BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Sidonia Hedwig Zäunemann

1714 - 1740

 

Poetische Rosen

in Knospen

 

Vermischte Gedichte

 

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Das unter Gluth und Flammen

ächzende ERFURT.

Den 21.ten Oct. 1736

 

 

O! Was erhebt sich vor ein Sturm!

Wie braußt der Wind in unsern Gassen!

Dort wankt ein hochgespitzter Thurm,

Den hunderttausend Wirbel fassen.

5

Hier kracht ein schwach und mürbes Haus;

Sein Grimm bricht Kalch und Ziegel aus;

Er pfeift durch Gärten und Gebäude.

Entstünd ein Feuer ohngefehr,

Wo nähmen wir jetzt Rettung her;

10

Wie schlecht wär unsre Sabbaths=Freude!

 

O weh uns! kaum gedenk ich dran,

So hör ich Feuer! Feuer! schreyen.

Die Funken steigen Himmel an,

Und scheinen uns den Tod zu dräuen.

15

Die ganze Stadt erschrickt und bebt,

Und was in unsern Mauren lebt,

Erzittert, läuft und eilt zum Retten.

Der stark und ungeheure Wind

Treibt Gluth und Flammen so geschwind,

20

Als ob sie güldne Flügel hätten.

 

Dort trägt mit Seufzen, Ach und Weh

Ein armes Weib ein Bündel Betten,

Und hält es zitternd in die Höh,

Um dieß noch vor der Gluth zu retten.

25

Hier läuft ein hochbetagter Mann,

Trägt, was er sonst kaum heben kan,

Und suchts in Sicherheit zu bringen.

Da führt und schleift man Kaufmanns=Guth,

Man eilt es möchte sonst die Gluth

30

Die Waaren allesamt verschlingen.

 

Reißt Frauenzimmer! reißt die Pracht

Von Achseln, Haupt und Schlaf herunter!

Kommt gebt auf eure Freunde acht,

Und seyd zum Räumen frisch und munter.

35

Was denkt ihr jetzt ans Feyer=Kleid,

Jetzt da das Feuer Funken speyt,

Und seinen rothen Rachen weiset.

Auf! säumet nicht! helft, wo ihr könnt,

So lang die Gluth euch Zeit vergönnt,

40

Damit man eure Großmuth preiset.

 

Das ungeheure Element

Sucht seine Flügel auszubreiten.

Es raßt und tobt, und frißt behend,

Und lodert schon auf allen Seiten,

45

Der Sturm bläßt heftig in die Gluth,

Und mehret dadurch ihre Wuth,

Und unterhält die tollen Flammen.

Hier sind, wie ist mir doch so bang,

Zu unsers Erfurts Untergang

50

Zwey Feinde unzertrennt beysammen.

 

Jetzt steigt ein Regenbogen auf;

O! wäre dieß ein Gnaden=Zeichen!

Vieleicht sieht Gottes Auge drauf,

Und läßt sein Vater=Herz erweichen.

55

Doch nein! der Sturm bläßt immer mehr;

Er heult und brüllt und wüthet sehr,

Und blendet durch den Rauch die Augen.

Man weiß fast nicht wohin man sieht;

Der heise Dampf, der seitwerts zieht,

60

Beißt schmerzlicher als scharfe Laugen.

 

Vor Schrecken kreyset dort ein Weib,

Und muß ihr Kind in Thränen baden.

Hier trägt man einen siechen Leib,

Damit ihm nicht die Flammen schaden.

65

Wenn jetzt die arme Geren=Stadt

Den Höchsten nicht zum Helfer hat,

So muß sie gänzlich untergehen.

Wofern er nicht dem Wind gebeut,

Dem Feuer wehrt, dem Funken dräut,

70

So bleibt kein einzig Wohnhaus stehen.

 

Der Himmel zeigt uns noch einmahl

Den buntgefärbten Regenbogen.

Allein er mindert nicht die Quaal.

Die Gluth kömmt stärker hergezogen.

75

Der Rauch benimmt der Sonnen=Blick,

Die Luft wird dampfigt, schwarz und dick,

Dort fliegen angeflammte Kohlen;

Sie drehen sich mit Ungestümm,

O Jammer! ihr erhitzter Grimm

80

Entzündet auch die stärcksten Bohlen.

 

Hier stürzt ein lodernd Dach herab;

Dort knackt und prasselt ein Gebäude,

Und findet bald ein rothes Grab

Zu des Besitzers gröbstem Leide.

85

Die Gluth verschont kein steinern Haus,

Sie brennt die schönsten Zimmer aus;

Die stärcksten Mauren müssen springen.

So plötzlich kan die schnelle Gluth

Haus, Bücher, Früchte, Hab und Guth,

90

Eh man es noch vermeint, verschlingen.

 

Man sieht, wie sich die Spritzen drehn,

Wie scharf sie mit den Flammen fechten;

Sie geben zischend zu verstehn,

Wie gern sie uns erretten möchten.

95

Allein umsonst! mir fällt der Muth;

Kein Wasser tilgt die wilde Gluth.

O! könnt man sie mit Thränen zwingen!

Ich weiß, sie wär schon längst gestillt,

Denn was aus unsern Augen quillt,

100

Wär stark genug sie zu verdringen.

 

Ihr Nachtbarn! die ihr jetzt den Knall

Der schmetternden Canonen höret,

Gedenkt nur nicht, daß dieser Schall

Ein hohes Haupt zur Lust verehret.

105

O nein! dieß brüllende Geschrey

Ruft euch zur Hülf und Rettung bey,

Indem wir mit den Flammen streiten.

Ach eilt! mich deucht, der bange Thon

Der Glocken will anjetzo schon

110

Der schönen Stadt zu Grabe läuten.

 

Das Volk läuft in der Stadt herum

Gleich wie die Schafe ohne Hirten.

Es fällt vor Mattigkeit fast um;

Wer will die Hungrigen bewirthen?

115

Das arme Vieh heult jämmerlich;

Es schmachtet wo verbirgt es sich?

Damit es nicht im Feuer sterbe;

Es schreyt und fleht den Höchsten an,

So, wies zu Ninive gethan,

120

Auf daß es nicht mit uns verderbe.

 

Kein Priester, ja kein Jonas mag

Die Herzen so zur Busse lenken;

Als diese Gluth am Sabbath-Tag;

Wer wolte nicht an GOtt gedenken?

125

Jetzt bricht die Langmuth und Gedult;

Jetzt straft der Höchste unsre Schuld;

Sein Zorn entbrennt an diesem Tage;

Sein Arm schlägt heftig auf uns loß;

Die Sabbaths-Sünden sind zu groß;

130

Wie wohl verdienen wir die Plage!

 

O Vater-Auge! sieh doch drein!

Erbarme dich, und wehr dem Feuer!

Denk, daß wir dein Geschöpfe seyn!

Komm! dämpfe dieses Ungeheuer.

135

Das Unglück hat noch keine Ruh!

Mein GOtt: die Gassen fallen zu,

Da heißt es: rettet euer Leben!

Laßt Eymer und auch Spritzen stehn,

Dort will sich schon ein Balken drehn

140

Und euch den Rest im Fallen geben.

 

Das Erzt der Glocken zischt mit Macht,

Es schmelzt und spritzet in die Flammen;

Die Thürme sincken; hört! es kracht!

Der Tempel fält verbrant zusammen.

145

Noch mehr: das Predger Gottes-Haus

Steht viel Gefahr vom Feuer aus;

O möcht es doch der Himmel stützen!

Ja! ja hier hält die Flamme still!

Getrost! was GOtt erhalten will,

150

Das weiß er kräftig zu beschützen.

 

Was dort der muntre Handwerks-Mann

In weit entlegne Häuser schaffet,

Das greift nunmehr das Feuer an;

Es wird fast gänzlich weggeraffet.

155

O Schmerz! Die Flamme wüthet fort;

Bald brennt es hier; bald yündt es dort;

Man ist in keiner Strasse sicher.

Wie kan das Elend grösser seyn?

Die Gluth dringt in die Keller ein,

160

Und raubet Silber, Schmuck und Tücher.

 

Wer hilft mir? werd ich nicht erhöhrt!

Ihr Eltern! seht! wir sind verlohren.

Die Flamme, die dort aufwerts fährt,

Hat uns den Untergang geschworen.

165

Das Haus, so einst zur Asche ward,

Steht in Gefahr und leidet hart,

Und soll von neuen wüste werden.

Der Garten raucht, ach! widersteht!

Hier liegt das Feuer wie gesät;

170

Die Kräuter brennen auf der Erden.

 

Betrübte Mutter! weine nicht!

Wir wollen unserm GOtt vertrauen,

Der uns so vieles Heyl verspricht;

Wir werden seine Hülfe schauen.

175

Je mehr uns die Gefahr bedroht;

Je mehr und grösser unsre Noth,

Je näher ist der Schutz von oben.

Wer weis, was GOtt in seinem Rath

Noch über uns beschlossen hat?

180

Mich dünkt; der Wind hört auf zu toben.

 

Gedacht, gewünscht, gehoft, geglaubt,

Der HErr hat uns bereits erhöret,

So, daß sich nun mein Herz und Haupt

Mit Lob und Dank zum Himmel kehret,

185

Gleich, da fast aller Trost verschwind,

Gebeut der HErr dem starken Wind,

Und setzet ihm gemeßne Gränzen;

Vielleicht sieht auch die Allmacht drein.

Und hüllet Gluth und Flammen ein,

190

Die noch am Firmamente glänzen.

 

Der Himmel wird von Wolken dick:

Ach! wenn doch jetzt ein Regen käme!

O! wenn das Göttliche Geschick

Dem Feuer seine Macht benähme

195

Jedoch vergeblich hoft das Herz;

Die Flamme dauret wie der Schmerz;

Sie höret noch nicht auf zu wüthen:

Das Volk gießt immer sonder Ruh

Das Wasser auf die Dächer zu,

200

Um weiters Unglück zu verhüten.

 

Hier fällt und tödtet Kalch und Stein,

Und zwingt den Geist davon zu scheiden.

Da frißt die Flamme Fleisch und Bein:

So stirbt man mit dem größten Leiden!

205

Die sanfte Gere wird gestemmt;

Wodurch wird dann ihr Lauf gehemmt?

Durch Kisten, Kasten, Betten, Fässer.

Das, was kein Haus, kein Markt und Mann

Vor Gluth und Funken retten kan;

210

Das schützt noch endlich das Gewässer.

 

Die, so der Tod bereits gesucht,

Die müssen zu der Freude Grämen,

Durch Tragen ihre schnelle Flucht

In wohlverwahrte Keller nehmen.

215

Der Säugling fühlt der Mutter Noth,

So ihm bald drauf zu würgen droht,

Und muß mit vielem Jammer sterben.

Das Schrecken mehrt der Krankheit Schmerz,

So greift Morbona an das Herz,

220

Und weiß das Leben zu verderben.

 

Der Abend kömmt betrübt herbey;

Die Sonne geht ganz traurig unter,

Allein das Feuer herrscht noch frey;

Das matte Volk bleibt gleichfals munter.

225

Das Stücke wiederhohlt den Knall;

O mehr als fürchterlicher Schall!

O strenges Nacht=Lied, so wir hören.

Ach Schreckens=voller Morgen=Gruß,

Der uns zugleich erinnern muß

230

Die Augen nach dem Brand zu kehren.

 

Kommt! schaut die Aschen=Hauffen an,

Die gleich den Ziegel=Oefen rauchen.

Man sieht, so weit man sehen kan,

Die Gluth verdeckt und dampfend schmauchen.

235

O heises Grabmaal einer Stadt,

Die Gott so scharf gezüchtget hat!

Hier überfällt mich Furcht und Grauen.

O soll ich dich mein Ger=Athen

In solchem Jammer=Stande sehn!

240

Und deine Bürger weinend schauen.

 

Sucht eure Stätte nur noch nicht,

Nein, sondern sucht zuerst die Gassen,

Der Schutt betrüget das Gesicht;

Sie werden sich kaum finden lassen.

245

Hier ist ja lauter Wüsteney;

Der Berge sind so vielerley;

Wer will euch eure Wohnung zeigen?

Man geht jetzt nicht durch Strassen hin;

Man muß mit tiefgebeugtem Sinn

250

Nur über Feuer=Hügel steigen.

 

Der Höchste schlug; er wird sich auch

Der elend= und betrübten Armen

nach seinem väterlichen Brauch,

Nach seiner Huld und Gnad erbarmen.

255

Wer aber davon hört und spricht,

Verdamme ja und richte nicht,

Und untersuche sein Gewissen.

Denn so ihr jetzt nicht Busse thut,

So werdet ihr durch Sturm und Gluth

260

Auf gleiche Art verderben müssen.