
Wer beschirmt mich vor den Klagen,
Da Gerechte selber zagen?

König, furchtbar, hoch erhaben,
Frey sind deiner Gnade Gaben:
Woll' auch mich mit ihnen laben!

25
Milder Jesu, woll' erwägen,
Daß du kamest meinetwegen,
Um mein Heil alsdann zu hegen!

Ich war Ziel ja deines Strebens,
Kreuzestod der Preis des Lebens;
30
So viel Müh sey nicht vergebens!

Richter der gerechten Rache,
Nachsicht üb' in meiner Sache,
Eh zum letzten ich erwache;

Reuig muß ich Angst erdulden,
35
Tief erröthend vor den Schulden:
Sieh mich Flehnden, Gott, mit Hulden.

Du, der lossprach einst Marien,
Und dem Schächer selbst verziehen,
Hast mir Hofnung auch verliehen.

40
Mein Gebet gilt nicht so theuer;
Aber laß mich, o du Treuer,
Nicht vergehn im ewgem Feuer.

Zu den Schafen laß mich kommen,
Fern den Böcken, angenommen
45
Dir zur Rechten bey den Frommen.

Wenn Verworfnen ohne Schonung
Flammenpein wird zur Belohnung,
Ruf mich in des Segens Wohnung.

Herz, zerknirscht im tiefsten Grunde,
50
Bete, daß ich noch gesunde,
Sorge für die letzte Stunde!

Thränen bringt der Tag des Zoren,
Wo aus Staub wird neu geboren
Zum Gericht der Mensch voll Schulden.
55
Darum sieh ihn, Gott, mit Hulden;
Jesu, milder Herrscher du,
Gieb den Todten ewge Ruh!


 
Vossens Parodie auf
A. W. Schlegels Übersetzung der
Hymne «Dies irae, dies illa».



B u ß l i e d   e i n e s   R o m a n t i k e r s

Alles, was mit Qual und Zoren
Wir gedudelt, geht verloren;
Hats auch kein Profet beschworen.

Welch ein Graun wird seyn und Zagen,
5
Prüft der Richter ernst mit Fragen
Kleine, so wie große, Klagen!

Hinposaunt mit Schreckentone,
Gehen wir zum Richterthrone,
Wer mit Geist gereimt, und ohne.

10
Auch mich Armen wird man sehen
Mit den Sündern auferstehen,
Zur Verantwortung zu gehen.

Manches Büchlein wird entfalten,
Wie wir, feind den hohen Alten,
15
Hier modern-romantisch lallten.

Ohn' Erbarmen wird gerichtet,
Was wir, gleich als wärs gedichtet,
Firlefanzisch aufgeschichtet.

Ach, was werd' ich Armer sagen,
20
Wann der Kunst Geweihte klagen,
Und wir Süd-Kunstmacher zagen?

Gnade, ruf' ich, Herr, mir Knaben!
Frey ja gabst du deine Gaben;
Konntest du mich auch nicht laben?

25
Thatst du (woll' es, Herr, erwägen!)
Je ein Wunder meinetwegen,
Mein Gemüt mit Kraft zu pflegen?

Trotz dem Angstschweiß meines Strebens,
Nachzuäffen Geist des Lebens;
30
Alle Mühe war vergebens!

Richter der gerechten Rache,
Nachsicht üb' in meiner Sache,
Wenn ich, wie ich kann, es mache.

Scham und Reue muß ich dulden;
35
Tief erröth' ich ob den Schulden,
Wie ein Kreuzer unter Gulden.

Hab' ich reimend mich verschrieen,
Du, der Schächern selbst verziehen,
Laß es gehn für Melodieen!

40
Achte nicht mein Schrein so theuer,
Daß ich darum, o du Treuer,
Brennen sollt' in ewgem Feuer.

Zu den Schafen laß mich kommen,
Von den stößigen, nicht frommen,
45
Bundesböcken ausgenommen.

Wird auch Feuer ohne Schonung
Meinen Reimen zur Belohnung,
Nimm doch mich in deine Wohnung.

Herz, zerknirscht im tiefsten Grunde,
50
Ruf' Ade dem Schwärmerbunde,
Daß ich zu Vernunft gesunde!

Wer gesündigt hat mit Zoren,
Muß dort ewig, ewig schmoren.
Aber mich, trotz meinen Schulden,
55
Nimm ins Paradies mit Hulden.
Gieb mir Armen ewge Ruh,
Sey es auch - mit Kotzebu!

 

Der dem Thomas von Celano (um 1190 - 1260)
zugeschriebene Hymnus «Dies irae»



H y m n u s   i n   e x e q u i i s

I
Dies ire, dies illa
solvet seclum in favilla,
teste David cum Sibilla.

II
Quantus tremor est futurus,
5
quando iudex est venturus,
cuncta stricte discussurus.

III
Tuba mirum spargens sonum
per sepulchra regionum
coget omnes ante thronum.

IV
10
Mors stupebit et natura,
cum resurget creatura
iudicanti responsura.

V
Liber scriptus proferetur,
in quo totum continetur,
15
unde mundus iudicetur.

VI
Iudex ergo cum sedebit,
quicquid latet, apparebit,
nil inultum remanebit.

VII
Quid sum miser tunc dicturus,
20
quem patronum rogaturus,
cum vix iustus sit securus?

VIII
Rex tremende maiestatis,
qui salvandos salvas gratis,
salva me, fons pietatis!

IX
25
Recordare, Iesu pie,
quod sum causa tue vie:
ne me perdas illa die!

X
Querens me sedisti lassus,
redemisti crucem passus:
30
tantus labor non sit cassus.

XI
Iuste iudex ultionis,
donum fac remissionis
ante diem rationis.

XII
Ingemisco tamquam reus,
35
culpa rubet vultus meus,
supplicanti parce, Deus!

XIII
Qui Mariam absolvisti
et latronem exaudisti,
mihi quoque spem dedisti.

XIV
40
Preces mee non sunt digne,
sed tu bonus fac benigne
ne perenni cremer igne.

XV
Inter oves locum presta
et ab hedis me sequestra,
45
statuens in parte dextra!

XVI
Confutatis maledictis,
flammis acribus addictis,
voca me cum benedictis!

XVII
Oro supplex et acclinis,
50
cor contritum quasi cinis,
gere curam mei finis.

XVIII
Lacrimosa dies illa,
qua resurget ex favilla
iudicandus homo reus:
55
huic ergo parce, Deus!
Pie Iesu Domine,
dona eis requiem!
 
 
 
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